DFPFORTBILDUNG Ernährungsmedizinische Konzepte bei Adipositas PROF. DR. H. HAUNER Institut für Ernährungsmedizin, Klinikum rechts der Isar der TU München, Uptown München, Campus INHALT Überlegungen zur Ernährungstherapie Ernährungsmedizinische Konzepte Praktische Umsetzung Langzeitergebnisse Fazit für die Praxis LECTURE BOARD Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm Österreichisches Akademisches Institut für Ernährungsmedizin Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak Medizinische Universität Graz und Vorstandsmitglied der Österreichischen Adipositas Gesellschaft FORTBILDUNGSANBIETER Ärztekammer für Niederösterreich Wipplingerstraße 2, 1010 Wien REDAKTIONELLE BEARBEITUNG Mag. Ingo Schlager Eine Literaturliste ist auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich. Der Originalartikel ist erschienen in der Zeitschrift „Der Internist 2/2015“. © Springer Verlags GmbH 2015 Punkte sammeln auf... SpringerMedizin.at Das DFP-Literaturstudium ist Teil des Diplom-Fortbildungs-Programms (DFP) der Österreichischen Ärztekammer und ermöglicht qualitätsgesicherte Fortbildung durch das Studium von Fachartikeln nach den Richtlinien des DFPs. DFP-Punkte online, per Post, Fax oder E-Mail Der Multiple-Choice-Fragebogen des DFP kann bis zum 30. September 2016 eingereicht werden: • Online: Für eingeloggte User steht der Beitrag und der Fragebogen unter www.springermedizin.at/ fortbildung/ zur Verfügung. • per Post: Prinz-Eugen-Straße 8-10, 1040 Wien • per Fax: +43 1 330 24 26 • per E-Mail (eingescannter Test) an: [email protected] Approbation Diese Fortbildungseinheit wird mit 2 DFP-Punkten approbiert. Die Fortbildungspunkte werden rasch und unkompliziert mit Ihrer ÖÄKNummer elektronisch verbucht. Kontakt und weitere Informationen Springer-Verlag GmbH Springer Medizin Susanna Hinterberger [email protected] SpringerMedizin.at CONSILIUM 09/15 23 DFPFORTBILDUNG Ernährungsmedizinische Konzepte bei Adipositas E ine hohe Energieaufnahme infolge überkalorischer Ernährung und eine Verringerung des Energieverbrauchs infolge von Bewegungsmangel sind – neben einem komplexen genetischen Hintergrund – die Hauptursachen für die weit verbreitete Adipositas. Nach den Ergebnissen einer kürzlich durchgeführten, bevölkerungsrepräsentativen Studie (DEGS) sind rund 24 % aller erwachsenen Deutschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) NJP2 adipös. Von den konservativen Therapieoptionen gilt eine hypokalorische Ernährung als wirksamste Maßnahme zum Erreichen einer negativen Energiebilanz und damit zur Senkung eines erhöhten Körpergewichts. Diese Einschätzung drückt sich auch darin aus, dass es eine unüberschaubare Anzahl von „Diäten“ zur Gewichtssenkung gibt. Die meisten Menschen mit Adipositas und Wunsch auf Gewichtsabnahme versuchen zunächst eine hypokalorische Kost, meist aus Eigeninitiative und ohne medizinische Begleitung. ten (z. B. Tiefkühlpizza) ist ungebrochen. Die zahllosen Essensangebote im Alltagsleben erschweren zusätzlich ein geregeltes Essverhalten. Diese oft spontan konsumierten Take-away- und ConvenienceProdukte sind i.d.R. fett-, zucker- und kalorienreich und machen eine kognitive Kontrolle der Nahrungszufuhr schwierig. Die hohe Energiedichte dieser Produkte begünstigt zudem eine übermäßig hohe Kalorienzufuhr bei gleichzeitig niedriger Nährstoffdichte, da es sich üblicherweise um stark verarbeitete Lebensmittel handelt. Hinzu kommt, dass die angebotenen Portionsgrößen weit über den tatsächlichen und sinnvollen Bedarf hinausgehen und einen Überkonsum fördern. Eine US-amerikanische Studie hat gezeigt, dass der unverminderte Anstieg der Kalorienzufuhr in den letzten 15 Jahren v. a. auf eine Zunahme der Essgelegenheiten zurückgeführt werden kann. Ernährungsmedizinische Konzepte Alle aktuellen evidenzbasierten Leitlinien zur Behandlung der Adipositas empfehlen eine Kombination von energiereduzierter Ernährung, Steigerung der körperlichen Bewegung und Verhaltensmodifikation als sinnvollste Interventionsstrategie. In einer Metaanalyse erwies sich diese Kombination als wirksamer als Ernährungstherapie allein. In der Ernährungsmedizin dominierte bis vor etwa 10 Jahren das Dogma einer fettreduzierten Kost als diätetische Strategie zur Senkung eines erhöhten Körpergewichts. Obwohl dieses Konzept auch heute unverändert gilt, gab es in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer Ansätze und kontrollierter Studien, um die bislang unbefriedigenden Ergebnisse der Adipositastherapie zu verbessern. Überlegungen zur Ernährungstherapie Grundsätzlich gilt, dass die Ernährungstherapie der Adipositas an den Ursachen ansetzen sollte. Eine an der Pathogenese orientierte Ernährungstherapie impliziert, sich die aktuellen Trends im Ernährungsverhalten in der Bevölkerung bewusst zu machen. Die Ernährung der mitteleuropäischen Bevölkerung KDW VLFK LQ GHQ OHW]WHQ ELV -DKUHQ GHXWOLFK GLYHUVLIL]LHUW und verändert (Infobox 1). Dabei fällt auf, dass die traditionellen Ernährungsmuster nach und nach verloren gehen. Insbesondere jüngere Menschen, die häufig in Einpersonenhaushalten leben, halten immer weniger geregelte Essenszeiten ein und bereiten ihre Mahlzeiten immer seltener selbst zu. Der Trend zum AußerHaus-Verzehr und zu fast verzehrfertigen Convenience-Produk24 CONSILIUM 09/15 Im letzten Jahrzehnt wurden viele neue Konzepte zur Ernährungstherapie vorgeschlagen und in Studien evaluiert. Damit steht heute ein breit gefächertes Spektrum von evidenzbasierten Therapien zur Verfügung (siehe Tab. 1, Infobox 2). Die persönlichen Wünsche der Betroffenen können stärker als bisher berücksichtigt werden; damit ist – theoretisch – eine höhere Compliance zu erwarten. Im Folgenden werden die aktuellen ernährungsmedizinischen Konzepte zur Behandlung der Adipositas vorgestellt. Auf das nahezu unüberschaubare Angebot an mehr oder weniger unseriösen hypokalorischen Crash-Diäten soll hier nicht eingegangen werden. Mäßig energiereduzierte Kostformen Fettreduzierte Mischkost Die auch heute noch gültige Standardempfehlung ist die fettreduzierte Mischkost mit einem Energiedefizit von ca. 500 – 600 NFDO7DJ 'DPLW LVW UHFKQHULVFK HLQH (QHUJLHHLQVSDUXQJ YRQ Infobox 1: Trends im Ernährungsverhalten, die Übergewicht fördern • Hohe Energiedichte in modernen Lebensmitteln • Übermäßige Portionsgrößen • Ständige Verfügbarkeit von Fastfood • Anhaltender Trend zum Außer-Haus-Verzehr • Hoher Konsum energiereicher Kalt- und Warmgetränke DFPFORTBILDUNG der Reduktion der Kohlenhydratzufuhr abhängig war. Durch einen anfangs deutlichen oder völligen Verzicht auf Kohlenhydrate kommt Mäßig energiereduzierte Kostformen Deutlich energiereduzierte Kostformen es zu einem erheblichen Energiedefizit (Energiedefizit 500 – 800 kcal/Tag) (Energiezufuhr von max. 1.200 kcal/Tag) und damit zu einer schnellen GewichtsAlleinige Fettreduktion Sehr niedrigkalorische Diät (Formula-Diät) abnahme. Dabei werden bis zu 40 % der Energiereduzierte Mischkost Gesamtenergie eingespart, die nur teilweise Kohlenhydratarme Kostformen durch einen höheren Verzehr von Fett und Mahlzeitenersatzstrategie Eiweiß ausgeglichen werden, sodass ein mit Formula-Produkten deutliches Energiedefizit verbleibt. Daher fand sich in der Mehrzahl der Studien Infobox 2: Kalorienreduktion anfänglich ein größerer Gewichtsverlust als bei konventionellen Bei jeder Kalorienbeschränkung sollte beachtet werden, fettreduzierten Kostformen, der aber nach spätestens einem Jahr dass die Gewichtsabnahme von Person zu Person sehr nicht mehr nachweisbar war. variabel sein kann, in erster Linie in Abhängigkeit von der unterschiedlichen Motivation und Compliance der TeilnehDer Begriff kohlenhydratarme bzw. Low-Carb-Kostformen ist mer. Aus diesem Grund wird bei Gewichtsreduktionsstudibislang nicht klar definiert. Die Kohlenhydrataufnahme variiert en häufig der Anteil der Personen mit wenigstens 5 % oder MH QDFK .RQ]HSW ]ZLVFKHQ J7DJ EHL GHU $WNLQV'LlW XQG 10 % Gewichtsverlust angegeben. Wenn mehr als 50 % der 40 Energieprozent (En%). Eine sehr starke KohlenhydratbegrenTeilnehmer > 5 % und mehr als 20 % der Teilnehmer > 10 % zung ist nach den bisherigen Erfahrungen weder sinnvoll noch des Ausgangsgewichts verlieren, kann von einem wirksaauf längere Sicht durchführbar. Dagegen scheint eine mäßige men Programm gesprochen werden. Kohlenhydratreduktion gut vertretbar zu sein, sofern ein ausreichend hoher Verzehr von Ballaststoffen sichergestellt und eine NFDO:RFKH]XHUZDUWHQZDVHLQHU*HZLFKWVDEQDKPHYRQ hohe Zufuhr gesättigter Fette vermieden werden kann, was alleretwa 500 g entspricht. Damit ist durchschnittlich eine Gewichts- dings unter westlichen Ernährungsbedingungen schwer umsetzreduktion von ca. 5 kg über den Zeitraum eines Jahres möglich. bar ist. In der Praxis ist eine Erhöhung der Zufuhr gesättigter Die Zufuhr aller Makronährstoffe wird moderat begrenzt; als Fetten und eine Abnahme der Ballaststoffaufnahme kaum zu wichtigste Einzelkomponente gilt die Verringerung des Fettver- vermeiden. zehrs, sodass es sich um eine fettreduzierte Kost handelt. Durch Erhöhung des Verzehrs von ballaststoffreichem Gemüse, Obst Unklar ist bisher, wie sich stark kohlenhydratreduzierte Kostund Getreideprodukten lässt sich eine gute Sättigung bei gleich- formen auf das kardiovaskuläre Risiko auswirken. Vor allem zeitig hoher Nährstoffdichte erzielen. Diese Kost hat den gro- der mäßige Anstieg des LDL-Cholesterins wird hierbei kritisch ßen Vorteil, dass sie praktisch nebenwirkungsfrei und sicher ist. gesehen. Inzwischen liegen die Ergebnisse zahlreicher KohortenSie erfordert keinen hohen Betreuungsaufwand und kann als studien zu dieser Frage vor: Eine neuere Metaanalyse ergab, dass Ernährungskonzept ohne Einschränkung auch auf Dauer emp- eine kohlenhydratarme Kost mit einem signifikant erhöhten Risiko für Gesamtmortalität assoziiert ist; allerdings sind weitere fohlen werden. Studien nötig, um diesen Zusammenhang genauer zu klären. Kohlenhydratarme Kostformen Kohlenhydratarme und fett- bzw. eiweißliberale Kostformen wur- Proteinbetonte Kostformen den in den letzten Jahren stark propagiert. Dieser Trend war Obwohl sich Low-Carb-Diäten durch einen meist hohen Prozunächst durch ein Revival der Atkins-Diät in den USA ausge- teinanteil auszeichnen, gibt es Kostformen, die primär auf eine löst worden. Bereits früher hatte es Phasen gegeben, in denen Erhöhung des Proteinanteils zielen. Eine Metaanalyse solcher diese „ketogenen Diäten“ sehr beliebt waren. Eine Metaanalyse ,QWHUYHQWLRQVVWXGLHQHUJDEGDVVHLZHLUHLFKH'LlWHQ± dieser älteren Studien zeigte, dass der beobachtete Gewichtsver- der Energiezufuhr) im Durchschnitt zu einem etwas größeren lust von der Dauer und der Kalorieneinsparung, nicht aber von Gewichtsverlust führen als hypokalorische Kostformen mit übliTabelle 1: Evidenzbasierte ernährungsmedizinische Konzepte zur Gewichtsreduktion CONSILIUM 09/15 25 DFPFORTBILDUNG ch en Eiweißmengen (ca. 15 % der Energiezufuhr). Dieser Vorteil wird auf die stärkere Sättigung durch einen hohen Eiweißgehalt zurückgeführt. Eine solche Kost geht allerdings auch mit einem Anstieg von Harnstoff und -säure sowie einem erhöhten Risiko für Nierensteine einher. Eigene Untersuchungen zeigten, dass eine erhöhte Zufuhr tierischer Proteine zu einem Anstieg der glomerulären Filtrationsrate (GFR) führt und damit die Nieren unnötig belasten könnte. Daneben weisen Kohortenstudien darauf hin, dass ein hoher Verzehr tierischer Proteine das Diabetes- und Arterioskleroserisiko und damit das Mortalitätsrisiko erhöht. Zu erwähnen ist hier, dass Protein aus pflanzlichen Quellen diese ungünstigen Eigenschaften nicht zu besitzen scheint, systematische Studien dazu fehlen aber. Bedeutung der Makronährstoffzusammensetzung In der Vergangenheit wurde immer wieder die Frage aufgeworfen, inwieweit die Makronährstoffzusammensetzung (Kohlenhydrate, Fette, Eiweiß) verschiedener Diäten den Gewichtsverlust beeinflusst. In einer Studie wurden 811 adipöse Erwachsenen PLWHLQHPPLWWOHUHQ%0,YRQNJP2 über 2 Jahre mit vier hypokalorischen Kostformen mit einem Kohlenhydratanteil zwiVFKHQXQGXQGQRUPDOHPRGHUKRKHP(LZHL bzw. 25 En%) bzw. Fettanteil (20 % bzw. 40 En%) behandelt. Dabei konnten keine Unterschiede hinsichtlich Gewichtsabnahme, Besserung von Risikofaktoren sowie Hunger- und Sättigungsscores beobachtet werden. Der Gewichtsverlust hing aber mit der Therapieadhärenz zusammen. Damit ist überzeugend belegt, dass der Gewichtsverlust nicht von der Makronährstoffzusammensetzung, sondern allein von der Kalorienbegrenzung abhängt. In weiteren Studien wurden populäre kommerzielle Diäten mit mäßiger Energiebegrenzung in randomisierten Interventionsstudien über 12 Monate hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit verglichen. Während Dansinger et al. in ihrer Studie keine Unterschiede im Gewichtsverlust zwischen den vier eingesetzten Diäten (Atkins, Ornish, Weight Watchers, Zone) fanden, zeigte sich in einer ähnlichen Studie (Vergleich von Atkins, Zone, Ornish und LEARN) ein kleiner Vorteil zugunsten der 26 CONSILIUM 09/15 Atkins-Diät. Die Unterschiede zwischen diesen Diäten waren aber klinisch marginal, auch die Drop-out-Raten wichen kaum voneinander ab. Eine neuere Metaanalyse dieser Studien kam zu dem Ergebnis, dass mit diesen mäßig energiebegrenzten Kostformen unabhängig von ihrer Zusammensetzung im Laufe eines Jahres eine durchschnittliche Senkung des Körpergewichts um 1,9 BMI-Einheiten zu erreichen ist. Mittelmeerkost Es gibt eine Metaanalyse, die dafür spricht, dass die Einhaltung einer mediterranen Kost ebenfalls mit einer mäßigen Gewichtsabnahme einhergeht. Dies wurde v. a. in der DIRECT-Studie aber auch in anderen Studien nachgewiesen. Drastisch energiereduzierte Kostformen Mäßig hypokalorische Kostformen benötigen i.d.R. einen ZeitUDXP YRQ ELV 0RQDWHQ ELV HLQH *HZLFKWVDEQDKPH YRQ etwa 5 – 10 % des Ausgangsgewichts erreicht wird. Ist aus medizinischen oder anderen Gründen eine schnellere und größere Gewichtsabnahme erwünscht, können – zeitlich begrenzt – auch Kostformen mit einem höheren Energiedefizit eingesetzt werden. Dazu werden meist definierte Formula-Produkte verwendet. Dabei handelt es sich um industriell hergestellte, definierte Nährstoffpulver meist auf Molkebasis, die mit einer täglichen Energiezufuhr von mindestens 800 kcal und höchstens 1.200 kcal angeboten werden. Formuladiäten müssen als diätetische Lebensmittel dem § 14 der Diätverordnung und der entspreFKHQGHQ (85LFKWOLQLH (* HQWVSUHFKHQ 'LlWHWLVFKH Lebensmittel, die in Österreich für den Einsatz im Rahmen der Adipositastherapie vorgesehen sind, werden zudem genauestens durch die 112. Verordnung des Bundesministeriums für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz geregelt. In der Diätverordnung sind auch die zugesetzten Mengen an essenziellen Fettsäuren, Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen festgelegt. In Österreich sind verschiedene Formula-Produkte im Handel, die u. a. über Apotheken, Reformhäuser und im Direktverkauf vertrieben werden, i.d.R. ohne fachliche Unterstützung bzw. Beratung. Sie werden meist entweder im Rahmen einer Mahlzeitenersatzstrategie oder einer zeitlich begrenzten, sehr niedrigkalorischen Diät eingesetzt. Mahlzeitenersatzstrategie Zunächst werden zwei Hauptmahlzeiten durch ein FormulaProdukt ersetzt, die dritte „normale“ Hauptmahlzeit sollte ausgewogen sein und etwa einen Energiegehalt von 500 – 600 kcal enthalten. Nach einem Gewichtsverlust von etwa 10 kg wird nur DFPFORTBILDUNG noch eine Hauptmahlzeit ersetzt, um das neue Gewicht zu halten. Der Patient kann dabei sein eigenes Gewichtsmanagement betreiben. Studien belegen, dass sich mit dieser Strategie auch langfristig eine gute Gewichtssenkung erreichen lässt. Praktische Umsetzung Der entscheidende Erkenntnisgewinn aus den neuen Studien ist, dass der Korridor für die Wahl einer gewichtssenkenden Ernährung relativ groß ist und eine maßgeschneiderte Therapie nach den Wünschen des Betroffenen erlaubt. Als Orientierung Sehr niedrigkalorische Diäten Formula-Produkte werden auch eingesetzt, um für begrenzte Zeit OlVVWVLFKJUREDQJHEHQGDVVGHU)HWWDQWHLOXQWHU±GHU ein extremes Energiedefizit bei gleichzeitiger Sicherstellung der Gesamtenergiezufuhr bleiben sollte, während die Zufuhr von Zufuhr essenzieller Nährstoffe zu ermöglichen. Damit lässt sich Kohlenhydraten (40 – 60 % der Gesamtenergie) und Protein ein größerer Gewichtserfolg herbeiführen. Dabei sollte eine täg- ± GHU *HVDPWHQHUJLH UHFKW YDULDEHO JHVWDOWHW ZHUGHQ liche Energiezufuhr von 800 kcal aus Sicherheitsgründen nicht kann. Ein inhaltlich dogmatisches Vorgehen, wie in der konvenunterschritten und die Anwendung auf 12 Wochen begrenzt tionellen Ernährungsberatung nicht selten praktiziert, ist angewerden. Auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von ca. 2,5 sichts der Vielfalt begründeter neuer ernährungsmedizinischer ±O7DJLVWXQEHGLQJW]XDFKWHQ'LH*HZLFKWVDEQDKPHOLHJW Behandlungskonzepte nicht mehr vertretbar. bei 15 – 20 kg über den maximalen Zeitraum von 12 Wochen. 'LHVH .RVWIRUP LVW EHVRQGHUV EHL 3HUVRQHQ PLW HLQHP %0, Für den kurz- und langfristigen Gewichtsverlust kommt es weniNJP2 sinnvoll. Sie ist einfach anzuwenden, da sie stark von ger auf die Art der Kalorienbegrenzung, sondern entscheidend den normalen Verzehrgewohnheiten abweicht und es infolge der auf die Energiebilanz an. Dies bedeutet für die Praxis, dass es Ketonkörperbildung schnell zu einer Dämpfung des Hungerge- bezüglich der Lebensmittelpräferenzen großen Spielraum gibt. fühls kommt. Sehr niedrigkalorische Diäten erfordern wegen Durch geschickte und bewusstere Lebensmittelauswahl, insbepotenzieller Risiken eine gute medizinische Betreuung. sondere fettärmere Lebensmittel und Erhöhung der Ballaststoffzufuhr, und energieärmere Zubereitung lässt sich eine EnergieNebenwirkungen wie Schwindel infolge von Blutdruckabfall, HLQVSDUXQJ YRQ ± NFDO7DJ RKQH (LQVFKUlQNXQJ GHU Hungergefühl, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Frieren, Essensmengen und unter Erhalt einer guten Sättigung erreichen. Verstopfung treten häufig auf. Auch gefährlichere Komplikati- Ein solches Konzept erfordert die Kenntnis der Ernährungsgeonen wie Herzrhythmusstörungen infolge des Kaliummangels, wohnheiten des Patienten. Diese sollten stets vor Beginn einer Nierenversagen und Ketoazidose wurden beschrieben, insbe- Therapie ermittelt werden, z. B. durch Ernährungsprotokolle. sondere bei multimorbiden Patienten im mittleren bis höhe- Erst auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der indiren Lebensalter. Eine relativ engmaschige ärztliche Betreuung viduellen Präferenzen sollte dann eine gezielte Ernährungsberaist daher gerade bei Personen mit Begleiterkrankungen unver- WXQJHUIROJHQ,QIRER[ zichtbar. Bei schwangeren und stillenden Frauen, Kindern und Jugendlichen, Menschen im Alter von > 60 Jahren, Personen mit Gleichzeitig sind die neuen gesellschaftlichen HerausfordeHLQHP%0,NJP2 und Personen mit schweren akuten oder rungen stärker zu beachten, die eine erhöhte Energiezufuhr chronischen Erkrankungen sollten solche Diäten grundsätzlich begünstigen. Hier sind v. a. die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln meist hoher Energiedichte und der Trend zum nicht eingesetzt werden. Formula-Diäten sollten immer mit Bewegungssteigerung und Außer-Haus-Verzehr von Convenience-Produkten zu nennen. Verhaltensmodifikation (v. a. Anti-Stress-Maßnahmen) kom- Der hohe Konsum zuckerhaltiger Getränke fördert gerade bei biniert werden, da sonst eine hohe Rückfallquote zu erwarten jüngeren Menschen eine Gewichtszunahme. Daher geht es ist. Nach Beendigung einer solchen Diät sollte unbedingt ein darum, dem Patienten attraktive Alternativen bei der Außerneues Essverhalten mit normaler Kost eingeübt werden. Doch Haus-Verpflegung aufzuzeigen, die seinen Geschmacksvorlieben selbst unter optimalen Bedingungen kommt es bei den meisten und letztlich seinem Lebensstil entsprechen und dabei dennoch Personen innerhalb weniger Monate zu einem deutlichen Wie- einer Gewichtsabnahme bzw. -kontrolle nicht im Weg stehen. deranstieg des Körpergewichts. Langzeitstudien zeigen dennoch, dass 4 bis 5 Jahre nach Teilnahme an einem solchen Programm Da viele Menschen den Zeitaufwand für die Mahlzeitenzubereiim Durchschnitt noch ein mittlerer Gewichtsverlust von 7 kg tung möglichst niedrig halten wollen, ist es wichtig, jeden überJHZLFKWLJHQDGLS|VHQ 0HQVFKHQ LQ GLH /DJH ]X YHUVHW]HQ DXV bezogen auf das Ausgangsgewicht verbleibt. CONSILIUM 09/15 27 DFPFORTBILDUNG dem großen Angebot von Convenience- und Fertigprodukten diejenigen auszuwählen, die eine ausgewogene und energetisch angemessene Ernährung erlauben. Geeignete Nährwerttabellen wie „Kalorien mundgerecht“ oder Apps für Smartphones können hierbei wertvolle Unterstützung bieten. Langzeitergebnisse Das eigentliche Hauptproblem in der Adipositastherapie stellt die Stabilisierung des Gewichterfolgs dar, die offenkundig nur einer Minderheit von 10 – 20 % über einen mehrjährigen Zeitraum gelingt. Wesentlicher nachhaltiger sind dagegen die Ergebnisse der bariatrischen Chirurgie bei extremer Adipositas, die DOOHUGLQJV0HQVFKHQPLWHLQHP%0,YRQNJP2 vorbehalten ist. Ernährung bewährt, die sich nachweislich zur Verhinderung einer Wiederzunahme nach Gewichtsreduktion eignet. Auswertungen des US-amerikanischen National Weight Control Registry zeigen, dass v. a. eine fettreduzierte Kost bzw. ein Verzicht auf Fastfood sowie eine hohe körperliche Aktivität geeignet sind, um eine Wiederzunahme zu verhindern bzw. zu begrenzen. Die überwiegende Mehrzahl der erfolgreichen Langzeitabnehmer ernährte sich sehr fettarm, ein kleinerer Prozentsatz hielt eine kohlenhydratarme Kost ein. Auch die Selbstkontrolle des Körpergewichts durch regelmäßiges Wiegen ist eine wirksame Strategie, um einem Wiederanstieg des Körpergewichts vorzubeugen. Fazit für die Praxis Vielen Patienten und ihren Therapeuten ist nicht klar, dass es • Eine übermäßige Energiezufuhr im Rahmen der modernen nach einer Gewichtsabnahme notwendig ist, die Energiezufuhr Ernährung ist maßgeblich an der Entwicklung einer Adipodauerhaft zu verringern, um einen Wiederanstieg des Körpersitas beteiligt. Eine wichtige Rolle spielt dabei der steigende gewichts zu verhindern. Nach den Untersuchungen von Leibel Konsum energiedichter Fertiglebensmittel und -gerichte, die et al. führt ein Gewichtsverlust von 10 % des Körpergewichts zumeist in zu großen Portionen angeboten werden. zu einer Abnahme des Gesamtenergieverbrauchs um bis zu • Ziel der Ernährungstherapie ist eine ausgewogene, aber ener NFDO7DJ .HKUHQ 3HUVRQHQ QDFK HLQHU *HZLFKWVDEQDKPH giereduzierte Kost mit einem Energiedefizit von ca. 500 – 800 wieder zu ihren alten Ernährungsgewohnheiten zurück, ist ein NFDO7DJXQGHLQHPKRKHQ$QWHLOSIODQ]OLFKHU/HEHQVPLWWHO Wiederanstieg des Körpergewichts vorprogrammiert und unverum eine gute Sättigung zu erreichen. meidlich. Am besten hat sich hier eine Strategie mit fettarmer • Bei der Auswahl der Lebensmittel und Speisen kommt es weniger auf die Makronährstoffzusammensetzung, sondern allein auf den Energiegehalt an. Infobox 3: Praktische Empfehlungen zur • Die persönlichen Vorlieben der Patienten sollten beachtet, Ernährungstherapie bei Übergewicht/Adipositas gleichzeitig aber energieärmere Lebensmittelalternativen be• Ernährungsinformation und -schulung inkl. Nährwerttavorzugt werden. bellen • Wichtig ist, eine passende Mahlzeitenstruktur zu etablieren • Reduzierung der Energiezufuhr um 500 – 600 kcal/Tag auf und spontane Snacks zwischendurch, sei es in fester Form der Grundlage eines Ernährungsprotokolls oder als Getränke, grundsätzlich zu meiden. • Weniger fettreiche Lebensmittel und fettarme Zuberei• Bei medizinischer Indikation können zeitlich begrenzt und tungsarten unter ärztlicher Betreuung auch sehr niedrigkalorische Diäten • Reichlich Gemüse, Salate, Obst, Vollkornprodukte eingesetzt werden. Ohne langfristige Ernährungsumstellung • Ausreichende Proteinzufuhr, auf Wunsch und bei intakist allerdings eine Wiederzunahme des Körpergewichts zu erter Nierenfunktion höhere Eiweißzufuhr warten. • Ausschließlich kalorienfreie Getränke (bei Wunsch süßstoffgesüßte Alternativen) PROF. DR. H. HAUNER • Verteilung auf 3 Mahlzeiten/Tag Institut für Ernährungsmedizin, • Zwischenmahlzeiten und Snacks nach Möglichkeit ganz Klinikum rechts der Isar der TU München, meiden Uptown München, Campus • Monitoring der Nahrungsaufnahme (Selbstbeobachtung) • Regelmäßige Gewichtskontrolle © Springer Verlags GmbH 2015 28 CONSILIUM 09/15