Analysis I, Kapitel 1-8

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Analysis I
Universität Stuttgart, WS 05/06
M. Griesemer
Inhaltsverzeichnis
1 Grundbegriffe
1.1 Aussagenlogik . . . .
1.2 Mengen . . . . . . .
1.3 Relationen . . . . . .
1.4 Funktionen . . . . .
1.5 N -Tupel und Folgen
2 Die
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
2.6
2.7
2.8
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reellen Zahlen
Die Körperaxiome . . . . . . .
Die Ordnungsaxiome . . . . .
Das Vollständigkeitsaxiom . .
Betrag . . . . . . . . . . . . .
Die natürlichen Zahlen . . . .
Eigenschaften von N . . . . .
Ganze und rationale Zahlen .
Summen- und Produktzeichen
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3
3
4
6
6
8
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9
9
11
12
14
14
15
15
16
3 Mächtigkeit von Mengen
17
3.1 Endliche Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
3.2 Abzählbare Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
4 Die
4.1
4.2
4.3
komplexen Zahlen
19
Der Körper C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Betrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Ganzzahlig Potenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
5 Zahlenfolgen
22
5.1 Definition und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
5.2 Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
5.3 Monotone Folgen und Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
1
2
5.4
5.5
5.6
5.7
Vergleichssätze für Folgen
Teilfolgen . . . . . . . . .
Vollständigkeit . . . . . .
Bestimmte Divergenz . . .
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6 Reihen
6.1 Definition und Beispiele . . . . . . . . . .
6.2 Absolut konvergente Reihen . . . . . . . .
6.3 Kriterien für absolute Konvergenz . . . . .
6.4 Bedingt konvergente Reihen . . . . . . . .
6.5 Dezimalbrüche und g-adische Entwicklung
6.6 Cauchy-Produkt zweier Reihen . . . . . .
6.7 Die Exponentialfunktion . . . . . . . . . .
7 Stetige Funktionen
7.1 Definition und Beispiele . . . . . . . . . .
7.2 Kriterien für Stetigkeit . . . . . . . . . . .
7.3 Der Zwischenwertsatz . . . . . . . . . . . .
7.4 Stetige Funktionen auf kompakten Mengen
7.5 Grenzwerte einer Funktion . . . . . . . . .
7.6 Monotone Funktionen . . . . . . . . . . .
7.7 Die Logarithmusfunktion . . . . . . . . . .
7.8 Hyperbolische Funktionen . . . . . . . . .
7.9 Trigonometrische Funktionen . . . . . . .
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8 Differentialrechnung
8.1 Begriff der Ableitung . . . . . . . . . . . . . .
8.2 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . .
8.3 Extrema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.4 Der Mittelwertsatz . . . . . . . . . . . . . . .
8.5 Bernoulli-de l’Hôpitalsche Regel . . . . . . . .
8.6 Konvexe Funktionen . . . . . . . . . . . . . .
8.7 Unstetigkeiten der Ableitung sind zweiter Art
8.8 Höhere Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . .
8.9 Taylorsche Formel mit Lagrange Restglied . .
8.10 Qualitative Fassung der Taylorschen Formel .
8.11 Taylor-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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25
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27
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29
29
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31
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33
34
34
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37
37
37
39
41
44
49
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53
55
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60
60
62
64
65
67
69
72
72
74
76
79
3
1
1.1
Grundbegriffe
Aussagenlogik
Eine Aussage ist ein Satz in Worten oder Zeichen, der eindeutig als wahr oder falsch
deklariert werden kann. Eine Aussageform ist ein Satz in Worten oder Zeichen, welcher
mindestens eine Variable enthält und für jede zulässige Belegung der Variablen zu einer
Aussage wird.
Mit den Zeichen ∧, ∨, ⇒, ⇔ werden zwei Aussagen (Aussageformen) miteinander zu
einer neuen Aussage (Aussageform) verknüpft. Mit ¬ wird eine Aussage negiert. Diese
Operationen sind durch Wahrheitswertetabellen definiert.
Ein Axiom bezeichnet eine Aussage welche gemäß Vereinbarung wahr ist. Die Überschriften Theorem, Satz, Korollar und Lemma bezeichnen wahre Aussagen, welche aus
den Axiomen hergeleitet werden können durch eine Folge von wahren Implikationen
(Beweis).
Satz 1.1.1. Die Verknüpfungen von Aussagen mit ∧ und ∨ sind kommutativ, assoziativ
und es gelten die de Morganschen Regeln:
¬(a ∧ b) ⇔ (¬a ∨ ¬b)
¬(a ∨ b) ⇔ (¬a ∧ ¬b).
Die Implikation a ⇒ b ist gleichbedeutend mit ¬a ∨ b.
Satz 1.1.2. Für alle Aussagen a, b, c gelten die Distributivgesetze:
a ∧ (b ∨ c) ⇔ (a ∧ b) ∨ (a ∧ c)
a ∨ (b ∧ c) ⇔ (a ∨ b) ∧ (a ∨ c).
Satz 1.1.3. Für alle Aussagen a, b gilt das Kontrapositionsgesetz:
(a ⇒ b) ⇔ (¬b ⇒ ¬a)
(1)
Da weiter a ⇔ b äquivalent ist zu (a ⇒ b) ∧ (b ⇒ a), erhalten wir aus obigem Satz
das Korollar:
Korollar 1.1.4. Für alle Aussagen a, b gilt:
(a ⇔ b) ⇔ (a ⇒ b) ∧ (¬a ⇒ ¬b) .
(2)
∀x A(x)
(3)
Quantoren. Sei A(x) eine vorgegeben Aussageform. Dann wird durch
:
“für alle x gilt A(x)”,
4
ein Aussage bezeichnet, welche per Definition genau dann wahr ist, wenn A(x) wahr ist
für alle x. Die Aussage
∃x A(x)
:
“es existiert ein x mit A(x)”,
(4)
ist per Definition genau dann wahr, wenn A(x) für mindestens ein x wahr ist. Für diese
V
W
Quantoren findet man in der Literatur auch die Notationen
und , welche daran
erinnern, dass es sich um Ausdehnungen der Verknüpfungen ∧ und ∨ von zwei auf eine
beliebige Zahl von Aussageformen handelt. Entsprechend sind die Regeln:
¬ ∀x A(x) ⇔ ∃x ¬A(x)
¬ ∃x A(x) ⇔ ∀x ¬A(x)
Verallgemeinerungen der de Morganschen Regeln.
1.2
Mengen
Eine Menge M ist eine Zusammenfassung von Objekten m, genannt Elemente von M ,
zu einem Ganzen. Man schreibt m ∈ M für die Aussage “m ist Element von M ”, kurz
“m in M ”, und man schreibt m 6∈ M , sprich “m nicht in M ”, für die Negation davon.
Auch die leere Menge ∅, welche per Definition kein einziges Element enthält, ist eine
Menge.
Mengen können durch Aufzählung aller Elemente beschrieben werden oder auch
durch eine Aussageform. Ist A(x) eine Aussageform, welche für alle x einer Grundmenge
X definiert ist, dann bezeichnet
A = {x ∈ X|A(x)}
die Menge aller x in X, für welche A(x) wahr ist. Wichtige Menge mit festen Namen
sind
N := {0, 1, 2, . . .}
Z := {0, ±1, ±2, . . .}
Menge der natürlichen Zahlen
Menge der ganzen Zahlen
Q := {m/n|(m ∈ Z) ∧ (n ∈ N) ∧ (n 6= 0)}
Menge der rationalen Zahlen
R := Menge der reellen Zahlen
C := Menge der komplexen Zahlen.
Man sagt “A ist Teilmenge von B” und schreibt A ⊂ B, wenn jedes Element von A
auch eine Element von B ist. D.h.,
A ⊂ B ⇔ (x ∈ A ⇒ x ∈ B)
Insbesondere gilt für jede Menge A, dass ∅ ⊂ A und A ⊂ A. Man schreibt A = B, wenn
A ⊂ B und B ⊂ A. D.h.,
A = B ⇔ (x ∈ A ⇔ x ∈ B)
5
Weiter definiert man für beliebige Mengen A und B
A ∩ B := {x|(x ∈ A) ∧ (x ∈ B)}
A ∪ B := {x|(x ∈ A) ∨ (x ∈ B)}
A\B := {x ∈ A|x 6∈ B}
Durchschnitt
Vereinigung
Differenz
Zwei Mengen mit leerem Durchschnitt heißen disjunkt. Falls A Teilmenge einer Grundmenge X ist, über welche kein Zweifel besteht, dann heißt
Ac := X\A
das Komplement von A.
Satz 1.2.1. Durchschnitt und Vereinigung von Mengen sind kommutativ und assoziativ.
Weiter gelten für beliebige Mengen A, B, C die Distributivgesetze:
A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C)
A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C)
Sei I eine beliebige Indexmenge, endlich oder unendlich, und für jedes i ∈ I sei Ai
ein Menge. Man spricht dann von der Familie (Ai )i∈I von Mengen und definiert
[
i∈I
\
i∈I
Ai := {x|∃i∈I (x ∈ Ai )}
Ai := {x|∀i∈I (x ∈ Ai )}
Satz 1.2.2. Für beliebige Mengen B, (Ai )i∈I gilt
B\
[
Ai =
i∈I
B\
\
i∈I
\
B\Ai
i∈I
Ai =
[
B\Ai
i∈I
Die Menge aller Teilmengen einer Menge A heißt Potenzmenge von A und wird mit
P(A) bezeichnet. Das kartesische Produkt zweier Mengen A und B ist die Menge
A × B := {(a, b)|a ∈ A ∧ b ∈ B}
der geordneten Paare (a, b). Im allgemeinen A × B 6= B × A. Weiter definiert man
A1 × A2 × · · · An := {(a1 , a2 . . . , an )|ai ∈ Ai }
Rn := R × . . . × R
n Faktoren
6
1.3
Relationen
Eine Relation auf einer Menge A ist eine Teilmenge R von A × A. Statt (a, b) ∈ R
schreibt man z.B. a ∼R b.
Beispiel: Die Zeichen =, <, >, ≤, ≥ definieren Relationen auf R.
Eine Relation ∼ auf einer Menge A heißt Äquivalenzrelation, falls für alle a, b, c ∈ A
(a) a ∼ a
(reflexiv )
(b) a ∼ b ⇒ b ∼ a
(symmetrisch)
(c) (a ∼ b) ∧ (b ∼ c) ⇒ a ∼ c
(transitiv )
Die Menge
[a] := {b ∈ A|b ∼ a}
heißt Äquivalenzklasse von a.
Beispiel: Es gibt eine Landverbindung von A nach B definiert eine Äquivalenzrelation
zwischen Orten auf der Erde. Die entsprechenden Äquivalenzklassen heißen, je nach
Grösse, Inseln, Kontinente oder Erdteile.
Satz 1.3.1. Sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf der Menge A. Dann gilt
[
A=
[a],
a∈A
wobei für alle a, b ∈ A entweder [a] = [b] oder [a] ∩ [b] = ∅. D.h. ∼ induziert eine
Zerlegung von A in paarweise disjunkte Äquivalenzklassen.
Nach diesem Satz erzeugt jedes Element b ∈ [a] dieselbe Äquivalenzklasse wie a:
[b] = [a]
und heißt daher Repräsentant von [a].
Ist ∼ eine Äquivalenzrelation auf A, dann ist
A/ ∼:= {[a]|a ∈ A}
(sprich “A modulo ∼”) die Menge der Äquivalenzklassen.
1.4
Funktionen
Seien A, B beliebige Mengen. Eine Funktion oder Abbildung f von A nach B,
f : A → B,
7
ist eine Vorschrift, welche jedem Element x ∈ A ein Element y ∈ B zuordnet. Man
schreibt
y = f (x)
oder
f : x 7→ f (x)
Dabei ist f der Name der Funktion, f (x) der Wert von f an der Stelle x, A der Definitionsbereich und B der Wertebereich von f . Die Menge
G(f ) := {(x, y) ∈ A × B|y = f (x)}
heißt Graph von f . Ist U ⊂ A und V ⊂ B dann ist
f (U ) := {f (x)|x ∈ U }
Bild von U
f −1 (V ) := {x|f (x) ∈ V }
Urbild von V.
Letzteres ist auch definiert, wenn f nicht umkehrbar ist. Das Bild f (A) des Definitionsbereichs A heißt Bildmenge von f .
Die Funktion f : A → B heißt injektiv, wenn für alle x1 , x2 ∈ A gilt
f (x1 ) = f (x2 )
⇒
x 1 = x2 ,
und f heißt surjektiv, wenn für jedes y ∈ B ein x ∈ A existiert mit y = f (x). Wenn f
zugleich injektiv und surjektiv ist, dann sagt man, f sei bijektiv. Ist der Wertebereich
B wählbar so kann die Funktion immer surjektiv gemacht werden durch die Wahl B =
f (A). Jede Funktion kann auch injektiv “gemacht” werden durch folgenden Trick: Man
führt auf A eine Äquivalenzrelation ein durch
x1 ∼ x 2
⇔
f (x1 ) = f (x2 ).
Dann ist die neue Funktion
f˜ : A/ ∼ → B,
[x] 7→ f (x)
injektiv. Siehe Kapitel 7.9 für ein Beispiel einer so definierten Funktion.
Ist f : A → B bijektiv und y ∈ B dann existiert also genau ein x ∈ A mit f (x) = y.
Man definiert dann f −1 (y) := x, d.h.,
f −1 : B → A,
wobei
x = f −1 (y)
⇔
y = f (x).
Sind f : X → Y und g : Y → Z zwei gegebene Abbildungen, dann ist die Verknüpfung (Zusammensetzung, Komposition)
g◦f :X →Z
von f und g definiert durch
(g ◦ f )(x) := g(f (x)).
8
Satz 1.4.1. Die Verknüpfung von Abbildungen ist assoziativ. D.h., wenn f : X → Y, g :
Y → Z und h : Z → W , dann
(h ◦ g) ◦ f = h ◦ (g ◦ f ).
Satz 1.4.2. Sind f : X → Y und g : Y → Z bijektiv, dann ist auch g ◦ f : X → Z
bijektiv und es gilt
(g ◦ f )−1 = f −1 ◦ g −1 .
1.5
N -Tupel und Folgen
Jedes geordnete n-Tupel (b1 , . . . , bn ) von Elementen bi einer nichtleeren Menge B kann
man auffassen als eine Abbildung
b : {1, 2, . . . , n} → B
i 7→ b(i) := bi .
Entsprechend kann man
B
· · × B} := {(b1 , . . . bn )|bi ∈ B}
| × ·{z
n Faktoren
auffassen als Menge der Abbildungen b : {1, . . . , n} → B. Diese Betrachtungsweise ist
verallgemeinerungsfähig: Eine Folge (b0 , b1 , . . .) ≡ (bi )i∈N in B ist eine Abbildung
b : N → B.
Die Menge der Folgen in B wird mit
×i∈N B
oder B N
bezeichnet. Allgemeiner ist B A die Menge der Abbildungen von der Menge A in die
Menge B.
9
2
Die reellen Zahlen
Die Menge der reellen Zahlen wird im wesentlichen (bis auf Isomorphie) eindeutig charakterisiert durch eine Liste von Axiomen.
2.1
Die Körperaxiome
Die Menge R der reellen Zahlen bilden einen Körper. D.h., es gibt zwei Abbildungen
+ : R×R→R
· : R×R→R
(Addition)
(Multiplikation)
mit den folgenden Eigenschaften.
(K1) Die Addition ist kommutativ und assoziativ:
a + b = b + a,
a + (b + c) = (a + b) + c
(K2) Es gibt ein Element 0 ∈ R, genannt Null, sodass
a+0=a
für alle a ∈ R
(K3) Zu jedem Element a ∈ R gibt es ein Element (−a) ∈ R, sodass
a + (−a) = 0.
(K4) Die Multiplikation ist kommutativ und assoziativ:
a · b = b · a,
a · (b · c) = (a · b) · c
(K5) Es gibt ein Element 1 ∈ R\{0}, genannt Eins, sodass
a·1 =a
für alle a ∈ R
(K6) Zu jedem Element a ∈ R\{0} gibt es ein Element a−1 ∈ R, sodass
a · a−1 = 1.
(K7) Für alle reellen Zahlen a, b, c gilt das Distributivgesetz
a · (b + c) = a · b + a · c.
10
Bemerkungen:
1. Auch Q und C sind Körper. Der kleinste Körper F2 enthält nur die Elemente 0
und 1. In diesem Körper ist 1 + 1 = 0 also 1 = −1.
2. Die neutralen Elemente Null und Eins bezüglich Addition und Multiplikation sind
eindeutig.
3. Die inversen Elemente bezüglich Addition und Multiplikation sind eindeutig.
Satz 2.1.1 (Rechenregeln). Für alle a, b ∈ R gilt:
a)
−(−a) = a und falls a 6= 0, dann (a−1 )−1 = a
b)
(−a) + (−b) = −(a + b) und (a−1 ) · (b−1 ) = (a · b)−1
c)
a · 0 = 0 und (−1) · a = −a
d)
(a · b = 0) ⇒ (a = 0) oder (b = 0)
e)
(−1) · (−1) = 1 und (−a)−1 = −(a−1 )
f)
a + x = b hat die eindeutige Lösung x = b + (−a),
a · x = b, für a 6= 0, hat die eindeutige Lösung x = b · a−1 .
Für reelle Zahlen a, b definiert man
a − b := a + (−b),
a
:= a · b−1
falls b 6= 0
b
und der Multiplikationspunkt wird meist weggelassen, d.h., ab := a · b.
Aus den Axiomen und obigem Satz folgen nun leicht die Regeln (Aufgabenblatt 3):
a b
ad + bc
+ =
,
c d
cd
a b
ab
· = ,
c d
cd
a/c
ad
=
.
b/d
cb
Bemerkung. Da auch die komplexen Zahlen einen Körper bilden, gelten alle Rechenregeln
aus diesem Kapitel auch für komplexe Zahlen.
11
2.2
Die Ordnungsaxiome
Es gibt eine Teilmenge P ⊂ R, genannt Menge der positiven Zahlen, mit folgenden
Eigenschaften:
(O1) Für jede reelle Zahl a ∈ R ist entweder a ∈ P , a = 0 oder −a ∈ P .
(O2) Für alle a, b ∈ P ist a + b ∈ P und a · b ∈ P .
Die Zahlen a ∈ R mit −a ∈ P heißen negative Zahlen.
Bemerkung: Aus dem Axiom (O1) folgt, dass 1 6= −1, denn wegen 1 6= 0 muss entweder
1 ∈ P oder −1 ∈ P aber nicht beides!
Falls a, b ∈ R und b − a ∈ P , dann schreibt man dafür
b>a
oder
a<b
und sagt “b ist größer als a”, bzw. “a ist kleiner als b”. Insbesondere ist a ∈ P äquivalent
zu a > 0. Mit dieser Definition und (O1) gilt für alle Paare von reellen Zahlen a, b
entweder b > a, b = a oder b < a (Trichotomiegesetz), und die Axiome (O1) und (O2)
können nun äquivalent wie folgt formuliert werden:
(O1) ⇔ Entweder a > 0, a = 0 oder a < 0.
(O2) ⇔ Aus a > 0 und b > 0 folgt a + b > 0 und ab > 0.
Satz 2.2.1. Für alle reellen Zahlen a, b, c, d gilt:
a)
(a < b) ∧ (b < c) ⇒ a < c
b)
a < b ⇒ (a + c < b + c)
c)
a < b ⇒ −a > −b
d)
(a < b) und (c > 0) ⇒ ac < bc
(a < b) und (c < 0) ⇒ ac > bc
e)
a 6= 0 ⇒ a2 > 0, insbesondere 1 = 1 · 1 > 0
f)
a > 0 ⇒ a−1 > 0 und a < 0 ⇒ a−1 < 0
g)
0 < a < b impliziert
a
b
1
1
< 1,
> 1 und >
b
a
a
b
.
12
h)
(a < b) und (c < d) ⇒ a + c < b + d
i)
(0 < a < b) und (0 < c < d) ⇒ ac < bd
k)
(a < b) und (0 < λ < 1) ⇒ a < λa + (1 − λ)b < b.
Bemerkungen:
1. Setzt man nun 2 := 1 + 1, 3 := 2 + 1, etc. dann folgt aus e),f) und g) dass
0<1<2<3
und
0<
1
1
< < 1.
3
2
2. Aus der Eigenschaft k) mit λ = 1/2 folgt, dass das arithmetische Mittel (a + b)/2
von a und b zwischen a und b liegt:
a<
a+b
< b.
2
Man schreibt a ≥ b, wenn a > b oder a = b. Die Aussage a ≤ b ist analog definiert.
Folgende Teilmengen von R heißen Intervalle.
[a, b] := {x ∈ R|a ≤ x ≤ b}
abgeschlossenes Intervall
(a, b) := {x ∈ R|a < x < b}
offenes Intervall
[a, b) := {x ∈ R|a ≤ x < b}
(a, b] := {x ∈ R|a < x ≤ b}
[a, ∞) := {x ∈ R|a ≤ x}
(−∞, b) := {x ∈ R|x < b},
und analog für (a, ∞) und (−∞, b]. Die Intervalle [a, b) und (a, b] nennt man halboffen.
2.3
Das Vollständigkeitsaxiom
Sei A ⊂ R, dann heißt jede reelle Zahl β mit
x∈A
⇒
x≤β
obere Schranke von A. Falls eine obere Schranke von A existiert, dann heißt A nach oben
beschränkt. Die kleinste obere Schranke β einer nach oben beschränkten Menge A heißt
Supremum von A und man schreibt:
β = sup(A).
Ist β ∈ R eine obere Schranke von A und zusätzlich β ∈ A dann heißt β größtes oder
maximales Element oder Maximum von A und man schreibt
β = max(A).
13
Bemerkung. Das größte Element und die kleinste obere Schranke einer Menge sind eindeutig wenn sie existieren. Es gilt weiter
β = sup(A) ∧ β ∈ A ⇒ β = max(A)
β = sup(A) ⇐ β = max(A)
Vollständigkeitsaxiom:
Ist A ⊂ R nicht leer und nach oben beschränkt, dann hat A eine kleinste
obere Schranke in R. D.h., sup(A) existiert.
Sei A ⊂ R. Jede reelle Zahl α mit
x∈A
⇒
x≥α
heißt untere Schranke von A. Wenn A eine untere Schranke hat, dann heißt A nach unten
beschränkt. Wenn A nach unten und nach oben beschränkt ist, dann heißt A beschränkt.
Die größte untere Schranke von A heißt Infimum von A. Falls α eine untere Schranke
von A ist und zusätzlich α ∈ A, dann heißt α kleinstes Element oder Minimum von A
α = min(A).
Aus dem Vollständigkeitsaxiom folgt die Existenz des Infimum: wenn A nach unten
beschränkt ist, dann ist −A = {−x|x ∈ A} nach oben beschränkt und
inf(A) = − sup(−A).
Ist A ⊂ R nicht nach oben beschränkt, dann drücken wir das aus durch die Gleichung
sup(A) = ∞
(5)
inf(A) = −∞,
(6)
und entsprechend bedeutet
dass A nicht nach unten beschränkt ist. Damit existieren sup(A) und inf(A) immer als
Elemente der erweiterten reellen Zahlengeraden R̄ = R ∪ {−∞, ∞}. Die Relation “<”
wird von R auf R̄ fortgesetzt durch die Definitionen
−∞ < x < ∞,
−∞ < ∞,
was konsistent ist mit (5) und (6). Weiter ist für a ∈ R
∞ + a = ∞,
∞ · a = ∞,
∞ · a = −∞,
a
= 0
±∞
∞+∞ = ∞
∞ · ∞ = ∞,
−∞ + a = −∞
falls a > 0
falls a < 0
−∞ · ∞ = −∞
14
und analoge Formeln gelten, welche durch Vorzeichenwechsel und Vertauschen von Faktoren oder Summanden resultieren. Aber z.B. −∞ + ∞ und ∞/∞ sind nicht definiert.
Bemerkung: +∞ und −∞ sind keine reellen Zahlen!
2.4
Betrag
Der Betrag einer reellen Zahl a ∈ R ist definiert durch
|a| :=
a a≥0
−a a < 0
also a = max{a, −a} und a = ±|a|.
Satz 2.4.1. Für alle a, b ∈ R gilt
(i) |a| ≥ 0 und |a| = 0 ⇔ (a = 0)
(ii) |a · b| = |a||b|
(iii) |a + b| ≤ |a| + |b|
2.5
Die natürlichen Zahlen
Eine Teilmenge M ⊂ R heißt induktiv, falls 0 ∈ M und
x ∈ M ⇒ x + 1 ∈ M.
Per Definition ist N die kleinste induktive Menge.
Aus dieser Definition von N folgt sofort das Induktionsprinzip: Falls M ⊂ N, 0 ∈ M
und (n ∈ M ⇒ n + 1 ∈ M ), dann ist M = N. Als Anwendung dieses Prinzips beweisen
wir die folgenden zwei Sätze.
Satz 2.5.1. Ist ∗ eine assoziative binäre Operation auf einer Menge A, dann kommt
es auch bei mehr als drei Operanden (Summanden, Faktoren) nicht auf die Stellung der
Klammern an.
Beispiele: Addition und Multiplikation in R, Verknüpfung von Abbildungen.
Satz 2.5.2. Ist ∗ eine kommutative und assoziative binäre Operation auf einer Menge
A, dann kommt es auch bei mehr als zwei Operanden (Summanden, Faktoren) nicht auf
deren Reihenfolge an.
15
2.6
Eigenschaften von N
Lemma 2.6.1.
(a) n ∈ N ⇒ n ≥ 0, genauer: n = 0 oder n ≥ 1.
(b) m, n ∈ N ⇒ m + n, mn ∈ N
(c) m, n ∈ N, m ≤ n ⇒ n − m ∈ N
(d) n ∈ N ⇒ (n, n + 1) ∩ N = ∅.
Satz 2.6.2. Jede nichtleere Teilmenge von N hat ein kleinstes Element.
Satz 2.6.3 (Zweite Form des Induktionsprinzips). Sei M ⊂ N, 0 ∈ M und wenn
{0, . . . n} ⊂ M , dann sei auch (n + 1) ∈ M . Dann ist M = N.
Satz 2.6.4. N ist nicht nach oben beschränkt.
Beweis. Sei N nach oben beschränkt. Dann existiert eine kleinste obere Schranke β :=
sup(N) von N in R. Die Zahl β − 1 ist dann keine obere Schranke von N; also gibt es ein
n ∈ N mit β − 1 < n. Daraus folgt β < n + 1 ∈ N. Also ist β keine obere Schranke von
N, im Widerspruch zur Definition von β.
Korollar 2.6.5 (Archimedisches Axiom). Für jedes Paar positiver reeller Zahlen
a, b existiert eine natürliche Zahl n mit
na > b.
Insbesondere gibt es zu jedem a > 0 eine natürliche Zahl n ∈ N mit (1/n) < a.
2.7
Ganze und rationale Zahlen
Die Menge Z der ganzen Zahlen und die Menge Q der rationalen Zahlen sind definiert
durch
Z := {x ∈ R|x ∈ N oder − x ∈ N}
Q := {x ∈ R|x = (m/n), mit m, n ∈ Z, und n 6= 0}
Satz 2.7.1.
a) m, n ∈ Z ⇒ m + n, mn ∈ Z und es gelten alle Körperaxiome ausser (K6).
(Z ist ein kommutativer Ring mit Eins.)
b) Q ist ein Körper.
Satz 2.7.2. Zu jedem Paar reeller Zahlen a < b gibt es eine rationale Zahl q mit
a < q < b.
16
Beweis: Aufgabenblatt 6.
Satz 2.7.3 (Division mit Rest). Sei q ∈ N\{0} gegeben. Dann gibt es zu jedem n ∈ Z
eindeutig bestimmte Zahlen m ∈ Z und r ∈ {0, . . . , q − 1} (Rest) mit
n = mq + r.
Es ist m = [n/q] die größte ganze Zahl kleiner oder gleich n/q.
2.8
Summen- und Produktzeichen
Für beliebige reelle Zahlen a1 , . . . an ∈ R definiert man
n
X
i=1
n
Y
i=1
ai := a1 + a2 + . . . + an ,
ai := a1 · a2 · . . . · an .
Satz 2.8.1. Mit ai , bk und λ seien reelle Zahlen bezeichnet.
(a)
(b)
n
n
n
X
X
X
bi =
(ai + bi ) und
ai +
i=1
n
Y
i=1
i=1
i=1
n
n
Y
Y
ai
bi = ( a i bi )
i=1
λ
n
X
i=1
ai =
n
X
λai
i=1
i=1
n,m
n
m
n X
m
m X
n
X
X
X
X
X
(ai bk ).
(c)
ai
bk =
a i bk =
a i bk =
i=1
(d)
k=1
n
n
X
X
|ai |
ai ≤
i=1
i=1
i=1
k=1
k=1
i=1
i=1,k=1
17
3
Mächtigkeit von Mengen
Zwei Mengen A, B heißen gleichmächtig, wenn es eine bijektive Abbildung φ : A → B
gibt. Wir schreiben dafür A ∼ B.
Bemerkung: Gleichmächtigkeit ist eine Äquivalenzrelation auf jeder Familie von Mengen.
3.1
Endliche Mengen
Sei In := {1, . . . , n}. Ist A eine Menge mit A ∼ In , dann sagen wir “A hat n Elemente” oder “die Kardinalität von A ist n”, in Zeichen card(A) = n. Per Definition ist
card(∅) = 0. Mengen endlicher Kardinalität heißen endliche Mengen.
Bemerkung: Die Bijektion φ : A → In ist der Zählvorgang.
Satz 3.1.1.
(a) Die Kardinalität einer endlichen Menge ist eindeutig.
(b) Ist B endlich und A ⊂ B, dann ist auch A endlich und card(A) ≤ card(B).
(c) Sind A, B endlich und disjunkt, dann ist card(A ∪ B) = card(A) + card(B).
Satz 3.1.2. Jede endliche Teilmenge von R hat ein größtes und ein kleinstes Element.
3.2
Abzählbare Mengen
Eine Menge A heißt abzählbar, wenn sie endlich oder gleichmächtig wie N (abzählbar
unendlich) ist.
Bemerkung:
1. Wenn A abzählbar unendlich ist, dann gibt es eine bijektive Abbildung φ : N → A.
D.h., man kann A als Folge auffassen: A = {a0 , a1 , a2 . . .}, wobei an = φ(n).
2. Wenn A abzählbar ist und A ∼ B, dann ist auch B abzählbar.
Satz 3.2.1.
(a) Jede Teilmenge einer abzählbaren Menge ist abzählbar.
(b) Sind A, B abzählbar, so ist auch A × B abzählbar.
(c) Ist (Ak )k≥0 eine abzählbare Familie von abzählbaren Mengen, dann ist auch
[
Ak
k≥0
abzählbar.
18
Satz 3.2.2. Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abzählbar.
Satz 3.2.3. Sei A eine beliebige Menge. Dann gibt es keine surjektive Abbildung von A
auf die Potenzmenge von P(A). Insbesondere ist P(N) nicht abzählbar.
Satz 3.2.4. Die Menge {0, 1}N der {0, 1}-Folgen ist gleichmächtig wie P(N), also ebenfalls nicht abzählbar.
Beweis.. Die Abbildung
P(N) → {0, 1}N
A 7→ χA ,
wobei χA die charakteristische Funktion der Menge A ist, ist bijektiv.
Satz 3.2.5. Die Menge R der reellen Zahlen ist überabzählbar.
19
4
Die komplexen Zahlen
4.1
Der Körper C
Die Menge R × R versehen mit der Addition
(a, b) + (c, d) = (a + c, b + d)
und der Multiplikation
(a, b) · (c, d) = (ac − bd, ad + bc)
wird mit C bezeichnet. Die Elemente von C heißen komplexe Zahlen.
Satz 4.1.1. C ist ein Körper.
Bemerkung:
1. Die Rechenregeln für reelle Zahlen aus Abschnitt 2.1 gelten auch für komplexen
Zahlen, da sie aus den Körpereigenschaften von R alleine hergeleitet wurden.
2. Für die Elemente der Teilmenge R × {0} = {(a, 0)|a ∈ R} gilt
(a, 0) + (b, 0) = (a + b, 0)
(a, 0) · (b, 0) = (ab, 0).
Das heißt, R×{0} ist invariant unter Addition und Multiplikation und verhält sich
unter diesen Operationen gleich wie R. Wir werden daher im folgenden (a, 0) ∈ C
mit a ∈ R identifizieren und R als Teilmenge von C auffassen.
Die komplexe Zahl
i := (0, 1) ∈ C
heißt imaginäre Einheit.
Satz 4.1.2. i2 = −1 und a + ib = (a, b) für alle a, b ∈ R.
Sei z = a + ib ∈ C, dann heißt a Realteil von z, a = Re(z), und b heißt Imaginärteil
von z, b = Im(z). Weiter ist z̄ := a − ib die zu z konjugiert komplexe Zahl.
Satz 4.1.3. Für alle z, w ∈ C gilt
(i)
(ii)
z + w = z̄ + w̄
zw = z̄ w̄
(iii)
Re(z) = (z + z̄)/2,
(iv)
z∈R
(v)
⇔
z = a + ib
Im(z) = (z − z̄)/(2i)
z = z̄
⇒
z z̄ = a2 + b2 .
20
4.2
Betrag
Zu jeder reellen Zahl A > 0 gibt es eine eindeutig bestimmte
> 0 mit
√ reelle Zahl a √
2
a = A (Beweis später).√a heißt
√ Wurzel von A und wird mit A bezeichnet. 0 := 0.
Falls 0 ≤ A < B, dann B + A > 0 und somit
√
√
B−A
√ > 0.
B− A= √
B+ A
√
Ist a eine reelle Zahl, dann folgt |a| = a2 .
Sei z = a + ib ∈ C (a, b ∈ R), dann heißt
√
|z| :=
z z̄ =
√
a2 + b 2
(absoluter) Betrag von z. Offenbar ist der Betrag von z = a+ib der Abstand des Punktes
(a, b) ∈ R2 vom Ursprung (0, 0).
Satz 4.2.1. Seien z, w ∈ C, dann gilt
(i)
(ii)
|z| ≥ 0 und (|z| = 0 ⇔ z = 0)
|zw| = |z||w|
(iii)
|z + w| ≤ |z| + |w| (Dreiecksungleichung)
(iv)
| Re(z)|, | Im(z)| ≤ |z| ≤ | Re(z)| + | Im(z)|
(v)
z 6= 0 ⇒ z −1 = z̄/|z|2
Aus der Dreiecksungleichung folgt unmittelbar:
Korollar 4.2.2.
(1) z1 , . . . , zn ∈ C ⇒ |
Pn
k=1 zk |
≤
Pn
k=1
|zk |
(2) z, w ∈ C ⇒ |z| − |w| ≤ |z − w|.
Satz 4.2.3 (Cauchy-Schwarz-Bunjakowski). Sind (z1 , . . . , zn ), (w1 , . . . , wn ) ∈ Cn
dann
!1/2
!1/2
n
n
n
X
X
X
,
|wk |2
|zk |2
zk w̄k ≤
k=1
k=1
k=1
wobei Gleichheit genau dann gilt, wenn eines der n-Tupel ein Vielfaches des anderen ist.
21
4.3
Ganzzahlig Potenzen
Sei z ∈ C und n ∈ N. Dann wird z n rekursiv definiert durch
z 0 := 1
und
z n+1 := z n z.
Weiter ist z −n := (z −1 )n .
Satz 4.3.1. Für alle z, w ∈ C\{0} und alle n, m ∈ Z gilt
(i)
(zw)n = z n w n ,
(ii)
z n z m = z n+m
(iii)
(z n )m = z (nm)
(z −1 )n = (z n )−1
Beweis. Mit vollständiger Induktion.
Satz 4.3.2 (Fundamentalsatz der Algebra). Jede Gleichung
z n + an−1 z n−1 + an−2 z n−1 + . . . a1 z + a0 = 0
mit Koeffizienten a0 , a1 , . . . an−1 ∈ C (n ≥ 1) hat mindestens eine Lösung z ∈ C.
Dieser Satz wird erst später bewiesen.
22
5
5.1
Zahlenfolgen
Definition und Beispiele
Eine Folge (zn )n∈N komplexer Zahlen zn ist eine Abbildung
z : N → C.
Statt z(n) schreibt man oft zn . Die Zahlen zn heißen Glieder der Folge (zn ). Auch eine
Abbildung z : Nk → C, wobei Nk = N + k und k ∈ Z wird als Folge bezeichnet. Der
Folgenindex n muss also nicht bei 0 beginnen.
5.2
Konvergenz
Die Folge (zn )n∈N komplexer Zahlen konvergiert gegen z ∈ C, in Zeichen
lim zn = z,
n→∞
oder zn → z
(n → ∞),
falls zu jedem ε > 0 eine natürliche Zahl N existiert, so dass
n≥N
⇒
|zn − z| < ε.
z heißt Limes oder Grenzwert der Folge (zn )n∈N . Eine Folge (zn )n∈N heißt konvergent,
falls sie einen Grenzwert hat. Sonst heißt sie divergent. Eine Folge heißt Nullfolge, falls
sie gegen 0 ∈ C konvergiert. Die Menge
Bε (z) := {w ∈ C : |w − z| < ε}
heißt ε-Umgebung von z.
Satz 5.2.1. Der Grenzwert einer Folge ist eindeutig.
Bemerkung: Die Aussage, dass ein N ∈ N existiert, so dass zn ∈ Bε (z) für alle n ≥ N ,
ist äquivalent zur Aussage, dass zn ∈ Bε (z) für alle bis auf endlich viele n ∈ N. Für
letzteres ist die Sprechweise für fast alle n ∈ N üblich. Also limn→∞ zn = z genau dann
wenn für jedes ε > 0, zn ∈ Bε (z) für fast alle n ∈ N.
Eine Zahl w heißt Häufungspunkt der Folge (zn )n∈N , falls für jedes ε > 0
|zn − z| < ε
für unendlich viele n.
Beispiele: Die Folge (−1)n hat die Häufungspunkte 1 und −1. Die Folge in hat die vier
Häufungspunkte 1, i, −1 und −i. Für die Folge aller rationalen Zahlen ist jede reelle Zahl
ein Häufungspunkt (Aufgabenblatt 6).
Satz 5.2.2. Wenn die Folge (zn )n∈N gegen z konvergiert, dann ist z der einzige Häufungspunkt.
23
Bemerkungen:
1. Nach diesem Satz ist eine Folge divergent, wenn sie keinen oder mehr als einen
Häufungspunkt hat.
2. Die Umkehrung von diesem Satz ist falsch! Die Folge (an ) mit an = 1 für gerade
n und an = n für ungerade n hat den einzigen Häufungspunkt 1 aber keinen
Grenzwert.
Satz 5.2.3. Die folgenden Aussagen sind äquivalent:
(i)
(ii)
w ist ein Häufungspunkt der Folge (zn ).
Zu jedem ε > 0 und zu jedem N ∈ N gibt es ein n ≥ N , so dass |zn − w| < ε.
Eine Folge (zn )n∈N ⊂ C heißt beschränkt, falls ein R > 0 existiert mit
|zn | ≤ R für alle n ∈ N.
Satz 5.2.4.
(i)
(ii)
limn→∞ zn = z
⇒
limn→∞ |zn | = |z|
Jede konvergente Folge ist beschränkt.
Beispiele: Die Folgen an = n, an = (−2)n , und an = n! sind nicht beschränkt und somit
divergent.
Satz 5.2.5 (Rechenregeln). Seien (zn )n∈N und (wn )n∈N komplexe Folgen mit limn→∞ zn =
z und limn→∞ wn = w, und sei c ∈ C. Dann gilt:
(a)
limn→∞ (zn + wn ) = z + w
(b)
limn→∞ (czn ) = cz und limn→∞ (c + zn ) = c + z
(c)
limn→∞ (zn wn ) = zw
(d)
Falls z 6= 0 dann ist zn 6= 0 für fast alle n und limn→∞ 1/zn = 1/z.
Fibonacci Folge. Die Folge 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, . . . ist definiert durch a0 = 1, a1 = 1
und
an+1 = an + an−1 ,
n ≥ 1.
Diese Folge wird im Aufbau von Pflanzen beobachtet. Sie ist divergent, da sie unbeschränkt ist, aber die Folge der Quotienten (an+1 /an ) hat einen Grenzwert x (Beweis
später), den wir aus der Rekusionsrelation mit obigem Satz berechnen können: Aus
an+1
an−1
=1+
an
an
folgt im Limes n → ∞, dass x = 1 + x−1 , was auch die Gleichung ist welche vom
√
Verhältniss des goldenen Schnitts erfüllt wird. Man findet x = (1 + 5)/2.
24
5.3
Monotone Folgen und Wurzeln
Eine reellwertige Folge (an )n≥0 heißt (streng) monoton wachsend, falls
an ≤ an+1
(bzw. an < an+1 )
für alle n ∈ N. Monoton fallend und streng monoton fallend sind analog definiert. Eine
Folge heißt monoton, falls sie monoton wachsend oder monoton fallend ist. Hat eine
monotone Folge den Grenzwert L, dann schreibt man dafür
an % L (n → ∞),
bzw. an & L (n → ∞).
Satz 5.3.1. Jede beschränkte monotone Folge (an )n∈N ist konvergent und es gilt
an % sup{an |n ∈ N} (n → ∞)
bzw.
an & inf{an |n ∈ N} (n → ∞).
Lemma 5.3.2 (Bernoullische Ungleichung). Für alle n ∈ N und alle x ≥ −1 gilt
(1 + x)n ≥ 1 + nx.
Als Anwendung von Satz 5.3.1 beweisen wir:
Satz 5.3.3. Sei a > 0 und k ∈ N, k ≥ 2. Dann gibt es eine eindeutig bestimmte Zahl
x > 0 mit
xk = a.
√
x heißt k-te Wurzel von a, in Zeichen x = k a. Weiter gilt x = limn→∞ xn für jede Folge
(xn )n≥0 mit x0 > 0 und
1
a xn+1 :=
(k − 1)xn + k−1 .
k
xn
√
√
Bemerkung: Aus 0 < a < b folgt k a < k b.
Berechnung von
durch x0 = 2 und
√
√
3: Zur Berechnung von 3 benutzen wir die Folge (xn ) definiert
xn+1
Es folgt, dass:
3
1
xn +
.
=
2
xn
x1 = 1.75
x2 = 1.7321...
x3 = 1.732050810
x4 = 1.732050808
25
Satz 5.3.4 (Eulersche Zahl e). Die Folge n 7→ (1+1/n)n ist streng monoton wachsend
und
n X
∞
1
1
e := lim 1 +
,
=
n→∞
n
k!
k=0
P
Pn
wobei ∞
k=0 1/k! := limn→∞
k=0 (1/k!). Ausserdem ist 2 ≤ e ≤ 3.
Bemerkungen:
1. Die Zahl e ist irrational und e = 2.7182818... (Beweis später).
2. Der Beweis von obigem Satz beruht auf der binomischen Formel und auf Satz 5.3.1.
Heuristisch lässt sich die behauptete Gleichung wie folgt verstehen. Für k ≥ 1 gilt
n(n − 1) . . . (n − k + 1)
n 1
=
k
k!nk
k n
1
2
k−1
1
1−
1−
··· 1−
,
=
k!
n
n
n
also
1
1+
n
n
n X
n 1
= 1+
k nk
k=1
n
X
1
1
2
k−1
= 1+
1−
1−
··· 1−
k!
n
n
n
k=1
woraus im Limes n → ∞ (formal) die erwünschte Gleichung entsteht. Aus der
letzten Gleichung erkennt man auch, dass (1 + 1/n)n streng monoton wachsend
ist.
5.4
Vergleichssätze für Folgen
Satz 5.4.1. Ist (pn )n≥0 eine reelle Nullfolge, N0 ∈ N und
|zn | ≤ pn
für n ≥ N0 ,
dann ist limn→∞ zn = 0. Insbesondere ist limn→∞ zn = 0 genau dann, wenn limn→∞ |zn | =
0.
Satz 5.4.2. Sind (an )n≥0 und (bn )n≥0 reelle Folgen mit limn→∞ an = a, limn→∞ bn = b
und
an ≤ b n
für unendliche viele n,
dann gilt a ≤ b.
Bemerkung: Aus der stärkeren Annahme, dass sogar an < bn für alle n, folgt auch nur
a ≤ b, wie man am Beispiel an = 0, bn = 1/n sieht.
26
Satz 5.4.3 (Sandwich Theorem). Es seien (an )n≥0 und (bn )n≥0 reellwertige Folgen
mit
lim an = L = lim bn .
n→∞
n→∞
Ist (cn )n≥0 eine weitere Folge, N0 ∈ N und
an ≤ c n ≤ b n
für n ≥ N0 ,
dann ist auch (cn )n≥0 konvergent und limn→∞ cn = L.
Die obigen Sätze finden Anwendung in den Beweisen der folgenden Sätze:
Satz 5.4.4. Sei (zn )n≥0 eine beliebige Zahlenfolge. Dann sind äquivalent:
(a)
limn→∞ zn = z
(b)
limn→∞ Re(zn ) = Re(z) und limn→∞ Im(zn ) = Im(z).
Satz 5.4.5.
(a)
|z| < 1 ⇒ limn→∞ z n = 0
(b)
|z| > 1 und k ∈ N ⇒ limn→∞ nk /z n = 0
√
limn→∞ n n = 1
√
a > 0 ⇒ limn→∞ n a = 1
(c)
(d)
Satz 5.4.6. Sei (an )n≥0 eine Folge nicht-negativer reeller Zahlen und sei k ∈ N mit
k ≥ 2. Dann gilt
√
√
lim an = a ⇒
lim k an = k a.
n→∞
5.5
n→∞
Teilfolgen
Sei (zn )n≥0 eine beliebige Folge und k 7→ nk eine streng monoton wachsende Folge von
natürlichen Zahlen, dann heißt (znk )k≥0 Teilfolge der Folge (zn ).
Satz 5.5.1. Folgende Aussagen sind äquivalent:
(a)
limn→∞ zn = z
(b)
Jede Teilfolge von (zn )n≥0 konvergiert gegen z.
Beispiel:
lim
n→∞
1
1+
2n
n
= lim
n→∞
s
1
1+
2n
2n
=
√
e,
denn (1 + 1/2n)2n ist eine Teilfolge der Folge (1 + 1/n)n mit Grenzwert e. Also folgt die
letzte Gleichheit aus den Sätzen 5.4.6 und 5.5.1.
Satz 5.5.2. Die Zahl w ∈ C ist genau dann ein Häufungspunkt der Folge (zn )n≥0 , wenn
eine Teilfolge (znk ) existiert mit limk→∞ znk = w.
27
5.6
Vollständigkeit
Nach Satz 5.2.4 ist jede konvergente Folge beschränkt. Umgekehrt braucht eine beschränkte Folge nicht konvergent zu sein. Es gilt aber der wichtige Satz:
Theorem 5.6.1 (Bolzano-Weierstraß). Jede beschränkte Folge in C hat eine konvergente Teilfolge.
Für reellwertige Folgen folgt dieser Satz aus dem Lemma:
Lemma 5.6.2. Ist (an )n∈N eine beschränkte reellwertige Folge, dann ist
lim (sup ak )
n→∞ k≥n
der grösste Häufungspunkt von (an )n∈N .
Eine Folge (zn )n≥0 heißt Cauchy-Folge, wenn zu jedem ε > 0 ein N ∈ N existiert, so
dass
|zn − zm | < ε
für n, m ≥ N.
Theorem 5.6.3. Eine Folge in C ist genau dann konvergent, wenn sie eine CauchyFolge ist.
Satz 5.6.4. Das Archimedische Axiom (Aussage von Korollar 2.6.5), sei erfüllt. Dann
sind folgende Aussagen über die reellen Zahlen sind äquivalente Formulierungen des
Vollständigkeitsaxioms.
(i) Jede nichtleere nach oben beschränkte Menge hat eine kleinste obere Schranke.
(ii) Jede reellwertige Cauchy-Folge ist konvergent.
(iii) Ist (In )n≥0 eine Folge von abgeschlossenen Intervalen In = [an , bn ], an < bn , mit
In ⊃ In+1 und bn − an → 0 für (n → ∞), dann gibt es (genau eine) reelle Zahl x
mit
\
{x} =
In
n≥0
5.7
Bestimmte Divergenz
Sei (an )n∈N eine reelle Zahlenfolge. Falls zu jeder (noch so großen) Zahl M ∈ R ein
N ∈ N existiert, so dass
n ≥ N ⇒ an > M
(bzw. an < −M ),
dann schreiben wir
lim an = ∞
n→∞
(bzw. lim an = −∞).
n→∞
28
Satz 5.7.1. Seien (an )n∈N , (bn )n∈N reelle Zahlenfolgen und (zn )n∈N eine komplexe Zahlenfolge.
(a) Sei limn→∞ an = ∞, und bn ≥ c für fast alle n, dann
lim (an + bn ) = ∞.
n→∞
(b) Sei limn→∞ an = ∞, und bn ≥ c > 0 für fast alle n, dann
lim an bn = ∞.
n→∞
(c) Sei limn→∞ an = 0, und an > 0 für fast alle n, dann
1
= ∞.
n→∞ an
lim
(d) Falls limn→∞ |zn | = ∞, dann ist zn 6= 0 für fast alle n ∈ N und
lim
n→∞
Beispiel:
an =
1
= 0.
zn
n3 1 − 1/n2 + 5/n3
n3 − n + 5
=
·
= n 2 bn ,
2n + 1
n
2 + 1/n
wobei limn→∞ n2 = ∞ und limn→∞ bn = 1/2. Also ist bn ≥ 1/4 für fast alle n und somit
lim an = lim n2 bn = ∞,
n→∞
n→∞
nach Satz 5.7.1 (b). Folgender Satz ist eine Verallgemeinerung von Satz 5.3.1.
Satz 5.7.2. Sei (an )n∈N eine monotone reellwertige Folge. Dann gilt
lim an = sup{an |n ∈ N}
((an ) monoton wachsend)
lim an = inf{an |n ∈ N}
((an ) monoton fallend)
n→∞
n→∞
29
6
Reihen
6.1
Definition und Beispiele
Sei (zk )k≥0 eine gegebene Folge komplexer Zahlen. Dann nennt man die Folge
n 7→ sn :=
n
X
zk
k=0
eine Reihe. Die Folgenglieder sn heißen Partialsummen und die Zahlen zn heißen Glieder
der Reihe. Wenn die Reihe (sn ) konvergiert, dann heißt
∞
X
zk := lim
k=0
n→∞
n
X
zk
k=0
Summe der Reihe (sn ).
Bemerkungen:
P
P∞
1. Auch die Folge der Partialsummen (sn ) wird mit ∞
k=0 zk bezeichnet.
k=0 zk steht
also sowohl für die Reihe als auch für deren Summe. Aus dem Zusammenhang wird
aber immer klar werden, welche Bedeutung gemeint ist.
2. Nach Theorem 5.6.3 konvergiert eine Reihe genau dann, wenn die Partialsummen
eine Cauchy-Folge bilden, d.h., wenn für jedes ε > 0 ein N ∈ N existiert, so dass
n
X
zk < ε.
n>m≥N ⇒
k=m+1
(Cauchy-Kriterium für Reihen.)
Wichtige Beispiele
∞
X
zk = 1 + z + z2 + z3 + . . .
k=0
∞
X
k=1
∞
X
(−1)k
k=1
1
1 1
= 1+ + +...
k
2 3
harmonische Reihe
1
1 1
= 1− + − ...
k
2 3
alternierende harmonische Reihe
∞
X
zk
k=0
geometrische Reihe
k!
=1+z+
z2 z3
+
+...
2
3!
Exponentialreihe
30
Satz 6.1.1. Falls
P∞
k=0 zk
konvergiert, dann gilt
lim zk = 0.
k→∞
Bemerkung: Die Umkehrung dieses Satzes ist falsch, wie das nachfolgende Beispiel der
harmonischen Reihe zeigt.
Geometrische Reihe. Für z ∈ C\{1} ist
sn =
n
X
zk =
k=0
1 − z n+1
.
1−z
Da, nach Satz 5.4.5, limn→∞ z n+1 = 0 für |z| < 1, folgt
∞
X
zk =
k=0
1
1−z
für |z| < 1.
Für |z| ≥ 1 ist limn→∞ z n 6= 0, also die Reihe nach Satz 6.1.1 divergent.
Harmonische Reihe. Sei sn =
s1 = 1
Pn
1
k=1 k .
Dann ist
1
2 1 1
1
1
+
s4 = 1 + +
>1+2
2
3 4
2
| {z }
s2 = 1 +
>2·(1/4)=1/2
1
1 1 1 1
s8 = s 4 +
>1+3 .
+ + +
5 6 7 8
2
{z
}
|
>4·(1/8)=1/2
Mit Induktion in n sieht man, dass s2n > 1 + n/2. Die Folge (sn ) ist also unbeschränkt
und somit divergent. Genauer
∞
X
1
=∞
k
k=1
nach Satz 5.7.2.
Satz 6.1.2. Seien
P∞
k=0 zk
∞
X
und
P∞
k=0
wk konvergente Reihen und sei λ ∈ C. Dann gilt
(zk + wk ) =
k=0
∞
X
k=0
∞
X
λzk = λ
k=0
∞
X
k=0
zk +
zk .
∞
X
k=0
wk ,
31
6.2
Absolut konvergente Reihen
Eine Reihe
P∞
k=0 zk
heißt absolut konvergent, falls
P∞
k=0
|zk | konvergent ist.
Theorem 6.2.1. Jede absolut konvergente Reihe ist konvergent.
Bemerkung:
∞
X
k=0
|zk | konvergent
∞
X
⇐⇒
k=0
|zk | < ∞.
P
Satz 6.2.2 (Umordnungssatz). Ist ∞
k=0 zk absolut konvergent und σ : N → N bijekP∞
tiv, dann ist auch k=0 zσ(k) absolut konvergent und es gilt
∞
X
k=0
6.3
zσ(k) =
∞
X
zk .
k=0
Kriterien für absolute Konvergenz
Satz 6.3.1 (Majorantenkriterium). Falls |zk | ≤ ck für fast alle k und falls
P
konvergent ist, dann ist die Reihe
zk absolut konvergent.
P
ck
Die Kontraposition dieses Satzes ist ein wichtiges Kriterium für Divergenz und daher
hier als Korollar formuliert:
P
Korollar 6.3.2. Falls 0 ≤ ck ≤ ak für fast alle k und ∞
k=0 ck divergent ist, dann ist
P∞
auch k=0 ak divergent.
P
√
Beispiel. Aus 1/ n ≥ 1/n und ∞
n=1 1/n = ∞ folgt
∞
X
1
√ = ∞.
n
n=1
Sei (an )n∈N eine Folge reeller Zahlen. Dann sind limes superior und limes inferior
dieser Folge wie folgt definiert:
lim sup an := lim sup ak
n→∞ k≥n
n→∞
lim inf an := lim inf ak
n→∞
n→∞
k≥n
Bemerkung:
1. Die Folgen n 7→ supk≥n ak und n 7→ inf k≥n ak sind monoton. Also existieren
lim supn→∞ an und lim inf n→∞ an immer als Elemente von R ∪ {±∞}.
2. Wenn a := limn→∞ an existiert, dann gilt lim supn→∞ an = a und lim inf n→∞ an = a
(Aufgabenblatt 9).
32
P
Theorem 6.3.3 (Wurzelkriterium). Sei k≥0 zk eine Reihe mit komplexen Gliedern
zk . Dann gilt
X
p
lim sup n |zn | < 1 ⇒
zk ist absolut konvergent.
n→∞
k≥0
X
p
lim sup n |zn | > 1 ⇒
zk
n→∞
ist divergent.
k≥0
p
Bemerkungen: Falls lim supn→∞ n |zn | = 1, kann die Reihe sowohl konvergent als auch
P −2
P −1
divergent sein.
Z.B.
ist
n
konvergent
und
n divergent aber in beiden Fällen ist
p
n
lim supn→∞ |zn | = 1.
(a) Gibt es ein q < 1 und ein N ∈ N, so dass
zn+1 ≤ q für n ≥ N,
zn 6= 0 und zn Satz 6.3.4 (Quotientenkriterium).
dann ist
P
zn absolut konvergent.
(b) Gibt ein N ∈ N, so dass
zn 6= 0 und
dann ist
P
zn divergent.
zn+1 zn ≥ 1 für
n ≥ N,
Bemerkung: In Anwendungen kommt es häufig vor, dass r = limn→∞ |zn+1 /zn | existiert.
In diesem Fall folgt aus Satz 6.3.4
r<1
r>1
6.4
⇒
⇒
∞
X
zn
konvergiert absolut.
zn
divergiert.
n=0
∞
X
n=0
Bedingt konvergente Reihen
Eine konvergente Reihe, die nicht absolut konvergent ist, heißt bedingt konvergent. Eine
Reihe mit reellen Gliedern von abwechseldem Vorzeichen heißt alternierende Reihe.
P
Satz 6.4.1 (Leibniz). Jede alternierende Reihe n≥0 (−1)n an mit an & 0, n → ∞, ist
P
konvergent. Wenn sn = nk=0 (−1)k ak und s = limn→∞ sn , dann ist
|s − sn | ≤ an+1
und s − sn hat dasselbe Vorzeichen wir das erste vernachlässigte Glied: (−1)n+1 an+1 .
33
Beispiel: Die alternierende harmonische Reihe
1−
1 1 1
+ − +...
2 3 4
ist nach Satz 6.4.1 konvergent.
Was die Konvergenzaussage betrifft, folgt Satz 6.4.1 aus dem Kriterium von Abel:
P
Satz 6.4.2 (Abelsches Kriterium). Sind die Partialsummen der Reihe n≥0 zn beschränkt und ist (pn )n≥0 eine monotone fallende Nullfolge, dann ist die Reihe
X
zn pn
n≥0
konvergent.
Beispiel. Die Reihe
∞
X
zn
n=1
n
(7)
ist für |z| < 1 absolut konvergent und für |z| > 1 divergent (Wurzelkriterium!). Für
z = 1 ist (7) die harmonische Reihe, also divergent. Für |z| = 1 und z 6= 1 ist diese Reihe
P
nach Satz 6.4.2 konvergent, denn die Partialsummen von n≥1 z n sind beschränkt und
1/n & 0 (n → ∞).
P
Satz 6.4.3 (Riemannscher Umordnungsatz). Die Reihe ∞
k=0 ak , ak ∈ R, sei bedingt konvergent. Dann gibt es zu jeder reellen Zahl s eine bijektive Abbildung σ : N → N,
so dass
∞
X
aσ(k) = s.
k=0
6.5
Dezimalbrüche und g-adische Entwicklung
Beispiele:
4
1
1
+ 2 + 3 +...
10 10
10
5
6
317.56 = 3 · 102 + 1 · 10 + 7 +
+ 2
10 10
π = 3.14259265... = 3 +
sind Dezimalbruchdarstellungen oder Dezimalbruchentwicklungen von π bzw. 317.56.
Ist g ∈ N, g ≥ 2 und a ∈ R gegeben durch
a=
∞
X
k=−n
ak g −k ,
ak ∈ {0, . . . , g − 1}
34
dann schreibt man
a = a−n a−n+1 . . . a0 , a1 a2 a3 . . .
und nennt dies die g-adische Entwicklung von a. Für g = 10 spricht man von der Dezimal(bruch)entwicklung, für g = 2 von der Dual(bruch)entwicklung.
Bemerkungen:
1. Die g-adische Entwicklung ist nicht eindeutig! Z.B. ist für g = 10
0, 999. . . . :=
∞
X
k=1
9 · 10−k =
9
1
·
= 1, 000 . . .
10 1 − 1/10
2. Jede g-adische Entwicklung stellt eine reelle Zahl dar.
Satz 6.5.1. Sei g ∈ N, g ≥ 2. Dann hat jede reelle Zahl a ≥ 0 eine g-adische Entwicklung
a = a−n a−n+1 . . . a0 , a1 a2 a3 . . .
ai ∈ {0, . . . g − 1}. Sie ist eindeutig, wenn man verbietet dass ai = g − 1 für fast alle i.
6.6
Cauchy-Produkt zweier Reihen
Satz 6.6.1. Sind
P
k≥0 zk
und
P
k≥0
wk absolut konvergent und ist
γn :=
n
X
zk wn−k ,
k=0
dann ist auch die Reihe
P
n≥0
γn absolut konvergent und es gilt
X
zk
k≥0
Die Reihe
6.7
P
n≥0
!
X
k≥0
wk
!
=
X
γn .
n≥0
γn heißt Cauchy-Produkt der Reihen
P
k≥0 zk
und
P
k≥0
wk .
Die Exponentialfunktion
P
k
Wir wissen aus Abschnitt 6.3, dass die Reihe ∞
k=0 z /k! absolut konvergent ist für alle
z ∈ C. Die Abbildung exp : C → C definiert durch die Summe
exp(z) =
∞
X
zk
k=0
heißt Exponentialfunktion.
k!
=1+z+
z2 z3
+
+...
2!
3!
35
Theorem 6.7.1. Für alle z, w ∈ C gilt
exp(z + w) = exp(z) exp(w).
Satz 6.7.2.
(a) z1 , . . . zn ∈ C dann gilt
n
X
exp
zi
i=1
!
=
n
Y
exp(zi ).
i=1
(b) exp(z) 6= 0 für alle z ∈ C und
exp(z)−1 = exp(−z).
(c) x ∈ R ⇒ exp(x) > 0.
(d) e = exp(1) ist irrational.
Satz 6.7.3. Für alle rationalen Zahlen p/q, p ∈ Z, q ∈ N\{0} gilt
√
exp(p/q) = q ep =: ep/q .
Dieser Satz legt es nahe, für alle z ∈ C zu definieren:
ez := exp(z).
Wir werden später sehen, dass exp die Menge R bijektiv auf (0, ∞) abbildet. Die Umkehrfunktion heißt Logarithmusfunktion.
Satz 6.7.4 (Restgliedabschätzung und Stetigkeit).
(a) Für alle z ∈ C und alle N ∈ N\{0}
N −1
z X z n |z|N |z|
e .
e −
≤
n! N!
n=0
(b) Falls limn→∞ zn = z, dann gilt
lim ezn = ez .
n→∞
Satz 6.7.5. Für alle z ∈ C gilt
lim
n→∞
Satz 6.7.6. Für alle t ∈ R gilt
1+
z n
= ez .
n
it e = 1.
36
Für t ∈ R definieren wir
eit + e−it
2
it
e − e−it
sin(t) := Im(eit ) =
2i
cos(t) := Re(eit ) =
Satz 6.7.7. Für alle t ∈ R gilt
cos(t) =
sin(t) =
∞
X
n=0
∞
X
(−1)n
t2 t4
t2n
= 1− + − ...
(2n)!
2
4!
(−1)n
t2n+1
t3 t5
= t− + −...
(2n + 1)!
3! 5!
n=0
mit absolut konvergenten Reihen.
37
7
Stetige Funktionen
7.1
Definition und Beispiele
Eine Funktion f : D → C heißt stetig in ξ ∈ D, falls zu jedem ε > 0 ein δ > 0 existiert,
so dass
|z − ξ| < δ, z ∈ D ⇒ |f (z) − f (ξ)| < ε.
Die Funktion f heißt stetig, falls sie in jedem Punkt von D stetig ist.
Beispiele:
1. Die Funktion f (z) = az + b (a, b ∈ C) ist überall in C stetig. Zum Beweis wähle
δ = ε/|a| falls a 6= 0 und δ = 1 falls a = 0.
2. Die Dirichletsche Funktion
f (x) =
1 x∈Q
0 x ∈ R\Q
ist nirgendwo stetig.
3. Die Funktion f : R → R definiert durch
x x∈Q
f (x) =
0 x ∈ R\Q
ist nur in x = 0 stetig.
7.2
Kriterien für Stetigkeit
Theorem 7.2.1. Sei f : D → C und ξ ∈ D. Dann sind äquivalent:
(a) f ist stetig in ξ.
(b) Für jede Folge (zn ) in D mit limn→∞ zn = ξ gilt
lim f (zn ) = f (ξ).
n→∞
(f ist folgenstetig.)
Beweis. “(a) ⇒ (b)”. Sei f stetig in ξ und sei (zn ) eine Folge in D mit limn→∞ zn = ξ.
Ist ε > 0, dann existiert nach Voraussetzung ein δ > 0, so dass
|z − ξ| < δ, z ∈ D
⇒
|f (z) − f (ξ)| < ε.
(8)
Da limn→∞ zn = ξ, gibt es ein N ∈ N, so dass |zn − ξ| < δ für n ≥ N . Also, zusammen
mit (8),
n ≥ N ⇒ |f (zn ) − f (ξ)| < ε.
38
Dies beweist (b).
“¬(a) ⇒ ¬(b)”. Ist f nicht stetig in ξ dann existiert ein ε > 0 ohne passendes
δ > 0. Insbesondere genügt δ = 1/n für kein n ∈ N. Also gibt es zu jedem n ∈ N
ein zn ∈ D mit |zn − ξ| < 1/n aber |f (zn ) − f (ξ)| ≥ ε. D.h., limn→∞ zn = ξ während
limn→∞ f (zn ) 6= f (ξ). Somit ist (b) nicht wahr.
Beispiele: Folgende Funktionen sind auf ganz C stetig.
z 7→ Re(z), z 7→ Im(z)
(Satz 5.4.4)
z 7→ ez
(Satz 6.7.4)
z 7→ |z|
(Satz 5.2.4)
√
Die Abbildung x 7→ x ist auf [0, ∞) stetig (Satz 5.4.6).
Für komplexwertige Funktionen f und g mit Definitionsbereichen D(f ) und D(g)
werden die neuen Funktionen f + g, f g, f /g und |f | definiert durch
(f + g)(z) := f (z) + g(z)
(f g)(z) := f (z)g(z)
D(f + g) := D(f ) ∩ D(g)
D(f g) := D(f ) ∩ D(g)
D(f /g) := D(f ) ∩ {z ∈ D(g)|g(z) 6= 0}
(f /g)(z) := f (z)/g(z)
|f |(z) := |f (z)|
D(|f |) := D(f ).
Analog zu |f | werden auch Re f, Im f und f¯ auf D(f ) definiert.
Satz 7.2.2. Sind f und g stetig in ξ, so sind auch f + g, f g und, falls g(ξ) 6= 0, f /g
stetig in ξ.
Beweis. Sei (zn ) eine Folge in D(f /g) mit limn→∞ zn = ξ. Dann gilt, nach Theorem 7.2.1,
f (zn ) → f (ξ),
g(zn ) → g(ξ),
(n → ∞)
und g(zn ) 6= 0 nach Definition von D(f /g). Also, nach Satz 5.2.5,
f (zn )
f (ξ)
=
= (f /g)(ξ).
n→∞ g(zn )
g(ξ)
lim (f /g)(zn) = lim
n→∞
D.h., f /g ist stetig in ξ. Die anderen Behauptungen werden analog bewiesen.
Polynome. Eine Funktion p : C → C der Form
p(z) := an z n + an−1 z n−1 + . . . + a1 z + a0
mit Koeffizienten a0 , . . . , an ∈ C und an 6= 0 heißt Polynom vom Grad n. Ein Quotient
p/q von zwei Polynomen p und q 6= 0 heißt rationale Funktion.
Satz 7.2.3. Jedes Polynom und jede rationale Funktion ist stetig.
39
Beweis. Die Behauptung folgt aus Beispiel 1, Abschnitt 7.1, per Induktion mit Hilfe von
Satz 7.2.2.
Satz 7.2.4. Seien A, B, C ⊂ C. Ist f : A → B stetig in ξ und g : B → C stetig in
η = f (ξ), dann ist g ◦ f : A → C stetig in ξ.
Beweis. Wir verwenden die Charakterisierung der Stetigkeit in ξ aus Theorem 7.2.1. Sei
also (zn ) eine Folge in A mit limn→∞ zn = ξ. Dann gilt
lim f (zn ) = f (ξ) = η
n→∞
da f stetig ist in ξ, und somit
lim g(f (zn )) = g(η) = g(f (ξ)),
n→∞
da g stetig ist in η. Also ist g ◦ f stetig in ξ.
Beispiele: Sei f stetig (in ξ). Aus Satz 7.2.4 und den Beispielen zu Theorem 7.2.1 folgt,
dass auch Re f, Im f und |f | stetig sind (in ξ). Da ausserdem t 7→ eit stetig ist, folgt nun
dass die Funktionen cos t = Re(eit ) und sin t = Im(eit ) auf ganz R stetig sind.
Lipschitz-Bedingung. Eine Funktion f : D → C heißt Lipschitz-stetig (genügt einer
Lipschitz-Bedingung), wenn eine Konstante L existiert, so dass
|f (z) − f (w)| ≤ L|z − w|
für alle z, w ∈ D.
Zum
Beispiel
ist die Funktion f (z) = |z| Lipschitz-stetig mit Konstante L = 1, denn
|z| − |w| ≤ |z − w|.
Satz 7.2.5. Genügt f einer Lipschitz-Bedingung, dann ist f stetig.
Beweis. Aufgabenblatt 10.
7.3
Der Zwischenwertsatz
Theorem 7.3.1. Ist f : [a, b] → R stetig und f (a) < 0 < f (b) (oder f (a) > 0 > f (b)),
dann existiert ein x ∈ (a, b) mit f (x) = 0.
Proof. Sei f (a) < 0, f (b) > 0 und sei
K := {x ∈ [a, b]|f (x) ≤ 0}.
Dann ist K 6= ∅ denn a ∈ K, und K ist nach oben beschränkt. Also existiert
ξ = sup K ∈ R
40
nach dem Vollständigkeitsaxiom. Offenbar gilt ξ ∈ [a, b]. Wir zeigen dass f (ξ) = 0. Nach
Definition von ξ ist ξ − 1/n keine obere Schrank von K. D.h., es existiert ein xn ∈ K
mit xn > ξ − 1/n. Nach Definition von ξ und K gilt ausserdem
ξ − 1/n < xn ≤ ξ,
und f (xn ) ≤ 0.
Also limn→∞ xn = ξ und, da f stetig ist,
f (ξ) = lim f (xn ) ≤ 0.
n→∞
(9)
Nach (9) ist ξ < b und somit ξ + 1/n ≤ b für n ∈ N gross genug. Aber ξ + 1/n 6= K,
nach Definition von ξ, also f (ξ + 1/n) > 0. Da f stetig ist folgt
f (ξ) = lim f (ξ + 1/n) ≥ 0.
n→∞
(10)
Nach (9) und (10) muss f (ξ) = 0, und insbesondere ξ 6∈ {a, b}.
Beispiel. Jedes reelle Polynom p(x) = xn + an−1 xn−1 + . . . + a0 mit n ungerade hat
mindestens eine reelle Nullstelle.
Korollar 7.3.2. Ist f : [a, b] → R stetig und f (a) < c < f (b) (oder f (a) > c > f (b)),
dann existiert ein x ∈ (a, b) mit f (x) = c.
Beweis. Satz 7.3.1 anwenden auf die Funktion g(x) = f (x) − c.
Korollar 7.3.3. Ist I ⊂ R ein beliebiges Intervall und f : I → R stetig, dann ist auch
f (I) ein Intervall und (α, β) ⊂ f (I) wobei α = inf x∈I f (x) ≥ −∞ und β = supx∈I f (x) ≤
∞.
Beweis. Wenn α = β dann ist f konstant und die Aussage trivial. Sei also α < β und
η ∈ (α, β). Dann existieren a1 , a2 ∈ I mit
f (a1 ) < η < f (a2 ).
Nach Korollar 7.3.2 existiert ein ξ zwischen a1 und a2 mit f (ξ) = η. Dies zeigt, dass
(α, β) ⊂ f (I). Eine reelle Zahl y mit y < α oder y > β kann, nach Definition von α und
β, nicht zu f (I) gehoeren. Also ist f (I) eines der vier Intervalle
(α, β),
(α, β],
[α, β),
[α, β].
Monotonie. Sei D ⊂ R und f : D → R. Dann heißt f (streng) monoton wachsend,
wenn für alle x, y ∈ D
x<y
⇒
f (x) ≤ f (y)
(bzw. f (x) < f (y)).
(Streng) monoton fallend ist analog definiert. Die Funktion f heißt streng monoton wenn
sie entweder streng monoton fallend oder streng monoton wachsend ist.
41
Satz 7.3.4. Ist f : D → R streng monoton wachsend (fallend), dann bildet f die Menge
D bijektiv auf f (D) ab und
f −1 : f (D) → D
ist ebenfalls streng monoton wachsend (fallend).
Wurzel. Sei k ∈ N und k ≥ 2. Die Funktion f : [0, ∞) → R mit f (x) = xk ist (als
Polynom) stetig und
sup f (x) = ∞.
inf f (x) = 0 = f (0),
x≥0
x≥0
Also f ([0, ∞)) = [0, ∞), nach Korollar 7.3.3. Da f ausserdem streng monoton wachsend
ist, folgt mit Satz 7.3.4, dass f : [0, ∞) → [0, ∞) bijektiv und die Inverse
f −1 : [0, ∞) → [0, ∞)
wieder streng monoton wachsend ist. Wegen x = f (f −1 (x)) = f −1 (x)k ist f −1 (x) die kte
Wurzel von x. Damit ist die Existenz und Eindeutigkeit der kten Wurzel zum zweiten
Mal nachgewiesen.
Logarithmus. exp : R → R ist stetig und
inf ex = 0,
x∈R
sup ex = ∞,
x∈R
wobei ex > 0 für alle x. Also gilt exp(R) = (0, ∞). Weiter ist exp streng monoton
wachsend, denn für h > 0 gilt eh > 1 + h > 1 und somit ex+h − ex = ex (eh − 1) > 0. Die
Abbildung
exp : R → (0, ∞)
ist also bijektiv nach Satz 7.3.4. Die Umkehrabbildung
log := exp−1 : (0, ∞) → R
heißt Logarithmusfunktion.
7.4
Stetige Funktionen auf kompakten Mengen
Man nennt eine Menge U ⊂ C offen, wenn zu jedem z ∈ U ein ε > 0 existiert, so dass
Bε (z) ⊂ U . Die Menge U heißt abgeschlossen wenn C\U offen ist. Falls eine Zahl R
existiert sodass
z ∈ U ⇒ |z| ≤ R.
dann ist U beschränkt. Eine Menge die beschränkt und abgeschlossen ist heißt kompakt.
Satz 7.4.1. Folgende Aussagen über K ⊂ C sind äquivalent.
42
(i) K ist kompakt
(ii) Jede Folge in K hat eine in K konvergente Teilfolge.
(K ist folgenkompakt.)
Beweis. “(i) ⇒ (ii)”. Sei (zn ) eine Folge in K. Da K beschränkt ist, ist auch die Folge
(zn ) beschränkt und hat daher, nach Satz 5.6.1, eine konvergente Teilfolge (znk ). Sei
z := lim znk .
k→∞
Versuchweise nehmen wir an z ∈ C\K. Da C\K offen ist gibt es dann es eine ε−
Umgebung Bε (z) mit Bε (z) ⊂ C\K. Wegen znk → z folgt znk ∈ Bε (z) und somit
znk 6∈ K, für k gross genug. Ein Widerspruch! Also z ∈ K.
“¬(i) ⇒ ¬(ii)”. Ist K nicht kompakt, dann ist K nicht beschränkt oder K ist nicht
abgeschlossen. Im ersten Fall ist K in keiner noch so großen Kugel Bn (0), n ∈ N,
enthalten. Also gibt es zu jedem n ∈ N ein zn ∈ K mit |zn | ≥ n. Diese Folge hat keine
konvergente Teilfolge da jede Teilfolge, wie (zn ), auch unbeschränkt ist.
Sei nun K nicht abgeschlossen. Dann ist C\K nicht offen. Also gibt es ein z ∈
C\K ohne passende ε−Umgebung in C\K. Das heisst, Bε (z) ∩ K 6= ∅ für alle ε 6= 0.
Insbesondere B1/n (z) ∩ K 6= ∅ für alle n ∈ N. Wähle zn ∈ B1/n (z) ∩ K. Dann ist (zn )
eine Folge in K mit limn→∞ zn = z. Also gilt auch
lim znk = z
k→∞
für jede Teilfolge (znk ). Da z 6∈ K ist somit (ii) falsch.
Theorem 7.4.2. Sei K ⊂ C kompakt und f : K → R stetig. Dann nimmt die Funktion
f auf K ihr Maximum und ihr Minimum an. D.h., es existieren zmin , zmax ∈ K, so dass
f (zmin ) ≤ f (z) ≤ f (zmax )
für alle z ∈ K.
Proof. Sei β := sup{f (z)|z ∈ K} ≤ ∞. Dann gibt es eine Folge (zn ) ⊂ K mit
lim f (zn ) = β.
n→∞
(11)
Da K kompakt ist, gibt es, nach Satz 7.4.1, eine in K konvergente Teilfolge (znk ). Sei
zmax := limk→∞ znk ∈ K. Da f stetig ist und wegen (11) folgt
f (zmax ) = lim f (znk ) = β.
k→∞
Also f (w) ≤ β = f (zmax ) < ∞ für alle w ∈ K. Da auch g = −f stetig ist gibt es auch
ein zmin ∈ K mit g(w) ≤ g(zmin ) für alle w ∈ K. Also f (w) ≥ f (zmin ) für alle w ∈ K.
43
Beschränkte Funktionen. Eine Funktion f : D ⊂ C → C heißt beschränkt, falls die
Menge f (D) beschränkt ist. D.h., falls
sup |f (z)| < ∞.
z∈D
Korollar 7.4.3. Ist f : K → C stetig und K ⊂ C kompakt, dann ist f beschränkt.
Beweis. Da die Funktion |f | : K → R stetig ist, gibt es nach Theorem 7.4.2 ein zmax in
K mit |f (z)| ≤ |f (zmax )| für alle z ∈ K. Somit ist f beschränkt.
Satz 7.4.4. Ist K ⊂ C kompakt und f : K → C stetig, so ist auch f (K) kompakt.
Der Beweis dieses Satzes sei dem Leser als Übungsaugabe überlassen.
Gleichmäßige Stetigkeit. Eine Funktion f : D ⊂ C → C heißt gleichmäßig stetig,
falls zu jedem ε > 0 ein δ > 0 existiert, so dass für alle z, w ∈ D gilt:
|z − w| < δ
⇒
|f (z) − f (w)| < ε.
Ist f gleichmäßig stetig, so ist f auch stetig. Umgekehrt braucht eine stetige Funktion nicht gleichmäßig stetig zu sein! Z.B., ist f (x) = 1/x stetig in (0, ∞) aber nicht
gleichmäßig stetig.
Theorem 7.4.5. Ist f : K → C stetig und K ⊂ C kompakt, dann ist f gleichmäßig
stetig.
Beweis. Sei K ⊂ C kompakt und f : K → C stetig, aber nicht gleichmäßig stetig. Dann
gibt es ein ε > 0 ohne passendes δ > 0. Insbesondere genügt δ = 1/n für kein n ∈ N.
D.h., zu jedem n ∈ N gibt es zn , wn ∈ K mit
|zn − wn | < 1/n
(12)
|f (zn ) − f (wn )| ≥ ε.
(13)
aber
Da K kompakt ist, hat (zn ), nach Satz 7.4.1, eine in K konvergente Teilfolge (znk ). Sei
z ∈ K der Grenzwert dieser Teilfolge. Dann gilt wegen (12) auch wnk → z, (k → ∞).
Da f stetig ist folgt limk→∞ f (znk ) = f (z) = limk→∞ f (wnk ), also
|f (znk ) − f (wnk )| → 0,
im Widerspruch zu (13).
(k → ∞),
44
7.5
Grenzwerte einer Funktion
Wir definieren die ε-Umgebungen von ∞, −∞ und ξ ∈ C durch
Uε (∞) = (1/ε, ∞)
Uε (−∞) = (−∞, −1/ε)
Uε (ξ) = Bε (ξ).
Die Menge U̇ε (ξ) = Uε (ξ)\{ξ} heißt punktierte ε−Umgebung von ξ.
Sei D ⊂ C. Einen Punkt ξ ∈ C nennt man Häufungspunkt von D, falls für jedes
ε>0
U̇ε (ξ) ∩ D 6= ∅.
Ist D ⊂ R und U̇ε (±∞) ∩ D 6= ∅ für jedes ε > 0, dann nennt man ±∞ einen uneigentlichen Häufungspunkt von D. Ein Punkt ξ ∈ D welcher kein Häufungspunkt von D ist
heißt isolierter Punkt von D.
Satz 7.5.1. Ist ξ ein (uneigentlicher) Häufungspunkt der Menge D ⊂ C, dann enthält
jede Umgebung Uε (ξ) unendlich viele Punkte von D.
Beweis. Wir beweisen die Kontraposition. Sei ξ ∈ C und sei Uε (ξ) ∩ D endlich für ein
ε > 0. Dann ist auch U̇ε (ξ) ∩ D endlich. Also
ε0 := min{|z − ξ| : z ∈ U̇ε (ξ) ∩ D} > 0
und U̇ε0 (ξ) ∩ D = ∅. Somit ist ξ kein Häufungspunkt von D. Der Beweis für uneigentliche
Häufungspunkte wird analog geführt.
Grenzwert einer Funktion. Sei f : D → C und sei ξ ein (uneigentlicher) Häufungspunkt von D. Dann hat f für z → ξ den Grenzwert η, in Zeichen
f (z) → η,
(z → ξ),
falls für jedes ε > 0 ein δ > 0 existiert, so dass
z ∈ U̇δ (ξ) ∩ D
⇒
f (z) ∈ Uε (η).
Der Grenzwert η ist eindeutig und wird mit limz→ξ f (z) bezeichnet.
Bemerkungen.
1. Für η sind auch die Werte ±∞ zulässig, wenn f reellwertig ist.
2. Man beachte, dass limz→ξ f (z) nur von f in D\{ξ} abhängt und nicht f (ξ).
45
Satz 7.5.2. Sei ξ ∈ D ein Häufungspunkt von D und sei f : D → C. Dann sind folgende
Aussagen äquivalent:
(i) f ist stetig in ξ.
(ii) limz→ξ f (z) = f (ξ).
Bemerkung. In einem isolierten Punkt ξ ∈ D ist jede Funktion f : D → C stetig.
Beweis. Ist f stetig in ξ, dann gibt es zu jedem ε > 0 ein δ > 0, so dass
z ∈ Uδ (ξ) ∩ D
⇒
f (z) ∈ Uε (f (ξ)).
(14)
z ∈ U̇δ (ξ) ∩ D
⇒
f (z) ∈ Uε (f (ξ)).
(15)
Insbesondere gilt
Also gilt (ii). Sei nun umgekehrt (ii) erfüllt. Dann gibt es zu jedem ε > 0 ein δ > 0,
so dass (15) gilt. Da trivialerweise f (ξ) ∈ Uε (f (ξ)), gilt auch (14), d.h., f ist stetig in
ξ.
Satz 7.5.3. Sei ξ ein (uneigentlicher) Häufungspunkt von D und sei f : D → C. Dann
sind folgende Aussagen äquivalent:
(i) limz→ξ f (z) = η.
(ii) Für jede Folge (zn ) in D\{ξ} mit limn→∞ zn = ξ gilt
lim f (zn ) = η.
n→∞
Beweis. “(i) ⇒ (ii)”. Sei limz→ξ f (z) = η und sei (zn ) eine Folge in D\{ξ} mit zn → ξ
für n → ∞. Zu gegebenem ε > 0 existiert dann ein δ > 0, so dass
z ∈ U̇δ (ξ) ∩ D
⇒
f (z) ∈ Uε (η).
(16)
Wegen limn→∞ zn → ξ gibt es ein N ∈ N, so dass zn ∈ U̇δ (ξ) ∩ D fuer n ≥ N. Also,
zusammen mit (16)
n ≥ N ⇒ f (zn ) ∈ Uε (η),
d.h., limn→∞ f (zn ) = η.
“¬(i) ⇒ ¬(ii)”. Sei limz→ξ f (z) 6= η. Dann gibt es ein ε > 0, so dass δ = 1/n für kein
n ∈ N klein genug ist. Also gibt es zu jedem n ∈ N ein zn ∈ U̇1/n (ξ) ∩ D mit
f (zn ) 6∈ Uε (η).
Damit ist eine Folge (zn ) ⊂ D\{ξ} gefunden mit limn→∞ zn = ξ, aber limn→∞ f (zn ) 6= η.
D.h., (ii) ist falsch.
46
Satz 7.5.4 (Rechenregeln). Sei ξ ein (uneigentlicher) Häufungspunkt von D, sei δ > 0
und seien alle auftretenden Funktionen definiert auf D ⊂ C. Dann gilt:
(a) limz→ξ f (z) = 0
⇔
limz→ξ |f (z)| = 0.
(b) Falls |f (z)| ≤ p(z) in U̇δ (ξ) ∩ D und limz→ξ p(z) = 0, dann
lim f (z) = 0.
z→ξ
(c) Ist limz→ξ f (z) = α und limz→ξ g(z) = β, wobei α, β ∈ C, dann gilt
lim f (z) + g(z)
z→ξ
= α+β
lim f (z)g(z) = αβ
z→ξ
f (z)
α
=
z→ξ g(z)
β
lim
(falls β 6= 0)
(d) Falls, zusätzlich zu (c), f (z) ≤ g(z) für z ∈ U̇δ (ξ) ∩ D, dann gilt
α ≤ β.
(e) Falls f1 (z) ≤ g(z) ≤ f2 (z) für z ∈ U̇δ (ξ) und limz→ξ f1 (z) = limz→ξ f2 (z) = α,
dann ist auch
lim g(z) = α.
z→ξ
Beweis. Die Aussagen des Satzes folgen aus Satz 7.5.3 und den entsprechenden Sätzen
für Folgen: Satz 5.4.1, Satz 5.4.2 und Satz 5.2.5. Zusätzlich muss man für (c) wissen,
dass ξ ein Häufungspunkt von D(f /g) = {z ∈ D|g(z) 6= 0} ist. In der Tat, wäre ξ kein
Häufungspunkt von D(f /g), dann gäbe es ein ε > 0, so dass U̇ε (ξ) ∩ D(f /g) = ∅, also
für z ∈ U̇ε (ξ) ∩ D.
g(z) = 0,
Daraus würde β = limz→ξ g(z) = 0 folgen, im Widerspruch zur Annahme β 6= 0.
Satz 7.5.5.
(a)
ez − 1
= 1,
z→0
z
lim
(b)
xn
=0
x→∞ ex
lim
für alle n ∈ N.
Bemerkung: Nach Teil (b) wächst ex schneller als jede Potenz von x.
Beweis. (a) Nach Satz 6.7.4 ist ez = 1 + z + R(z), wobei |R(z)| ≤ |z|2 e|z| /2. Also
R(z) |z| |z|
R(z)
ez − 1
≤
=1+
, und e .
(17)
z
z
z 2
47
Da z 7→ |z|e|z| /2 stetig ist gilt, nach Satz 7.5.2,
|z| |z| |0| |0|
e =
e = 0.
z→0 2
2
lim
(18)
Aus (17) und (18) folgt mit Satz 7.5.4 die Behauptung (a).
(b) Für x > 0 gilt
∞
X
xk
xn+1
x
e =
≥
.
k!
(n + 1)!
k=0
Daraus folgt, wegen ex > 0, dass
(n + 1)!
xn
.
0≤ x ≤
e
x
Da limx→∞ x−1 = 0, folgt daraus mit Satz 7.5.4, die Behauptung (b).
Satz 7.5.6. Existieren für f : A → B und g : B → C die Grenzwerte
lim f (z) = η,
z→ξ
lim g(w)
w→η
und ist g stetig in η, oder f (z) 6= η für alle z, dann gilt
lim g(f (z)) = lim g(w).
w→η
z→ξ
Proof. Wir nehmen an f (z) 6= η für alle z und verwenden die Charakterisierung von
Grenzwerten aus Satz 7.5.3. Sei also (zn ) eine Folge in A\{ξ} mit limn→∞ zn = ξ und
sei wn = f (zn ). Dann gilt
lim wn = lim f (zn ) = η.
(19)
n→∞
n→∞
wobei die Folge (wn ) in B\{η} liegt. Also
lim g(f (zn )) = lim g(wn ) = lim g(w),
n→∞
n→∞
w→η
womit die Behauptung im Fall f (z) 6= η bewiesen ist.
Ist g stetig in η, dann folgt aus (19) sofort, dass
lim g(f (zn )) = g(η) = lim g(w),
n→∞
w→η
und die Annahme f (z) 6= η wird nicht gebraucht.
Beispiel.
lim sin(1/x) = lim sin(y) = sin 0 = 0.
x→∞
y→0
48
Satz 7.5.7 (Cauchy-Kriterium für Funktionen). Sei f : D → C und sei ξ ein
(uneigentlicher) Häufungspunkt von D. Dann sind äquivalent:
(i) limz→ξ f (z) existiert (in C).
(ii) Für jedes ε > 0 gibt es ein δ > 0, so dass
z, w ∈ U̇δ (ξ) ∩ D
⇒
|f (z) − f (w)| < ε.
Beweis. “(i) ⇒ (ii)”. Sei limz→ξ f (z) = η und sei ε > 0. Dann existiert ein δ > 0 für
welches
z 0 ∈ U̇δ (ξ) ∩ D ⇒ |f (z 0 ) − η| < ε/2.
Angewandt auf z 0 = z und z 0 = w erhalten wir
z, w ∈ U̇δ (ξ) ∩ D
⇒
|f (z) − f (w)| ≤ |f (z) − η| + |η − f (w)| < ε.
“(ii) ⇒ (i)”. Sei (ii) erfüllt und sei (zn ) eine Folge in D\{ξ} mit limn→∞ zn = ξ. Nach
Satz 7.5.3 genügt es zu zeigen, dass limn→∞ f (zn ) existiert und unabhängig von der Wahl
der Folge ist. Wegen limn→∞ zn = ξ gibt es ein n ∈ N mit
n≥N
⇒
zn ∈ U̇δ (ξ) ∩ D.
Dies impliziert, nach Annahme (ii), dass
n, m ≥ N
⇒
|f (zn ) − f (zm )| < ε.
Also ist (f (zn ))n∈N eine Cauchy-Folge, und damit konvergent. Es bleibt noch zu zeigen,
dass der Limes
η := lim f (zn )
n→∞
nicht von der Wahl der Folge (zn ) abhängt. Sei also (wn ) eine andere Folge in D\{ξ}
mit limn→∞ wn = ξ und sei
η 0 := lim f (wn ).
n→∞
Sei ε > 0 und sei δ > 0 wie in Annahme (ii). Dann gibt es, nach Annahme über die
Folgen (zn ) und (wn ) ein N ∈ N mit
n≥N
⇒
zn , wn ∈ U̇δ (ξ) ∩ D.
Nach Annahme (ii) folgt daraus, dass
n≥N
⇒
|f (zn ) − f (wn )| < ε.
Also |η − η 0 | = limn→∞ |f (zn ) − f (wn )| ≤ ε. Da ε > 0 beliebig war, folgt η = η 0 .
49
Einseitige Grenzwerte. Sei f : (ξ, ξ + h) → C mit ξ ∈ R und h > 0. Dann hat f in ξ
den rechtsseitigen Grenzwert η, in Zeichen
f (x) → η
(x → ξ+),
falls für jedes ε > 0 ein δ > 0 existiert, so dass
x ∈ (ξ, ξ + δ)
⇒
f (x) ∈ Uε (η).
Man schreibt dann
η = lim f (x) oder η = f (x+).
x→ξ+
Sei f : [ξ, ξ + h) → C für ein ξ ∈ R, h > 0. Dann heißt f rechtsseitig stetig in ξ, falls
lim f (x) = f (ξ).
x→ξ+
Linksseitiger Grenzwert und linksseitige Stetigkeit sind analog definiert.
Lemma 7.5.8. Sei f : (ξ − h, ξ + h) → C mit ξ ∈ R und h > 0. Dann gilt
lim f (x) = η
x→ξ
⇔
f (ξ−) = η = f (ξ+).
Der einfache Beweis dieses Lemmas ist dem Leser als Übungsaufgabe überlassen.
Zusammen mit Satz 7.5.2 folgt nun sofort der nächste Satz:
Satz 7.5.9. Die Funktion f : (ξ − h, ξ + h) → C ist genau dann stetig in ξ ∈ R, wenn
lim f (x) = f (ξ) = lim f (x),
x→ξ−
x→ξ+
d.h. wenn sie in ξ linksseitig- und rechtsseitig stetig ist.
Art der Unstetigkeit. Wenn f nicht stetig ist in ξ, aber wenigstens die einseitigen
Grenzwerte f (ξ−) und f (ξ+) existieren, dann heißt ξ Unstetigkeitsstelle von erster Art.
Ansonsten heißt ξ Unstetigkeitsstelle von zweiter Art. Wenn f (ξ−) und f (ξ+) existieren
und f (ξ−) 6= f (ξ+) dann nennt man ξ eine Sprungstelle von f .
Beispiel: Die Funktion f (x) = [x] ([·] = Gaussklammer) hat in jedem Punkt n ∈ Z eine
Sprungstelle. Sie ist in diesen Punkten noch rechtsseitig- aber nicht linksseitig stetig.
7.6
Monotone Funktionen
Lemma 7.6.1. Ist f : (a, b) → R monoton wachsend, bzw. fallend, dann existiert
limx→b− f (x) und es gilt
lim f (x) = sup{f (x)|x ∈ (a, b)} ≤ ∞,
x→b−
bzw.
lim f (x) = inf{f (x)|x ∈ (a, b)} ≥ −∞.
x→b−
50
Bemerkung. Analoge Aussagen gelten für limx→a+ f (x).
Beweis. Sei f monoton wachsend und β := sup f (x) ≤ ∞. Dann gibt es zu jedem ε > 0
ein xε ∈ (a, b) mit β − ε < f (xε ) ≤ β (bzw. f (xε ) > 1/ε wenn β = ∞). Wegen der
Monotonie von f folgt
f (x) ∈ Uε (β),
for all x ∈ (xε , b).
D.h., limx→b− f (x) = β.
Theorem 7.6.2. Ist f : (a, b) → R monoton wachsend (fallend) und ξ ∈ (a, b), dann
existieren (in R)
η− := lim f (x),
η+ := lim f (x)
x→ξ−
x→ξ+
und es gilt η− ≤ f (ξ) ≤ η+ (bzw. η+ ≥ f (ξ) ≥ η− ).
Beweis. Sei f monoton wachsend. Nach Lemma 7.6.1 und der anschliessenden Bemerkung gilt
η− = lim f (x) = sup f (x) ≤ f (ξ),
x→ξ−
x<ξ
η+ = lim f (x) = inf f (x) ≥ f (ξ).
x→ξ+
x>ξ
Korollar 7.6.3. Jede monotone Funktion f : (a, b) → R ist stetig bis auf abzählbar viele
Sprungstellen.
Beweis. Sei f unstetig im Punkt ξ ∈ (a, b). Dann gilt f (ξ−) < f (ξ+), denn sonst wäre
f (ξ−) = f (ξ) = f (ξ+), nach Theorem 7.6.2, und somit f stetig in ξ. Also gibt es eine
rationale Zahl r(ξ) mit
f (ξ−) < r(ξ) < f (ξ+).
Wegen der Monotonie von f ist ξ 7→ r(ξ) eine injektive Abbildung von der Menge der
Sprungstellen nach Q. Erstere ist somit gleichmächtig wie eine Teilmenge von Q, also
abzählbar.
Bemerkung. Die Sprungstellen einer monotonen Funktion brauchen nicht isoliert zu sein!
Ist ϕ : N → Q bijektiv und
X
f (x) :=
2−n ,
n:ϕ(n)≤x
dann ist f monoton wachsend und hat in jedem rationalen Punkt eine Sprungstelle.
Satz 7.6.4. Ist f : I → R streng monoton wachsend (fallend) und ist I ein Intervall,
dann ist f −1 : f (I) → I stetig.
51
Beweis. Die Idee ist dass f −1 als streng monotone Funktion eine Sprungstelle hätte,
wenn sie nicht stetig wäre. Aber dann wäre I = f −1 (f (I)) unterbrochen durch eine
“Lücke”, und somit kein Intervall.
Sei f streng monoton wachsend und g := f −1 nicht stetig im Punkt η ∈ f (I). Dann
gibt es ein ε > 0, so dass kein δ > 0 genügt. Insbesondere genügt δ = 1/n für kein n ∈ N.
Also gibt es zu jedem n ∈ N ein yn , so dass
|yn − η| <
1
n
(20)
während
|g(yn) − g(η)| ≥ η.
Entweder ist dann g(yn ) ≥ g(η) + ε für unendlich viele n ∈ N, oder g(yn) ≤ g(η) − ε für
unendlich viele n ∈ N. Im ersten Fall gibt es eine Teilfolge (ynk ) mit
g(ynk ) ≥ g(η) + ε > g(η),
für k ∈ N.
Insbesondere ist das Intervall J := (g(η), inf k∈N g(ynk )) nicht leer und es liegt zwischen
g(η) ∈ I und g(ynk ) ∈ I. Sei x ∈ J. Dann ist x 6∈ I, denn sonst würde aus der strengen
Monotonie von f folgen, dass
η = f (g(η)) < f (x) < f (g(ynk )) = ynk ,
für alle k ∈ N,
im Widerspruch zu (20). Also hat I die Lücke J und ist somit kein Intervall.
Das folgende Theorem fasst die Resultate von Korollar 7.3.3, Satz 7.3.4 und Satz 7.6.4
zusammen.
Theorem 7.6.5. Ist I ein Intervall und f : I → R streng monoton wachsend (fallend)
und stetig, dann ist f : I → f (I) bijektiv, f (I) ein Intervall, und
f −1 : f (I) → I
ist ebenfalls streng monoton wachsend (fallend) und stetig.
7.7
Die Logarithmusfunktion
Nach Kapitel 6.7 und 7.3 ist exp : R → R stetig, streng monoton wachsend und exp(R) =
(0, ∞). Nach Theorem 7.6.5 ist
log = exp−1 : (0, ∞) → R
wieder stetig und streng monoton wachsend. Auf Grund der Definition von log als Inverse
von exp
elog(x) = x,
x
log(e ) = x,
x > 0,
x ∈ R,
52
und nach Satz 7.5.6
lim log(y) = lim log(ex ) = −∞
y→0
x→−∞
lim log(y) = lim log(ex ) = ∞.
y→∞
x→∞
wobei die Existenz der Grenzwerte limy→0 log(y) und limy→∞ log(y) aus der Monotonie
des Logarithmus folgt.
Satz 7.7.1. Für alle u, v > 0 gilt
(a)
log(uv) = log(u) + log(v),
(b)
log(u/v) = log(u) − log(v).
Beweis. Sei x = log u und y = log v. Dann gilt log(uv) = log(ex ey ) = log(ex+y ) =
x + y = log u + log v.
Satz 7.7.2. Für alle a > 0 und alle p/q ∈ Q (p ∈ Z, q ∈ N\{0}) gilt
log(ap/q ) :=
wobei ap/q :=
√
q
p
log(a),
q
ap .
Beweis. Für n ∈ N folgt aus Satz 7.7.1 durch Induktion, dass log(an ) = n log(a), und
somit
log(a−n ) = log(1/an ) = log 1 − log an = −n log a.
Also gilt log(ap ) = p log a für alle p ∈ Z. Daraus wiederum ergibt sich, wegen (ap/q )q = ap ,
dass
q log(ap/q ) = log(ap ) = p log(a),
woraus die Aussage des Satzes folgt.
Definition. Sei a > 0 und x ∈ R. Dann
ax := elog(a)x .
Satz 7.7.3. Für alle a, b > 0 und alle x, y ∈ R gilt
(a)
log(ax ) = x log(a)
(b)
ax+y = ax ay
(c) (ax )y = axy
(d) ax bx = (ab)x .
53
Beweis. (a) ist äquivalent zur Definition von ax . Wir beweisen noch (c); es gilt
(ax )y = exp(log(ax )y) = exp(log(a)xy) = axy .
Satz 7.7.4. Für jedes α > 0 gilt
(a)
log x
= 0,
x→∞ xα
(b)
lim
lim xα log x = 0.
x→0+
Beweis. Nach Satz 7.5.6 und Satz 7.5.5
lim
x→∞
1
1
log x
log x
αy
t
= lim α log x = lim αy = lim t = 0.
α
x→∞
y→∞
t→∞
x
e
α
e
α
e
Aussage (b) führen wir auf (a) zurück:
− log y
1
log(1/y) = lim
= 0.
α
y→∞
y→∞ y
yα
lim xα log x = lim
x→0+
7.8
Hyperbolische Funktionen
Eine Funktion f : D → C mit −D := {−x|x ∈ D} = D nennt man gerade, wenn
für alle x ∈ D;
f (−x) = f (x)
und ungerade, wenn
f (−x) = −f (x)
für alle x ∈ D.
Jede Funktion f mit symmetrischem Definitionsbereich D = −D lässt sich zerlegen in
die Summe
f (x) + f (−x) f (x) − f (−x)
f=
+
2
2
einer geraden und einer ungeraden Funktion. Zum Beispiel sind
cosh x =
ex + e−x
2
und
sinh x =
ex − e−x
2
der gerade und der ungerade Anteil von ex . Man rechnet leicht nach, dass
(cosh x)2 − (sinh x)2 = 1
für alle x ∈ R.
Hyperbolischer Sinus und Areasinus. Der hyperbolische Sinus
sinh x =
ex − e−x
2
54
ist streng monoton wachsend und stetig als Summe der streng monotone wachsenden
und stetigen Funktionen ex und −e−x . Es gilt
1 x
1
lim sinh x = lim
e − x =∞
x→∞
x→∞ 2
e
1 x
1
lim sinh x = lim
e − x = −∞.
x→−∞
x→∞ 2
e
Somit ist sinh(R) = R, nach dem Zwischenwertsatz, und aus Theorem 7.6.5 folgt, dass
die Umkehrfunktion
sinh−1 : R → R
(Areasinus)
wieder streng monoton wachsend und stetig ist. Durch Auflösen der Gleichung y =
1
ex − e−x nach x, - nach Multiplikation mit ex ist sie eine quadratische Gleichung in
2
ex - erhält man
p
sinh−1 (y) = log(y + y 2 + 1).
Hyperbolischer Cosinus und Areacosinus. Der hyperbolische Cosinus
cosh(x) =
ex + e−x
2
ist streng monoton wachsend p
auf [0, ∞) (streng monoton fallend auf (−∞, 0]) und stetig.
Ersteres folgt aus cosh(x) = 1 + sinh(x)2 weil sinh nicht-negativ und streng monoton
wachsend ist auf [0, ∞). Weiter gilt
cosh(0) = 1,
lim cosh x = ∞.
x→∞
Also bildet cosh das Intervall [0, ∞) bijektiv auf das Intervall [1, ∞) ab und die Umkehrfunktion
cosh−1 : [1, ∞) → [0, ∞)
(Areacosinus)
ist wieder streng monoton wachsend und stetig. Ähnlich wie im Fall der Funktion sinh
findet man
p
cosh−1 (y) = log(y + y 2 − 1).
Hyperbolischer Tangens und Areatangens. Der hyperbolische Tangens
tanh x =
ex − e−x
sinh x
= x
cosh x
e + e−x
ist ungerade, stetig und −1 < tanh x < 1 für alle x ∈ R. Da ausserdem
lim tanh x = 1
x→∞
lim tanh x = −1,
x→−∞
(21)
55
ist tanh(R) = (−1, 1). Weiter ist tanh streng monoton wachsend, denn
tanh x =
1
1−
(cosh x)2
1/2
für x ≥ 0,
die Funktion cosh ist streng monoton wachsend und positiv auf [0, ∞), und tanh ist
ungerade. Also ist auch die Umkehrfunktion
tanh−1 : (−1, 1) → R
streng monoton wachsend und stetig. Durch Auflösen von (21) nach x bekommt man
1
1+y
−1
.
tanh (y) = log
2
1−y
7.9
Trigonometrische Funktionen
Nach Kapitel 6.7 gilt
eix = cos x + i sin x.
Die Funktion cos ist gerade, sin ist ungerade. Das folgt aus e−ix = eix und obiger Formel.
Satz 7.9.1. Für alle x, y ∈ R gilt
(a)
(b)
(c)
(d)
cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y
sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y
x + y x − y
cos x − cos y = −2 sin
sin
x + y2 x − y2 sin x − sin y = 2 cos
sin
2
2
Beweis. Aussagen (a) und (b) folgen aus
cos(x + y) + i sin(x + y) = ei(x+y) = eix eiy
= (cos x + i sin x)(cos y + i sin y)
= (cos x cos y − sin x sin y) + i(sin x cos y + cos x sin y).
Zum Beweis von (c) und (d) setzt man u = (x + y)/2, v = (x − y)/2 sodass x = u + v
und y = u − v. (c) und (d) folgen nun aus (a) und (b).
Lemma 7.9.2.
(a)
(b)
x2 x4
+
für alle x,
2
4!
x3
für alle x ≥ 0.
sin x ≥ x −
3!
cos x ≤ 1 −
56
Beweis. (a) Nach Satz 6.7.7 ist
cos x = 1 −
x2 x4
+
+ R(x)
2
4!
wobei
x6 x8
− ...
R(x) = − +
6!
8!
die Summe einer alternierenden Reihe ist deren Glieder für |x| ≤ 7 dem Betrage nach
monoton fallend sind. Natürlich konvergieren sie gegen 0. Also ist R(x) ≤ 0 für |x| ≤ 7,
nach Satz 6.4.1, denn das erst Glied von R(x) ist negativ. Für |x| > 7 gilt
1−
x2 x4
+
≥ 1 ≥ cos x.
2
4!
Aussage (b) beweist man analog.
Lemma 7.9.3.
(a)
(b)
sin x > 0 für x ∈ (0, 2],
Die Funktion cos ist streng monoton fallend in [0, 2]
Beweis. (a) Nach Lemma 7.9.2 gilt für x ∈ (0, 2]
x2
4
x
sin x ≥ x 1 −
≥x 1−
= > 0.
3!
3!
3
(b) Nach Satz 7.9.1 und Teil (a) gilt für 2 ≥ x > y ≥ 0
x+y
x−y
cos x − cos y = −2 sin
sin
< 0.
2
2
Satz 7.9.4. Die Funktion cos hat im Interval (0, 2) genau eine Nullstelle.
Beweis. cos 0 = 1 und nach Lemma 7.9.2
cos 2 ≤ 1 −
4 16
1
+
=− .
2
4!
3
Da cos stetig ist folgt aus dem Zwischenwertsatz die Existenz einer Nullstelle im Intervall
(0, 2). Da cos in (0, 2) nach Lemma 7.9.3 streng monoton fallend ist, kann es keine zweite
Nullstelle geben.
Definition von π.
Die Zahl π/2 ist die (eindeutig bestimmte) Nullstelle der Funktion cos im
Intervall (0, 2).
57
Theorem 7.9.5.
eiπ/2 = i,
eiπ = −1,
ei3π/2 = −i,
e2π = 1.
Beweis. Aus cos2 (π/2) + sin2 (π/2) = 1 und cos(π/2) = 0 folgt sin(π/2) = ±1. Wegen
π/2 ∈ (0, 2) folgt aus Lemma 7.9.3 dass sin(π/2) = 1. Also
eiπ/2 = cos(π/2) + i sin(π/2) = i.
Die übrigen Identitäten ergeben sich durch potenzieren beider Seiten dieser Gleichung.
Korollar 7.9.6.
(a)
cos(x + 2π) = cos x,
(b)
cos(x + π) = − cos x,
(c)
cos(π/2 − x) = sin x,
sin(x + 2π) = sin x
sin(x + π) = − sin x
sin(π/2 − x) = cos x
Korollar 7.9.7.
(a)
sin x = 0
(b)
cos x = 0
(c)
ix
⇔ x = kπ
⇔ x = kπ + π/2
⇔ x = k2π
e =1
(k ∈ Z)
(k ∈ Z)
(k ∈ Z).
Nun können wir den Zusammenhang herstellen zwischen der analytischen Definition
von Cosinus und Sinus aus Kapitel 6.7 und der geometrischen. Nach Korollar 7.9.7 ist
die Abbildung t 7→ eit injektiv in [0, 2π). Für t ∈ [0, 2π) sind
eitk/n ,
k = 0, . . . , n
also n + 1 verscchiedene Punkte auf dem Einheitskreis S1 = {z ∈ C : |z| = 1}. Es sind
die Endpunkte eines Steckenzuges γt,n bestehend aus n Seiten gleicher Länge
|eit(k+1)/n − eitk/n | = |eit/n − 1|.
Die Länge von γt,n ist somit n|eit/n −1|. Man definiert die Länge L(γt ) des Kreissegments
γt := {eis |s ∈ [0, t]}
als den Grenzwert der Länge von γt,n für n → ∞. Also gilt, nach den Sätzen 7.5.3 und
7.5.5
it/n
e
it/n
−
1
t = t,
L(γt ) = lim n e
− 1 = lim n→∞
n→∞
it/n wie erwartet.
58
Die Funktionen Tangens, Cotangens, Secant und Cosecant sind aus Cosinus und
Sinus zusammengesetzt und wie folgt definiert:
sin x
cos x
1
sec x =
cos x
cos x
sin x
1
csc x =
sin x
tan x =
cot x =
Die Umkehrfunktionen. Die Funktion cos ist stetig, streng monoton fallend auf [0, π],
cos(0) = 1 und cos(π) = −1. Also bildet Cosinus, nach Theorem 7.6.5 das Intervall [0, π]
bijektiv auf das Intervall [−1, 1] ab und die Umkehrfunktion
arccos : [−1, 1] → [0, π]
ist wieder streng monoton fallend und stetig.
Die Funktion sin ist stetig, streng monoton wachsend auf [−π/2, π/2], sin(−π/2) =
−1 und sin(π/2) = 1. Also bildet Sinus das Intervall [−π/2, π/2] bijektiv auf das Intervall
[−1, 1] ab und die Umkehrfunktion
arcsin : [−1, 1] → [−π/2, π/2]
ist wieder streng monoton wachsend und stetig.
Die Funktion tan ist auf (−π/2, π/2) stetig und streng monoton wachsend. Letzteres
folgt aus der Spiegelungssymmetrie bezüglich dem Ursprung, tan(−x) = − tan(x), und
aus der Tatsache dass sin und 1/ cos auf dem Intervall [0, π/2) streng monoton wachsend
und nicht-negativ sind. Weiter gilt
lim tan x = ∞
x→π/2−
lim
x→−π/2+
tan x = −∞.
Also bildet Tangens das Intervall (−π/2, π/2) bijektiv auf R ab und die Umkehrfunktion
arctan : R → (−π/2, π/2)
ist wieder streng monoton wachsend und stetig.
Polardarstellung und Argumentfunktion
Satz 7.9.8. Die Funktion t 7→ eit bildet das Intervall [0, 2π) bijektiv auf den Einheitskreis
S 1 ab.
Beweis. Siehe Aufgabenblatt 13.
59
Nach Satz 7.9.8 lässt sich jede komplexe Zahl z schreiben als
z = reiϕ
(Polardarstellung)
wobei der Betrag r = |z| durch z eindeutig bestimmt ist und das Argument ϕ ∈ R bis
auf ein Vielfaches von 2π eindeutig ist. (eindeutig wenn man verlangt, dass ϕ ∈ [0, 2π).)
Bei der Multiplikation von zwei komplexen Zahlen
z1 z2 = (r1 eiϕ1 )(r2 eiϕ2 ) = r1 r2 ei(ϕ1 +ϕ2 )
werden die Beträge multipliziert und die Argumente addiert.
Um eine genaue Definition der Argumentfunktion zu geben führt man auf R die
Äquivalenzrelation
ϕ1 ∼ ϕ2 ⇔ eiϕ1 = eiϕ2
ein. Nach Satz 7.9.7 ist die Äquivalenzklasse von ϕ
[ϕ] = {α ∈ R|α − ϕ ∈ 2πZ}.
Die Menge der Äquivalenzklassen wird mit R/2π (R modulo 2π) bezeichnet. Die Abbildung
R/2π → S 1 , [ϕ] 7→ eiϕ
ist wohldefiniert und injektiv (Aufgabenblatt 2), also nach Satz 7.9.8 sogar bijektiv. Die
Umkehrabbildung
arg : S 1 → R/2π
heißt Argumentfunktion. Sie wird auf C\{0} fortgesetzt durch die Definition
arg(z) = arg(z/|z|).
Führt man auf R/2π noch die Addition [ϕ1 ] + [ϕ2 ] := [ϕ1 + ϕ2 ] ein, dann folgt, dass für
alle komplexen Zahlen z1 , z2 ∈ C\{0}
arg(z1 z2 ) = arg z1 + arg z2 .
Polarkoordinaten der Ebene. Jeder Punkt (x, y) ∈ R2 \{(0, 0)} entspricht einer komplexen Zahl z = x+iy ∈ C\{0} und lässt sich somit im wesentlichen eindeutig darstellen
in der Form
(x, y) = (r cos ϕ, r sin ϕ)
p
wobei r = |z| = x2 + y 2 und [ϕ] = arg z. Die Elemente r und [ϕ] heißen Polarkoordinaten von (x, y). Ist ein Intervall vereinbart aus welchem ϕ genommen werden soll, z.B.,
[0, 2π), dann kann man die Klammern [,] weglassen.
60
8
Differentialrechnung
8.1
Begriff der Ableitung
Sei I ⊂ R ein beliebiges Intervall, f : I → C und x0 ∈ I. Falls der Grenzwert
f 0 (x0 ) := lim
x→x0
f (x) − f (x0 )
f (x0 + h) − f (x0 )
= lim
h→0
x − x0
h
existiert, dann heißt f differenzierbar im Punkt x0 . Der Quotient
∆f
f (x) − f (x0 )
=
∆x
x − x0
heißt Differenzenquotient und der Grenzwert f 0 (x0 ) heißt Ableitung der Funktion f im
Punkt x0 . Die einseitigen Grenzwerte
f (x) − f (x0 )
x→x0 −
x − x0
f (x) − f (x0 )
f 0 (x0 +) = lim
x→x0 +
x − x0
f 0 (x0 −) = lim
heißen linksseitige, bzw. rechtsseitige Ableitung von f in x0 .
Bemerkungen.
1. Ist x0 der linke Randpunkt von I, dann ist f 0 (x0 ) = f 0 (x0 +) und analoges gilt für
den rechten Randpunkt von I.
2. Ist x0 ein innerer Punkt des Intervalls I, also kein Randpunkt, dann ist f genau
dann differenzierbar in x0 , wenn die einseitigen Ableitungen f 0 (x0 ±) existieren und
übereinstimmen.
3. Ist f differenzierbar in x0 , dann ist f auch stetig in x0 , denn
f (x) − f (x0 ) =
f (x) − f (x0 )
(x − x0 ) → 0,
x − x0
(x → x0 ).
Satz 8.1.1. Sei f : I → C und x0 ∈ I. Dann sind äquivalent:
(a) f ist differenzierbar in x0 .
(b) Es gibt eine Zahl λ ∈ C und eine in x0 stetige Funktion r mit r(x0 ) = 0, so dass
f (x) = f (x0 ) + λ(x − x0 ) + r(x)(x − x0 ).
Gilt (a) oder (b), dann ist f 0 (x0 ) = λ.
61
Beweis. Sei f differenzierbar in x0 , λ := f 0 (x0 ) und

 f (x) − f (x0 ) − λ
x − x0
r(x) :=

0
x 6= x0 ,
x = x0 .
Durch Auflösen dieser Definition von r(x) nach f (x) folgt (b). Umgekehrt folgt aus (b),
dass
f (x) − f (x0 )
lim
= lim (λ + r(x)) = λ.
x→x0
x→x0
x − x0
Nach Satz 8.1.1 ist f in x0 genau dann differenzierbar, wenn sich f dort durch eine
lineare Funktion
L(x) = f (x0 ) + λ(x − x0 )
approximieren lässt, wobei der Approximationsfehler mit x → x0 schneller gegen 0 geht
als |x − x0 |. Der Graph dieser linearen Funktion heißt Tangente von f in (x0 , f (x0 )). Die
lineare Abbildung
dfx0 : R → C,
h 7→ dfx0 (h) := f 0 (x0 )h
heißt Differential von f in x0 . Die Zahl dfx0 (h) := f 0 (x0 )h ist offenbar die lineare Approximation des Zuwachses von f , während ∆f = f (x0 + h) − f (x0 ) der tatsächliche
Zuwachs von f zwischen x0 und x0 + h ist.
Korollar 8.1.2. Die Funktion f = f1 + if2 : I → C ist genau dann differenzierbar in
x0 , wenn f1 = Re(f ) und f2 = Im(f ) in x0 differenzierbar sind. Dann gilt
f 0 (x0 ) = f10 (x0 ) + if20 (x0 ).
Das heißt, (Re f )0 = Re f 0 und (Im f )0 = Im f 0 .
Ableitung. Die Ableitung f 0 einer Funktion f : I → C ist die Abbildung x 7→ f 0 (x) mit
Definitionsbereich I 0 := {x ∈ I|f ist differenzierbar in x}. Statt f 0 schreibt man auch
df
dx
oder Df.
Wenn I 0 = I, dann sagt man, f sei differenzierbar auf I, und wenn f 0 zusätzlich stetig
ist, dann heißt f stetig differenzierbar auf I.
Beispiele:
1. Jede konstante Funktion f ≡ α ∈ C hat Ableitung f 0 = 0.
2. Die Funktion f (x) = x hat die Ableitung f 0 = 1.
62
3. Sei α ∈ C. Aus Theorem 6.7.1 und Satz 7.5.5 folgt
d αx
e = αeαx .
dx
Insbesondere gilt
d x
e = ex
dx
und
d x
a = log(a)ax .
dx
4. Aus (eix )0 = ieix und Korollar 8.1.2 folgt
d
sin x = cos x,
dx
d
cos x = − sin x.
dx
Bemerkung. Es gibt Funktionen, die zwar überall stetig, aber nirgends differenzierbar
sind (siehe z.B. Amann, Escher: Seite 328).
8.2
Ableitungsregeln
Satz 8.2.1. Seien f, g : I → C und α ∈ C. Dann gilt für alle x ∈ I, für welche der
Ausdruck auf der rechten Seite definiert ist:
(a)
(αf )0 = αf 0
(b)
(f + g)0 = f 0 + g 0
(c) (f g)0 = f 0 g + f g 0
f 0g − f g0
(d) (f /g)0 =
g2
(Produktregel)
(Quotientenregel)
Beweis. (c) Seien f und g in x0 differenzierbar, also dort insbesondere stetig. Dann gilt
f (x)g(x) − f (x0 )g(x0 )
x − x0
f (x) − f (x0 )
g(x) − g(x0 )
g(x0 ) + f (x)
x − x0
x − x0
x→x0
0
0
−→ f (x0 )g(x0 ) + f (x0 )g (x0 ).
=
(d) Sei g in x0 differenzierbar (also in x0 stetig) und sei g(x0 ) 6= 0. Dann gibt es ein
ε > 0, so dass g(x) 6= 0 für alle x ∈ Bε (x0 ) ∩ I. Also
1
1
1
1
1
g(x) − g(x0 )
x→x0
−
−→ −g 0 (x0 )
=−
.
x − x0 g(x) g(x0 )
x − x0
g(x)g(x0 )
g(x0 )2
Zusammen mit (c) folgt daraus (d).
Satz 8.2.2 (Kettenregel). Sei f : I → J und g : J → C mit Intervallen I und J. Ist
f differenzierbar in x und g differenzierbar in y = f (x), dann ist g ◦ f differenzierbar in
x und es gilt
(g ◦ f )0 (x) = g 0 (f (x))f 0 (x).
63
Beweis. Nach Voraussetzung gilt
f (x̃) = f (x) + [α + r(x̃)](x̃ − x)
g(ỹ) = g(y) + [β + s(ỹ)](ỹ − y)
wobei r(x̃) → 0, (x̃ → x), und s(ỹ) → 0, (ỹ → y). Wir wenden die zweite Gleichung
an auf ỹ = f (x̃), y = f (x) und kombinieren sie dann mit der ersten, wonach ỹ − y =
f (x̃) − f (x) = [α + r(x̃)](x̃ − x). Es ergibt sich
g(f (x̃)) = g(f (x)) + β + s(f (x̃)) α + r(x̃) (x̃ − x).
Also
g(f (x̃)) − g(f (x))
= [β + s(f (x̃))][α + r(x̃)] → βα = g 0 (y)f 0 (x),
x̃ − x
x̃ → x,
denn limx̃→x s(f (x̃)) = limy∗ →y s(y ∗ ) = 0 nach Satz 7.5.6.
Satz 8.2.3 (Ableitung der Umkehrfunktion). Sei f : I → R streng monoton,
differenzierbar im Punkt x und sei f 0 (x) 6= 0. Dann ist f −1 differenzierbar in y = f (x)
und
1
1
(f −1 )0 (y) = 0
= 0 −1
.
f (x)
f (f (y))
Beweis. Nach Voraussetzung gilt
f (x̃) = f (x) + α + r(x̃) (x̃ − x)
wobei r(x̃) → 0 für x̃ → x und α 6= 0. Sei ỹ 6= y, g := f −1 und x̃ = g(ỹ). Dann folgt
Also gilt
ỹ − y = f (g(ỹ)) − f (g(y)) = α + r(g(ỹ)) (g(ỹ) − g(y)).
1
1
g(ỹ) − g(y)
=
−→ ,
ỹ − y
α + r(g(ỹ))
α
(ỹ → y).
Dass r(g(ỹ)) → 0 für ỹ → y folgt aus Satz 7.5.6, denn g ist stetig nach Satz 7.6.4, also
limỹ→y g(ỹ) = g(y) = x.
Mit Hilfe obiger Sätze und den bereits bekannten Ableitungen aus letztem Abschnitt
bekommt man folgende Tabelle:
64
Tabelle wichtiger Ableitungen
d α
x = αxα−1
x > 0, α ∈ R, oder x ∈ R, α ∈ N
dx
d x
d x
e = ex , und
a = log(a)ax
(a > 0)
dx
dx
d
1
log |x| =
dx
x
d
d
sin x = cos x und
cos x = − sin x
dx
dx
1
d
tan x =
= 1 + (tan x)2
dx
(cos x)2
d
1
|x| < 1
arcsin x = √
dx
1 − x2
d
1
arccos x = − √
|x| < 1
dx
1 − x2
1
d
arctan x =
|x| < 1
dx
1 + x2
d
d
sinh x = cosh x und
cosh x = sinh x
dx
dx
d
1
tanh x =
= 1 − (tan x)2
dx
(cosh x)2
1
d
sinh−1 x = √
dx
1 + x2
1
d
cosh−1 x = √
|x| > 1
2
dx
x −1
1
d
tanh−1 x =
|x| < 1
dx
1 − x2
8.3
Extrema
Die Funktion f : D → R, D ⊂ R, hat in x0 ein lokales Maximum, falls ein δ > 0 existiert
mit
f (x) ≤ f (x0 )
für x ∈ Uδ (x0 ) ∩ D.
Die Funktion f hat in x0 ein globales Maximum oder absolutes Maximum, falls
f (x) ≤ f (x0 )
für alle x ∈ D.
Lokales und globales Minimum sind analog definiert. Extremum ist der gemeinsame
Oberbegriff für Maximum und Minimum.
Satz 8.3.1. Hat f : (a, b) → R in x0 ein lokales Extremum und ist f differenzierbar in
x0 , dann gilt
f 0 (x0 ) = 0.
65
Beweis. Die Funktion f habe in x0 ein lokales Maximum. Dann ist f (x0 + h) − f (x0 ) ≤ 0
für |h| hinreichend klein. Es folgt, dass
f (x0 + h) − f (x0 )
≥0
h→0−
h
f 0 (x0 −) = lim
und
f (x0 + h) − f (x0 )
≤ 0.
h→0+
h
f 0 (x0 +) = lim
Also, da f in x0 differenzierbar ist,
0 ≤ f 0 (x0 −) = f 0 (x0 ) = f 0 (x0 +) ≤ 0,
und somit f 0 (x0 ) = 0.
Kritischer Punkt. Ein Punkt x0 ∈ R wo f 0 (x0 ) = 0, heißt kritischer oder stationärer
Punkt von f .
Korollar 8.3.2. Sei f : [a, b] → R stetig, in (a, b) differenzierbar, und seien {x1 , . . . , xn }
die kritischen Punkte von f in (a, b). Dann gilt
max f (x) = max{f (a), f (b), f (x1 ), . . . , f (xn )}.
x∈[a,b]
8.4
Der Mittelwertsatz
In diesem Abschnitt sind a, b ∈ R mit a < b.
Satz 8.4.1 (Satz von Rolle). Sei f : [a, b] → R stetig, in (a, b) differenzierbar, und
sei f (a) = f (b). Dann existiert ein t ∈ (a, b) mit f 0 (t) = 0.
Beweis. Wenn f konstant ist, dann ist die Behauptung des Satzes trivial. Ist f nicht
konstant, dann wird entweder das globale Maximum oder das globale Minimum (siehe
Theorem 7.4.2) an einer Stelle t ∈ (a, b) angenommen. Also f 0 (t) = 0 nach Satz 8.3.1.
Theorem 8.4.2 (Mittelwertsatz). Sei f : [a, b] → R stetig und in (a, b) differenzierbar. Dann existiert ein t ∈ (a, b) mit
f (b) − f (a)
= f 0 (t).
b−a
Beweis. Den Satz von Rolle anwenden auf die Funktion
g(x) = f (x) −
f (b) − f (a)
x.
b−a
66
Bemerkung. Für komplexwertige Funktionen gibt es keinen Mittelwertsatz! Zum Beispiel
ist e2πi = ei0 = 1, aber (eit )0 = ieit 6= 0 für alle t. Es gilt aber immerhin noch die
Abschätzung, welche für reellwertige Funktionen aus dem Mittelwertsatz folgt:
Satz 8.4.3. Sei f : [a, b] → C stetig und in (a, b) differenzierbar. Dann existiert ein
t ∈ (a, b) mit
|f (b) − f (a)| ≤ |f 0 (t)|(b − a)
Beweis. Sei f (b) − f (a) = reiϕ die Polardarstellung der komplexen Zahl f (b) − f (a).
Dann
|f (b) − f (a)| = e−iϕ f (b) − f (a)
und insbesondere ist die rechte Seite reellwertig. Setzen wir g(x) = Re e−iϕ f (x), dann
folgt
(22)
|f (b) − f (a)| = Re e−iϕ f (b) − f (a) = g(b) − g(a).
Nach dem Mittelwertsatzes, Theorem 8.4.2, gilt
g(b) − g(a) = g 0 (t)(b − a)
(23)
für ein t ∈ (a, b), wobei g 0 (t) = Re e−iϕ f 0 (t). Also folgt aus (22) und (23), dass
|f (b) − f (a)| = g(b) − g(a) = Re e−iϕ f 0 (t) (b − a) ≤ |f 0 (t)|(b − a).
Korollar 8.4.4. Sei I ⊂ R ein beliebiges Intervall und f : I → C differenzierbar. Dann
gilt
f genügt einer Lipschitz Bedingung ⇔ sup |f 0 (x)| < ∞.
x∈I
Korollar 8.4.5. Sei I ⊂ R ein beliebiges Intervall, f : I → C differenzierbar und f 0 = 0
auf I. Dann ist f konstant.
Bemerkung. Die letzten beiden Korollare sind falsch, wenn I kein Intervall ist!
◦
Inneres eines Intervalls. Das Innere I eines Intervalls I ist die Teilmenge
◦
I := {x ∈ I|x ist kein Randpunkt von I}.
◦
Theorem 8.4.6. Sei f : I → R stetig und in I differenzierbar. Dann gilt
(a) Die Funktion f ist genau dann monoton wachsend, wenn
f 0 (x) ≥ 0
◦
für alle x ∈ I.
(24)
67
(b) Die Funktion f ist genau dann streng monoton wachsend, wenn (24) gilt und f 0
auf keinem Teilintervall positiver Länge identisch verschwindet.
Beweis. (a) Ist f monoton wachsend, dann ist [f (x + h) − f (x)]/h ≥ 0 für alle h 6= 0,
also auch f 0 (x) ≥ 0. Ist umgekehrt f nicht monoton wachsend, dann gibt es Zahlen a < b
mit f (b) < f (a), und nach dem Mittelwertsatz existiert ein t ∈ (a, b) mit
f 0 (t)(b − a) = f (b) − f (a) < 0.
Also ist (24) nicht war.
(b) Ist f streng monoton wachsend, dann gilt (24) und es gibt kein Teilintervall [a, b]
wo f 0 = 0 ist (sonst wäre f (a) = f (b) im Widerspruch zur strengen Monotonie). Gilt
umgekehrt (24) und verschwindet f 0 auf keinem Teilintervall positiver Länge, so ist f
nach (a) monoton wachsend, und sogar streng monoton. Sonst gäbe es Zahlen a < b mit
f (a) = f (b). Dann wäre aber f konstant auf [a, b] und somit f 0 = 0 auf [a, b].
8.5
Bernoulli-de l’Hôpitalsche Regel
Wie im letzten Abschnitt ist a, b ∈ R und a < b. Folgender Satz ist eine Verallgemeinerung des Mittelwertsatzes.
Satz 8.5.1. Seien f, g : [a, b] → R stetig und in (a, b) differenzierbar. Dann existiert ein
t ∈ (a, b) mit
f (b) − f (a) g 0 (t) = g(b) − g(a) f 0 (t).
Bemerkung. Mit der Wahl g(x) = x folgt aus diesem Satz der Mittelwertsatz.
Beweis. Definiere ∆f = f (b) − f (a) und ∆g = g(b) − g(a) und wende den Satz von
Rolle auf die Funktion
h(x) = ∆f g(x) − ∆gf (x)
an.
Theorem 8.5.2. Seien f, g : (a, b) → R differenzierbar, b ≤ ∞ und g(x) 6= 0, g 0 (x) 6= 0
für alle x ∈ (a, b). Falls entweder
lim f (x) = 0 = lim g(x)
x→b−
x→b−
oder
lim g(x) = ∞,
x→b−
dann gilt
f (x)
f 0 (x)
= lim 0 ,
x→b− g(x)
x→b− g (x)
lim
sofern der zweite Grenzwert in R̄ existiert.
68
Bemerkung. Dieses Theorem ist falsch für komplexwertige Funktionen.
Beweis. Sei λ = limx→b− f 0 (x)/g 0 (x) und sei ε > 0. Dann existiert x0 ∈ (a, b) mit
x0 < t < b
⇒
f 0 (t)
∈ Uε/2 (λ).
g 0 (t)
(25)
Sei nun x0 ≤ x < y < b. Nach Satz 8.5.1 gibt es ein t ∈ (x, y) mit
f 0 (t)
f (y) − f (x)
= 0 .
g(y) − g(x)
g (t)
(26)
(g(y) − g(x) 6= 0 sonst hätte g 0 nach dem Satz von Rolle eine Nullstelle in (a, b).) Nach
(25) und (26) gilt
x0 ≤ x < y < b
⇒
f (y) − f (x)
∈ Uε/2 (λ).
g(y) − g(x)
(27)
Fall 1: limy→b− f (y) = 0 = limy→b− g(y). Aus (27) folgt im Limes y → b, dass
f (x)
∈ Uε/2 (λ) ⊂ Uε (λ)
g(x)
für alle x ∈ [x0 , b). (Uε/2 = Uε/2 plus Randpunkte.)
Fall 2: limy→b− g(y) = ∞ und λ ∈ R. Nach (27) mit x = x0 und y ∈ (x0 , b)
f (y) − f (x0 )
g(y) − g(x0 ) − λ < ε/2.
Zuerst dividieren wir Zähler und Nenner des Bruchs durch g(y) und dann multiplizieren
wir beide Seiten der Ungleichung mit |1 − g(x0 )/g(y)|. Wir erhalten
f (y) f (x0 )
g(x0 ) g(x0 ) g(y) − g(y) − λ 1 − g(y) < ε/2 1 − g(y) .
Mit Hilfe der Dreiecksungleichung folgt daraus, dass
g(x0 ) f (y)
g(x0 ) f (x0 ) g(y) − λ < ε/2 1 − g(y) + g(y) + λ g(y) .
Da g(y) → ∞ für y → b−, gibt es ein y0 < b, so dass für alle y ∈ (y0 , b) die rechte Seite
kleiner als ε ist.
Beispiel. Nach Theorem 8.5.2 und wegen d/dx tan x = 1 + tan2 x gilt
2
tan x − x
tan x
1
1
lim
= ,
= lim
3
x→0
x
3 x→0
x
3
denn
tan x
= lim (1 + tan2 x) = 1.
x→0
x→0
x
lim
69
8.6
Konvexe Funktionen
Sei I ⊂ R ein beliebiges Intervall. Eine Funktion f : I → R heißt konvex, wenn für alle
x, y ∈ I und alle λ ∈ (0, 1) gilt
f ((1 − λ)x + λy) ≤ (1 − λ)f (x) + λf (y).
Die Funktion f heißt strikt konvex, wenn “<” gilt. f heißt (strikt) konkav, wenn −f
(strikt) konvex ist.
Bemerkung. Setzt man ∆x := y − x und ∆f := f (y) − f (x), dann ist obige Ungleichung
offenbar äquivalent zu f (x + λ∆x) ≤ f (x) + λ∆f . Diese Form ist für Beweise manchmal
praktischer.
Lemma 8.6.1. Wenn die Funktion f : I → R (strikt) konvex ist, dann ist der Differenzenquotient
∆f
f (y) − f (x)
m(x, y) =
=
(x < y)
∆x
y−x
sowohl als Funktion von x, wie auch als Funktion von y (streng) monoton wachsend.
Beweis. Wir betrachten nur den Fall, wo f strikt konvex ist. Seien x < t < y drei
Elemente von I und sei λ := (t − x)/∆x ∈ (0, 1). Dann ist t = x + λ∆x und daher folgt
aus der strikten Konvexität, dass
f (t) < f (x) + λ∆f.
(28)
Mit Hilfe dieser Ungleichung rechnet man leicht nach, dass
m(x, t) < m(x, y) und m(t, y) > m(x, y).
Damit ist das Lemma bewiesen.
Theorem 8.6.2. Sei I ⊂ R ein offenes Intervall und f : I → R konvex. Dann gilt
(a) f ist stetig.
(b) In jedem Punkt x0 ∈ I existieren die einseitigen Ableitungen f 0 (x0 ±) und es gilt
f 0 (x0 −) ≤ f 0 (x0 +).
(c) Für jede Zahl m mit f 0 (x0 −) ≤ m ≤ f 0 (x0 +) gilt
f (x) ≥ f (x0 ) + m(x − x0 )
für alle x ∈ I,
und es gilt “>” für x ∈ I\{x0 } wenn f strikt konvex ist.
70
Beweis. Sei x0 ∈ I. Aus Lemma 8.6.1 folgt für x, y ∈ I mit x < x0 < y, dass m(x, x0 ) ≤
m(x, y) ≤ m(x0 , y), und somit dass
m(x, x0 ) ≤ m(x0 , y).
(29)
Weiter folgt aus der Monotonie von m und Lemma 7.6.1 die Existenz der einseitigen
Ableitungen f 0 (x0 ±), und wegen (29) gilt
f 0 (x0 −) ≤ f 0 (x0 +),
wobei beide Werte endlich sind. Also ist f auch beidseitig stetig, denn
f (x) − f (x0 )
(x − x0 ) = f 0 (x0 ±)0 = 0.
x→x0 ±
x − x0
lim (f (x) − f (x0 )) = lim
x→x0 ±
(c) Sei nun f 0 (x0 −) ≤ m ≤ f 0 (x0 +) und sei f strikt konvex. Dann folgt aus der
strengen Monotonie von m, dass
m(x, x0 ) < m < m(x0 , y)
für alle x, y ∈ I mit x < x0 < y. Durch Auflösen dieser Ungleichungen nach f (x) und
f (y) erhält man
f (x) > f (x0 ) + m(x − x0 )
und
f (y) > f (x0 ) + m(y − x0 ).
◦
Satz 8.6.3. Eine stetige Funktion f : I → R, welche in I differenzierbar ist, ist genau
◦
dann (strikt) konvex, wenn ihre Ableitung f 0 : I → R (streng) monoton wachsend ist.
◦
Beweis. Sei f strikt konvex und x, y ∈ I mit x < y. Dann ist m nach Lemma 8.6.1
streng monoton und somit
f 0 (x) = f 0 (x+) < m(x, y) < f 0 (y−) = f 0 (y).
D.h., f 0 ist streng monoton wachsend.
Sei nun umgekehrt f 0 streng monoton wachsend. Wir zeigen zuerst, dass für alle
x, t, y ∈ I mit x < t < y
m(x, t) < m(t, y).
(30)
Nach dem Mittelwertsatz existieren τ1 ∈ (x, t) und τ2 ∈ (t, y), so dass
m(x, t) = f 0 (τ1 ),
m(t, y) = f 0 (τ2 ).
Wegen τ1 < τ2 , und der strengen Monotonie von f 0 folgt daraus (30). Zu gegebenen
x, y ∈ I mit x < y und λ ∈ (0, 1) setzen wir nun t := x + λ∆x. Dann ist t − x = λ∆x
71
und y − t = (1 − λ)∆x. Also folgt aus (30), nach Multiplikation beider Seiten mit
λ(1 − λ)∆x, dass
f (t) < f (x) + λ∆f.
Nach Definition von t ist damit die strikte Konvexität von f bewiesen.
◦
Korollar 8.6.4. Sei f : I → R stetig und in I zwei mal differenzierbar. Dann gilt:
◦
(a) f ist genau dann konvex (konkav), wenn f 00 (x) ≥ 0 (bzw. f 00 (x) ≤ 0) für alle x ∈ I.
(b) f ist genau dann strikt konvex (konkav), wenn f 00 (x) ≥ 0 (bzw. f 00 (x) ≤ 0) für alle
◦
x ∈ I, und f 00 auf keinem Teilintervall positiver Länge identisch verschwindet.
Beweis. Kombiniere Satz 8.6.3 mit Theorem 8.4.6.
Satz 8.6.5. Für alle x > −1, x 6= 0, gilt
(1 + x)α > 1 + αx
falls α < 0 oder α > 1.
α
(1 + x) < 1 + αx
falls 0 < α < 1.
Beweis. Setze f (x) = (1+x)α . Dann ist f 0 (x) = α(1+x)α−1 , f 00 (x) = α(α−1)(1+x)α−2 ,
und
f (0) + f 0 (0)x = 1 + αx.
Die Voraussetzungen an α garantieren, dass f 00 > 0, bzw. f 00 < 0. Also folgt die Behauptung aus Korollar 8.6.4 und Theorem 8.6.2, (c).
Theorem 8.6.6 (Jensensche Ungleichung). Sei f : I → R konvex und p1 , . . . , pn ∈
P
(0, 1) mit nk=1 pk = 1. Dann gilt für alle x1 , . . . , xn ∈ I
f
n
X
k=1
p k xk ≤
n
X
pk f (xk ).
k=1
Ist f strikt konvex und xk 6= x1 für mindestens ein k, dann gilt “<”.
Beweis. Per Induktion in n. Für n = 2 folgt die Behauptung direkt aus der Definition
der Konvexität.
P
Satz 8.6.7. Sind p1 , . . . , pn ∈ (0, 1) mit nk=1 pk = 1, dann gilt
n
Y
k=1
xpkk
≤
n
X
p k xk ,
k=1
für alle x1 , . . . , xn ≥ 0.
Beweis. Ohne Einschränkung können wir xk > 0 für alle k annehmen. Sei uk = log xk .
Dann folgt aus der Jensenschen Ungleichung und der Konvexität von exp
n
n
n
n
n
X
X
X
Y
Y
uk p k ≤
pk exp(uk ) =
p k xk .
xpkk =
euk pk = exp
k=1
k=1
k=1
k=1
k=1
72
Beispiel. Mit pk = 1/n folgt aus obigem Satz, dass für alle x1 , . . . , xn ≥ 0,
√
x1 + . . . + x n
n
.
x 1 . . . xn ≤
n
8.7
Unstetigkeiten der Ableitung sind zweiter Art
Die Ableitung f 0 einer differenzierbaren Funktion f braucht nicht stetig zu sein, aber sie
erfüllt immerhin noch die Aussage des Zwischenwertsatzes.
Satz 8.7.1. Sei f : [a, b] → R differenzierbar und f 0 (a) < λ < f 0 (b) (oder f 0 (a) > λ >
f 0 (b)). Dann existiert ein t ∈ (a, b) mit
f 0 (t) = λ.
Beweis. Sei f 0 (a) < λ < f 0 (b) und g(x) = f (x) − λx. Dann ist
g 0 (a) < 0 < g 0 (b).
Also nimmt die stetige Funktion g ihr Minimum weder in a noch in b an, sondern in einem
inneren Punkt t ∈ (a, b). Dort gilt, nach Satz 8.3.1, g 0 (t) = 0 und somit f 0 (t) = λ.
Korollar 8.7.2. Sei f : [a, b] → C differenzierbar. Dann hat f 0 keine Unstetigkeiten
ersten Art.
8.8
Höhere Ableitungen
Sei I ⊂ R ein (nicht-triviales) Intervall, f : I → C und n ∈ N. Die n-te Ableitung f (n)
von f wird rekursiv definiert durch
f (0) := f,
f (n) :=
d (n−1)
f
,
dx
n ≥ 1,
und
D(f (n) ) := {x ∈ I|f ist n mal differenzierbar in x},
wobei f in x n mal differenzierbar genannt wird, wenn ein ε > 0 existiert, so dass
f, . . . , f (n−1) in Bε (x) ∩ I definiert sind und f (n−1) in x differenzierbar ist. Statt f (n)
schreibt man auch
n
d
dn
f, ∂ n f.
f,
n
dx
dx
Die Funktion f ist n mal differenzierbar auf I, wenn D(f (n) ) = I, und f wird n mal stetig
differenzierbar auf I genannt, wenn zusätzlich f (n) auf I stetig ist. Die Bezeichnungen
C 0 (I, X) = C(I, X),
C n (I, X)
und
C ∞ (I, X) = ∩n∈N C n (I, X)
73
sind üblich für die Menge der stetigen, der n mal stetig differenzierbaren und der beliebig
oft differenzierbaren Funktionen auf I mit Werten in X (X = R, C, . . .). Anstelle von
f ∈ C n (I, X) sagt man auch, die Funktion f sei von der Klasse C n .
Satz 8.8.1. Sind f, g : I → C n mal (stetig) differenzierbar und α, β ∈ C, dann ist auch
αf + βg n mal (stetig) differenzierbar und
(αf + βg)(n) = αf (n) + βg (n) .
Bemerkung. Nach diesem Satz ist C n (I, C) ein komplexer Vektorraum.
Beweis. Für n = 0 folgt die Behauptung des Satzes aus Satz 7.2.2. Wir nehmen nun
an, sie sei richtig für ein festes n ≥ 0 und f, g seien n + 1 mal (stetig) differenzierbar.
Dann sind f und g auch n mal (stetig) differenzierbar. Also ist (αf + βg) n mal (stetig)
differenzierbar nach Induktionsannahme, und es gilt
(αf + βg)(n) = αf (n) + βg (n) .
Die rechte Seite davon ist (stetig) differenzierbar nach Satz 8.2.1 und Satz 7.2.2, also
auch die linke Seite, und es gilt
d
d
(αf + βg)(n+1) =
(αf + βg)(n) =
(αf (n) + βg (n) ) = αf (n+1) + βg (n+1) .
dx
dx
Satz 8.8.2 (Leibnizsche Regel). Sind f, g : I → C n mal (stetig) differenzierbar,
dann ist auch (f g) n mal (stetig) differenzierbar und
n X
n (k) (n−k)
(n)
(f g) =
f g
.
k
k=0
Beweis. Für n = 0 folgt die Behauptung des Satzes aus Satz 7.2.2. Sie sei nun richtig
für ein festes n ≥ 0 und f, g seien n + 1 mal (stetig) differenzierbar. Dann sind f, g auch
n mal (stetig) differenzierbar, also nach Induktionsannahme
n X
n (k) (n−k)
(n)
(f g) =
f g
(31)
k
k=0
wobei f (k) und g (n−k) noch mindestens ein mal (stetig) differenzierbar sind. Somit ist die
rechte Seite von (31) (stetig) differenzierbar nach Satz 8.2.1 und Satz 7.2.2, also auch
die linke Seite, und nach der Produktregel gilt
n X
n (k+1) (n−k)
(n+1)
(f g)
=
f
g
+ f (k) g (n+1−k)
k
k=0
n+1 n X
X
n
n (k) (n+1−k)
(k) (n+1−k)
=
f g
+
f g
k−1
k
k=1
k=0
n X
n
n
(0) (n+1)
(n+1) (0)
= f g
+f
g +
+
f (k) g (n+1−k)
k−1
k
k=1
74
woraus die Behauptung für n + 1 folgt, denn
n
n
n+1
+
=
und
k−1
k
k
n+1
n+1
=1=
.
0
n+1
Satz 8.8.3. Sind f : I → R und g : f (I) → C n mal (stetig) differenzierbar, dann ist
auch g ◦ f n mal (stetig) differenzierbar.
Beweis. Für n = 0 folgt die Behauptung aus Satz 7.2.4. Sie sei nun richtig für ein festes
n ≥ 0 und f, g seien n+1 mal (stetig) differenzierbar. Dann sind f und g ein mal (stetig)
differenzierbar und nach Satz 8.2.2 gilt
(g ◦ f )0 = (g 0 ◦ f )f 0
wobei g 0 , f und f 0 noch n mal (stetig) differenzierbar sind. Nach Induktionsannahme
und nach Satz 8.8.2 ist die linke Seite, und somit auch die rechte Seite, n mal (stetig)
differenzierbar. D.h. g ◦ f ist n + 1 mal (stetig) differenzierbar.
Satz 8.8.4. Ist f : I → R n ≥ 1 mal (stetig) differenzierbar, und f 0 (x) 6= 0 für alle
x ∈ I dann ist auch f −1 : f (I) → R n mal (stetig) differenzierbar.
Bemerkung. Da f 0 (x) 6= 0 für alle x ∈ I, folgt aus Satz 8.7.1, dass entweder f 0 (x) > 0
oder f 0 (x) < 0 für alle x ∈ I. Also ist f streng monoton und f −1 existiert.
Beweis. Sei g = f −1 und h(x) = 1/x. Nach Satz 8.2.3 gilt
g0 =
f0
1
= h ◦ f 0 ◦ g.
◦g
(32)
Ist f 0 stetig, dann ist nach Satz 7.2.4 die rechte Seite und somit auch die linke Seite
stetig. Damit ist die Behauptung für n = 1 bewiesen. Sie sei nun richtig für ein festes
n ≥ 1 und f sei n+1 mal (stetig) differenzierbar. Dann sind f 0 und g noch n mal (stetig)
differenzierbar und somit ist auch h ◦ f 0 ◦ g n mal (stetig) differenzierbar nach Satz 8.8.3.
Aus (32) folgt nun, dass g 0 n mal (stetig) differenzierbar ist. Also ist g n + 1 mal (stetig)
differenzierbar.
8.9
Taylorsche Formel mit Lagrange Restglied
Die Funktion f sei n mal differenzierbar im Punkt a ∈ R. Das Polynom
Pn,a (x) =
n
X
f (k) (a)
k=0
k!
(x − a)k ,
heißt n-tes Taylor-Polynom (oder Taylor-Polynom n-ten Grades) von f an der Stelle a
(mit Entwicklungspunkt a).
75
Lemma 8.9.1. Sei f n mal differenzierbar im Punkt a. Dann gilt
(k)
Pn,a
(a) = f (k) (a),
k = 0, . . . , n,
und Pn,a ist das einzige Polynom vom Grad ≤ n mit dieser Eigenschaft.
Theorem 8.9.2 (Taylorsche Formel). Sei f ∈ C n ([a, b], R) und sei f in (a, b) (n + 1)
mal differenzierbar. Dann gibt es ein t ∈ (a, b) mit
f (b) =
n
X
f (k) (a)
k=0
k!
(b − a)k +
f (n+1) (t)
(b − a)n+1 .
(n + 1)!
Bemerkungen.
1. f (n+1) (t)(b − a)n+1 /(n + 1)! heißt Langrangesches Restglied.
2. Für n = 0 reduziert sich die Aussage auf den Mittelwertsatz.
3. Eine analoge Aussage gilt auch für f (a) − Pn,b (a).
Beweis. Wir definieren Funktionen
n
X
f (k) (x)
(b − x)k ,
g(x) :=
k!
k=0
h(x) = (b − x)n+1 .
Dann gilt g(b) = f (b), g(a) = Pn,a (b), und mit Hilfe der Produktregel erhält man für g 0
eine Differenz von zwei Summen, wo sich alle Terme gegenseitig wegheben bis auf einen:
g 0 (x) =
f (n+1) (x)
(b − x)n .
n!
Nach dem verallgemeinerten Mittelwertsatz, Satz 8.5.1, existiert ein t ∈ (a, b), so dass
g(b) − g(a) h0 (t) = h(b) − h(a) g 0 (t).
Daraus folgt, wegen h(b) = 0 und h0 (t) = −(n + 1)(b − t)n , dass
f (n+1) (t)
g 0 (t)
(b − a)n+1 .
f (b) − Pn,a (b) = g(b) − g(a) = − 0 h(a) =
h (t)
(n + 1)!
Für komplexwertige Funktionen gilt Theorem 8.9.2 nicht, aber ähnlich wie im Fall
des Mittelwertsatzes erfüllt das Restglied immerhin noch die Ungleichung, welche im
reellwertigen Fall aus Theorem 8.9.2 folgt:
Korollar 8.9.3. Sei f ∈ C n ([a, b]; C) und sei f in (a, b) (n + 1) mal differenzierbar.
Dann gibt es ein t ∈ (a, b) mit
n
(k)
X
|b − a|n+1
f (a)
k
(b − a) ≤ |f (n+1) (t)|
f (b) −
k!
(n + 1)!
k=0
76
Beweis. Man wähle ϕ ∈ R, so dass
f (b) − Pn,a (b) = e−iϕ (f (b) − Pn,a (b)),
und wende Theorem 8.9.2 auf die reellwertige Funktion f˜ = Re e−iϕ f an.
Satz 8.9.4. Für alle n ∈ N, x ∈ R gilt
n
2k+1 X
|x|2n+3
x
(a) sin x −
(−1)k
≤
(2k + 1)! (2n + 3)!
k=0
n
2k X
x
|x|2n+2
(−1)k
(b) cos x −
≤
(2k)! (2n + 2)!
k=0
Bemerkung. Für |x| < 1 folgen die Behauptungen bereits aus dem Satz von Leibniz über
alternierende Reihen.
Beweis. (a) Sei f (x) = sin(x). Dann gilt
f (2n) (x) = (−1)n sin(x),
f (2n+1) (x) = (−1)n cos(x)
und daher f (2n) (0) = 0, f (2n+1) (0) = (−1)n und |f (k) (x)| ≤ 1 für alle k ∈ N. Die
Behauptung (a) folgt nun aus Theorem 8.9.2 mit 2n + 2 an Stelle von n. Zum Beweis
von (b) vergleicht man f = cos mit dessen Taylorpolynom um 0 vom Grad 2n + 1.
8.10
Qualitative Fassung der Taylorschen Formel
Ist f : I → C differenzierbar im Punkt a ∈ I, dann gilt
f (x) = f (a) + f 0 (a)(x − a) + r(x)(x − a),
(33)
wobei r(x) → 0 für x → a. Diese Aussage wird verallgemeinert durch den folgenden
Satz, welcher wie (33) und im Gegensatz zu Theorem 8.9.2 auch für komplexwertige
Funktionen gilt.
Satz 8.10.1. Ist f : I → C und n ≥ 1 mal differenzierbar in a, dann gibt es eine in a
stetige und dort verschwindende Funktion r : I → C mit
f (x) =
n
X
f (k) (a)
k=0
k!
(x − a)k + r(x)(x − a)n .
Beweis. Sei g(x) = f (x) − Pn,a (x). Nach Annahme über f existiert ein ε > 0, so dass g
in Bε (a) ∩ I (n − 1) mal differenzierbar ist, g (n−1) in a noch einmal differenzierbar ist,
und nach Lemma 8.9.1 gilt
g(a) = g 0 (a) = . . . = g (n) (a) = 0.
(34)
77
Insbesondere verschwindet das Taylorpolynom (n − 2)ten Grades von g mit Entwicklungspunkt a, sodass nach Korollar 8.9.3,
|g(x)| ≤
|g (n−1) (tx )|
|x − a|(n−1)
(n − 1)!
(35)
mit tx zwischen x und a. Da g (n−1) im Punkt a differenzierbar ist, und wegen (34), gilt
g (n−1) (x) = g (n−1) (a) + g (n) (a)(x − a) + r̃(x)(x − a)
= r̃(x)(x − a)
wobei r̃(x) → 0 für x → a. Also nach (35) und (36)
tx − a 1
|g(x)|
→ 0,
≤
|r̃(tx )| (x − a)n
(n − 1)!
x−a
(36)
x → a,
denn tx → a für x → a. Dies beweist den Satz mit
r(x) :=
f (x) − Pn,a (x)
g(x)
=
,
n
(x − a)
(x − a)n
x 6= a,
und r(a) := 0.
Als Anwendung von Satz 8.10.1 untersuchen wir nun kritische Punkte einer Funktion
auf Extremalität:
Satz 8.10.2. Die Funktion f : I → R sei n ≥ 2 mal differenzierbar und f (n) (a) sei die
◦
erste nichtverschwindende Ableitung im kritischen Punkt a ∈ I:
f 0 (a) = . . . = f (n−1) (a) = 0,
f (n) (a) 6= 0.
Ist n gerade, dann hat f in a ein lokales Minimum oder ein lokales Maximum je nachdem
ob f (n) (a) > 0 oder f (n) (a) < 0. Ist n ungerade, dann hat f in a einen Wendepunkt,
aber kein lokales Extremum.
Beweis. Nach Vorraussetzung und nach Satz 8.10.1 gilt
(n)
f (a)
+ r(x) (x − a)n
f (x) = f (a) +
n!
(37)
wobei r(x) → 0 for x → a. Da f (n) (a) 6= 0, gibt es ein ε > 0, so dass |r(x)| < |f (n) (a)|
for x ∈ Bε (a) ∩ I, also
(n)
f (a)
+ r(x) > 0
für x ∈ Bε (a) ∩ I
(38)
n!
wenn f (n) (a) > 0, und
f (n) (a)
+ r(x) < 0
n!
für x ∈ Bε (a) ∩ I
(39)
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wenn f (n) (a) < 0.
Ist nun n gerade, dann gilt (x − a)n > 0 für alle x 6= a, sodass aus (37), (38) und
(39) die Behauptungen betreffend das lokale Extremum folgen.
Ist n ungerade, dann wechselt (x − a)n in x = a das Vorzeichen. Aus (37), (38) und
(39) folgt nun, dass auch f (x) − f (a) in x = a das Vorzeichen wechselt. Also hat f in a
kein lokales Extremum. Nach Satz 8.10.1 angewandt auf g = f 00 , gilt
(n)
f (a)
00
f (x) =
+ r(x) (x − a)n−2
(n − 2)!
wobei [. . .] in x = a das Vorzeichen nicht wechselt, (x−a)n−2 jedoch schon. Also wechselt
f 00 in a das Vorzeichen und f hat einen Wendepunkt in a.
Landausche O-Symbole. Es seien f, g : D → C und ξ ein (uneigentlicher) Häufungspunkt von D. Dann bedeutet
f (z) = o(g(z)),
(z → ξ)
dass limz→ξ |f (z)/g(z)| = 0, und
f (z) = O(g(z)),
(z → ξ)
bedeutet, dass eine Konstante C und ein ε > 0 existiert, so dass
|f (z)| ≤ C|g(z)|,
z ∈ U̇ε (ξ) ∩ D.
Beispiele.
1. Die Funktion f : I → C ist genau dann differenzierbar in a ∈ I, wenn eine
komplexe Zahl λ existiert mit
f (x) = f (a) + λ(x − a) + o((x − a)),
(x → a).
2. Ist f n ≥ 1 mal differenzierbar in a, dann gilt nach Satz 8.10.1
(x → a).
f (x) = Pn,a (x) + o (x − a)n ,
3. Ist f n + 1 mal differenzierbar in a, dann
f (x) = Pn,a (x) + O (x − a)n+1 ,
(x → a).
Beweis. Nach Satz 8.10.1 gilt
f (x) = Pn+1,a (x) + r(x)(x − a)
n+1
f (n+1) (a)
= Pn,a (x) +
+ r(x) (x − a)n+1 .
(n + 1)!
Da r(x) → 0 für x → a gibt es ein ε > 0, so dass |f (n+1) /(n + 1)! + r(x)| ≤
|f (n+1) |/(n + 1)! + 1 für x ∈ U̇ε (a) ∩ D(f ).
79
8.11
Taylor-Reihen
Sei f in Bε (a) beliebig oft differenzierbar. Dann heißt
∞
X
f (n) (a)
n!
n=0
(x − a)n
Taylor-Reihe von f um a (mit Entwicklungspunkt a).
Bemerkungen.
1. Die Taylor-Reihe einer Funktion f mit Entwicklungspunkt a braucht für x 6= a
nicht zu konvergieren, und wenn sie konvergiert, braucht sie trotzdem nicht die
Funktion darzustellen. Siehe nachstehendes Beispiel.
2. Ist f ein Polynom, dann gilt für jedes a ∈ R
f (x) =
∞
X
f (n) (a)
n!
n=0
(x − a)n ,
für alle x ∈ R.
3. Sei f : I → R. Wenn zu jedem a ∈ I ein ε > 0 existiert mit
f (x) =
∞
X
f (n) (a)
n=0
n!
(x − a)n ,
für x ∈ Ba (ε) ∩ I,
dann heißt f (reell-)analytisch.
Beispiel. Sei f ∈ C ∞ (R) mit f (x) = 0 für x ≤ 0 und f (x) > 0 für x > 0 (siehe
Satz 8.11.1). Dann gilt f (n) (0) = 0 für alle n ∈ N, sodass die Taylor-Reihe von f mit
Entwicklungspunkt 0 trivialerweise konvergiert. Aber
∞
X
f (n) (0)
n=0
n!
xn = 0 6= f (x),
für x > 0.
Satz 8.11.1. Die Funktion f : R → R definiert durch
f (x) :=
e−1/x x > 0
0
x≤0
ist beliebig oft differenzierbar.
Beweis. Per Induktion in n zeigt man, dass f (n) (x) = pn (1/x)e−1/x für x > 0, wobei pn
ein Polynom ist, und weiter dass f (n) (0) = 0.
80
Beispiele von Taylor-Reihen mit Entwicklungspunkt 0.
x
(a) e =
∞
X
xn
n=0
(b)
(c)
(d)
(e)
sin x =
cos x =
n!
∞
X
(−1)n
n=0
∞
X
1
=
1−x
(−1)n
n=0
∞
X
xn ,
n=0
log(1 + x) =
∞
X
n=1
x2n+1
(2n + 1)!
x2n
(2n)!
|x| < 1
(−1)n−1
xn
,
n
−1 < x ≤ 1.
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