H 64122 ISSN 1439-1139 6/2008 Dezember 10. Jahrgang Ambulante Geriatrie Psychologie @ G E R I AT R I S C H E S S C R E E N I N G Check-up-75+ @ STURZPROPHYLAXE Lesen Sie mehr dazu ab Seite 13 Sturzprävention im hausärztlichen Bereich @ PSYCHOTHERAPIE Therapie-Indikation im Alter @ PT S D Spätfolgen von Kriegserlebnissen www.gerikomm.de EDITORIAL S eit fast 20 Jahren gibt es für Erwachsene ab dem 36. Lebensjahr die Möglichkeit der kassenärztlichen Vorsorgeuntersuchung. Sie dient dem Ziel, Krankheiten frühzeitig zu erkennen, berücksichtigt jedoch nicht die Besonderheiten älterer Menschen. Ideal wäre ein Check-up-75+, dessen Durchführung sich allerdings in der Hausarztpraxis auch aus organisatorischen Gründen schwierig gestaltet. Hier bietet sich, wie Dr. Thomas Hermens in seinem Artikel ab Seite 13 beschreibt, das geriatrische Screening nach Lachs an. Es beinhaltet die häufigsten Problembereiche älterer Menschen und ist in Abhängigkeit von der Kooperationsfähigkeit des Patienten in 5-12 Minuten durchzuführen. Stürze bilden für ältere Menschen die Unfallursache Nr. 1 und sind oftmals der Beginn eines körperlichen Abbaus. Sie haben Ursachen, die speziell im Alter meist das Ergebnis verschiedener Faktoren sind. Um diese aufzuspüren, sollten, wie Dr. Uwe Heinen und Prof. Ingo Füsgen in ihrem Beitrag ab Seite 20 berichten, neben einem geriatrischen Assessment mit Einschätzung der Sturzgefährdung Präventionshausbesuche und Verlaufsassessments durchgeführt werden. Dies ist dringend notwendig, doch in der Praxis schwierig umzusetzen. Zum einen fehlen entsprechende Leitlinien, zum anderen ist die Kostenübernahme für präventive Maßnahmen und Präventionsbesuche bisher nicht ausreichend geklärt. Stürze können, wie Dr. Martin Runge in seinem Artikel ab Seite 24 schreibt, ein Zeichen dafür sein, dass das lokomotorische System gestört ist. Häufig sind sie das Ergebnis eines altersassoziierten Abbaus von Muskeln und neuromuskulärer Kompetenz. In seinem Beitrag gibt er Hinweise zur Diagnose und welche therapeutischen Konsequenzen aus einem Sturzrisikoassessment abgeleitet werden können. Mit der palliativen Therapie bei weit fortgeschrittener Herzinsuffizienz befassen sich Dr. Jürgen Heins und Dr. Mathias Pfisterer. Der Verlauf der Erkrankung ist schwer vorhersehbar, kann jedoch mit evidenzbasierter Medizin erheblich beeinflusst werden. In ihrem Beitrag (Seite 28) beschreiben sie Symptome sowie Möglichkeiten zur Behandlung. Ältere Menschen sind in der psychotherapeutischen Versorgung deutlich unterrepräsentiert, obwohl von den gleichen Prävalenzzahlen auszugehen ist wie bei Erwachsenen mittleren Alters. Prof. Gereon Heuft erläutert in seinem Artikel psychische Störungen, die erstmals nach dem 60. Lebensjahr auftreten und bei entsprechender Behandlung auf Grund der kurzen Symptomdauer oft eine gute Prognose haben (Seite 32). Mit psychischen Erkrankungen ehemaliger Kriegskinder beschäftigt sich Georgia Böwing. In Deutschland leben derzeit 14 Mio. Menschen über 60 Jahre, die in ihrer Kindheit und Jugend die Auswirkungen eines Krieges hautnah erlebt haben. Viele von ihnen leiden an psychischen Langzeitfolgen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, eine systematische Forschung erfolgte jedoch erst in den letzten Jahren. Die Autorin berichtet über drei Studien, die den Bezug zwischen aktueller psychotischer Symptomatik und Kriegstraumatisierung aufzeigen (Seite 35). Eine informative Lektüre wünscht Ihnen Jola Horschig Redakteurin GERIATRIE JOURNAL Foto: OlgaLIS – Fotolia.com Ambulante Geriatrie, Palliativmedizin, Psychologie I N H A LT EDITORIAL Foto: Grünes KreuzFoto: AOK Mediendienst Ambulante Geriatrie, Palliativmedizin, Psychologie Jola Horschig, Springe Für Gesundheitscheck älterer Patienten bietet sich hier das geriatrische Screening nach Lachs an. Es beschreibt Schwierigkeiten, Störungen oder Risiken, die für die weitere Behandlungsplanung und den weiteren Behandlungsverlauf von Bedeutung sein können. Seite 3 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN Wichtige Informationen in Kürze 6 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Vorsorge in den USA: Versicherungsstatus und Morbiditätsrisiko Alternstheorien und Frailty: Die Rolle proteolythischer Enzyme und des oxidativen Stoffwechsels Schlaganfall: Bleibende Schädigungen Akute myeloische Leukämie: Myelopoetische Wachstumsfaktoren 10 10 11 12 13 A K T U E L L : G E R I AT R I S C H E S S C R E E N I N G Check-up-75+ Thomas Hermens, Wesel 13 A K T U E L L : G E R I AT R I E - G E S P R Ä C H E Foto: www.pixelio.de Alter-(s)-Zeit Das Thema „Zeit“ bildete den inhaltlichen Schwerpunkt der 2. Starnberger interdisziplinären GeriatrieGespräche. Rund 70 Ärzte, Psychologen, Psychiater und leitende Pflegekräfte nahmen an der Veranstaltung teil. Seite 15 Titelbild Foto: Sebastian Kaulitzki – Fotolia.com 4 15 AKTUELL: LEUCHTTURMPROJEKT DEMENZ Die besten Wege finden – Teil 1 17 A M B U L A N T E G E R I AT R I E : S T U R Z P R O P H Y L A X E Sturzprävention im ambulanten hausärztlichen Bereich Uwe Heinen, Mühlheim/Ruhr und Ingo Füsgen, Wuppertal 20 F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N Der Sturz als Zeichen des Gebrechlichkeits-Syndroms Martin Runge, Esslingen 24 GERIATRIE JOURNAL 6/08 I N H A LT K A R D I O LO G I E : H E R Z I N S U F F I Z I E N Palliative Therapie bei weit fortgeschrittener Herzinsuffizienz Mathias H.-D. Pfisterer und Jürgen Heins, Darmstadt 28 PSYC H O LO G I E : PSYC H OT H E R A P I E Therapie-Indikation im Alter Gereon Heuft, Münster 32 Kriegskinder und posttraumatische Belastungsstörungen Georgia Böwing, Röbel 35 Foto: DSH G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D Die rechtzeitige Einleitung der geriatrischen Rehabilitation bei Patienten mit Frailty-Syndrom gehört zu den Kernaufgaben des ambulanten Gesundheitssystems. Seite P U B L I K AT I O N E N : B Ü C H E R Personzentrierte Beratung und Therapie • Gerontopsychologie • Psychotherapie im Alter 24 39 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N 40 40 41 41 42 42 DIVERSES Termine/Impressum GERIATRIE JOURNAL 6/08 43 Foto: Sebastian Kaulitzki – Fotolia.com Herz- und Gefäßerkrankung: Weniger kardiovaskuläre Ereignisse bei Hochrisikopatienten durch AT1-Blocker Arthrose: Körpereigene Therapie wirkt auch nach zwei Jahren gegen Knie-Arthrose Schmerztherapie: Hochwirksames Schmerzmedikament verbessert Lebensqualität um 50% Typ-2-Diabetes: Inkretinkonzept mit neuer Generation von Antidiabetika Hypertonie: 25% weniger Schlaganfälle durch Blutdrucksenker Tumortherapie: Misteltherapie steigert Lebensqualität bei Tumorpatienten Die Herzinsuffizienz zählt zu den häufigsten internistischen Erkrankungen. Der Artikel gibt Hinweise zur palliativen Behandlung bei weit fortgeschrittener Erkrankung. Seite 28 5 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN Diabetiker mit strukturiertem Behandlungsprogramm leben länger Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 gibt es deutlich weniger Todesfälle, wenn sie an einem strukturierten Behandlungsprogramm (Disease-ManagementProgramm, DMP) teilnehmen. Das belegen Ergebnisse einer bundesweiten Studie (ELSID), die DMP-Teilnehmer und Patienten in der Regelversorgung vergleicht. Die Studie wird an der Universität Heidelberg in Kooperation mit dem AOK-Bundesverband durchgeführt. Die Daten der Patienten sind über einen Zeitraum von 2,5 Jahren beobachtet worden. Teilgenommen haben 2.300 ältere Patienten, die in 85 Hausarztpraxen in Sachsen-Anhalt und RheinlandPfalz behandelt wurden. Die Kontrollgruppe umfasste 8.799 Diabetiker aus 337 Praxen. Alle Patienten wurden mit antidiabetischen Medikamenten behandelt. Die ELSID-Studie startete 2005. Hier flossen medizinische Daten, aber auch gesundheitsökonomische Parameter wie Verordnungen oder Klinikeinweisungen ein. Dr. Frank Neumann Chefarzt im Krankenhaus Gottesfriede Dr. Frank Neumann ist seit 1. September 2008 Ärztlicher Leiter und Chefarzt des Evangelischen Krankenhauses „Gottesfriede“ Woltersdorf. Er ist Internist und Geriater mit Zusatzqualifikationen in den Gebieten Physikalische Therapie, Palliativmedizin und Ärztliches Qualitätsmanagement und war zuvor als leitender Oberarzt im Zentrum für Geriatrie und Frührehabilitation des Krankenhauses St. Joseph Stift in Bremen tätig. Quelle: Evangelisches Krankenhaus „Gottesfriede“ Woltersdorf 6 Nach ersten Ergebnissen der Studie lag die Sterblichkeitsrate bei älteren Diabetikern im DMP mit 10,9% deutlich niedriger (versus 18,8%). Bei weiteren Überprüfungen bestätigte sich der Unterschied. So wurden eine Teilgruppe von DMP-Patienten mit Regelversorgten gleichen Alters und Geschlechts verglichen. Hier verstarben bei DMP-Teilnehmern 9,5%, in der Kontrollgruppe waren es 12,3%. Dazu Prof. J. Szecsenyi vom Universitätsklinikum Heidelberg: „Die regelmäßigen Unter- suchungstermine und die Vereinbarung von Therapiezielen in Kombination mit Schulungen und gezielten Informationen für Patienten und Ärzte tragen möglicherweise dazu bei, dass gesundheitliche Komplikationen und Probleme bei den Patienten vermieden oder schneller erkannt werden.“ Die DMP-Programme sind 2003 in Deutschland eingeführt worden, um die Versorgung von chronisch kranken Patienten zu verbessern. Insgesamt nehmen 2,3 Mio. Versicherte an den Behandlungsprogrammen teil. Quelle: AOK-Bundesverband, Bonn; www.aok-bv.de Senioren schlucken zu viele Pillen Senioren nehmen oft mehr als acht verschiedene Medikamente pro Tag, registrierten Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover. Das ist zu viel, denn nicht wenige geraten dadurch in Gefahr. Noch dazu sind einige der Mittel unnötig, warnen die Experten. Je mehr verschiedene Medikamente ein Patient einnimmt, desto öfter treten ungünstige Wechselwirkungen auf. Die Ergebnisse der Studie stellte die Gruppe um Peter Mand in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin vor. Bei über 70.000 Patienten aus 47 deutschen Praxen wurde geprüft, wie häufig verschiedene Medikamente pro Tag eingenommen wurden. Bei mehr als 50% der 75- bis 84-Jährigen waren es mehr als acht Arzneimittel. Dabei nimmt jeder fünfte ein unangemessenes Medikament. Betroffen seien insbesondere Frauen, so die Experten. Quelle: Zeitschrift für Allgemeinmedizin, 2007, 82, 1-24 Weniger Druckgeschwüre in Heimen und Kliniken Bei Pflegeheimbewohnern und Klinikpatienten nahm im Jahr 2008 die Häufigkeit des Dekubitus-Druckgeschwürs weiter deutlich ab. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Berliner Charité. Litt 2002 ein Viertel der untersuchten Klinikpatienten in Deutschland an Druckgeschwüren, sind es nun knapp 13%. In Pflegeheimen ging die Quote von 17 auf 7% zurück. Die Ergebnisse basieren auf der jährlichen Erhebung des Instituts für Medizin-/Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft am Campus Charité Mitte. Im April 2008 haben die Forscher dafür 6.500 Bewohner und Patienten in 37 Pflegeheimen und 19 Krankenhäusern genau untersucht. Die beteiligten Häuser hatten sich freiwillig gemeldet. An der Untersuchung 2009 können sich jetzt Pflegeheime mit mehr als 50 Bewohnern und Kliniken mit über 100 Patienten beteiligen. Alle Teilnehmenden erhalten einen detaillierten Bericht, wie es in ihrem Hause um die Qualität bei zentralen Pflegeproblemen wie Sturz oder Dekubitus bestellt ist. Eine Auswertung der Qualität auf den einzelnen Stationen ist enthalten. Quelle: Charité, Berlin; www.charite.de GERIATRIE JOURNAL 6/08 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN LUCAS in der Metropolregion Hamburg In einem bundesweit bisher einmaligen Projekt wird derzeit in Hamburg das Leben alter Menschen erforscht. Unter der Frage „Wie altern wir?“ sollen in sieben Bereichen alle Zielgruppen in der älteren Bevölkerung befragt werden. Dabei geht es auch um die Frage „Wie viel Heimversorgung brauchen wir“ oder gibt es bes- © Albertinen-Haus, Forschungsabteilung 2007 (TP = Teilprojekt) Konzept der Longitudinalen Urbanen Cohorten-Alters-Studie (LUCAS). sere, unabhängige Wohnformen. Die Ergebnisse dieses „LUCAS“ genannten interdisziplinären Forschungsverbundes (Longitudinal Urban Cohort Ageing Study) sollen bis 2010 vorliegen. Der Bund fördert das Projekt mit 2 Mio. Euro. Der LUCAS-Verbund besteht aus fünf universitären, universitätsassoziierten und nicht universitären Arbeitsgruppen. In sieben Teilprojekten und drei Kohorten älterer Menschen in Hamburg wird an Fragen zur Gesundheitsförderung, der Vermeidung des Fortschreitens bestehender Erkrankungen und von Komplikationen sowie Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung, Rehabilitation und pflegerischen Unterstützung gearbeitet. Allein in Hamburg leben 420.000 Menschen, die älter als 60 Jahre sind, davon 85.000 sogar älter als 80 Jahre. Der weitaus größte Teil der Menschen lebt selbstständig zuhause und nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Quelle: www.geriatrie-forschung.de Neue Musiktherapien helfen Schlaganfallopfern Opfer von Schlaganfällen können mit zwei neuartigen Verfahren gezielt behandelt werden. Wissenschaftler der Hochschule für Musik in Hannover haben eine Therapie entwickelt, die Patienten hilft, ihre Bewegungsfähigkeit mit Musik wiederzuerlangen. Beim musikunterstützten Training (MUT) lernen sie, auf elektronischen Trommeln und später auf Klaviertastaturen einfache Melodien zu spielen. So gewinnen sie langsam wieder Kontrolle über gelähmte Arme und Finger. In ersten Studien an der Universität Magdeburg hat sich die MUT-Therapie als überlegen gegenüber herkömmlichen physiotherapeutischen Verfahren erwiesen. Nach 15 Sitzungen zeigten MUT-Patienten eine deutlich bessere Bewegungsfähigkeit als die Patienten der Vergleichsgruppe. Auch bei Sprachstörungen nach einem Schlaganfall kann Musik helfen. Viele Patienten, die ihre Sprache verloren haben, können immer noch singen, auch mit Text. Daran setzt die MIT-Therapie GERIATRIE JOURNAL 6/08 (Musical Intonation Therapie) an. Ärzte erklären den Erfolg der neuen Therapien damit, dass Musik in anderen Gehirnbereichen verarbeitet wird als Sprache oder Bewegungsfähigkeit. Der Patient lernt, mit Musik befasste Hirnregionen mehr zu nutzen. So ersetzt er vom Schlaganfall zerstörte Teile des Denkorgans. Quelle: Die Zeit, Hamburg; www.zeit.de 2. Essener Wintertreffen Altersmedizin Am 17. Januar 2008 führen die beiden geriatrischen Kliniken in Essen und die Geriatrische Akademie e.V. Essen im Blumenhof im Gruga-Park das 2. Essener Wintertreffen Altersmedizin durch. Die Veranstaltung berührt Grenzbereiche zwischen den einzelnen Fachdisziplinen und zeigt auf, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der altersmedizinischen Versorgung ist. Das Wintertreffen ist von der Ärztekammer Nordrhein zertifiziert und mit 4 Punkten bewertet. Vorgesehen sind folgende Themen: @ Demenz und Depression – Gemeinsamkeiten u. Unterschiede, Prof. Dr. Jens Wiltfang @ Alter und Sucht, Priv.-Doz. Dr. Martin Schäfer @ Autofahren im Alter, Prof. Dr. Pasquale Calabrese @ Urologische Probleme des älteren Diabetikers, Prof. Dr. med. I. Füsgen Die Moderation obliegt Prof. Dr. Hans Georg Nehen und Dr. Helmut Frohnhofen. Informationen: Dr. med. H. Frohnhofen, Zentrum für Altersmedizin, Kliniken-Essen-Mitte, Knappschaftskrankenhaus, Am Deimelsberg 34a, 45276 Essen, eMail: h.frohnhofen@ kliniken-essen-mitte.de 7 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN Arthrose: Die meisten Therapien helfen nicht Die Wirksamkeit von Arthrosebehandlungen ist unter Fachleuten sehr umstritten. Manche Therapien müssen sogar als unwirksam oder teilweise als riskant eingeschätzt werden. So lauten die Ergebnisse einer großangelegten Untersuchung der Ärzte Carsten Moser vom Grönemeyer Institut für Mikrobiologie, Bochum, und Prof. Dr. Peter Wehling, Stiftung für Molekulare Medizin, Düsseldorf. Sie stellten ihre Resultate Ende Oktober auf dem Orthopädenkongress in Berlin dem Fachpublikum vor. Die Wissenschaftler untersuchten in einer Metaanalyse die weltweit zur Verfügung stehende Literatur nach verschiedenen Fragestellungen. Sie werteten insgesamt 21 nationale und internationale Leitlinien, 60 Übersichtsarbeiten und 300 aktuelle randomisierte, klinische Studien aus. Zunächst beschäftigten sie sich mit der Frage, bei welcher Therapie gegen KnieArthrose ein wissenschaftlicher Nachweis der Wirksamkeit vorliegt. Die Ergebnisse waren ernüchternd: „Es zeigte sich für die bei Arthrose sehr häufig verabreichten Antirheumatika eine sehr niedrige Wirksamkeit bei überraschend hohen Nebenwirkungen“, so Prof. Wehling. „Die Auswertung aller Studien macht deutlich, dass es bei Arthrose keine Standardtherapie gibt. Vielmehr ist ein individuell auf jeden Patienten abgestimmtes Behandlungskonzept auf Basis einer gründlichen Diagnostik gefragt“, erklärte Carsten Moser. Die Ergebnisse sind überraschend, weil sie an den Grundfesten der klassischen Behandlungsmethoden rütteln. Nach der Literaturauswertung stellten die Wissenschaftler fest: Gewichtsreduktion, Muskelkräftigung und die Behandlung mit Injektionen schnitten vergleichsweise gut ab. Andere Therapien, wie Behandlung mit Medikamenten oder Gelenkspiegelung, brachten wenig Erfolge, wenn man rein nach wissenschaftlichen, standardisierten Beweisen geht. Insbesondere bei der medikamentösen Therapie verbesserte sich die Gelenkfunktion kaum. Hier fiel vor allem die hohe Zahl von Nebenwirkungen, wie Magengeschwüre und er- höhtes Herzinfarktrisiko, auf. MagenDarm-Blutungen verursachen allein in Großbritannien jährlich den Tod von ca. 2.200 Patienten und 12.000 stationären Notfallaufnahmen. In Deutschland leiden rund 11 Mio. Menschen an Arthrose, davon sind 5 Mio. von Arthrose am Knie betroffen. Diese wird meist mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) behandelt. Bereits nach einem Jahr nehmen nur noch 15% der Arthrosepatienten auf Grund der Nebenwirkungen diese Medikamente weiter. Quelle: Stiftung Molekulare Medizin, Düsseldorf; www.momi.de Pressemitteilung vom 23.10.2008 GeriNet Woltersdorf Am 5. November 2008 haben 31 Mitgliedseinrichtungen des Geriatrienetzes GeriNet Woltersdorf die GeriNet Woltersdorf GbR gegründet, um Verbindlichkeiten und Effizienz zu erhöhen sowie die Möglichkeiten der Einflussnahme auf eine umfassende qualitätsgerechte Versorgung älterer multimorbider Patienten/Bewohner/ Klienten zu erweitern. Zweck der GbR ist: @ Sicherung einer umfassenden qualitätsgerechten Versorgung älterer multimorbider Menschen – so viel Lebensqualität wie möglich! @ Effizienz in der Versorgung älterer Menschen durch Bündeln und Weiterentwickeln von Kompetenzen sowie durch den Ausbau der Zusammenarbeit mit Politikern und Kostenträgern. Sicherung einer qualitätsgerechten @ Versorgung und kontinuierliche Qualitätsverbesserung durch die Entwicklung von Qualitätskriterien (Struktur/ Prozess/ Ergebnis), Qualitätszirkeln sowie weiterer Fortund Weiterbildungen. Quelle: www.geriatrie-brandenburg.de Dr. Ulrich Wedding an der Universität Jena habilitiert Dr. Ulrich Wedding, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und Mitglied der Arbeitsgruppe Geriatrische Onkologie in der DGG/DGHO, hat sich im Fach Innere Medizin an der Fakultät der Universität Jena habilitiert und wurde zum Privat-Dozenten ernannt. Dr. Wedding hat an den Universitäten Innsbruck, Bochum und Heidelberg 8 studiert und zur „Zellulären Immunreaktion bei Patienten mit kolorektalem Karzinom im Verlauf einer aktiven spezifischen Immuntherapie mit einer autologen Tumorvakzine“ promoviert. Im Rahmen seiner klinischen Tätigkeiten arbeitete er an der Medizinischen Klinik IV sowie an der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II Heidelberg, seit 2002 ist am Universitätsklinikum Jena tätig. Hier war er zunächst Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II und Oberarzt der Klinik für Geriatrie. Seit November 2008 ist er kommissarischer Direktor der Abteilung Palliativmedizin. Dr. Wedding ist Mitglied der International Society für Geriatric Oncology (SIOG) und Sprecher der Arbeitsgruppe „Geriatrische Onkologie“ der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG). GERIATRIE JOURNAL 6/08 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN Ärzte sind überzeugt: Gute Medizin wird Luxus Das Ende des Vertragsmonopols der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) naht. Eine aktuelle Studie „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 2008“ von der Gesellschaft für Gesundheitsmarktanalyse befragte Ärzte, Zahnärzte und Psychologische Psychotherapeuten zu dieser neuen Situation. An der von der Stiftung Gesundheit in Auftrag gegebenen Studie nahmen 2667 Ärzte teil. Die Ergebnisse: 80% der Ärzte erwarten, dass sich die medizinische Versorgung nicht verbessern wird. Nur 6% von ihnen sind der Überzeugung, die Maßnahmen der Bundesregierung zur Steigerung des Wettbewerbs würden sich in dieser Hinsicht positiv auswirken. Mehr als 75% halten eine Forcierung des Wettbewerbs im Gesundheitsmarkt für wahrscheinlich. Deutlich wird auch, dass der Berufsstand negative Folgen für sich und die Patienten fürchtet. 88% glauben, gute Medizin wird künftig noch mehr eine Frage des Geldes sein. Die Krankenversicherer, so glauben die Ärzte, werden in Zukunft die Arzthonorare drücken. Logopäden verhelfen ParkinsonPatienten zu besserer Artikulation Ein neues logopädisches Therapieverfahren aus den USA (Lee-Silverman-Voice-Treatment, LSVT) kann ParkinsonPatienten dazu verhelfen, besser zu kommunizieren. 90% dieser Patienten haben Probleme mit dem Sprechen. Die Lautstärke ist stark reduziert, die Stimme monoton und rau, die Artikulation ungenau oder das Sprechtempo viel zu schnell. Zunehmend wird auch die Mimik eingefroren, was die Kommunikation weiter erschwert. Eine frühzeitige, gezielte LSVT-Therapie versetzt die Patienten in die Lage, mit normaler Lautstärke zu sprechen. Das Schlüsselwort der Methode ist: „Sei laut!“. Trotz fortschreitender Krankheit hält diese Fähigkeit zwei Jahre an, sofern die Patienten die Übung beibehalten und ihre Lautstärke immer wieder in halbjährlichen Abständen mit einer Logopädin auf das richtige Maß bringen. Der Deutsche Bundesverband für Logopädie bietet entsprechende Fortbildungen an. Quelle: Deutscher Bundesverband für Logopädie; www.dbl-ev.de Kooperation zur besseren Versorgung von Demenzkranken Janssen-Cilag und die AOK Rheinland/Hamburg haben ihre Kooperation jetzt um die Indikation Demenz ausgeweitet. Der Vertrag unterstützt nach eigenen Angaben die Versorgung der betroffenen Patienten und Angehörigen auf mehreren Ebenen: @ die AOK Rheinland/Hamburg hat für Demenz-Patienten ein rabattiertes Originalpräparat (Reminyl®). Die in diesem Bereich bestehende Unterversorgung wird verbessert. @ Es gibt speziell entwickelte Versorgungsangebote, wie z.B. Serviceangebote zur GERIATRIE JOURNAL 6/08 Unterstützung und Entlastung der Angehörigen, @ Es wird auf eine frühzeitige Therapie der Erkrankung hingearbeitet, um die Lebensqualität zu verbessern. Die Behandlung und Versorgung von Patienten mit Demenzen wird eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre. In Deutschland leidet etwa eine Million Menschen darunter, zwei Drittel davon an Morbus Alzheimer. Quelle: Janssen-Cilag GmbH, Neuss; www.janssen-cilag.de 63% sind überzeugt: das Gesundheitssystem wird kaum transparenter werden. Quelle: Stiftung Gesundheit, Hamburg; www.stiftung-gesundheit.de Prof. Dr. Schulz wechselte zur Kölner Uniklinik Zum 1. Oktober hat Dr. Ralf-Joachim Schulz die Chefarztposition im St. Marien-Hospital Köln übernommen. Darüber hinaus erhält er die erste Professur für Geriatrie an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. Ralf-Joachim Schulz durchlief international anerkannte medizinische Ausbildungsstationen: Nach Studium und Promotion in Heidelberg, forschte er an der Harvard Medical School in Boston und wechselte 1995 an die Charité nach Berlin. Hier galt sein besonderes Interesse der Inneren Medizin, speziell der Gastroenterologie. Seine Forschungsschwerpunkte waren außerdem Stoffwechselerkrankungen sowie Ernährungsmedizin. In den letzten Jahren war Dr. Schulz als Oberarzt am Geriatriezentrum in Berlin tätig. Gleichzeitig blieb er Mitglied der Charité-Forschungsgruppe für Geriatrie. „Die Altersmedizin ist nicht nur ein wichtiges Fachgebiet, sondern mit Blick auf die demografische Entwikklung unsere Zukunft“, so Professor Schulz. „Leider wurde auf diesem Gebiet in der Vergangenheit zu wenig Forschung betrieben, was sich auf künftige Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bei einer überalterten Gesellschaft auswirkt.“ Mit der neu geschaffenen Stelle wollen die Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria als Träger des St. Marien-Hospitals und die Uniklinik eine neue Qualität in Forschung und Behandlung für Menschen in und um Köln ermöglichen. 9 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Vorsorge in den USA Versicherungsstatus und Morbiditätsrisiko Das amerikanische Gesundheitssystem ist für seine Klassenmedizin bekannt. Dass auch bei Tumorerkrankungen Zusammenhänge hinsichtlich Vorsorge- und Versorgungsqualität bestehen, war bereits hinlänglich bekannt. Eine Studie untersuchte jetzt einen Zusammenhang zwischen Versicherungsstatus und Mortalitätsrisiko bzw. der Überlebenschance. Die Propagierung von Vorsorgeprogrammen und Präventionsmaßnahmen hat in den Vereinigten Staaten von Amerika seit Anfang der 1990iger Jahre zu einem Rückgang der Todesraten durch Krebs um rund 14% geführt. Es profitieren jedoch nicht alle gleichermaßen von dieser Entwicklung. Der Zugang zu Leistungen des Gesundheitswesens ist in den USA durch die Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem über Versicherungen unterschiedlich geregelt. S tudie: Die Autoren um die Arbeitsgruppe von Elizabeth Ward hat in einer epidemiologischen Übersichtsarbeit die Daten betreffend Screeningmaßnahmen, Diagnosen und Tumorstatus sowie Überlebenschancen bei Mammakarzinomen und Kolonkarzinomen in Abhängigkeit zum Versichertenstatus der Patienten zusammengetragen. Ergebnisse: Bereits die Teilnahme an Maßnahmen und Programmen von Tumorfrüherkennungen für Mammakarzinome waren eindeutig abhängig vom Versicherungsstatus. Nahezu 68% aller Amerikanerinnen im Alter zwischen 40 bis 64 Jahren haben sich in den letzten Jahren einer Mammographie unterzogen. Betrachtet man isoliert die Privatversicherten, so waren es deutlich mehr, nämlich 74,5%, während im sog. Medicaid-Programm (Mehrheit der Allgemeinversicherten, mit Abstrichen unseren gesetzlichen Versicherungen vergleichbar) nur 56,1% waren. Unter denen ohne Versicherungsschutz waren es hingegen nur 38,1% in der gleichen Altersgruppe. Kolonkarzinom-Screening: Die 50- bis 64-Jährigen unterzogen sich im Mittel mit einer Frequenz von 44,2% einem Früherkennungsprogramm. Bei den Privatversicherten waren ebenfalls mehr, nämlich 48,3% und bei den im Medicaid-Programm versicherten 39,6%. Jene ohne Versicherungsschutz unterzogen sich nur in 18,8% einer Untersuchung. Auch bei einer manifesten Tumorerkrankung waren die Überlebenschancen bei den Privatversicherten erheblich günstiger. 10 Medicaid-Versicherte hatten dabei ein 1,6fach höheres Risiko, in einem Zeitraum von fünf Jahren nach Diagnosestellung an ihrer Tumorerkrankung zu sterben im Vergleich zu den Privatversicherten. Diskussion: Die Autoren kamen zu der Schlussfolgerung, dass die Qualität der Früherkennung aber auch der Behandlung und auch die Überlebenschancen vom Zugang zu den von Krankenversicherungen finanzierten medizinischen Leistungen abhängig ist. Kommentar: Danach müssten Länder wie Deutschland, in denen bis auf eine ausgesprochen kleine Gruppe, die gesamte Bevölkerung über einen Krankenversicherungsschutz verfügt, erheblich günstiger im Vergleich zu den USA abschneiden. Allerdings ist in Deutschland die Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen sowohl hinsichtlich Mammakarzinomen als auch Kolonkarzinomen insgesamt geringer. Nicht untersucht wurde in der zitierten Studie der Einfluss des Alters, der in früheren Untersuchungen als ein Hauptrisikofaktor hinsichtlich der Versorgungsqualität gerade auch bei Tumorerkrankungen gesehen wurde, da die über 65-Jährigen nicht ausgewertet wurden. Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, Lingen (Ems) Ward E., Halpern M., Schrag N., Cokkinides V., DeSantis C., Bandi P., Siegel R., Stewart A., Jemal A. Association of Insurance with Cancer Care Utilization and Outcomes. CA Cancer J Clin 2008; 58: 9-31. Alternstheorien und Frailty Die Rolle proteolythischer Enzyme und des oxidativen Stoffwechsels Bereits in den 1980-iger Jahren erschienen zahlreiche Arbeiten, die die Rolle der proteolythischen Enzyme und des oxidativen Stoffwechsels bei Alterungsprozessen auf zellulärer Ebene aber auch auf der Ebene des Organismus zu erklären versuchten. In einer immunologischen Untersuchung aus Polen werden dieser ältere Ansatz jetzt neu aufgegriffen und die „alten Bekannten“ Trypsin, Elastase, Plasmin und Myeloperoxidase untersucht. S tudie: Gesunde, insbesondere HerzKreislauf-Gesunde und normotone Versuchspersonen (n = 60, Männer und Frauen gleich verteilt) im Alter von 20-82 Jahren wurden stratifiziert nach Altersgruppen wie folgt eingeteilt: Jung: 20 bis 22 Jahre, mittleres Alter: 49-52 Jahre und älter/alt: 77 bis 82 Jahre. Die Enzymaktivitäten der oben bezeichneten Enzyme wurden als Serumspiegel (immun-) fluorometrisch bestimmt. Ergebnisse: Sowohl die Myeloperoxidase als auch die Trypsin-Aktivität nahm mit dem Alter im Serum ab, während die Spiegel von α1-Antitrypsin und Plasmin aber auch der Elastase mit dem Alter stiegen. Daneben fand sich eine inverse Korrelation zwischen dem Körpergewicht, gemessen als Body-Mass-Index (BMI) und der Myeloperoxidase-Aktiviät, eine direkte Korrelation hingegen zwischen BMI, Elastase-, Plasmin- und α1-Antitrypsinkonzentrationen. Andere Ernährungsparameter bzw. Stoffwechselparameter wie Serumcholesterin korrelierten invers mit der Trypsinaktivität und der MyeloperoxidasekonzentraGERIATRIE JOURNAL 6/08 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T tion bezogen auf die mittlere Altersgruppe. Diskussion und Schlussfolgerung der Autoren: Die Autoren sehen sich in der Annahme bestätigt, dass der Alterungsprozess und die Serum-/PlasmaAktivität protheolythischer Enzyme im Zusammenhang stehen. Insbesondere im Hinblick auf die Erklärung des „Frailty-Process“ sehen sie gute Chancen für die Bildung um Hypothesen. Kommentar: Man muss vor der vordergründig zwar einleuchtenden aber sehr schnellen Schlussfolgerung warnen. Enzyme wie Elastase werden von Granulozyten freigesetzt und aus besagten Arbeiten der 1980-iger Jahre ist bereits bekannt, dass Alter oder aber bei bestimmten Krankheiten (Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz als typische physiologische Altersmodelle), diese Enzyme vermehrt von Granulozyten freigesetzt werden. Eine latente Entzündungsaktivität wurde deshalb oft postuliert und mit dem Alterungsprozess in Verbindung gebracht. Prof. Dr. Dr. G. Kolb, Lingen (Ems) Paczek L., Michalska W., Bartlomiejczyk I. Trypsin, elastase, plasmin and MMP9 activity in the serum during the human ageing process. Age and Ageing 2008; 37: 318-323. Schlaganfall Bleibende Schädigungen Die Langzeitfolgen des Schlaganfalls im Bezug auf bleibende Behinderung und Pflegeabhängigkeit waren des Öfteren Gegenstand von Untersuchungen, z.B. um Behandlungskonzepte der Akut- aber auch der Rehabilitationsphase zu vergleichen. Die vorliegende Arbeit untersucht den Einfluss der - bleibenden – Schäden nach Schlaganfall auf die Lebensqualität. S tudie: Es handelt sich um eine longitudinale Beobachtungstudie, die den Behinderungszustand, die Pflegeabhängigkeit und die Lebensqualität drei Jahre nach Schlaganfall feststellt. Datenbasis war ein Bevölkerungsregister, sortiert nach ErstEreignis Schlaganfall. 490 Fälle mit Schlaganfall wurden zwischen dem ersten Januar 1995 und dem 31. Dezember 1997 registriert, 342 konnten nach drei Jahren hinsichtlich Abhängigkeit (Barthel-Index), Behinderung (Frenchay Aktivitäts-Index – FAI) und Lebensqualität (Fragebogen HRQOL SF-36 BI-Untersuchung) untersucht werden. Die abgefragten Lebensqualitätsbereiche waren: Physische Funktion, sog. Role Physical, Schmerzempfindungen und Parästhesien, genereller Gesundheitsstatus, Vitalität, soziale Funktion, emotionale Bereiche, Kognition bzw. mentale Gesundheit. Die Lebensqualitätseinschränkung wurde als schwer, mittelgradig, gering oder im Sinne nicht-bestehend = völlige Selbstständigkeit gewertet. Die zu Grunde liegenden Punktzahlen entsprachen 09, 10-14, 15-19 und 20. Die Behinderung wurde in die Kategorien: Inaktiv, mittel- GERIATRIE JOURNAL 6/08 mäßig aktiv und uneingeschränkt aktiv (Punktzahl 0-15, 16-30 und 31-45) eingeteilt. Ergebnisse: Die Ergebnisse des ersten und des zweiten Jahres hinsichtlich Pflegeabhängigkeit war mit 26,1 und 26,3% bei einem mittleren Barthel-Index von 15 vergleichbar, auch die Behinderung war mit 55 und 51% nach dem ersten und dem dritten Jahr ähnlich. Die Lebensqualität im Bereich der allgemeinen, physikalischen Gesundheit war ebenfalls deutlich vermindert mit 37,1 und 37,9%, hinsichtlich der mentalen Gesundheit mit 46,6 bzw. 47,7% sogar erfreulich günstig. Es bestand eine direkte Beziehung zwischen allen Lebensqualitäts-Domänen und dem BarthelIndex bzw. dem FAI-Index – Pflegeabhängigkeit und Behinderung. In einer Multivarianzanalyse konnte mit der Spearman rank correlation abgezeigt werden, dass jede einzelne Domäne der Lebensqualität mit dem Barthel-Index korrelierte, allerdings in unterschiedlicher Gewichtung. Diskussion: Die Autoren plädieren für eine stärkere Einbeziehung der Lebensqualität bei Messungen des outcomes von Schlaganfall-Erkrankungen. Insbesondere deshalb, da die sog. mentale Gesundheit offensichtlich abweicht von objektiven Befunden der physischen Behinderung, aber auch des Pflegestatus. Kommentar: Diese Studie zeigt einmal mehr, dass die Parameter der Lebensqualität, die einer besonders stark subjektiv eingefärbten Selbsteinschätzung des Patienten unterliegen, die stärksten Abweichungen vom objektiven Gesundheitszustand und vom objektiven Zustand der Behinderung sowie auch hinsichtlich der Aktivitäten des täglichen Lebens aufwiesen. Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, Lingen (Ems) Patel M. D., Tilling K., Lawrence E., Rudd A.G., Wolfe C.D.A., McKevitt C. Age and Ageing 2006; 35: 273-279 Aggressives Non-Hodgkin-Lymphom 60+ Alternativen zu CHOP Hochmaligne (i.e. aggressive) Non-Hodgkin-Lymphome erfordern eine aggressive Therapie. Das Standard-Schema CHOP (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednisolon) wird seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt. Es ist aber gleichzeitig ob seiner Toxizität, speziell bei älteren Patienten problematisch. Alternativen waren daher wiederholt Thema von Studien. S tudie: In einer britischen Phase-IIIStudie wurde der Einsatz von CHOP mit einer weniger Anthrazyklin-haltigen Kombination verglichen, wobei zusätzlich die im Alter wichtige Frage einer prophylaktischen Gabe von myelopoetischen Wachs- tumsfaktoren (G-CSF) geprüft wurde. Wichtig zu erwähnen, dass die Studie vorzeitig abgeschlossen wurde, als Rituximab für die Therapie diffuser großzelliger BZell-Lymphome allgemein zum Einsatz kam und Zwischenergebnisse vorlagen. 11 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Die britische Studie umfasste 784 Patienten mit neu diagnostiziertem hochmalignen (aggressiven) Non-Hodgkin-Lymphom, die zwischen 60 und 89 Jahre alt waren, im Median 70 Jahre. Nach Randomisation erhielten 195 Patienten CHOP (Cyclophosphamid 750 mg/m3, Doxorubicin 50 mg/m3, Prednisolon 100 mg), 192 erhielten CHOP plus G-CSF, ein weiterer Arm erhielt PMitCEBO (Cyclophosphamid 300 mg/m3, Mitoxantron 7 mg/m3, Etoposid 150 mg/m3, Vincristin 1,4 mg/m3, Bleomycin 10 mg/m3 und Prednisolon 50 mg). 195 Patienten erhielten entsprechend der Randomisation bei CHOP zusätzlich G-CSF. Frequenz: CHOP wurde alle drei Wochen für max. acht Zyklen appliziert, PMitCEBO wöchentlich, max. 16 Wochen. Ergebnisse: Die Ansprechraten waren mit 84% (CHOP) und 83% (PMitCEBO) vergleichbar. Die zusätzliche Applikation von G-CSF hatte keinen weiteren, zusätzlichen Einfluss. Zwischen CHOP und PMitCEBO waren nach 44 Monaten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich progressionsfreiem Überleben und Gesamtüberleben festzustellen. Auch in der Spätauswertung (nach 44 Monaten) war kein zusätzlicher Effekt von G-CSF zu ermitteln: 44% CHOP, 42% PMitCEBO ohne Progression und Rezidiv, Gesamtüberleben 46 vs. 45% CHOP vs. PMitCEBO. Diskussion: Auf Grund seiner geringeren Toxizität ist PMitCEBO sicherlich eine empfehlenswerte Alternative zu CHOP, speziell bei älteren Patienten. Kommentar: Erstaunlich ist das Ergebnis bezogen auf das Nebenziel: Wirkung von prophylaktischer G-CSF-Gabe. Die Ergebnisse widersprechen den ASCOEmpfehlungen [1], die bezogen auf die Toxizität von CHOP eine prophylaktische Akute myeloische Leukämie Myelopoetische Wachstumsfaktoren Die Mehrzahl der Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) ist zum Zeitpunkt der Diagnose mindestens 60 Jahre alt. Erfahrungsgemäß sind die Behandlungsergebnisse bei diesen Patienten deutlich schlechter als bei jüngeren. Dies liegt an der vergleichsweise hohen Toxizität der Standard-Chemotherapie aber auch an der oft ungünstigeren zytogenetischen Prädisposition. Die Gabe von myelopoetischen Wachstumsfaktoren, i.e. granulozytenstimulierender Faktor (G-CSF) hat zwei Indikationen bei dieser Patientengruppe. Zum einen werden die Nebenwirkungen der zumeist ausgeprägten Zytopenie vermindert. Zum anderen kommt es zu einer Stimulierung von Blasten, was seinerseits als günstig für die Behandlung diskutiert wird. S tudie: In einer Studie, zitiert in BLOOD, prüfte eine internationale Arbeitsgruppe den Einfluss von G-CSF (Lenograstim) auf das Behandlungsergebnis und auf die Toxizität der Behandlung. Es wurden 722 Patienten in die Studie eingeschlossen. Das mediane Alter betrug 68 Jahre. Alle litten an einer neu diagnostizierten akuten myeloischen Leukämie. Vier Therapiearme wurden in dieser Phase-IIIStudie randomisiert: 1. keine zusätzliche Behandlung zur Induktionstherapie 2. G-CSF während oder 3. nach der Chemotherapie bis einschließlich 28. Tag nach Beginn der Chemotherapie oder 12 4. bis zum Wiederauftreten der polymorphkernigen Leukozyten. Ergebnisse: In den Gruppen, die G-CSF während der Induktionstherapie erhielten, lag die Rate der Komplett-Remission signifikant höher im Vergleich zu den Therapiearmen ohne Supportion mit G-CSF sowie der Gruppe, die G-CSF nach der Chemotherapie erhalten hatte: 58,3 vs. 48,6%; p = 0,009. Die Gesamt-Überlebensraten waren in beiden Gruppen hingegen nicht verschieden. Die Dauer der Myelopoese wurde durch G-CSF, auch nach dem Ende der Chemotherapie gegeben, deutlich verkürzt: 20 vs. 25 Tage; p < 0,001, entsprechend war die Gabe von G-CSF bei Patienten über 70 empfehlen; wie auch übrigens die EORTC [2]. Literaturstellen: 1. Ozer H. et al. Sekundär-Prophylaxe ASCO Empfehlungen.J Clin Oncol. 2000; 18: 3558-3585 2. Repetto L., Biganzoli L., Koehne C.H., Luebbe A.S., Soubeyran P., Tjan Heijnen V.C.G., Aapro M.S. EORTC Cancer in the Elderly Task Force guidelines for the use of colony-stimulating factors in elderly patients with cancer. Eur J Cancer 2003; 39 (16): 2264-72 Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, Lingen (Ems) Burton C., Linch D., Hoskin P., Milligan D., Dyer MJS., Hancock B., Mouncey P., Smith P., Qian W., MacLennan K., Jack A., Webb A., Cunningham D. A phase III trial comparing CHOP to PMitCEBO with or without G-CSF in patients aged 60 plus with aggressive non-Hodkin’s lymphoma. British Journal of Cancer 2006; 94: 806-13 Aufenthaltsdauer in der Klinik geringer: 27,2 vs. 29,7 Tage; p < 0,001. Diskussion: Die supportiven Effekte von G-CSF waren erwartungsgemäß auch bei der AML der älteren Patienten nachweisbar. Auch die Komplett-Remissionen waren häufiger. Allerdings zeigte sich kein Effekt auf die Länge des Überlebens. Kommentar: Nebenwirkungen und Krankenhausaufenthalt lassen sich durch die Supportion mit Wachstumsfaktoren auch bei älteren Patienten mit AML, die einer besonders ungünstigen Risikogruppe angehören verbessern. Die ungünstige Prognose quod ad vitam hingegen wird nicht beeinflusst. Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, Lingen (Ems) Amadori S., Suciu S., Jehn U., Stasi R., Thomas X., Marie J-P., Muus P., Lefrère F., Berneman Z., Fillet G., Denzlinger C., Willemze R., Leoni P., Casini M., Ricciuti F., Vignetti M., Beeldens F., Mandelli F., De Witte T., for the EORTC/GIMEMA Leukemia Groups. Use of glycosylated recombinant human G-CSF (lenograstim) during and/or after induction chemotherapy in patients 61 years of age and older with acute myeloid leukemia: final results of AML-13, a randomized phase-3 study. Blood 2005; 106: 27-34 GERIATRIE JOURNAL 6/08 A K T U E L L : G E R I AT R I S C H E S S C R E E N I N G Check-up-75+ Ab dem 36. Lebensjahr haben gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf eine Vorsorgeuntersuchung. Dieser Gesundheitscheck gilt auch für ältere Patienten, berücksichtigt jedoch nicht die sie betreffenden Besonderheiten. Unterstützend bietet sich hier das geriatrische Screening nach Lachs an. Es beschreibt Schwierigkeiten, Störungen oder Risiken, die für die weitere Behandlungsplanung und den weiteren Behandlungsverlauf von Bedeutung sein können. D er Check-up 35 wurde 1989 in die Auch für Deutschland ist – neben den kassenärztliche Versorgung ein- bekannten Elementen des Check-up-35 geführt. Er umfasst eine gründli- – die Etablierung eines Gesundheitsche Anamnese, einen Ganzkörperstatus, Check-up-75+ mit der Durchführung eidie Bestimmung von Glukose und Ge- nes geriatrischen Screenings nach Lachs samtcholesterin im Blut sowie einen [2] zu fordern. In einer Pilotstudie in Harn-Streifentest und eine ausführliche Hamburg mit zwölf Hausärzten und eiNachberatung. Er soll zur Früherken- ner geriatrischen Klinik von 1996 bis nung von Krankheiten bei Menschen im 2000 konnte durch die routinemäßige Alter über 35 Jahre beitragen. Zu be- Durchführung des geriatrischen Screerücksichtigen ist dabei, dass es bei dieser nings nach Lachs gezeigt werden, dass Vorsorgeuntersuchung trotz einer immer sich die Versorgungsqualität der Hausälter werdenden Bevölkerung in Deutsch- arztpatienten gebessert hat. land bisher keine Rolle spielt, ob der PaGenerell ist die regelmäßige Durchtient 35 Jahre oder 80 Jahre alt ist. führung eines geriatrischen Assessments In Österreich stellt ggf. sogar in VerbinEine Pilotstudie zeigte, sich die Situation andung mit präventiven ders dar. Hier wird bei Hausbesuchen bei allen dass sich mit dem den Vorsorgeuntersu- geriatrischen Screenings über 75-jährigen Hauschungen den altersspearztpatienten anzustredie Versorgungsqualität zifischen Gegebenheiben. Problematisch geder Hausarztpatienten ten Rechnung getragen. staltet sich die Durchbesserte So wird in der Altersführung, denn in einer gruppe der über 60-JähHausarztpraxis, die pro rigen in der Vorsorgeuntersuchung be- Jahr 500 bis 1.400 ältere Patienten versonders auf die Früherkennung von Hör- sorgt, ist dies nicht umzusetzen (Zeitfakminderungen und Sehschwächen, die tor, Fehlen von Hilfspersonal). Detektion von Zahn-und ZahnfleischEine durchführbare Alternative stellt entzündungen und das Screening nach daher ein geriatrisches Screening in Verkardio-und zerebrovaskulären Risikofak- bindung mit einem jährlichen Gesundtoren Wert gelegt. Außerdem erhalten heitscheck dar. Ziel des Screenings sollte die Patienten neben Informationen zum keine umfassende Quantifizierung geriaaktuellen Impfstatus Hinweise zur Sturz- trischer Funktionseinbußen sein, sondern prävention. Bei den über 75-Jährigen lie- eine bewusste Beschränkung auf Gegen zusätzlich die Schwerpunkte auf Er- sundheitsstörungen, die folgenden Krinährung, urologischen Problemstellun- terien Rechnung tragen: gen, Demenz, Depression und sozialer @ Prävalenz von Erkrankungen, eingeschränkten Funktionen und psychosoUnterstützung. GERIATRIE JOURNAL 6/08 Foto: Grünes Kreuz Thomas Hermens, Wesel Abb. 1: Das geriatrische Screening nach Lachs ist in Abhängigkeit von der Kooperationsfähigkeit der Patienten in gut 5-12 Min. durchführbar. zialen Beeinträchtigungen im unausgelesenen Patientengut @ Anteil dieser Probleme, die dem Hausarzt bislang unbekannt waren @ Morbidität, Mortalität und Auswirkungen auf die Lebensqualität @ Diagnostizierbarkeit und Therapierbarkeit eines aufgedeckten Problems @ Annahme des Screenings durch Patient und Arzt im Rahmen des Check-ups @ Kosten-Nutzen-Relation Mit Hilfe des geriatrischen Screenings nach Lachs werden die häufigen Problembereiche älterer Hausarztpatienten wie Sehen, Hören, Kurzzeitgedächtnis, Funktion der oberen und unteren Extremitäten, Depression, soziale Situation, Kontinenz, kognitive Kompetenz, Stürze, Medikamente, häufige Hospitalisierungen und Schmerz überprüft. Das geriatrische Screening nach Lachs beinhaltet 16 Aufgaben (Tab. 1) und ist in Abhängigkeit von der Kooperationsfähigkeit der Patienten in gut 5-12 Min. durchführbar. Die Summe der auffälligen Items ermöglicht einen orientierenden Eindruck über das Ausmaß begleitender Problembereiche. Ausprägungsgrade von Störungen oder Einschränkungen können mit diesem Instrument jedoch nicht erfasst werden. Es ist zu wünschen, dass 13 A K T U E L L : G E R I AT R I S C H E S S C R E E N I N G Tab. 1: Geriatrisches Screening nach Lachs Problembereich 1. Hören 2. Sehen 3. Armfunktion 4. Beinfunktion 5. Harninkontinenz 6. Stuhlinkontinenz 7. Ernährungsstatus 8a Kurzzeitgedächtnis 9. Aktivität 10. Depression 8b Gedächtnis 11. Soziale Unterstützung 12. Krankenhausaufenthalt: 13. Sturz 14. Polypharmazie 15. Schmerz Frage bzw. Aufgabe Flüstern der Zahlen in ca. 50 cm Abstand in das angegebene Ohr, während das andere zugehalten wird: Linkes Ohr: 6 -1 -9, Rechtes Ohr: 2 -7 -3 Hat sich Ihre Sehfähigkeit in letzter Zeit verschlechtert? Lesen einer großen Überschrift Bitten Sie den Patienten, beide Hände hinter den Kopf zu legen – einen Kugelschreiber aufzuheben Bitten Sie den Patienten aufzustehen, einige Schritte zu gehen und sich wieder zu setzen Konnten Sie in letzter Zeit den Urin versehentlich nicht halten? Konnten Sie in letzter Zeit den Stuhl versehentlich nicht halten? Schätzen des Patientengewichtes 1. Nennen Sie dem Patienten folgende Begriffe und bitten Sie ihn, sie sich zu merken: Apfel-Pfennig-Tisch 2. Anschließend bitten Sie ihn, die Begriffe zu wiederholen. Können Sie sich selbst anziehen? Können Sie problemlos Treppen steigen? Können Sie selbst einkaufen gehen? Fühlen Sie sich oft traurig und niedergeschlagen? Bitten Sie den Patienten, die vorhin genannten Begriffe zu wiederholen. Haben Sie Personen, auf die sie sich verlassen und die Ihnen zu Hause regelmäßig helfen können? Waren Sie in den letzten drei Monaten in Krankenhausbehandlung? Sind Sie in den letzten drei Monaten gestürzt? Nehmen Sie regelmäßig mehr als fünf verschiedene Medikamente ein? Leiden Sie häufig unter Schmerzen? Anzahl der Auffälligkeiten im geriatrischen Screening: der wachsenden Zahl von geriatrischen Hausarztpatienten durch eine Ergänzung des Check-up 35 mit Hilfe des geriatrischen Screenings nach Lachs Rechnung getragen wird. Durch dieses Screeningverfahren könnten häufige Probleme bei älteren Patienten aufgedeckt werden und ggf. durch weitergehende Untersuchungen eingegrenzt werden. 14 Einstufung als Problembereich, … wenn mehr als eine Zahl falsch erkannt wird Auffälligkeiten vorhanden ja/nein … wenn das Erkennen der Fingerzahl in 2 m Entfernung oder das Lesen einer großen Überschrift nicht möglich ist oder die Frage mit „ja“ beantwortet wird … wenn mindestens eine Aufgabe nicht gelöst wird … wenn der Patient zu einer dieser Tätigkeiten nicht selbstständig in der Lage ist … wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird … wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird … bei Vorliegen von Unter- oder Übergewicht … wenn einer der Begriffe nicht erinnert werden kann … wenn eine der Fragen mit „nein“ beantwortet wird … wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird … wenn einer der Begriffe nicht erinnert werden kann … wenn die Frage mit „nein“ beantwortet wird … wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird … wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird … wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird … wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird Literatur 1. Dorner,T. Rieder, A.: Gesundheitsvorsorge und Prävention, Hrsg. Böhmer, Füsgen UTB Verlag, Geriatrie 2008, S. 321 ff 2. Lachs MS, Feinstein AR, Cooney LM, Jr., Drickamer MA, Marottoli RA, Pannill FC et al. A simple procedure for general screening for functional disability in elderly patients. Ann Intern Med (1990); 112: 699-706 3. Meier-Baumgartner, H.-P., Dapp, U.: Geriatrisches Netzwerk; Schriftenreihe Band 204, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Kohlhammer 2001 / 16 4. Sandholzer, H: Geriatrisch orientierte Allgemeinpraxis, Hrsg. T. Nikolaus, Klinische Geriatrie 2000, S. 117 ff Dr. Thomas Hermens, Hausärztlicher Internist, Diabetologische Schwerpunktpraxis, Klinische Geriatrie, Schermbecker Landstr. 88a, 46485 Wesel GERIATRIE JOURNAL 6/08 A K T U E L L : G E R I AT R I E - G E S P R Ä C H E Alter-(s)-Zeit D Foto: IN-GHO ie Vorträge waren informativ und Zeit huscht vorbei anregend“, berichtet Barbara Kies- Mit der Frage, was Zeit ist, hat sich belich, Leiterin des Ilse Kuba- reits der in der Spätantike der Gelehrte schewski Zentrums für Humane Pflege Aurelius Augustinus befasst. Er stellte im Alter, Starnberg. Vom 25. bis 27. Sep- fest, dass sich ein Körper in der Zeit betember 2008 hat das Zentrum die Starn- wegt, sie aber selbst nicht darstellt. Die berger interdisziplinären Geriatrie-Ge- Zeit ermöglicht zwar Bewegung, doch spräche durchgeführt. Die erste Veran- damit wird ihr Wesen lediglich umrissen staltung fand 2006 statt und widmete und nicht erfasst. Aurelius Augustinus sich dem Thema „Biografisches Arbei- trennte die Zeit in Vergangenheit, Gegenten“ (GERIATRIE JOURNAL 6/2006, S. 12). wart und Zukunft – doch nach längerer Diesmal ging um die Zeit, genauer um Betrachtung erschienen ihm die Begrif„Alter-(s)-Zeit“. Der Themenbogen fe höchst paradox. Vergangenes ist vorspannte sich über Fragestellungen wie bei, damit gibt es das Vergangene gar „Was ist Zeit?“ – „Wie funktioniert das nicht. Die Zukunft liegt vor uns. Doch Zeitempfinden?“ – „Wie verändert sich weil sie noch nicht da ist, ist sie ebenfalls unser Zeiterleben mit fortschreitendem nicht vorhanden. Damit bleibt die GegenAlter?“ – „Was macht die fortschreiten- wart. Sie aber huscht vorbei, wandert wie de Zeit mit uns?“ – „Wie erleben ältere ein punktförmiger Schnitt auf einer ZeitMenschen das Phänomen „nur noch kur- achse und kommt nie zur Ruhe. Nach ze Zeit“ zu haben?“ langen, intensiven Überlegungen gestand „Zeit – ein sonderbar Ding“ lautete Aurelius Augustinus sich ein, dass ihm die der Titel des Referats von Prof. Dr. phil. Zeit ein Geheimnis bleiben wird. Rudolf Taschner, Wien. Der MathemaDer Philosoph Immanuel Kant, ein tiker stellte fest, dass „wir uns einerseits überzeugter Bewunderer der Mathemader Zeit ausgeliefert fühlen, andererseits tik, meinte, dass der Begriff Zeit – in Anwir gar nicht wissen, was Zeit ist“. Regisseure und Schriftsteller versuchen, die Zeit durch Zeitlupenaufnahmen und detaillierte Beschreibung einzufangen, sie zu erklären. Fotografen halten beeindruckende oder wichtige Momente in einem Bild fest. Der Musik wiederum gelingt es, dass der Zuhörer den Lauf der Zeit vergisst. Dies ist ein eigenartiges Phänomen, weil gerade die Musik vom Schlagen des Takts, der den gleichmäßigen Lauf der Lauf Die Gegenwart, der Augenblick gewinnen an Bedeutung. symbolisiert, abhängt. GERIATRIE JOURNAL 6/08 Foto: www.pixelio.de Das Thema „Zeit“ bildete den inhaltlichen Schwerpunkt der 2. Starnberger interdisziplinären Geriatrie-Gespräche. Rund 70 Ärzte, Psychologen, Psychiater und leitende Pflegekräfte nahmen an der Veranstaltung teil. Zeit vergeht und kommt nie zur Ruhe. lehnung an die Geometrie – als eindimensionaler Raum gefasst werden könnte. Symbolisiert wird sie durch einen Zeiger, der auf einer Geraden entlangläuft. Die alten Kulturen, die an die ewige Wiederkehr des Gleichen glaubten, ließen den Zeiger lieber entlang einer Kreislinie entlanglaufen – so wie es noch heute die Zeiger unserer Uhren tun. Kurz und knapp hingegen ist die Definition, die Albert Einstein fand: Zeit sei das, was man mit einer Uhr messe. Wir denken immer, wir hätten noch so viel Zeit Zeit werde, so die Referentin Dr. Klara Obermüller, Zürich, in Abhängigkeit von Lebensalter und -situation erlebt. Für Kinder ist ein Tag lang, dauern die Sommerferien endlos lange, steht die Zeit praktisch still. Kinder leben in der Gegenwart. Ihr Sinn für Vergangenes ist noch mangelhaft entwickelt, für Kommendes fehlt die Vorstellungskraft. Kinder gehen mit der Zeit verwenderisch um. Die Journalistin und Schriftstellerin erzählte, wie ihr die Begrenztheit der Zeit durch Erkrankung und Tod ihres Mannes und das eigene Älterwerden bewusst ge- 15 A K T U E L L : G E R I AT R I E - G E S P R Ä C H E Vorsorgeinstrumenten wie Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen kommt eine wichtige Rolle zu. Foto: philippe Devanne – Fotolia.com worden ist. „Ich hatte erfahren, wie kostbar Zeit ist, wenn sie immer weniger wird. Ich hatte aber auch erfahren, wie vieles man in die Zeit hineinpacken möchte, die einem noch bleibt: Versäumtes nachholen, Getanes ungeschehen machen, sagen, was man noch sagen möchte. Wir denken immer, wir hätten noch so viel Zeit und wissen doch nicht, ob sie nicht morgen schon zu Ende ist“. Der Tod ist endgültig und, wie Max Frisch in seinem zweiten „Tagebuch“ geschrieben hat, der einzige Vorfall, der keine Variante mehr zulässt. Wie die meisten Menschen spürte Dr. Klara Obermüller um den 50. Geburtstag herum bei sich selbst, dass die Lebenszeit begrenzt ist. Das Empfinden von Zeit hat sich verändert. Die Zeit rast, sie läuft davon, rinnt durch die Finger. Die Zeit ist dabei, ihre Selbstverständlichkeit zu verlieren und zum kostbaren, weil zusehends knapperen Gut zu werden. Gleichzeitig verändert sich auch das Verhältnis zu den einzelnen Zeitebenen. Es gibt immer mehr Vergangenheit und immer weniger Zukunft. Dr. Klara Obermüller: „Wenn ich sagen müsste, was mich am Älterwerden am meisten belastet, so wäre es dies: das Schwinden der Zukunft, der Verlust an Perspektive“. Älterwerden ist auch bei gesunden Men- schen mit körperlichen Einschränkungen verbunden. Doch Älterwerden bietet auch die Chance, Dinge loszulassen und Verantwortung abzugeben und sich damit einen Ausgleich, eine innere Unabhängigkeit zu schaffen. „Nicht dem Vergangenen nachhängen, nicht nach dem Künftigen greifen, sondern nur da sein, den Augenblick in Acht nehmen, ohne ihn festhalten zu wollen“. Die Gegenwart, der Augenblick gewinnen an Bedeutung. Angst vor dem Scheinleben Über „Ärztliches Tun und Unterlassen am Lebensende“ referierte Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Frank Erbguth, Nürnberg. Angesichts der Möglichkeiten, die die Ilse Kubaschewski Zentrum Ilse Kubaschewski, die „Grande Dame“ des deutschen Films, errichtete im Jahr 1994 die Ilse Kubaschewski Stiftung. Im Rahmen der von der Stifterin gesetzten Ziele hat die Stiftung das Projekt „Humane Pflege im Alter“ initiiert. Mit diesem Projekt soll die Aufgabe erfüllt werden, Angehörige, stationäre Einrichtungen der Pflege und der Akutmedizin sowie ambulante Dienstleister im Landkreis Starnberg zu unterstützen und damit die Pflege im Sinne einer humanen Pflege im Alter weiter zu verbessern. Im Zentrum für Humane Pflege im Alter werden wissenschaftliche Projekte und Konzepte sowie die Öffentlichkeitsarbeit im Sinne einer besseren Transparenz und Verknüpfung der bereits für die älteren Menschen vorhandenen Hilfsangebote unterstützt. In das Zentrum integriert ist die Fach- 16 stelle für pflegende Angehörige mit einem ehrenamtlichen Helferkreis. Über diese Fachstelle erhalten Menschen mit Demenz und deren Angehörige Beratung und Unterstützung in jedem Stadium der Demenzerkrankung. Seit Februar 2007 gibt es am Zentrum für Humane Pflege das Netzwerk für Palliativmedizin und Hospizbetreuung. Im Netzwerk erhalten Betroffene und Angehörige u.a. unentgeltliche Beratung. Außerdem steht ein Bereitschaftsdienst von Palliativmedizinern und Palliativpflegekräfte rund um die Uhr zur Verfügung. Ilse Kubaschewski Zentrum für Humane Pflege im Alter, Oßwaldstr. 1, 82319 Starnberg, Tel. 0 81 51/18-2165 oder 18-0, i.mayerthaler@ ilse-kubaschewski-zentrum.de, www.ilse-kubaschewski-zentrum.de moderne Medizin heute bietet, stellen sich viele ältere Menschen die Frage, ob sie es wollen, dass ihr Leben um jeden Preis verlängert wird. Vielfach äußern sie den Wunsch, sie wollten nicht an Schläuchen und Maschinen hängend künstlich am Leben erhalten werden. „Hatten die Menschen in früheren Jahrhunderten Angst vor dem Scheintod, so fürchten sie heute eher ein Scheinleben“. Prof. Erbguth wies darauf hin, dass aus der Rechtsprechung klar hervorgeht, dass Vorsorgeinstrumenten wie Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen eine wichtige Rolle zukommt. Anhand von zwei Fallbeispielen erläuterte er, dass eine Behandlung gegen den Willen des Patienten eine Körperverletzung darstellt. Von dieser Patientenautonomie gibt es Ausnahmen, wie beispielsweise ein Suizidversuch. Ärzte und Pflegekräfte befürchten häufig, der Abbruch einer therapeutischen Maßnahme in einer ausweglosen Situation stelle „aktive Sterbehilfe“ dar. Das Nicht-Beginnen hingegen wird als eher als unproblematisch gesehen, weil es „passiv“ erscheint. Eine medizinische Maßnahme jedoch legitimiert sich aus der medizinischen Indikation und der Zustimmung des Patienten. Ist eines von beiden nicht oder nicht mehr gegeben, ist die Maßnahme nicht mehr legal – und da ist es gleich, ob diese Maßnahme nicht begonnen wurde oder ob sie beendet wird. In diesem Zusammenhang machte Prof. Erbguth deutlich: „Wer einen moralischen und rechtlichen Unterschied sieht zwischen dem Nicht-Beginnen – was er für „legitim“ hält – und dem Abbrechen – was er für „verboten“ ansieht –, wird manche Therapie in einer noch GERIATRIE JOURNAL 6/08 A K T U E L L : G E R I AT R I E - G E S P R Ä C H E unentschiedenen Lage gar nicht erst anfangen, weil er glaubt, bei einer Wendung zum Schlechten dürfe er das einmal Begonnene dann nicht mehr beenden. Dies führt zum unangemessenen Therapieverzicht“. Woran aber kann man sich halten? Prof. Erbguth empfahl als Orientierung für den Alltag die Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung und die Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Beides wurde von der Bundesärztekammer herausgegeben. Erleichternd ist außerdem die Einrichtung eines klinischen interdisziplinären und interprofessionellen Ethikomitees oder einer mobilen Ethikberatung, wie sie beispielsweise beim Klinikum Nürnberg eingerichtet wurde. Weitere Vorträge zu Themen wie „Zeiterleben und Zeitgestaltung im biographischen Wandel“, „Die biologische Uhr“, „Loslassen – Zeit gewinnen“ und „Sterbenkönnen als Lebenskunst“ run- deten die Veranstaltung ab, an der rund 70 Ärzte, Psychologen, Psychiater und leitende Pflegekräfte teilnahmen. „Unser Gefühl für die Zeit hängt von unseren Aufgaben ab“, resümiert Barbara Kieslich. „Wenn man arbeitet, verrinnt die Zeit viel zu schnell. Für einen Bettlägerigen jedoch kann schon eine Minute eine lange Zeit sein. Deswegen sollten wir immer wieder in sein Zimmer hineinschauen und versuchen, in unsere Hektik etwas Ruhe hineinzubringen“. jh AKTUELL: LEUCHTTURMPROJEKT DEMENZ Die besten Wege finden – Teil 1 Ziel des „Leuchtturmprojektes Demenz“, für das rund 13 Mio. zur Verfügung stehen, ist die Verbesserung der Versorgung demenziell erkrankter Menschen. Gesucht wurden Projekte, die durch ihre Vorbildfunktion dazu beitragen, die Versorgung von Menschen mit Demenzerkrankungen weiter zu entwickeln. Die 29 ausgewählten Projekte werden in dieser und der nächsten Ausgabe des GERIATRIE JOURNALS vorgestellt. D emenz ist die häufigste und folgenreichste psychiatrische Erkrankung im Alter. Rund 1,1 Mio. Menschen sind in Deutschland daran erkrankt. Schätzungen gehen davon aus, dass sich diese Zahl bis zum Jahr 2030 auf ca. 1,7 Mio. erhöhen wird. Es gibt derzeit keine Heilungsmöglichkeiten und Defizite bei der frühzeitigen Diagnose. Außerdem sind die Versorgungsstrukturen vielfach noch zu wenig auf die Bedürfnisse von demenziell erkrankten Menschen eingestellt. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit das „Leuchtturmprojekt Demenz“ initiiert. Ziel ist, aus den vorhandenen Versorgungsangeboten die besten Leuchtturmprojekte zu identifizieren und weiter zu entwickeln, Defizite bei der Umsetzung einer evidenzbasierten pflegerischen und medizinischen Versorgung de- GERIATRIE JOURNAL 6/08 menziell Erkrankter zu beseitigen und eine zielgruppenspezifische Qualifizierung für in der Versorgung engagierte Personen und beteiligte Berufsgruppen zu erreichen. In Zusammenarbeit mit Fachinstitutionen, Interessenverbänden, Bundesressorts und Ländern wurden die folgenden Themen- und Arbeitsfelder vereinbart: 1. Therapie- u. Pflegemaßnahmen: Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen, 2. Evaluation von Versorgungsstrukturen, 3. Sicherung einer evidenzbasierten Versorgung und 4. Evaluation und Ausbau zielgruppenspezifischer Qualifizierung. Von insgesamt 106 fristgerecht eingereichten Anträgen wurden 29 Projekte ausgewählt. Sie sollen durch ihre Vorbildfunktion dazu beitragen, die Betreuung und Versorgung von Menschen mit Demenzerkrankungen weiter zu entwickeln. Themenfeld 1: Therapie- u. Pflegemaßnahmen SPORT & COG – Einfluss von multimodaler sportlicher Aktivität auf Kognition und Alltagskompetenzen bei früher Alzheimer-Demenz. Ziel des Projektes ist es, bei Alzheimer-Patienten durch Trainingsprogramme und kognitive Stimulation das Fortschreiten der Alzheimer Demenz zu verzögern. WHEDA – Wirksamkeit häuslicher Ergotherapie für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen. Die Studie basiert auf bereits erfolgreich eingesetzten Materialien und Vorgehensweisen. In ihrem Rahmen erhalten die Beteiligten eine umfassende ergotherapeutische Beratung bzw. ergotherapeutische Behandlung in der Wohnung des demenzerkrankten Menschen. Um Erkenntnisse über Wirksamkeit und Langzeitwirkung der Maßnahmen zu erhalten, werden die Teilnehmer regelmäßig befragt. KORDIAL – Kognitiv-verhaltenstherapeutische ressourcenorientierte Therapie früher Demenzen im Alltag. An Demenz erkrankte Menschen nehmen ihre vermin- 17 AKTUELL: LEUCHTTURMPROJEKT DEMENZ derte Leistungsfähigkeit im frühen Stadium der Erkrankung wahr und empfinden die Aufgabe gewohnter Tätigkeiten sowie Veränderungen ihrer sozialen Kontakte als belastend. In der Studie wird eine speziell für diese Patienten entwickelte, auf neuropsychologischen Erkenntnissen gegründete individualisierte Verhaltenstherapie mit der ärztlichen Standardbehandlung verglichen. MAKS aktiv! – Multimodale Aktivierungstherapie bei Demenzkranken im Pflegeheim. Im Rahmen der Studie soll erforscht werden, inwiefern durch passgenaues Training im Alltag von Bewohnern mehrerer Pflegeheime ein Gedächtnisverlust aufgehalten oder mindestens verlangsamt werden kann. Sechs Monate lang werden Bewohnerinnen und Bewohner an einem Training teilnehmen, das motorische, alltagspraktische, kognitive und spirituelle Elemente beinhaltet. Nach Ablauf des Halbjahres sollen die Ergebnisse mit denen einer Begleitgruppe verglichen werden. ERGO-DEM – Effektivität einer optimierten Ergotherapie bei Demenz im häuslichen Setting. Die gegenwärtig als Behandlungsstandard geltende pharmakologische Therapie mit Antidementiva führt nachweislich zu einer Verlangsamung der Funktionseinbußen. ERGO-DEM untersucht die Wirksamkeit einer ergotherapeutischen Behandlung zusätzlich zur medikamentösen Behandlung bei Menschen mit einer leichten bis mittelgradigen Demenz im Vergleich zu einem ausschließlich medikamentösen Behandlungsansatz. STI-D – Wirksamkeit der deutschen Version der Serial Trial Intervention zur ursachebezogenen Reduktion von herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz. Die „Serial Trial Intervention (STI)“ bietet Pflegefachpersonen eine systematische Abfolge pflegerischer Assessments und Handlungen in entsprechenden Situationen an und dient der Reduktion herausfordernder Verhaltensweisen bei Menschen mit Demenz. Ein Ziel des Projektes bildet die Erarbeitung einer deutschen Fassung der STI unter Berücksichtigung der hiesigen Rahmenbedingungen. 18 Tele.TanDem – Telefonische Therapie für Angehörige von Demenzkranken. Zur Prävention von Belastungsstörungen bei pflegenden Angehörigen von an Demenz erkrankten Menschen soll eine telefonische Kurzzeitintervention getestet werden. Die Teilnehmer der Interventionsgruppe nehmen an einer drei Monate dauernden telefonischen Therapie teil, die von erfahrenen Psychologinnen durchgeführt wird. Es wird erwartet, dass sich die Problemlösekompetenz der pflegenden Angehörigen erhöht und sich damit ihr Belastungserleben und das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen reduziert. ICF-Effekt – Die ICF als Referenzrahmen zur Bewertung von Effektivenessstudien bei demenziellen Erkrankungen. Ziel des Vorhabens ist festzustellen, inwieweit in Studien die Endpunkte berücksichtigt werden, die tatsächlich für Menschen mit einer Alzheimer Erkrankung oder ihre Angehörigen relevant sind. Die aus den Studien identifizierten Endpunkte werden in einem dritten Schritt mit den von den Menschen mit Alzheimer Erkrankung und Angehörigen genannten Anliegen verglichen. Themenfeld 2: Evaluation von Versorgungsstrukturen DemenzNetzAachen. Ziel des Netzwerkes ist die Etablierung eines Zugangsweges in die Frühdiagnostik demenzieller Erkrankungen und die Bereitstellung eines breiten Leistungsspektrums zur Verminderung der Angehörigenbelastung und zur Vermeidung von Hospitalisierung und Heimeinweisung. Hierzu erfolgt eine Kooperation zwischen Aachener Hausärzten und dem Gerontopsychiatrischen Zentrum des Alexianer Krankenhauses Aachen. Die Evaluation untersucht das Zuweisungsverhalten der Hausärzte und die Auswirkungen des Case-Managements auf die Belastung der Angehörigen, die Lebensqualität und Versorgungssituation der Betroffenen und die resultierende Versorgungskontinuität. TransAltern – Transfer Arbeiten Lernen: Leuchtturmprojekt Demenz Haus Schwansen. TransAltern will mit einem erprobten und evaluierten Versorgungsund Transferkonzept einen Beitrag zur nachhaltigen Verbesserung der institutionellen pflegerischen Versorgung von Menschen mit Demenz leisten. Das evaluierende Institut konzentriert sich auf Fragen nach der Verbindung von Arbeiten und Lernen in Haus Schwansen und dem Transfer von Wissen und Erfahrung zwischen Modellheim und Transferheimen. ULTDEM – Ulmer Leuchtturmprojekt Demenz: Verbesserung von Beratung und Diagnostik Demenzkranker nach Einordnung in eine Pflegestufe. In einem Pilotprojekt konnten Erkenntnisse über die Versorgungsstruktur Demenzkranker und ihrer Angehörigen in Ulm gewonnen werden. Ulm verfügt danach über eine gut funktionierende Netzwerkstruktur. Mit ULTLDEM ist beabsichtigt, durch Einführung einer neuartigen Beratungsform im Rahmen der Pflegeeinstufung die Inanspruchnahme bestehender Versorgungsstrukturen in Ulm/Alb-Donau-Kreis zu verbessern. UEDN Mettmann – Untersuchung der Effektivität der vernetzten Versorgung demenzkranker Menschen im DemenzNetzwerk Kreis Mettmann. Das Netzwerk hat das Ziel, die Versorgung demenziell erkrankter Menschen zu verbessern. Dazu wurden Beratungs- und Unterstützungsangebote entwickelt und Lotsendienste für Demenzkranke und ihre Angehörigen aufgebaut. Projektgruppen sorgen für die fachliche Weiterentwicklung der Angebote und der hier tätigen Fachkräfte und Ehrenamtlichen. Koordiniert und begleitet werden die Angebote durch zwei regionale Projektbüros. Das Forschungsprojekt wird die Effektivität des Versorgungsnetzwerkes untersuchen. SKEPSIS – Stationäre Kurzzeitrehabilitation zum Erhalt von Partizipation und sozialer Interaktion als Infrastrukturmaßnahme im sozialen Umfeld bei AlzheimerErkrankung. Eine systematische Evaluation der Effektivität kompensatorischer Trainingsmaßnahmen in Kombination mit psychoedukativen Maßnahmen für Angehörige im Rahmen eines kurzzeitigen stationären Aufenthaltes ist bisher nicht GERIATRIE JOURNAL 6/08 AKTUELL: LEUCHTTURMPROJEKT DEMENZ durchgeführt worden. Modellhaft ist ein solcher Ansatz im Alzheimer-Therapiezentrum Bad Aibling etabliert. Die Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen ist bisher jedoch nicht untersucht worden. Ziel ist es, die Effektivität des modellhaften Vorgehens dieser special care unit zu untersuchen. KOVERDEM – Optimierung der berufsübergreifenden Kooperation von Hausärzten und ambulanten Pflegediensten in der ambulanten Versorgung von Demenzkranken. Bisher fehlt es an Konzepten zur Organisation der ambulanten Versorgung von Menschen mit Demenz. Ziel des Projekts ist es, Erkenntnisse für die Behebung dieses Organisationsdefizits mittels der Erprobung nachhaltiger Kooperationsmodelle und -instrumente für die Zusammenarbeit von Hausärzten und ambulanten Pflegediensten zu erarbeiten. Tandemgruppen – Einrichtung von sozialtherapeutischen Tandemgruppen für PatientInnen in der Frühphase demenzieller Erkrankungen und ihre Angehörigen. Die Evaluationsstudie sozialtherapeutischer „Tandemgruppen“ widmet sich der frühzeitigen wie langfristigen psychosozialen Unterstützung bei der Krankheitsund Alltagsbewältigung überwiegend präsenil erkrankter Menschen und ihrer Angehörigen. Zielsetzungen sind sozialer Rückhalt, Aktivierung, Wissenserwerb, ein enttabuisierender Umgang mit der Erkrankung und den damit einhergehenden Belastungen sowie die Vorbeugung gegen Unter- und Fehlversorgung. IdemUcK – Interdisziplinäres Betreuungs- und Behandlungsnetz für DemenzGERIATRIE JOURNAL 6/08 Foto: Daniel Hohlfeld – Fotolia.com ROVDE – Risiko „Operation“ bei vorbestehender demenzieller Erkrankung. Studien, die gezielt stationär eingewiesene Patienten auf demenzielle Vorerkrankungen untersuchen, existieren kaum. Insbesondere operative Patienten in Häusern ohne Hauptfachabteilung Geriatrie werden nur selten bedarfsgerecht behandelt. Ziel des Projektes ist es, die Demenz in die Therapie der ursächlichen Aufnahmeerkrankung einzubeziehen und so eine optimale Rehabilitation zu erreichen. prozessen. In dem Projekt haben sich Wohn- und Hausgemeinschaften für ältere Menschen zusammengefunden, in denen überwiegend oder ausschließlich Menschen mit einer Demenzerkrankung leben. Ziel ist es, in einem begleiteten Austausch von Erfahrungen, Kenntnissen und Problemlösungsansätzen voneinander zu lernen und so die Qualität der Begleitung von Menschen mit Demenz weiterzuentwickeln. patienten im Landkreis Uckermark. Im Interdisziplinären Betreuungs- und Behandlungsnetz für Demenzpatienten im Landkreis Uckermark bilden die Fachabteilungen zwei regionaler Krankenhäuser, niedergelassene Haus- und Fachärzte, Pflegende und Angehörige von Sozialberufen ein Netzwerk zur Früherkennung und Verlaufsbegleitung von an Demenz erkrankten Menschen. Ziel der Studie ist die Bewertung der Effektivität und Effizienz des Demenznetzwerkes. DeWeGE – Berliner Studie zur outcomebezogenen Evaluation der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Demenz in ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Ambulant betreute Wohngemeinschaften stellen für Menschen mit Demenz eine Alternative zum Wohnen im Pflegeheim dar. In dem Projekt soll eine Charakterisierung der Versorgungsergebnisse, der Versorgungssituation sowie der Kooperations-/Netzwerkstruktur von ambulant betreuten Wohngemeinschaften für ältere Menschen mit Demenz im Land Berlin erarbeitet werden. Benchmarking-KDA-KCR – Evaluation von Potenzialen der Betreuung und Begleitung von Menschen mit Demenz in Wohn- und Hausgemeinschaften durch die Implementation von Benchmarking- IDOB – Integrierte Demenzversorgung in Oberbayern. Die IDOB versteht sich als gemeindenahes Versorgungskonzept. Schwerpunkt ist eine psychiatrische und sozialpflegerische Versorgung von demenziell erkrankten Menschen im vertrauten Umfeld durch einen Integrierten Versorgungsverbund. Das Evaluationsvorhaben ist darauf ausgerichtet, belastbare Ergebnisse zu gewinnen, die Erkenntnisse über Erfolge in der integrierten Versorgung Demenzkranker sowie die Kostenstruktur liefern. Pflegeoase – Innovative und herkömmliche Versorgungsstrukturen für Menschen mit schwerer Demenz im Vergleich - Evaluation einer „Pflegeoase“. Zentrales Merkmal der „Pflegeoase“ ist die gemeinschaftliche Pflege und Betreuung in einem Raum anstelle von Einzelzimmern, eine intensive Beziehungsarbeit sowie die Beteiligung von Angehörigen und bürgerschaftlich Engagierten. In einer Evaluation wird die Lebensqualität der Bewohner/innen untersucht und mit einer herkömmlichen Versorgungsform verglichen. EVIDENT – Evaluation vernetzter Versorgungsstrukturen für Demenzkranke und ihre Angehörigen: Ermittlung des Innovationspotenzials und Handlungsempfehlungen für den Transfer. Für das Projekt EVIDENT wurden sechs Kooperationspartner ausgewählt, die unterschiedlichste Angebote zur Demenzversorgung und Entlastung pflegender Angehöriger anbieten bzw. diese Angebote bündeln. Ihre Arbeitsweise soll im Rahmen des Projektes beleuchtet werden. jh Fortsetzung in GERIATRIE JOURNAL 1/2009 19 A M B U L A N T E G E R I AT R I E : S T U R Z P R O P H Y L A X E Sturzprävention im ambulanten hausärztlichen Bereich Uwe Heinen, Mühlheim/Ruhr und Ingo Füsgen, Wuppertal Stürze sind für ältere Menschen mit Abstand die Unfallursache Nr. 1 und oftmals der Beginn eines körperlichen Abbaus. Jährlich sterben etwa 10.000 ältere Menschen an den Folgen eines Sturzes. Insbesondere im ambulanten Bereich sind die Erfassung von Sturzrisiken und eine effiziente Sturzprävention dringend notwendig. S 20 Auf Grund der vorliegenden Fakten muss eine der wichtigsten Aufgaben in der ärztlichen ambulanten, präventiven Betreuung älterer Menschen heute und in Zukunft sein, Stürzen vorzubeugen und Sturzrisiken zu diagnostizieren sowie zu therapieren. @ Der Aufsteh-Test (chair-rising-Test) @ Timed Get-Up a. Go-Test @ Mobilitätstest n. Tinetti @ Tandem-Stand @ Tandem-Walk Performance @ 10 Meter Walking Test @ 6 Minutes Walking Test zielten Assessments (Tab 1). Dabei steht die Prüfung der Mobilität im Vordergrund. Mobilität bedeutet „die Fähigkeit zur aufrechten Körperhaltung und Fortbewegung sowie der sicheren Ausführung von TransSturzprophylaxe fers, sie unterliegt der Funktionsfähigkeit Sturzprophylaxe in der hausärztlichen und dem Wechselspiel zahlreicher SysTätigkeit sollte primäre, sekundäre und ter- teme. In erster Linie gehören hierzu das tiäre Prävention umfassen. Wegen der gra- Sehvermögen, das Nerven- und das Herzvierenden gesundheitliKreislaufsystem sowie die 23% der Patienten chen und sozioökonomiRegulation von Skelett mit Hüftfrakturen schen Folgen bei Stürzen und Muskulatur. Mit fortim Alter ist die primäre sterben innerhalb von geschrittenem Alter Sturzprävention der wenimmt die Funktionsfäzwölf Monaten nach sentliche Ansatz. Primärhigkeit dieser Körperredem Sturzereignis prävention beinhaltet in gulationen ab. Dies beder hausärztlichen Praxis einflusst den Gang und die Erfassung der Patienten mit einem er- das Gleichgewicht, also die Balancefähighöhten Sturzrisiko bereits vor dem ersten keit und somit auch das Sturzrisiko“ [14]. Sturzereignis durch Anwendung eines ge- Daneben sind eine Medikamentenanpassung, eine Anpassung des häuslichen Umfeldes und eine Anpassung der Hilfsmittelversorgung von Bedeutung. Immer sind die Ursachen für Stürze im Alter vielfältig. Der Sturz ist meist das Ergebnis einer Kombination verschiedener multipler Faktoren, die man versuchen sollte zu erfassen. Neben den angeführten häufig eingesetzten Mobilitätstests im deutschspra- Foto: Fotolia – Maceo turzfolgen im Alter sind geprägt von Einschränkungen der körperlichen Fähigkeiten, Verminderung der Selbständigkeit, Immobilität, Beginn einer Pflegebedürftigkeit, „Hinfälligkeit“, „Gebrechlichkeit“, „Frailty“ und erheblichen Veränderungen der Lebensqualität. Nahezu jeder zweite alte Mensch wird wegen eines Sturzereignisses in der Folgezeit in ein Altenheim eingewiesen [4]. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko zu stürzen, gleichzeitig steigt mit höherem Lebensalter auch das Risiko eines Sturzes mit Todesfolge. Etwa 30 bis 40% der zu Hause lebenden Älteren über 65 Jahre und ca. 50% über 80-Jährigen stürzen mindestens einmal pro Jahr. Bei Pflegeheimbewohnern liegt die Zahl der Sturzunfälle noch höher [5]. 10% der Stürze bei zu Hause lebenden Personen gehen mit Verletzungen einher, 5% mit einer Fraktur. Bei Älteren überwiegen die Oberschenkelhalsfrakturen. So stieg in Deutschland die Zahl der Hüftfrakturen von 99.141 im Jahr 1995 auf 116.281 im Jahr 2004. Während in den Altersgruppen unter 40 Jahren die Zahl der Hüftfrakturen sank, stieg dagegen insbesondere bei den Älteren über 75 Jahren die Zahl deutlich an [8]. 23% der Patienten mit Hüftfrakturen sterben innerhalb von zwölf Monaten nach dem Sturzereignis. Die Sterberate liegt nach einem Sturz bei 65-Jährigen und älteren Menschen 10bis 150-mal höher als bei jüngeren. Etwa 10.000 Menschen in höherem Alter sterben jährlich an den Folgen eines Sturzes [1, 3]. Tab. 1: Mobilitätstest [10] Mit Tai-Chi, dass sich auch für Senioren gut eignet, können Kraft und Balance verbessert werden. GERIATRIE JOURNAL 6/08 A M B U L A N T E G E R I AT R I E : S T U R Z P R O P H Y L A X E chigen Raum empfiehlt sich in letzter Zeit noch der POEMS-Test (performanceoriented, environmental mobility screen). Nach Rein Tideiksaar sollte eine „funktionsorientierte, umgebungsbezogene Mobilitätsprüfung erfolgen, anhand derer beurteilt wird, wie sicher Patienten während ihrer Alltagsaktivitäten diverse Körperhaltungen einnehmen und alltägliche Bewegungen ausführen“ [14]. So werden bei dem POEMS-Test neben Gang und Balancefähigkeit, auch die einzelnen Transfers des täglichen Lebens beurteilt, wie Absetzen auf das Bett, Setzen und Hinlegen, Aufstehen aus dem Bett, Absetzen auf die Toilette, Greifen nach dem Toilettenpapier und Aufstehen von der Toilette. Der Test wird wie der Mobilitätstest nach Tinetti unter Zuhilfenahme der aktuell benutzten Hilfsmittel durchgeführt. Die Testdauer beträgt 10 bis 15 Minuten. Neben einem geriatrischen Assessment mit Einschätzung der Sturzgefährdung sollten „Präventionshausbesuche“ und „Verlaufsassessments“ zum Standard gehören. „Präventionshausbesuche“ sollten ein funktionelles Assessment bei älteren Patienten im häuslichen Bereich beinhalten, d.h. in der gewohnten Umgebung, mit präventiver Zielsetzung. Der Vorteil eines Hausbesuches in diesem Zusammenhang ist die Möglichkeit, den älteren Patienten in seiner Umgebung zu beurteilen. So können die Mobilität, die Ausführungen der Transfers, die Nutzung der Hilfsmittel, aber auch die Nahrungszubereitung, Ver- Sturzunfälle sind vermeidbar Die Informationsschrift, die in Zusammenarbeit mit Dr. Clemens Bekker, Geriatrisches Zentrum in Ulm, entstanden ist, bietet in den drei Rubriken „Fit bis ins hohe Alter“, „Sicher wohnen” und „Tipps zur Pflege“ praxisnahe Hinweise zum sicheren Leben in den eigenen vier Wänden. Sie steht im Internet unter www.das-sicherehaus.de zum Download zur Verfügung und ist kostenlos bei der Aktion DAS SICHERE HAUS (DSH), Holsteinischer Kamp 62, 22081 Hamburg, erhältlich. 22 Tab. 2.: Untersuchungsumfang in der hausärztlichen Praxis [n. 4] @ Blutdruck, Puls, Auskultation von Herzgeräuschen @ Strömungsgeräusche der Halsschlagader @ Peripherer Reflexstatus @ Periphere Durchblutung @ Berührungs-, Temperatur- und Vibrationsempfinden (Dermatombez.) @ Hör- und Sehbehinderung (Geriatrisches Assessment) @ Depression (z.B. geriatrische Depressionsskala) @ Labor (z.B. Elektrolyte) @ Ausschluss dementieller Syndrome (z.B. Uhrentest, MMSE) @ Langzeit-EKG @ Langzeit-Blutdruckmessung @ Schellongs-Tests @ CCT (fakultativ) @ Ggf. weitere internistische Untersuchungen, wenn entsprechende Hinweise vorliegen Tests auf Sturzrisiko (s. Tab. 1) @ sorgung mit Nahrungsmitteln, Nahrungsmittellagerung und auch Arzneimittelversorgung einschließlich der Organisation der Medikamenteneinnahme, deutlich besser erfasst werden. Gleichzeitig können in der Wohnung die externen Sturzrisikofaktoren erfasst werden und Maßnahmen zur Minimierung des Sturzrisikos empfohlen werden. Sinnvoll wären sicherlich auch Gangsicherheitskurse für sturzgefährdete Ältere vielleicht in Zusammenarbeit mit einer karitativen Vereinigung durchzuführen, wie sie in der Schweiz bereits angeboten werden [9]. Die Einrichtung einer eigenen PersonalsteIle für diesen Bereich (z.B. Krankenschwester), um Interventionen zu koordinieren, erscheint dagegen wenig sinnvoll [2]. Ist es zum Sturz gekommen, muss eine Ursachenklärung durchgeführt werden, die äußere Einwirkungen, innere Ursachen und altersspezifische körperliche Funktionsdefizite erfasst. Dabei kommt der Sturzanamnese und der Untersuchung (Tab. 2) besondere Bedeutung zu. Nach einem Sturz ist es wichtig eine Risikobewertung, eine Medikamentenanpassung, eine Anpassung des häuslichen Umfeldes und eine Anpassung bei Hilfsmittelversorgung durchzuführen. Gleichzeitig muss ein Training von Kraft, Gleichgewicht und Koordination durchgeführt werden, um die intramuskulären koordinativen Fähigkeiten der quergestreiften Skelettmuskulatur zu verbessern [13]. Unterschätzt wird häufig die Kontrolle der Elektrolyte, insbesondere des Natriums. Selbst bei einer „asymptomatischen Hyponatriämie“ besteht erhöhte Sturzgefahr [11]. Große Bedeutung kommt auch der Erkennung eines Vitamin D-Mangels und einer Therapie einer bestehenden Osteoporose zu, um bei weiteren Stürzen Frakturen zu mindern. Anmerkungen aus hausärztlicher Sicht Die Wirksamkeit für zahlreiche primärpräventive Maßnahmen ist allerdings nur mäßig gut im Gegensatz zu sekundärpräventiven Maßnahmen belegt. In der Literatur wird daraus der Schluss gezogen, dass bei primärer Prävention im höheren Lebensalter Zurückhaltung geboten sei [2, 6, 14]. Dazu fehlen im Gegensatz zur sekundären und tertiären Sturzprävention noch gesicherte Daten für den ambulanten Bereich. Die Gründe hierfür sind sicherlich komplex und dürften auch durch die haftungsrechtlichen gesetzlichen Regelungen mit begründet sein. Erschwerend ist auch, dass der niedergelassene Kollege bei Bedarf zur weiteren Abklärung auf Grund der Komplexität der „Sturzkrankheit“ unterschiedlichste fachärztliche Überweisungen durchführen muss und nicht einfach wie im Ausland eine Überweisung an eine Sturzklinik zur weiteren Abklärung möglich ist [7]. GERIATRIE JOURNAL 6/08 A M B U L A N T E G E R I AT R I E : S T U R Z P R O P H Y L A X E stundenlohn von 44,44 Euro bis 54,00 Euro kann nicht Ursache der Verletzung Anzahl: 65 u. älter von einem angemessenen Honorar gesprochen werVergiftung M 17 den. Die gleiche ProblemaW 12 tik gilt auch für den präZ 29 ventiven Hausbesuch. 440 Sturz M 1.772 Punkte sieht dafür der EBM W 2.841 2008 bei einer zu erbrinZ 4.613 genden Zeit von über 30 Feuer und Flammen M 71 Minuten vor. Dazu unterW 85 liegen die Leistungen innerZ 156 halb des Individualbudgets noch weiteren Kürzungen. Ertrinken M 14 Es ist offensichtlich, dass solW 18 che Trends in der HonorieZ 32 rung ärztlicher Leistungen Mechanisches Ersticken M 65 insbesondere nicht im InterW 132 esse der Prävention und VerZ 197 sorgung betagter, gefährdeVerbrennen, Verbrühen, M 13 ter bzw. chronisch kranker heiße Substanzen W 21 Menschen liegen [12]. Dies gilt in besonderer Weise für Z 34 hausärztlich präventive Sonstige Unfälle M 134 Maßnahmen, wie hier der W 241 Sturzprophylaxe. Z 375 Leider fehlen zur Zeit in Gesamt M 2.086 Deutschland flächendeW 3.350 ckende Programme zur Z 5.436 Sturzprophylaxe im ambulanten Bereich, die verM = Männlich, W = Weiblich, Z = Zusammen Quelle: DSH/Statistisches Bundesamt Wiesbaden gleichbar wären zum Ulmer Modellvorhaben zur „VerMit Einführung der Gebührenordnung minderung von sturzbedingten VerletEBM 2008 zum 01.01.2008 wurde den zungen bei alten – und PflegeheimbeHausärzten ermöglicht, ein entsprechen- wohnern“. So ist man bisher auf Empdes „hausärztliches geriatrisches Assess- fehlungen und Informationsbroschüren ment“ nach Gebührenordnungsziffer beschränkt. Dazu kommt noch, dass die 03240 in ihrer hausärztlichen Tätigkeit li- Kostenübernahme für Präventionsbesuquidieren zu können. Das che und präventive MaßNotwendig sind hausärztliche geriatrische nahmen, wie Kraft und Assessment nach Ziffer definierte Präventions- Gleichgewichtstraining 03240 ist mit 370 Punkleitlinien, die flächen- des Patienten bisher nicht ten und einem Zeitfengeklärt ist. Kranken- und deckend eingesetzt ster von zehn Minuten Pflegekassen haben Hilfswerden können innerhalb der budgetiermittel zur Sturzpräventen Leistungen in der Getion meist nicht in ihrem bührenordnung festgelegt worden. Bei ei- Leistungskatalog. Nicht unberechtigt benem Punktwert zwischen 4 und 5 Cent er- steht hier eine entsprechende Zurückhalgibt sich ein Honorar zwischen 14,80 Euro tung im hausärztlichen Bereich für das und 18,00 Euro. Bei einem tatsächlichen Aufgreifen der doch so wichtigen SturzZeitaufwand von ca. 20 Minuten stellt sich prävention beim alten Patienten. hier die Frage: Wird diese Leistung des Auf Grund der großen Bedeutung für Hausarztes entsprechend honoriert? Si- die Gesundheitsversorgung älterer Mitcherlich nicht, denn bei einem Brutto- bürger muss aber das Problem der Stürze Tab. 3: Tödliche häusliche Unfälle 2006 GERIATRIE JOURNAL 6/08 aufgegriffen werden und dies kann nur durch den Hausarzt als direkter Partner des alten Menschen gelöst werden. Definierte Präventionsleitlinien sind hier gefordert, die auch flächendeckend eingesetzt werden können. Dazu sollten verständlicherweise auch entsprechende Kostenerstattungen für die verschiedenen im Team zu leistenden Maßnahmen kommen. Literatur: 1. Centers for Disease Control and Prevention. National summery of injury mortality data, 1988-1994, Atlanta, Author, 1996 2. Eley, C. R., Robertson, M. C., et al.: Effectiveness of a Falls – and – a Fracture Nurse Coordinator to Reduce Falls: A Randomized controlled Trial of At – Risk Oder Adults. JAGS 56 (2008) 1383-1389 3. Fischer, E. S. et al.: Hip fracture mortality in New England, Epidemiology, 2 (2), 1991 4. Franck, M., Moorahrend, U.: Weshalb die Sturzprophylaxe für Ihre betagten Patienten so wichtig ist. MMW-Fortschr. Med. 49-50 (2005) 38-48 5. Gillespie, L. D., et al.: Interventions for preventing falls in elderly people (Cochrane Review) The Cochrane Library, Issue 2 (2003) 6. Hendriks, M. R., Bleijlevens, M. C., et al.: Lack of Effectiveness of a Multidisciplinary Fall-Prevention Program in Elderly People at Risk: A Randomized, Controlled Trial. JAGS 56 (2008) 1390-1397 7. Hili, K. D. et. al.: Effectiveness of Falls Clinics. An Evaluation of outcomes and dient adherence to recommended intervention. J. Am Geriat. Soc. 56 (2008) 600-608 8. Icks, A. et. al.: Stürze und ihre Folgen: Risiko erkennen und vermeiden. Ärztekammer Nordrhein (2007), Rhein. Ärzteblatt 12 (2007) 9. Knuchel-Schnyder, S., et al.: Gangsicherheitskurse bringen signifikante Verbesserungen. Geriatrie Praxis 4 (2006) 24-27 10. Österreichische Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie: Österreichisches Geriatrisches Basisassessment. SMZ-Sophienspital, Apollogasse 19, A-1 070 Wien, 2005, 11-15 11. Renneboog, B., et al.: Mild Chronic Hyponatremia is Associated with Falls, Unsteadiness and Attention deficits. Am J. Med. 119 (2006) 71-78 12. Sauerbrey, G.: Perspektiven hausärztlicher Versorgung – aus der Sicht geriatrischer Patienten. Gesellschaftspolitische Kommentare 7 (2008) 1-5 13. Schumacher, J.: In: Krafttraining und Tai-Chi gegen Stürze. MMW-Fortschr. Med. 45 (2007) 14-16 14. Tideiksaar, Rein.: Stürze und Sturzprävention. Assessment – PräventionManagement. Verlag Hans Huber – 2. Auflage, 2008 Dr. med. Uwe Heinen, Arzt für Allgemeinmedizin, Coburger Str. 21, 47169 Duisburg Prof. Dr. med. Ingo Füsgen, Lehrstuhl für Geriatrie der Universität Witten/Herdecke, Ärztlicher Direktor der Geriatrischen Kliniken der Kliniken St. Antonius Wuppertal, Carnaper Str. 60, 42283 Wuppertal 23 F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N Der Sturz als Zeichen des Gebrechlichkeits-Syndroms Martin Runge, Esslingen Wir gehen mühelos, sicher und ohne Anstrengung, solange wir gesund und jung genug sind. Unter normalen Umgebungsbedingungen und bei alltagsüblichen Aufgaben erfordert das Gehen keine besondere Aufmerksamkeit. Wenn wir uns jedoch bei solchen „Standardbedingungen“ darauf konzentrieren müssen, nicht zu stolpern oder gar hinzufallen, ist dies ein Zeichen, dass das lokomotorische System gestört ist. Diese Situation tritt mit zunehmendem Alter immer häufiger auf und ist eine diagnostische und therapeutische Herausforderung. skeletale System dar, entscheidend für Verschleiß und Energieverbrauch bei der Lokomotion. Altersassoziierte Stürze sind ein medizinisch relevantes Ereignis mit hoher Signalwirkung. 80% von ihnen geschehen in gewohnter Umgebung bei alltagsüblichen Aktivitäten und sind ein Zeichen dafür, dass die neuromuskuläre Kompetenz eine kritische Grenze unterschritten hat. Sie sind Indikator eines erhöhten schen Wahrheit“ simulieren: das Hüpfen Risikos für Immobilität und Pflegebeauf einem Bein, erschwerend mit leicht dürftigkeit und Symptom des Frailtynach vorn geneigtem Oberkörper. Wer bzw. Gebrechlichkeitssyndroms [16, 17, fühlen will, auf welche Muskelgruppe es 19, 20]. Stürze kennzeichnen und verdabei vor allem anursachen eine Entwickkommt, fasse sich bei Altersassoziierte Stürze lung, die über Verletdiesem Manöver an den zungen, Frakturen, sind ein medizinisch Gesäßmuskel der StandSturzangst und verrinrelevantes Ereignis mit oder besser Sprunggerte körperliche Aktihoher Signalwirkung beinseite. Es ist vor alvität letztlich den Verlem die Glutaelmuskulust der funktionellen latur, die uns befähigt, das dabei entste- Selbständigkeit beschleunigt. Sie sind hende Drehmoment des Oberkörpers zu gekennzeichnet durch eine seitliche kontrollieren. Der beschriebene Vorgang Sturzrichtung mit Aufprall im Trostellt die häufigste und höchste habi- chanterbereich und durch eine hohe Ratuelle Krafteinleitung in das muskulo- te schwerwiegender Frakturen und anderer Verletzungen (Tab. 1). Mehr als 90% der Frakturen von Femur, Humerus, Becken und Radius entstehen durch einen Sturz [16, 17, 19, 20]. Eine Reduktion der Altersstürze bedeutet deshalb eine Reduktion von Frakturen und der damit verbundenen persönlichen und gesellschaftlichen Belastungen. Altersassoziierte Stürze müssen entsprechend ihrer unterschiedlichen Pathogenese differenziert werden (Tab. 2). Die nicht-synkopalen = lokomotorischen Stürze ohne wesentliche äußere Verur- 24 Foto: DSH E in Sturz in gewohnter Umgebung und bei einer alltagsüblichen Tätigkeit weist auf eine Störung in dem komplexen System hin, das die dynamische Stabilität unseres Körpers im Einbeinstand kontrolliert (= posturales System). Wenn wir das Thema auf einen entscheidenden Augenblick des Gangzyklus fokussieren, reden wir von dem Moment, in dem beim 2-beinigen menschlichen Gang 80% des Körpergewichtes auf ein Bein verlagert werden und in dem das neuromuskuläre System Schwerkraft und Fliehkraft (Massenträgheit) des sich bewegenden Körpers innerhalb von Millisekunden kontrollieren muss, um den Massenschwerpunkt über die Unterstützungsfläche zu bringen. Dieser normalerweise mühelose, vollständig automatisierte Vorgang führt bei mehr als einem Drittel der über 60Jährigen mindestens einmal pro Jahr zur einem Sturz. Eine Zuspitzung der Anforderungen stellt das Stolpern dar: wir bleiben mit einem Fuß hängen, die Massenträgheit trägt den Körperschwerpunkt über die Unterstützungsfläche hinaus und es kommt zu den 100-200 Millisekunden der Wahrheit. Wer jetzt nicht schnell und exakt genug genügend Muskelleistung auf einem Bein generieren kann, kommt zu Fall. Eine einfache Aufgabe kann diesen „Moment der lokomotori- Die rechtzeitige Einleitung der geriatrischen Rehabilitation bei Patienten mit Frailty-Syndrom gehört zu den Kernaufgaben des ambulanten Gesundheitssystems. GERIATRIE JOURNAL 6/08 F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N Die pathogenetische Wurzel der Altersstürze ist als kombinierte Folge von drei interagierenden Entwicklungslinien @ Jährliche Sturzquote bei Personen 65 Jahre und älter ca. 30% zu betrachten: Sturzquote > 80 Jahre und bei Pflegeheimbewohnern > 50% @ @ physiologische Alterungsprozesse 5% @ Frakturen insgesamt nach Sturz @ Multimorbidität und ihre funktionel1% @ prox. Femurfrakturen nach Sturz len Folgen Sturzangst, freiwillige @ psycholog. Sturzfolgen @ dekonditionierender Lebensstil. Beschränkung körperKommt zum Sturzrisiko eine Osteopolicher Aktivität rose hinzu, steigt das Frakturrisiko steil > 90% an. Sturzrisiko und Osteoporose haben @ prox. Femurfrakturen, prox. Humerusfrakturen sturzbedingt im altersassoziierten Muskelabbau eine gemeinsame Wurzel (Sarkopenie [21]). Folgen von prox. Femurfrakturen plus-Mortalität 20% @ plus-PflegeheimDie multifaktorielle pathogenetische aufnahme 20% Entwicklung, die über Muskelabbau, verminderte Mobilität, Stürze und Frakturen letztlich zu einem hohen Risiko von Tab. 2: Differenzierung altersassoziierter Stürze [3, 4] Hospitalisierung, Immobilität und Pflegebedürftigkeit führt, wird in der interSynkopale Stürze (nicht-lokomotorische Stürze, max. 10%): @ nationalen Forschung „frailty syndroFolge eines Bewusstseinsverlustes oder einer anderen anfallsweisen Bewusstseinsstörung, z.B. eines systemischen Schwindels me“ genannt (frail (engl.) = gebrechlich, hinfällig (Tab. 3)). Die deutsche BeExtrinsische Stürze (= Unfall = von außen ausgelöst, max 10%): @ zeichnung „Gebrechlichkeitssyndrom“ überwältigende Kraft von außen oder außergewöhnliche äußere Umstände (z.B. glatter Boden) führen zu einer so starken Verlagerung des Körperschwerhat sich noch nicht genügend durchgepunktes, dass auch ein Mensch mit normaler Haltungskontrolle hinfällt. setzt. Altersstürze sind ein ideales Paradigma, @ Intrinsische lokomotorische Stürze (80%): ausgelöst von Faktoren, die im Stürzenden selbst liegen, bei üblichen Alltagsum im Gegensatz zu einliniger nosoloaktivitäten und in gewohnter Umgebung ohne akute Veränderung des gischer Betrachtungsweise die kompleBewusstseins und ohne gravierende Krafteinwirkung oder Schwerpunktverlaxen Interaktionen des Alterungsprozesgerung von außen. ses zu erkennen. Sie sind multifaktoriell verursacht, d.h. für einen Sturz finden sachung sind nicht Folge einer einzel- kulären Befunde in den altersbezogenen sich regelhaft mehrere Ursachen aus vernen Erkrankung, sondern Resultat eines Gesamtrahmen eingeordnet werden. Das schiedenen Organsystemen, die sich altersassoziierten Abbaus von Muskeln neuromuskuläre System spiegelt in be- gegenseitig verstärken (Prinzip der Akund neuromuskulärer Kompetenz (Sar- sonders leicht zugänglicher Weise auf kumulation und Interaktion). Der Sturzkopenie, Frailty-Syndrom). Zur Erinne- Grund zahlloser Wechselwirkungen den patient hat ein jeweils individuelles Bünrung: Stolpern bei Alltagsaktivitäten ist Zustand anderer Organsysteme oder del von Faktoren, die in aktuell wechfür neuromuskulär fitte Menschen kein Funktionskreise wider. Kardiopulmo- selnder Kombination seine erhöhte adäquater Sturzanlass. Dabei gibt es im- nale, vaskuläre, metabolische, renale und Sturzneigung verursachen. Je mehr diemer eine Wechselwirkung zwischen der natürlich neuronale Erser Risikofaktoren ein aktuellen neuromuskulären Kapazität krankungen und nicht- Altersassoziierte Stürze einzelner Mensch aufmüssen entsprechend und den extrinsischen Herausforderun- nosologische Verändezuweisen hat, desto grögen. Es ist im Einzelfall zu differenzie- rungen führen in einer ihrer unterschiedlichen ßer ist seine Sturzgefahr ren, ob die Sturzsituation ausreichend gemeinsamen pathoge(Tab. 4). Die SturzrisiPathogenese ist, um bei einem neuromuskulär intak- netischen Endstrecke zu kofaktoren ermöglichen differenziert werden ten Menschen zu einem Sturz zu führen. lokomotorisch sichtbaeine RisikostratifizieDabei gibt es fließende Übergänge und ren Defiziten und sind rung und repräsentieren multiple Interaktionen. Diagnostische dadurch an lokomotorischen Leistun- gleichzeitig Therapieziele. Ihre quantifiAufgabe ist die Antwort, ob dieser Sturz gen erkennbar und vor allem quantifi- zierende Messung durch geeignete Testein Hinweis auf ein neuromuskuläres zierbar. Wie kein anderer Messwert spie- verfahren ermöglicht eine rationale PlaDefizit ist, das über das physiologische gelt die frei gewählte Gehgeschwindig- nung und Verlaufskontrolle der SturzAltersmaß oder das hier erreichbare in- keit den Gesamtzustand eines älteren prävention. Dabei genügt es nicht, die dividuelle Optimum hinausgeht. Menschen wider, hat die geriatrische For- Patienten in klassischer Weise über eine Um diese Situation diagnostisch rich- schung und Praxis in den letzten Jahren Einzelkrankheit zu charakterisieren. Dietig einzuordnen, sollten die neuromus- immer wieder bestätigt gefunden. ser nosologische Zugang muss ergänzt Tab. 1: Fakten zu Altersstürzen und Sturzfolgen [1-7] GERIATRIE JOURNAL 6/08 25 F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N werden durch eine quantifizierende, standardisierte Funktionsdiagnostik (lokomotorisches Assessment). Therapeutische Konsequenzen aus dem Sturzrisikoassessment Aus der multifaktoriellen Pathogenese von Stürzen ergibt sich die Notwendigkeit von multifaktoriellen Interventionen, mit denen es mehrfach gelungen ist, die Sturzhäufigkeit signifikant zu senken [3, 28]. Dabei sind die Ergebnisse des lokomotorischen Assessments wegleitend für Planung, Durchführung und Evaluierung der Therapie. Altersassoziierte neuromuskuläre Defizite können mit einem geeigneten Bewegungsprogramm gezielt verbessert oder in ihrer Entwicklung gebremst werden [22]. Dabei ist Muskelaufbau durch Krafttraining wirksam zum Erhalt von Knochenfestigkeit, wohingegen das Training von Muskelleistung und Balance entscheidend zur Sturzreduktion ist. Die Differenzierung von Muskelkraft und Muskelleistung (= Kraft mal Geschwindigkeit) ist wesentlich für Diagnostik, Therapieplanung und -evaluation [2, 7, 29]. Da motorisches Lernen hochspezifisch ist, müssen exakt die motorischen und posturalen Situationen und Komponenten geübt werden, die pathogenetisch beim Alterssturz die entscheidende Rolle spielen (Tab. 4). Der typische seitliche Sturzmechanismus mit Aufprall auf den großen Trochanter ermöglicht auch protektive Maßnahmen, um die eingeleiteten Kräfte zu reduzieren. Der dänische Unfallchirurg Lauritzen hat den ersten wissenschaftlich überprüften Hüftprotektor entwickelt (Safehip [13]). Die medikamentösen Möglichkeiten gegen Sturzgefahr bestehen zuerst im Minimieren von sturzfördernden Medikamenten (Neuroleptika, Benzodiazepine, Antidepressiva und wohl auch Opiate). Deren aktuelle Indikation muss im Fall eines Sturzes überprüft werden, ihre Dosierung und Verteilung über den Tag möglichst optimiert werden. Die Multimedikation als solche ist als Indikator für Multimorbidität erst einmal 26 Tab. 3: Kriterien des Gebrechlichkeitssysndroms nach Fried et. al. [8] @ Muskelschwäche (z.B. veringerte Handgriffstärke) @ reduzierte habituelle Gehgeschwindigkeit @ Erschöpfung (subjektiver Bericht) @ reduzierte körperliche Aktivität @ unfreiwillier Gewichtsverlust Eigener Definitionsversuch: altersgekoppelter Abbauprozess mehrerer Organsysteme mit erhöhter Vulnerabilität durch Reduktion physiologischer Reserven mit messbar erhöhter Wahrscheinlichkeit altersassoziierter gesundheitlicher Negativereignisse (erhöhte Morbidität und Mortalität, erhöhtes Risiko von Stürzen, Immobilisation, Hospitalisation und anhaltender Pflegebedürftigkeit, precursor of disability). Tab. 4: Unabhängige Sturzrisikofaktoren Patienten mit erhöhter Sturzgefahr sind an folgenden Risikofaktoren zu erkennen, die sich in prospektiven Untersuchungen als unabhängig sturzkorreliert erwiesen haben [9-18]: @ Verminderte Muskelleistung der unteren Extremitäten (Aufstehtest*) @ gestörte Balance zur Seite (Tandemstand, Tandemgang*) @ Visusminderung @ Multimedikation (4 oder mehr Medikamente) @ Einnahme bestimmter Medikamentengruppen (Neuroleptika, Antidepressiva, Benzodiazepine, Antikonvulsiva) @ kognitive Störungen (Dementielle Entwicklungen) @ verminderte Nierenleistung (Kreatinin-Clearance unter 65 ml/ Min nach Cockroft-Gault) * Standardisierte Durchführungsbestimmungen können beim Autor per Email angefordert werden ([email protected], www.Dienste-fuer-Menschen.de). Wir bieten im Fortbildungszentrum der Aerpah-Klinik Schulungen und Hospitation zum Erlernen des Sturzrisikos und Bewegungsprogrammen zur Sturzprävention an. ein nicht-kausaler Indikator von erhöhtem Sturzrisiko (Tab. 4). Frakturvermeidung ist ein vordringliches Ziel bei der Behandlung des Sturzsyndroms. Dazu ist ein multifaktorieller Ansatz sinnvoll, der u.a. Knochenfestigkeit und Sturzneigung ins Visier nimmt. Die Verbesserung der Knochenfestigkeit mit einer leitliniengerechten Osteoporosemedikation bietet die Chance, über eine Verbesserung der Knochenfestigkeit Frakturen zu reduzieren. Bisher verfügen wir über einen medikamentösen Ansatz, um das Sturzrisiko zu mindern, nämlich Alfacalcidol als Vitamin D-Prohormon. Die deutschen Osteologie-Leitlinien (www.dv-osteologie.de) betonen die Bedeutung der Sturzprävention und führen Alfacalcidol als Mittel auf, das sowohl die Knochenfestigkeit verbessern als auch die Sturzrate senken kann. Von den D-Hormonen bzw. Alfacalcidol als Pro-Hormon ist nachgewiesen, zusätzlich zur Verbesserung der Knochenfestigkeit die neuromuskulären Funktionen zu verbessern und dadurch das Sturzrisiko zu senken, und zwar bei Patienten mit normalem Vitamin-D-Spiegel [9, 23]. Dass Defizite im Vitamin-D-Stoffwechsel zu neuromuskulären Defiziten führen, ist gut bekannt, wird aber noch zu selten praktisch berücksichtigt. Vitamin-D wird in zwei Hydroxylierungsschritten zum aktiven D-Hormon umgebaut, das allein physiologisch wirksam ist. Der zweite, renale Hydroxylierungsschritt ist das physiologische „bottleneck“, mit der eine Hypervitaminose durch zu viel Sonne regulativ vermieden wird. Diese zweite renale Hydroxylierung wird im Alter oft defizitär, erkennGERIATRIE JOURNAL 6/08 F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N bar an einer verminderten KreatininClearance. So entsteht im Alter nicht nur oft ein Mangel an nativem Vitamin D (25-OH-D3), sondern bei normalen 25-OH-D3-Spiegeln ein Mangel an Vitamin-D-Hormon (Calcitriol), bedingt durch 1-Alfa Hydroxylase-Mangel bei verminderter Nierenfunktion. Dies führt neben einem gestörten Knochenstoffwechsel zu neuromuskulären Defiziten mit erhöhter Sturzinzidenz. Neben der verringerten Hydroxylierung in der Niere tragen Sonnenmangel besonders nördlich des 50. Breitengrades (durch atmosphärische Absorption verminderter UVB-Anteil), altersassoziierte Veränderungen der Haut und eine verminderte Zahl von Vitamin-D-Rezeptoren zu einem D-Hormon-Mangel, der durch Alfacalcidol ausgeglichen werden kann. Bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance unter 65 ml/Min besteht ein 4-fach erhöhtes Sturzrisiko und in dieser Situation ist mit Alfacalcidol ein Senkung der Sturzinzidenz um 71% möglich [5, 6]. Die Indikationsstellung ergibt sich auf der Basis einer neuromuskulären Funktionsmessung im Rahmen eines Sturzrisikoassessments und der einfach zu handhabenden Abschätzung der Nierenleistung mit der Cockroft-Gault-Formel. Ausblick In den nächsten Jahre muss in prospektiven Studien gezeigt werden, wie das optimale therapeutische Ensemble von Interventionen sich zusammensetzen sollte, um die Zahl der Altersstürze effektiv zu reduzieren. Die therapeutischen und präventiven Chancen, die das frühzeitige Erkennen des Frailty-Syndroms bieten, können auf breiter Fläche genutzt werden. Die rechtzeitige Einleitung der geriatrischen Rehabilitation bei Patienten mit FrailtySyndrom (Gebrechlichkeitssyndrom) gehört dabei zu den Kernaufgaben des ambulanten Gesundheitssystems. Dass in Deutschland geriatrische Rehabilitationen in der Regel erst dann eingeleitet werden, nachdem es zu akuten, katastrophalen Einbrüchen der Gesundheit gekommen ist, stellt ein folgenschweres Versäumnis dar. Geriatrische Patienten GERIATRIE JOURNAL 6/08 mit Stürzen im Gebrechlichkeits-Prozess sind ein Paradigma für die Aufgabe, präventive, kurative und rehabilitative Maßnahmen bei geriatrischen Patienten zu integrieren, um vorzeitige Pflegebedürftigkeit zu reduzieren. Dazu ist es erforderlich, diese Patienten im ambulanten Bereich zu identifizieren und geriatrische Rehabilitationen rechtzeitig vor dem Frakturereignis zu veranlassen. Literatur 1. Campbell AJ, Borrie MJ, Spears GF: Risk factors for falls in a community-based prospective study of people 70 years and older. J Gerontol. 1989; 44: M112-17 3. Campbell AJ, Robertson MC, Gardner MM, Norton RN, Tilyard MW, Buchner DM: Randomised controlled trial of a general practice programme of home based exercise to prevent falls in elderly women. BMJ. 1997; 315: 1065-1069 3. Close J, Ellis M, Hooper R, Glucksman E, Jackson S, Swift C : Prevention of falls in the elderly trial (PROFET): a randomised controlled trial. Lancet 1999; 353: 93-97 4. 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Sie geht mit einer hohen Beeinträchtigung der Lebensqualität einher und liegt in der Todesursachenstatistik 2006 des statistischen Bundesamtes auf Platz 3. Der Artikel gibt Hinweise zur palliativen Behandlung bei weit fortgeschrittener Erkrankung. E Prognose bei Herzinsuffizienz Die Framingham-Studie hat gezeigt, dass die 5-Jahres-Mortalität einer neu diagnostizierten Herzinsuffizienz bei 50% liegt [12]. Allerdings ist eine zuverlässige Vorhersage der 6- bis 12-Monats-Überlebenszeit für den einzelnen herzinsuffizienten Patienten beinahe unmöglich. Häufig genannte Gründe hierfür sind: @ Unvorhersehbarer Krankheitsverlauf mit hoher Inzidenz eines plötzlichen Herztodes (25-50%) @ Unterschiedliche Umsetzung evidenzbasierter Behandlungsleitlinien @ Inter-Observer Differenzen bei der Zuordnung verschiedener Schweregrade der Herzinsuffizienz (NYHA-Stadien) @ Heterogene Studienpopulationen in der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Herzinsuffizienz. Als unabhängige Indikatoren für eine schlechte Prognose bei Herzinsuffizienz gelten: Foto: Sebastian Kaulitzki – Fotolia.com rkrankungen des Kreislaufsystems bensqualität einher [16]. Patienten mit stellten im Jahre 2006 mit 43,7% Todesursache Herzerkrankung versterdie mit Abstand häufigste Todesur- ben meist im Krankenhaus. Häufig persache in Deutschland dar. Neubildungen sistieren belastende Symptome mehr als waren dagegen bei 25,7% sechs Monate. Diese beEine Besonderheit der aller Verstorbenen die Toeinträchtigten die Ledesursache. In der Grup- fortgeschrittenen Herz- bensqualität erheblich. In pe der an Kreislaufereiner englischen Studie insuffizienz ist der krankungen Verstorbehatte mindestens jeder schwer vorhersehbare nen betrug der Anteil der siebte, der an einer HerzKrankheitsverlauf über 65-Jährigen 91% erkrankung verstorben [16]. Dies verdeutlicht, war, an ebenso schweren dass Erkrankungen des Kreislaufsystems, Symptomen gelitten wie onkologische insbesondere die Herzinsuffizienz, eine Patienten, die durch spezialisierte Palliatypische Alterserkrankung sind. tivmediziner oder in Hospizen betreut Hauptursache der Herzinsuffizienz ist waren [2, 3, 11]. die koronare Herzkrankheit. Weitere mögliche Ursachen sind Hypertonie, Kardiomyopathie, Alkoholexzess, Viruserkrankungen und metabolische Störungen. Eine Besonderheit der fortgeschrittenen Herzinsuffizienz ist der schwer vorhersehbare Krankheitsverlauf, der mittels evidenzbasierter Therapie jedoch erheblich beeinflusst werden kann und doch mit einer hohen Inzidenz an plötzlichem Herztod einhergeht. Bei manifester Herzinsuffizienz gilt es bei Herzerkrankten deshalb, komplexe Aspekte wie Beeinflussung des Erkrankungsprozesses, Symptommanagement (physisch und nicht-physisch), unsichere Prognose und das hohe Risiko eines plötzlichen Herztodes zu beachten. Herzinsuffizienz geht im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Arthritis und Hypertonie mit In einer englischen Studie litt mindestens jeder siebte, der an einer Herzerkrankung einer stärkeren Beeinträchtigung der Le- verstorben war, an ebenso schweren Symptomen wie onkologische Patienten. 28 GERIATRIE JOURNAL 6/08 K A R D I O LO G I E : H E R Z I N S U F F I Z I E N Z @ Kürzliche Krankenhausaufnahme we- te Anlass sein, mit dem Patienten über spegen kardialer Ursache (verdreifachte 1- zifische Behandlungspräferenzen zu spreJahres-Mortalität) chen. Dies hebt die herausragende Be@ Erhöhter Serum-Harnstoff und/oder - deutung der Kommunikation mit dem Kreatinin (≥ 1,4 mg/dl) Patienten hervor [15]. @ Systolischer RR < 100 mmHg und/ oder Puls > 100/min (jeweils VerdoppSymptome lung der 1-Jahres-Mortalität) @ Verminderte LV-EF (lineare Korrela- Britische und nordamerikanische Studien tion mit Überleben ab LVEF ≤ 45%) haben ergeben, dass der Schweregrad des @ Therapierefraktäre ventrikuläre Rhyth- psychischen Leidens bei herzinsuffizienmusstörungen ten Patienten vergleichbar mit dem von @ Anämie (pro 1 g/dl Hb-Reduktion steigt Tumorpatienten ist [2, 10, 11]. Als typidie Mortalität um 16%); Hyponatri- sche Symptomtrias einer fortgeschrittenen ämie (≤ 135-137 mmol/l) Herzinsuffizienz gilt die Kombination aus Patienten änderten ihre @ Kachexie @ Reduzierte funktionelle Entscheidung bezüglich Dyspnoe, Fatigue und Kapazität Ödemen. Bei weit Versorgung am Lebensfortgeschrittener @ Begleiterkrankungen wie ende in Abhängigkeit Diabetes, Depression, Herzinsuffizienz treZirrhose, zerebrovaskuten meist Orthopnoe der wahrgenommenen läre Erkrankung, Tumor, und paroxysmale Prognose HIV-assoziierte Kardionächtliche Dyspnoemyopathie. anfälle auf. PrävalenzDie Einschätzung von Ärzten zur noch daten zu belastenden Symptomen bei fortverbleibenden Überlebenszeit ihrer Pa- geschrittener Herzinsuffizienz ergaben foltienten ist aus verschiedenen Gründen gende Symptomkonstellationen: Dyspnoe nicht zuverlässig. Insbesondere wenn die- (61%), Schmerz (43-78%), Depression se den Patienten schon längere Zeit be- (59%), Insomnie (45%), Anorexie (43%), treuen (um Faktor 5,3 überschätzt; nur Angst (30%), Obstipation (37%), Nau20% richtig prognostiziert) [6]. Trotzdem sea/Erbrechen (32%), Fatigue, Mobilisind angemessene Informationen zur Pro- tätsprobleme, Inkontinenz und Ödeme. gnose essentiell als Entscheidungsgrund- In manchen Studien waren psychische lage für oder gegen zukünftige Wieder- und nicht-kardiale Symptome häufig die belebungsmaßnahmen. Murphy et al. [14] belastendsten. Nicht-kardiale Symptome konnten zeigen, dass Patienten ihre Ent- sind häufig bedingt durch scheidung bezüglich Versorgung am Le- 1. Komorbidität (COPD, Gelenkerkranbensende in Abhängigkeit der wahrgekungen, Diabetes), nommenen Prognose änderten. Er frag- 2. Nebenwirkungen von Medikamenten, te 371 Erwachsene > 65 Jahre, ob diese 3. psychische und soziale Folgen der chroim Falle eines Herzstillstandes während einisch fortschreitenden Erkrankung. ner akuten Erkrankung eine kardio-pulmonale Reanimation (CPR) wünschen. Grundsätze zur Symptomlinderung Vor Bekanntgabe der Wahrscheinlichkeit eine solche Situation zu überleben, bei Herzinsuffizienz wünschten 41% eine CPR, danach nur @ Symptomlinderung sollte bei symptomatischer Herzinsuffizienz von Anfang noch 22%. Wenn bezogen auf eine fiktian berücksichtigt werden. Die Kombive chronische Erkrankung mit einer Lenation mit einer aktiven kardialen Mebenserwartung < 1 Jahr befragt wurde, dikation (z.B. ACE-Hemmer) sollte so wünschten nur noch 5% eine CPR [14]. lange fortgeführt werden, wie die karEine der wichtigsten Fragen, die in diediale Medikation noch angemessen ersem Zusammenhang gestellt werden sollscheint. te, ist die Frage: „Wäre ich überrascht, wenn dieser Patient im Laufe des näch- @ In der Behandlung von Symptomen einer fortgeschrittenen Herzschwäche sten Jahres sterben würde?“ Ein Nein sollGERIATRIE JOURNAL 6/08 sollten verschiedene Dimensionen beachtet werden: physische, psychische, spirituelle, soziale. @ Eine zentrale Frage ist die nach Ängsten und Sorgen des Patienten. Hier sollte auch die subjektive Bedeutung von Symptomen für den Patient herausgearbeitet werden. Eine weitere wichtige Frage, um ungelöste Probleme des Patienten zu identifizieren, ist die Frage: „Welches sind die drei Probleme, die Sie derzeit am meisten belasten?“ @ Die optimale Symptomkontrolle ist häufig abhängig von der Compliance des Patienten (z.B. Diuretikaeinnahme). @ Zu den typischen potentiell reversiblen Problemen im Falle einer Verschlechterung der Symptome zählen: } Non-Compliance } Pneumonie } Anämie } Thyreotoxikose } Frischer Myokardinfarkt } Arrhythmie Atemnot Bei Dyspnoe sollten auch andere Gründe wie medikamentöse Ursachen (BetaBlocker) und psychische Auslöser (Angst) erwogen werden. Zur Pharmakotherapie bei kardiogener Atemnot kommen folgende Therapien in Frage: @ Bei opioid-naiven Patienten niedrigdosiertes orales Morphin initial 2,55 mg 4-stündlich (oder s.c), zusätzlich gleiche Dosis als Bedarfsmedikation, ggf. alle 48 Std. steigern (initial schnell wirksame Präparate, Niereninsuffizienz beachten, ggf. anderen Wirkstoff einsetzen). Positive physiologische Effekte von Morphin bei Linksherzinsuffizienz sind: Reduktion der pre- und afterload; reduzierte CO2-Sensitivität des Atemzentrums -> Reduktion der Atemfrequenz; zentral narkotischer Effekt -> Stressreduktion. Häufig genannte unangemessene Gegenargumente einer Morphintherapie sind: } psychische Abhängigkeit (Sucht), welche im palliativen Setting praktisch nicht zu beobachten ist; 29 K A R D I O LO G I E : H E R Z I N S U F F I Z I E N Z werden, ob die Therapie mit Statinen und Anorexie/Kachexie überhaupt auftritt, meist auf eine Ver- oralen Antikoagulantien wie Phenprocu- Bis zu 50% der Patienten mit weit fortschlechterung der Grundkrankheit mon (Marcumar) noch angemessen ist. geschrittener Herzinsuffizienz zeigen eizurückzuführen ist als auf eine phar- Immer zu vermeiden sind: NSAR, trizy- ne kardiale Kachexie, die jedoch häufig makologische Toleranz. Bei Dyspnoe klische Antidepressiva und atypische Neu- durch Ödeme „maskiert“ wird [5]. Es finden sich Ähnlichkeiist eine Toleranzentwicklung nicht roleptika. beschrieben. Eine körperliche AbhänZu den sinnvollen Immer zu vermeiden sind: ten zur Kachexie von Patienten mit fortgegigkeit ist unvermeidbar aber klinisch nicht-medikamentösen NSAR, trizyklische Antischrittener Tumorernicht relevant, wenn die Behandlung Maßnahmen bei kardiodepressiva und krankung. Als Maßfortgeführt und nicht abrupt abge- gener Dyspnoe zählen: atypische Neuroleptika nahmen kommen brochen wird. Einsatz eines Ventilators, Überprüfung der MeImmer frühzeitig Laxantien ein- Beine tiefer lagern, Dyssetzen, da Obstipation sehr häufig pnoemangement mittels Atemtherapie, dikation, Analyse der Energiezufuhr (häuauftritt. Flüssigkeitsbegrenzung (1,5-2 l) und Salz- fige kleine Mahlzeiten, Supplemente), Er@ Lorazepam sublingual (0,5-1,0 mg) be- restriktion (Verzicht auf zusätzliches Sal- gänzung fettlöslicher Vitamine, Aperitif sonders bei Angst, alternativ Midazo- zen), ergotherapeutische Hilfen, Zugang und ggf. Prokinetika wie Metoclopramid lam s.c. 2,5 mg bei Bedarf (bei gutem zur Toilette erleichtern (evtl. Toiletten- zum Einsatz. Effekt ggf. via Perfusor über 24 Std. stuhl in Bettnähe), Angstbewältigung, fortsetzen); Diazepam 2(-10) mg als Strategien bei Panik-Attacken und EntPeriphere Ödeme zweite Wahl. spannungstechniken. Bei peripheren Ödemen stehen neben der @ Diuretika-Therapie: Furosemid z.B. 20 mg (bis zu 4.000 mg wurden verDiuretikatherapie Lagerungstechniken Schmerz tragen; 3 mg bis 200 mg/Std.) (auch s.c. und diätetische Maßnahmen (Flüssigmöglich als Bolus kleine Mengen 2 ml Es existieren in der Literatur unter- keitsbegrenzung von 1,5-2 l, Verzicht auf = 20 mg oder als Perfusor über 8-24 schiedliche Angaben zur Prävalenz von zusätzliches Salzen) als therapeutische OpStd.; evtl. Mischung mit aqua ad in- Schmerzen bei Patienten mit fortge- tionen zur Verfügung. schrittener Herzerkrankung. In der SUPjectabile [7, 18]). Ggf. kann Furosemid bei Therapie- PORT-Studie lag die Inzidenz von Situation von Patienten mit resistenz mit 25-100 mg Hydrochloro- Schmerzen bei 43%, wobei 90% dieser Pathiazid oral kombiniert werden (sog. tienten nicht mit dem erreichten Grad Herzschrittmachern der Schmerzkontrolle zufrieden waren Bei Patienten mit irreversibler Hirnschäselektive Nephronblockade). @ Sauerstoff (nasal 2-6l) anbieten, nur bei [9]. Zu den empfohlenen Maßnahmen digung, bei denen die fortlaufende Schrittsubjektiver Besserung fortführen. zählen Analgetikatherapie (NSAR mei- macheraktivität nicht den individuellen @ Nitrospray 1-2 Hub b. Bed.; nicht bei den(!), da diese eine Herzinsuffizienz ver- Behandlungszielen dient, kann es angehochgradiger Aortenstenose einsetzen. schlimmern können) und ggf. die Steige- messen sein, die Deaktivierung eines @ NaCl-Vernebler ± Bronchodilatator rung der anti-ischämischen Therapie. Schrittmachers zu diskutieren. In den (z.B. Salbutamol + Ipratopiumbromid); Auch Entspannungstechniken und phy- meisten anderen Situationen ist die Debei gleichzeitig bestehender Angina pec- sikalische Therapie (TENS, Wärmepa- aktivierung nicht indiziert, da dies wahrtoris Nitro-Spray beckungen) können ein- scheinlich zu symptomatischer Bradyreithalten, da Betamigesetzt werden. Mögli- kardie und konsekutiver VerschlechteBei Polypharmazie gilt metika einen Angina che psychologische, rung der Symptome einer Herzinsuffizienz es eine Prioritätenliste pectoris Anfall auslösen emotionale und spiri- (Dyspnoe, Müdigkeit, Schwindel) fühzu erarbeiten, um die können. tuelle Aspekte des ren wird. Wenn der Patient BeHäufig befürchten Laien, dass Schritteinzunehmenden Medi- Schmerzes sollten Beta-Blocker einnimmt, macher den Sterbeprozess und damit das achtung finden. Zukamente zu reduzieren helfen Bronchodilatadem sollten erforderli- Leiden verlängern könnten. Allerdings toren nicht zuverlässig. che Informationen wie können diese Geräte nicht „wiederbeleEine häufige Problematik stellt die Poly- Lokalisation, mögl. Ursachen etc. beim ben“. Im Allgemeinen halten Schrittmapharmazie bei herzinsuffizienten Patien- Schmerzassessment erhoben werden. Ge- cher Palliativpatienten nicht am Leben, da ten dar. Hier gilt es eine Prioritätenliste rade andere Ursachen und Erkrankungen terminale Ereignisse häufig im Rahmen zu erarbeiten, um eine Reduktion der ein- als die Herzinsuffizienz sollten dabei nicht einer Sepsis, Blutung, Lungenembolie zunehmenden Medikamente zu erreichen. außer Acht gelassen werden. In der The- oder von Arrhythmien durch metabolische Bei zunehmender Verschlechterung des rapie von Schmerzen bei herzinsuffizien- Störungen im Endstadium einer TumorZustandes des Patienten und entspre- ten Patienten wird die WHO-Stufen-The- erkrankung, eines Leber- oder Nierenchend schlechter Prognose sollte geprüft rapie angewendet. versagens zu beobachten sind. Zum Zeit- } Toleranzentwicklung, die, wenn sie 30 GERIATRIE JOURNAL 6/08 K A R D I O LO G I E : H E R Z I N S U F F I Z I E N Z punkt des Todes ist das Myokard in der Regel zu geschädigt, um auf Schrittmacherimpulse reagieren zu können. Außerdem ist in Phasen schwerer Erkrankung meist eine Tachykardie zu beobachten, welche keine Schrittmacheraktivität erfordert [4, 8, 13, 19]. sich schwierig, die Verschlechterung des Patienten nicht als Versagen des Behandlungsteams misszuverstehen. Zudem sind Palliativ- und Sterbephase bei terminaler Herzinsuffizienz schwerer zu diagnostizieren als bei einer terminalen Tumorerkrankung, da häufig im Rahmen der medikamentösen Therapie eine Verbesserung zu beobachten ist. Dabei sollte die ICD (Implantierbarer KardioverterUnsicherheit prognostischer Erwägungen Defibrillator) mit Patient und Angehörigen angemessen Meist werden bei diesen Geräten zwei kommuniziert werden. Funktionen genutzt: Schrittmacher + DeMedikamente, die nicht der Sympfibrillator; diese können unabhängig von- tomkontrolle dienen, sollten abgesetzt einander abgeschaltet werden, insbesondere in werden. Für die Schrittder Phase, in der der PaVon überragender macherfunktion des tient schwächer wird Bedeutung sind die psyICD gelten die oben und eine Schluckstöchische Unterstützung aufgeführten Grundsätrung auftritt. Gegebesowie eine klare aber ze zu Herzschrittmanenfalls ist die Umstelchern. Der Defibrillator sensible Kommunikation lung der Medikamente arbeitet mit elektrischen auf subkutane Applikamit dem Patienten und Stromstößen, wenn tation anzustreben (z.B. dessen Angehörigen chykarde Herzrhythvon Morphin und Fumusstörungen auftreten. rosemid). Auf BlutDiese Stromstöße können schmerzhaft druckkontrolle, Temperaturmessung und sein und sind deshalb nicht mit einer rein Blutabnahmen sollte verzichtet werden. symptomatischen Therapie vereinbar. Der Es ist erforderlich, sich bezüglich karzugrunde liegende arrhythmogene Pro- dio-pulmonaler Reanimation und pazess wird damit nicht kausal behandelt. renteraler Flüssigkeitsgabe abzustimmen. Typische Indikationen für die Deakti- Bei vorhandenem implantierbaren Karvierung des ICD sind: dioverter-Defibrillator (ICD) ist zu klä@ Fortsetzung nicht vereinbar mit Zielen ren, ab wann dieser deaktiviert werden des Patienten soll. Die regelmäßige Überprüfung der @ Absetzen antiarrhythmischer Medika- Symptomkontrolle ist obligatorisch. Von mente. Wenn diese Medikamente ab- überragender Bedeutung sind die psychigesetzt werden, sollte erwogen werden, sche Unterstützung sowie eine klare aber den Defibrillator zu deaktivieren, um sensible Kommunikation mit dem Pahäufiges Auslösen („Schock“) zu ver- tienten und dessen Angehörigen. Wichmeiden. tig ist zudem das Angebot einer spirituellen Begleitung, die bezogen auf den @ Patient im Sterbeprozess @ „Keine CPR“ (Ziel des Defibrillators kulturellen und religiösen Hintergrund ist die Wiederbelebung) erfolgen sollte. Wichtig ist auch Patienten und Angehörigen zu vermitteln, dass die Deaktivierung Literatur des ICD weder den unmittelbaren Tod des 1. A controlled trial to improve care for seriously ill hospitalized patients. The study to understand Patienten noch Schmerzen verursacht prognoses and preferences for outcomes and risks [13]. of treatments (SUPPORT). The SUPPORT Principal Terminale Herzinsuffizienz – Die letzten Lebenstage In den letzten Lebenstagen ist eine enge Abstimmung im Team zur Situation des Patienten erforderlich. Oft gestaltet es GERIATRIE JOURNAL 6/08 Investigators JAMA 1995; 274: 1591-1598. 2. Addington-Hall J, McCarthy M. Regional Study of Care for the Dying: methods and sample characteristics. Palliat Med 1995; 9: 27-35. 3. Anderson H, Ward C, Eardley A, Gomm SA, Connolly M, Coppinger T, Corgie D, Williams JL, Makin WP. The concerns of patients under palliative care and a heart failure clinic are not being met. Palliative Medicine 2001; 15: 279-286. 4. Braun TC, Hagen NA, Hatfield RE, Wyse DG. Cardiac pacemakers and implantable defibrillators in terminal care. J Pain Symptom Manage 1999; 18: 126-131. 5. Carr JG, Stevenson LW, Walden JA, Heber D. Prevalence and hemodynamic correlates of malnutrition in severe congestive heart failure secondary to ischemic or idiopathic dilated cardiomyopathy. 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Die Kenntnis entwicklungspsychologischer Aufgaben und Konflikte im Alternsprozess, insbesondere infolge des körperlichen Alterns als Organisator der Entwicklung in dieser Lebensphase, kann bei der differentiellen Psychotherapieindikation helfen. An Hand einer Typologie von erstmals jenseits des 60. Lebensjahres auftretenden psychischen Störungen werden die adäquaten Behandlungsansätze nach suffizienter Diagnostik dargestellt. Diese haben auf Grund der kurzen Symptomdauer trotz des Alters der Patienten oft eine gute Prognose. Foto: Alexey Klementiev – Fotolia.com Gereon Heuft, Münster Abb. 1: Erneut und erstmals im Alter auftretende Störungen haben im Gegensatz zu chronifizierten Symptomen eine bessere Prognose. I Befragt man systematisch Menschen beiderlei Geschlechts jenseits des 60. Lebensjahres zu ihrem jetzigen Zeiterleben, Entwicklungspsychologische Vorurtei- zeigt sich, dass das Zeiterleben im Alter le und empirische Befunde. Befragt man vor allem eine körperliche Dimension Professionelle aller Berufsgruppen, die hat. 80% der ausführlich interviewten mit alten Menschen arbeiten, nach ihrem alten Menschen antworteten auf die FraBild des Lebenslaufes, begegnet man im- ge: „Woran merken Sie, dass die Zeit vermer wieder dem „Halbkreis-Modell“: nach geht?“ unter Bezugnahme auf den kördem Scheitelpunkt des Lebens, der heu- perlichen Alternsprozess. Übereinstimte etwa mit 40-50 Jahren angesetzt wird, mend wird immer wieder berichtet, dass gehe „alles den Berg hinunter”. Mit dem dagegen die Auseinandersetzung mit dem Vorurteil, die Alten eigenen Tod bei alten Nicht das Alter des würden wieder „wie Menschen vergleichsdie Kinder“, wird un- Patienten ist entscheidend, weise emotional wenimerklich dem Defizitger besetzt ist. sondern das Alter und Defekt-Modell Diese Ergebnisse der Störung. des Alterns Vorschub führten zu einem entgeleistet. Dieses Mowicklungspsychologidell entspricht weder den zwischenzeitlich schen Modell, in dem der somatische Albreit rezipierten gerontologischen Ergeb- ternsprozess als „Organisator“ der Entnissen zur Lernfähigkeit und Kompetenz wicklung in der zweiten Hälfte des im Alter, noch der mit dem Alter stetig Erwachsenenlebens verstanden wird (sozunehmenden Variabilität physiologischer matogener Organisator). Unter FortfühBefunde. Ein Psychotherapeut kann kei- rung des auf vier Säulen ruhenden Entne Entwicklungsaufgaben für seinen (al- wicklungsmodells der Kindheit und Juten) Patienten vorphantasieren, wenn er gendzeit entspricht dem psychischen keine entsprechenden Modelle zur Ver- „Ich“ der Körper, den ich habe (funktiofügung hat. naler Aspekt), während der Leib, der ich 32 GERIATRIE JOURNAL 6/08 n der psychotherapeutischen Versorgung sind alte Menschen (>60 Jahre) bezogen auf ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Im Gegensatz zu dieser Versorgungsrealität ist nach allen vorliegenden Studien mindestens von den gleichen Prävalenzzahlen psychischer Störungen im Alter auszugehen wie bei Erwachsenen mittleren Alters. Neben der mangelhaften Auseinandersetzung mit der Eigenübertragung gegenüber Älteren in der psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildung werden die aktuellen psychodynamischen Konzepte hinsichtlich der Entwicklungsaufgaben in der zweiten Häfte des Erwachsenenlebens noch nicht ausreichend genutzt. Denn wenn – vorbewusst – weiterhin von einem defizitären Entwicklungsbild des alten Menschen ausgegangen wird, zentrieren sich Fragen zur differenziellen Therapieindikation eher auf palliative, als auf kurative Ansätze. Der nachfolgende Beitrag soll das Verständnis durch die Herausforderungen des körperlichen Alterns vertiefen und damit auch differente psychotherapeutische Behandlungsperspektiven aufweisen. Entwicklungsaufgaben aus Sicht der Gerontopsychosomatik PSYC H O LO G I E : PSYC H OT H E R A P I E Die Bedeutung einer somato-psychosomatischen Sicht des Alternsprozesses. Ärzte aller Fachrichtungen sowie Fachpsychotherapeuten, die mit alten Menschen arbeiten, sollten wissen, welche somatischen Risikofaktoren auch im höheren Erwachsenenalter präventiven Maßnahmen zugänglich sind. Werden die Risikofaktoren wie „BewegungsmanGERIATRIE JOURNAL 6/08 gel“, „Übergewicht“, „Hypertonie“, „Hyperlipidämie“ und „Diabetes mellitus“ nicht oder unzureichend behandelt bzw. vom Patienten ignoriert, sollte der Therapeut auch über die Psychodynamik dieses Verhaltens im Behandlungsprozess nachdenken und sich nicht mit der Fehlinformation lähmen, die Berücksichtigung dieser somatischen Faktoren sei bei >60-Jährigen ohne Belang. Selbst für 80-Jährige „lohnt“ es sich aus epidemiologischer Perspektive noch, das Rauchen aufzugeben. Hinter einem risikoreichen Gesundheitsverhalten kann sich z.B. eine unerkannte Depressivität oder auch eine latente Suizidalität verbergen. Dabei hat es der Diagnostiker unter dem Eindruck der mit steigendem Alter zunehmenden Variabilität somatischer Befunde oft nicht einfach, z.B. bei Schmerzpatienten zwischen einem organisch begründeten Schmerzerleben und einer somatoformen Störung zu unterscheiden. Selbsterhebungsbögen kommen hier rasch an ihre Grenzen. Konsequenzen dieser entwicklungspsychologischen Konzepte für die Psychotherapie-Indikation Für den Erfolg (Outcome) psychotherapeutischer Behandlungen gilt: nicht das Alter des Patienten ist entscheidend, sondern das Alter der Störung (Chronifizierung). Erneut und erstmals im Alter auftretende Störungen haben im Gegensatz zu chronifizierten Symptomen eine bessere Prognose. Es bedarf keiner grundsätzlich anderen Psychotherapie, jedoch kann sich die Motivation zu einem „Letzte-Chance-Syndrom“ im Alter zuspitzen. Psychodynamische Psychotherapien werden sowohl als psychoanalytische als auch als tiefenpsychologische Psychotherapie oder als Fokaltherapien im ambulanten oder stationären Setting durchgeführt. Für eine differentielle Therapieindikation wird in Abb. 2 zunächst unter Berücksichtigung des oben dargestellten entwicklungspsychologischen Konzeptes eine dreifach gegliederte Typologie akuter psychogener Symptombildungen im Alter unterschieden: 1. Ein neurotischer Kernkonflikt oder eine Strukturelle Störung führt nach langer Latenz zu einer Erstmanifestation der Symptomatik in der zweiten Hälfte des Erwachsenenlebens. Dieses Konzept hebt auf eine neurotische Problematik ab, die sich aus den frühen entwicklungspsychologischen Aufgaben ableiten lässt. Diese Kernkonflikte können bereits im mittleren Erwachsenenalter als repetitivdysfunktionale Konfliktthemen imponieren, werden jedoch in dem hier diskutierten Zusammenhang erst im Alter (etwa durch eine Auslösesituation) als Konflikt manifest. Je nach Ausmaß des strukturellen Anteils der Störung ist unabhängig vom Lebensalter bei gegebener Motivation eine fokale oder mittellange Psychodynamische Psychotherapie indiziert und erfolgreich. 2. Auch nach suffizienter Diagnostik findet sich kein repetitives Konfliktmus- Abb. 2: Typologie psychogener Störungen im Alter sehr alte Erwachsene bin, dem narzisstischen Aspekt entspricht. So kann beispielsweise der alternde Leib das Selbstwertgefühl klinisch in relevantem Ausmass unter Druck setzen. Ein solche narzisstische Krise kann von einem Patienten etwa so zum Ausdruck gebracht werden: „Ich hasse meinen alternden Körper, weil …“. Der Ebene der internalen Objektbeziehungen und der späteren grundlegenden Objekterfahrungen analog sind die Körpererinnerungen, Somatisierungen oder Verkörperungen. In der Psychosomatischen Medizin spricht man direkt davon, dass „der Körper sich erinnert“. Die oben berichteten Studienergebnisse sprechen für eine veränderte Wahrnehmung des Körpers und seiner Funktion in der Weise, dass die leibliche Existenz und die körperliche Funktion in dieser Entwicklungsphase nicht mehr als ausschließlich selbstverständlich gegeben wahrgenommen wird. Analog zur Veränderung der Körperfunktionen besteht das Ich-strukturelle Problem der kognitiven und emotionalen Bewältigung der sich verändernden Leiblichkeit. Die sich verändernde Körperlichkeit im Alternsprozess stellt zugleich auch eine intrapsychische Symbolisierungsebene für das Zeiterleben und die Strukturierung der Zukunftsperspektive dar. Die Kenntnis dieser Modellbildung, die das Individuum stets in seinem historischen und soziokulturellen Kontext mitdenkt, wird im Folgenden das Verständnis alterspezifischer PsychotherapieKonzepte, insbesondere das Konzept „Aktualkonflikt“ erleichtern. Denn solche entwicklungspsychologischen Modelle haben ja grundsätzlich nur dann eine klinische Relevanz, wenn sie uns helfen, Symptome auf dem Boden von (Entwicklungs-)Störungen besser zu verstehen und ggf. auch psychotherapeutisch behandeln zu können. alte Psychogene Störung bei lebenslangem neurotischen Konflikt/ struktureller Störung Psychogene Störung bei Aktualkonflikt Psychogene Störung infolge Traumareaktivierung mittlere Traumatisierung junge Adoleszenz Kindheit Neurotischer Kernkonflikt / strukturelle Störung 33 PSYC H O LO G I E : PSYC H OT H E R A P I E ter – ursächlich ist vielmehr ein psycho- Menschen gibt, die erst nach einem undynamisch wirksamer Aktualkonflikt im ter Umständen langen „symptomfreien“ Sinne der Operationalisierten Psychody- Intervall im Laufe des Alternsprozesses namischen Diagnostik (OPD). Die OPD eine Trauma-induzierte Symptomatik stellt ein international anerkanntes Dia- entwickeln, haben wir den Begriff der gnoseinstrument unter anderem zur va- Trauma-Reaktivierung vorgeschlagen. liden und reliablen Abbildung von repe- Der Diagnostiker sieht der psychischen titiv-dysfunktionalen Bebzw. psychosomatiIm Alter bedarf es ziehungsmustern und schen Symptomatik Konflikten dar. Ist ein solu.U. nicht an, dass sie keiner grundsätzlich ches Konfliktmuster im sich aus einer reaktianderen Lebenslauf nicht zu sivierten TraumaerfahPsychotherapie chern, ist zu prüfen, ob rung herleitet (z.B. akdie Symptomatik und der tuelle „Luftnot“ nach dann zu vermutende Aktualkonflikt et- einem vor Jahrzehnten erlebten Giftgaswa durch die neu auftretenden Entwick- Angriff ). In solchen Fällen ist eine traulungsaufgaben in der 2. Hälfte des Er- ma-fokalisierende Psychotherapie auch wachsenenalters (s.o.) bedingt ist. im Alter indiziert. Falls sich die SympIn diesen Fällen ist eine auf den Aktu- tome einer PTSD (ICD-10: F43.1) entalkonflikt zentrierte psychodynamische wickeln sollten, wären u.U. auch inteFokaltherapie oder eine Verhaltensthera- griert in den Gesamtbehandlungsplan pie mit dem Schwerpunkt auf den al- eines Grundverfahrens traumaspezifische ternsbezogenen dysfunktionalen Kogni- Behandlungstechniken erfolgreich eintionen indiziert. setzbar. Das Konzept Aktualkonflikt differiert Ältere Menschen können – etwa anvon den Folgen einer Traumatisierung gestoßen durch politische Krisen (wie im engeren Sinne ebenso wie von Pro- den Golfkrieg Anfang 1991) oder durch blemen der Krankheitsverarbeitung (Co- als bedrohlich erlebte Körperkrankheiten ping). Die oben angesprochenen Ent- – frühere Traumatisierungen unter akuwicklungsaufgaben können auch nach ter Symptombildung reaktivieren. Auf einem psychisch stabil erlebten Verlauf bis der Suche nach den Hintergründen diejenseits des 60. Lebensjahres einen solchen ses psychodynamischen Prozesses ließ Aktualkonflikt manifestieren. Beispiel für sich eine dreifach gegliederte Hypotheeinen solchen Aktualkonflikt kann bei- se formulieren, deren Aspekte untereinspielsweise auch eine Demenzangst sein. ander in einem sich gegenseitig begünAuslösend kann z.B. sein, dass der Be- stigenden Bezug stehen. Danach kann es treffende in das gleiche Alter kommt, in zu einer Reaktivierung von Traumatisiedem ein Eltern- oder Großelternteil rungen im Alter dadurch kommen, dass Symptome einer Demenz entwickelt hat. Hinter der Befürchtung, eine solche ErPsychotherapie im Alter krankung „geerbt“ zu haben, stehen nicht „Psychotherapie im Alter“ lautet selten unbewusst gebliebene Identifikader Titel einer Fachzeitschrift, die tionsprozesse mit der vorangegangenen seit März 2004 viermal jährlich im Generation, die auch mit dem Konzept Psychosozial-Verlag, Gießen er„Lernen am Modell“ beschrieben werscheint. Sie sieht sich als Forum den könnten. des Austauschs und der Vermittlung 3. In der Adoleszenz oder im jungen von Erkenntnissen und Erfahrungen Erwachsenenalter erfahrene Traumatiaus unterschiedlichen Arbeitsfeldern, Therapieschulen und Professierungen, die nicht zu einer akuten Postsionen. Auf der Internetseite traumatischen Belastungsstörung (PTSD) www.psychotherapie-im-alter.de führten, werden durch den (körperlichen) stehen die Abstracts sämtlicher Alternsprozess in ihrer psychodynamibisher erschienen Artikel sowie schen Potenz reaktiviert. einige ausgewählte Beiträge zur Für diese Beobachtung, dass es auch Verfügung. Red. im Erwachsenenleben traumatisierte 34 @ ältere Menschen, befreit vom Druck direkter Lebensanforderungen durch Existenzaufbau, Beruf und Familie, „mehr Zeit“ haben, bisher Unbewältigtes wahrzunehmen; @ sie zudem nicht selten auch den vorbewussten Druck spüren, noch eine unerledigte Aufgabe zu haben, der sie sich stellen wollen und stellen müssen; @ darüber hinaus der Alternsprozess selbst (z.B. in seiner narzisstischen Dimension) traumatische Inhalte reaktivieren kann. Zwei weitere wesentliche Indikationsbereiche beziehen sich bei alten Patienten auf aktuelle und familiäre bzw. intergenerative Konflikte, die so genannte systemische Perspektive und die psychische Verarbeitung („Coping“) organisch bedingter somato-psychischer Störungen oder/und Funktionseinschränkungen. Bei diesen letztgenannten Patientengruppen ist eine mögliche Komorbidität im Hinblick auf die ersten drei genannten Indikationsbereiche zu beachten. Das heißt, auch bei einem vordergründig „nur“ als Problem der Krankheitsverarbeit imponierenden Störungsbild (ICD-10: F43.2 Anpassungsstörung) ist die gesamte Lebensgeschichte mit Hilfe der entwicklungspsychologischen Perspektive im Hinblick auf repetitiv-dysfunktionale Konfliktmuster oder (Ich-)strukturelle Probleme i.S. der Operationalsierten Psychodynamischen Diagnostik zu evaluieren. Nur so kann eine verantwortliche Indikationsstellung für eine ambulanten oder stationäre Fachpsychotherapie erfolgen. Literatur 1. Arbeitskreis Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (Hrsg). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2. Bern: Huber 2006. 2. Heuft G, Kruse A, Radebold H. Lehrbuch der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie. UTBLehrbuch. München: Reinhardt 2006 (2. Aufl.). Univ.-Prof. Dr. med. Gereon Heuft, Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie Universitätsklinikum Münster, Domagkstr. 22, 48149 Münster, eMail: heuftge@mednet. uni-muenster.de GERIATRIE JOURNAL 6/08 G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D Kriegskinder und posttraumatische Belastungsstörungen Georgia Böwing, Röbel 14 Millionen ehemalige Kriegskinder leben derzeit in Deutschland. Sie sind über 60 Jahre alt und viele von ihnen leiden an psychischen Langzeitfolgen. Drei Studien zeigen den Bezug zwischen aktueller psychotischer Symptomatik und Kriegstraumatisierung. Außerdem geben sie Hinweise auf Brückensymptome und pathogenetische Faktoren einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD). G GERIATRIE JOURNAL 6/08 erstmals belastende Erinnerungen auftreten. PTSD-Kriterien bei kriegstraumatisierten gerontopsychiatrischen Patienten In einer ersten Studie an 33 ambulanten und stationären kriegstraumatisierten gerontopsychiatrischen Patienten einer Klinik in einer ländlichen Region Mecklenburg-Vorpommerns konnte gezeigt Foto: OlgaLIS – Fotolia.com erontopsychiatrische Patienten haben oft traumatisierende Kriegserfahrungen und können auch noch im höheren Lebensalter an einer posttraumatischen Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder = PTSD) erkranken. Laut ICD-10 [22] kann eine PTSD durch ein kurz oder lang anhaltendes Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß ausgelöst werden, wobei dieses Ereignis nahezu bei jedem zu tiefgreifender Verzweiflung führen würde. Die Symptomkonstellation von Intrusionssymptomen (lebendige Erinnerungen, flash backs, Albträume), Vermeidungssymptomen, Erinnerungslücken sowie physiologischen Übererregungssymptomen (Schlafstörung, Reizbarkeit, Konzentrationsstörung, Hypervigilanz oder Schreckhaftigkeit) muss im Regelfall innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis auftreten. Nur in einigen speziellen Fällen kann laut ICD 10 ein späterer Beginn berücksichtigt werden. Nach Maercker [10] werden im höheren Lebensalter drei lebensspannenbezogene PTSD-Typen unterschieden: 1. die chronische posttraumatische Belastungsstörung 2. die posttraumatische Belastungsstörung nach einem aktuellen Trauma und 3. die verzögert auftretende PTSD. Bei Letzterer können Jahre und Jahrzehnte nach traumatischen Erlebnissen Abb. 1: Durch die komplexe Änderung der sozialen Situation im höheren Lebensalter entstehen Freiräume zur Wahrnehmung bisher unbewältigter Erlebnisse. werden, dass alle Untersuchten die ICD 10-Kriterien für eine PTSD erfüllten, jedoch immer mit einer Latenz von mindestens 14 und bis zu 60 Jahren (50 ± 13,4 Jahre) [3]. Kein Patient war innerhalb von sechs Monaten nach der Traumatisierung erkrankt. Es zeigte sich dabei eine mäßige Korrelation zwischen dem Alter zum Traumazeitpunkt und der Latenz bis zur Erkrankung, d.h., jüngere Traumatisierte erkrankten bereits nach einer kürzeren Latenz (47 ± 14,4 versus 59,5 Jahre). Bereits Maercker et al. wiesen auf das (junge) Traumatisierungsalter als Risikofaktor für eine höhere (hier: frühere) posttraumatische Symptombelastung hin [5]. Die Traumatisierungen, die hier nicht im einzelnen aufgeführt werden können, waren häufig Das Gefühl des mehrfach und Ausgeliefert-Seins von längerer Dauer. In elf erinnert an die Fällen waren traumatische Verge waltiSituation gungen sicher dokumentiert. 23 Betroffene erlitten schwere Traumatisierungen auf der Flucht. Danach war die Sicherheit der eigenen Unversehrtheit an Leib und Seele zerstört [18, 19]. Frauen fühlten sich schuldig, Opfer geworden zu sein und schwiegen aus Scham über die demütigenden Vergewaltigungen sowohl gegenüber den Partnern als auch später den Kindern [13]. Bereits in den Familien wurde das Thema „totgeschwiegen“, die Unfähigkeit zu trauern [12] wurde von den Eltern und Großeltern auf die Kriegskinder übertragen. Auch Flüchtlinge wurden als Bedrohung gesehen: Sie erinnerten an den verlorenen Krieg und forderten Verständnis und materielle Hilfe ein [6]. Die gesellschaftliche Situation in Deutschland nach Kriegsende hatte 35 G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D ebenfalls einen Einfluss auf die lange Latenz bis zum Auftreten der PTSD. So galt ein Zurücknehmen der Frage nach deutschen Opfern als politische Notwendigkeit. Aus Scham über die Geschichte durfte man sich nicht mit dem eigenen Leid befassen. Die schrecklichen Ereignisse wurden lange Zeit verdrängt [14]. Eine besondere Situation gab es in der sowjetischen Besatzungszone. Das Phänomen der Vergewaltigungen wurde in Ausmaß und Häufigkeit zu einem Teil der Sozialgeschichte der sowjetischen Besatzungszone, wie sie im Westen in dieser Form unbekannt war [13]. So blieb auch das ländliche Mecklenburg mit seinen endlosen Flüchtlingstrecks und fortwährenden Truppenbewegungen Schauplatz häufiger Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung [9, 16]. Psychotische Symptome In einer zweiten Studie wurde eine Subpopulation psychotisch erlebender PTSDPatienten (n = 12) mit einer Kontrollgruppe ohne Psychose (n = 22) verglichen [5]. Psychotische Patienten waren mit 79,8 ± 5,6 Jahren versus 74,3 ± 5,0 Jahren signifikant älter (p < 0,05) (Abb. 2). Die Bedeutung sozialer Isolation für die Entwicklung paranoider Störungen [8] wird mit dem größeren Anteil verwitweter Patienten in der Psychosegruppe (83 vs. 50%) bestätigt. Der deutlich größere Anteil dementer Patienten in der Indexgruppe (75% vs. 27%) ist auf Grund des fünf Jahre höheren Durchschnittsalters nur zum Teil erklärt, da sich die Demenz-Prävalenzen mit steigendem Seniorenalter alle fünf Jahre verdoppeln und nicht verdreifachen. Die hohe Prävalenz von „psychosis in dementia“ bei unseren überwiegend leicht- Tab. 1: Psychoseinhalte Inhalt der psychotischen und psychosenahen Symptomatik Schwangerschaftswahn, Warten auf Regelblutung, Angst vor Vergewaltigung Essensreste in der Handtasche sammeln Halluzination von „Banditen“ bei Waschung im Genitalbereich Halluzination junger Männer „Mag mich nicht mehr waschen.“ Geht nicht ins Bett, weil: „Im Bett ist was drin.“ Taschentuch vor dem Gesicht, damit sie keiner sieht gebücktes Laufen Weglaufen nihilistischer Wahn nächtliches Umherlaufen, „Verwirrtheit“ Wahnstimmung Schreien, um sich schlagen gradig Dementen passt gut zu den Befunden von Braak und Braak, dass die frühe („limbische“) Phase der AlzheimerKrankheit einen Risikofaktor für paranoid-halluzinatorische Symptome darstellt [2]. Die Traumatisierung war in beiden Gruppen vergleichbar schwer. Die psychotischen Erlebnisinhalte wiesen eindeutige thematische Bezüge zu den traumatisierenden Ereignissen auf. So hatten mehrere Patientinnen, die z.T. vielfach vergewaltigt worden waren, einen Schwangerschaftswahn. Bei Patienten mit Verarmungswahn waren immer Flucht mit Zurücklassen von Hab und Gut oder Plünderungen eruierbar. Ein Verfolgungswahn zeigte sich vor allem bei Flüchtlingen und Frauen, die sich, häufig wiederholt, vor sexuellen Übergriffen verstecken mussten. Typische Aus- mögliches PTSD-Symptom lebendige Erinnerungen lebendige Erinnerungen Flash-backs Flash-backs Vermeidung Vermeidung Vermeidung Vermeidung Vermeidung Vermeidung Schlafstörung, Hypervigilanz Hypervigilanz, Schreckhaftigkeit Reizbarkeit löser für psychotische Erregungszustände mit situativen Verkennungen sind Waschungen im Genitalbereich im Rahmen der Grundpflege. Eine geschlechterbezogene Auswahl der Pflegeperson für die Grundpflege sowie eine Sensibilisierung aller Teammitglieder für dieses Thema sollten daher auf jeder gerontopsychiatrischen Abteilung stattfinden. Psychotische und psychosenahe Erlebnisse und Verhaltensweisen können auch als Symptome der PTSD verstanden werden (Tab. 1), die unter den spezifischen Bedingungen des Alters und im Rahmen hirndegenerativer Veränderungen einen Gestaltwandel [21] erfahren haben. Brückensymptome Symptome oder Symptomfragmente im Intervall zwischen Trauma und Manife- Abb.2: Illustration der Unterschiede zwischen beiden Gruppen (mit vs. ohne Psychose): Psychotische PTSD-Patienten sind signifikant älter und entsprechend später traumatisiert. Dagegen ist die zeitliche Latenz zwischen Trauma und Manifestationszeitpunkt der psychiatrischen Symptomatik nicht signifikant unterschiedlich. 36 GERIATRIE JOURNAL 6/08 G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D Trauma-Reaktivierung und Retraumatisierung Tab. 2: Brückensymptome ICD 10-Symptom Häufigkeit als Brückensymptom Cluster C. Vermeidung Agoraphobie 1 Hydrophobie 1 Klaustrophobie 3 soziales Vermeidungsverhalten 4 Cluster C. oder D. Ängstlichkeit als Tendenz zu 12 Angstvermeidungsverhalten Cluster D. 2. erhöhte psychische Sensitivität und Erregung a. Ein- und Durchschlafstörungen 0 b. Reizbarkeit oder Wutausbrüche 3 c. Konzentrationsschwierigkeiten 0 d. Hypervigilanz 16 e. erhöhte Schreckhaftigkeit 5 station der psychischen Erkrankung, die so genannten Brückensymptome, weisen ältere Patienten mit einer verzögert auftretenden PTSD nur zum Teil auf. In einer dritten Studie wurden 40 ambulante Patienten, welche infolge des 2. Weltkriegs eine Traumatisierung erlitten hatten und aktuell an einer verzögert auftretenden posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt waren, untersucht [4]. Im ersten Teil dieser Arbeit konnten 26 Patienten mit Brückensymptomen (Alter 71,7 ± 4,6 Jahre) mit 14 Patienten ohne Brückensymptome (74,6 ± 6,5 Jahre) verglichen werden. Patienten mit Brückensymptomen waren zum Traumatisierungszeitpunkt tendenziell jünger (etwa drei Jahre, p = 0,16) als Patienten ohne Brückensymptome. Bei einer etwas größeren Stichprobe (größeren „Power“) hätte sich nach entsprechender Abschätzung wohl Signifikanz ergeben; damit könnte sich die bereits von Maercker et al. [11] untermauerte, bereits o.g. Hypothese der größeren Symptombelastung von Kindern in einer etwas größeren Folgestudie voraussichtlich erneut bestätigen. Die Brückensymptome waren inhaltlich zwei PTSD-Symptomclustern nach ICD-10 (Tab. 2) zugeordnet worden. Zum Cluster C „Vermeidungsverhalten“ zählt z.B. die ausgeprägte Hydrophobie einer Patientin. Der Zusammenhang mit dem Trauma ist mit Kenntnis der AnamGERIATRIE JOURNAL 6/08 Im zweiten Teil der zuletzt genannten Studie wurden deskriptiv-explorativ mögliche Ursachen für Trauma-Reaktivierungen und Retraumatisierungen diskutiert. Schreuder [17] zufolge kann es Jahre nach einer Traumatisierung noch zu einer so genannten Trauma-Reaktivierung kommen. Davon sollte die so genannte Retraumatisierung als ein zweites Traumaereignis abgegrenzt werden, das sich unter Umständen erst Jahrzehnte später ereignet und ebenfalls Auslöser manifester PTSD-Symptomatik sein kann [1]. Angeregt durch die 3-fach gegliederte Hypothese von Heuft [7] zur Trauma-Reaktivierung wurde eine erweiterte Glienese (sie war als Kind von einem Nach- derung vorgenommen. Unter systemabarschiff aus Zeugin des Untergangs der tischen Gesichtspunkten lassen sich fünf „Wilhelm Gustloff“) leicht nachvoll- pathogenetische Faktoren einer Trauziehbar. Die häufig angegebene Ängst- mareaktivierung unterscheiden, die einlichkeit nahm eine Zwischenstellung ein. zeln oder in Kombination auftreten (Abb. 3). Der körperliMan kann sie sowohl als eine Tendenz zu Angst- Viele Betroffene spüren che Alterungsprozess vermeidungsverhalten einen Druck, eine noch („Gebrechlichkeit“) lässt die Patienten Hilf(Cluster C) als auch als unerledigte Aufgabe losigkeit und das Geein Symptom der Übervor sich zu haben fühl des Ausgelieferterregtheit (Cluster D) beSeins erleben und erzeichnen. Von den Cluster D-Symptomen wurde am häufigsten innert damit an die traumatische eine die Jahrzehnte überdauernde Hyper- Situation [7]. Hier waren eine schwere vigilanz als ein ständiges Gefühl des „Nie- Herzerkrankung, orthopädische Leiden, mandem-trauen-Könnens“ beschrieben. chronische Schmerzen nach Polytrauma Abb. 3: Trauma-Reaktivierung Somatisch Gebrechlichkeit Hilflosigkeit Gefühl des Ausgeliefertseins Psychisch Vergesslichkeit Demenz Veränderte Gedächtnisorganisation Selektive Erinnerung Erinnerungsreichtum 5 pathogenetische Faktoren Politisch Kriegsberichterstattung Fernsehdokumentationen zum 2. Weltkrieg Aktuelle Nachrichten Sozial Einsamkeit Berentung Verwitwung Biografisch Lebensrückblick Geburtstag Autobiografie Besuch der alten Heimat Modell möglicher pathogenetischer Faktoren 37 G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D und eine Krebserkrankung als Auslöser ren Wertigkeit im Einzelfall nicht exakt für Kriegserinnerungen identifiziert wor- zu bestimmen war. den. Zweitens können kognitive BeeinPTSD-Diagnose-Erweiterung trächtigungen („Vergesslichkeit“) die traumabezogenen Erinnerungen durch in der ICD 11 eine veränderte Gedächtnisorganisation Die Generationen der Kriegstraumatiund -funktion modifizieren. Aber auch sierten leben nur noch wenige Jahre. Die bei kognitiv nicht Beeinträchtigten ICD 10-Klassifikation der PTSD ist nur kommt es neben einem selektiven Er- eingeschränkt auf gerontopsychiatrische Patienten anwendbar. innerungsstil und einer Trauma-ReaktivierunWünschenswert wäre Abnahme der Kohärenz der Erinnerung an das gen können auch durch deshalb eine PTSD-Diagnose-Erweiterung in der Trauma generell zu eiderzeitige Kriege ICD 11. Dazu wäre ernem häufigeren Erinangestoßen werden stens eine Erweiterung nern und einem Erdes Zeitkriteriums E nöinnerungsreichtum [10]. Alte Gedächtnisinhalte können nicht tig [3]. Zweitens sollten psychotische mehr so gut kontrolliert und „bewacht“ Symptome in die Symptomcluster B, C werden. Sie werden wichtiger und rasch und D aufgenommen werden [5]. Drittens müssten auch Brückensymptome als „geweckt“ [20]. Als dritter Faktor einer Traumareakti- Zeichen einer inkompletten PTSD klasvierung ist die komplexe Änderung der sifizierbar werden [4]. Denn nur nach sozialen Situation im höheren Lebensal- klarer Diagnosestellung ist eine adäquater zu nennen („Einsamkeit“). So bringt te medikamentöse und spezifische nichtdas Senium eine weitgehende Freiset- medikamentöse Therapie möglich. Eine zung aus sozialen Rollen und Verpflich- Sekundärprävention durch frühzeitige tungen mit sich, z.B. durch Berentung, Wahrnehmung von Brückensymptomen Selbstständigkeit der Kinder oder den und pathogenetischen Faktoren sollte keiTod des Partners. Dadurch entstehen ne Vision bleiben. Vielleicht bleibt dann Freiräume zur Wahrnehmung bisher un- den jetzt noch jüngeren Kriegskindern ein solcher Verlauf in der Demenz erspart: bewältigter Erlebnisse. Ein vierter Faktor für die Häufung von „Die wollen mich an die Luft setzen. Traumaerinnerungen ist das „Last ChanDie wollen mich kaltmachen.“ ce Syndrom“. Viele Betroffene spüren einen vorbewussten Druck, eine noch „Wer weiß, wo sie mich hinverschleppt unerledigte Aufgabe vor sich zu haben haben.“ [7]. Im Rahmen einer Lebensbilanzie„Aber ich darf ja nicht ruhen, ich bin rung setzen sie sich mit der eigenen Bioja heimatlos.“ grafie vermehrt auseinander. Das Ver„Ich laufe jede Nacht, aber ich bin langen nach einem Lebenssinn spielt dabald da.“ bei eine bedeutende Rolle [15]. Dieser „Vergiss nicht, mich mitzunehmen!“ Aspekt wurde hier „Lebensrückblick“ genannt. Als fünfter Faktor für die PTSD-Ent- Literatur 1. Bergmann MV. Die Angst vor Retraumatisierung stehung durch Trauma-Reaktivierung ist und die Abwehrfunktion der negativen therapeutidie zunehmende Aufarbeitung unserer schen Reaktion. In: Schlösser A, Höhfeld K (Hrsg) Trauma und Konflikt. Psychosozial-Verlag, Gießen Vergangenheit im Fernsehen anzusehen. (1998) 33-50 Trauma-Reaktivierungen werden aller2. Braak H, Braak E. Frequency of stages of Alzheidings u.U. auch durch derzeitige Kriege mer-related lesions in different age categories. Neurobiol Aging 18 (1997): 351-357 angestoßen [15]. Diese Aspekte können 3. Böwing G, Schmidt KUR, Schröder SG. Erfüllen unter dem Begriff „Kriegsberichterstatkriegstraumatisierte, gerontopsychiatrische Patienten aus Mecklenburg-Vorpommern PTSDtung“ zusammengefasst werden. Kriterien? Psychiat Prax 34 (2007): 122-128 Insgesamt fand sich häufig ein Gefü4. Böwing G, Schröder SG. (in press) Spätfolgen von ge mehrerer Anlässe und Ursachen, deKriegserlebnissen – Brückensymptome, Trauma- 38 Reaktivierung und Retraumatisierung. Trauma & Gewalt 5. Böwing G, Schmidt KUR, Juckel G, Schröder SG. Psychotische Syndrome bei kriegstraumatisierten älteren Patienten. Nervenarzt 79 (2008): 73-79 6. Faulenbach B. Flucht und Vertreibung in der individuellen und kollektiven Erinnerung und als Gegenstand von Erinnerungspolitik. In: Flucht und Vertreibung. Europa zwischen 1939 und 1948. Hamburg: Ellert &Richter (2004): 224-231 7. Heuft G. Die Bedeutung der Trauma-Reaktivierung im Alter. Z Gerontol Geriat 32 (1999): 225-230 8. Kay DW. Schizophrenia and schizophrenia-like states in the elderly. Br J Psychiatry. Spec No 9 (1975): 18-24 9. Kruse J. von. (Hrsg.). Weißbuch über die „Demokratische Bodenreform“ in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Dokumente und Berichte. München (1988) 10. Maercker A. Posttraumatische Belastungsstörungen und pathologische Trauer. In: Maercker A (Hrsg). Alterspsychotherapie und klinische Gerontopsychologie. Berlin Heidelberg: Springer (2002): 245-282 11. Maercker A, Herrle J Grimm I. Dresdener Bombennachtsopfer 50 Jahre danach: Eine Untersuchung patho- und salutogenetischer Variablen. ZfGP 12 (1999): 157-167 12. Mitscherlich A, Mitscherlich M. Die Unfähigkeit zu trauern. München: Piper (1967) 13. Naimark NM. Sowjetsoldaten, deutsche Frauen und das Problem der Vergewaltigungen. In: Naimark NM: Die Russen in Deutschland. Berlin: Propyläen (1997): 91-179 14. Radebold H. Kriegsbeschädigte Kindheiten: die Geburtsjahrgänge 1930-32 bis 1945-48. psychosozial (2003): 9-15 15. Radebold H. „Kriegskinder” im Alter – Bei Diagnose historisch denken. Dtsch Ärztebl 101 (2004): A 1960-1962 16. Saller W. Flucht und Vertreibung. In: GEOEpoche Deutschland nach dem Krieg. Hamburg: Gruner + Jahr (2002): 46-57 17. Schreuder JN. Posttraumatic re-experiencing in older people: working through or covering up? Am J Psychotherapy 50 (1996): 231-242 18. Spranger H. Retraumatisierungen der Eltern- und Kindergeneration des 2. Weltkriegs. Psychotraumatologie (2002); 3 (Online) http://www.thiemeconnect.com/ejournals/html/psychotrauma 19. Treichel H-U. Das Schweigen. In: GEOEpoche Deutschland nach dem Krieg. Hamburg: Gruner + Jahr (2002): 100-102 20. Tüschen R Traumareaktivierung im Alter. In: Junglas J (Hrsg) Traumaorientierte Psychotherapie und Psychiatrie. Nach den Tsunamis des Lebens. Deutscher Psychologenverlag, Bonn (2006): 65-71 21. Weizsäcker V. von. Gestalt und Zeit. 2. Aufl. Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen (1960) 22. Weltgesundheitsorganisation. Internationale Klassifikation psychischer Störungen, ICD 10, Kapitel V (F): Forschungskriterien. Bern Göttingen Toronto: Huber (1994) Georgia Böwing, MediClin Müritz-Klinikum GmbH, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Röbel, Stadtgarten 15, 17207 Röbel, eMail: georgia.boewing@ mueritz-klinikum.de GERIATRIE JOURNAL 6/08 P U B L I K AT I O N E N : B Ü C H E R Personzentrierte Beratung und Therapie Die nicht direktive oder klientenzentrierte Psychotherapie, Mitte des 20. Jahrhunderts von Carl R. Rogers begründet, geht davon aus, dass jeder Mensch gut ist und danach strebt, die eigenen Fähigkeit zu entfalten und sich stetig weiterzuentwickeln. Basierend auf dieser Annahme besteht die Aufgabe des Psychotherapeuten u.a. darin, ein vertrauensvolles und sicheres Umfeld zu schaffen und den Klienten bei seiner Selbstexploration zu begleiten. Der Schweizer Psychologe Peter Elfner arbeitet seit Jahren klientenzentriert mit psychisch erkrankten, alten Menschen und hat seine Erfahrungen nun in dem Buch „Personzentrierte Beratung und Therapie in der Gerontopsychiatrie“ zusammengefasst. Darin beschäftigt er sich zunächst mit den verschiedenen Aspekten des Alterns und gibt einen Überblick über die psychischen Krankheitsbilder im Alter. Anschließend erläutert er Rogers Therapie-Ansatz und be- Gerontopsychologie In den letzten Jahren ist in verschiedenen Verlagen eine Reihe von Psychologiebüchern zu Themen aus dem Bereich des Alterns erschienen. Meist sind sie sehr geprägt von Vorstellungen und Meinungen. So ist zu begrüßen, dass jetzt eine Neuauflage der „Gerontopsychologie“ aus dem Springer-Verlag erfolgt ist. Wie im Vorwort von Professor Oswald deutlich gemacht wird, wurde versucht, in dem Buch Gerontopsychologie wissenschaftlich ohne modischen Schnickschnack verständlich darzulegen. Gegenüber der Erstauflage ist auf Grund neuerer Inhalte, verändertem Stil und verändertem Layout ein praktisch neues Buch entstanden. So ist zu begrüßen, dass Kapitel wie „Tod und Sterben“ sowie „Pflege aus psychologischer Sicht“ und „Angehörigenberatung – Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger als ein zentrales Arbeitsfeld der Gerontopsychologie“, eigene und nicht zu klein geratene Abschnitte umfassen. Besonders gut gefällt mir an dem Buch, dass immer wieder auf weiterführende Literatur hingewiesen wird. Daneben werden die Aussagen literaturmäßig belegt und können so auch als Fundgrube in der Literatursuche genutzt werden. Gewünscht hätte ich mir, dass vielleicht als GERIATRIE JOURNAL 6/08 schreibt – auch anhand von Fallbeispielen –, wie er die klientenzentrierte Therapie im gerontopsychiatrischen Fachzentrum in Winterthur umsetzt. Entstanden ist ein lesenswertes Buch, das zeigt, dass Menschen bis ins hohe Alter hinein über ein bemerkenswertes Entwicklungspotenzial verfügen. jh Personzentrierte Beratung und Therapie in der Gerontopsychiatrie. Mit einem Geleitwort von Marlies Pörtner. Von Peter Elfner. Verlag Ernst Reinhardt, München. 1. Auflage 2008. 126 Seiten, kartoniert, 19,90 Euro, ISBN-10: 349701981X, ISBN 13: 978-3-497-01981-6. Psychotherapie im Alter Anhang einige Einschätzungsskalen, Testverfahren, Pflegeplanungen im Anhang so dargestellt würden, dass man sie für die Praxis übernehmen kann. Oder, dass im Text Hinweise gegeben werden, wo man solche Arbeitsmaterialien bestellen kann. Dies würde für die praktische Umsetzung manchen Gesagtes in diesem Buch förderlich sein. Bei den Autoren handelt es sich um eine Zusammenarbeit österreichischer und deutscher Fachleute, bevorzugt aus Nürnberg/Erlangen mit Ergänzung aus Heidelberg sowie aus Wien und Graz. Eine insgesamt gelungene Arbeit, die man nur jedem in der Geriatrie Arbeitenden empfehlen kann. In diesem Sinne sei dem Buch eine hohe Auflage gewünscht. Prof. Dr. Ingo Füsgen Gerontopsychologie, Grundlagen und klinische Aspekte zur Psychologie des Alterns. Von Wolf D. Oswald, Gerald Gatterer und Ulrich M. Fleischmann. Verlag Springer, Berlin, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, 2008. 266 Seiten, gebunden, 39,95 Euro, ISBN-10: 321175685X, ISBN 13: 978-3-211-75685-0 Seit 2004 werden in der Zeitschrift „Psychotherapie im Alter“ theoretische Positionen, praktische Therapieerfahrungen und Projektbeschreibungen zur Psychotherapie bei älteren Menschen systematisch aufgegriffen. In diesem Band werden die Darstellungen der ersten beiden Jahrgänge wieder aufgegriffen. In den vier Kapiteln @ Psychotherapeutische Diagnostik @ Angst und posttraumatische Störungen @ Gruppenmethoden @ Veränderung von Beziehungen und psychische Störungen im Alter wird das therapeutische Vorgehen aus unterschiedlichen methodischen und institutionellen Perspektiven beschrieben. Psychotherapie im Alter. Johannes Kipp (Hrsg.). Mit einem Geleitwort von Harmut Radebold. Psychosozial Verlag, Gießen. 1. Auflage 2008. 270 Seiten, broschiert, 29,90 Euro, ISBN-10: 3-89806-778-5, ISBN-13: 9783898067782. 39 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N Herz- und Gefäßerkrankung Weniger kardiovaskuläre Ereignisse bei Hochrisikopatienten durch AT1-Blocker Kardiovaskuläre Risikopatienten, die eine bestmögliche Basistherapie erhalten, profitieren von einer zusätzlichen Behandlung mit dem AT1-Blocker Telmisartan (z.B. Kinzalmono®). Bei diesen Patienten gibt es signifikant weniger Myokardinfarkte, Schlaganfälle und kardiovaskuläre Todesfälle. Die Ergebnisse dokumentiert die TRANSCEND-Studie, eine Parallelstudie des ONTARGET-Studienprogrammes. Sie wurde im September beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie in München vorgestellt. In der TRANSCEND-Studie wurden 5.926 Patienten, die eine ACE-HemmerUnverträglichkeit aufwiesen, plazebokontrolliert mit 80 mg Telmisartan täglich behandelt. Die Teilnehmer an der Studie sind ein Hochrisikokollektiv. Es wurden Patienten in die Studie einbezogen, die über 55 Jahre alt sind, KHK und/oder pAVK, einen vorangegangenen Schlaganfall oder Diabetes mit Endorganschäden haben. Alle erhielten eine bestmögliche Basistherapie und wiesen einen gut eingestellten Blutdruck auf. Rund 75% wurden bereits mit einem Trombozyten-Aggressionshemmer, 66% mit einem Betablocker und 30% mit einem Diuretikum und/oder Kalziumantagonisten behandelt. Trotz der umfassenden Basistherapie zeigte sich nach fünf Jahren bei der doppelblinden, randomisierten Endpunktstudie (bei kardiovaskulären Todesfällen, Schlaganfällen, Myokardinfarkten und Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz), dass der primäre Endpunkt um 8% gesenkt werden konnte. Die Ergebnisse des 2. Endpunktes (Kombination aus Rate an Myokardinfarkten, Schlaganfällen und kardiovaskulärem Tod) senkte den Endpunkt um 13%. Dazu Prof. Dr. K. Teo, Hamilton, Kanada, auf dem Kardiologen-Kongress in München: „Geprüft wurden mit dem sekundären Endpunkt die gleichen Kriterien wie in der Hope-Studie.“ (Hier war der ACE-Hemmer Ramipril untersucht worden und es hatte sich eine signifikante Re- 40 duktion der Parameter ergeben. Der ACEHemmer gilt seitdem als Goldstandard.) In der ONTARGET-Studie zeigte sich, dass 80 mg Telmisartan täglich hinsichtlich der kardioprotektiven Schutzwirkung 10 mg Ramipril täglich ebenbürtig sei, so der Hersteller. Die Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse würde zudem mit besserer Verträglichkeit erreicht. Prof. Dr. Michael Böhm, Homburg/Saar sagte dazu auf dem Kongress in München: „Telmisartan stellt eine gute Behandlungsal- ternative bei Patienten dar, die Ramipril auf Grund von Nebenwirkungen nicht vertragen. Dies sind rund 20% der kardiovaskulären Risikopatienten.“ Der Kardiologe machte ferner darauf aufmerksam, dass es bislang keine groß angelegte Endpunktstudie zur Kardioprotektion bei Patienten gab, die zwar ein kardiovaskuläres Ereignis hinter sich haben, aber nicht schwer krank sind und mitten im Leben stehen. Diese Lücke wurde mit ONTARGET jetzt geschlossen. Quelle: Bayer Vital GmbH, Leverkusen; Pressemitteilung zur TRANSCENDStudie vom 9. Oktober 2008; www.viva.vita.bayerhealthcare.de oder www.bayer.de Arthrose Körpereigene Therapie wirkt auch nach zwei Jahren gegen Knie-Arthrose Forscher der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf wollten überprüfen, welche Therapie langfristig am besten bei Kniegelenksarthrose hilft. Sie verglichen bei 310 Patienten die Wirkung der OrthikonTherapie, von Hyaloronsäure und Plazebo über einen Zeitraum von zwei Jahren. Hyaloronsäure ist ein Gelenkschmiermittel, das oft zur Behandlung von Arthrose eingesetzt wird. Bei der Orthokin-Therapie werden entzündungshemmende Eiweißstoffe aus dem Blut des Patienten gewonnen und in das Gelenk gespritzt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Osteoarthritis and Catilage“ veröffentlicht (http://www.oarsi.org). Den mit der Orthokin-Therapie behandelten Patienten ging es nach zwei Jahren bezogen auf Schmerz und Funktion des Gelenkes deutlich besser als den anderen Mitpatienten: Von den 310 Patienten profitierten 188 noch von der ersten Behandlung; 122 hatten in der Zwischenzeit andere Therapien, wie Operationen, Spritzen, Medikamente oder Akupunktur in Anspruch genommen. Innerhalb der Orthokin-Gruppe mussten die wenigsten Patienten nachbehandelt werden. Ein deutlicher Unterschied zeigte sich im WOMAC-Test, einem Fragebogen zu Gelenkfunktion und Lebensqualität. Nach einem Ausgangswert von ca. 124 erreichte die Orthokin-Gruppe WOMAC = 58 mit einer deutlichen Verbeserung der Gelenkfunktion und Beweglichkeit. Die Vergleichsgruppen WOMAC = 88 bzw. 84 lagen deutlich darüber. Auf der visuellen Analogskala von 0-100 lag die durchschnittliche Schmerztherapie durchschnittlich bei 70. Nach zwei Jahren lag der Wert in der Orthokin-Gruppe bei 30, in der Hyaloron-Gruppe bei 39, in der Plazebo-Gruppe bei 37. Studienarzt Carsten Moser: „Die Orthokin-Therapie ist eine sichere und lang wirksame Alternative zu den herkömmlichen Behandlungsmethoden.“ Die Therapie wurde von dem Orthopäden Prof. Dr. Peter Wehling und Molkularbiologen Dr. Julio Reinecke entwickelt. Sie basiert auf den Erkenntnissen über die biologischen Mechanismen der Arthrose und Schmerzentstehung. Bei Arthrose wird u.a. das Protein Interleukin-1 freigesetzt, das für den Aufbau der Knorpelmasse mitverantwortlich ist. Um diesen Prozess zu beruhigen bzw. zu stoppen wird der biologische Gegenspieler InterGERIATRIE JOURNAL 6/08 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N leukin-1-Rezeptorantagonist eingesetzt. Dieser neutralisiert und wirkt entzündungshemmend, schmerzlindernd und knorpelschützend. Beim Orthokin-Verfahren werden verschiedene Proteine und Wachstumsfaktoren aus dem Blut des Pa- tienten gewonnen und in das erkrankte Gelenk gespritzt. Quelle: Stiftung Molekulare Medizin, Düsseldorf, Pressemitteilung vom 4. August 2008; www.momi.de Schmerztherapie Hochwirksames Schmerzmedikament verbessert Lebensqualität um 50% Auf dem 12. World Congress of Pain, der im August in Glasgow, Schottland, stattfand, referierten Schmerzexperten über aktuelle Entwicklungen in der Schmerztherapie. Ulf Schutter, Schmerzexperte aus Marl, verwies hier auf das neue Medikament Targin® als Analgetikum der Wahl für Patienten mit starken Schmerzen. Er präsentierte eine große, nicht-interventionelle Multicenterstudie. Mehr als 7.800 Patienten, davon 1.963 opioid-naiv und 5.849 mit einem Opioidagonisten vorbehandelt, litten hier an starken Schmerzen des Bewegungsapparates. Sie waren überwiegend durch degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule verursacht worden. 58% der naiven und 35% der vorbehandelten Patienten beurteilten die Wirksamkeit ihrer analgetischen Vorbehandlung als schlecht oder sehr schlecht. Auch die Verträglichkeit bewerteten 25% der naiven und 22,5% der vorbehandelten Patienten ebenso wie die Wirksamkeit. Die Patienten wurden auf Targin eingestellt. Innerhalb einer 4-wöchigen Beobachtungsphase gab es folgende Ergebnisse: Die Darmfunktion der opioid-naiven Patienten verbesserte sich um 49%. Ihr Bowel Function Index (BFI), ein validierter Parameter zur Beurteilung klinisch relevanter Darmfunktions-Unterschiede, reduzierte sich um 12 Punktwerte, im vorbehandelten Kollektiv nahm er sogar um 27 Punktwerte ab. Das entspricht einer um 63% verbesserten Darmfunktion. Auch Symptome wie Übelkeit oder Schwindel verringerten sich im naiven Kollektiv um knapp die Hälfte. Schutter erklärt dieses Ergebnis so: „Werden starke Schmerzen nicht ausreichend gelindert, produziert der Körper Endorphine. DieGERIATRIE JOURNAL 6/08 se Neuropeptide binden an die gleichen Rezeptoren wie exogen verabreichte Opioide. Sie können beispielsweise auch im Darm andocken und eine opioid-induzierte Obstipation verursachen. Das neue Medikament blockiert diese Rezeptoren, der Mechanismus muss jedoch noch wissenschaftlich belegt werden.“ Nach 4-wöchiger Behandlung der Patienten mit Targin waren die Patienten gut eingestellt. Die Schmerzstärke reduzierte sich im naiven Kollektiv von NRS 5,9 auf 3,3, in der vorbehandelten Gruppe von 5,5 auf 3,3. Die hohe analgetische Wirksamkeit der Fix-Kombination zeigt auch eine Metaanalyse klinischer Phase II und III-Studien mit Untersuchungszeiträumen von bis zu einem Jahr von Karen Simpson, Leeds, England und PD Dr. Winfried Meißner, Jena. In der von Schutter präsentierten Multicenter-Studie nahm auch die Lebensqualität aller Patienten deutlich um 50% zu. Der Summenscore der Beeinträchtigung verringerte sich um insgesamt 21,1 Punkte. Die Fähigkeit zu arbeiten, soziale Kontakte zu pflegen und Lebensfreude zu empfinden verdoppelte sich. 90% der behandelnden Ärzte beurteilten die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Targin mit gut und sehr gut. Literaturauswahl: 1. Symposium „Advanicng the field in pain medicineintegrating agonists and antagonists“, 12th world Congress on Pain, 17.-22.8.08, Glasgow, Schottland 2. Presse-Roundtable „Targin® schafft Lebensqualität – Neue Daten bestätigen starke Wirksamkeit und überlegene Verträglichkeit“, veranstaltet von Mundipharma am 20. August 2008 im Rahmen des 12th World Congress on Pain, International Association for the Study of Pain (IASP), 17.-22. August 2008, Glasgow, Schottland 3. Simpson K. et al: Analgetic efficacy of oxycodone in combination with naxalone as prologed release (PR) tablets in patients with moderate to severe chronic pain. Poster PT 226, 12th World Congress on Pain, International Association for the Study of Pain (IASP), 17.-22. August 2008, Glasgow, Schottland Quelle: Mundpharma Vertriebsgesellschaft mbh & Co. KG, Limburg a.d. Lahn, 20. August 2008; www.mundipharma.de Typ-2-Diabetes Inkretinkonzept mit neuer Generation von Antidiabetika Mit einer neuen Kombinationstherapie für Typ-2-Diabetiker kann jetzt HbA1c effektiv gesenkt werden, ohne dabei das Risiko für Hypoglykämien zu erhöhen. Die orale Zufuhr von Glukose hat eine höhere Insulinsekretion zur Folge als die intravenöse Glukose-Zufuhr. Dieser sog. Inkretin-Effekt ist bei Typ-2-Diabetikern vermindert. Er ist zurückzuführen auf die Freisetzung der gastroindestinalen Peptidhormone Glucagon-Like Peptide1 (GLP-1) und Glucose-dependet Insulinotropic Peptide (GIP). Beide Hormone stimulieren die Insulinsekretion der Betazellen im Pankreas und hemmen die Glukagonbildung der Alphazellen. Bei Typ-2-Diabetikern wird GLP-1 nur noch vermindert ausgeschüttet, es wird weniger Insulin produziert und mehr Glukagon gebildet. GLP-1 kann durch seine kurze Halbwertzeit schwer substitiuiert werden. An diesem Punkt setzen die Wirkprinzipien der neuen Antidiabetika an. Synthetisch hergestelltes Inkretinmetikum (Exenatide) ahmt GLP-1 nach. Das Medikament bindet an den GLP-1-Rezeptor und aktiviert ihn. Gleichzeitig schützt der DDP-4-Hemmer Sitagliptin GLP-1 vor dem Abbau. 41 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N Beide Substanzen sind in Kombination mit Metformin, einem Sulfonylharnstoff, zugelassen. Exenatide senkt den HbA1cWert durchschnittlich zwischen 0,8 und 1,1%, Sitagliptin um 0,8%. Ein Unterschied ist die Gewichtsreduktion zwischen 1,6 und 2,8 kg unter dem GLP-1-Analogon. Exenatide muss 2-mal täglich subku- Hypertonie 25% weniger Schlaganfälle durch Blutdrucksenker Der Blutdrucksenker Losartan senkt das relative Schlaganfallrisiko um 25% bei Bluthochdruckpatienten. Die Wirksamkeit dieses Medikamentes bestätigte sich in der Life-Studie. Hier nahmen 9.193 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Hypertonie und im EKG diagnostizierter linksventrikulärer Hypertrophie (LVH) teil. Der mittlere Ausgangswert der Patienten lag bei 174/98 mmHg. Die Wirksamkeit der losartanbasierten Therapie wurde in der Studie der atenololbasierten gegenüber gestellt. Die hohe Wirksamkeit von Losartan führte dazu, dass Lozaar Protect® in den Wirkstärken 50 und 100 mg jetzt auch zur Verringerung des Schlaganfallrisikos bei Hypertonikern mit linksventrikulärer Hypertrophie zugelassen ist. Der Hersteller verweist darauf, dass zu Losartan inzwischen mehr als 7.000 Studien vorliegen. Es steht für vier Anwendungsgebiete zur Verfügung: essentielle Hypertonie, chronische Herzinsuffienz (für Patienten älter als 60 Jahre, die nicht mit einem ACE-Hemmer eingestellt sind), diabetische Nierenerkrankung (mit einer Proteinurie > 0,5 g/Tag) und Reduktion des Schlaganfalls. Quelle: Presseinformation der MSD Sharp & Dohme GmbH vom November 2008, Haar; www.msd.de Tumortherapie Misteltherapie steigert Lebensqualität bei Tumorpatienten In Frankfurt traf sich eine Expertenkonferenz mit dem Ziel, die Misteltherapie bei Tumorpatienten aus praktischer Sicht zu vereinfachen. Das Treffen stand unter der Schirmherrschaft des Kieler H.G. Creutzfeldt Institutes. Die Misteltherapie reduziert Nebenwirkungen einer Chemo/Strahlentherapie und verbessert die Lebensqualität der Patienten. Fachleute aus Klinik und Praxis stellten auf der Konferenz Praxisleitlinien in Form eines Thesenpapieres auf, denn die Therapie gilt mitunter als schwierig und die Wirtsbaumwahl teilweise als undurchsichtig. Die Experten stellten einleitend fest: Mistelpräparate können prinzipiell in allen Phasen der Tumortherapie ergänzend zur onkologischen Standardtherapie eingesetzt werden. Dabei soll sie unmittelbar nach der Diagnosestellung beginnen, 42 um die Verträglichkeit der Strahlen- und Chemotherapie zu verbessern. Die Fachleute waren sich einig, dass die übliche subkutane Applikation zur Immunmodulation, zum DNA-Schutz gesunder Zellen während der Chemotherapie und insgesamt zur Verbesserung der Lebensqualität führt. Die Mistelgesamtextrakte stammen von verschiedenen Viscum album-Unterarten und haben unterschiedliche biochemische Zusammensetzungen und somit auch Unterschiede in den pharmakologischen Wirkungen. Das Tannenmistelpräparat Helixor A ist grundsätzlich für eine Initialtherapie und besonders für Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand. Für eine stärkere Immunstimulation gibt es das Apfelmistelpräparat Helixor M. Lässt die Wirksamkeit dieser beiden Arzneimittel tan injiziert werden, Sitagliptin kann täglich als 100 mg-Tablette verabreicht werden. Dazu Prof. Dr. Thomas Haak, Bad Mergentheim: „Wenn die Metformin-Monotherapie nicht den gewünschten Erfolg zeigt, sollte man frühzeitig Sitagliptin dazugeben, um den Blutzucker effektiv zu senken. Ist der HbA1c-Wert bereits zu hoch (ab 10%) zeigt auch diese Kombinationstherapie möglicherweise nicht mehr den gewünschten Effekt. In diesem Fall ist die Therapie mit Exenatide eine Alternative. Das Inkretinkonzept bietet mehr Möglichkeiten für maßgeschneiderte Therapien.“ Quelle: 1. Pre-Session der Berlin-Chemie AG „Inkretine – Inkretinschutz und DPP-4-Hemmer“ anlässlich der 43. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellscahft, München, 29. April 2008 2. http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/ redaktion/mitteilungen/leitlinien/DDG_LL_T2D_200 8_04_14_Diskussionseenteurf.pdf Quelle: Berlin-Chemie AG, Berlin; Pressemitteilung vom Juli 2008; www.berlin-chemie.de im Laufe der Therapie nach, gibt es das lektinreichste Mistelpräparat aus der Kiefernmistel Helixor P. Für eine optimierte Therapie muss die Dosierung von Mistelgesamtextrakten dem Krankheitsverlauf des einzelnen Patienten angepasst werden. Aus diesem Grund ist eine Standarddosierung nicht sinnvoll, sondern eine schrittweise Dosiseskalation empfehlenswert. Die Misteltherapie sollte bis zur optimalen Patientenreaktion (z.B. Lokalreaktion < 5 cm an der Injektionsstelle oder ein Temperaturanstieg > 0,5°C) gesteigert werden. Mit der so ermittelten Dosierung erfolgt eine anschließende Erhaltungstherapie. Die Behandlungsdauer beträgt in der adjuvanten Tumortherapie fünf Jahre, in der palliativen ist sie zeitlich unbegrenzt, solange der Patient davon profitiert. Quelle: Expertenkonferenz „HelixorTherapie bei soliden Tumoren“ vom 19.3.2008 in Frankfurt. Veranstalter: H.G. Creutzfeldt-Institut, Kiel, www.creutzfeldt-institut.com GERIATRIE JOURNAL 6/08 IMPRESSUM/TERMINE Impressum Herausgeber: Prof. Dr. Dr. med. G. Kolb, Lingen; Prof. Dr. med. I. Füsgen, Wuppertal; Prof. Dr. med. C. Sieber, Nürnberg; Prof. Dr. med. B. Höltmann, Grevenbroich; Prof. Dr. R. Hardt, Trier; PD Dr. M. Haupt, Düsseldorf; Prof. Dr. D. Lüttje, Osnabrück Redaktion: Jola Horschig (Ltd. Redakteurin, presserechtlich verantwortlich), Im Kampe 9, 31832 Springe, Telefon: 0 50 41 / 98 90 58, Telefax: 0 50 41/ 98 90 59, eMail: [email protected] Herstellung: Sabine Löffler (verantwortlich) Grafik: Sabine Löffler (verantwortlich) Verlag: gerikomm Media GmbH, Winzerstr. 9, 65207 Wiesbaden Verlagsleiter: Reiner Münster, Telefon: 0 61 22 / 70 52 36, Telefax: 0 61 22 / 70 76 98, eMail: [email protected] Anzeigen: Reiner Münster, Telefon: 0 61 22 / 70 52 36, Telefax: 0 61 22 / 70 76 98, eMail: [email protected] Zur Zeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 1 vom 01.01.2004 Anzeigenschluss: 3 Wochen vor Erscheinen Rechte: Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mirkoverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag behält sich das ausschließliche Recht der Verbreitung, Übersetzung und jeglicher Wiedergabe auch von Teilen dieser Zeitschrift durch Nachdruck, Fotokopie, Mikrofilm, EDVVerwertung on- und off-line, Funk- oder Fernsehaufzeichnung vor. Jede gewerblich hergestellte oder benutzte Fotokopie verpflichtet nach Paragraph 54 (2) UrhRG zur Gebührenzahlung an die VG Wort, Abt. Wissenschaft, Goethestr. 49, 80336 München, von der die Modalitäten zu erfragen sind. Hinweise: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen vor allem von Neuzulassungen sollten in jedem Fall mit den Beipackzetteln der verwendeten Medikamente verglichen werden. Alle Informationen werden nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für die Richtigkeit gegeben. Vertrieb: gerikomm Media GmbH, Reiner Münster, Telefon: 0 61 22 / 70 52 36, Telefax: 0 61 22 / 70 76 98 Bezugspreise: Jahresbezugspreise für 6 Ausgaben inkl. Versandkosten: Inland: Euro 42,– Ausland: Euro 46,– Studenten/AiP (gegen Vorlage einer Bescheinigung): Inland: Euro 28,– Studenten/AiP (gegen Vorlage einer Bescheinigung): Ausland: Euro 32,– Institutionen: Euro 62,– Einzelheft: Euro 12,– Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Gerichtsstand und Erfüllungsort: Wiesbaden Druck: Verlag Gödicke Druck & Consulting, Hannover © gerikomm Media 2008 Druckauflage: 5.500 Exemplare GERIATRIE JOURNAL 6/08 ISSN 1439-1139 V. Quartal 2008 Termine 2008 @ 16. – 17. Januar 2009 – Block 1 @ 13. – 14. Februar 2009 – Block 2 @ 20. – 21. März 2009 – Block 3 @ 5. – 6. Juni 2009 – Block 4 @ 26. – 27. Juni 2009 – Block 5 @ 10. – 11. Juli 2009 – Block 6 Basis-Kurs Altersmedizin (BKA) Informationen: Geriatrische Akademie Brandenburg e. V., c/o. Evangelisches Krankenhaus Woltersdorf, Organisationsmanagement, Schleusenstr. 50, 15569 Woltersdorf, Tel. 0 33 62/779 - 225/- 200, Fax: 0 33 62/779 - 225/- 209, eMail [email protected] @ 6. bis 8. Februar 2009, Bad Segeberg, Teil I 27. Februar bis 1. März 2009, Bad Segeberg, Teil II Zusatz-Weiterbildung Palliativmedizin Basiskurs Informationen: Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung, Petra Petersen, Esmarchstr. 4-6, 23795 Bad Segeberg, Tel. 0 45 51/803-166, Fax 0 45 51/803-194, eMail: [email protected], www.aeksh.org @ 13./14. Februar 2009, Bad Staffelstein „... es hat uns nicht geschadet!?“ – Psychotherapie der Nachkriegsgeneration 5. Nordbayerische Tagung für verhaltenstherapeutische Medizin Informationen: Klinikum Staffelstein, Gerontopsychosomatik, Sekretariat, Am Kurpark 11, 96231 Bad Staffelstein, Tel. 0 95 73/56-543, Fax 0 95 73/56-749, eMail: [email protected] @ 13./14. Februar 2009, Hamburg „Alt, körperlich krank und depressiv – und dann?“ 8. Hamburger Symposium „Aktuelle Konzepte der Altersmedizin“ Informationen: Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg, Zentrum für Ältere, Abt. für Med. Geriatrie, Chefarzt Dr. Peter Flesch, Langenhorner Chaussee 550, 22419 Hamburg, Tel. 0 40/18 18 87-23 14/23 12, Fax 0 40/18 18 872052, eMail: [email protected], www.asklepios.com/klinikumnord @ 1. – 3. April 2009, Bournemouth (UK) British Geriatrics Society – Spring Meeting Informationen: British Geriatrics Society, Marjory Warren House, 31 St John's Square, London EC1M 4DN, Tel: + 44 (0)20 7608 1369, Fax + 44 (0)20 7608 1041, www.bgs.org.uk/Notices/bgs_conferences.htm @ 6. bis 9. Mai 2009, Wien 4. gemeinsamer Österreichisch-Deutscher Geriatriekongress Informationen: Ludwig-Boltzmann-Institut für angewandte Gerontologie, Ilse Howanietz, Apollogasse 19, A-1070 Wien, Tel: +43/1/52 103-5770, Fax +43/1/52 103-5779, eMail: [email protected], www.geriatrie-online.at @ 24. – 26. September 2009, Göttingen 100 Jahre jung: Geriatrie für die Zukunft. 19. Kongress der DeutschenGesellschaft für Geriatrie (DGG) Informationen: Reiner Münster, Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und gerikomm Media GmbH, Winzerstr. 9, 65207 Wiesbaden, Tel. 0 6122/70 52 36, Fax 0 61 22/70 76 98, eMail: [email protected] 43