BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik 8. Jahrgang 2016/2 Heft 13, S. 72-105 Philipp von Gall: Tierschutz als Agrarpolitik. Wie das deutsche Tierschutzgesetz der industriellen Tierhaltung den Weg ebnete 314 S., Bielefeld: transcript, 2016, 29,99 EUR Philipp von Gall leistet mit seiner Monografie Tierschutz als Agrarpolitik einen wesentlichen Beitrag zu einem historisch informierten Verständnis der definierenden Parameter des deutschen staatlichen Tierschutzverständnisses. Er ermöglicht damit allen an politisch, ethisch oder juristisch geprägten Tierschutz- und Tierrechtsfragen Interessierten Einsichten in die fundamentalen juridischen Widerstände gegen eine zunehmende Berücksichtigung tierlicher Interessen. In einem historisch-analytischen Teil zeigt er zunächst die Entstehungsumstände des gegenwärtig geltenden Tierschutzgesetzes sowie die entscheidenden Kontinuitäten mit dem 1933 verabschiedeten Vorläufer auf. Von Gall dokumentiert, wie mit dem Ziel – bzw. unter dem Vorwand – einer Verwissenschaftlichung des Tierschutzes der Common Sense in Fragen von tierlichem Leiden und Wohlbefinden suspendiert und Kritikern konkreter Tiernutzungen einerseits die Deutungshoheit über die fragliche Praxis genommen und andererseits die Beweislast für eine unverhältnismäßige Schädigung der Tiere aufgebürdet wurde. Im Fokus der gesamten Untersuchung stehen dabei die für agrarisch genutzte Tiere relevanten Regelungen. Die Analyse historischer Gesetzestexte wird in transparenter Weise durch vorhandene Sekundärliteratur ergänzt; andererseits erweitert von Gall aber auch die Untersuchungsbasis um unveröffentlichtes Archivmaterial, sodass die Arbeit beanspruchen kann, mit der Neubewertung bereits diskutierter rechtsgeschichtlicher Entwicklungen einen genuin empirischen Beitrag zu verbinden. In einem philosophisch-kritischen Teil untersucht er anschließend die Leitbegriffe und Grundsätze der Gesetzesreform auf ihre verborgenen | 72 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | ethischen und geistphilosophischen Vorannahmen. Er argumentiert dafür, die explizit erwünschte Ausklammerung von Emotionen aus dem staatlicherseits sicherzustellenden Tierschutz als eine Strategie der gesellschaftlichen Verdrängung zu verstehen (256), die das Meinungsbild zu Fragen des Mensch-Tier-Verhältnisses systematisch verzerrt (230ff.), zu einer „Deprivation der moralischen Sprache“ (253) und sogar zur Ausgrenzung der Ethik (nicht aber moralischer Vorannahmen) aus dem Tierschutz überhaupt führt (255). Historische und philosophische Analyse stützen das Gesamturteil, wonach die Einschätzung, das TierSchG schütze die Interessen der Tiere vor den Auswirkungen der ökonomischen Interessen ihrer Nutzer, schlicht ein Missverständnis der eigentlichen Ausrichtung des Gesetzes darstellt (263), es dem deutschen Tierschutzgesetz also im Kern nicht um den Schutz der Tiere geht. Der erste Teil der Untersuchung legt anhand von Quellen aus dem Reformprozess „Rechts-“ (59) und damit „Investitionssicherheit“ (66) für die tiernutzende Agrarindustrie als einflussreichere Ziele des Gesetzgebungsverfahrens nahe. Dies ist für von Gall nur einer der Gründe, die ideengeschichtliche Einordnung der Reformergebnisse als Überwindung des Anthropozentrismus im Tierschutz zurückzuweisen (56). Daneben bestreitet er, dass ältere, partikularstaatliche deutsche Tierschutzgesetze aufgrund von Klauseln, die die Strafbarkeit von Tierquälerei an deren öffentliche Erscheinung binden, als rein anthropozentrisch motiviert, nämlich ausschließlich um die menschliche Sittlichkeit besorgt gebrandmarkt werden dürften. Die Aufnahme entsprechender Öffentlichkeitsklauseln zeugt für von Gall weniger von einem Verständnis von Tierschutz als bloßem pädagogischen Mittel als vielmehr von einem „rechtsmethodischen Ansatz“ – also einer pragmatischen Einschränkung, nicht moralischen Grundhaltung (vgl. 44-50). Im Folgenden zeigt von Gall auf, dass sich schon die Propaganda um das Gesetz von 1933 der Idee der Ablösung eines anthropozentrischen durch einen um das Tier selbst bemühten Tierschutz bediente (54), während gleichzeitig – wohl auf Betreiben Görings – mit der Einführung des Begriffs eines „vernünftigen, berechtigten Zweckes“ weitreichenden Ausnahmeregeln vom Verbot der Tierquälerei der Weg geebnet wurde (53). Von Gall verlegt sich damit keineswegs auf ein bloßes argumentum ad Hitlerum, sondern liefert vielmehr einen Nachweis des sich durchziehenden Motivs der Nutzungsinteressen als bestimmender Größe für die Gestaltung vermeintlicher Tierschutzregelungen. Ein zentraler Kritikpunkt von Galls an den 1972 beschlossenen Veränderungen des deutschen Tierschutzrechts betrifft die damit verfolgte BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 73 | | Buchbesprechungen Ersetzung eines angeblich emotional geprägten Tierschutzes durch einen wissenschaftlich definierten. Dazu belegt er zunächst im ersten Teil der Untersuchung anhand einer Vielzahl entsprechender Bekundungen in Dokumenten aus dem sechsjährigen Reformprozess, dass die Verwissenschaftlichung oder Versachlichung das wesentliche unter den öffentlich vertretenen Anliegen der Reform war. Tierärzte, die in das Projekt der Leistungssteigerung agrarisch genutzter Tiere entscheidend mit einbezogen waren (35f., 55) und gegen die Kritik an der angestrebten Versachlichung darauf hinwiesen, dass es sich bei Tieren immer noch um „Materie“ handele (102), und Ethologen (131) beförderte diese vermeintliche Verwissenschaftlichung zu Tierschutzexperten, ohne transparent zu machen, welche moralischen Vorannahmen damit für das Tierschutzverständnis leitend wurden. Von Gall zeigt, welche folgenschweren Festlegungen damit einhergingen, die Bewertung der Lebensbedingungen der von der Agrarindustrie genutzten Tiere in die Hände der Nutztierethologie zu legen: Wettbewerbsfähige (128) Haltungsformen wurden von vornherein zu Rahmenbedingungen für die Definition und Feststellung tierlicher Bedürfnisse (122, 123); innerhalb dieses Rahmens wurde arttypisches bzw. Normalverhalten zum Maßstab für tierliches Wohlbefinden (160), und die „Belange der Tiere“ wurden auf das „exakt“ Feststellbare beschränkt (124). Mit der Überlebens- und Fortpflanzungsrate wurden ökonomisch relevante Faktoren zu den wichtigsten Indikatoren für tierliches Wohlbefinden, worunter man einen „ungestörten […] Ablauf der Lebensvorgänge“ verstand (190, 191). Unter dem Diktum der Versachlichung wurden zugleich zwei Dimensionen genuin subjektiven Erlebens als irrelevant oder unzugänglich aus dem Tierschutz ferngehalten: nämlich die tierliche Subjektivität auf der einen (143), die menschliche Emotionalität auf der anderen Seite (131). Demgegenüber weist von Gall mit Wilds Ansatz der Teleosemantik (177ff.) sowie Überlegungen zur Wahrnehmbarkeit (fremder) mentaler Zustände (als „verkörperter“ Zustände) von Jamieson und Krueger/Overgaard (194ff.) aktuelle Versuche aus, menschliche und tierliche Subjektivität der Diskussion verfügbar zu machen. Im Zuge dessen macht er auch deutlich, dass das Verständnis von Wohlbefinden als Abwesenheit von Leid den Maßstab für die Lebensqualität von Tieren einseitig verkürzte, indem es Freude als genuin positive Emotion übersah (202, 203). Das so verknappte Wohlbefinden muss damit als Ausgangspunkt für den vermeintlichen Kompromiss zwischen tierlichen und ökonomischen Interessen von vornherein umso problematischer erscheinen (210). | 74 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | Schließlich zeigt von Gall in einer kritischen Auseinandersetzung mit den (möglichen) Argumenten für die offizielle Ausblendung menschlicher Emotionen, dass mit dieser Ausblendung eine Verarmung und Verfälschung des Diskurses einhergehen muss, weil der kognitive Gehalt der Emotion, der eine mögliche ethische Position markiert, als Bestandteil des öffentlichen Meinungsbildes und individueller, innerer Konflikte verloren geht (230ff.). Wenn so etwas wie Mitleid unter dem Vorwand der Sachlichkeit keine zulässige Haltung in der öffentlichen Auseinandersetzung zum Umgang mit Tieren ist, können widersprüchliche Einstellungen zu Tieren (z.B. Nutzungsinteresse plus Mitleid) nicht als solche nennbar und einer Kritik zugänglich gemacht werden (237, 250, 252f.). Eine Ethik jenseits der moralischen Vorannahmen der Nutztierethologie hat aufgrund dieser vielfältigen Einschränkungen und Verkürzungen in der gesetzlich festgeschriebenen Tierschutzpolitik also eigentlich gar keinen Platz (255). Indem er in einer interessanten historischen Rekonstruktion die „Abkehr von Begriffen der öffentlichen Moral“ (69) nachzeichnet und die Strategie der vermeintlichen Versachlichung einer kritischen Analyse unterzieht, stellt von Gall das Prädikat „ethisch“ für die deutsche Tierschutzgesetzgebung als Euphemismus bloß (274). Seine Kritik an der Verwissenschaftlichung des Tierschutzes ließe sich sogar noch einen Schritt weiterführen: Die Umdeklarierung von Fragen des Tierschutzes zu Fragen der Ethologie bedeutet nicht nur eine „soziale Deprivation“, insofern sie die Teilhabe am öffentlichen Diskurs über Tierschutz- und Tierrechtsfragen erschwert (253), sondern qua Umsortierung von Fragen der Moral zu Fragen des (naturwissenschaftlichen) Sachverstands (vgl. 117) stellt sie auch einen Kategorienfehler dar, der zu einem fortwährenden Verstoß gegen die Trennung von Seins- und Sollens-Aussagen auffordert. Von Galls eindrucksvolle Aufarbeitung der Entstehung des Tierschutzgesetzes hilft zu verstehen, wie es zu dieser Fehlnormierung und der dadurch geprägten diskursiven Schieflage kommen konnte. Frauke Albersmeier BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 75 | | Buchbesprechungen Forschungsschwerpunkt „Tier – Mensch – Gesellschaft“ (Hrsg.): Den Fährten folgen – Methoden interdisziplinärer Tierforschung 320 S., Bielefeld: transcript, 2016, 26,99 EUR Der vorliegende Band der „Human-Animal Studies“-Reihe des Bielefelder transcript Verlags umfasst Beträge von Forscher_innen des LOEWESchwerpunkts „Tier – Mensch – Gesellschaft: Ansätze einer interdisziplinären Tierforschung“, die in erster Linie methodische Fragen der Human-Animal Studies (HAS) erörtern. Dankenswerterweise lassen die Herausgeber_innen aber auch Raum für die kritische Darstellung aktueller Ereignisse, etwa der Tötung der Giraffe Marius aus dem Kopenhagener Zoo am 9. Februar 2014. Unter anderem deswegen hebt sich der Band positiv von anderen, bisweilen eklektisch anmutenden Sammlungen aus den deutschsprachigen HAS ab. Dem Anspruch nach sollen die Beiträge der „[…] kritischen Re-Evaluation und Konsolidierung der HAS in methodologischer Hinsicht […]“ (23) dienen und die Anbindung der interdisziplinären Mensch-Tier-Studien an die spezifischen Methodendiskurse ihrer Heimatdisziplinen fördern. Die Gesamtschau der versammelten Beiträge zeigt, dass dieser Anspruch tatsächlich erfüllt wird. In der einen oder anderen Form werden von den Autor_innen Methodenprobleme der HAS angesprochen, die sich drei Problemfeldern zuordnen lassen: 1) Herausforderungen der Vielfalt des disziplinären Zugriffs und der theoretischen Voraussetzungen, 2) Widerstände durch etablierte Paradigmen und Skepsis bezüglich der Verlässlichkeit der Erkenntnis sowie 3) Fragen der sozialen Ontologie der Mensch-Tier-Beziehung. Den Fähren folgen – Methoden interdisziplinärer Tierforschung teilt die Auseinandersetzungen mit diesen Fragen in vier, je mit einem einleitenden Kommentar versehene Sektionen. Unter der Überschrift „Kulturspuren von Insekten“ sind kulturwissenschaftliche, bildwissenschaftliche und wissenschaftsphilosophische Artikel von Yvonne Sophie Thöne („Strafgericht und Leibgericht – Heuschrecke im Alten Testament“), Silke Förschler („Raumgefüge Menagerie – Annäherung an Raumurs Insekten und an die Pelikane Ludwigs XIV“) sowie Kristian Köchy und Matthias Wunsch („Zu methodischen Aspekten der Philosophie der Tierforschung anhand von Jean-Henri Fabre und Henri Bergson“) versammelt. Thöne belegt anhand von alttestamentarischen Quellen, dass Insekten einerseits als sprichwörtliche biblische Plage (38| 76 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | 41), göttliche Strafe und militärische Analogie (42-44) textuell erfasst wurden, andererseits Insekten aber auch positiv aufgenommen wurden – nämlich als Nahrungsmittel (46-49). Die kunsthistorische Arbeit von Förscher wendet sich mit bildwissenschaftlichen Mitteln den Menagerien und deren Bilddarstellung in der frühen Neuzeit zu (57). Sie arbeitet insbesondere heraus, dass die „[…] Tiere der Menagerie […] zu ausgestellten Objekten eines Kunst- und Naturalienkabinetts“ (66) gemacht werden, deren Anordnung den spezifischen Lebensbedürfnissen der Insekten sowie dem Begegnungsbedürfnis der menschlichen Besucher geschuldet war. Köchy und Wunsch untersuchen in ihrem wissenschaftsphilosophischen Beitrag Arbeiten des Entomologen Jean-Henri Fabre sowie deren Rezeption durch Henri Bergson (74). Anhand des Fallbeispiels der Grabwespen der Gattung Tachytes wird gezeigt, dass durch die philosophische Reflexion der entomologischen Forschung ein komplexes integratives Modell von Methodologien entsteht, in dem nicht nur die Methoden des Entomologen respektive Philosophen als Meta-Wissenschaftler inkorporiert werden, sondern auch die Insekten als tierliche Akteure auftreten, die mit Methode handeln, wenn sie graben, jagen und ihre Opfer lähmen (84-85). In der Sektion „Spurengeschichten: Menschen unter Tieren, Tiere unter Menschen“ geht es vornehmlich um die vielfältige Interaktion zwischen Menschen und Tieren in verschiedenen Kontexten, etwa in freier Wildbahn, Landwirtschaftsbetrieben und Zoos. Wiebke Reinerts historiographische Untersuchung („Beziehungsweise Zoo – Methodische und theoretische Überlegungen zur Neueren und Neuesten Zoogeschichtsschreibung“) widmet sich den Beziehungen zwischen Zooangestellten und exotischen Wildtieren (93). Diese mikrosoziologische Perspektive (97) erlaubt es Reinert, Zoos als komplexe soziale Organisationen zu konzeptualisieren, in denen Begegnungsräume konstruiert und tradiert werden – letzteres geschah etwa durch die Professionalisierung der Ausbildung von Tierpfleger_innen sowie deren Identitätsbestimmung durch ihre pflegerischen Aufgaben (97-99). Der Beitrag „Methoden in der Tierzucht am Beispiel der Exterieursbeurteilung und der Zuchtwertschätzung für Milchrinder“ von Laura Santos und Sven König thematisiert argrarwissenschaftliche Methoden, die zur Bewertung von sog. Nutztieren im Kontext von Zuchtprogrammen angewendet werden. Santos und König erklären, dass neben dem äußeren Erscheinungsbild im Zuge der sog. Exterieurbeurteilung auch noch weitere Merkmalskomplexe herangezogen werden, um die Vererbung kommerziell erwünschter Anlagen zu gewährleisten. So würden auch Verhaltensmerkmale herangezogen, die als IndiBUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 77 | | Buchbesprechungen katoren für tierliches Wohlempfinden gelten (124-126). Felix Schürmann untersucht („Rubondo und die Reise dorthin“) die Tier- und Umweltgeschichte auf der Insel Rubondo im Südwesten des Victoriasees in Tansania, wobei er insbesondere an der Umsiedlung und Auswilderung von Tieren in den 1960er- und 1970er-Jahren interessiert ist. Schürmann plädiert in diesem Kontext für die Feldforschung als historiographisches Mittel (148-151). Sein besonders lesenswerter Beitrag beinhaltet neben methodologischen Reflexionen auch Auszüge aus seinem Forschungstagebuch, das intime Einblicke in seine Bewertung des Feldaufenthalts gewährt (142-144). Ute Knierim und Asja Ebinghaus („Methodische Ansätze zur Qualitätssicherung in der angewandten Ethologie mit Beispielen aus einer Untersuchung zur Mensch-Tier-Beziehung bei Milchkühen“) diskutieren Methoden zur Gewährleistung der Reliabilität und Reproduzierbarkeit von Ergebnissen der angewandten Ethologie. Sie empfehlen die transparente Darlegung von Definitionen und Methoden sowie die Verwendung einfacher statistischer Größen, Korrelations- und KappaKoeffizienten in Kombination mit der begleitenden Prüfung der gesammelten Daten auf Verzerrungen (167). Die Sektion „Den KatzenARTigen auf der Spur“ widmet sich mit Beiträgen von Anne-Theresa Kölczer und Susanne Schul („,Von dem pantier‘ – Tier-Mensch-Relationen zwischen ästhetischer Gestaltung und naturkundlicher Erfahrung in Konrad von Mengenbergs Buch der Natur“) sowie Christian Presche und Daniel Wolf („Leoparden in Bild und Wort – Über die Eigenständigkeit und Abhängigkeit visueller Erkenntnis“) der besonderen kulturellen Stellung von Wildkatzen aus literatur- und kunstwissenschaftlicher Perspektive. Letztgenannter kunstwissenschaftlicher Beitrag versucht die Frage zu beantworten, welcher Erkenntnisgehalt den bildlichen Darstellungen von Leoparden zu entnehmen ist und inwiefern schriftliche Quellen herangezogen werden müssen, um den tierlichen Repräsentationen in Form von Bildern Sinn entnehmen zu können (212). Das Besondere am Beitrag von Presche und Wolf ist, dass die Autoren die Darstellung von Tieren als virulentes bildwissenschaftliches Methodenproblem konzipieren und damit einer unkritischen anthropozentrischen Sichtweise auf Tierdarstellungen vorbeugen (242-243). Die abschließende Sektion „Dem Diskurs Folgen: Die Tötung einer Giraffe in öffentlicher Verhandlung“ versammelt eine Reihe von lesenswerten Texten über den Fall der Giraffe Marius, die am 9. Februar 2014 im Kopenhagener Zoo getötet und nach einer Autopsie den örtlichen internierten Karnivoren zum Fraß vorgeworfen wurde. Birgit Benzing | 78 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | („Konflikte über Zootiere – Die Giraffe Marius zwischen moralischer Empörung und Artenschutz“) argumentiert dafür, dass ein wesentlicher Beitrag der HAS darin bestehe, die im Zuge der Kontroverse über die Tötung von Marius aufeinanderprallenden Meinungen hinsichtlich ihrer Argumentation und Binnenlogik verständlich zu machen. Ein darüber hinausgehendes Potenzial zur Auflösung genuin moralischer Kontroversen wird dabei jedoch nicht angenommen, sondern dem öffentlichen Diskurs über die Lebensumstände von Zootieren überantwortet (265). Stephanie Milling („Vorhang auf! Ein Blick auf Marius’ Sektion, verstanden als Aufführung“) ordnet die Geschehnisse im Kopenhagener Zoo in die Tradition der halböffentlichen Experimente und Sektionen im 17. und 18. Jahrhundert ein, in denen Inszenierung und Belehrung der Öffentlichkeit zusammenfielen. Interpretiert als performative Handlung, befragt Milling die Vorgänge auf die Gründe für die öffentliche Empörung, die sich nicht zuletzt in den sozialen Medien und kommunikativen Entgleisungen durch die Anonymität digitaler Kommunikation niederschlug. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Kontroverse durch eine anthropozentrisch geprägte Reaktion des Publikums auf die Inszenierung beeinflusst wurde (273276). Christopher Hilbert („,Anthropomorphismus!‘ als Totschlagargument – Anthropomorphismuskritik und Methodologie der Tierforschung“) schließt hieran mit einer theoretischen Arbeit über Anthropomorphismus-Vorwürfe an, die in impliziter oder expliziter Form immer wieder in der Diskussion um den Vorfall in Kopenhagen aufkamen und sicher generell von besonderer Bedeutung für die Methodendiskussionen in den HAS sind. Hilbert scheint in seiner Diskussion des Anthropomorphismusarguments zu dem Schluss zu gelangen, dass die Skepsis gegenüber dem menschlichen Erkenntnisvermögen in Bezug auf tierliche Individuen eine methodische Voraussetzung in den HAS sein sollte, die Fehlrepräsentationen des Tierlichen entgegenwirkt (290). Der vorliegende vom LOEWE-Forschungsschwerpunkt herausgegebene Sammelband überzeugt auf ganzer Linie; er umfasst ein breites fachliches Spektrum – von den Geistes- über die Sozial- bis zu den Naturwissenschaften – und kann als paradigmatisches Beispiel für einen gelungenen interdisziplinären Dialog in den Human-Animal Studies gelten. Wissenschaftsphilosophisch betrachtet, beeindruckt vor allem der beständige Fokus auf die Entwicklung und kritische Prüfung von Methoden für die Forschung im Kontext des multidisziplinären Feldes der HAS. Dass hierbei auch empirische Forschungsmethoden und statistische Analysemethoden in den Blick genommen werden, ist m.E. ein Novum gegenBUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 79 | | Buchbesprechungen über vormals publizierten Sammelbänden mit einem eher theoretisierenden Methodenverständnis. Alexander Christian Norbert Alzmann: Zur Beurteilung der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen 500 S., Tübingen: Narr Francke Attempto, 2016, 74,00 EUR Die Genehmigung oder Nichtgenehmigung eines beantragten Tierversuchs hängt häufig eher von Zufälligkeiten von Standort und Zeitpunkt – und obendrein noch von der in den deutschen Bundesländern unterschiedlichen Organisation der Verfahren – ab als von sachlichen Aspekten. Ein Grund dafür ist die Offenheit und Interpretierbarkeit der relevanten gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere des Maßstabs der „ethischen Vertretbarkeit“ der durch den Versuch bewirkten Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere angesichts des Versuchszwecks. Ein anderer ist die unterschiedliche Forschungs- oder Tierschutzfreundlichkeit der jeweiligen Kommissionen und Genehmigungsbehörden. Um mehr Einheitlichkeit und Transparenz herzustellen, ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel erforderlich. An die Stelle der bisher weitgehend intuitiv gefällten Urteile müssen verbindliche Übereinkünfte treten: einerseits ein Katalog von Kriterien zur Operationalisierung der „ethischen Vertretbarkeit“, andererseits Regeln zu ihrer konkreten Anwendung. Es ist das Verdienst von Norbert Alzmann, mit dem hier vorliegenden Buch – seiner auf den neuesten Stand gebrachten Tübinger Dissertation von 2010 – das schwer zu überblickende Angebot zu beiden Desideraten überschau- und vergleichbar gemacht und auf ihre Konsistenz, ethische Akzeptabilität und praktische Anwendbarkeit überprüft zu haben. Das Kernstück dieser umfassenden Synopse ist ein systematischer Vergleich der wichtigsten bisher vorgeschlagenen Kriterienkataloge für Tierversuche im internationalen Maßstab. Ein Ergebnis dieses Vergleichs ist, dass bei aller Vielfalt eine Reihe von Kriterien in so gut wie allen Katalogen vertreten sind, und zwar unabhängig davon, auf welche der verschiedenen tierethischen Ansätze sich die Autoren jeweils beziehen. Zu diesen gehören Nutzen, Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung, Ausmaß der zu erwartenden Schmerzen, Leiden und Schäden, Dauer der Belastung, Zahl der verwendeten Tiere, Komplexität der Versuchstiere und Qualität der | 80 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | Haltungsbedingungen. Die meisten Kriterienkataloge sehen darüber hinaus zwei weitere Kriterien vor: die Qualifikation der am Versuch und der Pflege der Tiere beteiligten Personen und die Qualität der Nachsorge, Überwachung und Betreuung der Tiere. Strittiger ist, wie diese Kriterien praktisch umgesetzt werden sollen. Hier stehen sich idealtypisch zwei Positionen gegenüber, die sich vor allem darin unterscheiden, wie weitgehend sie das abschließende Urteil von intuitiven Beurteilungen der Versuchsvorhaben abhängig machen. Die Befürworter von so genannten Checklisten wollen dieses Urteil zwar an vorgegebenen Kriterien orientieren, aber Raum lassen für die jeweils intuitiv angemessen erscheinende Interpretation dieser Kriterien. In der einfachsten Form besteht es in der Prüfung anhand einer Liste für den erwarteten Nutzen und einer anderen für die erwartete Belastung der Versuchstiere. Die erste berücksichtigt den erwarteten Nutzen und die Wahrscheinlichkeit einer Nutzbarmachung der Forschungsergebnisse für die Anwendung, gestaffelt nach dem Zeitraum, mit dem mit einer Anwendungsmöglichkeit gerechnet wird, die zweite Intensität und Dauer der Belastung. Die Gesamtbewertung erfolgt dann aufgrund einer kontextspezifischen Gewichtung. Die Befürworter von sogenannten Punkt-Scores möchten diesen intuitiven Rest durch vorgegebene Punktbewertungen ersetzen, die nach erfolgter Einzelbewertung nach einem feststehenden Algorithmus ermittelt werden. Die faktische Uneinheitlichkeit der intuitiven Bewertungen lasse sich nur durch ein stärker normiertes Verfahren überwinden. Auch wenn eine Gesamtbeurteilung, die die verschiedenen Grade der Kriterienerfüllung in ein einziges Urteil integriert, inhaltlich adäquat und treffsicher scheint, sei doch ihr Zustandekommen in der Regel nur eingeschränkt nachvollziehbar. Als dritten Weg zwischen Checkliste und Punkt-Score stellt Alzmann Vor- und Nachteile des „interaktiven“ Systems von Stafleu von 1999 heraus, das zwar Punktwerte verwendet, dem Antragsteller bzw. der Genehmigungsbehörde jedoch die Gewichtung der einzelnen Dimensionen freistellt. Insgesamt spricht für ein Punktsystem u.a., dass der Antragsteller sich mit den einzelnen ethischen Aspekten eines Versuchs möglicherweise genauer auseinandersetzt als bei einem Checkliste-Verfahren. Auch kann man erwarten, dass Forscher, die an Datenlisten und Kalküle gewöhnt sind, einem algorithmischen Verfahren mehr abgewinnen können als stärker intuitiven Beurteilungen. Viel hängt allerdings von der Validität des Systems als Ganzem ab, da dies im Zuge der Anwendung nicht mehr korrigiert werden kann. Die Kritiker der Punkt-Scores geben demBUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 81 | | Buchbesprechungen gegenüber zu bedenken, dass die ethische Beurteilung durch ein Punktesystem zu einem rein mechanischem Vorgang werden könnte, der die Verantwortung des einzelnen Forschers verschleiert. Wie immer man sich zwischen diesen Modellen entscheidet, unter praktischen Aspekten ist nach Alzmann Transparenz der Bewertungen vordringlich. Nur so könne Vertrauen geschaffen werden. Erforderlich seien aber auch Verfahrensverbesserungen. Dazu gehört die Ergänzung der prospektiven Einschätzung der Belastung der Tiere durch eine retrospektive Einschätzung, wie sie etwa in den Schweizer Richtlinien vorgesehen ist. Die Einschätzung ex ante kann sich während des Versuchs als unangemessen erweisen und dann möglicherweise eine Nachnarkotisierung oder zusätzliche schmerzlindernde Maßnahmen notwendig machen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass bei der prospektiven Einschätzung der Schweregrad des Öfteren zu niedrig eingestuft wird. Durch die retrospektive Einschätzung könne einerseits der Experimentator selbst lernen. Andererseits hätten dadurch aber auch die genehmigende Kommission und die Behörde eine gewisse Qualitätskontrolle. Weitere Forderungen des Autors sind, dass sich beide Einschätzungen auf die vorliegenden und gut ausgearbeiteten Belastungskataloge stützen und die Zuordnung zu den einzelnen Schweregraden nicht ohne fachkundige Beratung erfolgt, da viele Experimentatoren eine naturwissenschaftliche oder humanmedizinische, aber keine veterinärmedizinische Fachausbildung mitbringen. Wichtig ist Alzmann schließlich die häufig vernachlässigte Verpflichtung zur Nachsorge. Das Minimum, das man den Tieren zum Ausgleich für die ihnen zugefügten Schmerzen, Leiden und Schäden schuldig sei, sei, sich nach dem Experiment um ihr Befinden zu kümmern. Bei aller Akribie in Analyse und Auseinandersetzung ist dieses materialreiche Werk auch für den naturwissenschaftlich-medizinischen Laien gut lesbar. Es kann jedem empfohlen werden, der sich auf einem der brisantesten Anwendungsfelder der Tierethik auf den neuesten Stand bringen lassen möchte. Dieter Birnbacher | 82 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | Christoph Ammann, Birgit Christensen, Lorenz Engi & Margot Michel (Hrsg.): Würde der Kreatur. Ethische und rechtliche Beiträge zu einem unbestimmten Konzept 364 S., Zürich: Schulthess, 2015, 89,00 CHF Die AutorInnen der Beiträge des Sammelbandes setzen sich aus ideengeschichtlicher, rechtswissenschaftlicher und ethischer Perspektive mit dem schillernden Begriff der „Würde“ des Tieres auseinander. Sie teilen dabei das Bestreben, das Würdekonzept für eine Verbesserung des Tierschutzes bzw. für eine Aufwertung der Rechtsstellung von Tieren fruchtbar zu machen, entspricht doch die „[…] Zuschreibung von Würde […] dem berechtigten Wunsch, Tieren einen höheren moralischen Status einzuräumen“ (65). Obwohl durchwegs konzediert wird, dass der Würdebegriff in seiner Unbestimmtheit schwer zu fassen und somit kaum operationalisierbar sei, vermeinen einige AutorInnen in der Anerkennung der Tierwürde in der Schweizer Tierschutzgesetzgebung eine „konzeptionelle Neuausrichtung“ (65), ja sogar den „Beginn einer neuen Ära im Schweizer Tierschutzrecht“ (88) zu erkennen. Dabei müssen sie schließlich selbst eingestehen, dass sich in den zwei Jahrzehnten seit der erstmaligen Verankerung der Würde der Kreatur in der Schweizer Bundeverfassung kaum etwas zugunsten des Tierschutzes verändert hat und zahlreiche Normen des Tierschutzrechts den Erwartungen, die mit dem gewichtigen Begriff der „Tierwürde“ verbunden werden, diametral entgegenstehen. So schwingt auch in der ausgesprochenen Sympathie, welche dem Konzept der Tierwürde durchwegs entgegengebracht wird, in den meisten Beiträgen eine mehr oder weniger deutlich ausgeprägte Skepsis mit, die sich insbesondere auf das Verhältnis zwischen tierlicher und menschlicher Würde, auf die Schwierigkeiten der Konkretisierung des spezifischen Gehalts der Tierwürde und auf die daraus resultierende Problematik im Zusammenhang mit Legalitätsprinzip und Justiziabilität des Würdekonzepts bezieht. Unabhängig von der Erwartungshaltung, mit der dem Konzept der Tierwürde begegnet wird, besteht die Kardinalfrage jedoch darin, ob aus der positivrechtlichen Anerkennung der Tierwürde überhaupt ein substanzieller Mehrwert für den rechtlichen Schutz von Tieren erwartet werden kann. Nur dann nämlich, wenn die Verankerung der Würde des Tieres in der Rechtsordnung eine Voraussetzung für die (deutliche) Stärkung des Rechtsschutzes für Tiere bzw. eine Bedingung für die kategoriale BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 83 | | Buchbesprechungen Aufwertung ihrer Rechtsstellung wäre, könnte der zur Begründung der Tierwürde betriebene Argumentationsaufwand als lohnendes Unterfangen betrachtet werden. Zwanzig Jahre nach der Verankerung der Tierwürde in der Schweizer Gesetzgebung sollte – trotz aller Beharrungstendenz des Rechts – eine aus dem Schutz der tierlichen Würde resultierende Überlegenheit des Schweizer Tierschutzrechts gegenüber anderen Tierschutzgesetzgebungen zumindest ansatzweise erkennbar sein. Die von den AutorInnen angeführten Beispiele für den vermeintlichen Zugewinn, den die (verfassungs-)gesetzliche Verankerung der tierlichen Würde für den Tierschutz bedeutet, zeigen allerdings durchwegs, dass das Würdekonzept als Rechtsbegriff nichts zu leisten vermag, das über eine Tierschutzgesetzgebung hinausgeht, die zwar „Würde-los“ ist, aber die Mitgeschöpflichkeit von Tieren anerkennt und im patho- sowie biozentrischen Begründungszusammenhang steht. Da das Schweizer Tierschutzrecht keinen Lebensschutz für Tiere kennt, liegt es – im Widerspruch zu den durch die Zuschreibung von Würde geweckten Erwartungen – sogar unter dem Standard der österreichischen und deutschen Tierschutzgesetzgebung. Weshalb aber wird die Anerkennung der Tierwürde durch den Gesetzgeber dann immer wieder als erstrebenswerte Verbesserung des Schutzes von Tieren betrachtet oder gar zum Hoffnungsträger stilisiert? Letztlich dürfte es die starke appellative Wirkung des Würdebegriffs sein, der über seine immanente Schwäche hinwegtäuscht und ihn für viele Personen, die sich für eine Verbesserung des Tierschutzes einsetzen, so vielversprechend erscheinen lässt. Im tierschutzethischen Diskurs mag die Tierwürde durchaus ein sinnvolles moralisches Konzept darstellen. Aus rechtlicher Perspektive sollte dem im vorliegenden Sammelband vielfach beschworenen „großen Wert der Würde“ (356) für den Schutz von Tieren hingegen mit äußerster Skepsis begegnet werden. Eine ausführliche Besprechung des Bandes findet sich in Nr. 3/2016 der vom Nomos-Verlag herausgegebenen Zeitschrift Rechtswissenschaft. Regina Binder | 84 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | Helmut F. Kaplan: Tierrechte. Wider den Speziesismus 285 S., Norderstedt: BoD-Verlag, 2016, 12,90 EUR Helmut F. Kaplan ist durch seine vielen Fachbücher, vor allem zu den Themen Tierethik und Tierrechte, ja längst kein Unbekannter mehr. So hat er sich z.B. als Autor des sehr bekannten deutschsprachigen Tierrechtsbuches Leichenschmaus: Ethische Gründe für eine vegetarische Ernährung (Rowohlt, 1993), das seinerzeit wesentlich dazu beigetragen hat, die englischsprachige Tierrechtsphilosophie in den deutschen Sprachraum einzuführen, bereits früh international einen Namen gemacht. Nun geht es ihm bei dieser umfangreich erweiterten und aktualisierten Neuauflage des 2000 erschienenen Buches Tierrechte: Die Philosophie einer Befreiungsbewegung um die fachlich fundierte und allgemeinverständliche Darstellung des gegenwärtigen Standes der Tierrechtsphilosophie. Zuerst werden die biologischen und psychologischen Ähnlichkeiten zwischen Tieren und Menschen eindrücklich dargestellt, danach die Möglichkeiten des Zugangs zu tierlichem Bewusstsein, etwa durch Ethologie, Kognitive Ethologie und die sogenannte „Theorie des Geistes“. Im Zuge der Darstellung dieser Ähnlichkeiten zwischen (vielen Wirbel-)Tieren und Menschen und der Möglichkeiten, sie zu erkennen, werden auch wichtige erkenntnistheoretische und sprachphilosophische Probleme thematisiert. Nach der Feststellung, dass (viele Wirbel-)Tiere uns in wesentlicher und vielfältiger Hinsicht faktisch ähnlich sind, wird die auf Aristoteles zurückgehende moralische Gleichheitsforderung erhoben: Gleiches bzw. Ähnliches muss auch gleich bzw. ähnlich behandelt werden. Nach dieser faktischen und normativen Grundlegung von Tierrechten werden die Tierrechtskonzepte von Peter Singer, Tom Regan, Gary L. Francione und Sue Donaldson/Will Kymlicka übersichtlich und verständlich dargestellt. Im Zuge dieser Darstellung der vorhandenen Tierrechtskonzepte wird Ausschau gehalten nach „Leitplanken“ für einen zu entwickelnden optimierten, konsensfähigen basalen Tierrechtsbegriff. Im Schlusskapitel wird Speziesismus begrifflich bestimmt, anhand von Beispielen veranschaulicht und historisch eingeordnet. Außerdem werden die argumentative Sprengkraft der sogenannten „Marginal Cases“ sowie speziesistische Wahrnehmungs- und Denkstörungen erläutert. Tierrechte werden als der mögliche Katalysator für die Überwindung des BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 85 | | Buchbesprechungen Speziesismus begriffen. Zusammenfassend bemerkt, gehört dieses Buch mit zu den besten und lesenswertesten, die derzeit im deutschen Sprachraum zum Thema Tierethik/Tierrechte verfügbar sind. Rudolf Winkelmayer Kurt Remele: Die Würde des Tieres ist unantastbar. Eine neue christliche Tierethik 231 S., Kevelaer: Butzon & Bercker, 2016, 19,95 EUR Der Autor geht der Frage nach, wie christliche Kirchen zur Ausrottung von Arten, Tierversuchen oder Tierfabriken stehen. Wie auf dem Klappentext des Buches angekündigt, will er unterschiedliche tierethische Positionen auf den Prüfstand stellen und diskutieren, ob die christliche Ethik nach wie vor durch einen arroganten Anthropozentrismus gekennzeichnet ist, da in Sonntagspredigten gern zur Schöpfungsverantwortung aufgerufen wird, auf den Sonntagsbraten aber keiner verzichten will. Mit Blick auf den Artenschwund führt der Autor aus, dass es in der Geschichte der Erde bisher fünf große Massensterben gegeben hat, die auf geologische Veränderungen und Naturkatastrophen zurückgehen. Das gegenwärtige sechste Massensterben dagegen, das seit dem 17. Jahrhundert im Gange ist, ist durch menschliches Handeln verursacht und geht weit über natürliche Aussterberaten hinaus (21). Remele empfiehlt dem Leser den Katechismus der Katholischen Kirche als eine umfassende, verbindliche, vom höchsten kirchlichen Lehramt approbierte Darstellung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre (125). Darin wird erklärt, dass die Menschen den Tieren Wohlwollen schulden, und an die Heiligen erinnert, die die Tiere mit Feingefühl behandelten. Nach Aussage des Autors sind jedoch die nachfolgenden Erläuterungen ein Musterbeispiel für jene explizit anthropozentrische Tradition, die das Christentum historisch auf weite Strecken geprägt hat und die im Widerstreit mit dem Gesagten steht. So heißt es weiter: „Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt […] Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Man darf sie zähmen, um sie für den Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dienstbar zu machen. Medizinische und wissenschaftliche Tierversuche sind in vernünftigen Grenzen sittlich zulässig, weil sie dazu beitragen, menschliches Leben zu heilen und zu retten.“ (137) Nach Mei| 86 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | nung des Autors ist dieser Text eine Ernüchterung für die Christen, denen das Wohl der Tiere ein Anliegen war und ist, da sich dieser Teil des Katechismus eindeutig auf die Seite der Tierrechtsgegner stellt (137ff.). Interessant sind die Ausführungen des Autors zu Christen, die in der Geschichte eine bedeutende Rolle spielten, beispielweise im 19. Jahrhundert in der Bewegung des gegen Tierversuche auftretenden Antivivisektionismus und des Tiere als Nahrung verweigernden Vegetarismus. So gab der vor allem in Württemberg beheimatete Pietismus entscheidende Anstöße zur Entstehung einer organisierten Tierschutzbewegung. Der lutherisch-pietistische Pfarrer Christian Adam Dann verfasste 1822 eine Schrift mit dem Titel Bitte der armen Thiere, der unvernünftigen Geschöpfe, an ihre vernünftigen Mitgeschöpfe und Herrn, die Menschen (132ff.). Der Autor führt aus, dass darin das Quälen von Heimtieren, Wildtieren und Nutztieren angeprangert wird, ebenso wie die Existenz von „Marterkammern, in welcher man mehrere Tiere zusammen gesperrt hat, um an ihnen allerlei Versuche zu machen“. Eine ähnliche Bewegung von Christen gab es in dieser Zeit in Großbritannien. Mit Blick auf die heutige Zeit berichtet der Autor von seinem Besuch auf dem Dortmunder Kirchentag vor wenigen Jahren, auf dem unter anderem ein Bischof sprach und die Tiervergessenheit der christlichen Kirchen eingestand. Auch ein Einblick in das Tier-Mensch-Verhältnis in anderen Religionen wird in dem Buch gegeben. So gelten Religionen als besonders tierfreundlich, die ihren Ursprung in Indien haben, also der Hinduismus, Jainismus und Buddhismus, da sie den Tieren einen relativ hohen Stellenwert einräumen. Allerdings entspricht nach Aussage des Autors die westliche Romantisierung und Glorifizierung der indischen Religionen nicht der differenzierten Realität; dennoch ist ein Zusammenhang zwischen den in Indien entstandenen Religionen, Mitgefühl mit Tieren und der Verbreitung einer vegetarischen Ernährungsweise nicht von der Hand zu weisen (174ff.). In fünf übersichtlich gegliederten Kapiteln mit Unterabschnitten liefert das Buch eine Fülle lebendig und empathisch beschriebener und allesamt mit Quellenangaben belegter Informationen rund um die Debatte der Tierethik. Dabei eignet es sich nicht nur für Personen, die ohnehin schon belesen in dem Thema sind, sondern auch für all diejenigen, die neu einsteigen oder aber ihr Wissen erweitern wollen. Silke Strittmatter BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 87 | | Buchbesprechungen Meret Fehlmann, Margot Michel & Rebecca Niederhauser (Hrsg.): Tierisch! Das Tier und die Wissenschaft. Ein Streifzug durch die Disziplinen 192 S., Zürich: vdf Hochschulverlag, 2016, 46,00 EUR Das noch relativ junge Feld der Human-Animal Studies zeichnet sich unter anderem durch seine Interdisziplinarität aus. Dadurch soll mitunter das Manko der einzelwissenschaftlichen Betrachtung der vielfältigen Beziehungen zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren überwunden werden. Die Beziehungen sind zu komplex und vielschichtig, um sie bloß anhand der Philosophie, der Soziologie oder der Literaturwissenschaften zu verstehen. Stattdessen müssen die verschiedenen Ansätze kombiniert werden. Eine bloße Sammlung einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse ist jedoch nicht im Sinn der Interdisziplinarität. Vielmehr sollen sich die Wissenschaften gegenseitig informieren und durch unterschiedliche Schwerpunkte weiterentwickeln. Die verschiedenen Betrachtungswinkel sollen miteinander interagieren und so einen neuen und präziseren Blick auf Mensch-Tier-Beziehungen ermöglichen. Auch der Sammelband Tierisch! ist in diesem Geiste konzipiert. Die Auswahl der Texte basiert dabei auf einer interdisziplinären Ringvorlesung der Universität Zürich unter dem gleichen Titel. Im Band wird nun die Rolle von Tieren in den Wissenschaften aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven beleuchtet. Dabei setzen sich die Herausgeber*innen keine umfassende und detaillierte Darstellung zum Ziel. Es soll vielmehr ein Einblick in die Rolle von Tieren innerhalb verschiedener Wissenschaften gewährt werden – sozusagen ein „Schnupperparcours durch verschiedene Wissenschaften und Möglichkeiten, sich dem Thema ,Tier‘ zu nähern“ (9). Allgemein enthält der Band eine interessante Diversität von Ansätzen und Fragestellungen in Bezug auf nicht-menschliche Tiere. Dabei stechen vor allem diejenigen Texte hervor, welche sich nicht primär mit ethischen und begrifflichen Fragen befassen. So zum Beispiel solche, die sich therapeutischen Themenfeldern wie der tiergestützten Intervention, historischen Analysen des Vegetarismus, rechtlichen Erklärungen zum Würdebegriff oder theologischen und literaturwissenschaftlichen Betrachtungen widmen. In diesem Sinn wird der Band dem Anspruch der Breite und Zugänglichkeit durchaus gerecht. Fast alle Texte sind ansprechend geschrie| 88 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | ben und eignen sich für einen ersten Einblick in das jeweilige Feld der Human-Animal Studies. Gleichzeitig gelingt es nicht wirklich, dem interdisziplinären Anspruch gerecht zu werden. Die meisten Texte befassen sich hauptsächlich mit einem spezifischen einzelwissenschaftlichen Blick auf nicht-menschliche Tiere und deren Beziehungen zu Menschen. Es fehlt dabei eine nachvollziehbare Verknüpfung der unterschiedlichen wissenschaftlichen Methoden und Ansätze, die eine wechselseitige Beeinflussung der Fachrichtungen zur Geltung bringt. In diesem Sinn handelt es sich bei dem Sammelband buchstäblich eher um eine Sammlung von Texten aus verschiedenen Disziplinen als um eine Auswahl interdisziplinärer Ansätze. Dennoch enthält der Band lohnenswerte Texte, bei denen immer auch wenig diskutierte Aspekte zur Sprache kommen. Ein erster solcher Themenbereich ist das Verhältnis zwischen empirischer und ethischer Kritik an Tierversuchen. Im Text von Hanno Würbel steht die wissenschaftstheoretische Analyse der Validität und Verwertbarkeit von Tierversuchen im Vordergrund. Er stellt fest, dass eine überwältigende Vielzahl von Tierversuchen den wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genüge. Dennoch glaubt Würbel, dass das Instrument der Güterabwägung einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation liefern könne. Dagegen argumentiert Petra Mayr, dass die Güterabwägung von vorneherein mangelhaft sei. Denn dabei werde jeweils ein potenzieller Nutzen gegen eine faktische Schädigung von nicht-menschlichen Tieren ausgespielt. Sie kritisiert damit die verbreitete Annahme, dass Tierversuche gerade durch ihren wissenschaftlichen Erfolg legitimiert werden können. In der Debatte wird dabei jedoch das strukturelle Problem vergessen, dass trotz Güterabwägung nicht-menschliche Tiere in allen Fällen auf der Verlierer*innenseite stehen. Schließlich werden kaum Tierversuche aufgrund der Güterabwägung abgelehnt; es finden allenfalls Verbesserungsvorschläge statt. Insofern stellt sich die Frage, ob es nebst wissenschaftstheoretischer und ethisch-begrifflicher Kritik nicht auch einer sozialstrukturkritischen Analyse bedürfte. Ein zweiter Aspekt ist die Bedeutung von Tierschutzgesetzen für die Tierrechts- und Tierschutzbewegung. In einem Text zweier Mitarbeiter_innen der Stiftung Tier im Recht wird der Inhalt und relative Nutzen des Schweizerischen Tierschutzrechts diskutiert. Sie argumentieren einerseits, dass das Recht ein unerlässlicher Bestandteil für den Tierschutz darstelle, da nur dadurch Verstöße überhaupt durch den Staat und die Gesellschaft sanktioniert werden können. Gleichzeitig kritisieren sie, dass die Gesetzgebung in den meisten Fällen zu wenig umfassend sei und nur BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 89 | | Buchbesprechungen ausgewählte Tiergruppen – zum Beispiel Wirbeltiere – erfasse. Auch werde das höchste tierliche Gut, ihr Leben, in vielen Fällen nicht als intrinsisch schützenswert erachtet. Dabei leuchtet ein, dass das Tierschutzrecht ein notwendiges Mittel für den Schutz der Interessen von nicht-menschlichen Tieren darstellt. Gleichzeitig versäumen es die Autor_innen, darauf zu verweisen, dass die Gesetzgebung lediglich die Grenze zur strafbaren Tierquälerei bestimmt und damit indirekt als Handlungsanweisung zur legalen Ausbeutung gelesen werden kann. Diese Doppelrolle des Tierschutzrechts hat zur Folge, dass viele Verwendungszwecke, die Tierschützer_innen oder Tierrechtler_innen abschaffen wollen, gerade durch das benötigte Gesetz legitimiert werden. In der ethischen Debatte geht es oft um die Frage, welche Wesen einen moralischen Status haben und damit in der ethischen Gleichung auftauchen. Üblicherweise werden in diesem Zusammenhang bestimmte Bedingungen definiert, welche von einem Wesen erfüllt werden müssen, um als moralisch relevantes Wesen zu gelten. Mehrere Beiträge kritisieren diesen Fokus auf bestimmte Fähigkeiten, wie zum Beispiel Leidensfähigkeit oder Selbstbewusstsein. So setzt sich insbesondere Christoph Ammann für eine subjektive Wende in der Ethik ein. Anhand einer theologischen Analyse des Begriffs des „Mitgeschöpfes“ im Kontext der Geschichte des guten Samariters verdeutlicht er, wie wichtig es sei, Moral auch als eine praktische Einstellung gegenüber anderen Wesen zu verstehen. Diese Kritik ist besonders auch für die Philosophie relevant, welche sich primär mit rein begrifflichen Fragen auseinandersetzt und dabei die praktischen Aspekte des moralischen Handelns manchmal aus den Augen verliert. Auch Mieke Roschers Foucaultsche Kritik von menschlichen Kategorisierungen im Allgemeinen trifft hier auf den Nerv. In ihrem Beitrag zeigt sie anschaulich die Absurdität und Willkürlichkeit begrifflicher Ordnungen. Oftmals besteht kein biologischer Unterschied zwischen einem „Nutztier“ und einem „Haustier“. Und trotzdem führt diese willkürliche Grenzziehung zu einer diametral entgegengesetzten moralischen Einstellung. Es ist daher besonders interessant, diese Unterscheidungen aus interdisziplinärer Perspektive zu hinterfragen. Schließlich bietet das Buch auch einige Einblicke in wenig beachtete und schwierige Themenfelder. So stellt sich zum Beispiel im Kontext der tiergestützten Intervention die Frage, inwiefern hier nicht-menschliche Tiere ausgebeutet werden. Carole Otterstedt argumentiert, dass Tiere in der Rolle als Therapiehelfer_innen eine neue Bedeutung erhielten, da sie nicht bloß als Objekt erfasst würden. Vielmehr handele es sich um arbeitende Wesen, die wir als Beziehungspartner_innen wahrnehmen müssten | 90 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | und damit als Subjekte mit eigenen Bedürfnissen. Gleichzeitig umgeht die Autorin die Frage, inwiefern es sich hier nicht dennoch um eine illegitime Instrumentalisierung handeln könnte. Denn auch wenn es den arbeitenden Tieren womöglich besser als ihren Artgenoss_innen geht, wird ihnen doch Autonomie verweigert. Gleichzeitig ließe sich auch kritisieren, dass die bessere Behandlung nicht rein empathisch motiviert sei. Vielmehr sei sie ein Mittel, um die Tiere effektiv für unsere Zwecke zu gebrauchen. Hier zeigt sich, wie schwierig eine klare Bewertung spezifischer Mensch-Tier-Beziehungen ist, sobald wir das Feld der deutlichen Ausbeutungsformen, in denen Tiere zu Nahrungs- oder Kleidungszwecken verwendet werden, verlassen. Dem Sammelband gelingt es damit, schlummernde und schwierige Fragen aufzuwerfen. Denn neben Texten mit dem Schwerpunkt auf Begriffsanalysen zur anthropologischen Differenz, zur Verdinglichung oder zu ethischen Überlegungen zur Fleischfrage reihen sich auch die erwähnten Themenfelder ein – Themenfelder, die bisher oft noch verschlossen oder wenig beachtet waren. Dies erlaubt es der Leser_in, eine neue Perspektive auf die Problematik der Mensch-Tier-Beziehungen zu gewinnen. Auch wenn die Textauswahl unter dem gemeinsamen Stichwort „Tier“ eher zusammengewürfelt daherkommt, gibt sie doch genügend Anstoß zum kritischen Weiterdenken. Nicht zuletzt öffnet sie auch den Blick auf die verschiedenen möglichen fachlichen Ansätze und kann dadurch als Grundlage und Inspiration für weitere interdisziplinäre Forschung dienen. Florian Leonhard Wüstholz Clemens Wustmans: Tierethik als Ethik des Artenschutzes. Chancen und Grenzen 190 S., Stuttgart: Kohlhammer, 2015, 24,99 EUR Gegenwärtig ist es nahezu selbstverständlich, dass in philosophischen, theologischen und allgemein kulturwissenschaftlichen Diskussionen Tiere als Teil unserer Wertegemeinschaft angesehen werden. Allerdings mangelt es der theologischen Tierethik bisher an konkreten Argumentationslinien und Kriterien – so sieht es jedenfalls Clemens Wustmans, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre der Ruhr-Universität Bochum. Er nimmt diese Beobachtung zum Anlass für seine Arbeit Tierethik als Ethik des Artenschutzes, die im Sommer 2014 an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 91 | | Buchbesprechungen Duisburg-Essen als Dissertation angenommen wurde. Wustmans möchte eine bewusst interdisziplinär anschlussfähige theologische Tierethik entwerfen, „die dem Menschen in seiner Beziehung zum Tier als Teil einer zu schützenden Biosphäre den kriterialen Rahmen für ein verantwortliches Handeln in der Welt aufzeigt“ (170). Dazu geht er in fünf Schritten vor. (1) Zunächst erklärt und diskutiert der Verfasser kritisch die üblich rezipierten tierethischen Argumentationstypen: anthropozentrisch (Descartes, Kant, Schopenhauer), biozentrisch (Albert Schweitzer, Paul W. Taylor), pathozentrisch (Peter Singer, Tom Regan, Jean-Claude Wolf, Ursula Wolf). Die Tierethik, so Wustmans, suche – spätestens seit Peter Singers Animal Liberation (1975) – nach Alternativen für die als problematisch eingeschätzten anthropozentrischen Ansätze. Doch keine der vorgestellten Positionen besitze eine logisch unangreifbare Kriteriologie. Gerade Singers Ansatz, der die Frage nach der Personalität ins Zentrum rückt, bleibe versteckt anthroporelational, da die Konzeption von der Vorstellung eines „Normalmenschen“ als Norm für das Personsein gesteuert werde. Wustmans gelangt zu der Überzeugung, dass es bislang keinem Konzept gelungen sei, die Anthropozentrik zu überwinden. Gleichzeitig legt er offen, dass dies auch nicht die Zielsetzung seiner Arbeit darstelle. Vielmehr seien für eine gewinnbringende Tierethik drei Elemente nötig (60): „Orientierung an den in den biblischen Texten geäußerten Annahmen über die Beziehung von Mensch und Tier“ (siehe 2), „eine Ausrichtung an einem Modell kriterialer Verantwortung“ (siehe 3), „Ausarbeiten keiner ,absoluten‘, sondern einer ,relativen‘ – der jeweiligen Situation angemessenen Ethik“ (siehe 3). (2) Beginnend mit dem ersten Element startet Wustmans die Entfaltung einer theologischen Tierethik mit den biblischen Texten. Diese kommunizieren bekanntermaßen rein anthroporelationale Grundannahmen: Mensch und Tier sind Geschöpfe Gottes; der Mensch genießt aber eine Sonderstellung (Gen. 1,26f.; Ps. 8). Nur dem gottebenbildlich geschaffenen Menschen kommt ein Herrschaftsauftrag im Sinne einer Verantwortung vor Gott gegenüber anderen Menschen und der Schöpfung zu (Gen. 1,29). Wustmans schlussfolgert, dass darin sowohl Individualtierschutz als auch Artenschutz eingeschlossen seien. Entgegen einer uneingeschränkten Gewaltherrschaft seien mit der durch den Herrschaftsauftrag auferlegten Verantwortung sogenannte „Minimalanforderungen“ verbunden, wie z.B. Brutalitätsvermeidung gegenüber Tieren und die Einhaltung biblischer Gebote und Richtlinien zum Schutz des Tierindividuums, v.a. in Bezug auf Nutztierhaltung (z.B. Dtn. 5,14; Dtn. 25,4). Der | 92 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | Schwerpunkt der Schöpfungsbewahrung habe sich nach der Sintflut (Gen. 9) dahingehend verschoben, den Fortbestand der nächsten Generationen zu sichern und das Auftreten irreparabler Schäden am Ökosystem zu verhindern (z.B. Dtn. 22,6f.; Lev. 22,28). Daran anknüpfend diskutiert Wustmans weitere Bibelstellen, die ebenfalls darauf hinweisen, dass der Herrschaftsauftrag des Menschen als Erhalt der Schöpfung im Sinne des Artenschutzes, d.h. als dem Individualschutz der Tiere übergeordnet, zu verstehen sei. Problematisch ist Wustmans Vorgehensweise jedoch in diesem Punkt, weil er keine Überlegungen anstellt, weshalb die biblischen Texte als Fundament einer theologischen Tierethik herangezogen werden sollten und ob das überhaupt sinnvoll ist. (3) Im nächsten Schritt entwickelt Wustmans sein Modell einer kriterialen Verantwortungsethik. Dabei verknüpft er den Verantwortungsbegriff von Hans Jonas mit Karl Barths Schöpfungslehre und der Verantwortungsethik D. Bonhoeffers. Hans Jonas’ Entwurf einer „Zukunftsethik“, der ohne einen dezidierten Gottesbegriff auskommt, erweise sich als sehr gut auf das jüdisch-christliche Menschenbild übertragbar. Vor allem sein Motiv der Verantwortung als zukunftsorientierter, dem Menschen unabwendbar inhärenter Aufgabe lasse sich als Verantwortung des Menschen gegenüber der ihm von Gott anvertrauten Schöpfung deuten (80). Zusätzlich nimmt Wustmans Überlegungen Karl Barths zum Gebot auf, das er als „ethische Handlungsmaxime“ des verantwortlichen Handelns zur Schöpfungsbewahrung deutet. Barths Motiv des Gebots und Jonas’ Motiv der Verantwortung werden nun in die situative Verantwortungsethik Dietrich Bonhoeffers eingebettet. Nach ihr ist es die Aufgabe des Menschen, seine Freiheit, die Gott ihm in seiner Versöhnung gibt, in der jeweiligen Lebenssituation wahrzunehmen und sich in dieser Freiheit angemessen (d.h. nach dem Willen Gottes) zu verhalten: „Da so eine Orientierung an absoluten Kriterien entfällt, wird der Spielraum für eine ethische Entscheidung von der Situation selbst vorgegeben; es geht um den konkreten Nächsten in seiner konkreten Wirklichkeit.“ (174) Mit Bonhoeffer zeigt Wustmans auch, dass der Mensch in der Gegenwart einem Dilemma ausgesetzt ist, in dem er nicht mehr (nicht) eingreifen kann, ohne sich schuldig zu machen. Sein Handeln (z.B. Nutztierhaltung) wie auch sein Nicht-Handeln (z.B. Artenausrottung zulassen) hat immer direkte und indirekte Auswirkungen auf seine Lebenswelt. Alles in allem bezeichnet die kriteriale Verantwortungsethik eine nicht an einer absoluten Handlungsmaxime, sondern eine am Kriterium des Schutzes biologischer Vielfalt orientierte, anthroporelational ausgerichteBUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 93 | | Buchbesprechungen te, situative Ethik mit einem gewissen Anspruch an den Menschen (keine Enthaltung möglich). Dabei betont Wustmans, dass innerhalb seines Konzepts eine generelle Ablehnung bestimmter Praktiken nicht möglich sei (z.B. Tierversuche, Nutz- oder Heimtierhaltung, Fleischverzehr, Populationsmanagement). Aber verantwortungsvolles Handeln erfordere geradezu die Verbesserung der Praxis, etwa um unnötiges Leid zu vermeiden (108f.). (4) Schließlich bearbeitet Wustmans konkrete Fälle des Konflikts zwischen Individualschutz und Artenschutz am Beispiel der Bereiche „Tierhaltung in Zoologischen Gärten“, „Populationsmanagement“ und „Ökotourismus“. Dabei wird deutlich, dass die Tierhaltung in Zoologischen Gärten unter der Perspektive des von Wustmans entwickelten Modells als wertvoller Beitrag zum Natur- und Artenschutz betrachtet werden kann. Orientiert an dieser Leitprämisse erfahren auch Konzepte von Erlebniszoos ihre Legitimation. Anschließend diskutiert und begründet Wustmans anhand von drei Beispielen (z.B. der gezielten Tötung von Neozoen/invasiven Arten), dass im Interesse des Artenschutzes mitunter ein „Populationsmanagement“ notwendig sei, das die Einschränkung des individuellen Tierwohls erfordere. Populationsmanagement könne langfristig sowohl in Form des als positiv besetzten Handelns von Naturschützern (z.B. Kampf gegen Wilderer, Wiederansiedelungsprojekte) als auch in Form von Geburtenkontrolle oder sogenannten Culling-Maßnahmen im Sinne des Arterhalts wichtig sein. Im darauffolgenden Abschnitt zum „Ökotourismus“ wird der situationsethische Ansatz von Wustmans durch die Gegenüberstellung der Tierbeobachtung von Berggorillas gegenüber der von Delphinen in freier Wildbahn exemplifiziert. Dabei wird klar, was die in der kriterialen Verantwortungsethik geforderte sorgfältige Abwägung jeder einzelnen Situation konkret meint. Denn der Vergleich ergibt, dass trotz ähnlich wirkenden Ausgangssituationen die Beobachtung von Delphinen in freier Wildbahn – anders als das Gorilla-Trekking in Ruanda – hinsichtlich Kriterien einer Verantwortungsethik abzulehnen ist. (5) Im letzten Teil wagt Wustmans einen Ausblick und weist auf die Hoffnung eines sich wandelnden Menschenbilds zum quasi perfekt ökologisch denkenden und handelnden Menschen (Eckhardt Meinbergs „Homo oecologicus“). Sein Konzept zeige sich nicht nur bezüglich anderer materialethischer Diskurse, sondern auch im intra- und interdisziplinären Dialog (z.B. Biologie, Ökologie) anschlussfähig, u.a. aufgrund eines gemeinsamen Verständnisses von Biodiversität. Darüber hinaus könne | 94 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | der Ansatz in bestimmten Wissenschaftsbereichen die bislang fehlende konkrete ethische Orientierung geben. Die Lektüre von Tierethik als Ethik des Artenschutzes hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits überzeugt, dass es keine unangreifbare Alternative zu einem anthroporelationalen Ansatz gibt. Wustmans Ansatz überzeugt ebenso darin, dass er weder die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Mensch und Tier aufheben (biozentrische Ausrichtung) noch bestimmte Tiere als Personen (pathozentrische Ausrichtung) anerkennen muss, um sich für den Schutz und die Verhinderung vermeidbaren Leidens von Tieren einzusetzen. Anerkennenswert ist auch die Absicht, transparent, verständlich, fundiert und zielführend zu argumentieren. Nicht überzeugen kann dagegen der biblische Ansatz, weil jegliche Reflexion des Verhältnisses von theologischer Ethik und biblischen Texten fehlt. Da die Hochschätzung des Artenschutzes gegenüber dem Individualschutz (die einen Grundpfeiler seines Konzepts darstellt!) v.a. an biblischen Grundlagen festgemacht wird, gerät dadurch das gesamte Konzept ins Wanken. So plausibel und vorteilhaft das situations- und verantwortungsethische Konzept ist, es wirft gleichzeitig die Frage nach seiner konkreten Anwendung auf: Was passiert, wenn zwei Parteien (trotz gemeinsamer Grundlage dieser theologischen Tierethik) zu unterschiedlichen Entscheidungen „verantwortlichen Handelns für den Artenschutz“ gelangen? Welchen Stellenwert besitzen allgemeine Gesetze zur Tierbehandlung in diesem Konzept? Vor dem Hintergrund bestehender Vor- und Nachteile ist Wustmans Konzept als durchaus interessanter, noch nicht ausgereifter Anstoß hinsichtlich einer neuen Selbstpositionierung der Theologie in der Tierethikdebatte einzustufen. Jasmin Häner BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 95 | | Buchbesprechungen Annette Bühler-Dietrich & Michael Weingarten (Hrsg.): Topos Tier. Neue Gestaltungen des Tier-Mensch-Verhältnisses 250 S., Bielefeld: transcript, 2015, 26,99 EUR Mit einem einprägsamen Titel, in großen orangen Blockbuchstaben vor dunklem Hintergrund, bilderreich und mit einer starken Ansage rückt der von der Germanistin Annette Bühler-Dietrich und dem Philosophen Michael Weingarten herausgegebene Sammelband Topos Tier seine Anliegen kämpferisch ins Licht: Der alte anthropozentrisch geprägte Blick auf das Tier habe ausgedient – an seine Stelle rückten inter- und transdisziplinäre Denkformen, die aus der traditionellen Tierkunde eine politische Zoologie machen, die soziale Verhaltens- und Klugheitslehren aus der Ethologie ableiten, ja aus der Mechanik der Tierbewegungen „Poetiken der Phantasie und des Tanzes und aus dem Klang der Tierlaute Formen des Gesangs“ ableiten. Der letzte Satz des Klappentextes macht aus dem Topos, dem Thema bzw. Gemeinplatz Tier, gar einen Tatort Tier: „Im Spannungsfeld von Wissen, Technik und Kultur wird die Aufmerksamkeit zudem auf die Verbrechen an Tieren im Dienst von instrumenteller Vernunft und Ökonomie gelenkt.“ Topos Tier belegt die wachsende Bedeutung der Animal Studies im Bereich der deutschsprachigen Kulturwissenschaften. Es erscheint in der bemerkenswerten Reihe Human-Animal Studies des Verlags transcript, in der allein im Jahr 2015 Titel wie das Lexikon der Mensch-TierBeziehungen (hrsg. von Arianna Ferrari und Klaus Petrus), Tiere – Texte – Transformationen (hrsg. von Reingard Spannring et al.), Das Handeln der Tiere (hrsg. von Sven Wirth et al.) sowie die Monographie Gefühlswelten im Zoo (von Nastasja Klothmann) vorausgingen. Die elf Aufsätze, aus denen sich Topos Tier zusammensetzt, stammen aus den Bereichen Literatur- und Kulturwissenschaft, Philosophie, Theologie, Anthropologie, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte sowie Biologie; die meisten gehen auf Vorträge im Rahmen einer 2010/11 an der Universität Stuttgart durchgeführten Ringvorlesung zurück. Zu den Vorzügen von Topos Tier gehören die in der Einleitung anskizzierten Konvergenzen von Anliegen der Animal Studies mit Fragestellungen, die aus den Bereichen des Ecocriticism und der Postkolonialismusforschung kommen. Als impulsgebend zitiert werden etwa ein Themenheft der Zeitschrift Notre Librairie. Revue des littératures du Sud | 96 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | aus dem Jahr 2006 zum Thema Indispensables animaux („Unverzichtbare Tiere“) und der Band Postcolonial Ecocriticism: Literature, Animals, Environment von Graham Huggan und Helen Tiffin aus dem Jahr 2010. Entsprechend gelungene Korrespondenzen in dieser Hinsicht ergeben sich aus dem Aufsatz von Julien Bondaz zu „Zoos und Politik in Westafrika“, der mit ungewöhnlicher Perspektivierung, Detailfülle und auf diverse Forschungsbereiche zugreifender theoretischer Fundierung beeindruckt, und aus dem unmittelbar darauf folgenden Aufsatz von Annette Bühler-Dietrich über „Tiere und Tiermetaphern im postkolonialen frankophonen Roman“, der anhand der Lektüre von Mémoires de porc-épic (2006; dt. Stachelschweins Memoiren, 2011) von Alain Mabanckou (Congo-Brazzaville/Frankreich), Temps de chien (2001; dt. Hundezeiten, 2003) von Patrice Nganang (Kamerun/USA) sowie Place des Fêtes (2001; dt. Scheiß Leben, 2004) von Sami Tchak (Togo/Frankreich) unterschiedlichste – und kontroversielle – Formen der Neuverhandlung menschlicher Bedeutungshoheit im Rückgriff auf „das Tier“ aufzeigt. Ökologische Belange rahmen auch den auf das Genre der Apokalypse konzentrierten Beitrag von Manfred Schneider, „Endzeitliches Schweifwedeln. Der Hund als Begleiter des letzten Menschen“. Schneider holt weit aus auf die frühneuzeitliche europäische Geistes- und Kulturgeschichte, um die Präsenz und Persistenz des Motivs des Hundes als beglaubigender Instanz – „Notar“ – wesentlicher (Schwellen-)Ereignisse herauszuarbeiten: ein die Endzeitszenarien der Moderne wirkungsmächtig mitprägender Fundus. Gespannt wird hier ein Bogen von der Renaissance-Tradition „bildlicher Komplizenschaft von Gelehrten und Hunden“ (219), mit der Zuschreibung von kritischer Unterscheidungskraft an die kaninen Mitgeschöpfe, über Mary Wollstonecraft-Shelleys The Last Man (1826), Jean Pauls „Die wunderbare Gesellschaft einer Neujahrsnacht“ (1801) und Jean-Baptiste Grainvilles Le dernier homme (1805) hin zu Richard Mathesons Roman I am a Legend (1954), den Filmen The Last Man on Earth (1964), The Omega Man (1971) und I am Legend (2007) sowie den Romanen Die Wand (1963) von Marlen Haushofer, Oryx and Crake (2003) von Margaret Atwood und La possibilité d’une île (2005) von Michel Houellebecq. Dabei geht es nicht nur um eine sentimentale Verkomplementierung des mit endzeitlichen Katastrophen konfrontierten Menschen, sondern um eine strukturelle Fortführung historischer Denktraditionen, die geistige, moralische und emotionale Eigenschaften und Teilhabe am Göttlichen und an metaphysischer Offenbarung auch und gerade in hündischer Gestalt zulassen. BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 97 | | Buchbesprechungen Mehrere Beiträge bleiben sehr den Konventionen des eigenen Fachs verhaftet, formulieren kaum inter- und transdisziplinäre Fragestellungen, geschweige denn eine Anbindung an Leitfragen der Animal Studies aus. Fachexpertise in diesem Sinn, nichtsdestotrotz mit einer Vielzahl spannender Details, liefern der Biologe Andreas Schlüter mit „Tropische Regenwälder – Zentren der Artenvielfalt“ und die Kunsthistorikerin Ellen Spickernagel mit „Dem Auge auf die Sprünge helfen. Jagdbare Tiere und Jagden bei Johann Elias Ridinger (1698-1767)“. Dorothee Römhilds Aufsatz zum Hund als „Gestalt gewordene Verheißung im Spätwerk von Monika Maron“ ist eine sehr traditionelle Aufarbeitung des Tiermotivs in der Poetik einer individuellen Autorin. Marons Ausgestaltung des Hundes als „das schlechthin Unverfügbare“ (206) wird mit den kaninen Figurationen anderer deutschsprachiger Autoren wie Martin Walser (der Hund als „Seelengeleiter zur Kunst“) und Elfriede Jelinek (der Hund als „Karikatur des Unterwürfigen und Widersetzlichen zugleich“) kontrastiert; ein Ausblick auf Donna Haraways paradigmatische Ausformulierung eines kosmopolitisch-emanzipatorischen dog writing – siehe Haraways Companion Species Manifesto (2003) oder When Species Meet (2008) – unterbleibt völlig. Wo Römhild abschließend doch auf ein kanonisches Werk der Animal Studies verweist, repliziert sie eine bereits in der Einleitung von Topos Tier irritierende Verkürzung: Hier wie dort wird Jacques Derridas L’Animal que donc je suis (2006) als „L’animal donc je suis“ (8, 207) misszitiert. Hier geht es um etwas mehr als einen der im Band insgesamt zahlreich auftretenden Rechtschreibfehler. Das Vergessen des Relativpronomens „que“ rückt Derridas Denken unversehens in die Tradition eines cartesianischen ergo sum. Ausgeblendet bleibt damit Derridas auf différance setzendes „que“ (i.e. „dem“; anstelle von „qui“ = „der“/„die“/ „das“), das zusammen mit der Doppeldeutigkeit von „je suis“ (das „ich bin“ heißen kann, aber eben auch „ich folge“, abgeleitet von suivre) eine Geste des Dem-Tier-Folgens, eine Geste des Nachgeordnetseins und Hinzum-Tier-Denkens eröffnet, die in der angloamerikanischen Rezeption kürzlich sogar mit der Ausformulierung des Schlagworts „Postanimality“ gewürdigt wurde. Hier aber bleibt der Verweis auf Derrida auf anthropozentrische Selbstverständigung fixiert: „In allen diesen Fällen geht es, mit Derrida gesprochen, letztendlich darum, das ,autobiographische Tier‘ in sich zu entdecken“ (207). Das Tier als abstrakte Denkfigur für übergeordnete konzeptuelle Belange steht im Zentrum der Beiträge von Michael Weingarten und Hamed Taheri. Ersterer liefert mit „Das Tier in mir. Eine problematische anthro| 98 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | pologische Fiktion des Liberalismus“ deklariert einen Auszug aus einem größeren Projekt, das die „häufig impliziten anthropologischen Annahmen politischer Theorien“ (87) rekonstruieren will. Weingarten schickt ganze sechs Seiten zu Stevensons Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1886) voraus, um die negative Anthropologie des Liberalismus zu veranschaulichen – die „duale Entgegensetzung von Mensch als Vernunftwesen und Tier als Affektwesen“ bzw. den Rekurs auf Vorstellungen wie „der Mensch als Tier oder der Menschen-Affe“ zur „Rechtfertigung der hierarchischen Vorrangstellung und Dominanz der Vernunft gegenüber den menschlichen Kö(r)pern und ihren Affekten“ (95) –, um dann auf der Basis einer neu konfigurierten Affektenlehre den Ausblick auf eine postliberale politische Philosophie zu eröffnen. Dafür holt Weingarten auf Aristoteles’ Tugendlehre aus, liest Spinozas Affektenlehre neu im Vergleich zu Hobbes und stellt dabei Bezüge zu Elias Canettis Masse und Macht (1960) sowie – kursorisch – zu den Arbeiten von Hannah Arendt, Martha Nussbaum und Judith Shklar her. Was vor allem im Mittelteil des Aufsatzes vom Ausblick her auch für philosophisch Nicht-Initiierte klar, einleuchtend, ja vielversprechend erscheint, verliert sich jedoch in einer Vielzahl strapaziöser terminologischer Trockenübungen. Völlig aus dem Blick gerät die kreatürliche Zeitgenossenschaft der Tiere im spinozistische Begrifflichkeiten resümierenden Schluss des Aufsatzes: „Also auch die unfreie multitudo hat sich selbst durch das Wirken der Affekte der Vielen als unfreie ausgestaltet; es gibt keine allein von außen determinierend auf den Modus der multitudo einwirkende Gewalt.“ (101) Für eine Neukonfiguration des Denkens von Körpern und Affekten plädiert auch der Autor und Theaterregisseur Hamed Taheri, wobei Taheris Anschreiben gegen die lange Tradition der Hegemonie körpervergessener Vernunft deutlich spielerischere Züge annimmt. Mit seinem auf die Unerhörtheiten der Avantgarde abhebenden Beitrag „Das, was Herr Duchamp vergessen hat“ setzt Taheri auf die Provokation der Stimme. Das schlägt sich nieder in griffigen Shortcuts quer durch Literatur-, Theater-, Film- und Philosophiegeschichte – bezeichnend etwa die Rekapitulation von Martin Heidegger als „dickköpfiges Kind, welches die Algebra Mensch = Tier +/– X nicht schlucken will. Deswegen rennt er, wie Jerry und Tom, vor Rainer Maria Rilkes Algebra Mensch = Tier – das Offene ebenso davon wie vor Aristoteles’ Algebra Mensch = Tier + Sprache.“ (233) Solch performativer Diskurs bedarf allerdings eines umso behäbigeren Fußnotenapparats, der Taheris Theorierepertoire – vorrangig Giorgio Agamben und Mladen Dolar – ausweist und fallweise ausufernde kontextualisierende Erläuterungen nachliefert: Die Seiten 239 BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 99 | | Buchbesprechungen bis 240 bestehen nahezu ausschließlich aus Fußnotentext. Etwas ratlos lassen die in ihrer Schlagseitigkeit unhinterfragten Geschlechterbilder – „Darum widme ich diesen Aufsatz diesem Vogel oder diesem Geist oder dem Geruch des Busens meiner Mutter“ (229), „Aus ihrem Geschlecht platzt die Sprache heraus“ (230) – und der offene Schluss mit einem Plädoyer zum Anhalten des derzeit wirkenden biopolitischen Apparats zurück: „Die Juden, die Zigeuner, die Schwarzen, die Araber, die Indianer, die Demonstranten in Syrien, … Wir sind alle Stimme. Das ist die Gefahr, die überall lauert. Eine Stimme allein, befreit von jeder Koordination zwischen Mensch, Sprache und Tier, wäre der erste Stein für den Aufbau einer neuen Ethik, die wir dringend brauchen.“ (244) Sehr verhalten fällt der Ausblick auf das Einrücken von Tieren in die Gegenstandsbereiche von Ethik und Rechtsprechung dort aus, wo das von der Themenstellung her zu erwarten wäre: Benjamin Bühlers Aufsatz „Experimentalobjekte. Tiere als Figuren anthropologischen Wissens“ erarbeitet, mit Schwerpunkten bei den Medizinern der griechischen und römischen Antike, den Anatomen der frühen Neuzeit (Andreas Vesalius, William Harvey) sowie dem Pionier der Physiologie als médecine expérimentale (1865) Claude Bernard einen Überblick über die Geschichte von Sektion und Vivisektion, um schließlich bei den verhaltensphysiologischen und -psychologischen Experimenten des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts (von Pawlow bis Skinner) anzuhalten und gar, mit einem letzten Kapitel „Literatur als Medium des Experimentierens“, so etwas wie eine Ablöse der Versuche mit lebenden Körpern durch die Möglichkeiten literarischer Fiktion in den Raum zu stellen. Das mag als Würdigung von Literatur und Literaturkritik gedacht und verstanden werden, doch wo kein Wort zur zeitgenössischen Massifizierung von Tierversuchen in den Laboratorien der Pharma- und Kosmetikindustrie sowie der biotechnologischen Landwirtschaft, kein Wort zur Manipulation, ja Produktion verfüg- und verwertbarer Tierkörper in Zeiten des genetischen Biokapitalismus verloren wird, kommen Sätze wie diese verharmlosend und missverständlich rüber: „Der Übergang in die Literatur ist konsequent. Denn wie Tiere als Substitute eingesetzt werden, da Versuche am Menschen nicht erlaubt sind, so fungiert nun die Fiktion als Substitut.“ (36) Ähnlich vermeidet Hans Werner Ingensieps Beitrag zu Vorstellungen über „Menschenaffen im Wandel der Zeit. Berichte und Illustrationen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert“ durch Schwerpunktsetzung und Wortwahl eine substanzielle Auseinandersetzung mit drängenden Fragen der Tierethik. Gegenüber der Sorgfalt, mit der gerade Entwicklungen des 18. | 100 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | und 19. Jahrhunderts nachgezogen werden, nimmt sich der Ausblick auf das 20. Jahrhundert, dem unter den Stichworten „Intelligenz, Kreativität, Kommunikation“ gerade mal zwei Absätze auf einer Seite gewidmet werden, frappierend kursorisch aus. Wo Ingensiep abschließend auf den Vorstoß des Great Ape Project zu sprechen kommt, tut er dies, als würde es sich hierbei um ein bloß symbolisches Projekt der Aufnahme in einen „Club der Personen“ (86) handeln. Kein Wort zu dem handfesteren, vitalen – und zu konkreten Rechtsinitiativen und legislativen Änderungen führenden! – Anliegen des Rechts auf Unversehrtheit, kein Wort zu biowissenschaftlicher Forschung, kein Wort zum Zusammenhang etwa von „Polio and Primates“, um jenen Titel zu zitieren, den Anita Guerrini für das letzte Kapitel ihrer Studie Experimenting with Humans and Animals (2003) wählte. Solche Ausblendungen fallen umso stärker auf, als der von Bühlers und Ingensieps Aufsätzen flankierte Beitrag, Heike Baranzkes Studie zu den theologischen Wurzeln moderner Tierethik, just mit einer Pointe einsetzt, die jüngeren technomedizinischen und juridischen Entwicklungen Rechnung trägt: dem Einzug der „Würde der Kreatur“ als Rechtsbegriff in die Schweizerische Bundesverfassung 1992, der implizit auch der Tierwürde verfassungsrechtliche Relevanz gab. Was laut Baranzke unter TierschützerInnen für Jubel und unter Verfassungsrechtlern für „Fassungslosigkeit“ (42) sorgte, geht auf eine Volksinitiative zurück, angesichts der dynamischen Entwicklungen in Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin der Menschenwürde Schutz zu verleihen. Allerdings befand die daraufhin eingesetzte Rechtskommission, „dass die Menschenwürde gegen biotechnologische Gefährdungen wirksam nur zu schützen sei, wenn die biowissenschaftliche Grundlagenforschung auch schon im Außerhumanbereich gesetzlich kontrolliert würde“ (43). Die schöne Formulierung mit den aus der Fassung geratenen Verfassungsrechtlern bringt die Sprengkraft auf den Punkt, die neue Gestaltungen des TierMensch-Verhältnisses in der Tat in sich bergen. Alles in allem: ein sehr lesenswerter Band mit einer überraschenden Fülle in die europäische Geistesgeschichte zurückreichender Details und erfreulichen Ausblicken auf außereuropäische, nicht-westliche Konfigurationen kreatürlichen Zusammenlebens. Vielfach implizit bleibt allerdings die im Klappentext von Topos Tier in Aussicht gestellte Problematisierung von Verbrechen an Tieren im Dienste instrumenteller Vernunft und Ökonomie. Claudia Leitner BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 101 | | Buchbesprechungen Mylan Jr. Engel et al. (Hrsg.): The Moral Rights of Animals 326 S., New York: Lexington, 2016, 80,34 EUR Dreißig Jahre Verspätung – so könnte man den ersten akademischen Sammelband zu Tom Regans 1983 erschienenem Klassiker The Case for Animal Rights kommentieren. Die Anthologie The Moral Rights of Animals (MRA) stellt mit Beiträgen von 14 Autoren auf über 300 Seiten sicherlich die derzeit gründlichste Analyse von Tom Regans Tierrechtstheorie dar. Tom Regan (URL: tomregan.info), Jahrgang 1938, lehrte nach seiner Promotion im Jahr 1966 von 1967 bis 2001 als Professor für Philosophie an der North Carolina State University. Regan verfasste 1975 mit „The Moral Basis of Vegetarianism“ im Canadian Journal of Philosophy seinen ersten akademischen Artikel zur Tierethik. Es finden sich bis 1975 in der weltweit wichtigsten Datenbank zur akademischen Philosophie, dem Philosophers Index – online unter URL: www.philindex.org – nur fünf Einträge, die als Randthema die Topik Vegetarismus im Kontext von Animal Rights oder Animal Liberation behandeln. Erst mit der Publikation von P. Singers seither meistzitiertem tierethischen Aufsatz „All Animals are Equal“ im Jahr 1974 und dem utilitaristisch konzipierten Klassiker Animal Liberation im Jahr 1975 beginnt die moderne Debatte um Tierbefreiung und Tierrechte. Der erste der drei MRA-Buchteile widmet sich den „Theoretical Prospects and Challenges for Animal Rights“. Das dortige Kapitel 1 bildet ein bereits klassisches Buchkapitel von Tom Regan mit dem bezeichnenden Titel „The Case for Animal Rights“ und erschien ursprünglich 1985 in dem von Peter Singer herausgegeben Sammelband In Defence of Animals – ein Text der auch durch das mehrfach neu aufgelegte Suhrkamp-Taschenbuch Naturethik von Angelika Krebs ein deutschsprachiger Klassiker für Seminare wurde. Die Kritiken an Tom Regans Theorien beginnen mit einem Beitrag aus der Perspektive der „Libertarians“ in MRA. Der Ansatz des Libertarianismus findet sich vorrangig in der angloamerikanischen politischen Philosophie und versucht, durch soziale Kontrakte die Rechte von Individuen – normalerweise menschliche Personen – abzusichern. J. Garrett versucht nun, diese Vertragsrechte auf alle Tiere auszudehnen, welche das „Subject-of-a-life“-Kriterium erfüllen. Dieses Kriterium bildet für Tom Regan das zentrale Kriterium für die direkte normative Berücksichtigung von Tieren und Menschen. In The Case for | 102 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | Animal Rights auf Seite 243 findet sich diese grundlegende Definition: „Individuals are subjects-of-a-life if they have beliefs and desires; perception, memory and a sense of the future, including their own future; an emotional life together with feelings of pleasure and pain; preferenceand welfare-interests; the ability to initiate action in pursuit of their desires and goals; a psycho-physical identity over time; and an individual welfare in the sense that their experiential life fares well or ill for them, logically independently of their utility for others and logically independently of their being the object of anyone else’s interests.“ Im MRA-Kapitel 3 begegnen wir bei Mylan Engel mit „Do Animals Have Rights and Does It Matter If They Don’t?“ einer bekannten Fragestellung. Die Kenner der Tierethik erinnern sich an M. Engels ähnlich lautenden sehr lesenswerten Text im wohl ersten deutschsprachigen Sammelband mit dem Titel Tierrechte im Jahr 1997, herausgegeben von der hervorragend engagierten Studierendengruppe – Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft Tierethik Heidelberg. Kapitel 4 von N. Nobis mit dem Focus auf der begründungstheoretischen Funktion des englischen Begriffs „kind“ stellt vorderhand einen sehr speziellen Diskurs dar. Die deutsche Übersetzung für „kind“ mit Art oder Gattung macht aber schnell sichtbar, dass sich dahinter die oftmals geäußerten Einwände gegen Tierrechte finden lassen, welche behaupten, dass alle nichtmenschliche Tiere prinzipiell auf Grund ihrer Art bzw. Gattung niemals Träger von Rechten sein können. Im Gegensatz dazu hätten Menschen auf allen (potenziellen) Entwicklungsstufen allein durch die Zugehörigkeit zur normativ relevanten Art bzw. Gattung von Lebensbeginn bis Lebensende (unverfügbare) Rechte. Kapitel 5 beinhaltet mit seiner Frage nach dem ethisch richtigen Umgang mit dem „Problem of Predation“, sprich: Problem mit Raubtieren, auch die sehr praktische und hoch aktuelle Frage, ob wir z.B. Wölfe, Luchse und andere Raubtiere wieder in den westlichen Ländern ansiedeln sollen. Für Freunde der Tierrechtstheorie ist jedenfalls der zweite Buchteil „Animal Rights and the Comparative Value of Lives“ mit fünf eigenständigen Kapiteln. Drei davon fokussieren sich dabei auf die bereits oben vorgestellte „Subject-of-a-Life“-Konzeption. Deren zentrale Bedeutung findet sich prominent im umfangreichen und detaillierten Vorwort des 2004 neu aufgelegten The Case for Animal Rights, S. xxvii: „If The Case has a central thesis, it is the respect principle, according to which all subjects-of-a-life, both human and nonhuman, share the fundamental right to be treated with respect. From this follows that no subject-of-a-life may be BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 103 | | Buchbesprechungen harmed merely on the grounds that others will benefit.“ Genau solche Argumente für „Respecting Rights-Holders“ bietet die prominente, bereits emeritierte Tierrechtsphilosophin Evelyn Pluhar. Diese hatte sich bereits seit 1981 mit vielen Aufsätzen und 1995 mit der hochgelobten Monographie Beyond Prejudice als eine der führenden Theoretikerinnen einen Namen gemacht. Im MRA-Buchteil 3 verteidigt Aaron Simmons mit „Do All Subjects of a Life Have an Equal Right to Life?“ ein starkes Gleichheitsprinzip. Genau diese Position hinterfragen Molly Gardner mit „The Interspecies Killing Problem“ und insbesondere Alastair Norcross, einer der prominentesten Utilitaristen der Gegenwart. Er versucht, in dem vielleicht spannendsten MRA-Aufsatz „Subjects-of-a-Life, the Argument from Risk, and the Significance of Self-Consciousness“ Elemente von Tom Regan mit Peter Singers Ansatz zu vereinen. Bemerkenswert ist auch der Ansatz von Gary Comstock in „La Mettrie’s Objection“, durch Bezüge zur Bewusstseinstheorie des 1751 verstorbenen ersten französischen Materialisten diesen für Tierrechte fruchtbar zu machen. Der dritte und letzte Buchteil „Animal Rights in Practice“ widmet sich neben einem eher theoretischen Kapitel zum neueren Aspekt „Capabilities“ besonders den Themen Vegetarismus und Jagd. Abschließend werden sich manche LeserInnen die Frage stellen, warum so viel Theorie für Tierrechte benötigt wird. Hierzu sei auf die sozialwissenschaftliche Forschung zur teilweise grundlegenden Bedeutung philosophischer Diskurse für soziale Bewegungen und differenzierter öffentlicher Diskurse am Beispiel von Buechler verwiesen. Seine Analyse in Understanding Social Movements (2011, S. 205): „The importance of cognitive appeals is effectively explored in the animal rights movement, in which protesters have strategically opted for logical, rational arguments specifically to deflect criticism of sentimentality and playing to emotions“, konnte durch andere Sozialwissenschafter seit der Entstehung der Tierrechtsbewegung in den 1980er-Jahren in knapp 200 veröffentlichten Forschungsarbeiten bestätigt werden (vgl. hierzu die Publikationen in den zwei weltgrößten Fachdatenbanken „Sociological Abstracts“ und „Social Sciences Citation Index“). Dort gelten neben Peter Singers Animal Liberation insbesondere die deutlich komplexeren Argumentationen von Tom Regan in The Case for Animal Rights als philosophische Grundlagenwerke, welche der Tierrechtsbewegung als Teil einer humanistisch-emanzipatorischen Bewegung sowohl gesellschaftlich als auch umfassend akademischen Respekt verschaffen. Ergänzend zu MRA ist anzumerken, dass ein Hinweis auf die zwei hervorragenden Sammelbände mit Tom Regans Aufsätzen und Buchbeiträgen fehlt. Der bereits 1982 erschienene All That Dwell Therein | 104 | TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) BUCHBESPRECHUNGEN Buchbesprechungen | und Defending Animal Rights von 2001 enthalten einige der differenziertesten und sehr guten Analysen und können sicherlich etliche Personen für philosophische Grundlagenfragen begeistern. Erwin Lengauer BUCHBESPRECHUNGEN TIERethik, 8. Jg. 13(2016/2) | 105 |