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DFPFORTBILDUNG
Ernährungsmedizinische Konzepte
bei Adipositas
PROF. DR. H. HAUNER
Institut für Ernährungsmedizin, Klinikum rechts der Isar der TU München,
Uptown München, Campus
INHALT
Überlegungen zur Ernährungstherapie
Ernährungsmedizinische Konzepte
Praktische Umsetzung
Langzeitergebnisse
Fazit für die Praxis
LECTURE BOARD
Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm
Österreichisches Akademisches Institut für Ernährungsmedizin
Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak
Medizinische Universität Graz und
Vorstandsmitglied der Österreichischen Adipositas Gesellschaft
FORTBILDUNGSANBIETER
Ärztekammer für Niederösterreich
Wipplingerstraße 2, 1010 Wien
REDAKTIONELLE BEARBEITUNG
Mag. Ingo Schlager
Eine Literaturliste ist auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich.
Der Originalartikel ist erschienen in der Zeitschrift „Der Internist 2/2015“.
© Springer Verlags GmbH 2015
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CONSILIUM 09/15
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DFPFORTBILDUNG
Ernährungsmedizinische
Konzepte bei Adipositas
E
ine hohe Energieaufnahme infolge überkalorischer Ernährung und eine Verringerung des Energieverbrauchs infolge
von Bewegungsmangel sind – neben einem komplexen genetischen Hintergrund – die Hauptursachen für die weit verbreitete
Adipositas. Nach den Ergebnissen einer kürzlich durchgeführten, bevölkerungsrepräsentativen Studie (DEGS) sind rund 24 %
aller erwachsenen Deutschen mit einem Body-Mass-Index (BMI)
•NJP2 adipös.
Von den konservativen Therapieoptionen gilt eine hypokalorische Ernährung als wirksamste Maßnahme zum Erreichen einer
negativen Energiebilanz und damit zur Senkung eines erhöhten Körpergewichts. Diese Einschätzung drückt sich auch darin
aus, dass es eine unüberschaubare Anzahl von „Diäten“ zur
Gewichtssenkung gibt. Die meisten Menschen mit Adipositas
und Wunsch auf Gewichtsabnahme versuchen zunächst eine
hypokalorische Kost, meist aus Eigeninitiative und ohne medizinische Begleitung.
ten (z. B. Tiefkühlpizza) ist ungebrochen. Die zahllosen Essensangebote im Alltagsleben erschweren zusätzlich ein geregeltes
Essverhalten.
Diese oft spontan konsumierten Take-away- und ConvenienceProdukte sind i.d.R. fett-, zucker- und kalorienreich und machen
eine kognitive Kontrolle der Nahrungszufuhr schwierig. Die
hohe Energiedichte dieser Produkte begünstigt zudem eine übermäßig hohe Kalorienzufuhr bei gleichzeitig niedriger Nährstoffdichte, da es sich üblicherweise um stark verarbeitete Lebensmittel handelt. Hinzu kommt, dass die angebotenen Portionsgrößen
weit über den tatsächlichen und sinnvollen Bedarf hinausgehen
und einen Überkonsum fördern. Eine US-amerikanische Studie
hat gezeigt, dass der unverminderte Anstieg der Kalorienzufuhr
in den letzten 15 Jahren v. a. auf eine Zunahme der Essgelegenheiten zurückgeführt werden kann.
Ernährungsmedizinische Konzepte
Alle aktuellen evidenzbasierten Leitlinien zur Behandlung der
Adipositas empfehlen eine Kombination von energiereduzierter
Ernährung, Steigerung der körperlichen Bewegung und Verhaltensmodifikation als sinnvollste Interventionsstrategie. In einer
Metaanalyse erwies sich diese Kombination als wirksamer als
Ernährungstherapie allein.
In der Ernährungsmedizin dominierte bis vor etwa 10 Jahren
das Dogma einer fettreduzierten Kost als diätetische Strategie zur
Senkung eines erhöhten Körpergewichts. Obwohl dieses Konzept auch heute unverändert gilt, gab es in den letzten Jahren
eine Vielzahl neuer Ansätze und kontrollierter Studien, um die
bislang unbefriedigenden Ergebnisse der Adipositastherapie zu
verbessern.
Überlegungen zur Ernährungstherapie
Grundsätzlich gilt, dass die Ernährungstherapie der Adipositas an den Ursachen ansetzen sollte. Eine an der Pathogenese
orientierte Ernährungstherapie impliziert, sich die aktuellen
Trends im Ernährungsverhalten in der Bevölkerung bewusst zu
machen. Die Ernährung der mitteleuropäischen Bevölkerung
KDW VLFK LQ GHQ OHW]WHQ ELV -DKUHQ GHXWOLFK GLYHUVLIL]LHUW
und verändert (Infobox 1). Dabei fällt auf, dass die traditionellen
Ernährungsmuster nach und nach verloren gehen. Insbesondere
jüngere Menschen, die häufig in Einpersonenhaushalten leben,
halten immer weniger geregelte Essenszeiten ein und bereiten
ihre Mahlzeiten immer seltener selbst zu. Der Trend zum AußerHaus-Verzehr und zu fast verzehrfertigen Convenience-Produk24
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Im letzten Jahrzehnt wurden viele neue Konzepte zur Ernährungstherapie vorgeschlagen und in Studien evaluiert. Damit
steht heute ein breit gefächertes Spektrum von evidenzbasierten Therapien zur Verfügung (siehe Tab. 1, Infobox 2). Die persönlichen Wünsche der Betroffenen können stärker als bisher
berücksichtigt werden; damit ist – theoretisch – eine höhere
Compliance zu erwarten.
Im Folgenden werden die aktuellen ernährungsmedizinischen
Konzepte zur Behandlung der Adipositas vorgestellt. Auf das
nahezu unüberschaubare Angebot an mehr oder weniger unseriösen hypokalorischen Crash-Diäten soll hier nicht eingegangen
werden.
Mäßig energiereduzierte Kostformen
Fettreduzierte Mischkost
Die auch heute noch gültige Standardempfehlung ist die fettreduzierte Mischkost mit einem Energiedefizit von ca. 500 – 600
NFDO7DJ 'DPLW LVW UHFKQHULVFK HLQH (QHUJLHHLQVSDUXQJ YRQ
Infobox 1: Trends im Ernährungsverhalten, die
Übergewicht fördern
• Hohe Energiedichte in modernen Lebensmitteln
• Übermäßige Portionsgrößen
• Ständige Verfügbarkeit von Fastfood
• Anhaltender Trend zum Außer-Haus-Verzehr
• Hoher Konsum energiereicher Kalt- und Warmgetränke
DFPFORTBILDUNG
der Reduktion der Kohlenhydratzufuhr
abhängig war.
Durch einen anfangs deutlichen oder völligen Verzicht auf Kohlenhydrate kommt
Mäßig energiereduzierte Kostformen Deutlich energiereduzierte Kostformen
es zu einem erheblichen Energiedefizit
(Energiedefizit 500 – 800 kcal/Tag)
(Energiezufuhr von max. 1.200 kcal/Tag)
und damit zu einer schnellen GewichtsAlleinige Fettreduktion
Sehr niedrigkalorische Diät (Formula-Diät)
abnahme. Dabei werden bis zu 40 % der
Energiereduzierte Mischkost
Gesamtenergie eingespart, die nur teilweise
Kohlenhydratarme Kostformen
durch einen höheren Verzehr von Fett und
Mahlzeitenersatzstrategie
Eiweiß ausgeglichen werden, sodass ein
mit Formula-Produkten
deutliches Energiedefizit verbleibt. Daher
fand sich in der Mehrzahl der Studien
Infobox 2: Kalorienreduktion
anfänglich ein größerer Gewichtsverlust als bei konventionellen
Bei jeder Kalorienbeschränkung sollte beachtet werden,
fettreduzierten Kostformen, der aber nach spätestens einem Jahr
dass die Gewichtsabnahme von Person zu Person sehr
nicht mehr nachweisbar war.
variabel sein kann, in erster Linie in Abhängigkeit von der
unterschiedlichen Motivation und Compliance der TeilnehDer Begriff kohlenhydratarme bzw. Low-Carb-Kostformen ist
mer. Aus diesem Grund wird bei Gewichtsreduktionsstudibislang nicht klar definiert. Die Kohlenhydrataufnahme variiert
en häufig der Anteil der Personen mit wenigstens 5 % oder
MH QDFK .RQ]HSW ]ZLVFKHQ J7DJ EHL GHU $WNLQV'LlW XQG
10 % Gewichtsverlust angegeben. Wenn mehr als 50 % der
40 Energieprozent (En%). Eine sehr starke KohlenhydratbegrenTeilnehmer > 5 % und mehr als 20 % der Teilnehmer > 10 %
zung ist nach den bisherigen Erfahrungen weder sinnvoll noch
des Ausgangsgewichts verlieren, kann von einem wirksaauf längere Sicht durchführbar. Dagegen scheint eine mäßige
men Programm gesprochen werden.
Kohlenhydratreduktion gut vertretbar zu sein, sofern ein ausreichend hoher Verzehr von Ballaststoffen sichergestellt und eine
NFDO:RFKH]XHUZDUWHQZDVHLQHU*HZLFKWVDEQDKPHYRQ hohe Zufuhr gesättigter Fette vermieden werden kann, was alleretwa 500 g entspricht. Damit ist durchschnittlich eine Gewichts- dings unter westlichen Ernährungsbedingungen schwer umsetzreduktion von ca. 5 kg über den Zeitraum eines Jahres möglich. bar ist. In der Praxis ist eine Erhöhung der Zufuhr gesättigter
Die Zufuhr aller Makronährstoffe wird moderat begrenzt; als Fetten und eine Abnahme der Ballaststoffaufnahme kaum zu
wichtigste Einzelkomponente gilt die Verringerung des Fettver- vermeiden.
zehrs, sodass es sich um eine fettreduzierte Kost handelt. Durch
Erhöhung des Verzehrs von ballaststoffreichem Gemüse, Obst Unklar ist bisher, wie sich stark kohlenhydratreduzierte Kostund Getreideprodukten lässt sich eine gute Sättigung bei gleich- formen auf das kardiovaskuläre Risiko auswirken. Vor allem
zeitig hoher Nährstoffdichte erzielen. Diese Kost hat den gro- der mäßige Anstieg des LDL-Cholesterins wird hierbei kritisch
ßen Vorteil, dass sie praktisch nebenwirkungsfrei und sicher ist. gesehen. Inzwischen liegen die Ergebnisse zahlreicher KohortenSie erfordert keinen hohen Betreuungsaufwand und kann als studien zu dieser Frage vor: Eine neuere Metaanalyse ergab, dass
Ernährungskonzept ohne Einschränkung auch auf Dauer emp- eine kohlenhydratarme Kost mit einem signifikant erhöhten
Risiko für Gesamtmortalität assoziiert ist; allerdings sind weitere
fohlen werden.
Studien nötig, um diesen Zusammenhang genauer zu klären.
Kohlenhydratarme Kostformen
Kohlenhydratarme und fett- bzw. eiweißliberale Kostformen wur- Proteinbetonte Kostformen
den in den letzten Jahren stark propagiert. Dieser Trend war Obwohl sich Low-Carb-Diäten durch einen meist hohen Prozunächst durch ein Revival der Atkins-Diät in den USA ausge- teinanteil auszeichnen, gibt es Kostformen, die primär auf eine
löst worden. Bereits früher hatte es Phasen gegeben, in denen Erhöhung des Proteinanteils zielen. Eine Metaanalyse solcher
diese „ketogenen Diäten“ sehr beliebt waren. Eine Metaanalyse ,QWHUYHQWLRQVVWXGLHQHUJDEGDVVHLZHL‰UHLFKH'LlWHQ±
dieser älteren Studien zeigte, dass der beobachtete Gewichtsver- der Energiezufuhr) im Durchschnitt zu einem etwas größeren
lust von der Dauer und der Kalorieneinsparung, nicht aber von Gewichtsverlust führen als hypokalorische Kostformen mit übliTabelle 1:
Evidenzbasierte ernährungsmedizinische Konzepte zur Gewichtsreduktion
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25
DFPFORTBILDUNG
ch en
Eiweißmengen (ca.
15 % der Energiezufuhr).
Dieser Vorteil
wird auf die stärkere
Sättigung durch einen
hohen Eiweißgehalt zurückgeführt. Eine solche Kost geht allerdings auch mit einem Anstieg von Harnstoff und -säure sowie
einem erhöhten Risiko für Nierensteine einher. Eigene Untersuchungen zeigten, dass eine erhöhte Zufuhr tierischer Proteine zu
einem Anstieg der glomerulären Filtrationsrate (GFR) führt und
damit die Nieren unnötig belasten könnte.
Daneben weisen Kohortenstudien darauf hin, dass ein hoher
Verzehr tierischer Proteine das Diabetes- und Arterioskleroserisiko und damit das Mortalitätsrisiko erhöht. Zu erwähnen ist
hier, dass Protein aus pflanzlichen Quellen diese ungünstigen
Eigenschaften nicht zu besitzen scheint, systematische Studien
dazu fehlen aber.
Bedeutung der Makronährstoffzusammensetzung
In der Vergangenheit wurde immer wieder die Frage aufgeworfen, inwieweit die Makronährstoffzusammensetzung (Kohlenhydrate, Fette, Eiweiß) verschiedener Diäten den Gewichtsverlust
beeinflusst. In einer Studie wurden 811 adipöse Erwachsenen
PLWHLQHPPLWWOHUHQ%0,YRQNJP2 über 2 Jahre mit vier
hypokalorischen Kostformen mit einem Kohlenhydratanteil zwiVFKHQXQGXQGQRUPDOHPRGHUKRKHP(LZHL‰
bzw. 25 En%) bzw. Fettanteil (20 % bzw. 40 En%) behandelt.
Dabei konnten keine Unterschiede hinsichtlich Gewichtsabnahme, Besserung von Risikofaktoren sowie Hunger- und Sättigungsscores beobachtet werden. Der Gewichtsverlust hing aber
mit der Therapieadhärenz zusammen. Damit ist überzeugend
belegt, dass der Gewichtsverlust nicht von der Makronährstoffzusammensetzung, sondern allein von der Kalorienbegrenzung
abhängt.
In weiteren Studien wurden populäre kommerzielle Diäten mit
mäßiger Energiebegrenzung in randomisierten Interventionsstudien über 12 Monate hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit verglichen. Während Dansinger et al. in ihrer Studie keine
Unterschiede im Gewichtsverlust zwischen den vier eingesetzten Diäten (Atkins, Ornish, Weight Watchers, Zone) fanden,
zeigte sich in einer ähnlichen Studie (Vergleich von Atkins,
Zone, Ornish und LEARN) ein kleiner Vorteil zugunsten der
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Atkins-Diät. Die Unterschiede zwischen diesen Diäten waren
aber klinisch marginal, auch die Drop-out-Raten wichen kaum
voneinander ab. Eine neuere Metaanalyse dieser Studien kam
zu dem Ergebnis, dass mit diesen mäßig energiebegrenzten Kostformen unabhängig von ihrer Zusammensetzung im Laufe eines
Jahres eine durchschnittliche Senkung des Körpergewichts um
1,9 BMI-Einheiten zu erreichen ist.
Mittelmeerkost
Es gibt eine Metaanalyse, die dafür spricht, dass die Einhaltung
einer mediterranen Kost ebenfalls mit einer mäßigen Gewichtsabnahme einhergeht. Dies wurde v. a. in der DIRECT-Studie
aber auch in anderen Studien nachgewiesen.
Drastisch energiereduzierte Kostformen
Mäßig hypokalorische Kostformen benötigen i.d.R. einen ZeitUDXP YRQ ELV 0RQDWHQ ELV HLQH *HZLFKWVDEQDKPH YRQ
etwa 5 – 10 % des Ausgangsgewichts erreicht wird. Ist aus medizinischen oder anderen Gründen eine schnellere und größere
Gewichtsabnahme erwünscht, können – zeitlich begrenzt – auch
Kostformen mit einem höheren Energiedefizit eingesetzt werden. Dazu werden meist definierte Formula-Produkte verwendet. Dabei handelt es sich um industriell hergestellte, definierte
Nährstoffpulver meist auf Molkebasis, die mit einer täglichen
Energiezufuhr von mindestens 800 kcal und höchstens 1.200
kcal angeboten werden. Formuladiäten müssen als diätetische
Lebensmittel dem § 14 der Diätverordnung und der entspreFKHQGHQ (85LFKWOLQLH (* HQWVSUHFKHQ 'LlWHWLVFKH
Lebensmittel, die in Österreich für den Einsatz im Rahmen der
Adipositastherapie vorgesehen sind, werden zudem genauestens
durch die 112. Verordnung des Bundesministeriums für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz geregelt. In der Diätverordnung sind auch die zugesetzten Mengen an essenziellen Fettsäuren, Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen festgelegt.
In Österreich sind verschiedene Formula-Produkte im Handel,
die u. a. über Apotheken, Reformhäuser und im Direktverkauf
vertrieben werden, i.d.R. ohne fachliche Unterstützung bzw.
Beratung. Sie werden meist entweder im Rahmen einer Mahlzeitenersatzstrategie oder einer zeitlich begrenzten, sehr niedrigkalorischen Diät eingesetzt.
Mahlzeitenersatzstrategie
Zunächst werden zwei Hauptmahlzeiten durch ein FormulaProdukt ersetzt, die dritte „normale“ Hauptmahlzeit sollte ausgewogen sein und etwa einen Energiegehalt von 500 – 600 kcal
enthalten. Nach einem Gewichtsverlust von etwa 10 kg wird nur
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noch eine Hauptmahlzeit ersetzt, um das neue Gewicht zu halten. Der Patient kann dabei sein eigenes Gewichtsmanagement
betreiben. Studien belegen, dass sich mit dieser Strategie auch
langfristig eine gute Gewichtssenkung erreichen lässt.
Praktische Umsetzung
Der entscheidende Erkenntnisgewinn aus den neuen Studien
ist, dass der Korridor für die Wahl einer gewichtssenkenden
Ernährung relativ groß ist und eine maßgeschneiderte Therapie
nach den Wünschen des Betroffenen erlaubt. Als Orientierung
Sehr niedrigkalorische Diäten
Formula-Produkte werden auch eingesetzt, um für begrenzte Zeit OlVVWVLFKJUREDQJHEHQGDVVGHU)HWWDQWHLOXQWHU±GHU
ein extremes Energiedefizit bei gleichzeitiger Sicherstellung der Gesamtenergiezufuhr bleiben sollte, während die Zufuhr von
Zufuhr essenzieller Nährstoffe zu ermöglichen. Damit lässt sich Kohlenhydraten (40 – 60 % der Gesamtenergie) und Protein
ein größerer Gewichtserfolg herbeiführen. Dabei sollte eine täg- ± GHU *HVDPWHQHUJLH UHFKW YDULDEHO JHVWDOWHW ZHUGHQ
liche Energiezufuhr von 800 kcal aus Sicherheitsgründen nicht kann. Ein inhaltlich dogmatisches Vorgehen, wie in der konvenunterschritten und die Anwendung auf 12 Wochen begrenzt tionellen Ernährungsberatung nicht selten praktiziert, ist angewerden. Auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von ca. 2,5 sichts der Vielfalt begründeter neuer ernährungsmedizinischer
±O7DJLVWXQEHGLQJW]XDFKWHQ'LH*HZLFKWVDEQDKPHOLHJW Behandlungskonzepte nicht mehr vertretbar.
bei 15 – 20 kg über den maximalen Zeitraum von 12 Wochen.
'LHVH .RVWIRUP LVW EHVRQGHUV EHL 3HUVRQHQ PLW HLQHP %0, • Für den kurz- und langfristigen Gewichtsverlust kommt es weniNJP2 sinnvoll. Sie ist einfach anzuwenden, da sie stark von ger auf die Art der Kalorienbegrenzung, sondern entscheidend
den normalen Verzehrgewohnheiten abweicht und es infolge der auf die Energiebilanz an. Dies bedeutet für die Praxis, dass es
Ketonkörperbildung schnell zu einer Dämpfung des Hungerge- bezüglich der Lebensmittelpräferenzen großen Spielraum gibt.
fühls kommt. Sehr niedrigkalorische Diäten erfordern wegen Durch geschickte und bewusstere Lebensmittelauswahl, insbepotenzieller Risiken eine gute medizinische Betreuung.
sondere fettärmere Lebensmittel und Erhöhung der Ballaststoffzufuhr, und energieärmere Zubereitung lässt sich eine EnergieNebenwirkungen wie Schwindel infolge von Blutdruckabfall, HLQVSDUXQJ YRQ ± NFDO7DJ RKQH (LQVFKUlQNXQJ GHU
Hungergefühl, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Frieren, Essensmengen und unter Erhalt einer guten Sättigung erreichen.
Verstopfung treten häufig auf. Auch gefährlichere Komplikati- Ein solches Konzept erfordert die Kenntnis der Ernährungsgeonen wie Herzrhythmusstörungen infolge des Kaliummangels, wohnheiten des Patienten. Diese sollten stets vor Beginn einer
Nierenversagen und Ketoazidose wurden beschrieben, insbe- Therapie ermittelt werden, z. B. durch Ernährungsprotokolle.
sondere bei multimorbiden Patienten im mittleren bis höhe- Erst auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der indiren Lebensalter. Eine relativ engmaschige ärztliche Betreuung viduellen Präferenzen sollte dann eine gezielte Ernährungsberaist daher gerade bei Personen mit Begleiterkrankungen unver- WXQJHUIROJHQ,QIRER[
zichtbar. Bei schwangeren und stillenden Frauen, Kindern und
Jugendlichen, Menschen im Alter von > 60 Jahren, Personen mit Gleichzeitig sind die neuen gesellschaftlichen HerausfordeHLQHP%0,NJP2 und Personen mit schweren akuten oder rungen stärker zu beachten, die eine erhöhte Energiezufuhr
chronischen Erkrankungen sollten solche Diäten grundsätzlich begünstigen. Hier sind v. a. die ständige Verfügbarkeit von
Lebensmitteln meist hoher Energiedichte und der Trend zum
nicht eingesetzt werden.
Formula-Diäten sollten immer mit Bewegungssteigerung und Außer-Haus-Verzehr von Convenience-Produkten zu nennen.
Verhaltensmodifikation (v. a. Anti-Stress-Maßnahmen) kom- Der hohe Konsum zuckerhaltiger Getränke fördert gerade bei
biniert werden, da sonst eine hohe Rückfallquote zu erwarten jüngeren Menschen eine Gewichtszunahme. Daher geht es
ist. Nach Beendigung einer solchen Diät sollte unbedingt ein darum, dem Patienten attraktive Alternativen bei der Außerneues Essverhalten mit normaler Kost eingeübt werden. Doch Haus-Verpflegung aufzuzeigen, die seinen Geschmacksvorlieben
selbst unter optimalen Bedingungen kommt es bei den meisten und letztlich seinem Lebensstil entsprechen und dabei dennoch
Personen innerhalb weniger Monate zu einem deutlichen Wie- einer Gewichtsabnahme bzw. -kontrolle nicht im Weg stehen.
deranstieg des Körpergewichts. Langzeitstudien zeigen dennoch,
dass 4 bis 5 Jahre nach Teilnahme an einem solchen Programm Da viele Menschen den Zeitaufwand für die Mahlzeitenzubereiim Durchschnitt noch ein mittlerer Gewichtsverlust von 7 kg tung möglichst niedrig halten wollen, ist es wichtig, jeden überJHZLFKWLJHQDGLS|VHQ 0HQVFKHQ LQ GLH /DJH ]X YHUVHW]HQ DXV
bezogen auf das Ausgangsgewicht verbleibt.
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DFPFORTBILDUNG
dem großen Angebot von Convenience- und Fertigprodukten
diejenigen auszuwählen, die eine ausgewogene und energetisch
angemessene Ernährung erlauben. Geeignete Nährwerttabellen
wie „Kalorien mundgerecht“ oder Apps für Smartphones können hierbei wertvolle Unterstützung bieten.
Langzeitergebnisse
Das eigentliche Hauptproblem in der Adipositastherapie stellt
die Stabilisierung des Gewichterfolgs dar, die offenkundig nur
einer Minderheit von 10 – 20 % über einen mehrjährigen Zeitraum gelingt. Wesentlicher nachhaltiger sind dagegen die Ergebnisse der bariatrischen Chirurgie bei extremer Adipositas, die
DOOHUGLQJV0HQVFKHQPLWHLQHP%0,YRQ•NJP2 vorbehalten ist.
Ernährung bewährt, die sich nachweislich zur Verhinderung
einer Wiederzunahme nach Gewichtsreduktion eignet.
Auswertungen des US-amerikanischen National Weight Control
Registry zeigen, dass v. a. eine fettreduzierte Kost bzw. ein Verzicht auf Fastfood sowie eine hohe körperliche Aktivität geeignet
sind, um eine Wiederzunahme zu verhindern bzw. zu begrenzen.
Die überwiegende Mehrzahl der erfolgreichen Langzeitabnehmer ernährte sich sehr fettarm, ein kleinerer Prozentsatz hielt
eine kohlenhydratarme Kost ein. Auch die Selbstkontrolle des
Körpergewichts durch regelmäßiges Wiegen ist eine wirksame
Strategie, um einem Wiederanstieg des Körpergewichts vorzubeugen.
Fazit für die Praxis
Vielen Patienten und ihren Therapeuten ist nicht klar, dass es • Eine übermäßige Energiezufuhr im Rahmen der modernen
nach einer Gewichtsabnahme notwendig ist, die Energiezufuhr
Ernährung ist maßgeblich an der Entwicklung einer Adipodauerhaft zu verringern, um einen Wiederanstieg des Körpersitas beteiligt. Eine wichtige Rolle spielt dabei der steigende
gewichts zu verhindern. Nach den Untersuchungen von Leibel
Konsum energiedichter Fertiglebensmittel und -gerichte, die
et al. führt ein Gewichtsverlust von 10 % des Körpergewichts
zumeist in zu großen Portionen angeboten werden.
zu einer Abnahme des Gesamtenergieverbrauchs um bis zu • Ziel der Ernährungstherapie ist eine ausgewogene, aber ener NFDO7DJ .HKUHQ 3HUVRQHQ QDFK HLQHU *HZLFKWVDEQDKPH
giereduzierte Kost mit einem Energiedefizit von ca. 500 – 800
wieder zu ihren alten Ernährungsgewohnheiten zurück, ist ein
NFDO7DJXQGHLQHPKRKHQ$QWHLOSIODQ]OLFKHU/HEHQVPLWWHO
Wiederanstieg des Körpergewichts vorprogrammiert und unverum eine gute Sättigung zu erreichen.
meidlich. Am besten hat sich hier eine Strategie mit fettarmer • Bei der Auswahl der Lebensmittel und Speisen kommt es weniger auf die Makronährstoffzusammensetzung, sondern allein auf den Energiegehalt an.
Infobox 3: Praktische Empfehlungen zur
• Die persönlichen Vorlieben der Patienten sollten beachtet,
Ernährungstherapie bei Übergewicht/Adipositas
gleichzeitig aber energieärmere Lebensmittelalternativen be• Ernährungsinformation und -schulung inkl. Nährwerttavorzugt werden.
bellen
• Wichtig ist, eine passende Mahlzeitenstruktur zu etablieren
• Reduzierung der Energiezufuhr um 500 – 600 kcal/Tag auf
und spontane Snacks zwischendurch, sei es in fester Form
der Grundlage eines Ernährungsprotokolls
oder als Getränke, grundsätzlich zu meiden.
• Weniger fettreiche Lebensmittel und fettarme Zuberei• Bei medizinischer Indikation können zeitlich begrenzt und
tungsarten
unter ärztlicher Betreuung auch sehr niedrigkalorische Diäten
• Reichlich Gemüse, Salate, Obst, Vollkornprodukte
eingesetzt werden. Ohne langfristige Ernährungsumstellung
• Ausreichende Proteinzufuhr, auf Wunsch und bei intakist allerdings eine Wiederzunahme des Körpergewichts zu erter Nierenfunktion höhere Eiweißzufuhr
warten.
• Ausschließlich kalorienfreie Getränke (bei Wunsch süßstoffgesüßte Alternativen)
PROF. DR. H. HAUNER
• Verteilung auf 3 Mahlzeiten/Tag
Institut für Ernährungsmedizin,
• Zwischenmahlzeiten und Snacks nach Möglichkeit ganz
Klinikum rechts der Isar der TU München,
meiden
Uptown München, Campus
• Monitoring der Nahrungsaufnahme (Selbstbeobachtung)
• Regelmäßige Gewichtskontrolle
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