Erstausgabe 2008 Überarbeitung 2012 Psychologie der

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Mag. Erich Hackl
Psychologie der Persönlichkeit
Inhalt
Persönlichkeit
Tiefenpsychologische
Erklärungsmodelle
Das Jugendalter
Psychische Störungen
Erstausgabe
2008
Überarbeitung 2012
Inhaltsverzeichnis
1.
Persönlichkeit Tiefenpsychologische Erklärungsmodelle
5
1.1
Begriffliche Abgrenzung
5
1.2
Persönlichkeitsmodell Sigmund Freuds
7
1.3
ES, ICH, ÜBER-ICH
7
1.3.1 ES
8
1.3.2 ICH
8
1.3.3 ÜBER-ICH
8
1.4
Dynamik der Persönlichkeit
9
1.4.1 Möglichkeiten der ICH-Schwäche
9
1.4.2 Fallbeispiel
9
1.5
Angst und Abwehr
10
1.6
Unbewusste Abwehr
11
1.7
Weitere Abwehrmechanismen
13
1.8
Fallbeispiele – Abwehrmechanismen
15
1.9
Schema der Libidoentwicklung (Freud)
17
1.10
Die individualpsychologische Theorie (A. Adler)
19
1.10.1 Die Zielgerichtetheit des menschlichen Lebens
19
1.10.2 Das Minderwertigkeitsgefühl
20
1.10.2 Das Gemeinschaftsgefühl
21
1.11
22
Analytische Psychologie (C. G. Jung)
1.11.1 Wesen und Struktur der Psyche
22
1.11.2 Extraversion und Introversion
23
1.11.3 Die Persona
24
1.11.4 Der Schatten
24
1.11.5 Animus und Anima
24
1.11.6 Archetypen
25
1.11.7 Methoden der Therapiearbeit:
25
1.12
26
Persönlichkeitsentwicklung nach Erik H. Erikson
1.12.2 Entwicklungsstadien nach Erikson
26
1.12.3 Persönlichkeitstheorien im Vergleich
29
1.13
29
Existenzanalyse und Logotherapie nach Viktor E. Frankl
1.13.1 Exkurs: Humanistische Psychologie
30
2.
Das Jugendalter
33
2.1
Vorpubertät
33
2.1.2 Präpuberaler Wachstumsschub und geschlechtliche Differenzierung
33
2.1.2 Problem der Akzeleration
34
2.1.3 Psychische Auswirkungen der Akzeleration
34
2.1.4 Probleme im Zusammenhang mit Spätentwicklern
35
2.1.5 Erscheinung der Vorpubertät beim Knaben
35
2.1.6 Die Beziehung zu Eltern und Lehrern
35
2.1.7 Besondere Erscheinungen der Vorpubertät beim Mädchen
35
2.2
36
Pubertät und Adoleszenz
2.2.1 Entwicklungsaufgaben für den Jugendlichen
37
2.2.2 Das Coping
37
2.2.3 Biologische Grundlagen
38
2.2.4 Sexualität
38
2.2.5 Soziale Integration
38
2.2.6 Identitätsfindung als zentrale Aufgabe
39
2.3
Aktuelle Tendenzen der Jugendforschung
39
3.
Psychische Störungen
41
3.1
Neurosen
41
3.1.1 Ursachen von neurotischem Verhalten
42
3.1.2 Formen der Neurose
42
3.1.3 Psychose
44
3.1.4 Formen der endogenen Psychose
44
3.1.5 Modelle psychischer Störungen
46
3.1.6 Mögliche Störungen von Persönlichkeitsstrukturen….
47
3.1.7 Fallbeispiele zu psychischen Störungen
49
1. Persönlichkeit
Tiefenpsychologische Erklärungsmodelle
Vorbemerkung:
In der Persönlichkeitspsychologie sind sehr viele unterschiedliche Theorien entwickelt
worden. Je nach Standort des Wissenschaftlers treten in den Definitionen andere
Schwerpunkte zutage:
Ein Großteil der neueren Definitionen betont die Komplexität oder Einzigartigkeit des
(lebenslangen) Persönlichkeitsaufbaus und glaubt nicht bloß an eine Ansammlung
bestimmter Eigenschaften.
Persönlichkeit (ganzheitlicher Ansatz) (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 520)
Ideographische
Ansatz
Bei diesem Ansatz werden die Persönlichkeitseigenschaften
jedes Menschen als einzigartig gesehen, wo durch statistische
Berechnungen dieses Einzigartige verlorengeht
Nomothetische
Ansatz
Bei diesem Ansatz wird angenommen, dass universelle, allen
gemeinsame Eigenschaftsdimensionen die Grundstruktur der
Persönlichkeit bilden
Klassische Definition: (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 520)
Unter Persönlichkeit versteht man jene relativ dauerhaften Wesenszüge und
Disposition des Individuums, die sich im Laufe der Zeit zu einem Verhaltensmuster
verfestigt haben, welches es von anderen Individuen unterscheidet.
Definition 2: (Vgl. Hillgards et.al; 2001, S 443)
Persönlichkeit ist als das einzigartige und charakterliche Muster an Gedanken,
Emotionen und Verhaltensweisen definiert, das den persönlichen Stil eines
Individuums bei der Interaktion mit der Umwelt ausmacht
1.1 Begriffliche Abgrenzung
Person
Persönlichkeit
Charakter
Typus
unterteilbare
Einheit im
menschlichen Sein
individuelle, relativ
dauerhafte,
Ausstattung der
heute oft als
Synonym von
Persönlichkeit
Versuch, Menschen
nach bestimmten
Kategorien
(philosophisch)
Person
gebraucht;
Prozess der
Personwerdung
 Personalisation
(besonders
ausgeprägte
Eigenschaften)
(Gesamtkomplex an beschreibt
Merkmalen und
wesentliche
Eigenschaften)
Verhaltens- und
vereinfacht zu
Einstellungsmerkmale ordnen:
In der Psychologie
des Menschen
oft als Synonym für
Idealfall = Typus
(Betonung der
Persönlichkeit
Anlagebedingtheit)
gebraucht
(Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 520f)
Allen tiefenpsychologischen Persönlichkeitsmodellen ist gemeinsam, dass sie dem
Unbewussten die entscheidende Rolle bei der Bestimmung der menschlichen
Persönlichkeit zuerkennen. Weiters wird auf die große Bedeutung der frühkindlichen
Erfahrungen und ihrer Verarbeitung hingewiesen.
Kurzer Überblick über wichtige Theorien (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 520ff)
Persönlichkeitstheorien sind eine Reihe von Annahmen über die Struktur und
Funktion individueller Persönlichkeiten. Sie dienen Psychologen zur möglichen
Vorhersage. Verschiedene Theorien ermöglichen unterschiedliche Vorhersagen, wie
sich Menschen unter bestimmten Bedingungen verhalten werden.
EigenschaftsKognitive und
Theorien
Sozialkognitive
(Faktorentheorien) Ansätze
 Hippokrates
 Allport
 Eysenck
ReizReaktionsrepertoi
re („Habits“;
Gewohnheitsmuster)
 Bandura
 Kelly
Psychodynamische Theorien
Humanistische
Ansätze
Besondere Bedeutung
haben unbewusste
Determinanten des
Erlebens und
Verhaltens durch
Triebe und
Bedürfnisse.
Beziehung des
Individuums zu sich
selbst
(Selbstkonzept)
 S. Freud
 Adler
 G. Jung
 usw.
Bewusstheit psych.
Geschehens;
Prozesscharakter;
Beziehungen zur
Umwelt
 Maslow
 Carl R. Rogers
 usw.
1.2 Persönlichkeitsmodell Sigmund Freuds
Sigmund Freud wurde 1856 in Freiberg (Mähren)
geboren. 1860 zog er nach Wien, wo er Medizin
studierte.
Nach seinem Studium widmete er sich als
Nervenarzt besonders der Erforschung psychisch
bedingter Erkrankungen.
Nach einem Frankreichaufenthalt beim Pariser
Neurologen Jean-Martin Charcot (Hysterie,
Hypnose) ließ er sich 1886 in Wien mit einer
Praxis nieder.
In der Folge entwickelte er die Theorie über Entstehung von Neurosen, die er
Psychoanalyse nannte. Seit 1902 war er Titular-Professor in Wien (kein Lehrstuhl!).
1938 Emigration nach London – ein Jahr später verstorben (1939). (Vgl. Lahmer;
2010, S. 241)
Unbewusste Motivation
Freud betonte die Existenz des unbewussten Seelenlebens (Welt von Trieben und
Gedanken), also das Verborgene, um Angst zu vermeiden. Freud hatte in Paris (bei
Charcot) die Hypnose bzw. posthypnotische Suggestion gesehen. Der Hypnotiseur
brachte die Personen dazu, sich an traumatische Erlebnisse zu erinnern. Durch das
kathartische Wiedererinnern konnten die psychischen Neurosen abgeführt werden.
Im täglichen Leben gibt es in emotionalen Situationen oft Reaktionen, die von
unerkannten (unbewussten) Motiven angetrieben werden. Freud entwickelte die
Bewusstseinsstufen, wo das Bewusste, das Vorbewusste und das Unbewusste eine
tragende Rolle im psychischen Apparat spielen. (Vgl. Lahmer; 2010, S. 241f)
Ursprünglich Bewusstes wird aufgrund von Realitäts- und Erziehungsansprüchen
(z.B. beschämender Misserfolg, mit Verbot belegte Wünsche, peinliche Gefühle) ins
Unbewusste „abgeschoben“. Verdrängte Inhalte bleiben aber erhalten und können
indirekt (z.B. in Träumen, Fehlleistungen, neurotischen Symptomen 
Abwehrmechanismen) wirksam werden.
1.3 ES, ICH, ÜBER-ICH
(V g l. S pri n ger -K r emse r; 19 9 4 , S 35 f f)
Freud spricht vom psychischen Apparat, der aus mehreren Instanzen besteht. Diese
Instanzen stehen in dynamischer Wechselwirkung und bewirken das Verhalten des
Individuums. Mit zwei wesentlichen Arbeiten führte Freud diese neue Theorie in die
Psychoanalyse ein. Für die Zuordnung zu diesen Instanzen war nicht mehr die
Bewusstseinsfähigkeit ausschlaggebend, sondern auf welcher Seite die
innerpsychischen Konflikte in den einzelnen Elementen sind. (Vgl. Springer-Kremser;
1994, S. 36)
Abbildung 1: Der psychische Apparat (Vgl. Springer-Kremser; 1994, S. 36ff)
1.3.1
ES
Ist die älteste psychische Instanz und beinhaltet alles, was vererbt und bei der
Geburt mitgebracht wurde, vor allem die Triebe. Das ES stellt den Urgrund, das, aus
dem sich die beiden anderen Instanzen bilden, dar. Dafür liefert das ES die Energie.
Es ist das Energiereservoir für die gesamte Persönlichkeit. ES kennt weder gut noch
böse. Es strebt nur nach Lustgewinn (Eros, Libido =
Lebenstrieb: Thanatos = Todestrieb).
1.3.2
ICH
Dem ICH kommen die bewussten Erkenntnis-Funktionen zu. Das ICH versucht die
aus dem ES aufsteigenden Triebimpulse und seinen Drang nach Befriedigung mit den
realen Gegebenheiten in Einklang zu bringen (Realitätsprinzip). Das ICH erweist sich
als das „eigentliche Anpassungsorgan“, das wahrnimmt, denkt, plant und
entscheidet.
Das ICH bildet sich bereits im Kleinkind.
Verhältnis:
ICH: ES ist im Verhältnis wie der Reiter: Pferd  Pferd liefert Energie und Kraft,
Reiter bestimmt Ziel und leitet die Bewegungen. Manchmal verliert jedoch der Reiter
die Herrschaft über sein Pferd ...
1.3.3
ÜBER-ICH
Das Über-Ich entspricht etwa dem Gewissen (Moralitätsprinzip). In der Kindheit
werden Forderungen an das ICH (Ge- und Verbote) akzeptiert und internalisiert. Es
werden weitgehend Wunschvorstellungen anderer Autoritäten (Eltern, Lehrer, Chefs,
gesellschaftl. Normen ...) vermittelt.
1.4 Dynamik der Persönlichkeit
Diese drei Instanzen ES, ICH, ÜBER-ICH stehen in ständiger Wechselbeziehung.
Das ICH hat in diesem Zusammenspiel eine zentrale Funktion. Es kämpft gegen das
ES, das ÜBER-ICH und die Forderungen der Realität. Aus diesen Kämpfen können
sich seelische Störungen ergeben (Konfliktsituationen, Angst, Schuldgefühle).
1.4.1
Möglichkeiten der ICH-Schwäche
 wenn entweder eine der beiden Instanzen oder die Realität über das ICH siegen
Das ES siegt über das ICH.
Das ÜBER-ICH siegt über das ICH.
Die Realität siegt über das ICH.
Fallbeispiel:
August, 14 Jahre alt, möchte sehr gerne ein Mountainbike haben, doch seine Eltern
geben ihm nicht das nötige Geld. Eines Tages sieht der Jugendliche vor einem
öffentlichen Gebäude in einem Fahrradständer ein Fahrrad stehen, das nicht
abgesperrt ist und genau seinen Wünschen entspricht.
Reaktion:
ES:
ÜBER-ICH:
ICH:
1.4.2
Fallbeispiel
Werner (Lehrling) fühlt sich seit längerem von seinem Chef ungerecht behandelt. Als
er nach einigen Tagen Krankenstand wieder zur Arbeit erscheint, lässt ihn der Chef
zu sich rufen und wirft ihm mangelnden Einsatz vor.
Reaktion
ES:
ÜBER-ICH:
ICH:
Schlussfolgerungen für die Erziehung
(zum Aufbau eines starken ICHs)  Diskussion
1.5 Angst und Abwehr
Der pathologischen Verdrängung gliedern sich „normale“ Abwehrmechanismen an,
von denen (neben weiteren, etwa die Selbstverleugnung, der Starrsinn, die
Tatsachenignorierung) die wichtigsten dargestellt sind. Freud hat auf die
entscheidende Rolle der Sexualentwicklung in der Kindheit für die
Persönlichkeitsentwicklung hingewiesen. Demnach gibt es keine asexuelle,
„unschuldige“ Kindheit, sondern bereits im 1. Lebensjahr verspüren Kinder sexuell
getönte Lustempfindungen.
Die Entwicklung der Libido, d.h. der sexuellen Energie, wurde von Freud in mehrere
Phasen aufgeteilt (psychosexuelle Phasen). Die Bedürfnisbefriedigung erfolgt dabei je
nach Phase durch die Reizung verschiedener „erogener“ Körperbereiche (z.B. Mund,
After, Genitalien). (Vgl. Lahmer; 2010, S. 244)
Ein Ausbleiben der Befriedigung (wie auch ein Übermaß) kann zur Ursache
innerpsychischer Konflikte werden ( Fixierung = Festhalten an Verhaltensweisen,
die einer früheren Stufe der Libidoentwicklung entstammen). Wünsche, Bedürfnisse,
die vom ÜBER-ICH nicht zugelassen werden, können beim Menschen verschiedene
Ängste (z.B. vor Strafe), Gewissensbisse, Schuldgefühle auslösen.
Um Angst zu vermeiden oder zu verringern, setzt das ICH Schutzmaßnahmen ein, die
die Ansprüche vom ES abwehren, unbewusst machen und somit drohende Konflikte
vermeiden sollen. Diese Schutzmaßnahmen nennt man Abwehrmechanismen. Es
findet eine Verdrängung statt. (Vgl. Springer-Kremser; 1994, S. 42ff)
ÜBER-ICH (Filterfunktion) Spannungsfeld
ES (Ansprüche)
ICH (bewusste oder unbewusste Abwehr) Schutz vor seelischen Konflikten
Bewusste Abwehr (z.B. vor Scham, Angst, Schuldgefühl, Aggression):
flüchten, angreifen, argumentieren, entschuldigen, lernen, ertragen, täuschen...
Unterschiede
ICH-Befreiung: Abwehrmechanismen (Verdrängen)
ICH-Befreiung: z.B. bewusste Auseinandersetzung (Lösung des Konflikts)
Ziel des Verhaltens: Minderung der Spannung
1.6 Unbewusste Abwehr - Abwehrmechanismen
Projektion (Vgl. Lahmer; 2010, S. 248)
Die Projektion ist ein Zeichen für unvollständige Verdrängungen, denn Triebimpulse
aus dem ES und Impulse aus dem ÜBER-ICH, die man selbst verdrängen will, werden
bei anderen Menschen wahrgenommen und vielleicht bekämpft.
Bsp.:
Nicht ich bin aggressiv – die anderen zeigen ein aggressives Verhalten. Die Angst vor
gleichgeschlechtlichen Regungen bewirkt, dass man anderen Personen
Homosexualität unterstellt oder Homosexuelle sogar bekämpft.
Abbildung 2: Projektion
Reaktionsbildung (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 534)
Um die Verdrängungen zu sichern, wird im Bewusstsein das Gegenteil des zu
Verdrängenden fixiert. Z. B. kann unerwiderte Liebe in Hass – (Zynismus) gegen die
geliebte Person umschlagen. Besonders auffällige, übersteigerte Höflichkeit kann die
Reaktionsbildung auf aggressive Wünsche sein; Reaktionsbildung auf Furcht kann
Tapferkeit bedeuten; übertriebene Fürsorge einer Mutter um ihr Kind.
Abbildung 3: Reaktionsbildung
Ein empfindsamer Menschenkenner erkennt Reaktionsbildung vor allem an ihrer
übertriebenen Intensität.
Verschiebung (Substitution) (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 534)
Wünsche und Bedürfnisse, die sich nicht am Original befriedigen können, werden an
einem Ersatzobjekt realisiert.
Bsp.: Ein Schüler, der auf einen Lehrer wütend ist, tobt sich aus nichtigem Anlass bei
seinem jüngeren Bruder aus. Ein kinderloses Ehepaar betreut seinen Hund mit
besonderer Hingabe.
Abbildung 4: Verschiebung
Sublimierung (Vgl. Springer-Kremser; 1994, S. 42ff)
Nicht zugelassene Wünsche und Bedürfnisse werden umgesetzt in Leistungen, die
sozial erwünscht sind oder sogar hoch bewertet werden.
Sublimierung aggressiver Impulse in Sport und Kampfspielen, Berufsrivalität
Sublimierung sexuell-erotischer Impulse in karitative Tätigkeiten, in geistig-kulturelle
Leistungen.
Abbildung 5: Sublimierung
1.7 Weitere Abwehrmechanismen
Regression (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 534)
Bei Frustration und Enttäuschungen greift das ICH auf frühere Stadien der
erfolgreichen Lebensbewältigung zurück.
Bsp.:
Wenn ein vierjähriger Bub bereits sauber war und wieder zum Bettnässer wird, weil
er ein Geschwisterchen bekommen hat, handelt es sich um Regression (drohender
Liebesverlust: Rückgriff, um stärkere Aufmerksamkeit der Mutter zu binden...).
Bsp.:
Mädchen wurde mehrere Male sehr enttäuscht … Sie wendet sich wieder ihrer
Freundin zu...
Rationalisierung (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 534)
Gefühlsbetonte Entscheidungen, die wir uns nicht eingestehen wollen
(ungerechtfertigtes, unerlaubtes, nachteiliges Verhalten). Um solches Verhalten vor
uns selbst und vor anderen zu rechtfertigen (Selbstwertgefühl, Ansehen darf nicht
beeinträchtigt werden!), versuchen wir es mit „vernünftigen“ = rationalen
Erklärungen zu begründen.
Bsp.:
Der verschmähte Liebhaber erklärt, dass das Mädchen in Wahrheit gar nicht
anziehend war. Missliche Situation: Man rationalisiert diese so, als habe sie in
Wirklichkeit auch gute Seiten!
Identifikation (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 534)
Angst kann vermieden oder vermindert werden, indem sich jemand mit anderen
Personen identifiziert, um dadurch Schutz zu erlangen (er erlebt die Bedrohung nicht
mehr allein, sie ist jetzt gegen die Gruppe gerichtet). Asoziales Verhalten fällt in der
Gruppe leichter (man fühlt sich gedeckt).
Identifikation mit dem Angreifer: Das ICH versetzt sich in die Rolle dessen, durch den
es bedroht wird.
Bsp.:
Ein 16-jähriges Mädchen kommt zu spät nach Hause und läutet an der Haustür. Die
Mutter öffnet.
 Die Tochter überhäuft die Mutter mit Vorwürfen wegen des verspäteten
Aufmachens...
Kompensation (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 534)
Tatsächliche oder auch nur eingebildete körperliche oder geistige Minderwertigkeit
wird auszugleichen versucht, so etwa durch „Angeben“.
Konversion (Vgl. Springer-Kremser; 1994, S. 50)
Bedeutet „die Umwandlung psychischer Spannungen und Konflikte in körperliche
Symptome“, „wobei aber der Körper – organisch gesehen – unversehrt bleibt.“
Konversionsneurosen (z. B. Tics, Stottern); Konversionshysterie (z .B. krampfartige
Anfälle, hysterisches Lachen u.a.)
Abwehrmechanismen können den Übergang zu Ausdruckformen psychischer
Störungen (z.B. Neurosen) bilden. Ein längeres starres und übertriebenes Einsetzen
von Abwehrmechanismen führt nach der psychoanalytischen Lehrmeinung zu
psychischen Störungen.
Abwehrneurosen sind psychische Erkrankungen, bei denen für die Erkrankten die
üblichen Abwehrmechanismen nicht ausreichen und zusätzliche neurotische
Abwehrmechanismen zur Erzielung des Verzichtes aufgeboten werden müssen.
Abbildung 6: Abwehrmechanismen
1.8 Fallbeispiele – Abwehrmechanismen
Udo, ein pubertierender 14-Jähriger, erlebt bei seiner
großen Liebe – Renate – ständig eine Abfuhr.
Schließlich meint er, dass sie ihm ohnedies zu dumm
wäre.
Während eines Fußballspiels wird ein Spieler vom
Turnlehrer ausgeschlossen. Der Schüler geht in die
Umkleidekabine, schlägt wütend die Tür hinter sich zu,
zieht sich die Fußballschuhe aus und schleudert sie
gegen die Wand.
Der vierjährige Gerhard war schon „sauber“, beginnt
aber, seitdem die Mutter wieder berufstätig ist,
einzunässen.
Herr A. hat oft Streit mit seiner Frau. In seiner
beruflichen Arbeit ist er ausgesprochen erfolgreich. Er
engagiert sich derart, dass auch ein großer Teil seiner
Freizeit mit beruflichen Tätigkeiten ausgefüllt ist.
Frau M. ist mit ihrer Ehe sehr unzufrieden. Auf einem
Maskenball erscheint sie in einem sehr „offenherzigen“
Kostüm und genießt es sichtlich, mit verschiedenen
Tanzpartnern zu flirten. Zu ihrer Freundin sagt sie
allerdings, dass sie die Zudringlichkeit nicht leiden
kann.
Frau S. versäumt keine Gelegenheit, ihren Freund, der
sie verlassen hat, den sie aber nach wie vor liebt, bei
anderen Leuten schlecht zu machen.
Peter ist körperbehindert (Rollstuhl). Er ist durch
sämtliche Klassen der Mittelschule immer der Beste
seine Klasse.
Maria S. ist seit vielen Jahren Witwe und hat auch
keine Kinder. An einem Kanarienvogel leitet sie ihre
Zärtlichkeitsbedürfnisse ab.
Untersuchung (Brunswi und Sanford): Auf
konventionelle Moral bedachte Studentinnen
bezichtigen andere „minderwertige“ Gruppen ihre
Sexualität hemmungslos auszuleben.
Herr B. kontrolliert vor jeder Fahrt genauestens, ob
sein Auto auch verkehrssicher ist. Er begründet dies
vor Mitfahrern, dass die Werkstätten schon viele
gravierende Mängel übersehen hätten.
„Wer angibt, hat’s nötig!“
In einer Kampagne gegen das Rauchen wurde ein
Plakat eingesetzt, das einen erwachsenen Mann
darstellt (Porträt), der statt einer Zigarette einen
Schnuller im Mund hat.
Auf die Frage, was sie sich zum Geburtstag wünsche,
antwortet die vierjährige Lisa unter Bezugnahme auf
ihren zwei Jahre älteren Bruder Paul: „Ich würde gerne
Paul sein, denn dann könnte ich Lisa an den Haaren
ziehen.“
Denken Sie nach, ob Sie selbst solche Mechanismen einsetzen.
Beziehen Sie folgende Fragen mit ein:
 Finden Sie Fehler, die Sie bei anderen kritisieren, auch bei sich selbst?
 An wem lassen Sie meist Ihren Ärger, Ihre Wut aus?
 Gleichen Sie mangelnde Erfolge (...) durch besondere Aktivitäten auf anderen
Gebieten aus?
 Haben Sie „Sündenböcke“, d.h. Leute, auf die Sie eigenes Versagen, eigene
Schuld abschieben?
1.9 Schema der Libidoentwicklung (Freud)
(Vgl. http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/EntwicklungFreud.shtml)
Alter
Bezeichnung
Lustquelle:
Mögliche innerpsychische
Konflikte:
0–1 Lj.
2–3 Lj.
4–5 Lj.
6–12. Lj.
ab dem 12. Lj.
orale Phase
anale Phase
phallische
Phase
Latenzperiode
genitale
Phase
Mund, Saugen,
Lutschen, Streicheln,
zärtliches Berühren
After, Stuhlgang,
Spielen mit
Ausscheidungsorgane
Genitalien, „DoktorSpiele“, „Sich-nacktzeigen-und-sehenWollen“
Triebregungen
treten in den
Hintergrund –
„Sachinteresse“
Sexualorgane, Anteil
aller Phasen: Küssen,
Streicheln,
“Sehen-Wollen“ usw.
Fehlende Wärme und
Zuneigung nach
Geborgenheit; Angst
u. Streben nach
Sicherheit,
Urmisstrauen:
Urvertrauen,
pessimistische
Lebensgrundlage
Strenge
Ödipuskomplex
Reinlichkeitserziehung (Begehren des
gegengeschlechtlichen
(Hergeben :
Elternteils)
Festhalten),
Kastrationsangst beim
Verweigerungstenden Jungen; Penisneid beim
zen, Ängste zu
Mädchen (Gefühl der
Leistungszwängen,
Minderwertigkeit)
Ablehnung des
eigenen Körpers –
Ekel; Beziehung zum
ICH
Säuglinge u.
Folgerungen für Kleinkinder benötigen
die
viel emotionale
Erziehung:
Zuwendung, feste,
dauerhafte
Pädagogische Psychologie
Geduld!
Ausbildung eines
Verbote seitens der
strengen ElternEltern,
Ichs (ÜBER-ICH)
Onanie
führt zur
verstärkten
Ausbildung von
Abwehrmechanism
en
pos. Beziehung zum Kind, Anerkennung und
Vorbildwirkung von
Lob der eigenen
positive Reaktion
Mutter u. Vater
Leistungsbereit(Lob, Zuneigung),
schaft des
Spiele im Sandkasten,
Kindes
Mag. Erich Hackl
17
Beratung und
Unterstützung
Bezugsperson,
geduldige Umsorgung
– angemessene
Befriedigung oraler
Bedürfnisse
Mögliche
Schizophrenie,
psychische
Ängste, Süchte
Störung im
Erwachsenenalt
er
l
Pädagogische Psychologie
mit Ton für eine
angemessene
Befriedigung, Impulse
des eigenen Wollens
und Tun unterstützen,
Grenze ziehen
zwischen Anpassung
und Durchsetzung
Perversionen, Wahn,
Tics, Stottern,
Neurose
Mag. Erich Hackl
(erleichtert
Identifikation),
Natürlichkeit der
Genitalien (nichts
Sündhaftes) Übernahme
geschlechtsspezifischen
Rollenverhaltens
Hysterie, Homosexualität, ICH-Schwäche
Perversionen
Misserfolgsängstlichkeit
18
Akzeptieren des
schrittweise Ablösens
des Jugendlichen aus
dem Elternhaus,
Sexualität als wichtige
Form sozialer
Interaktion
Unfähigkeit zu
Partnerbeziehungen,
Sexualstörungen
1.10
Die individualpsychologische Theorie (A. A dler)
Der Begründer der Individualpsychologie ist Alfred Adler.
Alfred Adler wurde 1870 in Wien geboren. Er studierte Medizin und wurde 1910
Vorsitzender des Psychoanalytischen Vereins in Wien. 1911 kam es zum Bruch mit
Sigmund Freud (Problemkreis Sexualtheorie). Er entfaltete eine rege Tätigkeit: neben
seinen Werken hatte er einen weiten Kreis an Mitarbeitern und bemühte sich um die
Errichtung von öffentlichen Erziehungsberatungsstellen. Seit 1926 unternahm er häufig
Vortragsreisen nach Amerika, wo seine Psychologie große Beachtung fand. Er emigrierte
später mit seiner Familie in die USA. Er starb 1937 während einer Vortragsreise in
Schottland in Aberdeen. (Vgl. http://www.stangltaller.at/ARBEITSBLAETTER/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PSYCHOLOGEN/Adler.shtml )
1.10.1 Die Zielgerichtetheit des menschlichen Lebens
Im Gegensatz zur Psychoanalyse (Der Mensch ist ein vom Sexualtrieb bestimmtes
Wesen.) geht die Individualpsychologie davon aus, dass jeder Mensch einem
bestimmten Ziel zustrebt und dass das menschliche Leben zielgerichtet ist. (Vgl.
Lahmer; 2010, S. 258f)
Psychoanalyse
Individualpsychologie
Kausale Betrachtungsweise
Finale Betrachtungsweise
Woher?
Wohin?
Erklären mit Hilfe von vergangenen
Erfahrungen
Verstehen mit Hilfe künftiger Ziele
Ursachen, die zu einem bestimmten Verhalten geführt haben, sollten ebenfalls ernst
genommen werden. Wesentlicher ist jedoch die Frage, was der einzelne aus diesen
Erfahrungen macht:
Vom Besitz wird Gebrauch gemacht und dies ist ziel- und zweckorientiert.
Nach A. Adler ist die Zielstrebigkeit des Menschen das Prinzip der Einheit der
Persönlichkeit. Jede Lebensäußerung soll nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss
stets auf die Gesamtpersönlichkeit bezogen werden.
Der Lebensstil betont die Einheit der Persönlichkeit und repräsentiert die Individualität
des Menschen.
Pädagogische Psychologie
Mag. Erich Hackl
19
1.10.2 Das Minderwertigkeitsgefühl
Das Minderwertigkeitsgefühl ist der Ausgangspunkt der menschlichen Entwicklung.
Jedes Kind erlebt die Unzulänglichkeit und Unterlegenheit, dass es vieles nicht kann,
was andere um es herum bereits beherrschen.
Es handelt sich um eine kultur- und zivilisationsbedingte frühkindliche Entmutigung für
den Menschen. (Vgl. Lahmer; 2010, S. 258f)
Nach Adlers Theorie erfahren wir in der Kindheit permanente Minderwertigkeitsgefühle.
Die Überwindung dieser stellt eine zentrale Aufgabe in der Kindheit dar. „Wir
kompensieren, um Gefühle der Gleichwertigkeit oder - öfter noch – überkompensieren,
um Überlegenheitsgefühle zu erlangen“ (Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 536)
gesunde Form
des Minderwertigkeitsgefühls
gesteigerte (neurotische) Form
des Minderwertigkeitsgefühls
hoffnungsvolles Gefühl des
„Noch-nicht-Könnens“, welches mit
Lernen und Üben überwunden werden
kann.
hoffnungsloses Gefühl des
grundsätzlichen „Nicht-Könnens“ bzw.
„Nicht-Dürfens“, welches nicht
überwunden werden kann.
 Minderwertigkeitskomplex (MIKO)
(Vgl. Lahmer; 2010, S. 259f)
Der Erziehung fällt dabei eine entscheidende Rolle zu:
Bei Fehlhaltungen in der Erziehung, Geschwisterkonstellation, Organminderwertigkeiten,
Behinderung, Aussehen, soziale Verhältnisse, Misserfolgserlebnisse, Schicksale etc.
können Minderwertigkeitsgefühle entstehen.
Das Minderwertigkeitsgefühl stellt die Basis für die Erziehbarkeit dar. Wer sich in jeder
Weise vollkommen fühlt, an seiner Person keinerlei Verbesserungen nötig hält, ist kaum
als normal zu bezeichnen. Eine Lernmotivation wäre nicht mehr zu erwarten. (Vgl.
http://www.stangltaller.at/ARBEITSBLAETTER/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PSYCHOLOGEN/Adler.shtml)
Der Ausgleich des Minderwertigkeitsgefühls bedeutet nach A. Adler: KOMPENSATION.
Alles menschliche Leben ist in Bewegung, es ist ein Streben von der Minderwertigkeit
nach der Überlegenheit, dies kann in ein Sicherungs- und Machtstreben führen. Dieses
Machtstreben kann bei der Ausbildung zur Neurose eine entscheidende Rolle spielen.
Von der Unsicherheit, Unterlegenheit, Ohnmacht, geringem Prestige zur Überlegenheit,
Ansehen, Macht, Prestige, Vollkommenheit, Sicherheit ...
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20
Das Minderwertigkeitsgefühl ist der Ursprung für jegliches Tun und Handeln. Es bildet
die Grundlage des Verhaltens und der gesamten menschlichen Entwicklung. Es liegt
allem menschlichen Streben zugrunde. (Vgl. http://www.stangltaller.at/ARBEITSBLAETTER/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PSYCHOLOGEN/Adler.shtml)
Unterschied:
Psychoanalyse
Individualpsychologie
Ursprung für jegliches Verhalten und
Handeln: TRIEBE
FRÜHKINDLICHE (gelernte!)
ENTMUTIGUNG
(kultur- und zivilisationsbedingt)
1.10.3 Das Gemeinschaftsgefühl
Das Kriterium für eine gesunde (bzw. neurotische) Entwicklung bildet das
Gemeinschaftsgefühl. Dieses Gemeinschaftsgefühl wird als „Gegenkraft zum Egoismus“
gesehen.
Es besteht aus
 einer angeborene Fähigkeit und Bereitschaft (= angeborenes Gemeinschaftsgefühl),
 welches durch die Erziehung entfaltet werden muss (= entfaltetes
Gemeinschaftsgefühl).
Die Daseinsform des Menschen ist das Zusammenleben. Er ist in ein umfassendes
Ganzes – in eine soziale Situation – eingebettet. Er tritt in die Welt als ein
vergesellschaftetes Wesen. Die Wirklichkeit ist sozial. (Vgl. http://www.stangltaller.at/ARBEITSBLAETTER/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PSYCHOLOGEN/Adler.shtml)
Pädagogische Psychologie
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21
1.11
Analytische Psychologie (C. G. Jung)
Der Begründer der Analytischen Psychologie ist Carl
Gustav Jung, der selbst diese Bezeichnung gewählt hat,
um sich nach seiner Trennung von Freud (1913) besser
distanzieren zu können. Manchmal findet man in der
Literatur auch noch die Bezeichnung „Komplexe
Psychologie“, die in den letzten Jahren aber immer mehr
in den Hintergrund getreten ist.
Carl Gustav Jung ist 1875 in der Schweiz (Kesswil am
Bodensee) geboren. Jungs Vater war Pfarrer und betreute
auch die Insassen in einer Basler Irrenanstalt. In seiner
näheren Verwandtschaft gab es acht Geistliche. Sein
Großvater war Professor für Anatomie und Innere Medizin in Basel. Jung studierte
Medizin in Basel. Von 1905 bis 1913 war er Dozent für Psychiatrie an der Universität in
Zürich. Anfänglich als „Kronprinz“ von Freud bezeichnet, kam es aber später zum Bruch.
Studienreisen nach Nordafrika, Ostafrika (Kenia), USA (Arizona – Pueblo-Indianer) und
auch Mexiko (1924/25). Ebenso in den Fernen Osten (Grundfragen der philosophischen
und religiösen fernöstlichen Symbolik).
Seine wissenschaftlichen Arbeiten, sein weltweites Interesse und seine vielen Reisen
haben Jung sehr bald zu einer führenden Persönlichkeit auf dem Gebiet der
Tiefenpsychologie gemacht. Verleihung eigener Ehrendoktorate. Jung starb 1961 im 86.
Lebensjahr in seinem Haus in Künsnacht bei Zürich.
(Vgl. http://arbeitsblaetter.stangltaller.at/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PSYCHOLOGEN/Jung.shtml)
1.11.1 Wesen und Struktur der Psyche
Unter Psyche versteht Jung die Gesamtheit aller psychischen Vorgänge, sowohl der
bewussten als auch der unbewussten.
Die Psyche besteht aus zwei Sphären:
dem Bewusstsein und dem „Kollektiven Unbewussten“. Das kollektive Unbewusste zeigt
sich in bestimmte Reaktionen. Es ist verantwortlich für unser intuitives Verstehen
primitiver Mythen, Kunstformen und Symbole, welche die universellen Archetypen der
Seele sind. (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 536)
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22
Jung unterscheidet in "Psychologische Typen" vier Bewusstseinsfunktionen
Bewusstsein
ICH
Unbewusstes
Struktur des Bewusstseins in
4 Funktionen
Zentrum
des
Bewusstseinsfeldes
persönlich Unbewusstes:
aus der Lebensgeschichte des
Individuums (Vergessenes,
Verdrängtes, subliminal
Wahrgenommenes)
Empfindungsfunktion:
Wahrnehmen der Realität
Denkfunktion:
kollektiv Unbewusste:
typische Reaktionsweisen der
Menschheit seit seinen
Anfängen (ist angeboren und
von überpersönlicher Natur
Orientierung (intellektuelles Erfassen)
Fühlfunktion:
Reaktionsvermögen (Lust, Schmerz,
angenehm, unangenehm)
Intuition:
Zusammenhänge erahnen
(Vgl. http://arbeitsblaetter.stangltaller.at/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PSYCHOLOGEN/Jung.shtml)
Der Mensch hat zumeist eine Funktion besonders gut ausgebildet, die anderen weniger
– damit kann es zu Kommunikationsproblemen mit anderen kommen!
Neben der Klassifizierung in Funktionstypen unterscheidet JUNG auch nach
Einstellungen (d.h. Reaktionsweisen des Menschen auf das, was an ihn von außen
herantritt):
1.11.2 Extraversion und Introversion
Diesen Reaktionshabitus nennt Jung die zentrale Umschaltstelle, von der aus einerseits
das äußere Handeln reguliert und andererseits die spezifische Erfahrung geformt wird.
(Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Introversion_und_Extraversion)
Die Einstellung der Introvertierten ist –
wenn normal – gekennzeichnet durch:
Die Einstellung des Extravertierten ist –
wenn normal – charakterisiert durch:
 ein zögerndes, reflexives,
zurückgezogenes Wesen,
 das sich nicht leicht gibt,
 vor Objekten scheut,
 sich immer etwas in der Defensive
befindet
 und sich gerne versteckt hinter
 ein entgegenkommendes,
 anscheinend offenes und breitwilliges
Wesen,
 das sich leicht in jede gegebene
Situation findet,
 rasch Beziehungen anknüpft und sich
 oft unbekümmert und vertrauensvoll in
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23
misstrauischer Beobachtung
unbekannte Situationen hinauswagt
 unter Hintansetzung etwaiger
möglicher Bedenken
(Jung: Über die Psychologie des
Unbewussten, in GW 7, S. 47)
(Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Introversion_und_Extraversion)
Die bereits erwähnten 4 Funktionstypen können dem einen oder anderen
Einstellungstyp angehören.
1.11.3 Die Persona
Das ICH stellt die Mitte unseres Bewusstseins dar. Mit ihm stehen wir der Mitwelt
kritisch gegenüber. Der Mensch ist aber eingebunden in die soziale Realität. Wir
„spielen“ dabei bestimmte Rollen, z.B. als Patient, als Konsument, als Polizist usw.
Verstärkt nehmen wir dieses Rollenverhalten bei anderen wahr (es stört uns, wenn wir
nur als Nummer behandelt werden, etc.)
Zugrunde liegt ein psychischer Faktor, die „Persona“ (auch Maske) – hat Schutzfunktion.
Jung bezeichnet sie als Kompromiss zwischen Individuum und Sozietät.
Gefahren: Selbstwerdung (Individualität) wird unterbunden, wenn sich der Rollenträger
zu stark mit seiner Maske identifiziert. Heute Gefahren durch Vermassung: „Man“ tut...
z.B. Bei Eintritt in die Pension erfolgt die Demaskierung, Schock ... Amputation der
Persona (Vgl. Lahmer; 2010, S. 253)
1.11.4 Der Schatten
Der Schatten spielt in der innerseelischen Dynamik eine wichtige Funktion. Er wurzelt in
der Region des Unbewussten.
Der Schatten ist eine archetypische Figur, die „dunkle“ Seite, die man aus moralischen,
ästhetischen oder anderen Gründen verwirft oder nicht gerne „aufkommen“ lässt. Zeigt
sich oft an Projektionen (siehe Abwehrmechanismen) oder auch in Traumgestalten.
Andererseits findet sich im Schatten auch die Summe des persönlichen Unbewussten
(Verdrängtes, Negatives). (Vgl. Lahmer; 2010, S. 254)
1.11.5 Animus und Anima
Beide Archetypen sind im kollektiven Unbewussten vorhanden. „Jeder Mann trägt das
Bild der Frau von jeher in sich ... eine unbewusste, von Urzeiten herkommende und
dem lebenden System eingegrabene Erbmasse ... von allen Erfahrungen der Ahnenreihe
am weiblichen Wesen (Anima). Bei der Frau nimmt das Seelenbild männliche Züge an
(Animus). Die Psyche jedes Menschen enthält also Animus- und Anima-Anteile, die sein
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24
Denken und Handeln prägen. (Vgl. Keintzel; 1991, S. 97)
1.11.6 Archetypen
Archetypen stellen die Summe der Erfahrungen der gesamten Menschheit dar und sind
Ausdrucksformen des kollektiven Unbewussten. Die Summe der Archentypen bedeutet
für Jung die Summe aller latenten Möglichkeiten der menschlichen Psyche: ein
ungeheures, unerschöpfliches Material an uraltem Wissen um tiefsten Zusammenhänge
von Gott, Mensch und Kosmos.
Zentraler Archetypus ist das SELBST: es ist mehr als das ICH (Bewusstes und
Unbewusstes in aller Totalität können nicht ganz ausgelotet werden. Zeigt sich in
Träumen in symbolischer Art (Kreis, Kugel, Quadrat, König, Königin).
Das SELBST unterliegt einem lebenslangen Formungsprozess – der Individuation (Ziel
des Menschen). Individuation ist kein statisches Sein, sondern ein dynamisches Werden.
Das Ich setzt sich lebenslang mit Anteilen der unbewussten Psyche auseinander und
„hellt auf“, vermehrt damit die bewussten Anteile und verhilft zur Selbstwertung.
(Vgl. http://arbeitsblaetter.stangltaller.at/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PSYCHOLOGEN/Jung.shtml)
1.11.7 Methoden der Therapiearbeit:
 Analyse der Träume (prospektives Element im Gegensatz zur Psychoanalyse)
 Aktive Imagination (Tagtraumtechnik; die Konzentration auf ein bestimmtes Bild
(Ereignis) folgt dem freien Fluss der Assoziation)
 Kreatives Gestalten (erleichtert die Auseinandersetzung mit Bildern aus dem
Unbewussten: Malen, Plastisieren, Zeichnen, ...)
Wissenschaftliche Gesellschaften:
Österreichische Gesellschaft für Analytische Psychologie
(ÖGAP)
Kontaktadressen (http://www.cgjung-gesellschaftoesterreich.at/index.php)
Prof. Mag. Dr. Rita Skolek-Winnisch
1120 Wien, Premlechnerg. 17/13
+43 1 8046727
[email protected]
Mag. Dr. Dr. Gerhard Burda
1140 Wien, Penzingerstraße 69
+43 676 9314426
[email protected]
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25
1.12
Persönlichkeitsentwicklung nach Erik H. Erikson
Erikson wurde 1902 in Frankfurt/Main geboren. Seine psychoanalytische Ausbildung
erfolgte in Wien. Erste psychoanalytische Arbeiten über Kinderpsychologie. Später
bekam Erikson eine Professur an der Harvard Universität und war einer der führenden
Vertreter der Jugendpsychologie. Erik Homburger Erikson starb 1994 in Massachusetts.
(Vgl. http://arbeitsblaetter.stangltaller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/EntwicklungErikson.shtml)
1.12.1 Modell der psychosozialen Stadien
Erikson unterscheidet sich vom Ansatz durch einige grundlegende Elemente:
1. Die menschliche Entwicklung ist ein lebenslanger Prozess
2. Menschliche Identitätsfindung erfolgt in einer fortschreitenden Stufenfolge, einem
Lebensgrundplan.
3. Im Verlauf seiner Entwicklung macht jedes Individuum in jedem Stadium eine für
dieses typische psychosoziale Krise durch. (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 459)
Nach Eriksons Schema gibt es acht psychosoziale Stadien und damit Krisen, die sich
durch das ganze Leben erstrecken.
Größtes Interesse hat dabei das Stadium der Adoleszenz (ca. 12 bis 18 Jahre) mit der
Krisenbewältigung Identität: Rollendiffusion.
In diesem Stadium müssen die verschiedenen und oft unvereinbaren Rollenbilder und
Zielsetzungen (z.B. emotional zugängliche Mutter, wortkarger Vater, heiterer,
leichtlebiger Onkel, nachgiebiger, planloser Lehrer …), die der Jugendliche im Laufe der
Jahre wahrgenommen hat, zu einem Selbstbild geformt werden.
Schafft es der Jugendliche nicht, sich selbst zu finden (durch Experimentieren mit
unterschiedlichen Rollen), kommt es zur Identitätsdiffusion und zur Gefahr, in eine
„negative“ Identität abzugleiten.
Ein bestimmtes Maß an Identitätsdiffusion ist jedoch eine wichtige Erfahrung während
der Adoleszenz. Experimentieren mit verschiedenen Rollen ermöglicht es, spätere Krisen
(z.B. Berufsleben) besser zu bewältigen.
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26
1.12.2 Entwicklungsstadien nach Erikson
Alter
Säugling (1. Lj)
Psychosoziales
Stadium
(Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 460ff)
Krise – Lösung
Ur-Erfahrung zur ersten Bezugsperson
(Verlässlichkeit oder
Vernachlässigung);
Urvertrauen :
Misstrauen
Gefühl ist „Eckstein“ der „gesunden
Persönlichkeit“
Entwicklung der kognitiven und
motorischen Fähigkeiten („Festhalten“
und „Loslassen“);
Gefühl von Autonomie
Kleinkind (2–3 Lj)
Autonomie : Zweifel
Empfindung der Selbstbeherrschung
ohne Verlust des Selbstgefühls
rigide Reinlichkeitsdressur
permanentes Brechen des kindlichen
Willens
Kind zweifelt an seinen Fähigkeiten
Spielalter (4–5 Lj)
Initiative : Schuldgefühl
Erweiterung der
Bewegungsmöglichkeiten,
Streben nach Leistung und
Unabhängigkeit,
Besitzergreifung, Eifersucht, Rivalität
unerwünschter Eindringling –
Schuldgefühle
Schulalter (6–11
Lj)
Kompetenz :
Minderwertigkeit
Jugendalter
(12–18 LJ)
Identität :
Rollendiffusion
frühes
Intimität : Isolierung
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Schulreife: „Werksinn“, Leistung,
Anerkennung
Gefahr, wenn kindliche Aktivitäten als
„dumm“, störend zurück gewiesen
werden.
Bisherige Krisenlösungen müssen in
eine Ich-Identität münden.
Gefahren ...
Eingehen von Bindungen (sexueller,
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27
Erwachsenenalter
emotionaler od. moralischer Art),
Gefahr der generellen Distanzierung,
Selbstisolation
mittleres
Lebensalter
Generativität :
Stagnation
Produktivität und Leistungswille
Gefahr des Desinteresses, Gefühl der
Stagnation
Erkennen des Lebenssinns, Erfülltheit
Alter
Integrität : Verzweiflung
Gefahr der Sinnlosigkeit,
Enttäuschung, Lebensüberdruss
Insgesamt sollte man jedoch Eriksons Modell nicht ontologisieren (d.h. als sei dies ein
geheimer Schöpfungsplan, der für alle Zeiten unabänderlich gilt), sondern als Versuch
betrachten, der uns mit seinen Hypothesen helfen kann, die menschliche Entwicklung –
und mögliche Fehlentwicklung – schärfer zu sehen und besser zu verstehen (Gudjons;
1994, S. 112).
Die entwicklungspsychologischen Modelle von S. Freud und E. Erikson werden nicht
mehr in divergierender Form dargestellt, sondern bilden in sich eine Ergänzung. Die
psychosexuelle Entwicklung mit der psychosozialen Entwicklung dient als gutes
Erklärungsmodell, welches in der Fachliteratur sehr häufig verwendet wird.
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28
1.12.3 Persönlichkeitstheorien im Vergleich
(Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 549)
Freud
Adler
Jung
Erikson
Zentraler Punkt:
Zentraler Punkt:
Zentraler Punkt:
Zentraler Punkt:
Betonung des
Sexualtriebes
(Lustprinzip)
Minderwertigkeitsgefühl
Gemeinsamkeit
aller psychischen
Vorgänge
Entwicklung ist ein
lebenslanger
Prozess.
Libido : Thanatos
Lebensenergie:
Bewusstes und
finale Betrachtungs- Unbewusstes
weise
(persönl. + kollektiv
Unbewusstes)
Betonung des
Gemeinschafts- Archetypen
gefühls
- Persona
- Schatten
Sicherungs- Animus und
verhalten
Anima
kausale
Betrachtungsweise
Psychischer Apparat:
ES, ICH, ÜBER-ICH
ICH: Realitätsprinzip
ES: Lustprinzip
ÜBER-ICH:
Moralitätsprinzip
Versuch der
„Kompensation“
Private Logik
ICHSchutzmaßnahmen:
Abwehrmechanismen
Betonung
frühkindlicher
Erfahrungen
Persönlichkeitsentwicklung in Phasen
Wo ES war, soll ICH
werden
Therapie:
Freies assoziieren,
Traumdeutung
Pädagogische Psychologie
Triebentwicklung
nur in Verbindung
mit sozialem
Umfeld.
Persönlichkeitsentwicklung in 8
psychosoziale
Stadien mit Krisen
eingeteilt.
Ziel des Menschen:
Individuation
- Therapie
- Traumanalyse
- Aktive
Imagination
- Kreatives
Gestalten
Jung fordert als
erster eine
Lehranalyse
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29
1.13
Existenzanalyse und Logotherapie nach Viktor E.
Frankl
Der Wiener Psychiater und Neurologe Viktor E. Frankl
(geb. 1905) begründete die sogenannte:
„Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“
(http://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Frankl) in den dreißiger
Jahren als Ergänzung zur Tiefenpsychologie Freuds und
Adlers, von denen er sich damit auch absetzte.
Dabei konnte er, um nur ein Beispiel herauszugreifen, enorme
Erfolge bei der Bekämpfung der „Arbeitslosigkeitsneurose“
verbuchen, einer verbreiteten Problematik jener Jahre, die
sich in Massendepressionen und vielfachen Verzweiflungstaten
äußerte. Er konnte zwar auch den betroffenen Patienten zu
keiner Arbeit verhelfen, doch gelang es ihm häufig aufzuzeigen, dass auch sie sich in
irgendeiner Form sinnvoll engagieren könnten und dass ihr Wert und ihre Würde als
Person an keinerlei äußere Bedingungen geknüpft sei, sondern sich darin kundtue, in
welcher Haltung sie sich innerlich zu den jeweiligen Bedingungen einstellen würden.
Während des 2. Weltkrieges wurde Frankl in die Zwangslage versetzt, dieses Bild selbst
zu leben: er verbrachte 3 Jahre in vier Konzentrationslagern und verlor seine ganze
Familie. Dies war der Prüfstein seiner Lehre – er zweifelte niemals am Sinn des Lebens
und der Möglichkeit, ihn konkret und augenblicksbezogen zu verwirklichen. Später
wurde in amerikanischen Studien an Vietnamheimkehrern verifiziert, dass dem „Willen
zum Sinn“ tatsächlich ein „survial value“ zukommt, weil verborgene Kräfte im Menschen
frei werden, sobald und solange um ein „Wozu“ gewusst wird.
„Derartige Kräfte nicht nur zum Überleben, sondern allgemein zur Gesundung und zur
Überwindung von seelischen Barrieren freizusetzen und nutzbar zu machen, ist das
zentrale Anliegen der Logotherapie bis zum heuten Tag geblieben“.
(Lukas; 1995, S. 8.)
Frankl schrieb eine große Anzahl von Büchern (Trotzdem ja zum Leben sagen) und
entfaltete in den letzten Jahrzehnten eine rege Vortragstätigkeit in der ganzen Welt.
Besondere Verbreitung fand sei Gedankengut in Nord- und Südamerika. Erst 1983
wurde in Wien ein Logotherapie-Institut eröffnet und eine Gesellschaft für Logotherapie
und Existenzanalyse eröffnet. (Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Frankl)
1.13.1 Exkurs: Humanistische Psychologie
Frankl zählt neben Maslow, Carl R. Rogers u.a. zu Vertretern der sog. Humanistischen
Psychologie. Zentraler Begriff in dieser Konzeption ist der Mensch mit seinem bewussten
Erleben. Der Mensch nimmt die Gesamtheit der Kognitionen, Emotionen und
Motivationen bei sich wahr („Selbstkonzept“) und erlebt die Umwelt und seine
Mitmenschen. Neben der Ganzheitlichkeit betonen die humanistischen Psychologen den
Prozesscharakter des psychischen Geschehens: es befindet sich ständig in einem
Vorgang des „Selbstverwirklichung“.
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30
Der Mensch hat die ihm innewohnende Tendenz zur Selbstverwirklichung. Unter
günstigen Umweltbedingungen (Erziehung!) trägt sie zur Entfaltung individueller Motive
und Kompetenzen und zu einer vertieften Selbst-Bewusstwerdung bei. (Vgl. Hilgard
et.al.; 2001, S.459ff)
Dem existentialischen-humanistisch orientierten V. E. Frankl bedeutet
Selbstverwirklichung, die vom Individuum immer wieder zu leistende Aufgabe zu
bewerkstelligen und der eigenen Existenz Sinn zu verleihen. Ganz Mensch ist jemand,
der sich übersieht und vergisst, der im Dienst einer Sache oder in der Erfüllung einer
Aufgabe steht. (Vgl. Lahmer; 2010 S. 260)
Ziele und Aufgaben der Existenzanalyse und Logotherapie
Existenz
Vollzogenes „ganzes“ Leben
(nicht aus sich selbst, sondern Hinwendung zu den Sachen
und/oder Personen)
Analyse
Erhellung, Klärung der Lebensumstände auf bessere Möglichkeiten
hin
Im Mittelpunkt steht die Zukunft, die künftige Lebensgestaltung.
Projektanalyse
Erhellung jener Bereiche, die sich im heutigen Leben als hinderlich
erweisen
„Lebensquere“ Einstellungen – keine Archäologie im Sinne Freuds
Förderung der
personalen
Fähigkeiten
Von der Fremdhilfe zur Selbsthilfe; von der Orientierungslosigkeit
(Sinnlosigkeit = existentielles Vakuum) zur Sinnerfüllung.
„Sie haben zwar alles, wovon sie leben können, doch nichts, wofür
sie leben können.“ (Frankl)
noogene Neurose = rein geistiges Gefühl der Sinnlosigkeit
Das Gewissen stellt Geistigkeit dar (phänomenaler Urtatbestand),
durch welches Leib und Seele zur verantwortlichen Ganzheit
integriert werden.
Suche nach neuen Möglichkeiten sinnvoller Lebensgestaltung (Logos
= Sinn)
Logotherapie
Wiederherstellung der „Transzendenz der Existenz“ = der Mensch
(auch
vollzieht sein Dasein, indem er „sich selbst“ (rein biologisches,
sinnzentrierte
triebhaftes) „übersteigt“ = transzendiert.
Psychotherapie)
Logotherapie ist ein Teil der Existenzanalyse. Die Stärke der
Logotherapie liegt in der Hilfe für die Bewältigung schwieriger,
unausweichlicher Lebenssituationen, z.B. Krankheiten, Verluste usw.
Methode
Einzelgespräche
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31
phänomenologisch = verstehend, nicht deutend
dialogisch = den Patienten in Austausch mit seiner Welt bringend
(Versuch der „existentiellen Wende“ – „Ich bin da, um mein Leben
anzugehen, statt auf es zu warten …“
Paradoxe
Intention
Technik, mit der es durch Selbstdistanzierung gelingt, Probleme
(z.B. Ängste) besser in den Griff zu bekommen – z. B. paradox
(wünscht sich z.B. Angst herbei, ironisierend)
(Vgl. Zusammenfassung aus: Lahmer; 2010, S. 260f und http://www.univie.ac.at/logotherapy/d/logotherapie.html)
„Der Sinn des Lebens, haben wir gesagt, sei nicht zu erfragen, sondern zu beantworten,
indem wir das Leben verantworten. Daraus ergibt sich aber, dass die Antwort jeweils
nicht in Worten, sondern in der Tat, durch ein Tun zu geben ist. Außerdem muss sie der
ganzen Konkretheit von Situation und Person entsprechen, diese Konkretheit gleichsam
in sich aufgenommen haben. Die rechte Antwort wird somit eine tätige Antwort sein und
eine Antwort in der Konkretheit des Alltags – als des konkreten Raumes menschlichen
Verantwortlichseins.“ (Frankl; 1982, S. 154)
Auf der Suche nach zukünftigen Möglichkeiten, im speziellen nach dem Sinn wird die
Existenzanalyse zur Logotherapie. Frankl übersetzt „Logos“ mit Sinn. Logotherapie ist
somit eine Hilfestellung auf der Suche nach dem Sinn. (Vgl. Lahmer; 2010, S. 261)
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32
2. Das Jugendalter
Das Jugendalter stellt eine mehr oder weniger krisenhafte Überwindungsperiode
zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter dar. Eine genaue Abgrenzung dieser
Periode ist nicht möglich, weil weder das Ende der Kindheit noch der Beginn des
Erwachsenenalters exakt bestimmbar ist. Das Stadium des Jugendalters wird teilweise
durch die kulturelle Norm festgelegt. Kulturelle Erwartungen bestimmen teilweise
Aspekte der psychischen Erfahrung. (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 493)
Eine ungefähre Eingrenzung kann nach biologischen und psycho-sozialen
Gesichtspunkten erfolgen.
Eintritt der Geschlechtsreife

Eintritt ins Erwerbsleben (Heirat) 
Ende der Kindheit
Ende der Jugend
Anmerkung:
Wer bis in die Mitte der zwanziger Jahre studiert und von den Eltern abhängig bleibt,
erlebt die Jugend anders als der Absolvent der Lehre, der mit 20 voll im Beruf steht und
vielleicht schon eine Familie gründet.
In der Psychologie wird das Jugendalter in die
1. Vorpubertät (bis zur Geschlechtsreife)
2. Pubertät
3. Adoleszenz (Übergang ins Erwachsenenalter) unterteilt.
(Vgl. http://lexikon.stangl.eu/590/pubertaet/)
2.1 Vorpubertät
= Zeitspanne (ca. 1 Jahr) zwischen dem Auftreten der sekundären
Geschlechtsmerkmale (Brustdrüsen, „Knospenbrust“, Hüftrundungen; Bartwuchs,
Behaarung, Stimmbruch) und dem Beginn des Funktionierens der Geschlechtsorgane (=
primäre Geschlechtsmerkmale) wie erste Menstruation (Menarche) beim Mädchen und
erste Samenejakulation beim Knaben (ca. 10-12 Lj. beim Mädchen; 12–14 Lj. beim
Knaben). (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 321f)
2.1.1
Präpuberaler Wachstumsschub und geschlechtliche Differenzierung
Die auffälligste Erscheinung in der Vorpubertät ist das rasche und plötzliche einsetzende
Längenwachstum (= zweiter Gestaltwandel; erster Gestaltwandel bei Übergang
zwischen Kleinkindform zur Schulkindform). Das Wachstum ist unharmonisch; daher oft
schlaksiger Eindruck des Jugendlichen; Bewegungskoordination muss gelernt werden.
Beginn des Wachstumsschubes: Bei Mädchen um ca. zwei Jahre früher!
Mädchen
frühester Beginn 7,5 Lj.
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spätestens mit 12 Jahren
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33
Knaben
frühester Beginn 10 Lj.
spätestens mit 13,5 Jahren
(Mädchen ca. 16 kg Zunahme und 16 cm größer; bei Knaben ca. 20 kg und 20 cm)
Am Ende des Wachstums bildet sich durchschnittlich ein Größenunterschied von ca. 12
cm zwischen Mädchen und Knaben aus. Das Wachstum beginnt mit den Füßen und
endet mit dem Rumpf (Wenn die Schuhe rasch zu klein werden, beginnt der
Wachstumsschub!) Beim Knaben kommt es zu einer physischen Kraftsteigerung.
Mädchen sind den Knaben hinsichtlich der Feinmotorik überlegen. (Vgl. SchenkDanzinger; 1996, S. 322ff)
2.1.2
Problem der Akzeleration
Die zeitliche Vorverschiebung der körperlichen Reifung bezeichnet man als Akzeleration.
(Gegenteil: Retardation). Das Akzelerationsphänomen kann schon bei der Geburt
beobachtet werden: Schon Säuglinge sind heute um einige Zentimeter größer als noch
vor 20 bis 30 Jahren; 6- bis 7-Jährige sind heute durchschnittlich 8 bis 10 cm größer als
zu Beginn des Jahrhunderts.
Untersuchungen in Kärnten zeigten schon im Zeitraum zwischen 1953 und 1961, dass
die Menarche 1961 um 8 Monate früher eintrat als im Jahre 1953. Bei den Knaben
zeigte sich derselbe Effekt bzgl. des ersten Samenergusses. Weiters wurde festgestellt,
dass die Kinder der Mittel- und Oberschicht stärker akzeleriert waren als die Kinder der
Unterschicht. (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 324f)
Um die Jahrhundertwende waren Männer und Frauen mit ca. 25 völlig ausgewachsen;
heute mit ca. 17 Jahren!
Erklärungsversuch (multifaktorielle Theorie): bessere Ernährung, bessere hygienische
Verhältnisse, Reizüberflutung, ... raschere Anpassung an die Lebensverhältnisse der
Gesellschaft. (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 326f)
Geringere Akzeleration bei „schwerer Kindheit“.
2.1.3
Psychische Auswirkungen der Akzeleration
Die Akzeleration bedeutet eine Verkürzung der Kindheit, eine verfrühte hormonale
Umstellung. Diese bewirkt unter anderem: (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 327f)
 Selbstbehauptungstendenzen (eher beim Knaben)
 Hingabetendenzen, Zärtlichkeitsbedürfnis (beim Mädchen)
 früheres Ansprechen auf sexuelle Reize (Erotisierung der Umwelt)
 Verlagerung der Interessen aus der Familie; Beziehungsaufnahme zum anderen
Geschlecht
Daraus entstehen große Orientierungsprobleme, Verunsicherungen.
Pädagogische Psychologie
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34
Erziehungsproblem: Oft wird der akzelerierte Jugendliche von der Umwelt überschätzt.
Verhaltensweisen werden erwartet, die ein Versagen herausfordern. Man erwartet
stabile Zukunftspläne, klare Interessen, der Knabe soll „ Kavalier“ seiner Mutter
(Schwester) sein usw. Vorschnelle Reaktionen von Eltern verletzen oft das
Selbstwertgefühl. Die Vorpubertät ist vielfach ein biosoziologisches Phänomen. (Vgl.
Schenk-Danzinger; 1996, S. 327f)
2.1.4
Probleme im Zusammenhang mit Spätentwicklern
 Oft mit starken Minderwertigkeitsgefühlen verbunden (Rolle des Außenseiters, der
wenig „Ansehen“ hat)
 Kann lange nachwirken (Aufbau eines negativen Selbstbildes)
 „Rebellieren“ eher gegen Eltern als Frühreife
 Spätreifende Mädchen haben weniger Probleme; können sich aber isoliert fühlen
 Mädchen haben Möglichkeiten der positiven Kompensation (sie sind im Sport besser;
bessere Schulleistungen). (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 328f)
2.1.5
Erscheinungen der Vorpubertät beim Knaben
 Kraftsteigerung
 erhöhtes Bewegungsbedürfnis (Wettbewerb, Ausdauer zum Training)
 gesteigerte Aggressivität
 Freude an Sinneseindrücken (Videospiele, Geräusche, Knallerbsen, Lichteffekte, Spiel
mit dem Feuer)
 Gesteigerte Abenteuerlust und Unfugbereitschaft
 Zusammensein mit Gleichaltrigen (Gemeinschaftserlebnis, emotionales
„Zusammenschwingen“) (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 331f)
2.1.6
Die Beziehung zu Eltern und Lehrern
 Konflikte mit den Erwachsenen (Waschen wird unbeliebt, Pünktlichkeit zum Problem)
 Versuch einer persönlichen Autonomie. Kritische Phase für die Festigung des
Selbstwertgefühls.
 Erwachsene müssen den Heranwachsenden für voll nehmen, ihm Verantwortung
zumessen, ihn „ernst“ nehmen. Autoritäre Lehrer, die sich vor allem mit dem
„Niederhalten“ der Klasse beschäftigen, erleben sicher Widerstand.
 Jüngere Kinder lassen große Ungerechtigkeiten eher über sich ergehen.
Vorpubertierende bieten Trotzreaktionen. (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 334f)
Die Entwicklung im kognitiven Bereich ist durch ausgeprägte Wissbegierde
gekennzeichnet. Zusammenhänge wollen erkannt werden (Erfinder, Entdecker,
Abenteurer …). Das Bedürfnis zum Sammeln ist erweckt (Popidole, Schlagertexte,
Briefmarken ...), Abenteuerlust entwickelt sich (Lektüre von Krimis, Western ...). (Vgl.
Schenk-Danzinger; 1996, S. 336f)
2.1.7
Besondere Erscheinungen der Vorpubertät beim Mädchen
Veränderungen der Grundstimmung
Pädagogische Psychologie
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35
Positiv getönte Erregungsphase (körperliche Unruhe, Rededrang, Bereitschaft, über alles
zu lachen) Einige Monate vor der Menarche kommt es zum plötzlichen Umschwung:
„negative Phase“. (Hetzer; 1926 in Schenk-Danzinger; 1996, S. 338)
Die Stimmung schwankend, leicht depressiv (Labile Affektivität: Konflikt mit den Eltern,
rasch wechselnde Freundschaften, launisches Benehmen, „Schwänzen“ der
Turnstunden, nur Lesen und Fernsehen!) (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 338f)
Negative Phase meint also, die individuell unterschiedlich ausgeprägte Bereitschaft zur
Stimmungslabilität, die in der Pubertät noch erhalten bleibt und während der Adoleszenz
allmählich verschwindet.
Hormonale Grundlage: abnehmende Wirkung des Hormons ACTH (=
adrenocortiocotropes Hormon). Es wird in der Hypophyse gebildet und sendet unter
anderem fördernde oder hemmende Reize an das ZNS.
Die Mädchen entwickeln ein Eigenleben (wenig Bedürfnis nach Gruppenbildung; eher
einige Freundinnen, aber auch Alleinsein). Das Interesse gilt sehr oft sexuellen Themen
(Liebesabenteuer, Vorgang der Geburt), Filmhelden, Schwärmerei (Lehrer, Popstars,
Posters, Autogramme), Liebe auf Distanz, „Überbrückungshilfe“ Flirt, sexuelle
Phantasien (Probleme: hat der Flirt stattgefunden, Erzählung an Freundin ...)
Einsetzendes Bedürfnis nach erotischer Wirkung: Modebewusstsein; oft Übertreibungen:
Kürze, Länge, Farben, etc. (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 340f)
Bereits in dieser Zeit Bewusstheit über mögliche soziale Benachteiligung
(Minderwertigkeitsgefühle); Gefühle des Ausgeliefertseins an das Schicksal (zusätzlich
oft das Fehlen eines sicheren familiären Rückhalts); größte Angst vor der persönlichen
Zukunft (Untersuchung Tursky, 1972). (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 342)
Stabilisierung des Selbstwertgefühls ist bei Mädchen oft schwieriger (Rollenbild der
Frau: das „schwache“ Geschlecht; Mutterrolle; Bevorzugung des Bruders, oft werden
„weibliche“ Bedürfnisse verdrängt: burschikoses Verhalten). Das Ablösen von der Mutter
ist oft nicht einfach. Die Gefühlslage ist ambivalent (ein Hin-und-Her). Auflehnung
gegen sie, möchte sich aber gern wieder „anlehnen“  daher: Schuldgefühle. (Vgl.
Schenk-Danzinger; 1996, S. 342f)
2.2 Pubertät und Adoleszenz
Als Pubertät wird die Übergangszeit vom Beginn der Geschlechtsreife (ca. 10–14 Jahre)
bis zum Abschluss der physiologisch-geschlechtlichen Entwicklung (ca. 16–18 Jahre)
bezeichnet.
Mit dem Begriff Adoleszenz bezeichnet man jenen Gesamtzeitraum, der mit dem
Einbruch der Pubertät beginnt und dann den Übergang in das Erwachsenenalter
beschreibt (kann über 20 Jahre hinausgehen).
Folgende Hauptmerkmale kennzeichnen diesen Abschnitt:
 Biologische Reife (Umgang mit der Sexualität)
 Soziale Integration (Ablösung von den Eltern, gesellschaftliche Anpassung,
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36
Berufsfindung, Arbeitsprozess)
 Prozess der Verselbstständigung, Selbstfindung (Ich-Identität, persönliche
Bedürfnisse, autonome Moral, Werte)
2.2.1
Entwicklungsaufgaben für den Jugendlichen
Havighurst (1982) hat einen Überblick über die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters
gegeben:
1. Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung und effektive Nutzung des
Körpers.
2. Erwerb neuer und reiferer Beziehungen zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts.
3. Erwerb der männlichen und weiblichen sozialen Rolle.
4. Gewinnung emotioneller Unabhängigkeit von Eltern und anderer Erwachsenen.
5. Vorbereitung auf eine berufliche Karriere.
6. Vorbereitung auf eine Heirat und das Familienleben.
7. Entwicklung eines sozial verantwortungsvollen Verhaltens.
8. Aufbau eines Wertsystems und eines ethischen Bewusstseins als Richtschnur für
das eigene Verhalten und Entwicklung einer Weltanschauung. (Vgl. SchenkDanzinger; 1996, S. 356)
Der Katalog zeigt wesentliche Themen, die jedoch gerade heute in einigen Punkten für
manche fragwürdig erscheinen (Ehe wird durch „lose“ Beziehung oder Single-Dasein
ersetzt, Aufbau einer Berufs-Karriere wird durch Verzicht auf materielle Güter ersetzt,
...).
2.2.2
Das Coping
Seit den 60iger Jahren erfolgte (ausgehend von Amerika) eine Abkehr von
Beschäftigung mit Jugendkrisen und -konflikten. Oft bewältigen Jugendliche ihre
Entwicklungsaufgaben ohne oder mit nur vorübergehenden Schwierigkeiten erfolgreich.
Heute stellt man sich mehr die Frage: „Wie bewältigt der Jugendliche alle
Herausforderungen?“
Welcher Methoden bedient er sich?
Es ist nicht mehr die Reifung und das „passive“ Lernen (Verhaltensänderung) im
Vordergrund, sondern das aktive, prozesshafte Mitgestalten. Auf die Bedeutung der
aktiven Selbststeuerung des Individuums wird hingewiesen. Man spricht von CopingStrategien (= Problembewältigungs-Strategien). (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S.
364ff)
Untersuchung von Seiffge-Krenke (1985) über Coping-Strategien:
Unterschiede zw. Mädchen und Burschen:
 Mädchen neigen öfter zu offenen Aussprachen
 Mädchen beschäftigen sich stärker mit ihren Problemen
 Mädchen sind eher bereit, Kompromisse zu schließen
Pädagogische Psychologie
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37
 Burschen sind eher sorgloser
 Burschen neigen eher dazu, der Problemlösung durch Alkohol (auch Drogen) zu
entgehen (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S. 366)
2.2.3
Biologische Grundlagen
Endogene Steuerung durch verschiedene Hormone (Hormone der Hypophyse, der
Schilddrüse und Geschlechtshormone) bis zur endgültigen Gestaltbildung des
männlichen oder weiblichen Körpers (z.B. der Uterus (= Gebärmutter) ist erst mit ca.
16–18 Jahren voll entwickelt).
2.2.4
Sexualität
Sexualität spielt im Rahmen der Gesamtentwicklung eine bedeutende Rolle. Das
Verhalten der Eltern wirkt vielfach beispielgebend. Eriksons „Urvertrauen“ wirkt sich auf
die spätere Beziehungsfähigkeit entscheidend aus. Wichtig ist, dass die Fragen des
Kindes als etwas völlig Normales betrachtet werden. Das Schulkindalter ist ein günstiger
Zeitraum für die sachliche Behandlung sexueller Fragen. (Vgl. Illichmann; 1996, S. 166)
Erfahrungen mit Küssen haben 77% der Mädchen und 81% der Burschen unter 14
Jahren. Nur 7% der befragten jungen Erwachsenen ab 18 Jahren haben noch nie
geküsst. Mit 14 Jahren hat bereits die Hälfte der Mädchen und Burschen intimeren
Kontakt in Form von Petting (Weidinger/Kostenwein/Drunecky, 2001). Das Interesse in
der Jugendsexualität richtet sich vor allem auf das Alter, in dem das „erste Mal”
stattfindet. Schmidt (2005) konstatiert, dass der Trend zur Vorverlegung des ersten
Koitus abgenommen hat. Eine Ausnahme stellen Mädchen dar, die ihren ersten
Geschlechtsverkehr früh, d.h. bis 16 Jahre, erleben. „Die allermeisten Jugendlichen,
deutlich über 80 Prozent, haben ihren ersten Geschlechtsverkehr heute irgendwann
zwischen fünfzehn und neunzehn Jahren, was eine relativ große Varianz bedeutet.
(Schmidt, 2005, S. 18). (Vgl.
http://bmwa.cms.apa.at/cms/content/attachments/9/3/7/CH0618/CMS1315399155765/
sechster_jugendbericht_auf_einen_blick.pdf)
Liberalisierung der Sexualität hat nicht zur Entkopplung von Sexualität und
Partnerschaft geführt: Für 70 % der weiblichen und 45 % der männlichen Jugendlichen
ist „ein fester Partner, den man liebt“, Voraussetzung für den Koitus.
2.2.5
2.2.6
Soziale Integration
Hinwendung zur Gleichaltrigengruppe
Peergroups haben eine enorme Bedeutung für die Entwicklung; basieren auf einer
freiwilligen Mitgliedschaft. Peergroups vermitteln Sicherheit und Geborgenheit – sie sind
ein Übungsfeld für Unabhängigkeit von der Erwachsenenkontrolle.
Burschen erleben „Action“, Mädchen erproben Wertschätzung und Beliebtheit,
Erfahrungen mit erotischer Attraktivität; Raum zum Experimentieren von Rollen, Werten
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38
und Normen. Oft können aber Peergroups auch erhebliche Konformitätszwänge
ausüben und in den subkulturellen Varianten Übergänge zur Kriminalität oder
Drogenszene bilden (also positive und negative Seiten!). (Vgl. Schenk-Danzinger; 1996, S.
360)
2.2.7
Identitätsfindung als zentrale Aufgabe
Die Unterschiedlichkeit der Rollen muss so bewältigt werden, dass die Jugendlichen das
Gefühl der Kohärenz haben (ich bin derselbe in verschiedenen Handlungssituationen,
„ich bin mir selbst treu“).
Es kommt zuerst zum Probehandeln. Möglichkeiten der Identität werden durchgespielt
und wieder verworfen (Subkulturen, Kleidung, Abzeichen, Symbole).
„Ich bin ein Skinhead, ich bin ein Punk, ich bin ...“. Stücke zur Identität, ein wenig
Sicherheit gegenüber der verunsichernden Orientierungslosigkeit.
Oft kommt es zu Identitäten, die in großem Widerspruch zu den Erwartungen des
Elternhauses oder zu gesellschaftlich gebilligten Lebensformen stehen. Man „flippt“ aus,
deklariert sich als „Homo“ oder als „bisexuell“, verweigert den Einstieg in die Berufsrolle,
taucht in die Drogenszene ab. Nach Erikson ein Abgleiten in die „negative Identität“.
Kann sich der Jugendliche nicht „fassen“, kommt es zur „Identitätsdiffusion“. (Vgl.
Lahmer; 2010, S. 216)
2.3 Aktuelle Tendenzen der Jugendforschung
(Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend, Sektion Familie und
Jugend. 2011)
http://bmwa.cms.apa.at/cms/content/attachments/9/3/7/CH0618/CMS1315399155765/
sechster_jugendbericht_auf_einen_blick.pdf
 Jugendforschung ist heute ein Teil der gesamtgesellschaftlichen
Strukturwandlungsforschung. Keine singuläre Generation, sondern oft eine
„kulturproduzierende Größe“ – kein Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse, Jugend
als „Trendsetter“ für die Älteren!
 Die heutige Jugendphase dauert länger und ist gegenüber der Erwachsenen– und
Kindheitsphase nicht mehr eindeutig abgrenzbar. Die gesellschaftlichen
Lebensbereiche werden durch die Vielfältigkeit immer ähnlicher.
 Im Gegensatz zu früher gibt es heute keine vorhersehbare Lebens- oder
Karriereplanung. Heute gibt es ungeahnte Freizügigkeit und Chancenvielfalt der
Lebensplanung. Traditionelle Orientierungsmuster sind zerbrochen (z.B.
Offizierslaufbahn), eine enorme Pluralisierung der Lebensentwürfe.
 Immer mehr Jugendliche besuchen immer länger schulische Bildungseinrichtungen.
 Phänomen der „Postadoleszenz“: z.B. Student, der seinen eigenen Porsche fährt,
aber zu Hause wohnt und finanziell abhängig ist ... Es besteht ein Widerspruch
zwischen individueller Selbstbestimmung und materieller Abhängigkeit.
 Heute vermehrt ein Wertewandel (Ökobewusstsein) – eine postmaterialistische
Orientierung. Werte richten, orientieren sich am Sinnkriterium von Tätigkeiten.
Begriffe: Solidarität, Mitmenschlichkeit, Engagement für andere, ökologische
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39
Lebensweise usw.
 Tendenz des zunehmenden Rechtsextremismus ist bei Jugendlichen in Österreich in
den letzten Jahren nicht zu bemerken. Sowohl Rechtsextremismus als auch
Linksextremismus bewegen sich konstant auf niedrigem Niveau.
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40
3. Psychische Störungen
Eine psychische Störung liegt dann vor, wenn ein Mensch in seinen Verhaltensweisen
oder seinem Erleben ernsthaft beeinträchtigt ist, sodass die Person bei der normalen
Lebensbewältigung und dem Erreichen der Ziele behindert wird. (Vgl. Zimbardo,
Gerrig; 1999, S. 602)
Oft werden psychische Störungen auch als Verhaltensstörung oder
Verhaltensauffälligkeit bezeichnet.
Richtlinien zur Klassifikation und Diagnose von Geisteskrankheiten und psychischen
Störungen veröffentlicht in regelmäßigen Abständen die „American Psychiatric
Association“. Die derzeit gültige Version nennt sich „Diagnostic und Statistical Manual of
Mental Disorders“ (DSM). (Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 602)
Mit der Einführung der DSM wurde die traditionelle Trennung in Psychose und Neurose
aufgegeben, da die Begriffe mittlerweile so umfassend waren, dass sie als diagnostische
Kategorie nicht mehr brauchbar waren.
Zum Problem der Norm (normal: anormal (abnorm); Grenze ist fließend):
die statische Norm
die ideale Norm
die funktionale Norm
der errechnete
Durchschnitt, das
objektive Kriterium
was sein soll; aufgrund
gesellschaftl. kultureller,
ideologischer, schichtspezifischer Erwartungen
das subjektive Empfinden
des Individuums
das subjektive Kriterium
das soziokulturelle Kriterium
(Vgl. Lahmer; 2010, S.276)
Unterschiede
Die Psychiatrie befasst sich vor allem mit jenen psychischen Erkrankungen, die durch
Verletzungen, Erkrankungen oder durch angeborene Schäden des Nervensystems
entstanden sind und mit einem starken Abbau der Persönlichkeit und einem extremen
Realitätsverlust einhergehen (Psychosen).
Die Klinische Psychologie beschäftigt sich mit jenen Störungen, die ihren Ursprung im
Erleben und Verhalten des Individuums selbst haben (psychogene Störungen z.B.
Neurosen).
3.1 Neurosen
Neurosen sind von der Norm abweichende Verhaltensweisen, die nicht auf organischen
Störungen beruhen. Sie betreffen nur Teilbereiche des Menschen. Ein wesentliches
Merkmal der Neurose ist die Angst. Unter einer Neurose versteht man weiters eine
störende, länger andauernde psychische Einstellung oder Verhaltensgewohnheit, die
Pädagogische Psychologie
Mag. Erich Hackl
41
durch die eigene Biographie entstanden ist. (Vgl. Lahmer; 2010 S. 278)
Es besteht eine Diskrepanz zwischen äußerem Verhalten und inneren Tendenzen.
3.1.1
Ursachen von neurotischem Verhalten
Je nach dem Zugang (Psychodynamisch, Behavioristisch, etc.) wird nach der Ursache
der Neurose gesucht. Dementsprechend werden daher auch divergierende Therapien
zur Behandlung herangezogen. Mögliche Ursachen können sein:
 Minderwertigkeitsgefühle, innere Konflikte (ES: ÜBER-ICH); infantile Reaktionen (Frau
reagiert gegenüber ihrem Mann wie einst gegenüber ihrem Vater); Schuldgefühle
usw.
 Bei Kindern: Beziehungsmangel durch die Eltern (Liebesentzug), rigides
Erzieherverhalten, leistungsmäßige Überforderung, Überbehütung
3.1.2
Formen der Neurose
Angststörungen
Unter bestimmten Bedingungen ist Angst eine angeborene Reaktion auf unkontrollierbar
eingeschätzte Situationen. Eine Angststörung, vielfach auch Angstneurose, zeichnet
sich durch extreme, ungerichtete Angstzustände aus. Man spricht von übersteigender
Angst. Sie überfällt den Betreffenden plötzlich und ohne erkennbaren Grund und ist oft
begleitet von Unbehagen, Atemnot, Herzbeschwerden, Schweißausbrüchen, nervlicher
Erschöpfung etc.  psychosomatische Beschwerden. (Vgl. Lahmer; 2010, S. 278)
Beispiel:
Jemand ist ständig in Panik und glaubt, einem Familienangehörigen passiert etwas
(z.B. Autounfall, Krankheit, etc.).
Phobien
Bei Phobien richtet sich die Angst auf bestimmte Situationen und Objekte, jedoch meist
unangemessen, da das Objekt meist keine wirkliche Gefahrenquelle darstellt. Dem
Phobiker ist das zwar klar, er kann sich aber nicht wehren. (Vgl. Lahmer; 2010, S. 278)
Pädagogische Psychologie
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42
Man unterscheidet:
Soziale Phobien
Agoraphobien
Einfache spezifische Phobien
werden in Gegenwart
anderer Menschen
ausgelöst:
 Klaustrophobie
(Platzangst; enge
Räume, Lift, U-Bahn...)
 Agoraphobie (Angst vor
dem überschreiten
weiter Plätze)
 Akrophobie
(Höhenangst)
Verbreitete Tierphobien sind
Mäuse-, Katzen-, Schlangenund Spinnenphobien usw.
z.B. Angst zu erröten
(Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 615)
Zwangsneurose
Bei der Zwangsneurose drängen sich dem Betreffenden bestimmte stereotype
Handlungen oder Gedanken immer wieder auf. Sie sind unangenehm, er kann sie
aber nicht verhindern.
Oft führen verdrängte Wünsche und Schuldgefühle zu diesem Verhalten.
Man unterscheidet:
Zwangsvorstellung
Zwangsimpulse
 z.B.
 starker Drang,
 Wasch-, Putz, Zähl- oder
Selbstmordgedanken;
bestimmte Handlungen
Überprüfungszwang
Mutter „sieht“ jedes Mal,
durchführen (z.B. im
 Kleptomanie (Sucht zu
wenn sie die Toilette
Lokal auf den Boden
stehlen)
besucht, wie ihr Baby
zu spucken …)
 Pyromanie (Drang, Feuer
weggespült wird.
zu legen)
 „Habe ich wirklich
zugesperrt?“
(Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 615f)
Hysterie (auch Konversionsneurose) -Dissoziative Störung
Emotional stark belastende Erlebnisse, die nicht verarbeitet bzw. abreagiert wurden,
unbewusste Konflikte können zu Affektausbrüchen mit Krämpfen, Verwirrtheit,
Ohnmacht führen.
Pädagogische Psychologie
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43
Depression
Depression bedeutet bedrückte Stimmung (lat. Deprimiere = herabdrücken).
Man unterscheidet:
reaktive (psychogene) Depression
endogene (von innen) Depression
Folge eines äußeren Anlasses
(z.B. Misserfolg)
Kein ersichtlicher Auslöser,
anlagebedingt
(Gehirnstoffwechselstörung)
manisch-depressives Irresein
z.B.
(Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 617ff)
Jeder Mensch kennt diese normalen Begleiterscheinungen bei schwierigen Lebensereignissen. Der Unterschied zur neurotischen Depression liegt in der Häufigkeit,
Intensität und Ausprägung der Merkmale.
Folgen sind: Schwermütigkeit, Traurigkeit, Passivität, Hoffnungslosigkeit,
Teilnahmslosigkeit
3.1.3
Psychose
Psychosen (Geisteskrankheiten) sind psychosomatische Störungen, deren organische
und psychische Ursachen meist unbekannt sind und den starken Abbau (bis
Zerstörung) der Persönlichkeit zur Folge haben können. Psychotisch Kranke können
oft nicht für sich selbst sorgen und es besteht die Gefahr, dass andere Personen
geschädigt werden.
Es wird zwischen einer „exogenen“ Ursache (erkennbare organische Ursache) und
einer „endogenen“ (keine organische Ursache) differenziert. (Vgl. Lahmer; 2010, S.
279)
3.1.4
Formen der endogenen Psychose
Schizophrenie
Schizophren Kranke leiden unter einem Verlust der Realität. Sie sind von der
Wirklichkeit getrennt, reaktionslos und total gleichgültig. Sie leben nach einem
„inneren Traum“ und haben im Regelfall keine zwischenmenschlichen Beziehungen.
(Vgl. Lahmer; 2010, S. 279)
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44
Paranoia
Paranoia ist eine Form der Schizophrenie, die durch das Auftreten von Wahnideen
(Größenwahn: „Ich bin Napoleon!“; Verfolgungswahn: „Jemand ist hinter meinem
Geld her!“; Beziehungswahn: „Alle sprechen über mich!“) und Halluzination
gekennzeichnet ist. Der Paranoiker hat keinen Handlungsspielraum. Er unterstellt
sein Handeln fremden Mächten.
Manisch-depressiven Psychose (manisch-depressives Irresein)
Bei manisch-depressivem Irresein wechseln Perioden der Manie (starke Aufregung,
Euphorie und Begeisterung, großer Scharfsinn) und Depression (Traurigkeit,
Entmutigung, Suizidgefahr).
Persönlichkeitsstörungen
Persönlichkeitsstörungen sind durch Verhaltensstile gekennzeichnet, die häufig
Anpassungsprobleme verursachen. Der Betroffene ist jedoch häufig relativ angstfrei
und es besteht kein „Leidensdruck“.
Oft werden die Störungen vom Betreffenden nicht als störend empfunden.
Beispiele sind (Vgl. Lahmer; 2010, S. 280f)
 die zwangsneurotische Persönlichkeitsstörung
 die hysterische Persönlichkeitsstörung
 die paranoide Persönlichkeitsstörung
 psychopathische Persönlichkeit (besser: asoziale Reaktion)
 schizoide Persönlichkeitsstörung
 antisoziale Persönlichkeitsstörung
 narzisstische Persönlichkeitsstörung
Sexuelle Funktionsstörungen (Perversionen)
Bei sexuellen Störungen handelt es sich um Probleme wie Hemmungen,
Funktionsstörungen oder um sexuelle Perversionen. Allerdings ist es relativ schwierig
auf dem Gebiet der Sexualität zwischen „Normal“ oder „Abnormal“ zu differenzieren.
Hier herrschen auch beträchtliche kulturelle Unterschiede. (Vgl. Zimbardo, Gerrig;
1999, S. 610ff)
 Fetischismus:
sexuelle Befriedigung an Objekten (Frauenunterwäsche) oder an Körperteilen
außerhalb des Genitalbereiches des Sexualpartners (z.B. Füße)
 Exhibitionismus:
Bedürfnis, Genitalien vor anderen Menschen zu entblößen – Reaktion des
Beobachters als Stimulation
 Voyeurismus:
nichts ahnende Personen werden beim Koitus oder beim An- und Auskleiden
beobachtet
 Masochismus:
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45
sexuelle Erregung durch Bestrafen
 Sadismus:
sexuelle Befriedigung durch Zufügung von Schmerzen des Sexualpartners
 Sodomie:
sexuelle Betätigung mit Tieren
 Pädophilie:
auch Päderastie = sexuelle Befriedigung mit Kindern
3.1.5
Modelle psychischer Störungen
Biologisches Modell
Man geht davon
aus, dass es genau
unterscheidbare
Krankheiten, die
durch bestimmte
Symptome zu
identifizieren sind,
gibt. (Psychische
Krankheiten sind
überwiegend
körperlicher Art;
erbliche oder
biochemische
Anomalien)
Psychodynamisches
Modell
Behavioristisches
Modell
Humanistisches
Modell
Grundannahme sind
Konflikte zwischen
Bedürfnissen (ES)
und
gesellschaftlichen
moralischen
Maßstäben
Abweichendes
Verhalten existiert
als Folge von
Verstärkungslernen
und der
Konditionierung
Mensch hat von
Natur aus das
Verlangen, sich
selbst zu
verwirklichen – sein
eigenes SELBST zu
realisieren
(Maslow, C. Rogers)
(ÜBER-ICH)
Das soziale Umfeld
(Eltern, Lehrer,
Vorgesetzte usw.)
bremsen oft diese
Angst ist z.B. eine Anlagen und
Wenn Impulse
klassische
durchzubrechen
Talente. Es kommt
Konditionierung
drohen, können
Einsatz von
zur Selbstund
nicht
die
Folge
Angst und
Medikamenten
verleugnung als
eines drohenden
Schuldgefühle
(Psychopharmaka,
Quelle psychischen
entstehen. Übermaß Durchbruchs
z.B. Neuroleptika,
Leides und
inakzeptabler
=
Hauptquelle
Tranquilizer,
abweichenden
Impulse des ES.
gestörten
Hypnotika,
Verhaltens.
Verhaltens.
Antidepressiva,
Therapie versucht,
Psychotonika)
den Menschen zur
Korrekte Diagnose
freien
Die Behandlung
oft nicht möglich;
Selbstäußerung zu
versucht Symptome
Gefahr der
führen, sein Fühlen
des
Verhaltens
vorschnellen Etikettund Denken zu
bewusst zu machen
ierung (Labellingakzeptieren –
und
aufzuarbeiten
Ansatz) und damit
befriedigende
Stigmatisierung
psychische
Integration zu
erlangen.
(Vgl. Zimbardo, Gerrig; 1999, S. 623ff)
Pädagogische Psychologie
Mag. Erich Hackl
46
Anmerkung:
Es wäre gefährlich, ein einzelnes Modell als „richtig“ zu betrachten. Jedes kann für
ein ganz bestimmtes Problem einer bestimmten Person „richtig“ sein. Man muss aber
immer mit der Wahrscheinlichkeit mehrfacher Ursachen rechnen. Für jede einzelne
geistige oder psychische Störung können wir kausale Faktoren in mehr als einem
Modell der Psychopathologie finden.
3.1.6
Mögliche Störungen von Persönlichkeitsstrukturen auf der
Grundlage der psychoanalytischen Phasenlehre (Vgl. Schuster, Springer-
Kremser; 1996, S.36ff)
Orale Phase
Anale Phase
Phallische Phase
schizoide Persönlichkeit
zwanghafte Persönlichkeit
hysterische Persönlichkeit
Mögliche
Entstehungsbedingungen:
Mögliche
Entstehungsbedingungen:
Mögliche
Entstehungsbedingungen:
hohe anlagebedingte Sensibilität
Erziehungsfehler durch
und hohes Erregungsgrundmuster harte, verfrühte
nach innen (introvertiert)
Sauberkeitserziehung
Unterdrückung des
Narzisstische Störungen aufgrund Autonomiestrebens (siehe
von Verlassenheitsängsten im
“Trotzalter“).
ersten Lebensjahr
Dressur des “unartigen“
Spätere Zurückweisungen und
Kindes (gute Manieren,
Enttäuschungen setzen den
Anpassung...)
Prozess der Spaltung (Schisma)
fort
Später entstehen Zwänge
aus dem strafenden ÜBERMangelndes Urvertrauen
ICH; ebenso werden
(ERIKSON) und frühere
Impulse aus dem ES
Bindungsängste führen zur
ständig “unter Kontrolle“
mangelhaften Integration von
gehalten.
Rationalität und Emotionalität.
Daraus ergeben sich starre
Gefühle verkümmern, bleiben
Lebensprinzipien, feste
nach innen gerichtet und äußern
Gewohnheiten und
sich oft in Distanz, Gefühlskälte,
fanatisches Festhalten, z.B.
Arroganz.
Waschzwang, Putz- und
Reinlichkeitszwänge, Geiz
Erscheinungsformen:
und Sparsamkeit.
 Einzelgänger
 Zyniker
 Sonderling
Pädagogische Psychologie
Pedanterie bildet einen
Schutzwall, aus dem es
kein “Herausfallen“ geben
Mag. Erich Hackl
Erziehungsfehler, durch
mangelnde
Vorbildfunktionen (Vater,
Mutter) in der ödipalen
Phase.
Es kommt zu Fixierungen
am gegengeschlechtlichen
Elternteil und zur
ungenügenden
Identitätsfindung (siehe
ERIKSON) z.B.
Schaukelerziehung;
Zerrformen des
Männlichen und
Weiblichen – damit keine
Ausbildung
geschlechtsspezifischen
Rollenverhaltens.
Hysteroide Menschen
zeichnen sich durch hohe
Stimmungsschwankungen
aus, neigen zu
Übertreibungen,
Wunschdenken,
Geltungsdrang,
Schwindeleien, Umdeuten
der Motive – andere für
47
 Psychotiker
 depressive Persönlichkeit
Erziehungsfehler, die entweder
durch eine überbehütete,
verwöhnende Erziehung entstehen
oder durch eine zu harte, nicht
einfühlende Erziehung. Es bildet
sich eine „passive
Erwartungshaltung“, mangelnde
Autonomie; lebenslange
Abhängigkeit von idealisierten
Liebesobjekten (nichts wird mehr
gefürchtet als die Trennung).
Neben der passiven
Erwartungshaltung gibt es auch
den aktiven depressiven Typ: Er
versucht die anderen abhängig zu
machen durch übergroßes
Engagement.
soll.
Erscheinungsformen:
 Zweifler
 Zauderer
 Kriecher
 Phobiker
 Hypochonder
 Neurotiker
schuldig erklären
(Projektionen).
Erscheinungsformen:
 Geltungssucht
 Frigidität
Erscheinungsformen:
orale Gier (Essen, Rauchen,
Trinken, Drogen...),
Hypochondrie; Suizid als
Erpressung
Pädagogische Psychologie
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48
3.1.7
Fallbeispiele zu psychischen Störungen
Sabine ist als sehr gewissenhafte, verschlossene Schülerin
bekannt. Beim Verlassen der Schule fällt auf, dass sie nicht
quer über den Schulhof wie ihre Klassenkameraden geht,
sondern stets am Rande auf Umwegen den Schulbereich
verlässt
Herr Maier wird häufig von extremen Angstzuständen
„überfallen“, die von psychosomatischen Beschwerden
(Herzstechen) begleitet werden. In seiner Panik glaubt er,
„früh“ sterben zu müssen.
Herr Berger grübelt täglich bis zu mehreren Stunden drüber
nach, ob es „zweckmäßiger“ wäre durch den Mund oder
durch die Nase einzuatmen und hat Angst, einmal auf das
Atmen ganz zu vergessen.
Frau Süß ist abwechselnd euphorisch, voll grenzenloser
Begeisterung und Energie und dann plötzlich
niedergeschlagen, apathisch und schlapp. Beide
Stimmungen treten bei ihr in extremem Ausmaß auf.
Brigitte (6 Jahre) ist sehr verschlossen, sie reagiert auf
keine Ansprache. Wenn man sie anfasst „versteift“ sie sich
gänzlich.
Peter (7 Jahre) ist ein sehr sensibles Kind, das zwar bei
seiner Mutter normal spricht, in der Schule jedoch die
sprachliche Kontaktaufnahme verweigert.
Herr Wagner fühlt sich immer verfolgt. Wenn jemand in der
U-Bahn hustet, deutet er das bereits als Zeichen eines
Spions, der ihn verrät.
Herr Berger wird als Heiratsschwindler (er hat mehreren
Frauen die Ehe versprochen und hohe Geldsummen
ergaunert) entlarvt und verurteilt. Bei seiner Einvernahme
bestreitet er jegliche Schuld. Er habe doch den Betroffenen
„einiges“ dafür gegeben.
Frau Klein fühlt sich in ihrem Körper nicht wohl. Sie fühlt
sich als Mann, trägt Männersachen, nimmt zurzeit
entsprechende Hormone und möchte sich einer
Geschlechtsoperation unterziehen.
Pädagogische Psychologie
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4. Literaturverzeichnis
Frankl Viktor E. (1982) Ärztliche Seelsorge. Wien: Fischer, 1995
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