Verlagsbeilage Frankfurter Allgemeine Zeitung RICHARD WAGNER LEIPZIG UND DRESDEN FEIERN DEN GROSSEN KOMPONISTEN 31. Januar 2013 | Nr. 26 ORTSBESUCHE Wo war Wagner? Ein Spaziergang durch Leipzig und Dresden auf den Spuren des Komponisten. S. V2 DER ERWÄHLTE Er gilt als einer der größten WagnerDirigenten der Welt. Christian Thielemann im Porträt. S. V6 BAYREUTH DES OSTENS Leipzig ist „Ring“-Stadt. Die Inszenierung von Joachim Herz gilt noch heute als Maßstab. S. V7 WEITERE THEMEN Nachgefragt bei Stephan Balkenhol S. V3 Interview mit Ulf Schirmer S. V4 Wagner und die Wissenschaften S. V8 EDITORIAL Ein großer Sohn Mit Richard Wagner verbindet man vor allem einen Ort: Bayreuth. Das Frankenstädtchen ist so recht bekannt eigentlich nur durch Wagners Entschluss, hier sein Festspielprojekt zu verwirklichen. Dabei hatte Wagner bis zu diesem Zeitpunkt gar keinen Bezug zu Bayreuth. Viel bedeutender für sein Leben waren zwei andere Städte: Leipzig und Dresden. Hier hat Wagner insgesamt 26 Jahre seines Lebens verbracht, ist er geboren, zur Schule gegangen, hat er seine musikalische Ausbildung erfahren und erste Gehversuche als Komponist gemacht. Wagner-Städte – wie Bayreuth oder Venedig es sind – waren Leipzig und Dresden bislang jedoch nicht. Wagner spielte, wenn überhaupt, nur eine Nebenrolle im Selbstverständnis dieser mit einem überaus reichhaltigen kulturellen Erbe gesegneten Sachsen-Metropolen. Das dürfte sich jetzt ändern. Denn 2013 ist Wagner-Jahr (am 22. Mai wäre der musikalisch Unsterbliche 200 Jahre alt geworden), und zu diesem Anlass haben Leipzig und Dresden ein Festprogramm entwickelt, welches geeignet ist, Wagner dauerhaft als Fixpunkt im Kulturleben der beiden Städte zu etablieren. Ob Leipzig und Dresden, wenn der Pulverdampf des Jubiläumsjahres verflogen ist, als fettgedruckte Orte auf der Wagner-Landkarte bestehen bleiben, wird sich zeigen. Die Voraussetzungen dafür jedenfalls sind gut. Denn mehr Wagner, als 2013 in Leipzig und Dresden stattfindet, ist kaum möglich. Und angesichts der überwältigenden Wirkung seiner Musik (Stichwort „Droge Wagner“) womöglich auch gar nicht gesund. Michael Jakob Visionär und Revolutionär: Richard Wagner (1813–1883) beeinflusste die Entwicklung der Musik bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Mein lieber Schwan! Wagners Wurzeln Konzerte, Konzerte, Konzerte, dazu Ausstellungen und Der Schöpfer unvergleichlicher Musikdramen wie „Tristan“ und „Parsifal“ Veranstaltungen sonder Zahl – 2013 dreht sich in Leipzig gehört zu den größten Genies des 19. Jahrhunderts. Die Grundlagen für und Dresden alles um Richard Wagner. die Entwicklung seiner Persönlichkeit wurden in Sachsen gelegt. VON MICHAEL JAKOB. Was für ein Fest, was für ein Jahr: Ein Mann hat Geburtstag, und zwei Städte wetteifern darum, welche von ihnen für den großen Sohn das meiste auf die Beine stellt. Für das Jubiläumsjahr 2013, in dem Richard Wagners 200. Geburtstag begangen wird, haben Leipzig und Dresden ein reichhaltiges Festprogramm entwickelt, mit Konzerten vor allem, aber auch mit zahlreichen flankierenden Ausstellungen und Veranstaltungen, die Leben und Werk dieser in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Persönlichkeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Dresden oder Leipzig? Die Frage stellt sich nicht. Dresden und Leipzig – erst dieser Zusammenklang ergibt in Bezug auf Richard Wagner Sinn. Das große Doppelfest der beiden Wagner-Städte ist dafür der beste Beweis. Leipzig und Dresden, das sind zwei Städte, die beide gleichermaßen Wagner für sich beanspruchen: Leipzig die Geburtsstadt, Dresden die Stadt, in der er seine Kindheit und Jugend verbrachte und entscheidende Impulse für seine Entwicklung erhielt. Das sind zwei unterschiedliche Stücke vom ganzen Wagner-Kuchen, und entsprechend betont jede Stadt einen anderen Aspekt. „Richard ist Leipziger“, proklamiert Leipzig und verweist damit auf die Tatsache, dass Wagner in Leipzig geboren wurde. „Wo Wagner WAGNER wurde“ kontert Dresden und postuliert mit der Versalschreibung die „Markenwerdung“ Wagners in der Elbmetropole. Mein Wagner, dein Wagner Man mag schmunzeln über die offenen und latenten Eifersüchteleien der beiden Sachsenstädte, man mag sich über das „Mein Wagner, dein Wagner“-Gezerre amüsieren – am Ende hat dieser sportliche Wettbewerb doch einen klaren Gewinner: die Musik. Den Wagner-Liebhaber jedenfalls kann es nur freuen, wenn sich Leipzig und Dresden dermaßen ins Zeug legen, sich als die Wagner-Stadt zu präsentieren. Schließlich profitiert er doppelt davon. Die ersten Töne der Wagner-Festspiele in Sachsen sind bereits gespielt. Dresden startete das Jubeljahr mit einem, nein, nicht Paukenschlag, sondern mit irisierendem Streicherklang: Am 13. Januar fand in der Semperoper die Wiederaufnahme des „Lohengrin“ statt; die Staatskapelle Dresden spielte unter ihrem Chef, dem von Publikum und Kritik gleichermaßen umjubelten Christian Thielemann, der als einer der größten Wagner-Dirigenten der Welt gilt. Thielemann steht natürlich auch im Wonne- und Feiermonat Mai am Pult der „Wunderharfe“, wie Wagner die Dresdner Staatskapelle nannte: zunächst in der Frauenkirche, um am Ort seiner Uraufführung vor 170 Jahren Wagners einziges geistliches Chorwerk, „Das Liebesmahl der Apostel“, zu dirigieren. Dann, drei Tage später, am Vorabend von Wagners Geburtstag, in der Semperoper. Hier dirigiert er die Ouvertüren und großen Tenorszenen aus Wagners Uraufführungsopern – mit dem gefeierten Jonas Kaufmann als Solisten. Der „Fliegende Holländer“, „Tannhäuser“ und „Tristan“ sind weitere Wagner-Opern, die in Dresden 2013 zu hören sind. Nicht minder ambitioniert ist das Programm, das Leipzig anlässlich Wagners 200. Geburtstag präsentiert. Mit dem „Rheingold“ startet Ulf Schirmer, Intendant und Generalmusikdirektor der Oper Leipzig, im Mai den ersten Teil der „Ring“-Tetralogie, die so sehr mit Leipzig verbunden ist wie mit keiner anderen ostdeutschen Stadt. Von Leipzig aus verbreitete sich durch die Inszenierung von Angelo Neumann 1878 die „Ring“-Euphorie in Deutschland und Europa. Und knapp hundert Jahre später war es wieder Leipzig, das „Ring“-Geschichte schrieb, als der Felsenstein-Schüler Joachim Herz seine vielbeachtete Inszenierung der Tetralogie auf die Bühne der Oper Leipzig brachte. Herz’ „Ring“, 1976 abgeschlossen, gilt vielen Liebhabern als der „wahre“ „Jahrhundert-Ring“, noch vor der legendären Bayreuther Inszenierung von Patrice Chéreau anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Festspiele. Mit dem aktuellen „Ring“-Projekt hat Leipzig wieder die Chance, mit einer großen Inszenierung (Regie: Rosamund Gilmore) in die „Ring“-Annalen einzugehen. 2016 soll das Projekt mit dem vierten Teil der Tetralogie, der „Götterdämmerung“, abgeschlossen sein. Erwähnenswert ist auch die Aufführung der drei Frühwerke „Die Feen“ (Wagners erster vollständig erhaltener Oper), „Das Liebesverbot“ und „Rienzi“, die Wagner als Jugendsünden ansah und die nun in Leipzig wieder erklingen – Fingerübungen eines Zwanzigjährigen, die gleichwohl deutlich erkennen lassen, welches Talent sich hier entwickelt. Mit dem „Parsifal“ und der „Götterdämmerung“ stehen zwei weitere wuchtige Wagner-Werke in Leipzig auf dem Programm. Dresden oder Leipzig? Die Frage stellt sich nicht. Dresden und Leipzig – erst dieser Zusammenklang ergibt in Bezug auf Wagner Sinn. Das große Doppelfest der beiden Städte ist dafür der beste Beweis. VON HANS JOHN. Richard Wagner ist eine der größten, aber auch widersprüchlichsten Gestalten der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Er verbrachte 26 Jahre seines Lebens in Sachsen, davon sieben in Leipzig und neunzehn in Dresden. Geboren wurde er am 22. Mai 1813 in Leipzig „auf dem Brühl im rot und weißen Löwen“. Sein Vater Friedrich Wagner war Polizeiaktuar. Ein halbes Jahr nach Richards Geburt verstarb Friedrich Wagner am „Lazarettfieber“, das er sich während der Völkerschlacht zugezogen hatte. Richards Mutter Johanna Rosine geb. Pätz heiratete am 28. August 1814 den Schauspieler, Lustspieldichter und Porträtmaler Ludwig Geyer und übersiedelte anschließend mit ihren sieben Kindern zu ihm nach Dresden. In dessen gastlichem Hause verkehrte häufig auch der im Dezember 1816 nach Dresden berufene Carl Maria von Weber. Durch ihn wurde Richard, der bis zu seinem 14. Lebensjahr den Familiennamen Geyer führte, inspiriert, die Musikerlaufbahn einzuschlagen. Ab 1817 besuchte Richard in Dresden die Schule des Vizehofkantors Carl Friedrich Schmidt. Ende September 1820 wurde er in die pädagogische Obhut des Possendorfer Pfarrers Christian Ephraim Wetzel gegeben, der ihn für den Besuch der Dresdner Kreuzschule vorbereiten sollte. Über die Bildung und Erziehung, die Richard in Possendorf (etwa 10 Kilometer südöstlich von Dresden gelegen) genoss, schreibt Wagner in seiner Autobiographie „Mein Leben“, er habe hier die Grundlagen des Klavierspiels und elementare Kenntnisse auf dem Gebiete der Musik vermittelt bekommen. Nach dem Tode seines Stiefvaters am 30. September 1821 fand Richard Wagner von Mitte Oktober 1821 bis September 1822 bei dessen jüngerem Bruder Karl Geyer in Eisleben liebevolle Aufnahme. Hier besuchte er zunächst die Parochialschule. Nach einem halben Jahr wechselte er in die Privatschule des Pfarrers Dr. Alt über. Der knapp einjährige Aufenthalt in der Lutherstadt wurde für den aufgeweckten Knaben zu einem unver- gesslichen Lebensabschnitt. Wagner erinnerte sich in „Mein Leben“ unter anderem an das Musikkorps des in Eisleben stationierten preußischen 12. Husarenregiments, das ihn mit Piècen aus dem Repertoire der damals gängigen Militär- und Unterhaltungsmusik beeindruckte. Der Kreuzschüler und die Musiké Im Sommer 1822 heiratete Karl Geyer und konnte den Knaben nicht länger bei sich behalten. So wurde Richard nach einigen Tagen Zwischenaufenthalts bei Adolf und Friederike Wagner in Leipzig nach Dresden zu seiner Familie zurückgeschickt. Dort wurde er am 2. Dezember 1822 unter dem Familiennamen Geyer in die Matrikel der Dresdner Kreuzschule eingetragen. Vermutlich bereits hier hat sich der an der griechischen Kulturgeschichte sehr interessierte Richard Wagner mit dem im klassischen Griechenland gebräuchlichen Begriff der „Musiké“ befasst. Darunter wurde die Gesamtheit und Verflechtung der Künste verstanden. Ab dem Mittelalter vollzog sich bekanntlich der Prozess des Auseinanderdriftens und der Emanzipation der Einzelkünste. Er währte bis zum Auftakt der romantischen Bewegung, als, beginnend mit Friedrich Hölderlin, die Wiederannäherung und gegenseitige Durchdringung der Künste gefordert wurden. Entsprechende Synästhesie-Bestrebungen sind mit den Namen Novalis, Runge, E. T. A. Hoffmann, C. D. Friedrich, Schinkel, Beethoven, Weber und anderen verbunden. Sie lieferten das theoretische Rüstzeug, auf das sich Richard Wagner später bei der schrittweisen Realisierung seines „Gesamtkunstwerkes“ berufen konnte. Auffällig ist, dass Wagner in seinen Autobiographien weder den Dresdner Kreuzchor noch dessen damaligen Kantor Friedrich Wilhelm Agthe erwähnt. Dieser bekleidete von 1822 bis 1828 das Amt des Kreuzkantors. Agthe hatte als Director musices an hohen Festund Feiertagen und auch an besonderen Sonntagen zusätzlich zu seinen Verpflichtungen an der Kreuzkirche die Kirchenmusik in der Frauen- und in der städtischen Sophienkirche zu leiten. Wagner erinnerte sich noch im Alter bei der Komposition des „Parsifal“ an den faszinierenden Effekt, den der Gesang der Kruzianer aus der inneren Kuppel der Dresdner Frauenkirche bewirkte. Die „Gralsszenen“ sind hiervon beeinflusst, namentlich der Gesang der Knaben „aus der äußersten Höhe der Kuppel“ im ersten Aufzug. Weitere Reminiszenzen an die Frauenkirche finden sich im „Rienzi“, im „Liebesverbot“ und im „Parsifal“, wo Wagner an bestimmten Stellen eine liturgische Formel, das sogenannte Dresdner Amen, verwendet. Zu Weihnachten 1827 siedelte Wagner wieder nach Leipzig über und trat am 21. Januar 1828 in das Nikolaigymnasium ein. Dort stufte man ihn auf die Tertia herunter, nachdem er auf der Kreuzschule „schon in Sekunda gesessen“ hatte. Wagner fühlte sich ungerecht behandelt und bekannte in seiner „Autobiographischen Skizze“, dass er „von da an alle Liebe zu den philologischen Studien fahren ließ“. Großen Einfluss auf seine Interessen übten von nun an die Gewandhauskonzerte und die Schätze der Bibliothek seines Onkels Adolf Wagner aus. In den Gewandhauskonzerten begeisterte er sich für Kompositionen Beethovens und Mozarts. Er kam sogar auf die kühne Idee, sein im Frühjahr 1826 beendetes Trauerspiel „Leubald“ zu vertonen. Daher entschloss er sich, mangels vorhandener musiktheoretischer Vorkenntnisse die „Methode des Generalbasses“ von Logier zu studieren. Langsam wuchs in dem damals Sechzehnjährigen die „heimliche Erkenntnis“ seiner Berufung zur Musik. Er komponierte drauflos und schuf zwei Klaviersonaten, ein Streichquartett und eine Arie, die allesamt verschollen sind. Zu Ostern des Jahres 1830 verließ Wagner die Nikolaischule und wechselte am 16. Juni in die damals weniger renommierte Thomasschule über. Aber auch dieses Kapitel der Leipziger Schulzeit gehört nicht zu den Ruhmesblättern in Wagners Vita. So klagte er in Fortsetzung auf Seite V2 RICHARD WAGNER – LEIPZIG UND DRESDEN FEIERN DEN GROSSEN KOMPONISTEN Donnerstag, 31. Januar 2013 | Nr. 26 | Seite V2 Fortsetzung von Seite V1 Wagners Wurzeln „Mein Leben“, die Lehrer der Thomasschule seien nicht geneigt gewesen, „meinen Wünschen des Studentenwerdens so gutwillig zu entsprechen; sie fanden am Schlusse des Halbjahres, dass ich mich so gut wie gar nicht um ihre Lehranstalt bekümmert hatte, und waren nicht davon zu überzeugen, dass ich ein Anrecht auf das akademische Bürgertum durch Zunahme an Gelehrsamkeit mir gewonnen hätte, [. . .] ohne um die Pedantereien auch der Thomasschul-Monarchen mich zu kümmern, verließ ich daher trotzig diese von mir durchaus unausgebeutet gelassene Lehranstalt, um sofort mich beim Rektor der Universität [. . . .] zur Inskription als Student der Musik zu melden.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung | VerlagsbeilageF Nachdem die Pariser Juli-Revolution im September und Oktober 1830 auch zu Unruhen in Leipzig geführt hatte, schloss sich Wagner den Demonstranten an. Am 23. Februar 1831 ließ er sich ohne Schulabschluss an der Leipziger Universität als „Student der Musik“ immatrikulieren. Er verfiel dort dem turbulenten Treiben der Studenten und betrachtete die Philosophie- und Ästhetikvorlesungen lediglich als Nebensache. Sein Hauptinteresse galt in den Jahren 1828 bis 1832 musikalischen Studien. Am 2. April 1829 erlebte er in einem Gewandhauskonzert unter Christian August Pohlenz die Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven. Das Konzert markiert den Anfang von Wagners Begeisterung für Beethoven. Die lebenslange Auseinandersetzung mit Beethovens Neunter ist für Wagners künftiges musikdramatisches Schaffen bedeutsam gewesen. In der Verbindung von sinfonischer Gestaltungsweise und gesungenem Dichter- WORTE ZU WAGNER „Wir werden uns weiter an ihm abarbeiten“ Am Anfang steht die oftmals berauschende, große Musik. Richard Wagner war ein Abbild seiner Geburtsstadt und ihrer Entwicklung, ein Kind seiner Zeit. Soziale Not am Beginn und Prägung durch freien Bürgersinn, Unternehmergeist, revolutionäre Umtriebe, Selbstvermarktung, bis zum Starrsinn Verfolgen der eigenen Visionen und deren tatsächliche Umsetzung mit viel Egozentrik. Von Wagner können wir lernen, dass man mit Konsequenz, Energie und starkem Willen viel erreichen kann. An Wagner kann man aber auch lernen, dass dies nicht um jeden Preis geschehen darf. Seine antisemitischen Auslassungen gegenüber Kollegen und vermeintlichen Konkurrenten in einer Leipziger Musikzeitschrift standen zwar im Geist seiner Zeit, werfen aber doch schwere Schatten auf den Charakter des Genies. Wir werden uns auch weiterhin an ihm abarbeiten. Zu unserem Nutzen. Denn Richard ist Leipziger und die Faszination Wagner ein bedeutender Teil unserer Musikstadt. Burkhard Jung, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig „Ein typischer Bürger unserer Stadt“ Richard Wagner gehört ohne Frage zu den bedeutendsten Künstlern von Weltrang, die aus Dresden kommen. Mich verbindet aber noch viel mehr mit dieser vielseitigen Persönlichkeit. Wagner musste nach der gescheiterten Revolution von 1849 seine Heimatstadt Dresden für lange Zeit verlassen – die Dresdnerinnen und Dresdner konnten 140 Jahre später in der friedlichen Revolution von 1989 ihre Ideale verwirklichen. Er war also ein typischer Bürger unserer Stadt, der mutig für die Freiheit auf die Straße gegangen ist. Mit seinen Werken hatte ich bisher wenig Berührungspunkte. So ein Jubiläum ist aber auf alle Fälle ein Grund, sich damit näher zu beschäftigen. Ich werde versuchen, ein oder zwei Aufführungen in Dresden zu besuchen. Die Dresdner Philharmonie erinnert zum Beispiel mit Gedenkkonzerten an den großen Sohn unserer Stadt. Helma Orosz, Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Dresden wort sah Wagner die Bestätigung für seine Auffassung, dass die Endzeit der instrumentalen Sinfonik herangereift sei. Die weitere Entwicklung der Musik könne nur in der engen Verflechtung von sinfonischer Musik mit Schwesterkünsten als „Gesamtkunstwerk“ gedeihen. Als „Kunstwerk der Zukunft“ schwebte ihm das „Musikdrama“ vor. In ihm seien Musik, Dichtung, szenische Gestaltung, Tanz, Bühnenbild, Beleuchtung und Ausstattung quasi unter einem Dach vereint. Musikalische Ausbildung in Leipzig Aus der „Roten Brieftasche“ Wagners, einer Kurzbiographie in Stichworten, die er ab August 1835 verfasste, geht hervor, dass er von 1828 bis 1831 von dem Gewandhausmusiker Gottlieb Müller Musiktheorie- und Kompositionsunterricht erhielt. Unter dessen Anleitung schuf der damals Siebzehnjährige erste Werke, unter anderem „Sieben Kompositionen zu Goethes Faust“, entstanden am Jahresende 1830. Ab dem Spätsommer 1831 empfing Wagner ein „knappes halbes Jahr lang“ Unterricht auf dem Gebiet des Kontrapunkts bei dem Leipziger Thomaskantor Theodor Weinlig und verfasste unter anderem eine Sinfonie, Ouvertüren und Klaviersonaten. Wagner schreibt: „Er [Weinlig] selbst entließ mich aus der Lehre, nachdem er mich so weit gebracht, dass ich die schwierigsten Aufgaben des Kontrapunktes mit Leichtigkeit zu lösen im Stande war.“ Durch ihn hatte Wagner die sichere Beherrschung des kompositorischen Handwerks und seine „Selbständigkeit“ erworben. Weinlig förderte auch die Aufführung von einigen Werken Wagners. Wichtig für Wagners weitere geistige Entwicklung wurde in Leipzig die Begegnung mit Heinrich Laube, dem Wortführer der literarischen Bewegung des „Jungen Deutschland“. Auch die Leipziger Unruhen von 1830 hatten Auswirkungen auf die geistige und politische Bewusstseinsbildung des jungen Wagner. In seiner „Autobiographischen Skizze“ bekennt er: „ . . . mit einem Schlage wurde ich Revolutionär und gelangte zu der Überzeugung, jeder halbwegs strebsame Mensch dürfe sich ausschließlich nur mit Politik beschäftigen. Mir war nur noch im Umgang mit politischen Literaten wohl: Ich begann auch eine Ouvertüre, die ein politisches Thema behandelte.“ 1833 trat Wagner seine erste Stelle als Chordirektor am Würzburger Theater an, wo er seine „Große romantische Oper“ „Die Feen“ (1833–1834) komponierte. Den Text hatte er vermutlich 1833 noch in Leipzig entworfen. Engagements als Kapellmeister in Magdeburg (1834), Königsberg (1837) und Riga (1837) folgten. In Magdeburg vollendete Wagner 1836 seine „Große komische Oper in zwei Akten“ „Das Liebesverbot oder Die Novize von Palermo“. Wegen beträchtlicher Schulden und des finanziellen Zusammenbruchs des Rigaer Theaters musste er 1839 aus Riga fliehen. Er begab sich über London nach Paris, wo er am 17. September 1839 eintraf. Aufführungen des in Paris vollendeten „Rienzi“ und des „Fliegenden Holländers“ vermochte er an der Grand Opéra der Seine-Stadt nicht durchzusetzen. Durch Vermittlung Giacomo Meyerbeers wurde die „Große tragische Oper“ „Rienzi, der Letzte der Tribunen“ an dem im Jahre 1841 von Gottfried Semper errichteten Königlich-Sächsischen Hoftheater in Dresden zur Uraufführung angenommen. Die Premiere dieses Werks am 20. Oktober 1842 war ein großer Erfolg. Bereits im April 1842 hatte Wagner mit seiner Frau Minna in der Elbestadt seinen Wohnsitz aufgeschlagen, um die Proben seines „Rienzi“ zu überwachen. Nach der sechsten Vorstellung trug man ihm die Leitung der weiteren Aufführungen seines Werks an. Auch als Dirigent vermochte Wagner zu überzeugen. Nach erfolgreichem Probedirigat von Webers „Euryanthe“ wurde Wagner am 2. Februar 1843 zum KöniglichSächsischen Hofkapellmeister auf Lebenszeit ernannt. Kurz zuvor, am 2. Januar 1843, hatte er die Uraufführung seiner romantischen Oper „Der fliegende Holländer“ am Dresdner Hoftheater geleitet. Dieses Werk ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Wagner betrachtete sich nun nicht mehr als „Verfertiger von Operntexten“, sondern als „Dichter“. Zum anderen erprobte er hier nach dem Vorbild von Webers „Euryanthe“ das Leitmotivverfahren. Wo alles seinen Anfang nahm: Richard Wagners Geburtshaus am Brühl in Leipzig. Es wurde 1886 abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. Dieser musste 1914 einem Erweiterungsbau des Kaufhauses Brühl weichen, das sich bereits seit 1908 im Nachbargebäude befand. Heute befindet sich hier das Einkaufszentrum „Höfe am Brühl“, an dessen Südeingang eine Bronzetafel angebracht ist, die darüber informiert, dass an dieser Stelle einst Wagners Geburtshaus stand. Vollgültige Meisterwerke Unter Wagners Dirigat wurde am 19. Oktober 1845 in Dresden seine „Große romantische Oper“ „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ uraufgeführt. Den Höhepunkt von Wagners kompositorischer Tätigkeit in Dresden bildete die romantische Oper „Lohengrin“, deren Partitur er am 28. April 1848 fertiggestellt hatte. Wagner gehört fraglos zu den größten Genies im neunzehnten Jahrhundert. Der Grundstock dafür wurde in Sachsen gelegt. Durch Wagner gingen von Leipzig und Dresden aus entscheidende Impulse auf die weitere Entwicklung der deutschen Oper und des Musikdramas aus. Die in Sachsen entstandenen und uraufgeführten Bühnenwerke Wagners waren nicht nur Präludien seines weiteren musikdramatischen Schaffens, wie es Wagner selbst darstellte, sondern vollgültige Meisterwerke sui generis. In Dresden brachte er mit dem „Lohengrin“ die Gattung der romantischen Oper zum Abschluss. Motive wie zum Beispiel die Verbindung von Menschen- und Geisterwelt, die Idee des Liebestodes und die Sehnsucht nach Erlösung, die in späteren Musikdramen immer wieder auftauchen, sind bereits in Dresdner Werken Wagners vorhanden. Einflüsse der jungdeutschen Literatur mit ihrem ausgeprägten Eudämonismusstreben finden sich vor allem im „Tannhäuser“. Im „Lohengrin“ ist hinter dem mythologisch verkleideten Geschehen und der Einbettung der Handlung in die deutsche Vergangenheit ein Aktualitätsbezug erkennbar. Hans Mayer wies darauf hin, dass vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse in den Jahren 1846 bis 1848 die Ansprachen König Heinrichs als Aufruf zur Ortsbesuche Viele originäre Wagner-Stätten existieren nicht mehr, andere sind noch erhalten. Wo findet man was? Ein Spaziergang durch Leipzig und Dresden auf den Spuren des großen Komponisten. VON MICHAEL ERNST. Wer das Geburtshaus von Richard Wagner sucht, hat keine Chance. Eine Bronzetafel am Leipziger Brühl informiert darüber, dass es „An dieser Stelle“ und „bis zum Jahre 1886“ gestanden haben soll. Tatsächlich gilt der 1656 erstmals erwähnte Gasthof „Zum Roten und Weißen Löwen“, der drei Jahre nach Wagners Tod abgerissen wurde und wechselnden Handelshäusern Platz machen musste, als der Ort, an dem das neunte Kind von Johanna Rosine und Carl Friedrich Wilhelm Wagner zur Welt gekommen sein soll. In Kriegswirren geboren Doch zur ewigen Frage, ob nicht vielleicht doch der Schauspieler und Porträtist Ludwig Geyer Richards leiblicher Vater gewesen sein könnte, gesellt sich inzwischen ein Zwist um den wahren Geburtsort des Knaben. Denn im Taufregister der Thomaskirche erscheint erst am 16. August 1813 ein Eintrag, fast ein Vierteljahr nach der Geburt. Der mögliche Grund dafür wird gleich nachgeliefert: 1813 tobten in und um Leipzig die Befreiungskriege gegen Napoleons Truppen. Kein guter Zeitpunkt für eine friedliche Taufe. Gut denkbar, dass die Familie des Königlichen Polizeiamtsaktuarius sicherheitshalber rechtzeitig vor Rosinens Niederkunft in den – heute längst eingemeindeten – Vorort Stötteritz ausquartiert wurde und erst nach der Rückkehr im Sommer die Kindstaufe vornehmen ließ. Richard Wagner, ein Stötteritzer? Richard wer? Jetzt muss erst einmal die Rede von Richard Geyer sein, denn ein halbes Jahr nach der Entbindung war die Mutter verwitwet und zog 1814 mitsamt ihrer Kinderschar nach Dresden. Dort war der neue Ehemann, schon zuvor ein Freund der Familie, als Mime am Hoftheater engagiert. Ludwig Geyer soll sich rührend um Richard gekümmert und dessen musische Neigung gefördert haben. Auch von den Lebensstationen der frühen Patchwork-Familie findet sich kaum noch ein Zeugnis. Von 1822 an besuchte Richard fünf Jahre lang das Kreuzgymnasium, das sich da- In Dresden „schon in Sekunda gesessen“, in Leipzig „nach Tertia“ gesetzt: An der Alten Nikolaischule in Leipzig war Wagner nicht glücklich. mals noch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kreuzkirche befand. Ende 1827 lebte seine Familie wieder in Leipzig, dort besuchte der kunstsinnige Filius zunächst die altehrwürdige Nikolaischule. Diese auf eine Gründung vom Ende des 12. Jahrhunderts zurückgehende und 1512 als erste städtische Bürgerschule in Leipzig eingeweihte Einrichtung ist – nach mehrfachem Umbau, langer Verwahrlosung und gleich 1990 in Gang gesetzter später Rettung – als „Alte Nikolaischule“ noch heute einen Besuch wert. Bestimmung zum Musiker In Leipzig, das im 19. Jahrhundert als musikalische Hauptstadt der Romantik galt, hatte Wagner seine Bestimmung zum Musiker gefunden. Beethovens „Fidelio“ gab wohl den Ausschlag dafür. Autodidaktischen Studien folgten Lehrstunden beim Gewandhausgeiger Christian Gottlieb Müller und beim Thomaskantor Christian Theodor Weinlig, der auch Clara Schumann unterwies, sowie – ohne vorherigen Schulabschluss – die Immatrikulation als Student der Musik. Weder die alte Alma Mater noch das damalige Gewandhaus, in dem 1832 Wagners Ouvertüre d-Moll aufgeführt worden ist, haben die Zeiten überdauert, auch nicht die einstige Thomasschule, die Wagner kurzzeitig besuchte. Doch stolz wie eh ragt die Thomaskirche empor, in der er getauft worden ist. EIN SCHLOSS FÜR WAGNER Nach Umwegen via Würzburg, Bad Lauchstädt, Magdeburg, Königsberg, Riga und Paris traf Wagner, inzwischen mit der Schauspielerin Minna Planer verehelicht, ein weiteres Mal in Leipzig ein und reiste von da aus per Eisenbahn nach Dresden. Die erste deutsche Fernbahnstrecke war erst 1839 eröffnet worden. Er folgte einem Ruf der Dresdner Hofoper, die seinen „Rienzi“ herausbringen wollte. Die Uraufführung dieser „Großen tragischen Oper“ im Oktober 1842 hatte so überzeugt, dass für Januar 1843 die Uraufführung des „Fliegenden Holländers“ angesetzt und Wagner bald darauf zum Königlich-Sächsischen Hofkapellmeister auf Lebenszeit ernannt worden ist. Bekanntlich sind daraus nicht viel mehr als nationalen Einigung und zur Verteidigung der Heimat aufzufassen sind. Wie Martin Gregor-Dellin in seiner WagnerBiographie feststellte, hat Wagner alle großen Themen seines Lebens während seiner Dresdner Zeit zum Abschluss gebracht oder in Angriff genommen. Im November 1848 beendete er in der Elbresidenz die Erstschrift von „Siegfrieds Tod“, der Keimzelle der späteren „Götterdämmerung“. Und bereits 1845 beschäftigte er sich während eines Sommeraufenthaltes in Marienbad mit dem „Parsifal“- und „Meistersinger“-Stoff. Prof. Dr. Hans John wirkte für mehr als 30 Jahre an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden. Von 1993 bis 2002 leitete er das ebendort von ihm begründete Institut für Musikwissenschaft. sechs Jahre geworden, wegen seiner Beteiligung am revolutionären Maiaufstand musste der steckbrieflich gesuchte Musiker am 9. Mai 1849 Hals über Kopf fliehen. Kurz zuvor stand er noch mit Michail Bakunin auf dem Turm der Kreuzkirche, um von dort aus die Truppenbewegungen zu sondieren. Sechs Wochen später wurde er seines Postens enthoben – wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst. Da hatte der verhinderte Revoluzzer längst ein sicheres Asyl in der Schweiz bezogen und behielt den Kopf oben. Rehabilitiert wurden er und sein streitbarer Gefährte Gottfried Semper erst Jahre später. Dennoch konnte der geniale Architekt ab 1871 aus dem fernen Exil sein zweites Opernhaus in Dresden errichten. Sein Sohn Manfred leitete den sieben Jahre später fertiggestellten Neubau, dessen Vorgänger 1869 abgebrannt war. Richard Wagner durfte ab 1860 wieder in die Staaten des Deutschen Bundes einreisen, nach Sachsen jedoch erst zwei Jahre später. Die Semperoper wie auch die Frauenkirche hatte er mehrfach besucht, für Letztere 1843 auch sein gewaltiges Chorwerk „Das Liebesmal der Apostel“ verfasst. Nach „Rienzi“ und „Holländer“ wurde in Dresden 1845 noch „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“ uraufgeführt, vom hier entstandenen „Lohengrin“ erklangen nur Ausschnitte in Dresden, die Uraufführung übernahm der spätere Schwiegervater Franz Liszt 1850 in Weimar. Doch die historischen Stätten fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer, die Semperoper von heute ist erst 1985 wieder eingeweiht worden, die Frauenkirche blieb bis 1994 eine mahnende Ruine. Wer will, kann nun aber an beiden Orten wieder den Wagnerschen Geist spüren. Sein Werk wird da wie dort sehr lebendig gehalten. Michael Ernst ist Autor und Maler aus Leipzig. ? GEWINNSPIEL Im Dörfchen Graupa bei Dresden bewahrt ein ehemaliges Bauernhaus, das „Schäfersche Gut“, bis heute an authentischem Ort die Erinnerung an eine schaffensreiche Zeit des Hofkapellmeisters. Vom 15. Mai bis zum 20. Juli 1846 weilte Wagner hier und skizzierte den „Lohengrin“. Als „Lohengrin-Haus“ ist das bescheidene Anwesen bereits 1907 eröffnet worden, ein findiger Verein kümmerte sich auch in schwierigen Zeiten um den Erhalt. Nach einer gründlichen Sanierung ist es 2009 wiedereröffnet worden. Parallel dazu begannen bereits die umfangreichen Renovierungsarbeiten am nahe gelegenen Jagdschloss von Graupa (Foto). Dort wurde am 12. Januar pünktlich zum Wagner-Jubiläumsjahr die Ausstellung „Wagner in Sachsen“ eröffnet. Beide Gebäude, das Bauernhaus wie das Schloss aus dem 17. Jahrhundert, firmieren nun als Richard-WagnerGedenkstätten Graupa. Während es nebenan vorrangig um „Lohengrin“ geht, widmen sich die Räume im Jagdschloss dem Gesamtkosmos des Dichter-Komponisten. Wagners Zeit in Sachsen wird mit historischen Exponaten vermittelt. Multimedial geht es weiter in Räumen, die mit „Dichtung“, „Komposition“ oder „Theater und Bühne“ überschrieben sind, um die Schaffensprozesse des Meisters und spätere Rezeption gut zu beleuchten. Im Entstehen begriffen ist eine Mediathek, für Veranstaltungen genutzt wird ein Konzertsaal im Obergeschoss – und schon jetzt darf man sich auf entspannende Momente zur wärmeren Jahreszeit freuen, denn zum kleinen Teich vor dem Jagdschloss gehört ein fast „Wagnersches“ Schwanenpaar. Michael Ernst Machen Sie mit bei unserem Preisausschreiben, und gewinnen Sie ein Wochenende in der Musikstadt Dresden. • 2 Übernachtungen für 2 Personen mit Frühstück im ****Superior Hotel Innside Dresden inklusive Nutzung des Wellness-Bereichs. • 2 Karten für die Wagner-Oper „Der Fliegende Holländer“ (Auswahltermine: 15. Juni (Premiere), 19. Juni, 28. Juni, 1. Juli, 7. Juli 2013). • 2 Dresden-City-Cards für 2 Tage, inklusive freie Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, freier Eintritt in die Museen der Staatlichen Kunstsammlungen (ausgenommen ist das Grüne Gewölbe) und viele Ermäßigungen. Und so lautet die Frage: Welche Wagner-Oper wurde vor 170 Jahren am Neuen Königlichen Hoftheater Dresden (heute Semperoper) unter Leitung des Komponisten uraufgeführt? a. „Lohengrin“ b. „Der Fliegende Holländer“ c. „Tannhäuser“ Senden Sie die Antwort mit dem Betreff „Dresden“ bis zum 28. Februar an [email protected]. Unter allen Einsendungen wird der Gewinner durch Los ermittelt. RICHARD WAGNER – LEIPZIG UND DRESDEN FEIERN DEN GROSSEN KOMPONISTEN eFrankfurter Allgemeine Zeitung | Verlagsbeilage Donnerstag, 31. Januar 2013 | Nr. 26 | Seite V3 INTERVIEW NACHGEFRAGT „Eine spannungsreiche Beziehung“ Thomas Krakow, Vorsitzender des Richard-Wagner-Verbandes Leipzig, über das Verhältnis der Leipziger zu Wagner und die Entwicklung der Wagner-Rezeption in Leipzig. Leipzig feiert in diesem Jahr seinen großen Sohn „hoch und runter“. Dabei war das Verhältnis der Leipziger zu Wagner nicht immer ungetrübt. Das Verhältnis Leipzig/Wagner ist in der Tat kein einfaches, sondern im Gegenteil ein sehr spannungsreiches. Das hat damit zu tun, dass Wagner in seiner Geburtsstadt anfangs kein großer Erfolg beschieden war. Sein Versuch, seine erste Oper, „Die Feen“, am Leipziger Theater uraufzuführen, scheiterte ebenso wie kurze Zeit später sein zweiter Anlauf mit dem „Liebesverbot“. Diese Misserfolge haben Wagners Verhältnis zu Leipzig nachhaltig beeinflusst. Die Beziehung zu seiner Geburtsstadt war seitdem nie ganz ohne Stör rungen. Hinzu kommt, dass der seinerzeit vorherrschende Musikgeschmack in Leipzig stark vom Gewandhaus und deren Kapellmeistern geprägt war – allen voran Felix r Mendelssohn Bartholdy, der das Gewandhausorchester zwölf Jahre lang leitete. Und r dessen Stil war das Gegenteil dessen, was Wagner vorschwebte. d Wurde Wagner in Leipzig nicht gespielt? Doch, natürlich, aber in der ersten Zeit, in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, häufig nicht auf dem Niveau wie in anderen Städten. Diese etwas stiefmütterliche Wagner-Rezeption in Leipzig hat sich erst mit dem Auftreten von Wagners altem Freund Heinrich Laube als Operndirektor ab 1869 geändert. Den Durchbruch brachte Angelo Neumann, der von 1876 an Operndirektor in Leipzig war und seine Intendanz gleich mit einer „Lohengrin“-Inszenierung begann. Seine grandiose „Ring“-Inszenierung aus dem Jahre 1878 markiert einen Meilenstein in der Wagner-Rezeption: Mit ihr nahm die „Ring“-Euphorie, die bald Deutschland und Europa erfasste, ihren Anfang. Ohne Widersprüche blieb das Verhältnis zwischen Leipzig und Wagner danach aber trotzdem nicht. Inwiefern? Obwohl nach Wagners Tod 1883 in Leipzig viele Stimmen laut wurden, man müsse nun unbedingt und sofort ein Denkmal für den großen Sohn errichten, hat es 100 Jahre gedauert, bis dieses Vorhaben mit der Büste am Schwanenteich in die Tat umgesetzt wurde. Ein Ganzkörperdenkmal gibt es bis heute nicht. Erst mit der Plastik von Stephan Balkenhol, die an Wagners Geburtstag am 22. Mai eingeweiht werden wird, wird diese Leerstelle geschlossen. (Siehe Interview und Kasten rechts.) Auch der Umgang der Stadt mit historischen Wagner-Stätten lässt nicht darauf schließen, dass es den Leipzigern mit „ihrem Richard“ immer so wichtig war. Wagners Geburtshaus beispielsweise wurde bereits drei Jahre nach seinem Tod abgerissen und musste einem Neubau weichen – der allerdings auch nur zwanzig Jahre Bestand hatte. Auch die alte Thomasschule, die Wagner für mehrere Jahre besuchte, gibt es heute nicht mehr. Sie machte 1902 der noch heute an derselben Stelle befindlichen Superintendantur Platz. Eine dritte wichtige Wagner-Stätte, das Alte Theater, dem Wagner viele prägende Erleb- nisse verdankte, fiel im Zweiten Weltkrieg den Bomben zum Opfer. Welche originären Wagner-Stätten gibt es heute noch in Leipzig? Anders als Dresden, das durch die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg seinen kompletten Stadtkern verloren hat, hat sich in Leipzig noch einiges an originärer Substanz erhalten können. Dazu gehört die Alte Nikolaischule, die Wagner von 1828 bis 1830 besuchte und in der ab dem 21. Mai eine Dauerausstellung zum „Jungen Wagner“ zu sehen sein wird. (Siehe Interview auf Seite 8.) Auch die Thomaskirche, in der Wagner getauft wurde, ist noch erhalten – ebenso das Königshaus am Markt, in dem Wagners Onkel Adolf, in dessen Obhut der junge Richard kurzzeitig stand, wohnte. Hinzu kommen eine Reihe weiterer mehr oder weniger bedeutender Stätten, die in irgendeiner Form eine Verbindung zu Richard Wagner haben, etwa Kintschys Schweizerhäuschen im Rosental, das seinerzeit ein beliebtes Ausflugziel war und in dessen Musikpavillon die erste öffentliche Aufführung eines Wagner-Werkes stattgefunden haben soll. Wie hat sich die Wagner-Rezeption in Leipzig nach seinem Tod entwickelt? Leipzig war in der späten Kaiser- und der Weimarer Zeit eine kulturell sehr experimentierfreudige und fortschrittliche Stadt. Die Uraufführung der umstrittenen Weill/BrechtOper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ beispielsweise fand in Leipzig statt. Und so hat es hier auch zahlreiche modern und hervorragend inszenierte Wagner-Aufführungen gegeben. Das ist vor allem Gustav Brecher zu verdanken, der ab 1914 Generalmusikdirektor an der Leipziger Oper war und das Musikleben der Stadt entscheidend prägte – bis die Nazis an die Macht kamen und den Juden Brecher ins Exil trieben. In der Nachkriegszeit ist es neben dem Gewandhauskapellmeister Franz Konwitschny vor allem ein Name, der für Leipzig und Wagner steht: „Menschlicher“ Joachim Herz. Er kam 1959 als Direktor an die Leipziger Oper, deren Neubau er mit den „Meistersingern“ eröffnete. Herz hat einen ganz neuen Stil geprägt und Leipzig zu dem Wagner-Spielort in Ostdeutschland schlechthin gemacht. Schon sein Einstand mit den „Meistersingern“ hat aufhorchen lassen, mit seinem „Lohengrin“ von 1965 hat er weitere Maßstäbe gesetzt. Und endgültig in die Geschichtsbücher ging er ein mit seiner 1976 abgeschlossenen „Ring“-Inszenierung, die vielen noch heute in Abgrenzung zur Bayreuther Chéreau-Inszenierung als der „wahre Jahrhundert-Ring“ gilt. Welche Rolle spielte Wagner in Leipzig nach der Wende? Keine allzu große. Der Höhepunkt der Wagner-Rezeption in Leipzig lag eindeutig in der Herz-Ära, danach flachte sie merklich ab. Nach der Wende hat Leipzig seine Rolle neu finden und definieren müssen und sich dabei vor allem auf Bach konzentriert. Das hat dann allerdings dazu geführt, dass die zahlreichen anderen Komponisten, die die reiche Musiktradition Leipzigs geprägt haben – neben Wagner unter anderen Mendelssohn und Schumann –, in den Hintergrund gerückt sind. Bei Mendelssohn, Schumann, auch bei Grieg, folgten bald sinnvolle und erfolgreiche Initiativen bürgerschaftlichen Engagements. Bei Wagner begann das erst Jahre später. Es ist erst der großartigen „Notenspur“-Initiative von Werner Schneider zu verdanken, dass Leipzigs Musiktradition in ihrer ganzen Vielfalt wieder erlebbar gemacht wurde. Heute ist Wagner aus Leipzig nicht mehr wegzudenken, und er wird von den Leipzigern wie selbstverständlich als unveräußerliches kulturelles Erbe betrachtet. Dazu hat nicht zuletzt die Arbeit des Richard-Wagner-Verbandes Leipzig beigetragen, der durch zahlreiche Aktivitäten die Erinnerung an einen der größten Söhne der Stadt kontinuierlich und mit wachsender Wahrnehmung hochhält. Das Gespräch führte Michael Jakob. Der Bildhauer Stephan Balkenhol über das von ihm entworfene Wagner-Denkmal, das am 22. Mai 2013 in Leipzig enthüllt werden wird. Was hat Sie an der Aufgabe gereizt, ein Denkmal für einen Komponisten zu entwerfen? Ich finde den Spagat interessant: auf der einen Seite die Motive des Auftraggebers zu verstehen und die historischen Hintergründe zu berücksichtigen, auf der anderen Seite das Werk als freie Kunst, als Großskulptur an einem öffentlichen Ort zu gestalten und es dort zu einer Art stillen, aber präsenten Mitspieler zwischen den Gebäuden und dem Verkehr im Stadtraum zu machen. Was war die besondere Herausforderung bei dieser Arbeit? Der Bildhauer Max Klinger hatte bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts mit einem Entwurf zu einem Wagner-Denkmal begonnen, jedoch nur den Sockel fertiggestellt. Meine Wagner-Skulptur steht ganz konkret und baustatisch im Dialog mit diesem Sockel. Der Block aus der Vergangenheit ist zugleich Basis und Gegenpol zu dem, was ich entworfen habe. Was hat es mit der überlebensgroßen Silhouette auf sich, die sich hinter der von Ihnen gestalteten Wagner-Skulptur erhebt? Die Silhouette nimmt den Klingerschen Entwurf auf, wie wir ihn aus Skizzen kennen. Vor diesen überlebensgroßen Schatten stelle ich einen Richard Wagner in Lebensgröße und als jüngeren, unternehmungslustigen Mann, so wie er es in seinen Leipziger Jahren ja auch war. Wagner ist später von seinen Verehrern geradezu vergöttert und zu einem ehrfurchtgebietenden, irgendwie ältlichen „Meister“ erstarrt. Ich zeige ihn normaler, nahbarer, menschlicher. Wenn Wagner aus der flachen Überhöhung herausgeholt und plastisch wird, kann man sich neu mit ihm befassen. Das Gespräch führte Michael Jakob. IRRUNGEN, WIRRUNGEN Bereits kurz nach Wagners Tod am 13. Februar 1883 wurde in Leipzig ein Komitee zur Errichtung eines Denkmals für den Komponisten gegründet, das jedoch aufgrund fehlender Mittel nichts zuwege brachte. 1903 wurde in einem zweiten Anlauf der Bildhauer und Graphiker Max Klinger mit der Realisierung eines Denkmals beauftragt. Widrige Umstände führten jedoch dazu, dass von seinem Entwurf nur der Sockel vollendet werden konnte. Auch der Entwurf des Bildhauers Emil Hipp von 1932 stand unter keinem guten Stern. Seine in den Folgejahren von den Nationalsozialisten ideologisch vereinnahmte Denkmalanlage wurde von den Stadtverantwortlichen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht fertiggestellt. Neuen Aufwind bekam die Denkmalidee 2005 mit der Gründung des „Wagner Denkmal Vereins“. Dieser führte gemeinsam mit dem „Freundeskreis Max Klinger“ und der Stadt Leipzig einen Wettbewerb durch, aus dem der Bildhauer Stephan Balkenhol als Sieger hervorging. RICHARD WAGNER – LEIPZIG UND DRESDEN FEIERN DEN GROSSEN KOMPONISTEN Donnerstag, 31. Januar 2013 | Nr. 26 | Seite V4 Frankfurter Allgemeine Zeitung | VerlagsbeilageF „Ich bin violett“ Wagners Musikdramen sind Gesamtkunstwerke, in denen die einzelnen Künste zu einem höheren Ganzen verschmelzen. Insbesondere Farben spielen in Wagners Werk eine herausragende Rolle. VON ECKART KRÖPLIN. „Wagner komponiert die Farben seiner musikalischen Dramen.“ So beschreibt der WagnerIntimus Theodor Uhlig eine wesentliche Komponente von Wagners synästhetischem Kunstkonzept. Wagners Partituren leben in entscheidendem Maße von und mit der Farbigkeit im Klanglichen und in der Szenerie. Synästhesie war seit der Romantik das vorwärtstreibende Movens neuer Kunstentwicklungen in Poesie, Malerei und Musik. Carl Maria von Weber äußerte beispielsweise über seinen „Freischütz“, es sei ihm wichtig gewesen, „die bezeichnendsten Ton- und Klangfarben“ für die „dunkle, düstere Hauptfarbe“ des Werkes hervorzuheben, und beschrieb dies anhand der Klangfarbigkeit bestimmter Instrumente und Instrumentenkombinationen. Und in den „Kreisleriana“ von E. T. A. Hoffmann, einem Lieblingsdichter Wagners, ist von einer „Übereinkunft der Farben, Töne und Düfte“ die Rede – eine weitgreifende poetische Metapher für die Synästhesie der Künste. Bei Wagner kulminierte das alles im Konzept des „Gesamtkunstwerks“, in dem die einzelnen Künste, die „Schwesterkünste“, wie er sie nannte, verschmelzen sollten. Wagner sprach da dezidiert in Feuerbachscher Manier von der „Erlösung des Egoismus“ der Einzelkünste in den „Kommunismus“ der Künste im erträumten „Kunstwerk der Zukunft“. Das musste den Zeitgenossen zunächst als blanke Utopie, als künstlerische Hypertrophie, als ästhetische Blasphemie erscheinen. Doch hat sich in der Nachfolge über die Kunst der frühen Moderne, etwa von Schönberg, Skrjabin, van Gogh, Kandinsky, Joyce und Thomas Mann, bis in die Multimedialität im Kunstschaffen am Ausgang des 20. Jahrhunderts diese Zielsetzung in vielfältigster und faszinierender Weise realisiert. So verwarf beispielsweise der Wagner-Gegner Eduard Hanslick in seiner Streitschrift „Vom Musikalisch-Schönen“ jeglichen Gedanken an eine „Erhebung der Farbe zur Musik“ als ästhetisch abwegig, während – neben Wagner – Berlioz und Liszt gerade auf das Farbige in der Musik als besonderes und eigenständiges Ästhetikum abhoben. Berlioz suchte, auch nach dem Vorbild Webers, nach jener „eigentümlichen Tonfarbe“, wie man sie analog beim „Colorit der Malerei“ beobachten könne. Und Liszt, so berichtet zumindest eine Anekdote, forderte von seinen Orchestermusikern einmal: „O, bitte, meine Herren, ein bisschen blauer!“, oder: „Das ist ein tiefes Violett, ich bitte, sich darnach zu richten! Nicht so rosa!“ Mit Weber, Berlioz und Liszt war die Emanzipation der Farbe in der Musik ostentativ auf die Tagesordnung der Kunstprogression gesetzt worden. Kein Wunder nun, dass auch Wagner vergleichbaren Synästhesien nachhing. Beim „Fliegenden Holländer“ hatte es ihm, wie er sagte, insbesondere auch die „Farbe“ des Stoffes angetan. Und auch in allen seinen späteren Werken bestimmten immer wieder spezielle Farbvorstellungen sein kompositorisches Vorgehen. Ineinanderwirken von Klang und Farbe Man mag sich einmal die Venusberg-Szenerie im „Tannhäuser“ vorstellen oder, synästhetisch besser gesagt, vor Auge und Ohr führen. Hier ist ein besonders auffälliges Beispiel für das Ineinanderwirken von Klang und Farbe gegeben. Es ist ein Paradebeispiel für die Dreischichtigkeit von Wagners künstlerischer Arbeitsweise: Zugleich mit der ersten Niederschrift des Textes entwirft er das musikalische Grundkonzept und findet eine dazugehörige unverwechselbare Farbdramaturgie. Während ihm beim Prosaentwurf zum „Tannhäuser“ gleich zu Beginn die Melodien und Harmonien mitklingen, setzt er beispielsweise auch für den Farbcharakter der ersten Szene ein Signal: „Alles durch rosiges Licht erleuchtet“, ein Signal, das später Venus mit der betörenden Klarinetten-Melodie „Geliebter, komm! Sieh dort die Grotte von ros’gen Düften mild durchwallt! Aus holder Ferne mahnen süße Klänge“ zum Höhepunkt führt, während Tannhäuser dem konträr andersfarbig seine Fluchtvision entgegensetzt: „Doch ich aus diesen ros’gen Düften verlange nach des Waldes Lüften, nach unsres Himmels klarem Blau, nach unsrem frischen Grün der Au’.“ Wie „Im Lohengrin gibt es viele blaue Musik.“ (Friedrich Nietzsche) Aufnahme der legendären blausilbernen „Lohengrin“Inszenierung von Wieland Wagner bei den Bayreuther Festspielen 1958. also der dramatische Konflikt zwischen Venus und Tannhäuser in Wort und Ton ausgetragen wird, so ist ihm auch der Farbkonflikt Rosa kontra Blau und Grün als Pendant beigegeben. Es ist Synästhesie pur. Das Blau des Himmels wird dann im „Lohengrin“ zur Grundfarbe des Vorspiels. Wagners poetische Beschreibung von dessen Musik ist eine Bildgeschichte, ein lebendiger Vorgang: Eine Engelsschar geleitet den heiligen Gral zur Erde und entfernt sich wieder. „Klarster blauer Himmelsäther“, so schrieb Wagner, rahmt diesen mirakulösen Vorgang ein. Die Farbe Blau grundiert alles. Es ist ein einzigartiges musikalisches Flair, das sich aus dem Mix hoher Holzbläser und lang gehaltener Flageolett-Töne der hohen Streicher als synästhetischer Gleichklang zum Azurblau des Himmels ergibt. Kein Wunder, dass der hellsichtige und hellhörige Friedrich Nietzsche schrieb: „Im Lohengrin gibt es viele blaue Musik.“ Nicht erstaunlich ist es daher auch, dass Wagner so eindrucksvolle Wiedergänger in der Malerei und Dichtung, etwa Delacroix, Redon, Fantin-Latour und Kandinsky, fand, dass van Gogh und Gauguin, von Wagners Musik angeregt, zu einer „Musik der Farben“ strebten, dass Baudelaire, als dieser „Tannhäuser“- und „Lohengrin“-Musik gehört hatte, zu literarischen Farbphantasien und zu seinem berühmten Gedicht „Correspondances“ mit der „Zusammenkunft von Düften, Farben und Tönen“ verführt wurde, dass Hermann Hesse an seiner poetischen Figur Klingsor hervorhob: „Er sah Töne und hörte Farben“, dass schließlich Theodor W. Adorno, der doch eigentlich ein Gegner der Wagnerschen Synästhesie war, nicht umhinkonnte, diesem zuzugestehen, ein Meister der „Klangfarbenkomposition“ gewesen zu sein. Zu Recht konnte Wagner am Ende seines Lebens das Resümee ziehen: „Es freut mich, dass ich in verschiedenen Farben zu malen wusste.“ Faszinierende Farbdramaturgien Prof. Dr. phil. habil. Eckart Kröplin, Musik- und Theaterwissenschaftler, lehrte Dramaturgie und Geschichte des Musiktheaters an der Theaterhochschule Leipzig und war seit der Wiedereröffnung der Semperoper Dresden 1985 dort auch etliche Jahre Chefdramaturg und Stellvertreter des Intendanten. 2011 erschien im Verlag Königshausen & Neumann sein Standardwerk „Richard Wagner. Musik aus Licht. Synästhesien von der Romantik bis zur Moderne“, 4 Bände. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele von Wagners faszinierenden Farbdramaturgien in seiner Musik: etwa das wallende Wasser-Grün im „Rheingold“, das flirrende Rot des „Feuerzaubers“ in der „Walküre“ oder das strahlende Sonnen-Gold im „Siegfried“-Finale. Erinnert sei auch an Wagners bezeichnende Äußerung zum „Tristan“, den er als violett und lila bezeichnete. Ja, er selbst identifizierte sich später mit dieser Farbe, indem er bekannte: „Ich bin violett.“ INTERVIEW „Wir setzen die ‚Ring‘-Tradition fort“ Keine feste Verbindung Prof. Ulf Schirmer, Intendant und Generalmusikdirektor der Oper Leipzig, Wagner hat die längste Zeit seines Lebens in Dresden verbracht. über seinen Weg zu Wagner und die musikalischen Highlights in Leipzig im Dennoch sind andere Orte viel stärker im Geiste mit seinem Wagner-Jahr 2013. Namen verschweißt. Wie Dresden an Wagner gewachsen ist. Für den einen ist es das „Tristan“Erlebnis, für den anderen der Mythenzauber des „Rings“, die den Ausschlag für die lebenslange Beschäftigung mit Wagner gaben. Wie war es bei Ihnen – was hat Sie zu Wagner geführt? Wir hatten in unserem Gymnasium in Bremen ein Musikzimmer, in dem ein wunderbarer Ibach-Flügel stand. Auf dem habe ich viel geübt und mich dafür systematisch aus der reichhaltigen Notenbibliothek bedient, über die das Gymnasium verfügte. Irgendwann kam ich zu Klavierauszügen von Wagner-Opern – und war sofort fasziniert. Solche Klänge – ich habe mit der „Walküre“ begonnen – hatte ich nie zuvor gehört. Seitdem hat mich Wagner nicht mehr losgelassen. Sie haben Wagner also nicht durch externe Faktoren wie Unterricht oder die Prägung durch ein musikaffines Elternhaus kennengelernt, sondern durch selbständiges Musizieren. Ja genau, die Faszination durch Aufführungen kam erst etwa ein Jahr später, als ich am Bremer Theater die ersten Wagner-Inszenierungen sah, den „Parsifal“ zuerst, später den „Tristan“. Aber das „Ur-Erlebnis“ war die eigenständige Entdeckung der musikalischen Textur, der einzigartigen Harmonik und der kontrapunktischen Finessen, die sich mir durch das Spielen und das Studium der Partituren erschlossen. Wie hat sich Ihre Wagner-Rezeption entwickelt? Welches Werk steht in Ihrer persönlichen Rangliste ganz oben? Ganz klar der „Parsifal“. Und nicht erst als Spätentdeckung wie so häufig, sondern gewissermaßen von Anfang an. Ich habe bereits mit 18 Jahren Horst Stein beim „Parsifal“ in Bayreuth assistiert und sechs Jahre später Franz-Paul Decker in Barcelona. Erstmals selbst dirigiert habe ich den „Parsifal“ 1984 am Nationaltheater in Mannheim, da war ich gerade 25. Das Bühnenweihfestspiel ist bis heute das Werk, das ich mit Abstand am liebsten dirigiere und zu dem ich den natürlichsten Zugang habe. Alle Werke Wagners münden letztlich in den „Parsifal“. Steht der „Parsifal“ auch im Jubiläumsjahr 2013 in Leipzig auf dem Programm? Aber selbstverständlich. Es wird im Februar, März und Mai jeweils eine Aufführung unter meiner musikalischen Leitung geben. Auf welche Aufführungen darf man sich noch freuen in diesem Jahr? Eine ganze Menge. Ein Highlight ist sicher die Neuinszenierung des „Rings“, die wir im Mai mit dem „Rheingold“ starten und 2016 mit der „Götterdämmerung“ abschließen – wir bringen also pro Jahr eine Oper der Tetralogie. Das ist für die Musikstadt Leipzig ein besonderes Ereignis, denn seit Leipzig ist eine Musikstadt, das merkt man auch am Publikum. Die Menschen honorieren musikalische Leistungen mit einer Begeisterung, wie ich sie bislang nur in Wien erlebt habe. dem „Jahrhundert-Ring“ von Joachim Herz in den siebziger Jahren hat es in Leipzig keinen „Ring“ mehr gegeben. Dabei hat die „Ring“-Euphorie mit der Inszenierung von Angelo Neumann 1878 ursprünglich von Leipzig ihren Ausgang genommen. Mit der Neuinszenierung des „Rings“ setzen wir die große Leipziger „Ring“-Tradition fort. Dabei gibt es auch ein paar bemerkenswerte persönliche Kontinuitäten. So war Carl Friedrich Oberle, der das Bühnenbild für die Neuinszenierung in Leipzig gestaltet, in den Siebzigern Bühnenbildassistent bei Joachim Herz, ich selbst habe auch noch mit Herz zusammengearbeitet, das war Anfang der Neunziger an der Wiener Staatsoper. Neben den „Klassikern“ liegt ein weiterer Schwerpunkt im Jubiläumsjahr auf den Frühwerken. Welche werden zu hören sein? Wir werden in Leipzig mit dem Gewandhausorchester drei Frühwerke aufführen, beginnend mit den „Feen“ Mitte Februar, die ich selbst dirigieren werde. Anfang März folgt „Rienzi“ unter der Leitung von Matthias Foremny, dem Ersten ständigen Gastdirigenten der Oper Leipzig. Und im Herbst feiert mit dem „Liebesverbot“ ein weiteres selten gehörtes Frühwerk in Leipzig Premiere. Für viele Musikfreunde fängt Wagner bestenfalls mit dem „Fliegenden Holländer“ an, während die Frühwerke, wenn überhaupt, nur als Fingerübungen akzeptiert werden. Wagner selbst hatte die Aufführung seiner Frühwerke verboten und nur die zehn Opern ab dem „Holländer“ für Bayreuth-würdig erklärt. Wie schätzen Sie die Qualität der Frühwerke ein? Hat die intensive Beschäftigung mit ihnen zu einem neuen Verständnis geführt? Dazu möchte ich den Cellisten Siegfried Palm zitieren. Der sagte: „Man kann ein Werk erst beurteilen, wenn man es mindestens fünfmal aufgeführt hat.“ Insofern kann ich mich nur zu den „Feen“ und zum „Liebesverbot“ äußern, denn diese Werke habe ich, zumindest ausschnittsweise, bereits mehrfach dirigiert, während ich um „Rienzi“ immer einen Bogen gemacht habe, weil mir das Werk einfach nicht liegt. Bei den „Feen“ und im „Liebesverbot“ ist bereits einiges vorgebildet, was man beim reifen Wagner findet, etwa die Art, Motive zu gestalten, oder diese dräuenden Unisonogänge, die etwas Unheilvolles ankündigen. Das ist schon faszinierend. Die angesprochenen Aufführungen sind über das Jahr 2013 verteilt. Wie begeht Leipzig den Geburtstag selbst? Rund um den 22. Mai, den 200. Geburtstag Wagners, bieten wir dem Publikum ein wahres Feuerwerk an Wagner-Werken, darunter Schwergewichte wie die „Meistersinger“ und den „Parsifal“ sowie das „Rheingold“, die drei Frühwerke und den „Fliegenden Holländer“. Am Geburtstag selbst wird es im Opernhaus einen Festakt mit vielen prominenten Gästen geben. VON MARTIN MORGENSTERN. „Denk ich an Dresden in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht“, paraphrasierte ein besorgter Kurt Masur dem Autor kurz vor Weihnachten in den Block. Die Gründe für die Schlaflosigkeit des weltberühmten Dirigenten hätten einem Libretto Richard Wagners entnommen sein können: Eine einsame Oberbürgermeisterin, die ein Jahrhundertbauwerk errichten lassen will, kämpft verzweifelt gegen ihre vermeintlichen Getreuen, die Dresdner Stadträte – wieder einmal drohte zum Jahresende der Plan, Dresden einen Konzertsaal zu schenken, an deren Negativ-Votum zu scheitern. Dresden ist dieser Tage schuldenfrei und will es unter allen Umständen bleiben. Schon von Richard Wagner ist uns ein flammender Aufruf, „Die Königliche Kapelle betreffend“, hinterlassen. Neben einer Orchesterschule zur Ausbildung des Nachwuchses hatte er in dem Schriftstück den Bau eines Konzerthauses gefordert – das es bekanntlich bis heute in Dresden nicht gibt. Wer in Dresden Wagner-Klängen nachspüren will, starte daher am besten – in der Semperoper. In der Zählung der Bürger ist es die „dritte“ Semperoper: Die erste, in der am 20. Oktober 1842 der „Rienzi“ zur Uraufführung gelangte, fiel ein Vierteljahrhundert später einem Brand zum Opfer. Der zweite SemperBau wurde 1878 fertig, Semper selbst war da in Sachsen immer noch Persona non grata und musste den Bau aus der Ferne verfolgen. 1945 wurde dieser Bau zerstört. Vierzig Jahre sollte es noch dauern, bis die Dresdner das wiedererstandene Gebäude begrüßen konnten. Erstaunlich: Der unstete Komponist hat die längste Zeit seines Lebens, nämlich neunzehn Jahre, in Dresden verbracht. Obgleich sein Name im Geiste fester verschweißt ist mit Tribschen, Bayreuth, ja, auch Venedig – mit Dresden, der Stadt, „wo ich sozusagen zu Hause bin, überall sonst in der Fremde“ (Brief an Minna Wagner, 1858), verbinden ihn zwar viele Dresdner, Auswärtige aber wüssten wohl kaum viele Verbindungslinien zu ziehen. Das ist kein Wunder, denn Wagner und Dresden – das ist keine wohlwollende, feste Verbindung, sondern eigentlich ein Sammelsurium an Fehlstellen, Missverständnissen und Verzweiflungstaten. Mit Wagner im Fokus ist die Geschichte rasch umrissen: Als Knabe besucht er ab 1822 die Kreuzschule. Nach jahrelangen Irrungen und Wirrungen wurde er 1843, nach einem Probedirigat der Weber-Oper „Euryanthe“, zum Hofkapellmeister ernannt; ein Amt, das er bis in die Maiaufstände des Jahres 1849 hinein leidenschaftlich ausübte. Dann Exilierung: Der Komponist wird steckbrieflich gesucht und muss Sachsen verlassen. Erst dreizehn Jahre später, im Herbst 1862, darf Wagner wieder einreisen. Bei drei weiteren Besuchen in der Stadt in den Jahren 1871, 1873 und 1881 erlebt er Aufführungen seiner Werke mit „seiner“ Hofkapelle, der „Wunderharfe“, wie er das Orchester einmal nannte. Klangliche Traditionen Aber wie ist Dresden an Wagner gewachsen? Trug der Komponist zur Entwicklung der Musikstadt bei? Und wo können wir heute noch Spuren des großen Komponisten finden? Gelassen ziehen sich die klanglichen Traditionen der Hofkapelle bis zum heutigen Tag. Einige Aspekte gehen auf Wagner zurück: Er war es, Sie standen schon in vielen Städten im In- und Ausland am Pult und kennen Vorlieben und Eigenarten der Zuhörer. Wie ist das Publikum in Leipzig? Leipzig ist eine Musikstadt, und das merkt man auch am Publikum. Die Menschen honorieren musikalische Leistungen mit einer Begeisterung, wie ich sie bislang nur in Wien erlebt habe. Die Leipziger mögen ihre Orchester und die Werke, die sie aufführen. Nur mit dem modernen Regie-Theater können sie nicht so viel anfangen. Das hat erst jüngst eine große Publikumsbefragung ergeben. Provokationen, die nicht dem Werk dienen, sondern vor allem der Selbstverwirklichung des Regisseurs, werden von den Leipzigern überhaupt nicht goutiert. Das Gespräch führte Michael Jakob. der als Erster versuchte, regelmäßige Abonnentenreihen zu etablieren. Mehrere Anläufe startete er, die Erfolge blieben aus; erst in den 1850er Jahren setzten sich Abonnentenreihen in Dresden durch. Und Wagner war es auch, der in Dresden die Werke des von ihm hochverehrten Beethoven etablieren half; zu mehreren Sinfonien schrieb er Werkeinführungen, legendär ist die Palmsonntags-Aufführung der „Neunten“ von 1846. Und auch in den Symphoniekonzerten übers Jahr zeigte sich Wagner erstaunlich offen, was das aufgeführte Repertoire anging. Nicht nur pflegte er älteres und zeitgenössisches Orchester-Repertoire in einer ungewöhnlich breiten Vielfalt, dirigierte neben Gluck und Weber auch Mendelssohn, Schütz, Palestrina, Bach, vor allem aber auch Dresdner Namen, zum Beispiel Johann David Heinichen, Johann Gottlieb Naumann und auch Werke seines Amtsvorgängers Francesco Morlacchi. Auch eine Reihe von Uraufführungen eigener Werke schenkte Wagner den Bürgern der Elbestadt. Die „Faust-Ouvertüre“ WV 59 gehört dazu. Zum Jubiläumskonzert der damals immerhin schon dreihundert Jahre alten Hofkapelle führte Wagner 1848 den Schluss des Ersten Aktes seines „Lohengrin“ auf; die Premieren des „Holländer“ und des „Tannhäuser“ fanden in Dresden statt. Nach dem Tod des Komponisten behielt die Stadt – auch und natürlich dank der Kapelle – ihren Ruf als außergewöhnlicher Wagner-Ort bei. Ernst von Schuch schenkte der Stadt neben den Uraufführungen der Strauss-Opern „Feuersnot“, „Salome“, „Elektra“ und „Rosenkavalier“ auch ein echtes Wagner-Schmuckstückchen, nämlich die Dresdner Erstaufführung des „Parsifal“; 1914 war das Dresdner Theater eines der ersten Theater außerhalb Bayreuths, die das Werk ins Programm nahmen. Carlos Kleibers legendäre „Tristan“-Aufnahme fand in Dresden statt; und ebenso Marek Janowskis Gesamteinspielung des „Rings“. Und Kurt Masur? Der kann – wenigstens die nächsten Monate – hoffentlich besser schlafen. Denn die Stadtoberen haben Anfang Januar – hundertfünfzig Jahre nachdem Wagners Steckbrief im Dresdner Stadtpolizeikollegium aushing – den Bau des allerersten städtischen Konzertsaals auf den Weg gebracht. Dr. Martin Morgenstern arbeitete unter anderem als Lehrbeauftragter für Musikjournalismus an den Universitäten von Bremen und Eichstätt. Seit 2007 ist er Chefredakteur von „Musik in Dresden“. Semperoper, die Erste: Hier fand am 20. Oktober 1842 die Uraufführung des „Rienzi“ statt. eFrankfurter Allgemeine Zeitung | Verlagsbeilage RICHARD WAGNER – LEIPZIG UND DRESDEN FEIERN DEN GROSSEN KOMPONISTEN Donnerstag, 31. Januar 2013 | Nr. 26 | Seite V6 Frankfurter Allgemeine Zeitung | VerlagsbeilageF Der Erwählte Christian Thielemann, Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, gilt als einer der bedeutendsten WagnerInterpreten der Welt. Annäherung an einen Ausnahmemusiker. VON MICHAEL JAKOB. Sie war da, schon immer: Die Musik Richard Wagners ist aus Christian Thielemanns Leben nicht wegzudenken. Von frühester Kindheit an gehörte klassische Musik, und hier nicht zuletzt das Opernschaffen Wagners, wie selbstverständlich zum natürlichen Umfeld im Hause seiner Eltern in Berlin-Schlachtensee, wo der weltweit gefeierte Kapellmeister, seit vergangenem Jahr Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, aufgewachsen ist. Da erscheint es fast folgerichtig, zumindest nicht überraschend, dass das musikalisch hochbegabte Kind früh den Wunsch entwickelte, Dirigent zu werden – um so seine Wagner-Liebe und Wagner-Lust nicht nur passiv auszuleben, sondern selbst aktiver und gestaltender Part in diesem Spiel zu sein. In seinem im vergangenen Jahr erschienenen, sehr lesenswerten und kurzweilig geschriebenen Buch „Mein Leben mit Wagner“, das auf Gesprächen mit der Musikjournalistin Christine Lemke-Matwey beruht, gibt Thielemann beredt und anschaulich hierüber Auskunft. Ob zuerst der Gedanke an Wagner da war oder der ans Dirigieren, wisse er nicht mehr so genau, so Thielemann. „Das ist in meiner Erinnerung extrem stark miteinander verquickt.“ Woran er sich erinnern kann, das sind die verschiedenen Konzerterlebnisse und Aufnahmen, die seine WagnerSucht begründen sollten: die „Walküre“ 1966 unter Karajan, sein erster „Lohengrin“ an der Deutschen Oper und, natürlich, „Tristan“ und „Parsifal“, die er für seine Verhältnisse relativ spät entdeckt hatte, mit 13, 14 Jahren, und die ihn daher mit umso größerer Wucht getroffen hatten. Bis „ins Mark erschüttert“ habe ihn das Erleben dieser Stücke – als „wäre ich in einem Vakuum groß geworden, einem wartenden Nichts, das die Musik Richard Wagners nun sukzessive füllte“. Spätestens da war klar, wo es hinsollte. In einem Gespräch, das Thielemann 2010 mit Springer-Chef Mathias Döpfner führte, heißt es über die Schlüsselszene für seine Berufswahl: „Eigentlich wollte ich Organist werden, wegen der Bachschen Klangfülle [. . .]. Aber nach ‚Tristan‘ dachte ich: Ach, das ist noch besser. Und das macht ja der Dirigent.“ Sein offizielles Wagner-Debüt hat Thielemann mit dem „Siegfried-Idyll“ und der frühen C-Dur-Symphonie 1983 am Teatro La Fenice in Venedig gegeben. Zwei Jahre später leitete er eine konzertante Aufführung des „Rienzi“ am Niedersächsischen Staatstheater in Hannover. Und 1988 ergab sich dann endlich auch – auf Einladung von Peter Ruzicka, dem Intendanten an der Hamburgischen Staatsoper – die Gelegenheit, den „Tristan“ zu dirigieren. „Ich wusste, dass ich es konnte“, erinnert sich Thielemann, „aber ich wusste natürlich auch, dass es ein enormes Wagnis war. Wenn ich in Hamburg scheiterte, würde ich meine Karriere als Wagner-Dirigent begraben können.“ Das Wagnis ging auf. Der Hamburger „Tristan“ war ein voller Erfolg. Von da an folgten die Wagner-Debüts in immer kürzeren Abständen, wurden die Engagements gewichtiger, gewann Thielemann mehr und mehr an Statur und Format als einer der führenden Wagner-Interpreten unserer Zeit. Nur die Einladung auf den Grünen Hügel ließ irritierend lange auf sich warten. Im Jahr 2000 feierte Thielemann dann endlich auch in Bayreuth Premiere. Und was für eine! Seine „Meistersinger“-Interpretation wurde frenetisch beklatscht, von Joachim Kaiser wurde er in den Adelsstand erhoben: Mit den „Meistersingern“, so der Großkritiker in der „Süddeutschen Zeitung“, habe sich Thielemann endgültig als Dirigent gezeigt, „dessen Können, Musikalität und Kunst wahrlich an größte Vorbilder anknüpfen“. Auch die folgenden Bayreuth-Stationen wurden von Presse und Publikum bejubelt, sein „Parsifal“ (2001 für den erkrankten Christoph Eschenbach) ebenso wie sein „Tannhäuser“ (2002 bis 2005) und sein „Ring“ (2006 bis 2010 in der etwas unglücklichen Inszenierung von Tankred Dorst). Damit war Thielemann, wie er schreibt, „am Ziel“. Erfüllendes Musizieren Und heute? Dirigiert Thielemann natürlich immer noch Wagner – bis auf den „Tristan“, für den er sich nach seiner letzten Aufführung 2002 eine Pause bis zu den Bayreuther Festspielen 2015 verordnet hat – und festigt mit jeder neuen Interpretation seinen Ruf. Von „A“ wie „atemberaubend“ über „H“ wie „herausragend“ bis „Z“ wie „zeitlos“ reichen die Adjektive, mit denen die Feuilletons ihre Elogen auf Thielemanns Wagner-Dirigate würzen. Was aber macht das Besondere, Einzigartige von Thielemanns Wagner aus? Es sei – neben seinem Klangsinn, seiner Fähigkeit, große Zusammenhänge zu gestalten, seinem Gespür für Melodik, Rhythmus und Artikulation – nicht zuletzt sein außergewöhnliches Gefühl für die spezifischen Notwendigkeiten, die sich im Zusammenspiel von Orchester und Sängern ergeben, sagt Matthias Wollong, Erster Liebt Wagner und Polohemden: Christian Thielemann, Kapellmeister. Konzertmeister der ersten Violinen der Sächsischen Staatskapelle und seit vielen Jahren auch in gleicher Position Mitglied des Bayreuther Festspielorchesters. „Wie Christian Thielemann das Orchester dazu anleitet, auf die Sänger zu hören, mit ihnen zu atmen und sie organisch zu begleiten, das ist schon sehr beeindruckend“, so Wollong. „Thielemann ist weder Konzertdirigent noch Operndirigent, sondern im besten Sinne beides.“ Viele große Wagner-Momente hat der Konzertmeister mit Thielemann erlebt und dabei nie Ermüdung oder Routine feststellen können. „Jeder Wagner mit ihm war auf seine Weise ein Erlebnis.“ Wollongs persönliches Highlight ist der Bayreuther „Siegfried“, den das Orchester unter Thielemann in einer Weise kammermusikalisch, durchsichtig und flüssig realisierte, wie er es nicht für möglich gehalten hätte. „Als ich aus der letzten ‚Siegfried‘-Aufführung rausgegangen bin, hatte ich das Gefühl, dass ich dieses Werk als Mitspielender nie mehr werde besser erleben können, allenfalls anders“, erinnert sich Matthias Wollong. „Das war erfüllendes Musizieren, wie es einem auch als Profimusiker nur selten widerfährt.“ 500 ZEICHEN FÜR RICHARD WAGNER Nur 500 Zeichen? Der geniale Kapitalismuskritiker und Revolutionär brauchte für sein unsterbliches Rheingold-Motiv neun Zeichen (Noten inklusive Violinschlüssel) und der sich stets erneuernde Künstler für seine Schlüsselzeilen der „Meistersinger“ nur 80 (Walther: „Wie fang ich nach der Regel an?“ Sachs: „Ihr stellt sie selbst, und folgt ihr dann.“). Das ist Richard Wagner für mich: genialer Musiker, tiefsinniger Dichter, politischer Revolutionär. Er passt gut in unsere revolutionären Zeiten. Dr. Klaus von Dohnanyi war von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. INTERVIEW „Religiöse Wirksamkeit bis heute“ Dr. Ralf Ruhnau, Leiter des Konzertmanagements der Stiftung Frauenkirche Dresden, über das „Liebesmahl der Apostel“, das vor 170 Jahren in der Dresdner Frauenkirche uraufgeführt wurde – und anlässlich des 200. Geburtstags Wagners im Mai an ebendiesem Ort wieder erklingt. Als Auftragsarbeit für die Feier des 100. Geburtstags der Dresdner Frauenkirche schrieb Richard Wagner ein Werk für Männerchor und Orchester – „Das Liebesmahl der Apostel“ –, dessen Uraufführung am 6. Juli 1843 in der Frauenkirche er selbst leitete. Welche Stellung nimmt das „Liebesmahl“ in Wagners Werk ein? Wagner strebte, vom Vorbild Franz Liszt ermutigt, mit diesem Werk im Grunde hin zu einer neuen Kirchenmusik – Kirchenmusik auf der Schwelle zum Theater, die vom gesamten Raum, der Plastizität und der Figurensprache innerhalb der Frauenkirche inspiriert ist. Man kann hier durchaus – in Anlehnung an Wagners gleichnamige theoretische Schrift – von „Zukunftsmusik“ sprechen. scheinlich auch der Genre-Diskussion aus dem Weg gehen – manches wurde in der Fachpresse überpenibel hinterfragt. Das Publikum hat das Werk begeistert aufgenommen – der Jubel nach der Uraufführung und am Folgetag war für Wagner sicher eine große Freude. Wagner selbst soll das „Liebesmahl“ später nicht mehr geschätzt haben. Ja und nein. Wir können uns den Standpunkt Wagners aussuchen, der uns am besten gefällt. Seine Frau Cosima hat schriftlich zwei eher gegensätzliche Kommentare des Meisters über dieses Werk hinterlassen: „Niemals und nirgendwo hat in einer Kirche etwas Vergleichbares stattgefunden“, soll er gesagt haben. Ein anderes Mal nannte er das „Liebesmahl“ eine Art „Ammergauer Spiel“. Wie wirkt das „Liebesmahl“ in Wagners Werk nach? Nach Dresden hatte Wagner mit Kirchenmusik nicht mehr viel im Sinn. „Parsifal“ als „Bühnenweihfestspiel“ ist etwas völlig anderes: Dar- in verbindet Wagner christliche Elemente mit mittelalterlicher Epik und keltischen Legenden, bis hin zu fernöstlicher Exotik einschließlich buddhistischen Bezügen. Dennoch finden sich im „Parsifal“ Reminiszenzen an Dresden wieder – zum Beispiel das „Dresdner Amen“, eine bestimmte liturgische Formel, die in Messen der Katholischen Hofkirche in Dresden gesungen wurde. Und nicht wenige fühlen sich bei den Gralsburg-Chorszenen und Glockenklängen an das „Liebesmahl“ und die Dresdner Frauenkirche erinnert. Sie muss auf Wagner bis zu seinem Lebensende einen unvergesslichen Eindruck gemacht haben. Welche musikgeschichtliche Bedeutung hat die Frauenkirche, insbesondere in Verbindung mit Richard Wagner? Die Frauenkirche ist Originalschauplatz an einem wichtigen Wendepunkt im Leben Wagners. Denn mit seiner neuen Position als Königlich-Sächsischer Kapellmeister fand er endlich die öffentliche Anerkennung, die ihm seine großen Opernerfolge ermöglichte. In seiner Dresdner Zeit war Wagners Hinwendung zum Christlichen so stark und ursprünglich wie nie zuvor oder danach in seinem Leben. „Das Liebesmahl der Apostel“ beweist das ebenso deutlich wie seine 1848 entstandene Bearbeitung von Palestrinas „Stabat mater“. Noch kurz vor seiner Flucht aus Dresden 1849 fertigte Wagner Skizzen zu einer geplanten Vertonung mit dem Titel „Jesus von Nazareth“ an. Mir vorzustellen, was daraus geworden wäre, bewegt mich sehr! Das Gespräch führte Martin Morgenstern. Wagner hat das „Liebesmahl“ explizit für die Architektur des Aufführungsortes geschrieben. Wie erlebt man das als Hörer? Wagner hat die räumlichen und akustischen Möglichkeiten der Frauenkirche perfekt genutzt. In der Fernwirkung bestimmter Passagen wird der Kirchenraum in seiner spirituellen Einheit auf beeindruckende Weise erfahrbar, vor allem bei der Ausgießung des Heiligen Geistes aus der Frauenkirchenkuppel. Wagner eröffnet in seinem Liebesmahl wahrhaft Sinnhorizonte – das ist religiöse Wirksamkeit bis heute. Wie wurde das „Liebesmahl“ von Publikum und Kritik aufgenommen? Wagner hatte das „Liebesmahl“ bewusst nicht als Oratorium betitelt. Damit wollte er wahr- Himmlische Töne: Die Frauenkirche ist auch ein grandioser Konzertsaal. RICHARD WAGNER – LEIPZIG UND DRESDEN FEIERN DEN GROSSEN KOMPONISTEN eFrankfurter Allgemeine Zeitung | Verlagsbeilage Donnerstag, 31. Januar 2013 | Nr. 26 | Seite V7 Bayreuth des Ostens Von Angelo Neumann über Gustav Brecher und Walther Brügmann bis hin zu Joachim Herz – Leipzig hat „Ring“-Geschichte geschrieben. Der Herz-„Ring“ aus den siebziger Jahren gilt noch heute als Meilenstein, an dem sich zukünftige Inszenierungen zu messen haben. VON WERNER WOLF. Richard Wagner musste erst 63 Jahre alt werden und viele Enttäuschungen erleiden, bevor seine Bühnenwerke im Theater seiner Vaterstadt endlich den ihnen gebührenden Platz erhielten. Begonnen hatte seine Entwicklung in den fünfeinhalb Jahren, die er zwischen 1827 und 1834 in Leipzig verbrachte, durchaus verheißungsvoll. Im Stadttheater und im Konzertsaal des Gewandhauses erlebte er die bedeutenden Werke des Schauspiels, der Oper und Sinfonik. Diese Erlebnisse, dazu die vollständige Ausarbeitung der Shakespeare folgenden Tragö- ? die „Leubald“ sowie der Kompositionsunterricht beim Gewandhausmusiker Christian Gottlieb Müller und beim Thomaskantor Theodor Weinlig bildeten bei arger Vernachlässigung und schließlichem Abbruch des Schulbesuches die Grundlage für Wagners Entwicklung. Erste Erfolge Mit den Konzertouvertüren in d-Moll und C-Dur, der Ouvertüre und Bühnenmusik zu Benjamin Ernst Salomo Raupachs Tragödie „König Enzio“ und der dem Vorbild Beetho- GEWINNSPIEL Machen Sie mit bei unserem Preisausschreiben und gewinnen Sie ein Wochenende in der Musikstadt Leipzig. • 2 Übernachtungen für 2 Personen mit Frühstück im Superior Hotel Fürstenhof, Leipzig. • 1 Leipzig Card (3-Tages-Gruppenkarte), beinhaltet freie Fahrt mit dem öffentlichen Personennahverkehr sowie Rabatte unter anderem für Museen, Veranstaltungen und Stadtführungen. • 2 Eintrittskarten nach Wahl für eine Wagner-Oper in der Oper Leipzig (nach Verfügbarkeit, bis Ende der Saison 2012/2013). Und so lautet die Frage: Wie lautet der Name von Wagners erster vollendeter Oper? a. „Rienzi“ b. „Die Feen“ c. „Das Liebesverbot“ Senden Sie die Antwort mit dem Betreff „Leipzig“ bis zum 28. Februar an [email protected]. Unter allen Einsendungen wird der Gewinner durch Los ermittelt. vens folgenden Sinfonie C-Dur errang der 19- und 20-Jährige erste Erfolge in der von Christian Gottlieb Müller geleiteten Konzertgesellschaft Euterpe und im Gewandhaus. Mit seiner ersten vollendeten Oper „Die Feen“ wollte sich der 20-Jährige nunmehr als Opernkomponist beweisen. Doch nach anfänglichen Zusagen folgte die Ablehnung des musikalisch anspruchsvollen, von Beethoven, Weber und Marschner beeinflussten, in wichtigen Szenen aber durchaus schon eigenständigen Werkes. Nach dieser ersten großen Enttäuschung, die ihm das Theater seiner Vaterstadt bereitete, ging es beim Versuch mit der 1836 in Magdeburg uraufgeführten zweiten Oper „Das Liebesverbot“ nicht besser. Auch der triumphale Erfolg des 1842 am Dresdener Hoftheater uraufgeführten „Rienzi“ brachte keinen Durchbruch. Bis zur ersten Aufführung einer Oper von Wagner in Leipzig, dem „Tannhäuser“, mussten noch elf Jahre vergehen, ein weiteres bis zum „Lohengrin“. Dann dauerte es acht Jahre, bis man sich endlich zur Aufführung des „Fliegenden Holländers“ aufraffte. „Rienzi“ musste noch bis 1869 warten. Da war inzwischen das Neue Theater am Augustusplatz gebaut, in dem 1870 die „Meistersinger“ folgten. Doch ihren festen Platz im Repertoire der Leipziger Oper erhielten die Werke Wagners erst ab 1876, als August Förster die Direktion, Angelo Neumann die Operndirektion und Joseph Sucher die musikalische Leitung übernahmen. Die herausragendste Tat war 1878, zwei Jahre nach den ersten Bayreuther Festspielen, die erst nach komplizierten Verhandlungen möglich gewordene Einstudierung des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“. Neumann folgte dem bei Proben in der Wiener INTERVIEW „Mitternächte der Seele“ Josef Lienhart, von 1988 bis 2008 Präsident und seitdem Ehrenpräsident des Richard Wagner Verbandes International, über die Arbeit der weltweiten Wagner-Verbände, die Internationalität von Wagners Tonsprache und sein distanziertes Verhältnis zu Wagnerianern. Der Richard Wagner Verband International hat eine lange Vorgeschichte. Wie kam es zur Gründung dieses Vereins, der heute Ableger auf allen Kontinenten hat? Richard Wagner hatte kurz vor seinem Tod die Stipendienstiftung Bayreuth ins Leben gerufen, die unbemittelten jungen Künstlern das unentgeltliche Erlebnis Bayreuth möglich machen sollte. Diese Stiftung litt nach Wagners Tod an chronischer Unterfinanzierung und krebste mehr als zwanzig Jahre fast unbemerkt vor sich hin. Es war der Initiative einer jungen Lehrerin aus Leipzig, Anna Held, zu verdanken, dass die Stiftung aus ihrem Dornröschenschlaf befreit wurde. Sie gründete den Richard Wagner Verband deutscher Frauen mit dem Zweck, Geld einzusammeln und die ursprüngliche Stipendienidee wiederaufleben zu lassen. Das war 1909. Dieses Datum gilt als die Geburtsstunde unseres Verbandes. Was ist die Aufgabe der Wagner-Verbände heute? Damals wie heute ist eine zentrale Aufgabe der Verbände, die Richard-Wagner-Stipendienstiftung zu unterstützen, was letztlich nichts anderes bedeutet, als ausgewählten jungen Künstlern Freikarten für die Festspiele zukommen zu lassen. Daneben machen die Verbände das, was auch andere Verbände tun, die sich berühmten Menschen widmen: deren Andenken wachzuhalten und das Verständnis für deren Werk zu vertiefen, zum Beispiel durch Liederabende, Konzertbesuche und Fahrten zu interessanten Aufführungen – übrigens nicht nur von WagnerWerken. Neu hinzugekommen sind in den vergangenen Jahren die Ausrichtung eines internationalen Wettbewerbs für WagnerStimmen sowie die eines Wettbewerbs für Regie und Bühnenbild. Wie muss man sich ein typisches Mitglied eines Wagner-Verbandes vorstellen? Ich wage anzunehmen, dass das Durchschnittsalter relativ hoch ist. Da haben Sie recht, aber das ist nichts Wagner-Spezifisches. Man wird einfach in jungen Jahren nicht Mitglied eines Kulturvereins, da hat man andere Prioritäten. Das durchschnittliche Eintrittsalter liegt bei uns bei etwas über fünfzig Jahren – das ist für gewöhnlich die Zeit, wenn die Kinder aus Wagners Musik ist Nervenmusik, die ans Innerste geht, sie spricht unmittelbar die elementaren menschlichen Gefühle an. Das versteht man überall auf der Welt. dem Haus sind und man wieder mehr Zeit und Muße hat, seine kulturellen Interessen zu pflegen. Neuerdings gibt es jedoch verstärkt Bestrebungen, Verbände an Universitäten zu gründen, um gezielt die Jugend anzuziehen. Meine Nachfolgerin im Amt, Professor Eva Märtson, ist hier sehr aktiv und erfolgreich unterwegs. Was macht das Besondere, das Universal-Faszinierende an Wagner aus, dass es Wagner-Verbände auf der ganzen Welt gibt, in Bangkok ebenso wie in Abu Dhabi, Peking oder Caracas? Wagners Musik ist Nervenmusik, die ans Innerste geht, sie spricht unmittelbar die elemen- taren menschlichen Gefühle an, es geht um Grundsätzliches wie Liebe und Hass, Sieg und Niederlage, Leidenschaft und Kampf – das versteht man überall auf der Welt. Wagner bringt, um mit Nietzsche zu sprechen, die „geheimnisvollen Mitternächte der Seele“ zum Klingen. Natürlich geht es auch bei Bach, Mozart oder Beethoven um menschliche Gefühle, aber nie so Grenzen überschreitend, nie so sehr das Unterbewusste aussprechend wie etwa im „Tristan“, in der „Götterdämmerung“ oder im „Parsifal“ mit den oftmals erschreckenden Abgründen dieser Tonsprache. Dies blieb dem 19. Jahrhundert vorbehalten – das Formgefühl von Barock und Rokoko zog hier noch Schranken. Wie kamen Sie selbst zu Wagner? Mein Vater hatte zahlreiche Schellack-Platten, die ich schon als kleiner Junge hoch und runter gehört habe, darunter auch eine Aufnahme des „Lohengrin“ mit Franz Völker und Maria Müller aus dem Jahre 1936 in Bayreuth. Das war mein „erster Wagner“, und seitdem hat mich der Zauber seiner Musik nicht mehr losgelassen. Mit neun Jahren hatte ich dann das Glück, meine erste Wagner-Oper live zu erleben – die „Walküre“ in einer Inszenierung von Paul Hieber am Theater Freiburg. Diese Aufführung hat mich so fasziniert, dass ich sie zu Hause mit meiner älteren Schwester gleich nachgespielt habe. Schätzen Sie neben Wagner auch andere Komponisten? Natürlich. Das ist mir auch ganz wichtig, dass ich für anderes offen bin und bleibe und keine Scheuklappenmentalität pflege. Deshalb mag ich auch den Begriff „Wagnerianer“ nicht, denn dahinter verbirgt sich eine ausgrenzende Form des Kunstgenusses – nach dem Motto: Neben Wagner darf es keine anderen Götter geben. Als Vorsitzender des Richard Wagner Verbandes International habe ich immer Wert darauf gelegt, den Verband auch für Musik anderer Komponisten offen zu halten. Wagner selbst war sehr interessiert an den verschiedensten geistigen Strömungen – seine 2500 Bände umfassende Bibliothek in Bayreuth gibt hierüber beeindruckend Auskunft – und hat sich selbstverständlich mit der gesamten abendländischen Musiktradition auseinandergesetzt. Eine „Heiligenverehrung“, die nur Wagner sieht und sonst nichts, würde der Person des Komponisten nicht gerecht werden. Das Gespräch führte Michael Jakob. Die Tetralogie im Wandel der Zeit: Einhundert Jahre „Ring“-Inszenierungen an der Oper Leipzig. (Links: Otto Schelper als Wotan 1878; rechts: András Faragó als Wotan 1974 in der legendären Joachim-Herz-Inszenierung (Szene: „Feuerzauber“ am Ende der „Walküre). Hofoper erlebten Vorbild Wagners, den er als einzigartigen Regisseur betrachtete. Mit dem Leipziger Ensemble führte er den „Ring“ auch in Berlin auf und erhielt von Wagner für sechs Jahre das alleinige Aufführungsrecht des Werkes für Europa und Amerika. Von London bis Petersburg und Moskau feierten 1882 bis 1883 die Theaterbesucher Wagners „Ring“ und die Inszenierung Angelo Neumanns. Wegweisende Inszenierungen Mit der Erstaufführung des „Tristan“ und der ersten vollständigen zyklischen Aufführung der Opern Wagners von „Rienzi“ bis zur „Götterdämmerung“ verabschiedete sich Angelo Neumann 1882 aus Leipzig. 1933 wurde der Zyklus um „Parsifal“ und „Das Liebesverbot“ erweitert. 1938, zum 125. Geburtstag Wagners, wurden erstmals auch das Fragment „Die Hochzeit“ und die „Feen“ aufgeführt. Seit Angelo Neumanns Wirken, das auch Zyklen von Mozart, Verdi, Gluck und einen insgesamt reichen Spielplan bot, konnte sich Leipzig neben Bayreuth als die Wagner-Stadt verstehen. Die nach Wagners Vorbild geschaffenen Inszenierungen Neumanns bestimmten bei mancherlei Modifikationen die Aufführungen bis 1924. Das galt bis zu einem gewissen Grade auch ab Mitte der 1920er Jahre für die Stilisierungen und Erneuerungen des Dirigen- ten Gustav Brecher und des Regisseurs Walther Brügmann. Ihr für 1933 vorbereiteter Zyklus, von dem Gustav Brecher nur noch „Rienzi“ dirigieren durfte (bei der nächsten Aufführung wurde er von SA-Banditen aus dem Haus vertrieben), bildete auch die Grundlage für die beiden Zyklen 1938. Wolfram Humperdinck und Hans Schüler werden nicht als Regisseure bezeichnet, sondern als Bühnenleiter. Beim Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg im Interimshaus Dreilinden bestimmten die kleine Bühne und das Fehlen von Material für neue Bühnenbilder weitgehend die Bühnengestaltung. Doch es war beeindruckend, was der Bühnenbildner Max Elten und die Kostümbildner aus wenig Material mit viel Phantasie auf die Bühne zauberten. Mit der Anwendung der von Walter Felsenstein entwickelten Methode des Musiktheaters durch Joachim Herz wurde der Gedankenund Ausdrucksreichtum der Werke Wagners viel weitgehender erschlossen als bisher. Den Höhepunkt erreichte der Künstler 1973 bis 1976 mit seiner tiefgründigen Inszenierung des „Rings“. Herz zeigte das Werk als Parabel, die im Sinne Wagners Gegenwärtiges der Entstehungszeit wie auch der Gegenwart ohne oberflächliche, billige Akzentuierungen assoziiert. Deklamation, Gesang, Mimik und Gestik eines jeden Sängerdarstellers, deren Mit- und Gegeneinander waren ganz aus der Musik heraus gestaltet. Kaum je waren die große Szene Loges im zweiten „Rheingold“-Bild, die große Auseinandersetzung zwischen Wotan und Fricka im zweiten Aufzug der „Walküre“, die Wissenswette Wotans mit Mime im ersten „Siegfried“-Aufzug, die Manipulationen Hagens im ersten und zweiten Aufzug der „Götterdämmerung“ so spannend und erregend wie in den Aufführungen dieser Inszenierung zu erleben. Es bleibt nur zu bedauern, dass davon keine Aufnahmen erfolgten, sonst würde man auch heute nicht nur vom Bayreuther, sondern auch vom Leipziger „JahrhundertRing“ reden. Nach leeren Ankündigungen seiner drei Vorgänger beginnt der jetzige Intendant Ulf Schirmer, der als Generalmusikdirektor diese Position erst in der zweiten Spielzeit innehat, während der Leipziger Richard-Wagner-Festtage zum 200. Geburtstag im Mai mit „Rheingold“ einen neuen, bis 2016 zu erarbeitenden „Ring“. Dieser wird sich an dem von Joachim Herz inszenierten messen lassen müssen. Prof. Dr. Werner Wolf, Ehrenvorsitzender des Richard-Wagner-Verbandes Leipzig, war von 1981 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1990 außerordentlicher Professor für Musikgeschichte am Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig. RICHARD WAGNER – LEIPZIG UND DRESDEN FEIERN DEN GROSSEN KOMPONISTEN Donnerstag, 31. Januar 2013 | Nr. 26 | Seite V8 Frankfurter Allgemeine Zeitung | VerlagsbeilageF Ödipus’ Rache Richard Wagner war nicht nur ein genialer Komponist, sondern auch ein begnadeter Schürzenjäger. Die Liste seiner Eroberungen ist lang, seine Neigung, in fremden Revieren zu wildern, hätte er fast mit dem Leben bezahlt. Stationen einer lebenslangen Tour d’amour. VON WALTER HANSEN. Wagners Frauen – da sprudeln nur so die Namen: Cosima, Minna Planer, Mathilde Wesendonck, Jessie Laussot, Friederike Meyer, Judith Gautier und so weiter. Doch kein Wagner-Lexikon nennt Friederike Galvani, die Schlüsselfigur seines Liebeslebens, eine Sängerin italienischer Abstammung am Würzburger Stadttheater, wo Richard Wagner ab Februar 1833, zwanzig Jahre alt, als Chordirektor arbeitete. Schmeichelhaftes Selbstgefühl Friederike war mit dem ersten Oboisten des Orchesters verlobt. Anlässlich einer ländlichen Hochzeit tanzte Wagner mit ihr, wie er in seiner Autobiographie „Mein Leben“ schreibt, „toll durch die Reihen der Bauern, bis die Gelegenheit es fügte, dass die allgemeine Erhitzung alle persönlichen Rücksichten auch für uns löste und wir, während der offizielle Liebhaber zum Tanz aufspielte, uns willkürlich herzten und küssten. Dass der Bräutigam beim Gewahrwerden der zärtlichen Unbefangenheit, welche Friederike mir zuwendete, sich traurig, aber nicht eigentlich verhindernd in sein Los fügte, weckte zum ersten Male in meinem Leben ein schmeichelhaftes Selbstgefühl.“ Psychologen sehen in diesen Zeilen eine später nie wieder eingestandene Bizarrerie Wagners: dass es ihm nicht nur um die Eroberung einer Frau ging, sondern – und vielleicht vor allem – um den Sieg über einen Nebenbuhler. Grund dafür sei eine seit der Kindheit nicht bewältigte Ödipus-Konstellation: libidinöse Mutterbindung, Rivalitätsverhalten gegenüber dem Stiefvater. Als solchermaßen „geschädigter Dritter“ neige Wagner notorisch dazu, anderen Männern die Frauen wegzunehmen. Mit Erfolg, wie seine lebenslange Tour d’amour bewies: Minna Planer beispielsweise, Tochter eines Dresdner Stabstrompeters, war mit Alexander von Otterstedt verlobt – bis sie Wagner im Juli 1834 kennenlernte. Der verführte und heiratete sie. Nun betrog Minna ihn und er sie. Einer seiner Seitensprünge führte ihn nach Bordeaux zu Jessie Laussot, mit der er „die gänzliche Flucht aus der Welt“ („Mein Leben“) plante. Was immer er damit meinte – es bleibt uns ein Rätsel. Denn der betrogene Ehemann, ein pomadisierter Weinhändler, vereitelte den Plan, indem er Wagner erst zu erschießen drohte, dann samt Jessie mit unbekanntem Ziel verreiste und schließlich – sicher ist sicher – Wagner auch noch die Polizei auf den Hals hetzte. Der kühlte ab und kehrte heim zu seiner Minna. Diese Episode zeigt beispielhaft: Wagners Liebesleben war überwiegend chaotisch, mitunter auch kurios. Die meisten Frauen hatten keinen nachhaltigen Einfluss auf sein Leben und sein Werk – bis auf zwei: Cosima, ursprünglich mit Wagners Freund und Bewunderer Hans von Bülow verheiratet, wurde seine zweite Ehefrau, Mutter seiner Kinder, wichtigste Mitarbeiterin und nach seinem Tod die „Herrin von Bayreuth“. Ihre Tagebücher sind von zeitgeschichtlichem Wert. Und dann Mathilde Wesendonck, verheiratet mit einem steinreichen Seidenhändler. Aus der über Jahre gereiften Liebe zu ihr schöpfte Wagner die kreativen Kräfte für ein Werk von epochaler Bedeutung: „Tristan und Isolde“. Kein Happy End für Tristan Wagner lernte Mathilde Wesendonck 1852 während seines schweizerischen Exils in Zürich kennen. Sie war 23 Jahre alt, eine zierliche vielgerühmte Schönheit. Mit ihrem 13 Jahre älteren Mann und der zweijährigen Tochter Myrrha wohnte sie in einer Suite des Luxushotels „Baur au Lac“. Otto Wesendonck, ein blonder Hüne vom Niederrhein, erwies sich als Bewunderer und spendabler Mäzen des von Geldsorgen zerschabten Richard Wagner, was den nicht hinderte, mit der Gattin des Gönners eine Liebesbeziehung anzufangen – heimlich und vorerst auf Distanz. 1854 fiel Wagner „Die Welt als Wille und Vorstellung“ von Arthur Schopenhauer in die Hände. Fasziniert von dessen Erlösungsethik und Todessehnsucht, kam ihm ein Epos in den Sinn, das er vor Jahren schon einmal in Dresden gelesen hatte: Gottfried von Straßburgs „Tristan und Isolde“, verfasst um 1210, die Geschichte von Tristan, der König Marke zur Treue verpflichtet ist, aber dessen Gemahlin Isolde liebt – die Geschichte von Wagner und Mathilde! Gelegenheit durch Nähe mit der „Tristan“-Dichtung. Mathilde las täglich, was Wagner schrieb. Am 18. September war er am Schluss angelangt: König Marke verzeiht, will die Liebenden vereinen, doch Tristan, vom Verräter Melot verletzt, stirbt in Isoldes Armen, und sie sinkt sterbend über ihn. Am selben Abend noch überreichte er Mathilde die Urschrift: „Da zum ersten Mal wurde sie machtlos und erklärte mir, nun sterben zu müssen“, so Wagner in einem Brief an seine Schwester Klara. Die Liebe brach sich Bahn. Eine verbotene Liebe, skandalös und schuldbeladen, eine Liebe voller Sehnsucht und ohne Hoffnung. Aufgewühlt von dieser Passion, begann Wagner, „Tristan und Isolde“ zu komponieren. Er fand zum „Geheimnis meiner musikalischen Form, von der ich kühn behaupte, dass sie in solcher Übereinstimmung und jedes Detail umfassenden Ausdehnung noch nicht auch nur geahnt worden ist“, wie Wagner in einer Notiz an Mathilde schrieb. Was er andeutete, war eine bisher noch unerhörte Tonsprache: Am Anfang der Tristan-Akkord, mystisch, dämonisch, ein SpannungsAkkord, in dem sich Liebessehnsucht und Verdammnis programmatisch mischen. Dann die durch das ganze Werk strömende unendliche Melodie mit subtil verwebten Leitmotiven, die nuancierte Tonfärbung, der ekstatisch überwölbte Orchesterklang, die musikalische Ausleuchtung seelischer Zerreißproben. Erste und einzige Liebe Während der Orchestrierung des zweiten Aktes, am 7. April 1858, flog die Beziehung auf. Minna zog nach Dresden, Otto Wesendonck verzieh seiner Frau. Wagner reiste nach Venedig, komponierte dort weiter an seinem „Tristan“, in Gedanken immer bei Mathilde. „Sie ist und bleibt meine erste und einzige Liebe“ schrieb er Eliza Wille, einer Freundin aus Zürcher Tagen. „Tristan und Isolde“ wurde am Königlichen Hof- und Nationaltheater zu München uraufgeführt, protegiert und finanziert von König Ludwig II., dirigiert von Hans von Bülow, bejubelt und verrissen von den Kritikern. Das Datum der Uraufführung – 10. Juni 1865 – gilt als Beginn der „musikalischen Moderne“. DREI FRAGEN AN: Dr. Wolfgang Hocquél Geschäftsführer der Kulturstiftung Leipzig Am 21. Mai wird in der Alten Nikolaischule, die Wagner von 1828 bis 1830 besucht hatte, die Dauerausstellung „Der junge Richard Wagner, 1813 bis 1834“ eröffnet. Welches Konzept steht dahinter? Die Ausstellung konzentriert sich ganz auf den jungen Wagner, seine Jugend in Dresden und Leipzig, die prägenden Bildungseinflüsse, die er hier erfahren hat, sowie seine musikalische Ausbildung. Es ist das erste Mal, dass im Rahmen einer Ausstellung Leben und Werk des jungen Wagner umfassend dargestellt und musikwissenschaftlich bewertet werden. Welche Erkenntnisse kann der Besucher gewinnen? Wir zeigen, dass Wagner, als er als 21-Jähriger Leipzig verließ, bereits ein weitgehend ausgebildeter Komponist und Dirigent war. Er hatte zu dieser Zeit bereits eine erstaunliche Zahl an Werken komponiert, die zum Teil auch schon in Leipzig aufgeführt wurden. Welche Exponate werden zu sehen sein? Es wird reichhaltiges Bildmaterial geben, das unter anderem auf rund 70 Leuchttafeln und Touchscreens präsentiert wird, dazu gibt es zahlreiche Hörstationen, an denen sich der Besucher einen Eindruck von Wagners Frühwerken verschaffen kann. Abschluss und Höhepunkt der Ausstellung bilden Filmsequenzen zur Wagner-Rezeption in Leipzig, unter anderem von der aktuellen „Feen“-Inszenierung von Barbe & Doucet. Die Frauen seines Lebens (Auswahl): Mit Minna Planer, Mathilde Wesendonck und Cosima Bülow (von links) unterhielt Richard Wagner mehr oder weniger intensive und lange Beziehungen. Der Komponist schien Freude daran zu haben, Nebenbuhlern Hörner aufzusetzen. 1857 bezogen Wesendoncks und Wagner mit Minna zwei benachbarte Häuser auf dem Grünen Hügel von Zürich. Nun mussten sich Liebe und Gewissenskonflikte zuspitzen, einfach dadurch, dass Wagner Mathilde täglich besuchen konnte, begünstigt durch die häufigen Geschäftsreisen des nach wie vor arglosen und höchst spendablen Ehemannes. Tristan und Isolde auf dem Grünen Hügel! Das Thema, aktuell geworden, drängte Wagner zur Umsetzung als Musikdrama. Er brach die Kompositionsarbeit am „Ring des Nibelungen“ ab und begann am 20. August Trompeten für den „Lohengrin“ Hinterfragen statt glauben Richard Wagner hat zur Entwicklung und zum Im Jubiläumsjahr laufen auch die Wissenschaften auf Bau zahlreicher neuer Instrumente beigetragen. Denn für die Realisierung seiner klar definierten klanglichen Vorstellungen reichte das Instrumentarium seiner Zeit nicht aus. VON BIRGIT HEISE. Zeit seines Lebens trug sich Wagner mit Ideen zu neuartigen musikalischen Effekten oder Instrumenten mit größerem Tonumfang und mehr Klangfülle. Aus dem Bayreuther Orchestergraben, jenem „mystischen Abgrund“, hört man immer wieder überraschende tonmalerische Akzente und Geräusche. So dürfte dem Wagner-Kenner neben der weitverbreiteten Horntube („Wagnertuba“) das eindrucksvolle Hämmern von 18 Ambossen im „Rheingold“ ebenso geläufig sein wie das spezifische Timbre der „Beckmesser-Harfe“. Doch reichten Wagners Intentionen weiter. Bei näherem Hinsehen erweist sich sein phantasievoller Umgang mit dem Instrumentarium seiner Zeit als besonders kreativ. Nach seinen Plänen entstanden zum Beispiel die Altoboe und das Gralsglocken-Klavier, baute man Bass- und Lohengrintrompeten, und selbst der Gebrauch des einzelnen, angehängten Beckens ging maßgeblich auf Wagners Anregungen zurück: Mit Paukenschlägeln bedient, illustriert es im „Ring des Nibelungen“ das glitzernde Gold und flimmernde Licht auf eine raffinierte, bis dahin nicht bekannte Weise. Dabei trieb ihn nicht die Sucht nach immer neuen Effekten, wie er selbst betonte, sondern das Streben nach besonderen, dem jeweiligen dramatischen Geschehen seiner Opern angepassten Klangfarben. Mit Orchesterinstrumenten kannte sich Wagner aus. Seine Erfahrungen bezogen sich dabei hauptsächlich auf spieltechnische Möglichkeiten, nicht unbedingt auf bauliche De- tailfragen. So vermittelte er den Herstellern seine ungefähren klanglichen Vorstellungen mit der Bitte, sich um deren Verwirklichung zu bemühen. Ganz ähnlich einem Alphorn müsse das Instrument des Hirten im „Tristan“ klingen, schrieb Wagner in der Partitur. Das Glockenspiel für die „Meistersinger“ sollte mit „richtigen Glocken“, das heißt mit Schalen anstelle von Stäben, ausgestattet sein, so eine weitere Angabe des Komponisten. Als Zupfinstrument zur Begleitung von Beckmesser („Meistersinger“) ließ Wagner eine „kleine Stahlharfe nach meiner Erfindung“ anfertigen, so dass der Opernsänger auf einer Lautenattrappe „spielte“, während aus dem Orchestergraben die kräftige, mit Stahlsaiten bespannte Harfe ertönte. Für die Realisierung seiner klar definierten akustischen Vorstellungen, aber auch für die Anschaffung qualitätvoller Musikinstrumente war der Komponist auf den Austausch mit den Instrumentenbauern angewiesen. An Gelegenheiten für Begegnungen mangelte es bei seinem abenteuerlichen Leben mit vielen Ortswechseln nicht. Schon in seiner Geburtsstadt Leipzig musste Wagner beim Durchqueren der Innenstadt zwangsläufig einige der etwa 35 Werkstätten passieren. Sein erster eigener Konzertflügel stammte dann auch von dem Leipziger Unternehmen Breitkopf & Härtel. Modernste Blasinstrumente bot Christian F. Sattler in der Querstraße. Es ist sicher kein Zufall, dass Wagner später für die Dresdner Hofkapelle einen ganzen Satz Posaunen ausgerechnet dort bestellte. An der Pariser Opéra traf er auf den berühmten Adolphe Sax, den Erfinder des Saxophons und Inhaber einer riesigen Blasinstrumentenfabrik. Wagner bezeichnete ihn schlicht als „schrecklichen Menschen“, verdankte ihm aber wichtige Impulse für spätere Sonderanfertigungen wie die Basstrompete oder die Kontrabass-Posaune. Von entscheidender Bedeutung wurden außerdem im Jahre 1862 die wenigen in Wiesbaden verbrachten Monate: Aus seinen Besuchen in der Werkstatt der Familie Heckel ergab sich eine jahrelange Kooperation, die in der Kreation zahlreicher Modelle, vom Kontrafagott bis zum Heckelphon und zur Tristan-Schalmei, gipfelte. Wagners Neugier auch am handwerklichen Entstehungsprozess schien geweckt: So soll er, wenngleich mit geringem Erfolg, das Drechseln selbst ausprobiert haben. Im benachbarten Mainz wurde der Komponist bei den Gebrüdern Alexander vorstellig. Die erfahrenen Meister für den Bau hochwertiger Hörner und Trompeten entwickelten mit Wagner erste Ideen für die spätere „Wagnertuba“. Interessant, was man innerhalb dieser Familie mündlich übermittelte: Wagner habe immer bereits konkrete Klangfarben „im Ohr“ gehabt und fieberhaft nach Möglichkeiten für deren Umsetzung gesucht. Bis in die späten Schaffensjahre zeigte sich Wagner an Neuerungen und Experimenten interessiert und schuf mit den Bayreuther Instrumentenbauern Steingraeber und Stengel exklusive Klanggeräte. Doch bekam es Wagner zuletzt nochmals mit Werkstätten aus seiner Geburtsstadt Leipzig zu tun: Aus der sächsischen Metropole ließ er besondere Hebelpauken für sein Festspielorchester anliefern, und für den Parsifal forderte er den vom Gewandhausbassisten Carl Otho entwickelten Kontrabass mit zusätzlicher fünfter C-Saite. Dr. Birgit Heise ist Kustodin des Grassimuseums für Musikinstrumente der Universität Leipzig. VON KUHGLOCKEN UND BECKMESSER-HARFEN In einer Sonderausstellung im Leipziger Grassimuseum, das Deutschlands größte und reichste Musikinstrumentensammlung beherbergt, finden sich erstmals alle Musikinstrumententypen vereint, die mit Wagners Œuvre in direkter Verbindung stehen. Dazu zählen die originalen Pauken des Bayreuther Festspielhauses, ein Ibach-Flügel Modell Wagner, ein Gralsglocken-Klavier und weitere Fertigungsteile des Bayreuther Klavierbauers Steingraeber, eine Altoboe sowie Blasinstrumente, die zu Uraufführungen der Opern erklungen waren. Die Ausstellung mit dem Titel „Goldene Klänge im mystischen Grund – Musikinstrumente für Richard Wagner“ hält auch eine Reihe besonders ausgefallener Exponate bereit wie zum Beispiel Windmaschinen und Kuhglocken (Wagner schwärmte in einem Brief aus Luzern für deren Klang) sowie eine Drehorgel mit dem „Tannhäuser“-Marsch. Eine solche hatte Wagner voller Rührung in Wien spielen hören. „Goldene Klänge im mystischen Grund – Musikinstrumente für Richard Wagner“, Sonderausstellung im Grassimuseum für Musikinstrumente der Universität Leipzig, 17. Mai 2013 bis 31. Januar 2014. Walter Hansen ist Schriftsteller und lebt in München. Er ist Autor von „Richard Wagner. Sein Leben in Bildern“ sowie „Richard Wagner. Biographie“ (beide dtv). Hochtouren. Es ist zu hoffen, dass sie sich nicht vom Wagner-Hype infizieren lassen, sondern ihrer Aufgabe gerecht werden: sich differenziert und distanziert mit einem komplexen Thema auseinanderzusetzen. VON HELMUT LOOS. Es ist schon ein richtiger Hype, der sich zum Jubiläumsjahr 2013 um Richard Wagner ankündigt. Dass Künstler und Kultureinrichtungen die öffentliche Aufmerksamkeit nutzen, die runde Gedenkjahre mit sich bringen, ist legitim und nur zu gut verständlich, strahlt doch ein Stück des Glanzes vom gefeierten Jubilar auch auf seine berufenen oder unberufenen Diener ab. Auch die Wissenschaft lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, sich ein Stück vom Kuchen abzuschneiden, und wartet mit großangelegten Projekten auf. Nachdem die Gesamtausgabe der Kompositionen Richard Wagners nahezu abgeschlossen ist und die Edition seiner sämtlichen Briefe bereits mehr als die Hälfte des projektierten Umfangs geschafft hat, ist pünktlich zum Jubiläumsjahr ein neues Großprojekt in Angriff genommen worden, die historisch-kritische Neuausgabe von Wagners gesammelten Schriften. Bei diesen Langzeitprojekten handelt es sich um Grundlagenforschung, die jeder weiteren Beschäftigung mit Wagner eine verlässlichere Basis bietet, als sie bislang gegeben ist. Die Reflexion der Ergebnisse und die Sammlung der zahllosen Einzelforschungen, die abseits der Großprojekte allerorten betrieben werden, ist die Aufgabe internationaler Konferenzen, die wiederum im Jubiläumsjahr Hochkonjunktur haben. Bereits in Vorbereitung des Ereignisses haben sich die Universitäten von Bayreuth, South Carolina und Basel zu einem Projekt „WagnerWorldWide 2013“ zusammengeschlossen, das eine online verbreitete „Ring“Vorlesung und mehrere Konferenzen enthält: im Juni 2012 am Shanghai Conservatory of Music, im November 2012 an der Universität Bern, Anfang Februar 2013 an der University of South Carolina und im Dezember 2013 an der Universität Bayreuth (Schloss Thurnau). Erklärtes Ziel ist es, „der Aktualität Wagners auf die Spur“ zu kommen. Unabhängig davon fand im Juli 2012 in Bayreuth eine Konferenz über „Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die Juden 1876 bis 1945“ im Zusammenhang mit der gleichnamigen Ausstellung bei den Festspielen statt. Im Jubiläumsjahr selbst werden zwei internationale Konferenzen in Sachsen veranstaltet. Im Januar startet die Technische Universität Dresden mit klar ortsbezogener Thematik „Wagner in Dresden – Wagner und Dresden – Wagner-Interpretation heute“. Zum großen Kongress der Wagner-Verbände im Mai veranstaltet die Universität Leipzig eine sechstätige Konferenz „Richard Wagner. Persönlichkeit, Werk und Wirkung“. Die Thematik ist breit gefächert, es geht um das kompositorische und das literarische Werk Wagners sowie in besonderem Maße um die Rezeptionsgeschichte, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf Mittel- und Osteuropa gelegt wird. Mit teilweise schlagkräftigen Titeln, eigenem Logo und spektakulär aufgepeppten Ankündigungstexten reihen sich die Konferenzen in den Wagner-Hype ein, so dass sich die Frage aufdrängt, welche Rolle die Wissenschaft eigentlich in diesem Zusammenhang spielt. Es käme sicher einer Bankrotterklärung gleich, schlösse sich die Wissenschaft distanzlos unkritischer Kulturbegeisterung an und böte kein eigenes Profil in ihrer Beschäftigung mit Richard Wagner. Kritische Distanz reicht dafür nicht aus. Längst hat sich die kritische Wagner-Interpretation in der künstlerischen Auseinandersetzung mit seinen Werken etabliert, im Feuilleton ist Wagners Antisemitismus ein Dauerbrenner. Hilfreicher Blick von außen Grundsätzlich ist zunächst zu klären, inwieweit die Wissenschaft dazu berufen ist, dieser aktuellen Auseinandersetzung rezeptionsästhetisch begründete Richtungen vorzugeben beziehungsweise vorliegende Zeugnisse nach ihren Maßstäben zu bewerten. Eine Wissenschaft von der Kunst im emphatischen Sinne, kurz genannt auch Kunstwissenschaft in emphatischem Sinne, hat sich nichts weniger als genau diese Aufgabe auf ihre Fahnen geschrieben. Das Beispiel Wagner eignet sich sehr gut dazu, die Abhängigkeiten aufzuzeigen, in die sich diese Wissenschaftssparte begibt. In Wagner kulminiert die romantische Musikauffassung, er hat alle ihre Elemente begierig aufgegriffen und in einzigartiger Weise in seiner Person und seinem Werk überhöhend konzentriert. Dies beginnt mit seiner Beethoven-Auffassung und führt über den Kult des Originalgenies und die Sakralisierung der Tonkunst zur Perfektionierung der Musik als Kunstreligion. Das Säkularisierungstheorem ungebrochenen Fortschrittsglaubens findet in Wagner einen so wirkungsmächtigen Vertreter, dass er zum Stif- Die Fragen stellte Michael Jakob. ter einer eigenen Kunstreligion avancieren konnte, deren Geschichtsnotwendigkeit allzu oft wissenschaftlich zu begründen versucht wurde und mehr oder weniger verdeckt viele wissenschaftliche Arbeiten determiniert hat. Wissenschaft aber, will sie mehr sein als die Glaubenskongregation Wagnerscher Kunstreligion, erfordert die Hinterfragung der Prämissen und die Analyse der Wirkungszusammenhänge, die derartigen Kunstphilosophien zugrunde liegen. Der Blick von außen kann sehr hilfreich sein, und so zeigt gerade die Rezeption Wagners in Mittel- und Osteuropa, wie stark sein Werk als Höhepunkt menschlicher Evolution angesehen und zum Maßstab des kulturellen Entwicklungsstands verschiedener Nationalkulturen genommen wurde. Entsprechende kulturdarwinistische Vorstellungen prägten einen Weltkrieg der Nationalkulturen, der gerade auch in musikwissenschaftlicher Literatur ausgetragen wurde. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Wissenschaft im Jubiläumsjahr alten Denkmustern verhaftet bleibt oder den Weg einer differenzierteren, distanzierten Aufbereitung des vielschichtigen Komplexes Richard Wagner und seine Rezeption weiterzugehen bereit ist. Prof. Dr. Helmut Loos ist Inhaber des Lehrstuhls für Historische Musikwissenschaft an der Universität Leipzig. IMPRESSUM Richard Wagner Leipzig und Dresden feiern den großen Komponisten Verlagsbeilage Frankfurter Allgemeine Zeitung © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH Hellerhofstraße 2– 4 60327 Frankfurt am Main, 2013 Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt: Michael Jakob [email protected] F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH Mainzer Landstraße 199 60326 Frankfurt am Main Verantwortlich für Anzeigen: Andreas Formen (Verlagsgeschäftsführer); für Anzeigenproduktion: Stephan Puls Layout: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Creative Solutions, Frankfurt am Main Weitere Detailangaben siehe Politik, Seite 4 Verwendete Fotos: S. 1: Bianchetti/Leemage; S. 2: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (2), Jens Dauterstedt; S. 4: Bildarchiv Bayreuther Festspiele, Bayerischer Rundfunk/Marek Vogel, Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Deutsche Fotothek, S. 6: Matthias Creutziger, Stiftung Frauenkirche Dresden; S. 7: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Helga Wallmüller; S. 8: akg-images, Marion Wenzel.