Ambulante Geriatrie Psychologie Ambulante Geriatrie Psychologie

Werbung
H 64122
ISSN 1439-1139
6/2008
Dezember
10. Jahrgang
Ambulante Geriatrie
Psychologie
@ G E R I AT R I S C H E S S C R E E N I N G
Check-up-75+
@ STURZPROPHYLAXE
Lesen Sie mehr
dazu ab
Seite 13
Sturzprävention im hausärztlichen Bereich
@ PSYCHOTHERAPIE
Therapie-Indikation im Alter
@ PT S D
Spätfolgen von Kriegserlebnissen
www.gerikomm.de
EDITORIAL
S
eit fast 20 Jahren gibt es für Erwachsene ab dem 36. Lebensjahr die Möglichkeit der kassenärztlichen Vorsorgeuntersuchung. Sie dient dem Ziel, Krankheiten frühzeitig zu erkennen, berücksichtigt
jedoch nicht die Besonderheiten älterer Menschen. Ideal wäre ein Check-up-75+, dessen
Durchführung sich allerdings in der Hausarztpraxis auch aus organisatorischen Gründen
schwierig gestaltet. Hier bietet sich, wie Dr.
Thomas Hermens in seinem Artikel ab Seite
13 beschreibt, das geriatrische Screening nach
Lachs an. Es beinhaltet die häufigsten Problembereiche älterer Menschen und ist in Abhängigkeit von der Kooperationsfähigkeit des
Patienten in 5-12 Minuten durchzuführen.
Stürze bilden für ältere Menschen die Unfallursache Nr. 1 und sind oftmals der Beginn
eines körperlichen Abbaus. Sie haben Ursachen, die speziell im Alter meist das Ergebnis
verschiedener Faktoren sind. Um diese aufzuspüren, sollten, wie Dr. Uwe Heinen und
Prof. Ingo Füsgen in ihrem Beitrag ab Seite
20 berichten, neben einem geriatrischen Assessment mit Einschätzung der Sturzgefährdung Präventionshausbesuche und Verlaufsassessments durchgeführt werden. Dies ist
dringend notwendig, doch in der Praxis
schwierig umzusetzen. Zum einen fehlen entsprechende Leitlinien, zum anderen ist die
Kostenübernahme für präventive Maßnahmen und Präventionsbesuche bisher nicht
ausreichend geklärt.
Stürze können, wie Dr. Martin Runge in
seinem Artikel ab Seite 24 schreibt, ein Zeichen
dafür sein, dass das lokomotorische System gestört ist. Häufig sind sie das Ergebnis eines
altersassoziierten Abbaus von Muskeln und
neuromuskulärer Kompetenz. In seinem Beitrag gibt er Hinweise zur Diagnose und welche therapeutischen Konsequenzen aus einem
Sturzrisikoassessment abgeleitet werden können.
Mit der palliativen Therapie bei weit fortgeschrittener Herzinsuffizienz befassen sich
Dr. Jürgen Heins und Dr. Mathias Pfisterer.
Der Verlauf der Erkrankung ist schwer vorhersehbar, kann jedoch mit
evidenzbasierter Medizin erheblich beeinflusst werden. In
ihrem Beitrag (Seite 28) beschreiben sie Symptome sowie
Möglichkeiten zur Behandlung.
Ältere Menschen sind in der
psychotherapeutischen Versorgung deutlich unterrepräsentiert, obwohl von den gleichen Prävalenzzahlen auszugehen ist wie bei Erwachsenen
mittleren Alters. Prof. Gereon
Heuft erläutert in seinem Artikel psychische
Störungen, die erstmals nach dem 60. Lebensjahr auftreten und bei entsprechender Behandlung auf Grund der kurzen Symptomdauer oft eine gute Prognose haben (Seite 32).
Mit psychischen Erkrankungen ehemaliger
Kriegskinder beschäftigt sich Georgia Böwing.
In Deutschland leben derzeit 14 Mio. Menschen über 60 Jahre, die in ihrer Kindheit und
Jugend die Auswirkungen eines Krieges hautnah erlebt haben. Viele von ihnen leiden an
psychischen Langzeitfolgen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, eine systematische Forschung
erfolgte jedoch erst in den letzten Jahren. Die
Autorin berichtet über drei Studien, die den
Bezug zwischen aktueller psychotischer Symptomatik und Kriegstraumatisierung aufzeigen
(Seite 35).
Eine informative Lektüre wünscht Ihnen
Jola Horschig
Redakteurin GERIATRIE JOURNAL
Foto: OlgaLIS – Fotolia.com
Ambulante Geriatrie,
Palliativmedizin, Psychologie
I N H A LT
EDITORIAL
Foto: Grünes KreuzFoto: AOK Mediendienst
Ambulante Geriatrie, Palliativmedizin, Psychologie
Jola Horschig, Springe
Für Gesundheitscheck älterer Patienten bietet sich hier das geriatrische
Screening nach Lachs an. Es beschreibt Schwierigkeiten, Störungen
oder Risiken, die für die weitere
Behandlungsplanung und den
weiteren Behandlungsverlauf von
Bedeutung sein können.
Seite
3
NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN
Wichtige Informationen in Kürze
6
L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T
Vorsorge in den USA: Versicherungsstatus und Morbiditätsrisiko
Alternstheorien und Frailty:
Die Rolle proteolythischer Enzyme und des oxidativen Stoffwechsels
Schlaganfall: Bleibende Schädigungen
Akute myeloische Leukämie: Myelopoetische Wachstumsfaktoren
10
10
11
12
13
A K T U E L L : G E R I AT R I S C H E S S C R E E N I N G
Check-up-75+
Thomas Hermens, Wesel
13
A K T U E L L : G E R I AT R I E - G E S P R Ä C H E
Foto: www.pixelio.de
Alter-(s)-Zeit
Das Thema „Zeit“ bildete den inhaltlichen Schwerpunkt der 2. Starnberger interdisziplinären GeriatrieGespräche. Rund 70 Ärzte, Psychologen, Psychiater und leitende
Pflegekräfte nahmen an der
Veranstaltung teil.
Seite
15
Titelbild
Foto: Sebastian Kaulitzki –
Fotolia.com
4
15
AKTUELL: LEUCHTTURMPROJEKT DEMENZ
Die besten Wege finden – Teil 1
17
A M B U L A N T E G E R I AT R I E : S T U R Z P R O P H Y L A X E
Sturzprävention im ambulanten hausärztlichen Bereich
Uwe Heinen, Mühlheim/Ruhr und Ingo Füsgen, Wuppertal
20
F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N
Der Sturz als Zeichen des Gebrechlichkeits-Syndroms
Martin Runge, Esslingen
24
GERIATRIE JOURNAL 6/08
I N H A LT
K A R D I O LO G I E : H E R Z I N S U F F I Z I E N
Palliative Therapie bei weit fortgeschrittener Herzinsuffizienz
Mathias H.-D. Pfisterer und Jürgen Heins, Darmstadt
28
PSYC H O LO G I E : PSYC H OT H E R A P I E
Therapie-Indikation im Alter
Gereon Heuft, Münster
32
Kriegskinder und posttraumatische Belastungsstörungen
Georgia Böwing, Röbel
35
Foto: DSH
G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D
Die rechtzeitige Einleitung der
geriatrischen Rehabilitation bei
Patienten mit Frailty-Syndrom
gehört zu den Kernaufgaben des
ambulanten Gesundheitssystems.
Seite
P U B L I K AT I O N E N : B Ü C H E R
Personzentrierte Beratung und Therapie • Gerontopsychologie •
Psychotherapie im Alter
24
39
P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N
40
40
41
41
42
42
DIVERSES
Termine/Impressum
GERIATRIE JOURNAL 6/08
43
Foto: Sebastian Kaulitzki – Fotolia.com
Herz- und Gefäßerkrankung: Weniger kardiovaskuläre Ereignisse bei
Hochrisikopatienten durch AT1-Blocker
Arthrose: Körpereigene Therapie wirkt auch nach zwei Jahren
gegen Knie-Arthrose
Schmerztherapie: Hochwirksames Schmerzmedikament verbessert
Lebensqualität um 50%
Typ-2-Diabetes: Inkretinkonzept mit neuer Generation von Antidiabetika
Hypertonie: 25% weniger Schlaganfälle durch Blutdrucksenker
Tumortherapie: Misteltherapie steigert Lebensqualität
bei Tumorpatienten
Die Herzinsuffizienz zählt zu den
häufigsten internistischen Erkrankungen. Der Artikel gibt Hinweise
zur palliativen Behandlung bei weit
fortgeschrittener Erkrankung.
Seite
28
5
NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN
Diabetiker mit strukturiertem
Behandlungsprogramm leben länger
Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2
gibt es deutlich weniger Todesfälle, wenn
sie an einem strukturierten Behandlungsprogramm (Disease-ManagementProgramm, DMP) teilnehmen. Das belegen Ergebnisse einer bundesweiten Studie (ELSID), die DMP-Teilnehmer und
Patienten in der Regelversorgung vergleicht. Die Studie wird an der Universität Heidelberg in Kooperation mit dem
AOK-Bundesverband durchgeführt.
Die Daten der Patienten sind über einen Zeitraum von 2,5 Jahren beobachtet worden. Teilgenommen haben 2.300
ältere Patienten, die in 85 Hausarztpraxen in Sachsen-Anhalt und RheinlandPfalz behandelt wurden. Die Kontrollgruppe umfasste 8.799 Diabetiker aus
337 Praxen. Alle Patienten wurden mit
antidiabetischen Medikamenten behandelt. Die ELSID-Studie startete 2005.
Hier flossen medizinische Daten, aber
auch gesundheitsökonomische Parameter
wie Verordnungen oder Klinikeinweisungen ein.
Dr. Frank Neumann Chefarzt
im Krankenhaus Gottesfriede
Dr. Frank Neumann ist seit 1. September 2008 Ärztlicher Leiter und
Chefarzt des Evangelischen Krankenhauses „Gottesfriede“ Woltersdorf.
Er ist Internist
und Geriater
mit Zusatzqualifikationen in
den Gebieten
Physikalische
Therapie, Palliativmedizin und
Ärztliches Qualitätsmanagement und war
zuvor als leitender Oberarzt im
Zentrum für
Geriatrie und Frührehabilitation des
Krankenhauses St. Joseph Stift in
Bremen tätig.
Quelle: Evangelisches Krankenhaus
„Gottesfriede“ Woltersdorf
6
Nach ersten Ergebnissen der Studie lag
die Sterblichkeitsrate bei älteren Diabetikern im DMP mit 10,9% deutlich niedriger (versus 18,8%).
Bei weiteren Überprüfungen bestätigte sich der Unterschied. So wurden eine
Teilgruppe von DMP-Patienten mit Regelversorgten gleichen Alters und Geschlechts verglichen. Hier verstarben bei
DMP-Teilnehmern 9,5%, in der Kontrollgruppe waren es 12,3%. Dazu Prof.
J. Szecsenyi vom Universitätsklinikum
Heidelberg: „Die regelmäßigen Unter-
suchungstermine und die Vereinbarung
von Therapiezielen in Kombination mit
Schulungen und gezielten Informationen für Patienten und Ärzte tragen möglicherweise dazu bei, dass gesundheitliche
Komplikationen und Probleme bei den
Patienten vermieden oder schneller erkannt werden.“
Die DMP-Programme sind 2003 in
Deutschland eingeführt worden, um die
Versorgung von chronisch kranken Patienten zu verbessern. Insgesamt nehmen
2,3 Mio. Versicherte an den Behandlungsprogrammen teil.
Quelle: AOK-Bundesverband, Bonn;
www.aok-bv.de
Senioren schlucken zu viele Pillen
Senioren nehmen oft mehr als acht verschiedene Medikamente pro Tag, registrierten Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover. Das ist zu viel, denn
nicht wenige geraten dadurch in Gefahr.
Noch dazu sind einige der Mittel unnötig, warnen die Experten. Je mehr verschiedene Medikamente ein Patient einnimmt, desto öfter treten ungünstige
Wechselwirkungen auf.
Die Ergebnisse der Studie stellte die
Gruppe um Peter Mand in der Zeitschrift
für Allgemeinmedizin vor. Bei über 70.000
Patienten aus 47 deutschen Praxen wurde geprüft, wie häufig verschiedene Medikamente pro Tag eingenommen wurden. Bei mehr als 50% der 75- bis 84-Jährigen waren es mehr als acht Arzneimittel.
Dabei nimmt jeder fünfte ein unangemessenes Medikament. Betroffen seien
insbesondere Frauen, so die Experten.
Quelle: Zeitschrift für Allgemeinmedizin, 2007, 82, 1-24
Weniger Druckgeschwüre in
Heimen und Kliniken
Bei Pflegeheimbewohnern und Klinikpatienten nahm im Jahr 2008 die Häufigkeit des Dekubitus-Druckgeschwürs
weiter deutlich ab. Dies ist das Ergebnis
einer aktuellen Studie der Berliner Charité. Litt 2002 ein Viertel der untersuchten Klinikpatienten in Deutschland an
Druckgeschwüren, sind es nun knapp
13%. In Pflegeheimen ging die Quote
von 17 auf 7% zurück.
Die Ergebnisse basieren auf der jährlichen Erhebung des Instituts für Medizin-/Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft am Campus Charité Mitte. Im
April 2008 haben die Forscher dafür
6.500 Bewohner und Patienten in 37
Pflegeheimen und 19 Krankenhäusern
genau untersucht. Die beteiligten Häuser hatten sich freiwillig gemeldet.
An der Untersuchung 2009 können
sich jetzt Pflegeheime mit mehr als 50 Bewohnern und Kliniken mit über 100 Patienten beteiligen. Alle Teilnehmenden
erhalten einen detaillierten Bericht, wie
es in ihrem Hause um die Qualität bei
zentralen Pflegeproblemen wie Sturz oder
Dekubitus bestellt ist. Eine Auswertung
der Qualität auf den einzelnen Stationen
ist enthalten.
Quelle: Charité, Berlin;
www.charite.de
GERIATRIE JOURNAL 6/08
NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN
LUCAS in der Metropolregion Hamburg
In einem bundesweit bisher einmaligen
Projekt wird derzeit in Hamburg das Leben alter Menschen erforscht. Unter der
Frage „Wie altern wir?“ sollen in sieben
Bereichen alle Zielgruppen in der älteren
Bevölkerung befragt werden. Dabei geht
es auch um die Frage „Wie viel Heimversorgung brauchen wir“ oder gibt es bes-
© Albertinen-Haus, Forschungsabteilung 2007
(TP = Teilprojekt)
Konzept der Longitudinalen Urbanen Cohorten-Alters-Studie (LUCAS).
sere, unabhängige Wohnformen. Die Ergebnisse dieses „LUCAS“ genannten interdisziplinären Forschungsverbundes (Longitudinal Urban Cohort Ageing Study)
sollen bis 2010 vorliegen. Der Bund fördert das Projekt mit 2 Mio. Euro.
Der LUCAS-Verbund besteht aus fünf
universitären, universitätsassoziierten und
nicht universitären Arbeitsgruppen. In
sieben Teilprojekten und drei Kohorten
älterer Menschen in Hamburg wird an
Fragen zur Gesundheitsförderung, der
Vermeidung des Fortschreitens bestehender Erkrankungen und von Komplikationen sowie Unterstützung bei der
Krankheitsbewältigung, Rehabilitation
und pflegerischen Unterstützung gearbeitet.
Allein in Hamburg leben 420.000
Menschen, die älter als 60 Jahre sind, davon 85.000 sogar älter als 80 Jahre. Der
weitaus größte Teil der Menschen lebt
selbstständig zuhause und nimmt aktiv
am gesellschaftlichen Leben teil.
Quelle: www.geriatrie-forschung.de
Neue Musiktherapien helfen Schlaganfallopfern
Opfer von Schlaganfällen können mit
zwei neuartigen Verfahren gezielt behandelt werden. Wissenschaftler der
Hochschule für Musik in Hannover haben eine Therapie entwickelt, die Patienten hilft, ihre Bewegungsfähigkeit mit
Musik wiederzuerlangen. Beim musikunterstützten Training (MUT) lernen sie,
auf elektronischen Trommeln und später
auf Klaviertastaturen einfache Melodien
zu spielen. So gewinnen sie langsam wieder Kontrolle über gelähmte Arme und
Finger. In ersten Studien an der Universität Magdeburg hat sich die MUT-Therapie als überlegen gegenüber herkömmlichen physiotherapeutischen Verfahren erwiesen. Nach 15 Sitzungen
zeigten MUT-Patienten eine deutlich bessere Bewegungsfähigkeit als die Patienten
der Vergleichsgruppe.
Auch bei Sprachstörungen nach einem
Schlaganfall kann Musik helfen. Viele
Patienten, die ihre Sprache verloren haben, können immer noch singen, auch
mit Text. Daran setzt die MIT-Therapie
GERIATRIE JOURNAL 6/08
(Musical Intonation Therapie) an. Ärzte
erklären den Erfolg der neuen Therapien
damit, dass Musik in anderen Gehirnbereichen verarbeitet wird als Sprache oder
Bewegungsfähigkeit. Der Patient lernt,
mit Musik befasste Hirnregionen mehr
zu nutzen. So ersetzt er vom Schlaganfall
zerstörte Teile des Denkorgans.
Quelle: Die Zeit, Hamburg; www.zeit.de
2. Essener Wintertreffen Altersmedizin
Am 17. Januar 2008 führen die beiden
geriatrischen Kliniken in Essen und die
Geriatrische Akademie e.V. Essen im
Blumenhof im Gruga-Park das 2. Essener Wintertreffen Altersmedizin durch.
Die Veranstaltung berührt Grenzbereiche zwischen den einzelnen Fachdisziplinen und zeigt auf, wie wichtig die
interdisziplinäre Zusammenarbeit in
der altersmedizinischen Versorgung
ist. Das Wintertreffen ist von der Ärztekammer Nordrhein zertifiziert und mit
4 Punkten bewertet.
Vorgesehen sind folgende Themen:
@ Demenz und Depression – Gemeinsamkeiten u. Unterschiede, Prof. Dr.
Jens Wiltfang
@ Alter und Sucht, Priv.-Doz. Dr. Martin
Schäfer
@ Autofahren im Alter, Prof. Dr. Pasquale Calabrese
@ Urologische Probleme des älteren
Diabetikers, Prof. Dr. med. I. Füsgen
Die Moderation obliegt Prof. Dr. Hans
Georg Nehen und Dr. Helmut Frohnhofen.
Informationen: Dr. med. H. Frohnhofen, Zentrum für Altersmedizin,
Kliniken-Essen-Mitte, Knappschaftskrankenhaus, Am Deimelsberg 34a,
45276 Essen, eMail: h.frohnhofen@
kliniken-essen-mitte.de
7
NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN
Arthrose: Die meisten Therapien helfen nicht
Die Wirksamkeit von Arthrosebehandlungen ist unter Fachleuten sehr umstritten. Manche Therapien müssen sogar als unwirksam oder teilweise als riskant eingeschätzt werden.
So lauten die Ergebnisse einer großangelegten Untersuchung der Ärzte Carsten Moser vom Grönemeyer Institut für
Mikrobiologie, Bochum, und Prof. Dr.
Peter Wehling, Stiftung für Molekulare
Medizin, Düsseldorf. Sie stellten ihre
Resultate Ende Oktober auf dem Orthopädenkongress in Berlin dem Fachpublikum vor.
Die Wissenschaftler untersuchten in einer Metaanalyse die weltweit zur Verfügung stehende Literatur nach verschiedenen Fragestellungen. Sie werteten insgesamt 21 nationale und internationale
Leitlinien, 60 Übersichtsarbeiten und
300 aktuelle randomisierte, klinische
Studien aus.
Zunächst beschäftigten sie sich mit der
Frage, bei welcher Therapie gegen KnieArthrose ein wissenschaftlicher Nachweis der Wirksamkeit vorliegt. Die Ergebnisse waren ernüchternd: „Es zeigte
sich für die bei Arthrose sehr häufig verabreichten Antirheumatika eine sehr niedrige Wirksamkeit bei überraschend hohen Nebenwirkungen“, so Prof. Wehling. „Die Auswertung aller Studien
macht deutlich, dass es bei Arthrose keine Standardtherapie gibt. Vielmehr ist ein
individuell auf jeden Patienten abgestimmtes Behandlungskonzept auf Basis
einer gründlichen Diagnostik gefragt“,
erklärte Carsten Moser.
Die Ergebnisse sind überraschend, weil
sie an den Grundfesten der klassischen Behandlungsmethoden rütteln. Nach der
Literaturauswertung stellten die Wissenschaftler fest: Gewichtsreduktion, Muskelkräftigung und die Behandlung mit Injektionen schnitten vergleichsweise gut ab.
Andere Therapien, wie Behandlung mit
Medikamenten oder Gelenkspiegelung,
brachten wenig Erfolge, wenn man rein
nach wissenschaftlichen, standardisierten Beweisen geht. Insbesondere bei der
medikamentösen Therapie verbesserte
sich die Gelenkfunktion kaum. Hier fiel
vor allem die hohe Zahl von Nebenwirkungen, wie Magengeschwüre und er-
höhtes Herzinfarktrisiko, auf. MagenDarm-Blutungen verursachen allein in
Großbritannien jährlich den Tod von ca.
2.200 Patienten und 12.000 stationären
Notfallaufnahmen.
In Deutschland leiden rund 11 Mio.
Menschen an Arthrose, davon sind
5 Mio. von Arthrose am Knie betroffen.
Diese wird meist mit nichtsteroidalen
Antirheumatika (NSAR) behandelt. Bereits nach einem Jahr nehmen nur noch
15% der Arthrosepatienten auf Grund
der Nebenwirkungen diese Medikamente
weiter.
Quelle: Stiftung Molekulare Medizin,
Düsseldorf; www.momi.de
Pressemitteilung vom 23.10.2008
GeriNet Woltersdorf
Am 5. November 2008 haben 31 Mitgliedseinrichtungen des Geriatrienetzes GeriNet Woltersdorf die GeriNet
Woltersdorf GbR gegründet, um Verbindlichkeiten und Effizienz zu erhöhen sowie die Möglichkeiten der
Einflussnahme auf eine umfassende
qualitätsgerechte Versorgung älterer
multimorbider Patienten/Bewohner/
Klienten zu erweitern. Zweck der
GbR ist:
@ Sicherung einer umfassenden qualitätsgerechten Versorgung älterer
multimorbider Menschen – so viel
Lebensqualität wie möglich!
@ Effizienz in der Versorgung älterer
Menschen durch Bündeln und
Weiterentwickeln von Kompetenzen
sowie durch den Ausbau der Zusammenarbeit mit Politikern und
Kostenträgern.
Sicherung
einer qualitätsgerechten
@
Versorgung und kontinuierliche
Qualitätsverbesserung durch die
Entwicklung von Qualitätskriterien
(Struktur/ Prozess/ Ergebnis),
Qualitätszirkeln sowie weiterer Fortund Weiterbildungen.
Quelle: www.geriatrie-brandenburg.de
Dr. Ulrich Wedding an der Universität Jena habilitiert
Dr. Ulrich Wedding, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
und Mitglied der Arbeitsgruppe Geriatrische Onkologie in der DGG/DGHO,
hat sich im Fach Innere
Medizin an der Fakultät der
Universität Jena habilitiert
und wurde zum Privat-Dozenten ernannt.
Dr. Wedding hat an den
Universitäten Innsbruck,
Bochum und Heidelberg
8
studiert und zur „Zellulären Immunreaktion bei Patienten mit kolorektalem
Karzinom im Verlauf einer
aktiven spezifischen Immuntherapie mit einer autologen Tumorvakzine“ promoviert. Im Rahmen seiner
klinischen Tätigkeiten arbeitete er an der Medizinischen Klinik IV sowie an
der Klinik und Poliklinik
für Innere Medizin II Heidelberg, seit 2002 ist am
Universitätsklinikum Jena tätig. Hier war
er zunächst Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II und Oberarzt der Klinik für Geriatrie. Seit November 2008 ist er kommissarischer Direktor der Abteilung Palliativmedizin.
Dr. Wedding ist Mitglied der International Society für Geriatric Oncology
(SIOG) und Sprecher der Arbeitsgruppe „Geriatrische Onkologie“ der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG).
GERIATRIE JOURNAL 6/08
NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN
Ärzte sind überzeugt: Gute Medizin wird Luxus
Das Ende des Vertragsmonopols der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) naht.
Eine aktuelle Studie „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 2008“ von der Gesellschaft für Gesundheitsmarktanalyse befragte Ärzte, Zahnärzte und Psychologische Psychotherapeuten zu dieser neuen
Situation. An der von der Stiftung Gesundheit in Auftrag gegebenen Studie
nahmen 2667 Ärzte teil.
Die Ergebnisse: 80% der Ärzte erwarten, dass sich die medizinische Versorgung nicht verbessern wird. Nur 6% von
ihnen sind der Überzeugung, die Maßnahmen der Bundesregierung zur Steigerung des Wettbewerbs würden sich in dieser Hinsicht positiv auswirken.
Mehr als 75% halten eine Forcierung des
Wettbewerbs im Gesundheitsmarkt für
wahrscheinlich. Deutlich wird auch, dass
der Berufsstand negative Folgen für sich
und die Patienten fürchtet. 88% glauben,
gute Medizin wird künftig noch mehr eine Frage des Geldes sein. Die Krankenversicherer, so glauben die Ärzte, werden
in Zukunft die Arzthonorare drücken.
Logopäden verhelfen ParkinsonPatienten zu besserer Artikulation
Ein neues logopädisches Therapieverfahren aus den USA (Lee-Silverman-Voice-Treatment, LSVT) kann ParkinsonPatienten dazu verhelfen, besser zu kommunizieren. 90% dieser Patienten haben
Probleme mit dem Sprechen. Die Lautstärke ist stark reduziert, die Stimme
monoton und rau, die Artikulation ungenau oder das Sprechtempo viel zu
schnell. Zunehmend wird auch die Mimik eingefroren, was die Kommunikation
weiter erschwert.
Eine frühzeitige, gezielte LSVT-Therapie versetzt die Patienten in die Lage,
mit normaler Lautstärke zu sprechen.
Das Schlüsselwort der Methode ist: „Sei
laut!“. Trotz fortschreitender Krankheit
hält diese Fähigkeit zwei Jahre an, sofern
die Patienten die Übung beibehalten und
ihre Lautstärke immer wieder in halbjährlichen Abständen mit einer Logopädin auf das richtige Maß bringen.
Der Deutsche Bundesverband für Logopädie bietet entsprechende Fortbildungen an.
Quelle: Deutscher Bundesverband
für Logopädie; www.dbl-ev.de
Kooperation zur besseren Versorgung
von Demenzkranken
Janssen-Cilag und die AOK Rheinland/Hamburg haben ihre Kooperation
jetzt um die Indikation Demenz ausgeweitet. Der Vertrag unterstützt nach eigenen Angaben die Versorgung der betroffenen Patienten und Angehörigen auf
mehreren Ebenen:
@ die AOK Rheinland/Hamburg hat für
Demenz-Patienten ein rabattiertes Originalpräparat (Reminyl®). Die in diesem
Bereich bestehende Unterversorgung
wird verbessert.
@ Es gibt speziell entwickelte Versorgungsangebote, wie z.B. Serviceangebote zur
GERIATRIE JOURNAL 6/08
Unterstützung und Entlastung der Angehörigen,
@ Es wird auf eine frühzeitige Therapie der
Erkrankung hingearbeitet, um die Lebensqualität zu verbessern.
Die Behandlung und Versorgung von Patienten mit Demenzen wird eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre. In Deutschland leidet etwa eine Million Menschen darunter, zwei Drittel
davon an Morbus Alzheimer.
Quelle: Janssen-Cilag GmbH, Neuss;
www.janssen-cilag.de
63% sind überzeugt: das Gesundheitssystem wird kaum transparenter werden.
Quelle: Stiftung Gesundheit, Hamburg;
www.stiftung-gesundheit.de
Prof. Dr. Schulz wechselte
zur Kölner Uniklinik
Zum 1. Oktober hat Dr. Ralf-Joachim
Schulz die Chefarztposition im St.
Marien-Hospital Köln übernommen.
Darüber hinaus erhält er die erste
Professur für
Geriatrie an der
Medizinischen
Fakultät der
Universität zu
Köln.
Ralf-Joachim
Schulz durchlief
international
anerkannte
medizinische
Ausbildungsstationen: Nach
Studium und
Promotion in Heidelberg, forschte er
an der Harvard Medical School in
Boston und wechselte 1995 an die
Charité nach Berlin. Hier galt sein
besonderes Interesse der Inneren
Medizin, speziell der Gastroenterologie. Seine Forschungsschwerpunkte
waren außerdem Stoffwechselerkrankungen sowie Ernährungsmedizin. In den letzten Jahren war Dr.
Schulz als Oberarzt am Geriatriezentrum in Berlin tätig. Gleichzeitig blieb
er Mitglied der Charité-Forschungsgruppe für Geriatrie.
„Die Altersmedizin ist nicht nur ein
wichtiges Fachgebiet, sondern mit
Blick auf die demografische Entwikklung unsere Zukunft“, so Professor
Schulz. „Leider wurde auf diesem
Gebiet in der Vergangenheit zu wenig
Forschung betrieben, was sich auf
künftige Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bei einer überalterten
Gesellschaft auswirkt.“ Mit der neu
geschaffenen Stelle wollen die Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria als
Träger des St. Marien-Hospitals und
die Uniklinik eine neue Qualität in
Forschung und Behandlung für Menschen in und um Köln ermöglichen.
9
L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T
Vorsorge in den USA
Versicherungsstatus und
Morbiditätsrisiko
Das amerikanische Gesundheitssystem ist für seine Klassenmedizin bekannt. Dass
auch bei Tumorerkrankungen Zusammenhänge hinsichtlich Vorsorge- und Versorgungsqualität bestehen, war bereits hinlänglich bekannt. Eine Studie untersuchte
jetzt einen Zusammenhang zwischen Versicherungsstatus und Mortalitätsrisiko bzw.
der Überlebenschance. Die Propagierung von Vorsorgeprogrammen und Präventionsmaßnahmen hat in den Vereinigten Staaten von Amerika seit Anfang der 1990iger Jahre zu einem Rückgang der Todesraten durch Krebs um rund 14% geführt. Es
profitieren jedoch nicht alle gleichermaßen von dieser Entwicklung. Der Zugang zu
Leistungen des Gesundheitswesens ist in den USA durch die Zugehörigkeit zu einem
Versorgungssystem über Versicherungen unterschiedlich geregelt.
S
tudie: Die Autoren um die Arbeitsgruppe von Elizabeth Ward hat in
einer epidemiologischen Übersichtsarbeit
die Daten betreffend Screeningmaßnahmen, Diagnosen und Tumorstatus sowie
Überlebenschancen bei Mammakarzinomen und Kolonkarzinomen in Abhängigkeit zum Versichertenstatus der Patienten
zusammengetragen.
Ergebnisse: Bereits die Teilnahme an
Maßnahmen und Programmen von Tumorfrüherkennungen für Mammakarzinome waren eindeutig abhängig vom Versicherungsstatus. Nahezu 68% aller Amerikanerinnen im Alter zwischen 40 bis 64
Jahren haben sich in den letzten Jahren einer Mammographie unterzogen. Betrachtet man isoliert die Privatversicherten, so
waren es deutlich mehr, nämlich 74,5%,
während im sog. Medicaid-Programm
(Mehrheit der Allgemeinversicherten, mit
Abstrichen unseren gesetzlichen Versicherungen vergleichbar) nur 56,1% waren.
Unter denen ohne Versicherungsschutz
waren es hingegen nur 38,1% in der gleichen Altersgruppe.
Kolonkarzinom-Screening: Die 50- bis
64-Jährigen unterzogen sich im Mittel mit
einer Frequenz von 44,2% einem Früherkennungsprogramm. Bei den Privatversicherten waren ebenfalls mehr, nämlich
48,3% und bei den im Medicaid-Programm versicherten 39,6%. Jene ohne Versicherungsschutz unterzogen sich nur in
18,8% einer Untersuchung.
Auch bei einer manifesten Tumorerkrankung waren die Überlebenschancen bei
den Privatversicherten erheblich günstiger.
10
Medicaid-Versicherte hatten dabei ein 1,6fach höheres Risiko, in einem Zeitraum von
fünf Jahren nach Diagnosestellung an ihrer Tumorerkrankung zu sterben im Vergleich zu den Privatversicherten.
Diskussion: Die Autoren kamen zu der
Schlussfolgerung, dass die Qualität der
Früherkennung aber auch der Behandlung
und auch die Überlebenschancen vom Zugang zu den von Krankenversicherungen
finanzierten medizinischen Leistungen abhängig ist.
Kommentar: Danach müssten Länder
wie Deutschland, in denen bis auf eine
ausgesprochen kleine Gruppe, die gesamte Bevölkerung über einen Krankenversicherungsschutz verfügt, erheblich günstiger im Vergleich zu den USA abschneiden. Allerdings ist in Deutschland die
Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen sowohl hinsichtlich Mammakarzinomen als auch Kolonkarzinomen
insgesamt geringer. Nicht untersucht wurde in der zitierten Studie der Einfluss des
Alters, der in früheren Untersuchungen als
ein Hauptrisikofaktor hinsichtlich der Versorgungsqualität gerade auch bei Tumorerkrankungen gesehen wurde, da die über
65-Jährigen nicht ausgewertet wurden.
Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, Lingen (Ems)
Ward E., Halpern M., Schrag N., Cokkinides V., DeSantis C., Bandi P., Siegel
R., Stewart A., Jemal A. Association of
Insurance with Cancer Care Utilization
and Outcomes. CA Cancer J Clin 2008;
58: 9-31.
Alternstheorien und Frailty
Die Rolle proteolythischer Enzyme und
des oxidativen Stoffwechsels
Bereits in den 1980-iger Jahren erschienen zahlreiche Arbeiten, die die Rolle der
proteolythischen Enzyme und des oxidativen Stoffwechsels bei Alterungsprozessen
auf zellulärer Ebene aber auch auf der Ebene des Organismus zu erklären versuchten. In einer immunologischen Untersuchung aus Polen werden dieser ältere Ansatz
jetzt neu aufgegriffen und die „alten Bekannten“ Trypsin, Elastase, Plasmin und
Myeloperoxidase untersucht.
S
tudie: Gesunde, insbesondere HerzKreislauf-Gesunde und normotone
Versuchspersonen (n = 60, Männer und
Frauen gleich verteilt) im Alter von 20-82
Jahren wurden stratifiziert nach Altersgruppen wie folgt eingeteilt: Jung: 20 bis
22 Jahre, mittleres Alter: 49-52 Jahre und
älter/alt: 77 bis 82 Jahre. Die Enzymaktivitäten der oben bezeichneten Enzyme
wurden als Serumspiegel (immun-) fluorometrisch bestimmt.
Ergebnisse: Sowohl die Myeloperoxidase als auch die Trypsin-Aktivität nahm mit
dem Alter im Serum ab, während die Spiegel von α1-Antitrypsin und Plasmin aber
auch der Elastase mit dem Alter stiegen.
Daneben fand sich eine inverse Korrelation
zwischen dem Körpergewicht, gemessen als
Body-Mass-Index (BMI) und der Myeloperoxidase-Aktiviät, eine direkte Korrelation hingegen zwischen BMI, Elastase-,
Plasmin- und α1-Antitrypsinkonzentrationen. Andere Ernährungsparameter bzw.
Stoffwechselparameter wie Serumcholesterin korrelierten invers mit der Trypsinaktivität und der MyeloperoxidasekonzentraGERIATRIE JOURNAL 6/08
L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T
tion bezogen auf die mittlere Altersgruppe.
Diskussion und Schlussfolgerung der
Autoren: Die Autoren sehen sich in der
Annahme
bestätigt,
dass
der
Alterungsprozess und die Serum-/PlasmaAktivität protheolythischer Enzyme im
Zusammenhang stehen. Insbesondere im
Hinblick auf die Erklärung des „Frailty-Process“ sehen sie gute Chancen für die Bildung um Hypothesen.
Kommentar: Man muss vor der vordergründig zwar einleuchtenden aber sehr
schnellen Schlussfolgerung warnen. Enzyme wie Elastase werden von Granulozyten
freigesetzt und aus besagten Arbeiten der
1980-iger Jahre ist bereits bekannt, dass Alter oder aber bei bestimmten Krankheiten
(Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz als
typische physiologische Altersmodelle),
diese Enzyme vermehrt von Granulozyten
freigesetzt werden. Eine latente Entzündungsaktivität wurde deshalb oft postuliert und mit dem Alterungsprozess in Verbindung gebracht.
Prof. Dr. Dr. G. Kolb, Lingen (Ems)
Paczek L., Michalska W., Bartlomiejczyk
I. Trypsin, elastase, plasmin and MMP9 activity in the serum during the human ageing process. Age and Ageing
2008; 37: 318-323.
Schlaganfall
Bleibende Schädigungen
Die Langzeitfolgen des Schlaganfalls im Bezug auf bleibende Behinderung und
Pflegeabhängigkeit waren des Öfteren Gegenstand von Untersuchungen, z.B. um
Behandlungskonzepte der Akut- aber auch der Rehabilitationsphase zu vergleichen.
Die vorliegende Arbeit untersucht den Einfluss der - bleibenden – Schäden nach
Schlaganfall auf die Lebensqualität.
S
tudie: Es handelt sich um eine longitudinale Beobachtungstudie, die den
Behinderungszustand, die Pflegeabhängigkeit und die Lebensqualität drei Jahre nach
Schlaganfall feststellt. Datenbasis war ein
Bevölkerungsregister, sortiert nach ErstEreignis Schlaganfall. 490 Fälle mit Schlaganfall wurden zwischen dem ersten Januar 1995 und dem 31. Dezember 1997 registriert, 342 konnten nach drei Jahren
hinsichtlich Abhängigkeit (Barthel-Index),
Behinderung (Frenchay Aktivitäts-Index
– FAI) und Lebensqualität (Fragebogen
HRQOL SF-36 BI-Untersuchung) untersucht werden. Die abgefragten Lebensqualitätsbereiche waren: Physische Funktion,
sog. Role Physical, Schmerzempfindungen und Parästhesien, genereller Gesundheitsstatus, Vitalität, soziale Funktion, emotionale Bereiche, Kognition bzw. mentale
Gesundheit. Die Lebensqualitätseinschränkung wurde als schwer, mittelgradig, gering
oder im Sinne nicht-bestehend = völlige
Selbstständigkeit gewertet. Die zu Grunde liegenden Punktzahlen entsprachen 09, 10-14, 15-19 und 20. Die Behinderung
wurde in die Kategorien: Inaktiv, mittel-
GERIATRIE JOURNAL 6/08
mäßig aktiv und uneingeschränkt aktiv
(Punktzahl 0-15, 16-30 und 31-45) eingeteilt.
Ergebnisse: Die Ergebnisse des ersten
und des zweiten Jahres hinsichtlich Pflegeabhängigkeit war mit 26,1 und 26,3% bei
einem mittleren Barthel-Index von 15 vergleichbar, auch die Behinderung war mit
55 und 51% nach dem ersten und dem
dritten Jahr ähnlich. Die Lebensqualität
im Bereich der allgemeinen, physikalischen
Gesundheit war ebenfalls deutlich vermindert mit 37,1 und 37,9%, hinsichtlich
der mentalen Gesundheit mit 46,6 bzw.
47,7% sogar erfreulich günstig. Es bestand
eine direkte Beziehung zwischen allen Lebensqualitäts-Domänen und dem BarthelIndex bzw. dem FAI-Index – Pflegeabhängigkeit und Behinderung. In einer Multivarianzanalyse konnte mit der Spearman
rank correlation abgezeigt werden, dass jede einzelne Domäne der Lebensqualität
mit dem Barthel-Index korrelierte, allerdings in unterschiedlicher Gewichtung.
Diskussion: Die Autoren plädieren für
eine stärkere Einbeziehung der Lebensqualität bei Messungen des outcomes von
Schlaganfall-Erkrankungen. Insbesondere
deshalb, da die sog. mentale Gesundheit
offensichtlich abweicht von objektiven Befunden der physischen Behinderung, aber
auch des Pflegestatus.
Kommentar: Diese Studie zeigt einmal
mehr, dass die Parameter der Lebensqualität, die einer besonders stark subjektiv
eingefärbten Selbsteinschätzung des Patienten unterliegen, die stärksten Abweichungen vom objektiven Gesundheitszustand und vom objektiven Zustand der
Behinderung sowie auch hinsichtlich der
Aktivitäten des täglichen Lebens aufwiesen.
Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, Lingen (Ems)
Patel M. D., Tilling K., Lawrence E.,
Rudd A.G., Wolfe C.D.A., McKevitt C.
Age and Ageing 2006; 35: 273-279
Aggressives Non-Hodgkin-Lymphom 60+
Alternativen zu CHOP
Hochmaligne (i.e. aggressive) Non-Hodgkin-Lymphome erfordern eine aggressive
Therapie. Das Standard-Schema CHOP (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin
und Prednisolon) wird seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt. Es ist aber gleichzeitig
ob seiner Toxizität, speziell bei älteren Patienten problematisch. Alternativen waren
daher wiederholt Thema von Studien.
S
tudie: In einer britischen Phase-IIIStudie wurde der Einsatz von CHOP
mit einer weniger Anthrazyklin-haltigen
Kombination verglichen, wobei zusätzlich
die im Alter wichtige Frage einer prophylaktischen Gabe von myelopoetischen Wachs-
tumsfaktoren (G-CSF) geprüft wurde.
Wichtig zu erwähnen, dass die Studie vorzeitig abgeschlossen wurde, als Rituximab
für die Therapie diffuser großzelliger BZell-Lymphome allgemein zum Einsatz
kam und Zwischenergebnisse vorlagen.
11
L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T
Die britische Studie umfasste 784 Patienten mit neu diagnostiziertem hochmalignen (aggressiven) Non-Hodgkin-Lymphom, die zwischen 60 und 89 Jahre alt
waren, im Median 70 Jahre. Nach Randomisation erhielten 195 Patienten CHOP
(Cyclophosphamid 750 mg/m3, Doxorubicin 50 mg/m3, Prednisolon 100 mg),
192 erhielten CHOP plus G-CSF, ein weiterer Arm erhielt PMitCEBO (Cyclophosphamid 300 mg/m3, Mitoxantron
7 mg/m3, Etoposid 150 mg/m3, Vincristin
1,4 mg/m3, Bleomycin 10 mg/m3 und Prednisolon 50 mg). 195 Patienten erhielten
entsprechend der Randomisation bei
CHOP zusätzlich G-CSF. Frequenz:
CHOP wurde alle drei Wochen für max.
acht Zyklen appliziert, PMitCEBO wöchentlich, max. 16 Wochen.
Ergebnisse: Die Ansprechraten waren
mit 84% (CHOP) und 83% (PMitCEBO)
vergleichbar. Die zusätzliche Applikation
von G-CSF hatte keinen weiteren, zusätzlichen Einfluss. Zwischen CHOP und
PMitCEBO waren nach 44 Monaten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich
progressionsfreiem Überleben und Gesamtüberleben festzustellen. Auch in der
Spätauswertung (nach 44 Monaten) war
kein zusätzlicher Effekt von G-CSF zu ermitteln: 44% CHOP, 42% PMitCEBO
ohne Progression und Rezidiv, Gesamtüberleben 46 vs. 45% CHOP vs. PMitCEBO.
Diskussion: Auf Grund seiner geringeren Toxizität ist PMitCEBO sicherlich eine empfehlenswerte Alternative zu CHOP,
speziell bei älteren Patienten.
Kommentar: Erstaunlich ist das Ergebnis bezogen auf das Nebenziel: Wirkung
von prophylaktischer G-CSF-Gabe. Die
Ergebnisse widersprechen den ASCOEmpfehlungen [1], die bezogen auf die
Toxizität von CHOP eine prophylaktische
Akute myeloische Leukämie
Myelopoetische Wachstumsfaktoren
Die Mehrzahl der Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) ist zum Zeitpunkt
der Diagnose mindestens 60 Jahre alt. Erfahrungsgemäß sind die Behandlungsergebnisse bei diesen Patienten deutlich schlechter als bei jüngeren. Dies liegt an der
vergleichsweise hohen Toxizität der Standard-Chemotherapie aber auch an der oft
ungünstigeren zytogenetischen Prädisposition. Die Gabe von myelopoetischen
Wachstumsfaktoren, i.e. granulozytenstimulierender Faktor (G-CSF) hat zwei Indikationen bei dieser Patientengruppe. Zum einen werden die Nebenwirkungen der zumeist ausgeprägten Zytopenie vermindert. Zum anderen kommt es zu einer Stimulierung von Blasten, was seinerseits als günstig für die Behandlung diskutiert wird.
S
tudie: In einer Studie, zitiert in
BLOOD, prüfte eine internationale
Arbeitsgruppe den Einfluss von G-CSF
(Lenograstim) auf das Behandlungsergebnis und auf die Toxizität der Behandlung.
Es wurden 722 Patienten in die Studie eingeschlossen. Das mediane Alter betrug 68
Jahre. Alle litten an einer neu diagnostizierten akuten myeloischen Leukämie. Vier
Therapiearme wurden in dieser Phase-IIIStudie randomisiert:
1. keine zusätzliche Behandlung zur Induktionstherapie
2. G-CSF während oder
3. nach der Chemotherapie bis einschließlich 28. Tag nach Beginn der Chemotherapie oder
12
4. bis zum Wiederauftreten der polymorphkernigen Leukozyten.
Ergebnisse: In den Gruppen, die G-CSF
während der Induktionstherapie erhielten,
lag die Rate der Komplett-Remission signifikant höher im Vergleich zu den Therapiearmen ohne Supportion mit G-CSF
sowie der Gruppe, die G-CSF nach der
Chemotherapie erhalten hatte: 58,3 vs.
48,6%; p = 0,009.
Die Gesamt-Überlebensraten waren in
beiden Gruppen hingegen nicht verschieden.
Die Dauer der Myelopoese wurde durch
G-CSF, auch nach dem Ende der Chemotherapie gegeben, deutlich verkürzt: 20 vs.
25 Tage; p < 0,001, entsprechend war die
Gabe von G-CSF bei Patienten über 70
empfehlen; wie auch übrigens die EORTC
[2].
Literaturstellen:
1. Ozer H. et al. Sekundär-Prophylaxe ASCO Empfehlungen.J Clin Oncol. 2000; 18: 3558-3585
2. Repetto L., Biganzoli L., Koehne C.H., Luebbe A.S.,
Soubeyran P., Tjan Heijnen V.C.G., Aapro M.S. EORTC
Cancer in the Elderly Task Force guidelines for the use
of colony-stimulating factors in elderly patients with
cancer. Eur J Cancer 2003; 39 (16): 2264-72
Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, Lingen (Ems)
Burton C., Linch D., Hoskin P., Milligan
D., Dyer MJS., Hancock B., Mouncey P.,
Smith P., Qian W., MacLennan K., Jack
A., Webb A., Cunningham D. A phase III
trial comparing CHOP to PMitCEBO with
or without G-CSF in patients aged 60
plus with aggressive non-Hodkin’s
lymphoma. British Journal of Cancer
2006; 94: 806-13
Aufenthaltsdauer in der Klinik geringer:
27,2 vs. 29,7 Tage; p < 0,001.
Diskussion: Die supportiven Effekte
von G-CSF waren erwartungsgemäß auch
bei der AML der älteren Patienten nachweisbar. Auch die Komplett-Remissionen
waren häufiger. Allerdings zeigte sich kein
Effekt auf die Länge des Überlebens.
Kommentar: Nebenwirkungen und
Krankenhausaufenthalt lassen sich durch
die Supportion mit Wachstumsfaktoren
auch bei älteren Patienten mit AML, die
einer besonders ungünstigen Risikogruppe angehören verbessern. Die ungünstige
Prognose quod ad vitam hingegen wird
nicht beeinflusst.
Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, Lingen (Ems)
Amadori S., Suciu S., Jehn U., Stasi R.,
Thomas X., Marie J-P., Muus P., Lefrère
F., Berneman Z., Fillet G., Denzlinger C.,
Willemze R., Leoni P., Casini M., Ricciuti
F., Vignetti M., Beeldens F., Mandelli F.,
De Witte T., for the EORTC/GIMEMA
Leukemia Groups. Use of glycosylated
recombinant human G-CSF (lenograstim) during and/or after induction chemotherapy in patients 61 years of age
and older with acute myeloid leukemia:
final results of AML-13, a randomized
phase-3 study. Blood 2005; 106: 27-34
GERIATRIE JOURNAL 6/08
A K T U E L L : G E R I AT R I S C H E S S C R E E N I N G
Check-up-75+
Ab dem 36. Lebensjahr haben gesetzlich Krankenversicherte Anspruch
auf eine Vorsorgeuntersuchung. Dieser Gesundheitscheck gilt auch für
ältere Patienten, berücksichtigt jedoch nicht die sie betreffenden Besonderheiten. Unterstützend bietet sich hier das geriatrische Screening
nach Lachs an. Es beschreibt Schwierigkeiten, Störungen oder Risiken,
die für die weitere Behandlungsplanung und den weiteren Behandlungsverlauf von Bedeutung sein können.
D
er Check-up 35 wurde 1989 in die
Auch für Deutschland ist – neben den
kassenärztliche Versorgung ein- bekannten Elementen des Check-up-35
geführt. Er umfasst eine gründli- – die Etablierung eines Gesundheitsche Anamnese, einen Ganzkörperstatus, Check-up-75+ mit der Durchführung eidie Bestimmung von Glukose und Ge- nes geriatrischen Screenings nach Lachs
samtcholesterin im Blut sowie einen [2] zu fordern. In einer Pilotstudie in
Harn-Streifentest und eine ausführliche Hamburg mit zwölf Hausärzten und eiNachberatung. Er soll zur Früherken- ner geriatrischen Klinik von 1996 bis
nung von Krankheiten bei Menschen im 2000 konnte durch die routinemäßige
Alter über 35 Jahre beitragen. Zu be- Durchführung des geriatrischen Screerücksichtigen ist dabei, dass es bei dieser nings nach Lachs gezeigt werden, dass
Vorsorgeuntersuchung trotz einer immer sich die Versorgungsqualität der Hausälter werdenden Bevölkerung in Deutsch- arztpatienten gebessert hat.
land bisher keine Rolle spielt, ob der PaGenerell ist die regelmäßige Durchtient 35 Jahre oder 80 Jahre alt ist.
führung eines geriatrischen Assessments
In Österreich stellt
ggf. sogar in VerbinEine Pilotstudie zeigte,
sich die Situation andung mit präventiven
ders dar. Hier wird bei
Hausbesuchen bei allen
dass sich mit dem
den Vorsorgeuntersu- geriatrischen Screenings über 75-jährigen Hauschungen den altersspearztpatienten anzustredie Versorgungsqualität
zifischen Gegebenheiben. Problematisch geder Hausarztpatienten
ten Rechnung getragen.
staltet sich die Durchbesserte
So wird in der Altersführung, denn in einer
gruppe der über 60-JähHausarztpraxis, die pro
rigen in der Vorsorgeuntersuchung be- Jahr 500 bis 1.400 ältere Patienten versonders auf die Früherkennung von Hör- sorgt, ist dies nicht umzusetzen (Zeitfakminderungen und Sehschwächen, die tor, Fehlen von Hilfspersonal).
Detektion von Zahn-und ZahnfleischEine durchführbare Alternative stellt
entzündungen und das Screening nach daher ein geriatrisches Screening in Verkardio-und zerebrovaskulären Risikofak- bindung mit einem jährlichen Gesundtoren Wert gelegt. Außerdem erhalten heitscheck dar. Ziel des Screenings sollte
die Patienten neben Informationen zum keine umfassende Quantifizierung geriaaktuellen Impfstatus Hinweise zur Sturz- trischer Funktionseinbußen sein, sondern
prävention. Bei den über 75-Jährigen lie- eine bewusste Beschränkung auf Gegen zusätzlich die Schwerpunkte auf Er- sundheitsstörungen, die folgenden Krinährung, urologischen Problemstellun- terien Rechnung tragen:
gen, Demenz, Depression und sozialer @ Prävalenz von Erkrankungen, eingeschränkten Funktionen und psychosoUnterstützung.
GERIATRIE JOURNAL 6/08
Foto: Grünes Kreuz
Thomas Hermens, Wesel
Abb. 1: Das geriatrische Screening nach
Lachs ist in Abhängigkeit von der Kooperationsfähigkeit der Patienten in gut
5-12 Min. durchführbar.
zialen Beeinträchtigungen im unausgelesenen Patientengut
@ Anteil dieser Probleme, die dem Hausarzt bislang unbekannt waren
@ Morbidität, Mortalität und Auswirkungen auf die Lebensqualität
@ Diagnostizierbarkeit und Therapierbarkeit eines aufgedeckten Problems
@ Annahme des Screenings durch Patient
und Arzt im Rahmen des Check-ups
@ Kosten-Nutzen-Relation
Mit Hilfe des geriatrischen Screenings
nach Lachs werden die häufigen Problembereiche älterer Hausarztpatienten wie
Sehen, Hören, Kurzzeitgedächtnis, Funktion der oberen und unteren Extremitäten, Depression, soziale Situation, Kontinenz, kognitive Kompetenz, Stürze, Medikamente, häufige Hospitalisierungen
und Schmerz überprüft.
Das geriatrische Screening nach Lachs
beinhaltet 16 Aufgaben (Tab. 1) und ist
in Abhängigkeit von der Kooperationsfähigkeit der Patienten in gut 5-12 Min.
durchführbar. Die Summe der auffälligen
Items ermöglicht einen orientierenden
Eindruck über das Ausmaß begleitender
Problembereiche. Ausprägungsgrade von
Störungen oder Einschränkungen können
mit diesem Instrument jedoch nicht erfasst werden. Es ist zu wünschen, dass
13
A K T U E L L : G E R I AT R I S C H E S S C R E E N I N G
Tab. 1: Geriatrisches Screening nach Lachs
Problembereich
1. Hören
2. Sehen
3. Armfunktion
4. Beinfunktion
5. Harninkontinenz
6. Stuhlinkontinenz
7. Ernährungsstatus
8a Kurzzeitgedächtnis
9. Aktivität
10. Depression
8b Gedächtnis
11. Soziale
Unterstützung
12. Krankenhausaufenthalt:
13. Sturz
14. Polypharmazie
15. Schmerz
Frage bzw.
Aufgabe
Flüstern der Zahlen in ca. 50 cm Abstand
in das angegebene Ohr, während das
andere zugehalten wird:
Linkes Ohr: 6 -1 -9, Rechtes Ohr: 2 -7 -3
Hat sich Ihre Sehfähigkeit in letzter Zeit
verschlechtert?
Lesen einer großen Überschrift
Bitten Sie den Patienten, beide Hände
hinter den Kopf zu legen – einen Kugelschreiber aufzuheben
Bitten Sie den Patienten aufzustehen,
einige Schritte zu gehen und sich wieder
zu setzen
Konnten Sie in letzter Zeit den Urin
versehentlich nicht halten?
Konnten Sie in letzter Zeit den Stuhl
versehentlich nicht halten?
Schätzen des Patientengewichtes
1. Nennen Sie dem Patienten folgende
Begriffe und bitten Sie ihn, sie sich
zu merken: Apfel-Pfennig-Tisch
2. Anschließend bitten Sie ihn, die
Begriffe zu wiederholen.
Können Sie sich selbst anziehen?
Können Sie problemlos Treppen steigen?
Können Sie selbst einkaufen gehen?
Fühlen Sie sich oft traurig und
niedergeschlagen?
Bitten Sie den Patienten, die vorhin
genannten Begriffe zu wiederholen.
Haben Sie Personen, auf die sie sich
verlassen und die Ihnen zu Hause
regelmäßig helfen können?
Waren Sie in den letzten drei Monaten
in Krankenhausbehandlung?
Sind Sie in den letzten drei Monaten
gestürzt?
Nehmen Sie regelmäßig mehr als fünf
verschiedene Medikamente ein?
Leiden Sie häufig unter Schmerzen?
Anzahl der Auffälligkeiten im
geriatrischen Screening:
der wachsenden Zahl von geriatrischen
Hausarztpatienten durch eine Ergänzung des Check-up 35 mit Hilfe des geriatrischen Screenings nach Lachs Rechnung getragen wird. Durch dieses Screeningverfahren könnten häufige Probleme
bei älteren Patienten aufgedeckt werden
und ggf. durch weitergehende Untersuchungen eingegrenzt werden.
14
Einstufung als
Problembereich,
… wenn mehr als eine Zahl falsch
erkannt wird
Auffälligkeiten
vorhanden ja/nein
… wenn das Erkennen der Fingerzahl in
2 m Entfernung oder das Lesen einer
großen Überschrift nicht möglich ist
oder die Frage mit „ja“ beantwortet wird
… wenn mindestens eine Aufgabe nicht
gelöst wird
… wenn der Patient zu einer dieser Tätigkeiten nicht selbstständig in der Lage ist
… wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird
… wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird
… bei Vorliegen von Unter- oder Übergewicht
… wenn einer der Begriffe nicht erinnert
werden kann
… wenn eine der Fragen mit „nein“
beantwortet wird
… wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird
… wenn einer der Begriffe nicht erinnert
werden kann
… wenn die Frage mit „nein“
beantwortet wird
… wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird
… wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird
… wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird
… wenn die Frage mit „ja“ beantwortet wird
Literatur
1. Dorner,T. Rieder, A.: Gesundheitsvorsorge und
Prävention, Hrsg. Böhmer, Füsgen UTB Verlag,
Geriatrie 2008, S. 321 ff
2. Lachs MS, Feinstein AR, Cooney LM, Jr., Drickamer
MA, Marottoli RA, Pannill FC et al. A simple procedure
for general screening for functional disability in
elderly patients. Ann Intern Med (1990); 112: 699-706
3. Meier-Baumgartner, H.-P., Dapp, U.: Geriatrisches
Netzwerk; Schriftenreihe Band 204, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Kohlhammer 2001
/ 16
4. Sandholzer, H: Geriatrisch orientierte Allgemeinpraxis, Hrsg. T. Nikolaus, Klinische Geriatrie 2000,
S. 117 ff
Dr. Thomas Hermens,
Hausärztlicher Internist, Diabetologische Schwerpunktpraxis,
Klinische Geriatrie, Schermbecker
Landstr. 88a, 46485 Wesel
GERIATRIE JOURNAL 6/08
A K T U E L L : G E R I AT R I E - G E S P R Ä C H E
Alter-(s)-Zeit
D
Foto: IN-GHO
ie Vorträge waren informativ und Zeit huscht vorbei
anregend“, berichtet Barbara Kies- Mit der Frage, was Zeit ist, hat sich belich, Leiterin des Ilse Kuba- reits der in der Spätantike der Gelehrte
schewski Zentrums für Humane Pflege Aurelius Augustinus befasst. Er stellte
im Alter, Starnberg. Vom 25. bis 27. Sep- fest, dass sich ein Körper in der Zeit betember 2008 hat das Zentrum die Starn- wegt, sie aber selbst nicht darstellt. Die
berger interdisziplinären Geriatrie-Ge- Zeit ermöglicht zwar Bewegung, doch
spräche durchgeführt. Die erste Veran- damit wird ihr Wesen lediglich umrissen
staltung fand 2006 statt und widmete und nicht erfasst. Aurelius Augustinus
sich dem Thema „Biografisches Arbei- trennte die Zeit in Vergangenheit, Gegenten“ (GERIATRIE JOURNAL 6/2006, S. 12). wart und Zukunft – doch nach längerer
Diesmal ging um die Zeit, genauer um Betrachtung erschienen ihm die Begrif„Alter-(s)-Zeit“. Der Themenbogen fe höchst paradox. Vergangenes ist vorspannte sich über Fragestellungen wie bei, damit gibt es das Vergangene gar
„Was ist Zeit?“ – „Wie funktioniert das nicht. Die Zukunft liegt vor uns. Doch
Zeitempfinden?“ – „Wie verändert sich weil sie noch nicht da ist, ist sie ebenfalls
unser Zeiterleben mit fortschreitendem nicht vorhanden. Damit bleibt die GegenAlter?“ – „Was macht die fortschreiten- wart. Sie aber huscht vorbei, wandert wie
de Zeit mit uns?“ – „Wie erleben ältere ein punktförmiger Schnitt auf einer ZeitMenschen das Phänomen „nur noch kur- achse und kommt nie zur Ruhe. Nach
ze Zeit“ zu haben?“
langen, intensiven Überlegungen gestand
„Zeit – ein sonderbar Ding“ lautete Aurelius Augustinus sich ein, dass ihm die
der Titel des Referats von Prof. Dr. phil. Zeit ein Geheimnis bleiben wird.
Rudolf Taschner, Wien. Der MathemaDer Philosoph Immanuel Kant, ein
tiker stellte fest, dass „wir uns einerseits überzeugter Bewunderer der Mathemader Zeit ausgeliefert fühlen, andererseits tik, meinte, dass der Begriff Zeit – in Anwir gar nicht wissen, was
Zeit ist“. Regisseure und
Schriftsteller versuchen,
die Zeit durch Zeitlupenaufnahmen und detaillierte Beschreibung
einzufangen, sie zu erklären. Fotografen halten beeindruckende oder
wichtige Momente in einem Bild fest. Der Musik wiederum gelingt es,
dass der Zuhörer den
Lauf der Zeit vergisst.
Dies ist ein eigenartiges
Phänomen, weil gerade
die Musik vom Schlagen
des Takts, der den gleichmäßigen Lauf der Lauf
Die Gegenwart, der Augenblick gewinnen an Bedeutung.
symbolisiert, abhängt.
GERIATRIE JOURNAL 6/08
Foto: www.pixelio.de
Das Thema „Zeit“ bildete den inhaltlichen Schwerpunkt
der 2. Starnberger interdisziplinären Geriatrie-Gespräche.
Rund 70 Ärzte, Psychologen, Psychiater und leitende
Pflegekräfte nahmen an der Veranstaltung teil.
Zeit vergeht und kommt nie zur Ruhe.
lehnung an die Geometrie – als eindimensionaler Raum gefasst werden könnte. Symbolisiert wird sie durch einen Zeiger, der auf einer Geraden entlangläuft.
Die alten Kulturen, die an die ewige
Wiederkehr des Gleichen glaubten, ließen den Zeiger lieber entlang einer Kreislinie entlanglaufen – so wie es noch heute die Zeiger unserer Uhren tun. Kurz und
knapp hingegen ist die Definition, die Albert Einstein fand: Zeit sei das, was man
mit einer Uhr messe.
Wir denken immer,
wir hätten noch so viel Zeit
Zeit werde, so die Referentin Dr. Klara
Obermüller, Zürich, in Abhängigkeit von
Lebensalter und -situation erlebt. Für
Kinder ist ein Tag lang, dauern die Sommerferien endlos lange, steht die Zeit praktisch still. Kinder leben in der Gegenwart.
Ihr Sinn für Vergangenes ist noch mangelhaft entwickelt, für
Kommendes fehlt die
Vorstellungskraft.
Kinder gehen mit der
Zeit verwenderisch
um.
Die Journalistin
und Schriftstellerin erzählte, wie ihr die Begrenztheit der Zeit
durch Erkrankung
und Tod ihres Mannes
und das eigene Älterwerden bewusst ge-
15
A K T U E L L : G E R I AT R I E - G E S P R Ä C H E
Vorsorgeinstrumenten wie Patientenverfügungen,
Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen
kommt eine wichtige Rolle zu.
Foto: philippe Devanne – Fotolia.com
worden ist. „Ich hatte erfahren, wie kostbar Zeit ist, wenn sie immer weniger
wird. Ich hatte aber auch erfahren, wie
vieles man in die Zeit hineinpacken
möchte, die einem noch bleibt: Versäumtes nachholen, Getanes ungeschehen
machen, sagen, was man noch sagen
möchte. Wir denken immer, wir hätten
noch so viel Zeit und wissen doch nicht,
ob sie nicht morgen schon zu Ende ist“.
Der Tod ist endgültig und, wie Max Frisch
in seinem zweiten „Tagebuch“ geschrieben hat, der einzige Vorfall, der keine Variante mehr zulässt.
Wie die meisten Menschen spürte Dr.
Klara Obermüller um den 50. Geburtstag herum bei sich selbst, dass die Lebenszeit begrenzt ist. Das Empfinden von
Zeit hat sich verändert. Die Zeit rast, sie
läuft davon, rinnt durch die Finger. Die
Zeit ist dabei, ihre Selbstverständlichkeit
zu verlieren und zum kostbaren, weil zusehends knapperen Gut zu werden.
Gleichzeitig verändert sich auch das Verhältnis zu den einzelnen Zeitebenen. Es
gibt immer mehr Vergangenheit und immer weniger Zukunft. Dr. Klara Obermüller: „Wenn ich sagen müsste, was
mich am Älterwerden am meisten belastet, so wäre es dies: das Schwinden der
Zukunft, der Verlust an Perspektive“. Älterwerden ist auch bei gesunden Men-
schen mit körperlichen Einschränkungen verbunden. Doch Älterwerden bietet auch die Chance, Dinge loszulassen
und Verantwortung abzugeben und sich
damit einen Ausgleich, eine innere Unabhängigkeit zu schaffen. „Nicht dem
Vergangenen nachhängen, nicht nach
dem Künftigen greifen, sondern nur da
sein, den Augenblick in Acht nehmen, ohne ihn festhalten zu wollen“. Die Gegenwart, der Augenblick gewinnen an Bedeutung.
Angst vor dem Scheinleben
Über „Ärztliches Tun und Unterlassen
am Lebensende“ referierte Prof. Dr. med.
Dipl. Psych. Frank Erbguth, Nürnberg.
Angesichts der Möglichkeiten, die die
Ilse Kubaschewski Zentrum
Ilse Kubaschewski, die „Grande Dame“ des deutschen Films, errichtete
im Jahr 1994 die Ilse Kubaschewski
Stiftung. Im Rahmen der von der Stifterin gesetzten Ziele hat die Stiftung
das Projekt „Humane Pflege im Alter“
initiiert. Mit diesem Projekt soll die
Aufgabe erfüllt werden, Angehörige,
stationäre Einrichtungen der Pflege
und der Akutmedizin sowie ambulante
Dienstleister im Landkreis Starnberg
zu unterstützen und damit die Pflege
im Sinne einer humanen Pflege im
Alter weiter zu verbessern.
Im Zentrum für Humane Pflege im
Alter werden wissenschaftliche Projekte und Konzepte sowie die Öffentlichkeitsarbeit im Sinne einer besseren Transparenz und Verknüpfung der
bereits für die älteren Menschen vorhandenen Hilfsangebote unterstützt.
In das Zentrum integriert ist die Fach-
16
stelle für pflegende Angehörige mit
einem ehrenamtlichen Helferkreis.
Über diese Fachstelle erhalten Menschen mit Demenz und deren Angehörige Beratung und Unterstützung in
jedem Stadium der Demenzerkrankung.
Seit Februar 2007 gibt es am Zentrum für Humane Pflege das Netzwerk
für Palliativmedizin und Hospizbetreuung. Im Netzwerk erhalten Betroffene
und Angehörige u.a. unentgeltliche
Beratung. Außerdem steht ein Bereitschaftsdienst von Palliativmedizinern
und Palliativpflegekräfte rund um die
Uhr zur Verfügung.
Ilse Kubaschewski Zentrum für
Humane Pflege im Alter, Oßwaldstr. 1,
82319 Starnberg, Tel. 0 81 51/18-2165
oder 18-0, i.mayerthaler@
ilse-kubaschewski-zentrum.de,
www.ilse-kubaschewski-zentrum.de
moderne Medizin heute bietet, stellen
sich viele ältere Menschen die Frage, ob
sie es wollen, dass ihr Leben um jeden
Preis verlängert wird. Vielfach äußern sie
den Wunsch, sie wollten nicht an Schläuchen und Maschinen hängend künstlich
am Leben erhalten werden. „Hatten die
Menschen in früheren Jahrhunderten
Angst vor dem Scheintod, so fürchten
sie heute eher ein Scheinleben“. Prof.
Erbguth wies darauf hin, dass aus der
Rechtsprechung klar hervorgeht, dass
Vorsorgeinstrumenten wie Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen eine wichtige Rolle zukommt. Anhand von zwei Fallbeispielen erläuterte er, dass eine Behandlung
gegen den Willen des Patienten eine Körperverletzung darstellt. Von dieser Patientenautonomie gibt es Ausnahmen,
wie beispielsweise ein Suizidversuch.
Ärzte und Pflegekräfte befürchten häufig, der Abbruch einer therapeutischen
Maßnahme in einer ausweglosen Situation stelle „aktive Sterbehilfe“ dar. Das
Nicht-Beginnen hingegen wird als eher
als unproblematisch gesehen, weil es „passiv“ erscheint. Eine medizinische Maßnahme jedoch legitimiert sich aus der
medizinischen Indikation und der Zustimmung des Patienten. Ist eines von
beiden nicht oder nicht mehr gegeben,
ist die Maßnahme nicht mehr legal – und
da ist es gleich, ob diese Maßnahme nicht
begonnen wurde oder ob sie beendet
wird. In diesem Zusammenhang machte Prof. Erbguth deutlich: „Wer einen
moralischen und rechtlichen Unterschied
sieht zwischen dem Nicht-Beginnen –
was er für „legitim“ hält – und dem Abbrechen – was er für „verboten“ ansieht
–, wird manche Therapie in einer noch
GERIATRIE JOURNAL 6/08
A K T U E L L : G E R I AT R I E - G E S P R Ä C H E
unentschiedenen Lage gar nicht erst anfangen, weil er glaubt, bei einer Wendung zum Schlechten dürfe er das einmal Begonnene dann nicht mehr beenden. Dies führt zum unangemessenen
Therapieverzicht“.
Woran aber kann man sich halten? Prof.
Erbguth empfahl als Orientierung für
den Alltag die Grundsätze zur ärztlichen
Sterbebegleitung und die Empfehlungen
zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und
Patientenverfügung. Beides wurde von
der Bundesärztekammer herausgegeben.
Erleichternd ist außerdem die Einrichtung eines klinischen interdisziplinären
und interprofessionellen Ethikomitees
oder einer mobilen Ethikberatung, wie sie
beispielsweise beim Klinikum Nürnberg
eingerichtet wurde.
Weitere Vorträge zu Themen wie „Zeiterleben und Zeitgestaltung im biographischen Wandel“, „Die biologische
Uhr“, „Loslassen – Zeit gewinnen“ und
„Sterbenkönnen als Lebenskunst“ run-
deten die Veranstaltung ab, an der rund
70 Ärzte, Psychologen, Psychiater und
leitende Pflegekräfte teilnahmen. „Unser Gefühl für die Zeit hängt von unseren Aufgaben ab“, resümiert Barbara Kieslich. „Wenn man arbeitet, verrinnt die
Zeit viel zu schnell. Für einen Bettlägerigen jedoch kann schon eine Minute eine lange Zeit sein. Deswegen sollten wir
immer wieder in sein Zimmer hineinschauen und versuchen, in unsere Hektik etwas Ruhe hineinzubringen“.
jh
AKTUELL: LEUCHTTURMPROJEKT DEMENZ
Die besten Wege finden – Teil 1
Ziel des „Leuchtturmprojektes Demenz“, für das rund 13 Mio. zur Verfügung stehen, ist die Verbesserung der Versorgung demenziell erkrankter Menschen. Gesucht wurden Projekte, die durch ihre Vorbildfunktion
dazu beitragen, die Versorgung von Menschen mit Demenzerkrankungen weiter zu entwickeln. Die 29 ausgewählten Projekte werden in dieser
und der nächsten Ausgabe des GERIATRIE JOURNALS vorgestellt.
D
emenz ist die häufigste und folgenreichste psychiatrische Erkrankung im Alter. Rund 1,1 Mio.
Menschen sind in Deutschland daran erkrankt. Schätzungen gehen davon aus,
dass sich diese Zahl bis zum Jahr 2030 auf
ca. 1,7 Mio. erhöhen wird. Es gibt derzeit keine Heilungsmöglichkeiten und
Defizite bei der frühzeitigen Diagnose.
Außerdem sind die Versorgungsstrukturen vielfach noch zu wenig auf die Bedürfnisse von demenziell erkrankten Menschen eingestellt.
Vor diesem Hintergrund hat das
Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit das „Leuchtturmprojekt Demenz“ initiiert. Ziel ist, aus den vorhandenen Versorgungsangeboten die besten
Leuchtturmprojekte zu identifizieren und
weiter zu entwickeln, Defizite bei der Umsetzung einer evidenzbasierten pflegerischen und medizinischen Versorgung de-
GERIATRIE JOURNAL 6/08
menziell Erkrankter zu beseitigen und eine zielgruppenspezifische Qualifizierung
für in der Versorgung engagierte Personen und beteiligte Berufsgruppen zu erreichen. In Zusammenarbeit mit Fachinstitutionen, Interessenverbänden, Bundesressorts und Ländern wurden die folgenden
Themen- und Arbeitsfelder vereinbart:
1. Therapie- u. Pflegemaßnahmen: Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen,
2. Evaluation von Versorgungsstrukturen,
3. Sicherung einer evidenzbasierten Versorgung und
4. Evaluation und Ausbau zielgruppenspezifischer Qualifizierung.
Von insgesamt 106 fristgerecht eingereichten Anträgen wurden 29 Projekte
ausgewählt. Sie sollen durch ihre Vorbildfunktion dazu beitragen, die Betreuung
und Versorgung von Menschen mit Demenzerkrankungen weiter zu entwickeln.
Themenfeld 1:
Therapie- u. Pflegemaßnahmen
SPORT & COG – Einfluss von multimodaler sportlicher Aktivität auf Kognition und Alltagskompetenzen bei früher
Alzheimer-Demenz. Ziel des Projektes ist
es, bei Alzheimer-Patienten durch Trainingsprogramme und kognitive Stimulation das Fortschreiten der Alzheimer Demenz zu verzögern.
WHEDA – Wirksamkeit häuslicher Ergotherapie für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen. Die Studie basiert auf bereits erfolgreich eingesetzten Materialien
und Vorgehensweisen. In ihrem Rahmen
erhalten die Beteiligten eine umfassende
ergotherapeutische Beratung bzw. ergotherapeutische Behandlung in der Wohnung des demenzerkrankten Menschen.
Um Erkenntnisse über Wirksamkeit und
Langzeitwirkung der Maßnahmen zu erhalten, werden die Teilnehmer regelmäßig
befragt.
KORDIAL – Kognitiv-verhaltenstherapeutische ressourcenorientierte Therapie
früher Demenzen im Alltag. An Demenz
erkrankte Menschen nehmen ihre vermin-
17
AKTUELL: LEUCHTTURMPROJEKT DEMENZ
derte Leistungsfähigkeit im frühen Stadium der Erkrankung wahr und empfinden die Aufgabe gewohnter Tätigkeiten sowie Veränderungen ihrer sozialen Kontakte als belastend. In der Studie wird eine
speziell für diese Patienten entwickelte,
auf neuropsychologischen Erkenntnissen
gegründete individualisierte Verhaltenstherapie mit der ärztlichen Standardbehandlung verglichen.
MAKS aktiv! – Multimodale Aktivierungstherapie bei Demenzkranken im Pflegeheim. Im Rahmen der Studie soll erforscht werden, inwiefern durch passgenaues Training im Alltag von Bewohnern
mehrerer Pflegeheime ein Gedächtnisverlust aufgehalten oder mindestens verlangsamt werden kann. Sechs Monate lang
werden Bewohnerinnen und Bewohner
an einem Training teilnehmen, das motorische, alltagspraktische, kognitive und
spirituelle Elemente beinhaltet. Nach Ablauf des Halbjahres sollen die Ergebnisse
mit denen einer Begleitgruppe verglichen
werden.
ERGO-DEM – Effektivität einer optimierten Ergotherapie bei Demenz im häuslichen Setting. Die gegenwärtig als Behandlungsstandard geltende pharmakologische Therapie mit Antidementiva führt
nachweislich zu einer Verlangsamung der
Funktionseinbußen. ERGO-DEM untersucht die Wirksamkeit einer ergotherapeutischen Behandlung zusätzlich zur medikamentösen Behandlung bei Menschen
mit einer leichten bis mittelgradigen Demenz im Vergleich zu einem ausschließlich medikamentösen Behandlungsansatz.
STI-D – Wirksamkeit der deutschen
Version der Serial Trial Intervention zur ursachebezogenen Reduktion von herausforderndem Verhalten bei Menschen mit
Demenz. Die „Serial Trial Intervention
(STI)“ bietet Pflegefachpersonen eine systematische Abfolge pflegerischer Assessments und Handlungen in entsprechenden Situationen an und dient der Reduktion herausfordernder Verhaltensweisen
bei Menschen mit Demenz. Ein Ziel des
Projektes bildet die Erarbeitung einer deutschen Fassung der STI unter Berücksichtigung der hiesigen Rahmenbedingungen.
18
Tele.TanDem – Telefonische Therapie
für Angehörige von Demenzkranken. Zur
Prävention von Belastungsstörungen bei
pflegenden Angehörigen von an Demenz
erkrankten Menschen soll eine telefonische
Kurzzeitintervention getestet werden. Die
Teilnehmer der Interventionsgruppe nehmen an einer drei Monate dauernden telefonischen Therapie teil, die von erfahrenen Psychologinnen durchgeführt wird.
Es wird erwartet, dass sich die Problemlösekompetenz der pflegenden Angehörigen erhöht und sich damit ihr Belastungserleben und das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen reduziert.
ICF-Effekt – Die ICF als Referenzrahmen zur Bewertung von Effektivenessstudien bei demenziellen Erkrankungen.
Ziel des Vorhabens ist festzustellen, inwieweit in Studien die Endpunkte berücksichtigt werden, die tatsächlich für Menschen mit einer Alzheimer Erkrankung
oder ihre Angehörigen relevant sind. Die
aus den Studien identifizierten Endpunkte werden in einem dritten Schritt mit den
von den Menschen mit Alzheimer Erkrankung und Angehörigen genannten Anliegen verglichen.
Themenfeld 2: Evaluation von
Versorgungsstrukturen
DemenzNetzAachen. Ziel des Netzwerkes ist die Etablierung eines Zugangsweges in die Frühdiagnostik demenzieller Erkrankungen und die Bereitstellung eines
breiten Leistungsspektrums zur Verminderung der Angehörigenbelastung und zur
Vermeidung von Hospitalisierung und
Heimeinweisung. Hierzu erfolgt eine Kooperation zwischen Aachener Hausärzten
und dem Gerontopsychiatrischen Zentrum des Alexianer Krankenhauses Aachen. Die Evaluation untersucht das Zuweisungsverhalten der Hausärzte und die
Auswirkungen des Case-Managements auf
die Belastung der Angehörigen, die Lebensqualität und Versorgungssituation der Betroffenen und die resultierende Versorgungskontinuität.
TransAltern – Transfer Arbeiten Lernen:
Leuchtturmprojekt Demenz Haus
Schwansen. TransAltern will mit einem
erprobten und evaluierten Versorgungsund Transferkonzept einen Beitrag zur
nachhaltigen Verbesserung der institutionellen pflegerischen Versorgung von Menschen mit Demenz leisten. Das evaluierende Institut konzentriert sich auf Fragen
nach der Verbindung von Arbeiten und
Lernen in Haus Schwansen und dem
Transfer von Wissen und Erfahrung zwischen Modellheim und Transferheimen.
ULTDEM – Ulmer Leuchtturmprojekt Demenz: Verbesserung von Beratung
und Diagnostik Demenzkranker nach Einordnung in eine Pflegestufe. In einem Pilotprojekt konnten Erkenntnisse über die
Versorgungsstruktur Demenzkranker und
ihrer Angehörigen in Ulm gewonnen werden. Ulm verfügt danach über eine gut
funktionierende Netzwerkstruktur. Mit
ULTLDEM ist beabsichtigt, durch Einführung einer neuartigen Beratungsform
im Rahmen der Pflegeeinstufung die Inanspruchnahme bestehender Versorgungsstrukturen in Ulm/Alb-Donau-Kreis zu
verbessern.
UEDN Mettmann – Untersuchung der
Effektivität der vernetzten Versorgung demenzkranker Menschen im DemenzNetzwerk Kreis Mettmann. Das Netzwerk
hat das Ziel, die Versorgung demenziell erkrankter Menschen zu verbessern. Dazu
wurden Beratungs- und Unterstützungsangebote entwickelt und Lotsendienste
für Demenzkranke und ihre Angehörigen
aufgebaut. Projektgruppen sorgen für die
fachliche Weiterentwicklung der Angebote und der hier tätigen Fachkräfte und
Ehrenamtlichen. Koordiniert und begleitet werden die Angebote durch zwei regionale Projektbüros. Das Forschungsprojekt wird die Effektivität des Versorgungsnetzwerkes untersuchen.
SKEPSIS – Stationäre Kurzzeitrehabilitation zum Erhalt von Partizipation und
sozialer Interaktion als Infrastrukturmaßnahme im sozialen Umfeld bei AlzheimerErkrankung. Eine systematische Evaluation der Effektivität kompensatorischer
Trainingsmaßnahmen in Kombination
mit psychoedukativen Maßnahmen für
Angehörige im Rahmen eines kurzzeitigen
stationären Aufenthaltes ist bisher nicht
GERIATRIE JOURNAL 6/08
AKTUELL: LEUCHTTURMPROJEKT DEMENZ
durchgeführt worden. Modellhaft ist ein
solcher Ansatz im Alzheimer-Therapiezentrum Bad Aibling etabliert. Die Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen ist bisher jedoch nicht untersucht worden. Ziel ist es,
die Effektivität des modellhaften Vorgehens
dieser special care unit zu untersuchen.
KOVERDEM – Optimierung der berufsübergreifenden Kooperation von
Hausärzten und ambulanten Pflegediensten in der ambulanten Versorgung von
Demenzkranken. Bisher fehlt es an Konzepten zur Organisation der ambulanten
Versorgung von Menschen mit Demenz.
Ziel des Projekts ist es, Erkenntnisse für
die Behebung dieses Organisationsdefizits mittels der Erprobung nachhaltiger
Kooperationsmodelle und -instrumente
für die Zusammenarbeit von Hausärzten
und ambulanten Pflegediensten zu erarbeiten.
Tandemgruppen – Einrichtung von sozialtherapeutischen Tandemgruppen für
PatientInnen in der Frühphase demenzieller Erkrankungen und ihre Angehörigen. Die Evaluationsstudie sozialtherapeutischer „Tandemgruppen“ widmet sich
der frühzeitigen wie langfristigen psychosozialen Unterstützung bei der Krankheitsund Alltagsbewältigung überwiegend präsenil erkrankter Menschen und ihrer Angehörigen. Zielsetzungen sind sozialer
Rückhalt, Aktivierung, Wissenserwerb,
ein enttabuisierender Umgang mit der Erkrankung und den damit einhergehenden
Belastungen sowie die Vorbeugung gegen
Unter- und Fehlversorgung.
IdemUcK – Interdisziplinäres Betreuungs- und Behandlungsnetz für DemenzGERIATRIE JOURNAL 6/08
Foto: Daniel Hohlfeld – Fotolia.com
ROVDE – Risiko „Operation“ bei vorbestehender demenzieller Erkrankung.
Studien, die gezielt stationär eingewiesene Patienten auf demenzielle Vorerkrankungen untersuchen, existieren kaum. Insbesondere operative Patienten in Häusern
ohne Hauptfachabteilung Geriatrie werden nur selten bedarfsgerecht behandelt.
Ziel des Projektes ist es, die Demenz in die
Therapie der ursächlichen Aufnahmeerkrankung einzubeziehen und so eine optimale Rehabilitation zu erreichen.
prozessen. In dem Projekt haben sich
Wohn- und Hausgemeinschaften für ältere Menschen zusammengefunden, in denen überwiegend oder ausschließlich Menschen mit einer Demenzerkrankung leben. Ziel ist es, in einem begleiteten
Austausch von Erfahrungen, Kenntnissen
und Problemlösungsansätzen voneinander zu lernen und so die Qualität der Begleitung von Menschen mit Demenz
weiterzuentwickeln.
patienten im Landkreis Uckermark. Im
Interdisziplinären Betreuungs- und Behandlungsnetz für Demenzpatienten im
Landkreis Uckermark bilden die Fachabteilungen zwei regionaler Krankenhäuser,
niedergelassene Haus- und Fachärzte, Pflegende und Angehörige von Sozialberufen
ein Netzwerk zur Früherkennung und Verlaufsbegleitung von an Demenz erkrankten Menschen. Ziel der Studie ist die Bewertung der Effektivität und Effizienz des
Demenznetzwerkes.
DeWeGE – Berliner Studie zur outcomebezogenen Evaluation der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit
Demenz in ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Ambulant betreute Wohngemeinschaften stellen für Menschen mit
Demenz eine Alternative zum Wohnen
im Pflegeheim dar. In dem Projekt soll eine Charakterisierung der Versorgungsergebnisse, der Versorgungssituation sowie
der Kooperations-/Netzwerkstruktur von
ambulant betreuten Wohngemeinschaften für ältere Menschen mit Demenz im
Land Berlin erarbeitet werden.
Benchmarking-KDA-KCR – Evaluation von Potenzialen der Betreuung und
Begleitung von Menschen mit Demenz in
Wohn- und Hausgemeinschaften durch
die Implementation von Benchmarking-
IDOB – Integrierte Demenzversorgung
in Oberbayern. Die IDOB versteht sich
als gemeindenahes Versorgungskonzept.
Schwerpunkt ist eine psychiatrische und
sozialpflegerische Versorgung von demenziell erkrankten Menschen im vertrauten Umfeld durch einen Integrierten
Versorgungsverbund. Das Evaluationsvorhaben ist darauf ausgerichtet, belastbare
Ergebnisse zu gewinnen, die Erkenntnisse
über Erfolge in der integrierten Versorgung Demenzkranker sowie die Kostenstruktur liefern.
Pflegeoase – Innovative und herkömmliche Versorgungsstrukturen für Menschen
mit schwerer Demenz im Vergleich - Evaluation einer „Pflegeoase“. Zentrales Merkmal der „Pflegeoase“ ist die gemeinschaftliche Pflege und Betreuung in einem Raum
anstelle von Einzelzimmern, eine intensive Beziehungsarbeit sowie die Beteiligung
von Angehörigen und bürgerschaftlich
Engagierten. In einer Evaluation wird die
Lebensqualität der Bewohner/innen untersucht und mit einer herkömmlichen Versorgungsform verglichen.
EVIDENT – Evaluation vernetzter Versorgungsstrukturen für Demenzkranke
und ihre Angehörigen: Ermittlung des
Innovationspotenzials und Handlungsempfehlungen für den Transfer. Für das
Projekt EVIDENT wurden sechs Kooperationspartner ausgewählt, die unterschiedlichste Angebote zur Demenzversorgung und Entlastung pflegender Angehöriger anbieten bzw. diese Angebote
bündeln. Ihre Arbeitsweise soll im Rahmen
des Projektes beleuchtet werden.
jh
Fortsetzung in GERIATRIE JOURNAL 1/2009
19
A M B U L A N T E G E R I AT R I E : S T U R Z P R O P H Y L A X E
Sturzprävention im ambulanten
hausärztlichen Bereich
Uwe Heinen, Mühlheim/Ruhr und Ingo Füsgen, Wuppertal
Stürze sind für ältere Menschen mit Abstand die Unfallursache Nr. 1 und
oftmals der Beginn eines körperlichen Abbaus. Jährlich sterben etwa
10.000 ältere Menschen an den Folgen eines Sturzes. Insbesondere im
ambulanten Bereich sind die Erfassung von Sturzrisiken und eine effiziente Sturzprävention dringend notwendig.
S
20
Auf Grund der vorliegenden Fakten
muss eine der wichtigsten Aufgaben in
der ärztlichen ambulanten, präventiven
Betreuung älterer Menschen heute und in
Zukunft sein, Stürzen vorzubeugen und
Sturzrisiken zu diagnostizieren sowie zu
therapieren.
@ Der Aufsteh-Test (chair-rising-Test)
@ Timed Get-Up a. Go-Test
@ Mobilitätstest n. Tinetti
@ Tandem-Stand
@ Tandem-Walk Performance
@ 10 Meter Walking Test
@ 6 Minutes Walking Test
zielten Assessments (Tab 1). Dabei steht
die Prüfung der Mobilität im Vordergrund.
Mobilität bedeutet „die Fähigkeit zur aufrechten Körperhaltung und Fortbewegung
sowie der sicheren Ausführung von TransSturzprophylaxe
fers, sie unterliegt der Funktionsfähigkeit
Sturzprophylaxe in der hausärztlichen und dem Wechselspiel zahlreicher SysTätigkeit sollte primäre, sekundäre und ter- teme. In erster Linie gehören hierzu das
tiäre Prävention umfassen. Wegen der gra- Sehvermögen, das Nerven- und das Herzvierenden gesundheitliKreislaufsystem sowie die
23% der Patienten
chen und sozioökonomiRegulation von Skelett
mit Hüftfrakturen
schen Folgen bei Stürzen
und Muskulatur. Mit fortim Alter ist die primäre sterben innerhalb von geschrittenem
Alter
Sturzprävention der wenimmt die Funktionsfäzwölf Monaten nach
sentliche Ansatz. Primärhigkeit dieser Körperredem Sturzereignis
prävention beinhaltet in
gulationen ab. Dies beder hausärztlichen Praxis
einflusst den Gang und
die Erfassung der Patienten mit einem er- das Gleichgewicht, also die Balancefähighöhten Sturzrisiko bereits vor dem ersten keit und somit auch das Sturzrisiko“ [14].
Sturzereignis durch Anwendung eines ge- Daneben sind eine Medikamentenanpassung, eine Anpassung des häuslichen Umfeldes und eine Anpassung der Hilfsmittelversorgung von Bedeutung. Immer sind
die Ursachen für Stürze im Alter vielfältig. Der Sturz ist meist das Ergebnis einer
Kombination verschiedener multipler Faktoren, die man versuchen sollte zu erfassen.
Neben den angeführten häufig eingesetzten Mobilitätstests im deutschspra-
Foto: Fotolia – Maceo
turzfolgen im Alter sind geprägt
von Einschränkungen der körperlichen Fähigkeiten, Verminderung
der Selbständigkeit, Immobilität, Beginn
einer Pflegebedürftigkeit, „Hinfälligkeit“,
„Gebrechlichkeit“, „Frailty“ und erheblichen Veränderungen der Lebensqualität.
Nahezu jeder zweite alte Mensch wird
wegen eines Sturzereignisses in der Folgezeit in ein Altenheim eingewiesen [4]. Mit
zunehmendem Alter steigt das Risiko zu
stürzen, gleichzeitig steigt mit höherem
Lebensalter auch das Risiko eines Sturzes
mit Todesfolge. Etwa 30 bis 40% der zu
Hause lebenden Älteren über 65 Jahre und
ca. 50% über 80-Jährigen stürzen mindestens einmal pro Jahr. Bei Pflegeheimbewohnern liegt die Zahl der Sturzunfälle noch höher [5].
10% der Stürze bei zu Hause lebenden
Personen gehen mit Verletzungen einher,
5% mit einer Fraktur. Bei Älteren überwiegen die Oberschenkelhalsfrakturen. So
stieg in Deutschland die Zahl der Hüftfrakturen von 99.141 im Jahr 1995 auf
116.281 im Jahr 2004. Während in den
Altersgruppen unter 40 Jahren die Zahl der
Hüftfrakturen sank, stieg dagegen insbesondere bei den Älteren über 75 Jahren die
Zahl deutlich an [8]. 23% der Patienten
mit Hüftfrakturen sterben innerhalb von
zwölf Monaten nach dem Sturzereignis.
Die Sterberate liegt nach einem Sturz bei
65-Jährigen und älteren Menschen 10bis 150-mal höher als bei jüngeren. Etwa
10.000 Menschen in höherem Alter sterben jährlich an den Folgen eines Sturzes
[1, 3].
Tab. 1: Mobilitätstest [10]
Mit Tai-Chi, dass sich auch für Senioren
gut eignet, können Kraft und Balance
verbessert werden.
GERIATRIE JOURNAL 6/08
A M B U L A N T E G E R I AT R I E : S T U R Z P R O P H Y L A X E
chigen Raum empfiehlt sich in letzter Zeit
noch der POEMS-Test (performanceoriented, environmental mobility screen).
Nach Rein Tideiksaar sollte eine „funktionsorientierte, umgebungsbezogene Mobilitätsprüfung erfolgen, anhand derer beurteilt wird, wie sicher Patienten während
ihrer Alltagsaktivitäten diverse Körperhaltungen einnehmen und alltägliche Bewegungen ausführen“ [14]. So werden bei
dem POEMS-Test neben Gang und Balancefähigkeit, auch die einzelnen Transfers des täglichen Lebens beurteilt, wie
Absetzen auf das Bett, Setzen und Hinlegen, Aufstehen aus dem Bett, Absetzen
auf die Toilette, Greifen nach dem Toilettenpapier und Aufstehen von der Toilette. Der Test wird wie der Mobilitätstest
nach Tinetti unter Zuhilfenahme der aktuell benutzten Hilfsmittel durchgeführt.
Die Testdauer beträgt 10 bis 15 Minuten.
Neben einem geriatrischen Assessment
mit Einschätzung der Sturzgefährdung
sollten „Präventionshausbesuche“ und
„Verlaufsassessments“ zum Standard gehören. „Präventionshausbesuche“ sollten
ein funktionelles Assessment bei älteren Patienten im häuslichen Bereich beinhalten,
d.h. in der gewohnten Umgebung, mit
präventiver Zielsetzung. Der Vorteil eines
Hausbesuches in diesem Zusammenhang
ist die Möglichkeit, den älteren Patienten
in seiner Umgebung zu beurteilen. So können die Mobilität, die Ausführungen der
Transfers, die Nutzung der Hilfsmittel,
aber auch die Nahrungszubereitung, Ver-
Sturzunfälle sind vermeidbar
Die Informationsschrift, die in Zusammenarbeit mit Dr. Clemens Bekker, Geriatrisches Zentrum in Ulm,
entstanden ist, bietet
in den drei Rubriken
„Fit bis ins hohe Alter“,
„Sicher wohnen” und
„Tipps zur Pflege“ praxisnahe Hinweise zum
sicheren Leben in den
eigenen vier Wänden.
Sie steht im Internet
unter www.das-sicherehaus.de zum Download
zur Verfügung und ist kostenlos bei
der Aktion DAS SICHERE HAUS
(DSH), Holsteinischer Kamp 62,
22081 Hamburg, erhältlich.
22
Tab. 2.: Untersuchungsumfang in der hausärztlichen Praxis [n. 4]
@ Blutdruck, Puls, Auskultation von Herzgeräuschen
@ Strömungsgeräusche der Halsschlagader
@ Peripherer Reflexstatus
@ Periphere Durchblutung
@ Berührungs-, Temperatur- und Vibrationsempfinden (Dermatombez.)
@ Hör- und Sehbehinderung (Geriatrisches Assessment)
@ Depression (z.B. geriatrische Depressionsskala)
@ Labor (z.B. Elektrolyte)
@ Ausschluss dementieller Syndrome (z.B. Uhrentest, MMSE)
@ Langzeit-EKG
@ Langzeit-Blutdruckmessung
@ Schellongs-Tests
@ CCT (fakultativ)
@ Ggf. weitere internistische Untersuchungen, wenn entsprechende Hinweise
vorliegen
Tests
auf Sturzrisiko (s. Tab. 1)
@
sorgung mit Nahrungsmitteln, Nahrungsmittellagerung und auch Arzneimittelversorgung einschließlich der Organisation der Medikamenteneinnahme,
deutlich besser erfasst werden. Gleichzeitig können in der Wohnung die externen
Sturzrisikofaktoren erfasst werden und
Maßnahmen zur Minimierung des Sturzrisikos empfohlen werden. Sinnvoll wären
sicherlich auch Gangsicherheitskurse für
sturzgefährdete Ältere vielleicht in Zusammenarbeit mit einer karitativen Vereinigung durchzuführen, wie sie in der
Schweiz bereits angeboten werden [9]. Die
Einrichtung einer eigenen PersonalsteIle
für diesen Bereich (z.B. Krankenschwester), um Interventionen zu koordinieren,
erscheint dagegen wenig sinnvoll [2].
Ist es zum Sturz gekommen, muss eine
Ursachenklärung durchgeführt werden,
die äußere Einwirkungen, innere Ursachen und altersspezifische körperliche
Funktionsdefizite erfasst. Dabei kommt
der Sturzanamnese und der Untersuchung
(Tab. 2) besondere Bedeutung zu.
Nach einem Sturz ist es wichtig eine Risikobewertung, eine Medikamentenanpassung, eine Anpassung des häuslichen
Umfeldes und eine Anpassung bei Hilfsmittelversorgung durchzuführen. Gleichzeitig muss ein Training von Kraft, Gleichgewicht und Koordination durchgeführt
werden, um die intramuskulären koordinativen Fähigkeiten der quergestreiften
Skelettmuskulatur zu verbessern [13].
Unterschätzt wird häufig die Kontrolle
der Elektrolyte, insbesondere des Natriums. Selbst bei einer „asymptomatischen
Hyponatriämie“ besteht erhöhte Sturzgefahr [11]. Große Bedeutung kommt auch
der Erkennung eines Vitamin D-Mangels
und einer Therapie einer bestehenden
Osteoporose zu, um bei weiteren Stürzen
Frakturen zu mindern.
Anmerkungen aus
hausärztlicher Sicht
Die Wirksamkeit für zahlreiche primärpräventive Maßnahmen ist allerdings nur
mäßig gut im Gegensatz zu sekundärpräventiven Maßnahmen belegt. In der Literatur wird daraus der Schluss gezogen,
dass bei primärer Prävention im höheren
Lebensalter Zurückhaltung geboten sei [2,
6, 14]. Dazu fehlen im Gegensatz zur sekundären und tertiären Sturzprävention
noch gesicherte Daten für den ambulanten Bereich. Die Gründe hierfür sind sicherlich komplex und dürften auch durch
die haftungsrechtlichen gesetzlichen Regelungen mit begründet sein. Erschwerend ist auch, dass der niedergelassene Kollege bei Bedarf zur weiteren Abklärung
auf Grund der Komplexität der „Sturzkrankheit“ unterschiedlichste fachärztliche Überweisungen durchführen muss
und nicht einfach wie im Ausland eine
Überweisung an eine Sturzklinik zur weiteren Abklärung möglich ist [7].
GERIATRIE JOURNAL 6/08
A M B U L A N T E G E R I AT R I E : S T U R Z P R O P H Y L A X E
stundenlohn von 44,44 Euro bis 54,00 Euro kann nicht
Ursache der Verletzung
Anzahl: 65 u. älter
von einem angemessenen
Honorar gesprochen werVergiftung
M
17
den. Die gleiche ProblemaW
12
tik gilt auch für den präZ
29
ventiven Hausbesuch. 440
Sturz
M
1.772
Punkte sieht dafür der EBM
W
2.841
2008 bei einer zu erbrinZ
4.613
genden Zeit von über 30
Feuer und Flammen
M
71
Minuten vor. Dazu unterW
85
liegen die Leistungen innerZ
156
halb des Individualbudgets
noch weiteren Kürzungen.
Ertrinken
M
14
Es ist offensichtlich, dass solW
18
che Trends in der HonorieZ
32
rung ärztlicher Leistungen
Mechanisches Ersticken
M
65
insbesondere nicht im InterW
132
esse der Prävention und VerZ
197
sorgung betagter, gefährdeVerbrennen, Verbrühen,
M
13
ter bzw. chronisch kranker
heiße Substanzen
W
21
Menschen liegen [12]. Dies
gilt in besonderer Weise für
Z
34
hausärztlich präventive
Sonstige Unfälle
M
134
Maßnahmen, wie hier der
W
241
Sturzprophylaxe.
Z
375
Leider fehlen zur Zeit in
Gesamt
M
2.086
Deutschland flächendeW
3.350
ckende Programme zur
Z
5.436
Sturzprophylaxe im ambulanten Bereich, die verM = Männlich, W = Weiblich, Z = Zusammen
Quelle: DSH/Statistisches Bundesamt Wiesbaden
gleichbar wären zum Ulmer
Modellvorhaben zur „VerMit Einführung der Gebührenordnung minderung von sturzbedingten VerletEBM 2008 zum 01.01.2008 wurde den zungen bei alten – und PflegeheimbeHausärzten ermöglicht, ein entsprechen- wohnern“. So ist man bisher auf Empdes „hausärztliches geriatrisches Assess- fehlungen und Informationsbroschüren
ment“ nach Gebührenordnungsziffer beschränkt. Dazu kommt noch, dass die
03240 in ihrer hausärztlichen Tätigkeit li- Kostenübernahme für Präventionsbesuquidieren zu können. Das
che und präventive MaßNotwendig sind
hausärztliche geriatrische
nahmen, wie Kraft und
Assessment nach Ziffer definierte Präventions- Gleichgewichtstraining
03240 ist mit 370 Punkleitlinien, die flächen- des Patienten bisher nicht
ten und einem Zeitfengeklärt ist. Kranken- und
deckend eingesetzt
ster von zehn Minuten
Pflegekassen haben Hilfswerden können
innerhalb der budgetiermittel zur Sturzpräventen Leistungen in der Getion meist nicht in ihrem
bührenordnung festgelegt worden. Bei ei- Leistungskatalog. Nicht unberechtigt benem Punktwert zwischen 4 und 5 Cent er- steht hier eine entsprechende Zurückhalgibt sich ein Honorar zwischen 14,80 Euro tung im hausärztlichen Bereich für das
und 18,00 Euro. Bei einem tatsächlichen Aufgreifen der doch so wichtigen SturzZeitaufwand von ca. 20 Minuten stellt sich prävention beim alten Patienten.
hier die Frage: Wird diese Leistung des
Auf Grund der großen Bedeutung für
Hausarztes entsprechend honoriert? Si- die Gesundheitsversorgung älterer Mitcherlich nicht, denn bei einem Brutto- bürger muss aber das Problem der Stürze
Tab. 3: Tödliche häusliche Unfälle 2006
GERIATRIE JOURNAL 6/08
aufgegriffen werden und dies kann nur
durch den Hausarzt als direkter Partner des
alten Menschen gelöst werden. Definierte Präventionsleitlinien sind hier gefordert, die auch flächendeckend eingesetzt
werden können. Dazu sollten verständlicherweise auch entsprechende Kostenerstattungen für die verschiedenen im Team
zu leistenden Maßnahmen kommen.
Literatur:
1. Centers for Disease Control and Prevention. National summery of injury mortality data, 1988-1994,
Atlanta, Author, 1996
2. Eley, C. R., Robertson, M. C., et al.: Effectiveness of
a Falls – and – a Fracture Nurse Coordinator to
Reduce Falls: A Randomized controlled Trial of At –
Risk Oder Adults. JAGS 56 (2008) 1383-1389
3. Fischer, E. S. et al.: Hip fracture mortality in New
England, Epidemiology, 2 (2), 1991
4. Franck, M., Moorahrend, U.: Weshalb die Sturzprophylaxe für Ihre betagten Patienten so wichtig ist.
MMW-Fortschr. Med. 49-50 (2005) 38-48
5. Gillespie, L. D., et al.: Interventions for preventing
falls in elderly people (Cochrane Review) The
Cochrane Library, Issue 2 (2003)
6. Hendriks, M. R., Bleijlevens, M. C., et al.: Lack of
Effectiveness of a Multidisciplinary Fall-Prevention
Program in Elderly People at Risk: A Randomized,
Controlled Trial. JAGS 56 (2008) 1390-1397
7. Hili, K. D. et. al.: Effectiveness of Falls Clinics. An
Evaluation of outcomes and dient adherence to
recommended intervention. J. Am Geriat. Soc. 56
(2008) 600-608
8. Icks, A. et. al.: Stürze und ihre Folgen: Risiko
erkennen und vermeiden. Ärztekammer Nordrhein
(2007), Rhein. Ärzteblatt 12 (2007)
9. Knuchel-Schnyder, S., et al.: Gangsicherheitskurse
bringen signifikante Verbesserungen. Geriatrie
Praxis 4 (2006) 24-27
10. Österreichische Gesellschaft für Geriatrie und
Gerontologie: Österreichisches Geriatrisches
Basisassessment. SMZ-Sophienspital, Apollogasse
19, A-1 070 Wien, 2005, 11-15
11. Renneboog, B., et al.: Mild Chronic Hyponatremia is
Associated with Falls, Unsteadiness and Attention
deficits. Am J. Med. 119 (2006) 71-78
12. Sauerbrey, G.: Perspektiven hausärztlicher Versorgung – aus der Sicht geriatrischer Patienten.
Gesellschaftspolitische Kommentare 7 (2008) 1-5
13. Schumacher, J.: In: Krafttraining und Tai-Chi gegen
Stürze. MMW-Fortschr. Med. 45 (2007) 14-16
14. Tideiksaar, Rein.: Stürze und Sturzprävention.
Assessment – PräventionManagement. Verlag Hans
Huber – 2. Auflage, 2008
Dr. med. Uwe Heinen,
Arzt für Allgemeinmedizin,
Coburger Str. 21,
47169 Duisburg
Prof. Dr. med. Ingo Füsgen,
Lehrstuhl für Geriatrie der Universität
Witten/Herdecke, Ärztlicher Direktor
der Geriatrischen Kliniken der
Kliniken St. Antonius Wuppertal,
Carnaper Str. 60, 42283 Wuppertal
23
F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N
Der Sturz als Zeichen des
Gebrechlichkeits-Syndroms
Martin Runge, Esslingen
Wir gehen mühelos, sicher und ohne Anstrengung, solange wir gesund
und jung genug sind. Unter normalen Umgebungsbedingungen und bei
alltagsüblichen Aufgaben erfordert das Gehen keine besondere Aufmerksamkeit. Wenn wir uns jedoch bei solchen „Standardbedingungen“
darauf konzentrieren müssen, nicht zu stolpern oder gar hinzufallen, ist
dies ein Zeichen, dass das lokomotorische System gestört ist. Diese
Situation tritt mit zunehmendem Alter immer häufiger auf und ist eine
diagnostische und therapeutische Herausforderung.
skeletale System dar, entscheidend für
Verschleiß und Energieverbrauch bei der
Lokomotion.
Altersassoziierte Stürze sind ein medizinisch relevantes Ereignis mit hoher Signalwirkung. 80% von ihnen geschehen
in gewohnter Umgebung bei alltagsüblichen Aktivitäten und sind ein Zeichen
dafür, dass die neuromuskuläre Kompetenz eine kritische Grenze unterschritten
hat. Sie sind Indikator eines erhöhten
schen Wahrheit“ simulieren: das Hüpfen Risikos für Immobilität und Pflegebeauf einem Bein, erschwerend mit leicht dürftigkeit und Symptom des Frailtynach vorn geneigtem Oberkörper. Wer bzw. Gebrechlichkeitssyndroms [16, 17,
fühlen will, auf welche Muskelgruppe es 19, 20]. Stürze kennzeichnen und verdabei vor allem anursachen eine Entwickkommt, fasse sich bei Altersassoziierte Stürze lung, die über Verletdiesem Manöver an den
zungen,
Frakturen,
sind ein medizinisch
Gesäßmuskel der StandSturzangst
und
verrinrelevantes Ereignis mit
oder besser Sprunggerte körperliche Aktihoher Signalwirkung
beinseite. Es ist vor alvität letztlich den Verlem die Glutaelmuskulust der funktionellen
latur, die uns befähigt, das dabei entste- Selbständigkeit beschleunigt. Sie sind
hende Drehmoment des Oberkörpers zu gekennzeichnet durch eine seitliche
kontrollieren. Der beschriebene Vorgang Sturzrichtung mit Aufprall im Trostellt die häufigste und höchste habi- chanterbereich und durch eine hohe Ratuelle Krafteinleitung in das muskulo- te schwerwiegender Frakturen und anderer Verletzungen (Tab. 1). Mehr als
90% der Frakturen von Femur, Humerus, Becken und Radius entstehen durch
einen Sturz [16, 17, 19, 20]. Eine Reduktion der Altersstürze bedeutet deshalb
eine Reduktion von Frakturen und der
damit verbundenen persönlichen und
gesellschaftlichen Belastungen.
Altersassoziierte Stürze müssen entsprechend ihrer unterschiedlichen Pathogenese differenziert werden (Tab. 2).
Die nicht-synkopalen = lokomotorischen
Stürze ohne wesentliche äußere Verur-
24
Foto: DSH
E
in Sturz in gewohnter Umgebung
und bei einer alltagsüblichen Tätigkeit weist auf eine Störung in
dem komplexen System hin, das die dynamische Stabilität unseres Körpers im
Einbeinstand kontrolliert (= posturales
System). Wenn wir das Thema auf einen
entscheidenden Augenblick des Gangzyklus fokussieren, reden wir von dem
Moment, in dem beim 2-beinigen
menschlichen Gang 80% des Körpergewichtes auf ein Bein verlagert werden
und in dem das neuromuskuläre System
Schwerkraft und Fliehkraft (Massenträgheit) des sich bewegenden Körpers
innerhalb von Millisekunden kontrollieren muss, um den Massenschwerpunkt
über die Unterstützungsfläche zu bringen. Dieser normalerweise mühelose,
vollständig automatisierte Vorgang führt
bei mehr als einem Drittel der über 60Jährigen mindestens einmal pro Jahr zur
einem Sturz.
Eine Zuspitzung der Anforderungen
stellt das Stolpern dar: wir bleiben mit
einem Fuß hängen, die Massenträgheit
trägt den Körperschwerpunkt über die
Unterstützungsfläche hinaus und es
kommt zu den 100-200 Millisekunden
der Wahrheit. Wer jetzt nicht schnell
und exakt genug genügend Muskelleistung auf einem Bein generieren kann,
kommt zu Fall. Eine einfache Aufgabe
kann diesen „Moment der lokomotori-
Die rechtzeitige Einleitung der geriatrischen Rehabilitation bei Patienten mit
Frailty-Syndrom gehört zu den Kernaufgaben des ambulanten Gesundheitssystems.
GERIATRIE JOURNAL 6/08
F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N
Die pathogenetische Wurzel der Altersstürze ist als kombinierte Folge von
drei interagierenden Entwicklungslinien
@ Jährliche Sturzquote bei Personen 65 Jahre und älter ca. 30%
zu betrachten:
Sturzquote
>
80
Jahre
und
bei
Pflegeheimbewohnern
>
50%
@
@ physiologische Alterungsprozesse
5%
@ Frakturen insgesamt nach Sturz
@ Multimorbidität und ihre funktionel1%
@ prox. Femurfrakturen nach Sturz
len Folgen
Sturzangst, freiwillige
@ psycholog. Sturzfolgen
@ dekonditionierender Lebensstil.
Beschränkung körperKommt zum Sturzrisiko eine Osteopolicher Aktivität
rose hinzu, steigt das Frakturrisiko steil
> 90%
an. Sturzrisiko und Osteoporose haben
@ prox. Femurfrakturen, prox. Humerusfrakturen
sturzbedingt
im altersassoziierten Muskelabbau eine
gemeinsame Wurzel (Sarkopenie [21]).
Folgen
von
prox.
Femurfrakturen
plus-Mortalität
20%
@
plus-PflegeheimDie multifaktorielle pathogenetische
aufnahme 20%
Entwicklung, die über Muskelabbau, verminderte Mobilität, Stürze und Frakturen letztlich zu einem hohen Risiko von
Tab. 2: Differenzierung altersassoziierter Stürze [3, 4]
Hospitalisierung, Immobilität und Pflegebedürftigkeit führt, wird in der interSynkopale
Stürze
(nicht-lokomotorische
Stürze,
max.
10%):
@
nationalen Forschung „frailty syndroFolge eines Bewusstseinsverlustes oder einer anderen anfallsweisen Bewusstseinsstörung, z.B. eines systemischen Schwindels
me“ genannt (frail (engl.) = gebrechlich,
hinfällig (Tab. 3)). Die deutsche BeExtrinsische
Stürze
(=
Unfall
=
von
außen
ausgelöst,
max
10%):
@
zeichnung „Gebrechlichkeitssyndrom“
überwältigende Kraft von außen oder außergewöhnliche äußere Umstände
(z.B. glatter Boden) führen zu einer so starken Verlagerung des Körperschwerhat sich noch nicht genügend durchgepunktes, dass auch ein Mensch mit normaler Haltungskontrolle hinfällt.
setzt.
Altersstürze sind ein ideales Paradigma,
@ Intrinsische lokomotorische Stürze (80%):
ausgelöst von Faktoren, die im Stürzenden selbst liegen, bei üblichen Alltagsum im Gegensatz zu einliniger nosoloaktivitäten und in gewohnter Umgebung ohne akute Veränderung des
gischer Betrachtungsweise die kompleBewusstseins und ohne gravierende Krafteinwirkung oder Schwerpunktverlaxen Interaktionen des Alterungsprozesgerung von außen.
ses zu erkennen. Sie sind multifaktoriell
verursacht, d.h. für einen Sturz finden
sachung sind nicht Folge einer einzel- kulären Befunde in den altersbezogenen sich regelhaft mehrere Ursachen aus vernen Erkrankung, sondern Resultat eines Gesamtrahmen eingeordnet werden. Das schiedenen Organsystemen, die sich
altersassoziierten Abbaus von Muskeln neuromuskuläre System spiegelt in be- gegenseitig verstärken (Prinzip der Akund neuromuskulärer Kompetenz (Sar- sonders leicht zugänglicher Weise auf kumulation und Interaktion). Der Sturzkopenie, Frailty-Syndrom). Zur Erinne- Grund zahlloser Wechselwirkungen den patient hat ein jeweils individuelles Bünrung: Stolpern bei Alltagsaktivitäten ist Zustand anderer Organsysteme oder del von Faktoren, die in aktuell wechfür neuromuskulär fitte Menschen kein Funktionskreise wider. Kardiopulmo- selnder Kombination seine erhöhte
adäquater Sturzanlass. Dabei gibt es im- nale, vaskuläre, metabolische, renale und Sturzneigung verursachen. Je mehr diemer eine Wechselwirkung zwischen der natürlich neuronale Erser Risikofaktoren ein
aktuellen neuromuskulären Kapazität krankungen und nicht- Altersassoziierte Stürze einzelner Mensch aufmüssen entsprechend
und den extrinsischen Herausforderun- nosologische Verändezuweisen hat, desto grögen. Es ist im Einzelfall zu differenzie- rungen führen in einer
ihrer unterschiedlichen ßer ist seine Sturzgefahr
ren, ob die Sturzsituation ausreichend gemeinsamen pathoge(Tab. 4). Die SturzrisiPathogenese
ist, um bei einem neuromuskulär intak- netischen Endstrecke zu
kofaktoren ermöglichen
differenziert werden
ten Menschen zu einem Sturz zu führen. lokomotorisch sichtbaeine RisikostratifizieDabei gibt es fließende Übergänge und ren Defiziten und sind
rung und repräsentieren
multiple Interaktionen. Diagnostische dadurch an lokomotorischen Leistun- gleichzeitig Therapieziele. Ihre quantifiAufgabe ist die Antwort, ob dieser Sturz gen erkennbar und vor allem quantifi- zierende Messung durch geeignete Testein Hinweis auf ein neuromuskuläres zierbar. Wie kein anderer Messwert spie- verfahren ermöglicht eine rationale PlaDefizit ist, das über das physiologische gelt die frei gewählte Gehgeschwindig- nung und Verlaufskontrolle der SturzAltersmaß oder das hier erreichbare in- keit den Gesamtzustand eines älteren prävention. Dabei genügt es nicht, die
dividuelle Optimum hinausgeht.
Menschen wider, hat die geriatrische For- Patienten in klassischer Weise über eine
Um diese Situation diagnostisch rich- schung und Praxis in den letzten Jahren Einzelkrankheit zu charakterisieren. Dietig einzuordnen, sollten die neuromus- immer wieder bestätigt gefunden.
ser nosologische Zugang muss ergänzt
Tab. 1: Fakten zu Altersstürzen und Sturzfolgen [1-7]
GERIATRIE JOURNAL 6/08
25
F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N
werden durch eine quantifizierende, standardisierte Funktionsdiagnostik (lokomotorisches Assessment).
Therapeutische Konsequenzen aus
dem Sturzrisikoassessment
Aus der multifaktoriellen Pathogenese
von Stürzen ergibt sich die Notwendigkeit von multifaktoriellen Interventionen, mit denen es mehrfach gelungen ist,
die Sturzhäufigkeit signifikant zu senken [3, 28]. Dabei sind die Ergebnisse
des lokomotorischen Assessments wegleitend für Planung, Durchführung und
Evaluierung der Therapie.
Altersassoziierte neuromuskuläre Defizite können mit einem geeigneten Bewegungsprogramm gezielt verbessert oder
in ihrer Entwicklung gebremst werden
[22]. Dabei ist Muskelaufbau durch
Krafttraining wirksam zum Erhalt von
Knochenfestigkeit, wohingegen das Training von Muskelleistung und Balance
entscheidend zur Sturzreduktion ist. Die
Differenzierung von Muskelkraft und
Muskelleistung (= Kraft mal Geschwindigkeit) ist wesentlich für Diagnostik,
Therapieplanung und -evaluation [2, 7,
29].
Da motorisches Lernen hochspezifisch
ist, müssen exakt die motorischen und
posturalen Situationen und Komponenten geübt werden, die pathogenetisch beim Alterssturz die entscheidende Rolle spielen (Tab. 4).
Der typische seitliche Sturzmechanismus mit Aufprall auf den großen Trochanter ermöglicht auch protektive Maßnahmen, um die eingeleiteten Kräfte zu
reduzieren. Der dänische Unfallchirurg
Lauritzen hat den ersten wissenschaftlich
überprüften Hüftprotektor entwickelt
(Safehip [13]).
Die medikamentösen Möglichkeiten
gegen Sturzgefahr bestehen zuerst im
Minimieren von sturzfördernden Medikamenten (Neuroleptika, Benzodiazepine, Antidepressiva und wohl auch Opiate). Deren aktuelle Indikation muss im
Fall eines Sturzes überprüft werden, ihre Dosierung und Verteilung über den
Tag möglichst optimiert werden. Die
Multimedikation als solche ist als Indikator für Multimorbidität erst einmal
26
Tab. 3: Kriterien des Gebrechlichkeitssysndroms nach Fried et. al. [8]
@ Muskelschwäche (z.B. veringerte Handgriffstärke)
@ reduzierte habituelle Gehgeschwindigkeit
@ Erschöpfung (subjektiver Bericht)
@ reduzierte körperliche Aktivität
@ unfreiwillier Gewichtsverlust
Eigener Definitionsversuch: altersgekoppelter Abbauprozess mehrerer Organsysteme mit erhöhter Vulnerabilität durch Reduktion physiologischer Reserven mit
messbar erhöhter Wahrscheinlichkeit altersassoziierter gesundheitlicher Negativereignisse (erhöhte Morbidität und Mortalität, erhöhtes Risiko von Stürzen,
Immobilisation, Hospitalisation und anhaltender Pflegebedürftigkeit, precursor
of disability).
Tab. 4: Unabhängige Sturzrisikofaktoren
Patienten mit erhöhter Sturzgefahr sind an folgenden Risikofaktoren zu erkennen, die sich in prospektiven Untersuchungen als unabhängig sturzkorreliert
erwiesen haben [9-18]:
@ Verminderte Muskelleistung der unteren Extremitäten (Aufstehtest*)
@ gestörte Balance zur Seite (Tandemstand, Tandemgang*)
@ Visusminderung
@ Multimedikation (4 oder mehr Medikamente)
@ Einnahme bestimmter Medikamentengruppen
(Neuroleptika, Antidepressiva, Benzodiazepine, Antikonvulsiva)
@ kognitive Störungen (Dementielle Entwicklungen)
@ verminderte Nierenleistung
(Kreatinin-Clearance unter 65 ml/ Min nach Cockroft-Gault)
* Standardisierte Durchführungsbestimmungen können beim Autor per Email angefordert
werden ([email protected], www.Dienste-fuer-Menschen.de). Wir bieten im Fortbildungszentrum der Aerpah-Klinik Schulungen und Hospitation zum Erlernen des Sturzrisikos und
Bewegungsprogrammen zur Sturzprävention an.
ein nicht-kausaler Indikator von erhöhtem Sturzrisiko (Tab. 4).
Frakturvermeidung ist ein vordringliches Ziel bei der Behandlung des Sturzsyndroms. Dazu ist ein multifaktorieller
Ansatz sinnvoll, der u.a. Knochenfestigkeit und Sturzneigung ins Visier nimmt.
Die Verbesserung der Knochenfestigkeit
mit einer leitliniengerechten Osteoporosemedikation bietet die Chance, über
eine Verbesserung der Knochenfestigkeit
Frakturen zu reduzieren.
Bisher verfügen wir über einen medikamentösen Ansatz, um das Sturzrisiko
zu mindern, nämlich Alfacalcidol als Vitamin D-Prohormon. Die deutschen
Osteologie-Leitlinien (www.dv-osteologie.de) betonen die Bedeutung der Sturzprävention und führen Alfacalcidol als
Mittel auf, das sowohl die Knochenfestigkeit verbessern als auch die Sturzrate
senken kann. Von den D-Hormonen
bzw. Alfacalcidol als Pro-Hormon ist
nachgewiesen, zusätzlich zur Verbesserung der Knochenfestigkeit die neuromuskulären Funktionen zu verbessern
und dadurch das Sturzrisiko zu senken,
und zwar bei Patienten mit normalem Vitamin-D-Spiegel [9, 23].
Dass Defizite im Vitamin-D-Stoffwechsel zu neuromuskulären Defiziten
führen, ist gut bekannt, wird aber noch
zu selten praktisch berücksichtigt. Vitamin-D wird in zwei Hydroxylierungsschritten zum aktiven D-Hormon umgebaut, das allein physiologisch wirksam
ist. Der zweite, renale Hydroxylierungsschritt ist das physiologische „bottleneck“, mit der eine Hypervitaminose
durch zu viel Sonne regulativ vermieden
wird. Diese zweite renale Hydroxylierung wird im Alter oft defizitär, erkennGERIATRIE JOURNAL 6/08
F R A I LT Y : R I S I K O F A K T O R E N
bar an einer verminderten KreatininClearance. So entsteht im Alter nicht
nur oft ein Mangel an nativem Vitamin
D (25-OH-D3), sondern bei normalen
25-OH-D3-Spiegeln ein Mangel an Vitamin-D-Hormon (Calcitriol), bedingt
durch 1-Alfa Hydroxylase-Mangel bei
verminderter Nierenfunktion. Dies führt
neben einem gestörten Knochenstoffwechsel zu neuromuskulären Defiziten
mit erhöhter Sturzinzidenz. Neben der
verringerten Hydroxylierung in der Niere tragen Sonnenmangel besonders nördlich des 50. Breitengrades (durch atmosphärische Absorption verminderter
UVB-Anteil), altersassoziierte Veränderungen der Haut und eine verminderte
Zahl von Vitamin-D-Rezeptoren zu einem D-Hormon-Mangel, der durch Alfacalcidol ausgeglichen werden kann. Bei
Patienten mit einer Kreatinin-Clearance unter 65 ml/Min besteht ein 4-fach
erhöhtes Sturzrisiko und in dieser Situation ist mit Alfacalcidol ein Senkung der
Sturzinzidenz um 71% möglich [5, 6].
Die Indikationsstellung ergibt sich auf
der Basis einer neuromuskulären Funktionsmessung im Rahmen eines Sturzrisikoassessments und der einfach zu handhabenden Abschätzung der Nierenleistung mit der Cockroft-Gault-Formel.
Ausblick
In den nächsten Jahre muss in prospektiven Studien gezeigt werden, wie das
optimale therapeutische Ensemble von
Interventionen sich zusammensetzen sollte, um die Zahl der Altersstürze effektiv
zu reduzieren.
Die therapeutischen und präventiven
Chancen, die das frühzeitige Erkennen
des Frailty-Syndroms bieten, können auf
breiter Fläche genutzt werden. Die rechtzeitige Einleitung der geriatrischen Rehabilitation bei Patienten mit FrailtySyndrom (Gebrechlichkeitssyndrom) gehört dabei zu den Kernaufgaben des
ambulanten Gesundheitssystems. Dass in
Deutschland geriatrische Rehabilitationen in der Regel erst dann eingeleitet
werden, nachdem es zu akuten, katastrophalen Einbrüchen der Gesundheit
gekommen ist, stellt ein folgenschweres
Versäumnis dar. Geriatrische Patienten
GERIATRIE JOURNAL 6/08
mit Stürzen im Gebrechlichkeits-Prozess
sind ein Paradigma für die Aufgabe, präventive, kurative und rehabilitative Maßnahmen bei geriatrischen Patienten zu integrieren, um vorzeitige Pflegebedürftigkeit zu reduzieren. Dazu ist es
erforderlich, diese Patienten im ambulanten Bereich zu identifizieren und geriatrische Rehabilitationen rechtzeitig
vor dem Frakturereignis zu veranlassen.
Literatur
1. Campbell AJ, Borrie MJ, Spears GF: Risk factors for
falls in a community-based prospective study of
people 70 years and older. J Gerontol. 1989; 44:
M112-17
3. Campbell AJ, Robertson MC, Gardner MM, Norton
RN, Tilyard MW, Buchner DM: Randomised controlled trial of a general practice programme of home
based exercise to prevent falls in elderly women.
BMJ. 1997; 315: 1065-1069
3. Close J, Ellis M, Hooper R, Glucksman E, Jackson S,
Swift C : Prevention of falls in the elderly trial
(PROFET): a randomised controlled trial. Lancet
1999; 353: 93-97
4. Cummings SR, Nevitt MC, Browner WS, Stone K,
Fox KM, Ensrud KE, Cauley J, Black D, Vogt TM, for
the Study of Osteoporotic Fractures Research
Group : Risk factors for hip fracture in white
women. N Engl J Med. 1995; 332: 767-73
5. Dukas L, Bischoff HA, Lindpaintner LS, Schacht E,
Birkner-Binder D, Damm TN, Thalmann B, Stähelin
HB. Alfacalcidol Reduces the Number of Fallers in
a Community-Dwelling Elderly Population with a
Minimum Calcium Intake of More Than 500 Mg
Daily. J Am Geriatr Soc 2004; 52: 230-236
6. Dukas L, Schacht E, Mazor Z, Staehelin HB. Treatment with alfacalcidol in elderly people significantly decreases the high risk of falls associated
with a low creatinine clearance of < 65 ml/min.
7. Fiatarone MA, EF O`Neill, ND Ryan, KM Clements,
GR Solares, ME Nelson, SB Roberts, JJ Kehayias,
LA Lipsitz, WJ Evans: Exercise Training and Nutritional Supplementation for Physical Frailty in Very
Elderly People. N Engl J Med 1994; 330: 1769-75
8. Fried LP, Tangen CM, Walston J, Newman AB,
Hirsch C, Gottdiener J, Seeman T, Tracy R, Kop WJ,
Burke G, McBurnie MA; Cardiovascular Health
Study Collaborative Research Group (2001) Frailty
in older adults: evidence for a phenotype. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 56 (3): M146-56
9. Gallagher JC, Fowler SE, Detter JR, Sherman SS:
Combination treatment with estrogen and calcitriol in the prevention of age-related bone loss.
J Clin Endocrinol Metab 2001; 86 (8): 3618-28
10. Grisso JA, Kelsey JL, Strom BL, Chiu GY, Maislin G,
O'Brien LA, Hoffman S, Kaplan F, Northeast Hip
Fracture Study Group : Risk factors for falls as a
cause of hip fracture in women. N Engl J Med.
1991; 324:1326
11. Guralnik JM, L Ferrucci, EM Simonsick, ME Salive,
RB Wallace : Lower-Extremity Function in Persons
Over the Age of 70 Years as a Predictor of Subsequent Disability. N Engl J Med. 1995; 332:556-61
12. Ivers RQ, Cumming RG, Mitchell P, Attebo K: Visual
impairment and falls in older adults: The Blue
Mountains eye study. J Am Geriatr Soc. 1998; 46:
58-64
13. Lauritzen JB, Petersen MM, Lund B: Effect of
external hip protectors on hip fractures. Lancet
1993; 341:11-13
14. Leipzig RM, Cumming RG, Tinetti ME : Drugs and
falls in older people:A systematic review and
meta-analysis: I. Psychotropic drugs. J Am Geriatr
Soc. 1999; 47: 30-39
15. Nevitt MC, Cummings SR, Kidd S, Black D: Risk
factors for recurrent nonsyncopal falls: a prospective study. JAMA 1989; 261:2663-8
16. Nevitt MC, Cummings SR: The Study of Osteoporotic Fractures Research Group. Type of fall and
risk of hip and wrist fractures: the study of osteoporotic fractures. J Am Geriatr Soc . 1993; 41 (11):
1226-1234
17. Parkkari J; Kannus P; Palvanen M; Natri A; Vainio
J; Aho H; Vuori I; Jarvinen M: Majority of hip
fractures occur as a result of a fall and impact on
the greater trochanter of the femur: a prospective
controlled hip fracture study with 206 consecutive patients. Calcif Tissue Int. 1999; 65 (3): 183-7
18. Robbins AS, Rubenstein LZ, Josephson KR,
Schulman BL, Osterweil D, Fine G : Predictors of
falls among elderly people. Results of two population-based studies. Arch Intern Med. 1989; 149:
1628-33.
19. Runge M : Die multifaktorielle Genese von Gehstörungen, Stürzen und Hüftfrakturen im Alter.
Z Gerontol Geriat. 1997; 30: 267-275
20. Runge M: Gehstörungen, Stürze, Hüftfrakturen.
Steinkopff-Verlag Darmstadt 1998
21. Runge M, Hunter G: Determinants of Musculoskeletal frailty and the Risk of Falls in Old Age.
J Musculoskelet Neuronal Interact 6, 2006: 167173
22. Runge M, Felsenberg D (2006) Bewegungsprogramm zur Prävention von Stürzen und Frakturen.
Arthritis und Rheuma 26: 239-47.
23. Schacht E, Richy F, Reginster JY (2005) The therapeutic effects of alfacalcidol on bone strength,
muscle metabolism and prevention of falls and
fractures. J Musculoskelet Neuronal Interact 2005
5 (3): 273-284
24. Thapa PB, Gideon P, Cost TW, Milam AB, Ray WA :
Antidepressants and the risk of falls among
nursing home residents. N Engl J Med. 1998; 339:
875-82
25. Tinetti ME, Williams CS : Falls, injuries due to
falls, and the risk of admission to a nursing
home. N Engl J Med. 1997; 337 (18): 1279-1284
26. Tinetti ME, Williams TF, Mayewski R: Fall risk
index for elderly patients based on number of
chronic disabilities. Am J Med. 1986; 80: 429-34.
27. Tinetti ME, Speechley M, Ginter SF : Risk factors
for falls among elderly persons living in the
community. N Engl J Med. 1988; 319: 1701-1707
28. Tinetti ME, Baker DI, McAvay G, Claus EB, Garett
P, Gottschalk M, Koch ML, Trainor K, Horwitz RI :
A multifactorial intervention to reduce the risk of
falling among elderly people living in the community. N Engl J Med. 1994; 331: 821-827
29. Wolf SL; Barnhart HX; Kutner NG; McNeely E;
Coogler C; Xu T: Reducing frailty and falls in older
persons: an investigation of Tai Chi and computerized balance training. Atlanta FICSIT Group.
Frailty and Injuries: Cooperative Studies of
Intervention Techniques. J Am Geriatr Soc 1996;
44: 489-97
Dr. med. Martin Runge,
Ärztlicher Direktor der Aerpah-Klinik
Esslingen-Kennenburg,
Kennenburger Str. 63,
73732 Esslingen,
eMail: [email protected]
27
K A R D I O LO G I E : H E R Z I N S U F F I Z I E N Z
Palliative Therapie bei weit
fortgeschrittener Herzinsuffizienz
Mathias H.- D. Pfisterer und Jürgen Heins, Darmstadt
Die Herzinsuffizienz zählt zu den häufigsten internistischen Erkrankungen. Sie geht mit einer hohen Beeinträchtigung der Lebensqualität
einher und liegt in der Todesursachenstatistik 2006 des statistischen
Bundesamtes auf Platz 3. Der Artikel gibt Hinweise zur palliativen
Behandlung bei weit fortgeschrittener Erkrankung.
E
Prognose bei Herzinsuffizienz
Die Framingham-Studie hat gezeigt, dass
die 5-Jahres-Mortalität einer neu diagnostizierten Herzinsuffizienz bei 50%
liegt [12]. Allerdings ist eine zuverlässige Vorhersage der 6- bis 12-Monats-Überlebenszeit für den einzelnen herzinsuffizienten Patienten beinahe unmöglich.
Häufig genannte Gründe hierfür sind:
@ Unvorhersehbarer Krankheitsverlauf
mit hoher Inzidenz eines plötzlichen
Herztodes (25-50%)
@ Unterschiedliche Umsetzung evidenzbasierter Behandlungsleitlinien
@ Inter-Observer Differenzen bei der Zuordnung verschiedener Schweregrade
der Herzinsuffizienz (NYHA-Stadien)
@ Heterogene Studienpopulationen in
der wissenschaftlichen Literatur zum
Thema Herzinsuffizienz.
Als unabhängige Indikatoren für eine
schlechte Prognose bei Herzinsuffizienz
gelten:
Foto: Sebastian Kaulitzki – Fotolia.com
rkrankungen des Kreislaufsystems bensqualität einher [16]. Patienten mit
stellten im Jahre 2006 mit 43,7% Todesursache Herzerkrankung versterdie mit Abstand häufigste Todesur- ben meist im Krankenhaus. Häufig persache in Deutschland dar. Neubildungen sistieren belastende Symptome mehr als
waren dagegen bei 25,7%
sechs Monate. Diese beEine Besonderheit der
aller Verstorbenen die Toeinträchtigten die Ledesursache. In der Grup- fortgeschrittenen Herz- bensqualität erheblich. In
pe der an Kreislaufereiner englischen Studie
insuffizienz ist der
krankungen Verstorbehatte mindestens jeder
schwer vorhersehbare
nen betrug der Anteil der
siebte, der an einer HerzKrankheitsverlauf
über 65-Jährigen 91%
erkrankung verstorben
[16]. Dies verdeutlicht,
war, an ebenso schweren
dass Erkrankungen des Kreislaufsystems, Symptomen gelitten wie onkologische
insbesondere die Herzinsuffizienz, eine Patienten, die durch spezialisierte Palliatypische Alterserkrankung sind.
tivmediziner oder in Hospizen betreut
Hauptursache der Herzinsuffizienz ist waren [2, 3, 11].
die koronare Herzkrankheit. Weitere
mögliche Ursachen sind Hypertonie, Kardiomyopathie, Alkoholexzess, Viruserkrankungen und metabolische Störungen. Eine Besonderheit der fortgeschrittenen Herzinsuffizienz ist der schwer
vorhersehbare Krankheitsverlauf, der
mittels evidenzbasierter Therapie jedoch
erheblich beeinflusst werden kann und
doch mit einer hohen Inzidenz an plötzlichem Herztod einhergeht. Bei manifester Herzinsuffizienz gilt es bei Herzerkrankten deshalb, komplexe Aspekte
wie Beeinflussung des Erkrankungsprozesses, Symptommanagement (physisch
und nicht-physisch), unsichere Prognose und das hohe Risiko eines plötzlichen
Herztodes zu beachten.
Herzinsuffizienz geht im Vergleich zu
anderen chronischen Erkrankungen wie
Diabetes, Arthritis und Hypertonie mit In einer englischen Studie litt mindestens jeder siebte, der an einer Herzerkrankung
einer stärkeren Beeinträchtigung der Le- verstorben war, an ebenso schweren Symptomen wie onkologische Patienten.
28
GERIATRIE JOURNAL 6/08
K A R D I O LO G I E : H E R Z I N S U F F I Z I E N Z
@ Kürzliche Krankenhausaufnahme we-
te Anlass sein, mit dem Patienten über spegen kardialer Ursache (verdreifachte 1- zifische Behandlungspräferenzen zu spreJahres-Mortalität)
chen. Dies hebt die herausragende Be@ Erhöhter Serum-Harnstoff und/oder - deutung der Kommunikation mit dem
Kreatinin (≥ 1,4 mg/dl)
Patienten hervor [15].
@ Systolischer RR < 100 mmHg und/
oder Puls > 100/min (jeweils VerdoppSymptome
lung der 1-Jahres-Mortalität)
@ Verminderte LV-EF (lineare Korrela- Britische und nordamerikanische Studien
tion mit Überleben ab LVEF ≤ 45%)
haben ergeben, dass der Schweregrad des
@ Therapierefraktäre ventrikuläre Rhyth- psychischen Leidens bei herzinsuffizienmusstörungen
ten Patienten vergleichbar mit dem von
@ Anämie (pro 1 g/dl Hb-Reduktion steigt Tumorpatienten ist [2, 10, 11]. Als typidie Mortalität um 16%); Hyponatri- sche Symptomtrias einer fortgeschrittenen
ämie (≤ 135-137 mmol/l)
Herzinsuffizienz gilt
die Kombination aus
Patienten änderten ihre
@ Kachexie
@ Reduzierte funktionelle Entscheidung bezüglich Dyspnoe, Fatigue und
Kapazität
Ödemen. Bei weit
Versorgung am Lebensfortgeschrittener
@ Begleiterkrankungen wie
ende in Abhängigkeit
Diabetes, Depression,
Herzinsuffizienz treZirrhose, zerebrovaskuten meist Orthopnoe
der wahrgenommenen
läre Erkrankung, Tumor,
und
paroxysmale
Prognose
HIV-assoziierte Kardionächtliche Dyspnoemyopathie.
anfälle auf. PrävalenzDie Einschätzung von Ärzten zur noch daten zu belastenden Symptomen bei fortverbleibenden Überlebenszeit ihrer Pa- geschrittener Herzinsuffizienz ergaben foltienten ist aus verschiedenen Gründen gende Symptomkonstellationen: Dyspnoe
nicht zuverlässig. Insbesondere wenn die- (61%), Schmerz (43-78%), Depression
se den Patienten schon längere Zeit be- (59%), Insomnie (45%), Anorexie (43%),
treuen (um Faktor 5,3 überschätzt; nur Angst (30%), Obstipation (37%), Nau20% richtig prognostiziert) [6]. Trotzdem sea/Erbrechen (32%), Fatigue, Mobilisind angemessene Informationen zur Pro- tätsprobleme, Inkontinenz und Ödeme.
gnose essentiell als Entscheidungsgrund- In manchen Studien waren psychische
lage für oder gegen zukünftige Wieder- und nicht-kardiale Symptome häufig die
belebungsmaßnahmen. Murphy et al. [14] belastendsten. Nicht-kardiale Symptome
konnten zeigen, dass Patienten ihre Ent- sind häufig bedingt durch
scheidung bezüglich Versorgung am Le- 1. Komorbidität (COPD, Gelenkerkranbensende in Abhängigkeit der wahrgekungen, Diabetes),
nommenen Prognose änderten. Er frag- 2. Nebenwirkungen von Medikamenten,
te 371 Erwachsene > 65 Jahre, ob diese 3. psychische und soziale Folgen der chroim Falle eines Herzstillstandes während einisch fortschreitenden Erkrankung.
ner akuten Erkrankung eine kardio-pulmonale Reanimation (CPR) wünschen.
Grundsätze zur Symptomlinderung
Vor Bekanntgabe der Wahrscheinlichkeit
eine solche Situation zu überleben, bei Herzinsuffizienz
wünschten 41% eine CPR, danach nur @ Symptomlinderung sollte bei symptomatischer Herzinsuffizienz von Anfang
noch 22%. Wenn bezogen auf eine fiktian berücksichtigt werden. Die Kombive chronische Erkrankung mit einer Lenation mit einer aktiven kardialen Mebenserwartung < 1 Jahr befragt wurde,
dikation (z.B. ACE-Hemmer) sollte so
wünschten nur noch 5% eine CPR [14].
lange fortgeführt werden, wie die karEine der wichtigsten Fragen, die in diediale Medikation noch angemessen ersem Zusammenhang gestellt werden sollscheint.
te, ist die Frage: „Wäre ich überrascht,
wenn dieser Patient im Laufe des näch- @ In der Behandlung von Symptomen einer fortgeschrittenen Herzschwäche
sten Jahres sterben würde?“ Ein Nein sollGERIATRIE JOURNAL 6/08
sollten verschiedene Dimensionen beachtet werden: physische, psychische,
spirituelle, soziale.
@ Eine zentrale Frage ist die nach Ängsten
und Sorgen des Patienten. Hier sollte
auch die subjektive Bedeutung von
Symptomen für den Patient herausgearbeitet werden. Eine weitere wichtige
Frage, um ungelöste Probleme des Patienten zu identifizieren, ist die Frage:
„Welches sind die drei Probleme, die Sie
derzeit am meisten belasten?“
@ Die optimale Symptomkontrolle ist
häufig abhängig von der Compliance
des Patienten (z.B. Diuretikaeinnahme).
@ Zu den typischen potentiell reversiblen
Problemen im Falle einer Verschlechterung der Symptome zählen:
} Non-Compliance
} Pneumonie
} Anämie
} Thyreotoxikose
} Frischer Myokardinfarkt
} Arrhythmie
Atemnot
Bei Dyspnoe sollten auch andere Gründe wie medikamentöse Ursachen (BetaBlocker) und psychische Auslöser (Angst)
erwogen werden. Zur Pharmakotherapie
bei kardiogener Atemnot kommen folgende Therapien in Frage:
@ Bei opioid-naiven Patienten niedrigdosiertes orales Morphin initial 2,55 mg 4-stündlich (oder s.c), zusätzlich
gleiche Dosis als Bedarfsmedikation,
ggf. alle 48 Std. steigern (initial schnell
wirksame Präparate, Niereninsuffizienz
beachten, ggf. anderen Wirkstoff einsetzen).
Positive physiologische Effekte von
Morphin bei Linksherzinsuffizienz
sind: Reduktion der pre- und afterload; reduzierte CO2-Sensitivität des
Atemzentrums -> Reduktion der Atemfrequenz; zentral narkotischer Effekt
-> Stressreduktion.
Häufig genannte unangemessene Gegenargumente einer Morphintherapie
sind:
} psychische Abhängigkeit (Sucht),
welche im palliativen Setting praktisch nicht zu beobachten ist;
29
K A R D I O LO G I E : H E R Z I N S U F F I Z I E N Z
werden, ob die Therapie mit Statinen und Anorexie/Kachexie
überhaupt auftritt, meist auf eine Ver- oralen Antikoagulantien wie Phenprocu- Bis zu 50% der Patienten mit weit fortschlechterung der Grundkrankheit mon (Marcumar) noch angemessen ist. geschrittener Herzinsuffizienz zeigen eizurückzuführen ist als auf eine phar- Immer zu vermeiden sind: NSAR, trizy- ne kardiale Kachexie, die jedoch häufig
makologische Toleranz. Bei Dyspnoe klische Antidepressiva und atypische Neu- durch Ödeme „maskiert“ wird [5]. Es finden sich Ähnlichkeiist eine Toleranzentwicklung nicht roleptika.
beschrieben. Eine körperliche AbhänZu den sinnvollen Immer zu vermeiden sind: ten zur Kachexie von
Patienten mit fortgegigkeit ist unvermeidbar aber klinisch nicht-medikamentösen
NSAR, trizyklische Antischrittener Tumorernicht relevant, wenn die Behandlung Maßnahmen bei kardiodepressiva und
krankung. Als Maßfortgeführt und nicht abrupt abge- gener Dyspnoe zählen:
atypische Neuroleptika
nahmen kommen
brochen wird.
Einsatz eines Ventilators,
Überprüfung der MeImmer frühzeitig Laxantien ein- Beine tiefer lagern, Dyssetzen, da Obstipation sehr häufig pnoemangement mittels Atemtherapie, dikation, Analyse der Energiezufuhr (häuauftritt.
Flüssigkeitsbegrenzung (1,5-2 l) und Salz- fige kleine Mahlzeiten, Supplemente), Er@ Lorazepam sublingual (0,5-1,0 mg) be- restriktion (Verzicht auf zusätzliches Sal- gänzung fettlöslicher Vitamine, Aperitif
sonders bei Angst, alternativ Midazo- zen), ergotherapeutische Hilfen, Zugang und ggf. Prokinetika wie Metoclopramid
lam s.c. 2,5 mg bei Bedarf (bei gutem zur Toilette erleichtern (evtl. Toiletten- zum Einsatz.
Effekt ggf. via Perfusor über 24 Std. stuhl in Bettnähe), Angstbewältigung,
fortsetzen); Diazepam 2(-10) mg als Strategien bei Panik-Attacken und EntPeriphere Ödeme
zweite Wahl.
spannungstechniken.
Bei peripheren Ödemen stehen neben der
@ Diuretika-Therapie: Furosemid z.B.
20 mg (bis zu 4.000 mg wurden verDiuretikatherapie Lagerungstechniken
Schmerz
tragen; 3 mg bis 200 mg/Std.) (auch s.c.
und diätetische Maßnahmen (Flüssigmöglich als Bolus kleine Mengen 2 ml Es existieren in der Literatur unter- keitsbegrenzung von 1,5-2 l, Verzicht auf
= 20 mg oder als Perfusor über 8-24 schiedliche Angaben zur Prävalenz von zusätzliches Salzen) als therapeutische OpStd.; evtl. Mischung mit aqua ad in- Schmerzen bei Patienten mit fortge- tionen zur Verfügung.
schrittener Herzerkrankung. In der SUPjectabile [7, 18]).
Ggf. kann Furosemid bei Therapie- PORT-Studie lag die Inzidenz von
Situation von Patienten mit
resistenz mit 25-100 mg Hydrochloro- Schmerzen bei 43%, wobei 90% dieser Pathiazid oral kombiniert werden (sog. tienten nicht mit dem erreichten Grad Herzschrittmachern
der Schmerzkontrolle zufrieden waren Bei Patienten mit irreversibler Hirnschäselektive Nephronblockade).
@ Sauerstoff (nasal 2-6l) anbieten, nur bei [9]. Zu den empfohlenen Maßnahmen digung, bei denen die fortlaufende Schrittsubjektiver Besserung fortführen.
zählen Analgetikatherapie (NSAR mei- macheraktivität nicht den individuellen
@ Nitrospray 1-2 Hub b. Bed.; nicht bei den(!), da diese eine Herzinsuffizienz ver- Behandlungszielen dient, kann es angehochgradiger Aortenstenose einsetzen. schlimmern können) und ggf. die Steige- messen sein, die Deaktivierung eines
@ NaCl-Vernebler ± Bronchodilatator rung der anti-ischämischen Therapie. Schrittmachers zu diskutieren. In den
(z.B. Salbutamol + Ipratopiumbromid); Auch Entspannungstechniken und phy- meisten anderen Situationen ist die Debei gleichzeitig bestehender Angina pec- sikalische Therapie (TENS, Wärmepa- aktivierung nicht indiziert, da dies wahrtoris Nitro-Spray beckungen) können ein- scheinlich zu symptomatischer Bradyreithalten, da Betamigesetzt werden. Mögli- kardie und konsekutiver VerschlechteBei Polypharmazie gilt
metika einen Angina
che psychologische, rung der Symptome einer Herzinsuffizienz
es eine Prioritätenliste
pectoris Anfall auslösen
emotionale und spiri- (Dyspnoe, Müdigkeit, Schwindel) fühzu erarbeiten, um die
können.
tuelle Aspekte des ren wird.
Wenn der Patient BeHäufig befürchten Laien, dass Schritteinzunehmenden Medi- Schmerzes sollten Beta-Blocker einnimmt,
macher
den Sterbeprozess und damit das
achtung
finden.
Zukamente zu reduzieren
helfen Bronchodilatadem sollten erforderli- Leiden verlängern könnten. Allerdings
toren nicht zuverlässig.
che Informationen wie können diese Geräte nicht „wiederbeleEine häufige Problematik stellt die Poly- Lokalisation, mögl. Ursachen etc. beim ben“. Im Allgemeinen halten Schrittmapharmazie bei herzinsuffizienten Patien- Schmerzassessment erhoben werden. Ge- cher Palliativpatienten nicht am Leben, da
ten dar. Hier gilt es eine Prioritätenliste rade andere Ursachen und Erkrankungen terminale Ereignisse häufig im Rahmen
zu erarbeiten, um eine Reduktion der ein- als die Herzinsuffizienz sollten dabei nicht einer Sepsis, Blutung, Lungenembolie
zunehmenden Medikamente zu erreichen. außer Acht gelassen werden. In der The- oder von Arrhythmien durch metabolische
Bei zunehmender Verschlechterung des rapie von Schmerzen bei herzinsuffizien- Störungen im Endstadium einer TumorZustandes des Patienten und entspre- ten Patienten wird die WHO-Stufen-The- erkrankung, eines Leber- oder Nierenchend schlechter Prognose sollte geprüft rapie angewendet.
versagens zu beobachten sind. Zum Zeit-
} Toleranzentwicklung, die, wenn sie
30
GERIATRIE JOURNAL 6/08
K A R D I O LO G I E : H E R Z I N S U F F I Z I E N Z
punkt des Todes ist das Myokard in der
Regel zu geschädigt, um auf Schrittmacherimpulse reagieren zu können.
Außerdem ist in Phasen schwerer Erkrankung meist eine Tachykardie zu beobachten, welche keine Schrittmacheraktivität erfordert [4, 8, 13, 19].
sich schwierig, die Verschlechterung des
Patienten nicht als Versagen des Behandlungsteams misszuverstehen. Zudem sind
Palliativ- und Sterbephase bei terminaler
Herzinsuffizienz schwerer zu diagnostizieren als bei einer terminalen Tumorerkrankung, da häufig im Rahmen der medikamentösen Therapie eine Verbesserung zu beobachten ist. Dabei sollte die
ICD (Implantierbarer KardioverterUnsicherheit prognostischer Erwägungen
Defibrillator)
mit Patient und Angehörigen angemessen
Meist werden bei diesen Geräten zwei kommuniziert werden.
Funktionen genutzt: Schrittmacher + DeMedikamente, die nicht der Sympfibrillator; diese können unabhängig von- tomkontrolle dienen, sollten abgesetzt
einander abgeschaltet
werden, insbesondere in
werden. Für die Schrittder Phase, in der der PaVon überragender
macherfunktion des
tient schwächer wird
Bedeutung sind die psyICD gelten die oben
und eine Schluckstöchische Unterstützung
aufgeführten Grundsätrung auftritt. Gegebesowie eine klare aber
ze zu Herzschrittmanenfalls ist die Umstelchern. Der Defibrillator
sensible Kommunikation lung der Medikamente
arbeitet mit elektrischen
auf subkutane Applikamit dem Patienten und
Stromstößen, wenn tation anzustreben (z.B.
dessen Angehörigen
chykarde Herzrhythvon Morphin und Fumusstörungen auftreten.
rosemid). Auf BlutDiese Stromstöße können schmerzhaft druckkontrolle, Temperaturmessung und
sein und sind deshalb nicht mit einer rein Blutabnahmen sollte verzichtet werden.
symptomatischen Therapie vereinbar. Der
Es ist erforderlich, sich bezüglich karzugrunde liegende arrhythmogene Pro- dio-pulmonaler Reanimation und pazess wird damit nicht kausal behandelt.
renteraler Flüssigkeitsgabe abzustimmen.
Typische Indikationen für die Deakti- Bei vorhandenem implantierbaren Karvierung des ICD sind:
dioverter-Defibrillator (ICD) ist zu klä@ Fortsetzung nicht vereinbar mit Zielen ren, ab wann dieser deaktiviert werden
des Patienten
soll. Die regelmäßige Überprüfung der
@ Absetzen antiarrhythmischer Medika- Symptomkontrolle ist obligatorisch. Von
mente. Wenn diese Medikamente ab- überragender Bedeutung sind die psychigesetzt werden, sollte erwogen werden, sche Unterstützung sowie eine klare aber
den Defibrillator zu deaktivieren, um sensible Kommunikation mit dem Pahäufiges Auslösen („Schock“) zu ver- tienten und dessen Angehörigen. Wichmeiden.
tig ist zudem das Angebot einer spirituellen Begleitung, die bezogen auf den
@ Patient im Sterbeprozess
@ „Keine CPR“ (Ziel des Defibrillators kulturellen und religiösen Hintergrund
ist die Wiederbelebung)
erfolgen sollte.
Wichtig ist auch Patienten und Angehörigen zu vermitteln, dass die Deaktivierung Literatur
des ICD weder den unmittelbaren Tod des
1. A controlled trial to improve care for seriously ill
hospitalized patients. The study to understand
Patienten noch Schmerzen verursacht
prognoses and preferences for outcomes and risks
[13].
of treatments (SUPPORT). The SUPPORT Principal
Terminale Herzinsuffizienz –
Die letzten Lebenstage
In den letzten Lebenstagen ist eine enge
Abstimmung im Team zur Situation des
Patienten erforderlich. Oft gestaltet es
GERIATRIE JOURNAL 6/08
Investigators JAMA 1995; 274: 1591-1598.
2. Addington-Hall J, McCarthy M. Regional Study of
Care for the Dying: methods and sample characteristics. Palliat Med 1995; 9: 27-35.
3. Anderson H, Ward C, Eardley A, Gomm SA, Connolly
M, Coppinger T, Corgie D, Williams JL, Makin WP.
The concerns of patients under palliative care and
a heart failure clinic are not being met. Palliative
Medicine 2001; 15: 279-286.
4. Braun TC, Hagen NA, Hatfield RE, Wyse DG. Cardiac
pacemakers and implantable defibrillators in
terminal care. J Pain Symptom Manage 1999; 18:
126-131.
5. Carr JG, Stevenson LW, Walden JA, Heber D. Prevalence and hemodynamic correlates of malnutrition
in severe congestive heart failure secondary to
ischemic or idiopathic dilated cardiomyopathy. Am J
Cardiol 1989; 63: 709-713.
6. Christakis NA, Lamont EB. Extent and determinants
of error in doctors' prognoses in terminally ill
patients: prospective cohort study. BMJ 2000; 320:
469-472.
7. Fonzo-Christe C, Vukasovic C, Wasilewski-Rasca AF,
Bonnabry P. Subcutaneous administration of drugs
in the elderly: survey of practice and systematic
literature review. Palliat Med 2005; 19: 208-219.
8. Kolarik RC, Arnold RM, Fischer GS, Tulsky JA. Objectives for advance care planning. J Palliat Med 2002; 5:
697-704.
9. Levenson JW, McCarthy EP, Lynn J, Davis RB, Phillips
RS. The last six months of life for patients with
congestive heart failure. J Am Geriatr Soc 2000; 48:
S101-S109.
10. Lynn J, Teno JM, Phillips RS et al. Perceptions by
family members of the dying experience of older and
seriously ill patients. SUPPORT Investigators. Study
to Understand Prognoses and Preferences for Outcomes and Risks of Treatments. Ann Intern Med
1997; 126: 97-106.
11. McCarthy M, Lay M, Addington-Hall J. Dying from
heart disease. J R Coll Physicians Lond 1996; 30:
325-328.
12. McKee PA, Castelli WP, McNamara PM, Kannel WB.
The natural history of congestive heart failure: the
Framingham study. N Engl J Med 1971; 285: 14411446.
13. Mueller PS, Hook CC, Hayes DL. Ethical analysis of
withdrawal of pacemaker or implantable cardioverter-defibrillator support at the end of life. Mayo Clin
Proc 2003; 78: 959-963.
14. Murphy DJ, Burrows D, Santilli S et al. The influence
of the probability of survival on patients' preferences regarding cardiopulmonary resuscitation. N Engl
J Med 1994; 330: 545-549.
15. Rogers AE, Addington-Hall JM, Abery AJ, McCoy AS,
Bulpitt C, Coats AJ, Gibbs JS. Knowledge and communication difficulties for patients with chronic
heart failure: qualitative study. BMJ. 2000 Sep 9;
321 (7261): 605-7.
16. Statistisches Bundesamt W. Todesursachenstatistik
2006. www-ec.destatis.de. 2007.
17. Stewart AL, Greenfield S, Hays RD et al. Functional
status and well-being of patients with chronic
conditions. Results from the Medical Outcomes
Study. JAMA 1989; 262: 907-913.
18. Verma AK, da Silva JH, Kuhl DR. Diuretic effects of
subcutaneous furosemide in human volunteers:
a randomized pilot study. Ann Pharmacother 2004;
38: 544-549.
19. Wood MA, Ellenbogen KA. Cardiology patient pages.
Cardiac pacemakers from the patient's perspective.
Circulation 2002; 105: 2136-2138.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Mathias H.-D. Pfisterer,
Klinik für Geriatrie und Schwerpunkt
für Palliativmedizin, Evangelisches
Krankenhaus Elisabethstift,
Landgraf-Georg-Str. 100,
64287 Darmstadt,
[email protected]
31
PSYC H O LO G I E : PSYC H OT H E R A P I E
Therapie-Indikation
im Alter
Ältere Patienten sind hinsichtlich einer psychosomatischpsychotherapeutischen Behandlung immer noch erheblich
unterversorgt. Die Kenntnis entwicklungspsychologischer
Aufgaben und Konflikte im Alternsprozess, insbesondere
infolge des körperlichen Alterns als Organisator der Entwicklung in dieser Lebensphase, kann bei der differentiellen
Psychotherapieindikation helfen. An Hand einer Typologie
von erstmals jenseits des 60. Lebensjahres auftretenden
psychischen Störungen werden die adäquaten Behandlungsansätze nach suffizienter Diagnostik dargestellt. Diese haben
auf Grund der kurzen Symptomdauer trotz des Alters der
Patienten oft eine gute Prognose.
Foto: Alexey Klementiev – Fotolia.com
Gereon Heuft, Münster
Abb. 1: Erneut und erstmals im Alter auftretende
Störungen haben im Gegensatz zu chronifizierten
Symptomen eine bessere Prognose.
I
Befragt man systematisch Menschen
beiderlei Geschlechts jenseits des 60. Lebensjahres zu ihrem jetzigen Zeiterleben,
Entwicklungspsychologische Vorurtei- zeigt sich, dass das Zeiterleben im Alter
le und empirische Befunde. Befragt man vor allem eine körperliche Dimension
Professionelle aller Berufsgruppen, die hat. 80% der ausführlich interviewten
mit alten Menschen arbeiten, nach ihrem alten Menschen antworteten auf die FraBild des Lebenslaufes, begegnet man im- ge: „Woran merken Sie, dass die Zeit vermer wieder dem „Halbkreis-Modell“: nach geht?“ unter Bezugnahme auf den kördem Scheitelpunkt des Lebens, der heu- perlichen Alternsprozess. Übereinstimte etwa mit 40-50 Jahren angesetzt wird, mend wird immer wieder berichtet, dass
gehe „alles den Berg hinunter”. Mit dem dagegen die Auseinandersetzung mit dem
Vorurteil, die Alten
eigenen Tod bei alten
Nicht das Alter des
würden wieder „wie
Menschen vergleichsdie Kinder“, wird un- Patienten ist entscheidend, weise emotional wenimerklich dem Defizitger besetzt ist.
sondern das Alter
und Defekt-Modell
Diese Ergebnisse
der Störung.
des Alterns Vorschub
führten zu einem entgeleistet. Dieses Mowicklungspsychologidell entspricht weder den zwischenzeitlich schen Modell, in dem der somatische Albreit rezipierten gerontologischen Ergeb- ternsprozess als „Organisator“ der Entnissen zur Lernfähigkeit und Kompetenz wicklung in der zweiten Hälfte des
im Alter, noch der mit dem Alter stetig Erwachsenenlebens verstanden wird (sozunehmenden Variabilität physiologischer matogener Organisator). Unter FortfühBefunde. Ein Psychotherapeut kann kei- rung des auf vier Säulen ruhenden Entne Entwicklungsaufgaben für seinen (al- wicklungsmodells der Kindheit und Juten) Patienten vorphantasieren, wenn er gendzeit entspricht dem psychischen
keine entsprechenden Modelle zur Ver- „Ich“ der Körper, den ich habe (funktiofügung hat.
naler Aspekt), während der Leib, der ich
32
GERIATRIE JOURNAL 6/08
n der psychotherapeutischen Versorgung sind alte Menschen (>60 Jahre)
bezogen auf ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung nach wie vor deutlich
unterrepräsentiert. Im Gegensatz zu dieser Versorgungsrealität ist nach allen vorliegenden Studien mindestens von den
gleichen Prävalenzzahlen psychischer Störungen im Alter auszugehen wie bei Erwachsenen mittleren Alters. Neben der
mangelhaften Auseinandersetzung mit
der Eigenübertragung gegenüber Älteren
in der psychotherapeutischen Aus- und
Weiterbildung werden die aktuellen
psychodynamischen Konzepte hinsichtlich der Entwicklungsaufgaben in der
zweiten Häfte des Erwachsenenlebens
noch nicht ausreichend genutzt. Denn
wenn – vorbewusst – weiterhin von einem defizitären Entwicklungsbild des alten Menschen ausgegangen wird, zentrieren sich Fragen zur differenziellen
Therapieindikation eher auf palliative,
als auf kurative Ansätze. Der nachfolgende Beitrag soll das Verständnis durch
die Herausforderungen des körperlichen
Alterns vertiefen und damit auch differente psychotherapeutische Behandlungsperspektiven aufweisen.
Entwicklungsaufgaben aus Sicht
der Gerontopsychosomatik
PSYC H O LO G I E : PSYC H OT H E R A P I E
Die Bedeutung einer somato-psychosomatischen Sicht des Alternsprozesses.
Ärzte aller Fachrichtungen sowie Fachpsychotherapeuten, die mit alten Menschen arbeiten, sollten wissen, welche somatischen Risikofaktoren auch im höheren Erwachsenenalter präventiven
Maßnahmen zugänglich sind. Werden
die Risikofaktoren wie „BewegungsmanGERIATRIE JOURNAL 6/08
gel“, „Übergewicht“, „Hypertonie“,
„Hyperlipidämie“ und „Diabetes mellitus“ nicht oder unzureichend behandelt
bzw. vom Patienten ignoriert, sollte der
Therapeut auch über die Psychodynamik dieses Verhaltens im Behandlungsprozess nachdenken und sich nicht mit
der Fehlinformation lähmen, die Berücksichtigung dieser somatischen Faktoren sei bei >60-Jährigen ohne Belang.
Selbst für 80-Jährige „lohnt“ es sich aus
epidemiologischer Perspektive noch, das
Rauchen aufzugeben. Hinter einem risikoreichen Gesundheitsverhalten kann
sich z.B. eine unerkannte Depressivität
oder auch eine latente Suizidalität verbergen.
Dabei hat es der Diagnostiker unter
dem Eindruck der mit steigendem Alter
zunehmenden Variabilität somatischer
Befunde oft nicht einfach, z.B. bei
Schmerzpatienten zwischen einem organisch begründeten Schmerzerleben und
einer somatoformen Störung zu unterscheiden. Selbsterhebungsbögen kommen hier rasch an ihre Grenzen.
Konsequenzen dieser entwicklungspsychologischen Konzepte für die
Psychotherapie-Indikation
Für den Erfolg (Outcome) psychotherapeutischer Behandlungen gilt: nicht
das Alter des Patienten ist entscheidend,
sondern das Alter der Störung (Chronifizierung). Erneut und erstmals im Alter auftretende Störungen haben im
Gegensatz zu chronifizierten Symptomen eine bessere Prognose. Es bedarf
keiner grundsätzlich anderen Psychotherapie, jedoch kann sich die Motivation zu einem „Letzte-Chance-Syndrom“
im Alter zuspitzen. Psychodynamische
Psychotherapien werden sowohl als
psychoanalytische als auch als tiefenpsychologische Psychotherapie oder als Fokaltherapien im ambulanten oder stationären Setting durchgeführt.
Für eine differentielle Therapieindikation wird in Abb. 2 zunächst unter
Berücksichtigung des oben dargestellten
entwicklungspsychologischen Konzeptes eine dreifach gegliederte Typologie
akuter psychogener Symptombildungen
im Alter unterschieden:
1. Ein neurotischer Kernkonflikt oder
eine Strukturelle Störung führt nach langer Latenz zu einer Erstmanifestation
der Symptomatik in der zweiten Hälfte
des Erwachsenenlebens. Dieses Konzept
hebt auf eine neurotische Problematik ab,
die sich aus den frühen entwicklungspsychologischen Aufgaben ableiten lässt.
Diese Kernkonflikte können bereits im
mittleren Erwachsenenalter als repetitivdysfunktionale Konfliktthemen imponieren, werden jedoch in dem hier diskutierten Zusammenhang erst im Alter
(etwa durch eine Auslösesituation) als
Konflikt manifest.
Je nach Ausmaß des strukturellen Anteils der Störung ist unabhängig vom Lebensalter bei gegebener Motivation eine
fokale oder mittellange Psychodynamische Psychotherapie indiziert und erfolgreich.
2. Auch nach suffizienter Diagnostik
findet sich kein repetitives Konfliktmus-
Abb. 2: Typologie psychogener Störungen im Alter
sehr alte
Erwachsene
bin, dem narzisstischen Aspekt entspricht.
So kann beispielsweise der alternde Leib
das Selbstwertgefühl klinisch in relevantem Ausmass unter Druck setzen. Ein
solche narzisstische Krise kann von einem
Patienten etwa so zum Ausdruck gebracht
werden: „Ich hasse meinen alternden
Körper, weil …“. Der Ebene der internalen Objektbeziehungen und der späteren grundlegenden Objekterfahrungen
analog sind die Körpererinnerungen, Somatisierungen oder Verkörperungen. In
der Psychosomatischen Medizin spricht
man direkt davon, dass „der Körper sich
erinnert“. Die oben berichteten Studienergebnisse sprechen für eine veränderte Wahrnehmung des Körpers und
seiner Funktion in der Weise, dass die leibliche Existenz und die körperliche Funktion in dieser Entwicklungsphase nicht
mehr als ausschließlich selbstverständlich gegeben wahrgenommen wird. Analog zur Veränderung der Körperfunktionen besteht das Ich-strukturelle Problem
der kognitiven und emotionalen Bewältigung der sich verändernden Leiblichkeit.
Die sich verändernde Körperlichkeit im
Alternsprozess stellt zugleich auch eine
intrapsychische Symbolisierungsebene
für das Zeiterleben und die Strukturierung der Zukunftsperspektive dar.
Die Kenntnis dieser Modellbildung,
die das Individuum stets in seinem historischen und soziokulturellen Kontext
mitdenkt, wird im Folgenden das Verständnis alterspezifischer PsychotherapieKonzepte, insbesondere das Konzept „Aktualkonflikt“ erleichtern. Denn solche
entwicklungspsychologischen Modelle
haben ja grundsätzlich nur dann eine klinische Relevanz, wenn sie uns helfen,
Symptome auf dem Boden von (Entwicklungs-)Störungen besser zu verstehen und ggf. auch psychotherapeutisch
behandeln zu können.
alte
Psychogene Störung
bei lebenslangem neurotischen Konflikt/
struktureller Störung
Psychogene
Störung bei
Aktualkonflikt
Psychogene Störung
infolge Traumareaktivierung
mittlere
Traumatisierung
junge
Adoleszenz
Kindheit
Neurotischer Kernkonflikt / strukturelle Störung
33
PSYC H O LO G I E : PSYC H OT H E R A P I E
ter – ursächlich ist vielmehr ein psycho- Menschen gibt, die erst nach einem undynamisch wirksamer Aktualkonflikt im ter Umständen langen „symptomfreien“
Sinne der Operationalisierten Psychody- Intervall im Laufe des Alternsprozesses
namischen Diagnostik (OPD). Die OPD eine Trauma-induzierte Symptomatik
stellt ein international anerkanntes Dia- entwickeln, haben wir den Begriff der
gnoseinstrument unter anderem zur va- Trauma-Reaktivierung vorgeschlagen.
liden und reliablen Abbildung von repe- Der Diagnostiker sieht der psychischen
titiv-dysfunktionalen Bebzw. psychosomatiIm Alter bedarf es
ziehungsmustern und
schen Symptomatik
Konflikten dar. Ist ein solu.U. nicht an, dass sie
keiner grundsätzlich
ches Konfliktmuster im
sich aus einer reaktianderen
Lebenslauf nicht zu sivierten TraumaerfahPsychotherapie
chern, ist zu prüfen, ob
rung herleitet (z.B. akdie Symptomatik und der
tuelle „Luftnot“ nach
dann zu vermutende Aktualkonflikt et- einem vor Jahrzehnten erlebten Giftgaswa durch die neu auftretenden Entwick- Angriff ). In solchen Fällen ist eine traulungsaufgaben in der 2. Hälfte des Er- ma-fokalisierende Psychotherapie auch
wachsenenalters (s.o.) bedingt ist.
im Alter indiziert. Falls sich die SympIn diesen Fällen ist eine auf den Aktu- tome einer PTSD (ICD-10: F43.1) entalkonflikt zentrierte psychodynamische wickeln sollten, wären u.U. auch inteFokaltherapie oder eine Verhaltensthera- griert in den Gesamtbehandlungsplan
pie mit dem Schwerpunkt auf den al- eines Grundverfahrens traumaspezifische
ternsbezogenen dysfunktionalen Kogni- Behandlungstechniken erfolgreich eintionen indiziert.
setzbar.
Das Konzept Aktualkonflikt differiert
Ältere Menschen können – etwa anvon den Folgen einer Traumatisierung gestoßen durch politische Krisen (wie
im engeren Sinne ebenso wie von Pro- den Golfkrieg Anfang 1991) oder durch
blemen der Krankheitsverarbeitung (Co- als bedrohlich erlebte Körperkrankheiten
ping). Die oben angesprochenen Ent- – frühere Traumatisierungen unter akuwicklungsaufgaben können auch nach ter Symptombildung reaktivieren. Auf
einem psychisch stabil erlebten Verlauf bis der Suche nach den Hintergründen diejenseits des 60. Lebensjahres einen solchen ses psychodynamischen Prozesses ließ
Aktualkonflikt manifestieren. Beispiel für sich eine dreifach gegliederte Hypotheeinen solchen Aktualkonflikt kann bei- se formulieren, deren Aspekte untereinspielsweise auch eine Demenzangst sein. ander in einem sich gegenseitig begünAuslösend kann z.B. sein, dass der Be- stigenden Bezug stehen. Danach kann es
treffende in das gleiche Alter kommt, in zu einer Reaktivierung von Traumatisiedem ein Eltern- oder Großelternteil rungen im Alter dadurch kommen, dass
Symptome einer Demenz entwickelt hat.
Hinter der Befürchtung, eine solche ErPsychotherapie im Alter
krankung „geerbt“ zu haben, stehen nicht
„Psychotherapie im Alter“ lautet
selten unbewusst gebliebene Identifikader Titel einer Fachzeitschrift, die
tionsprozesse mit der vorangegangenen
seit März 2004 viermal jährlich im
Generation, die auch mit dem Konzept
Psychosozial-Verlag, Gießen er„Lernen am Modell“ beschrieben werscheint. Sie sieht sich als Forum
den könnten.
des Austauschs und der Vermittlung
3. In der Adoleszenz oder im jungen
von Erkenntnissen und Erfahrungen
Erwachsenenalter erfahrene Traumatiaus unterschiedlichen Arbeitsfeldern, Therapieschulen und Professierungen, die nicht zu einer akuten Postsionen. Auf der Internetseite
traumatischen Belastungsstörung (PTSD)
www.psychotherapie-im-alter.de
führten, werden durch den (körperlichen)
stehen die Abstracts sämtlicher
Alternsprozess in ihrer psychodynamibisher erschienen Artikel sowie
schen Potenz reaktiviert.
einige ausgewählte Beiträge zur
Für diese Beobachtung, dass es auch
Verfügung.
Red.
im Erwachsenenleben traumatisierte
34
@ ältere Menschen, befreit vom Druck direkter Lebensanforderungen durch
Existenzaufbau, Beruf und Familie,
„mehr Zeit“ haben, bisher Unbewältigtes wahrzunehmen;
@ sie zudem nicht selten auch den vorbewussten Druck spüren, noch eine
unerledigte Aufgabe zu haben, der sie
sich stellen wollen und stellen müssen;
@ darüber hinaus der Alternsprozess
selbst (z.B. in seiner narzisstischen Dimension) traumatische Inhalte reaktivieren kann.
Zwei weitere wesentliche Indikationsbereiche beziehen sich bei alten Patienten
auf aktuelle und familiäre bzw. intergenerative Konflikte, die so genannte systemische Perspektive und die psychische
Verarbeitung („Coping“) organisch bedingter somato-psychischer Störungen
oder/und Funktionseinschränkungen. Bei
diesen letztgenannten Patientengruppen
ist eine mögliche Komorbidität im Hinblick auf die ersten drei genannten Indikationsbereiche zu beachten. Das heißt,
auch bei einem vordergründig „nur“ als
Problem der Krankheitsverarbeit imponierenden Störungsbild (ICD-10: F43.2
Anpassungsstörung) ist die gesamte Lebensgeschichte mit Hilfe der entwicklungspsychologischen Perspektive im
Hinblick auf repetitiv-dysfunktionale
Konfliktmuster oder (Ich-)strukturelle
Probleme i.S. der Operationalsierten
Psychodynamischen Diagnostik zu evaluieren. Nur so kann eine verantwortliche Indikationsstellung für eine ambulanten oder stationäre Fachpsychotherapie erfolgen.
Literatur
1. Arbeitskreis Operationalisierte Psychodynamische
Diagnostik (Hrsg). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2. Bern: Huber 2006.
2. Heuft G, Kruse A, Radebold H. Lehrbuch der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie. UTBLehrbuch. München: Reinhardt 2006 (2. Aufl.).
Univ.-Prof. Dr. med. Gereon Heuft,
Klinik und Poliklinik für
Psychosomatik und Psychotherapie
Universitätsklinikum Münster,
Domagkstr. 22, 48149 Münster,
eMail: heuftge@mednet.
uni-muenster.de
GERIATRIE JOURNAL 6/08
G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D
Kriegskinder und posttraumatische Belastungsstörungen
Georgia Böwing, Röbel
14 Millionen ehemalige Kriegskinder leben derzeit in Deutschland.
Sie sind über 60 Jahre alt und viele von ihnen leiden an psychischen
Langzeitfolgen. Drei Studien zeigen den Bezug zwischen aktueller psychotischer Symptomatik und Kriegstraumatisierung. Außerdem geben
sie Hinweise auf Brückensymptome und pathogenetische Faktoren
einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD).
G
GERIATRIE JOURNAL 6/08
erstmals belastende Erinnerungen auftreten.
PTSD-Kriterien bei kriegstraumatisierten gerontopsychiatrischen Patienten
In einer ersten Studie an 33 ambulanten
und stationären kriegstraumatisierten gerontopsychiatrischen Patienten einer Klinik in einer ländlichen Region Mecklenburg-Vorpommerns konnte gezeigt
Foto: OlgaLIS – Fotolia.com
erontopsychiatrische Patienten
haben oft traumatisierende
Kriegserfahrungen und können
auch noch im höheren Lebensalter an einer posttraumatischen Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder =
PTSD) erkranken. Laut ICD-10 [22]
kann eine PTSD durch ein kurz oder
lang anhaltendes Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung
oder katastrophalem Ausmaß ausgelöst
werden, wobei dieses Ereignis nahezu
bei jedem zu tiefgreifender Verzweiflung
führen würde. Die Symptomkonstellation von Intrusionssymptomen (lebendige Erinnerungen, flash backs, Albträume), Vermeidungssymptomen, Erinnerungslücken sowie physiologischen
Übererregungssymptomen (Schlafstörung, Reizbarkeit, Konzentrationsstörung, Hypervigilanz oder Schreckhaftigkeit) muss im Regelfall innerhalb von
sechs Monaten nach dem Belastungsereignis auftreten. Nur in einigen speziellen Fällen kann laut ICD 10 ein späterer Beginn berücksichtigt werden.
Nach Maercker [10] werden im höheren Lebensalter drei lebensspannenbezogene PTSD-Typen unterschieden:
1. die chronische posttraumatische Belastungsstörung
2. die posttraumatische Belastungsstörung nach einem aktuellen Trauma
und
3. die verzögert auftretende PTSD.
Bei Letzterer können Jahre und Jahrzehnte nach traumatischen Erlebnissen
Abb. 1: Durch die komplexe Änderung
der sozialen Situation im höheren
Lebensalter entstehen Freiräume zur
Wahrnehmung bisher unbewältigter
Erlebnisse.
werden, dass alle Untersuchten die ICD
10-Kriterien für eine PTSD erfüllten, jedoch immer mit einer Latenz von mindestens 14 und bis zu 60 Jahren (50 ± 13,4
Jahre) [3]. Kein Patient war innerhalb
von sechs Monaten nach der Traumatisierung erkrankt. Es zeigte sich dabei
eine mäßige Korrelation zwischen dem
Alter zum Traumazeitpunkt und der Latenz bis zur Erkrankung, d.h., jüngere
Traumatisierte erkrankten bereits nach
einer kürzeren Latenz (47 ± 14,4 versus
59,5 Jahre). Bereits Maercker et al. wiesen auf das (junge) Traumatisierungsalter als Risikofaktor für eine höhere (hier:
frühere) posttraumatische Symptombelastung hin [5].
Die Traumatisierungen, die hier nicht
im einzelnen aufgeführt werden können,
waren häufig
Das Gefühl des
mehrfach und
Ausgeliefert-Seins von längerer
Dauer. In elf
erinnert an die
Fällen waren
traumatische
Verge waltiSituation
gungen sicher
dokumentiert.
23 Betroffene erlitten schwere Traumatisierungen auf der Flucht. Danach war die
Sicherheit der eigenen Unversehrtheit an
Leib und Seele zerstört [18, 19]. Frauen
fühlten sich schuldig, Opfer geworden zu
sein und schwiegen aus Scham über die
demütigenden Vergewaltigungen sowohl
gegenüber den Partnern als auch später
den Kindern [13]. Bereits in den Familien wurde das Thema „totgeschwiegen“,
die Unfähigkeit zu trauern [12] wurde
von den Eltern und Großeltern auf die
Kriegskinder übertragen. Auch Flüchtlinge wurden als Bedrohung gesehen: Sie
erinnerten an den verlorenen Krieg und
forderten Verständnis und materielle Hilfe ein [6]. Die gesellschaftliche Situation
in Deutschland nach Kriegsende hatte
35
G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D
ebenfalls einen Einfluss auf die lange Latenz bis zum Auftreten der PTSD. So galt
ein Zurücknehmen der Frage nach deutschen Opfern als politische Notwendigkeit. Aus Scham über die Geschichte durfte man sich nicht mit dem eigenen Leid
befassen. Die schrecklichen Ereignisse
wurden lange Zeit verdrängt [14].
Eine besondere Situation gab es in der
sowjetischen Besatzungszone. Das Phänomen der Vergewaltigungen wurde in
Ausmaß und Häufigkeit zu einem Teil
der Sozialgeschichte der sowjetischen Besatzungszone, wie sie im Westen in dieser Form unbekannt war [13]. So blieb
auch das ländliche Mecklenburg mit seinen endlosen Flüchtlingstrecks und fortwährenden Truppenbewegungen Schauplatz häufiger Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung [9, 16].
Psychotische Symptome
In einer zweiten Studie wurde eine Subpopulation psychotisch erlebender PTSDPatienten (n = 12) mit einer Kontrollgruppe ohne Psychose (n = 22) verglichen
[5]. Psychotische Patienten waren mit
79,8 ± 5,6 Jahren versus 74,3 ± 5,0 Jahren signifikant älter (p < 0,05) (Abb. 2).
Die Bedeutung sozialer Isolation für die
Entwicklung paranoider Störungen [8]
wird mit dem größeren Anteil verwitweter Patienten in der Psychosegruppe (83
vs. 50%) bestätigt.
Der deutlich größere Anteil dementer
Patienten in der Indexgruppe (75% vs.
27%) ist auf Grund des fünf Jahre höheren Durchschnittsalters nur zum Teil erklärt, da sich die Demenz-Prävalenzen
mit steigendem Seniorenalter alle fünf
Jahre verdoppeln und nicht verdreifachen.
Die hohe Prävalenz von „psychosis in dementia“ bei unseren überwiegend leicht-
Tab. 1: Psychoseinhalte
Inhalt der psychotischen und
psychosenahen Symptomatik
Schwangerschaftswahn, Warten auf Regelblutung, Angst vor Vergewaltigung
Essensreste in der Handtasche sammeln
Halluzination von „Banditen“ bei
Waschung im Genitalbereich
Halluzination junger Männer
„Mag mich nicht mehr waschen.“
Geht nicht ins Bett, weil:
„Im Bett ist was drin.“
Taschentuch vor dem Gesicht,
damit sie keiner sieht
gebücktes Laufen
Weglaufen
nihilistischer Wahn
nächtliches Umherlaufen, „Verwirrtheit“
Wahnstimmung
Schreien, um sich schlagen
gradig Dementen passt gut zu den Befunden von Braak und Braak, dass die
frühe („limbische“) Phase der AlzheimerKrankheit einen Risikofaktor für paranoid-halluzinatorische Symptome darstellt [2].
Die Traumatisierung war in beiden
Gruppen vergleichbar schwer. Die psychotischen Erlebnisinhalte wiesen eindeutige thematische Bezüge zu den traumatisierenden Ereignissen auf. So hatten
mehrere Patientinnen, die z.T. vielfach
vergewaltigt worden waren, einen Schwangerschaftswahn. Bei Patienten mit Verarmungswahn waren immer Flucht mit Zurücklassen von Hab und Gut oder Plünderungen eruierbar.
Ein Verfolgungswahn zeigte sich vor allem bei Flüchtlingen und Frauen, die sich,
häufig wiederholt, vor sexuellen Übergriffen verstecken mussten. Typische Aus-
mögliches PTSD-Symptom
lebendige Erinnerungen
lebendige Erinnerungen
Flash-backs
Flash-backs
Vermeidung
Vermeidung
Vermeidung
Vermeidung
Vermeidung
Vermeidung
Schlafstörung, Hypervigilanz
Hypervigilanz, Schreckhaftigkeit
Reizbarkeit
löser für psychotische Erregungszustände
mit situativen Verkennungen sind Waschungen im Genitalbereich im Rahmen
der Grundpflege. Eine geschlechterbezogene Auswahl der Pflegeperson für die
Grundpflege sowie eine Sensibilisierung
aller Teammitglieder für dieses Thema
sollten daher auf jeder gerontopsychiatrischen Abteilung stattfinden.
Psychotische und psychosenahe Erlebnisse und Verhaltensweisen können auch
als Symptome der PTSD verstanden werden (Tab. 1), die unter den spezifischen
Bedingungen des Alters und im Rahmen
hirndegenerativer Veränderungen einen
Gestaltwandel [21] erfahren haben.
Brückensymptome
Symptome oder Symptomfragmente im
Intervall zwischen Trauma und Manife-
Abb.2: Illustration der Unterschiede zwischen beiden Gruppen (mit vs. ohne Psychose): Psychotische PTSD-Patienten sind signifikant älter und entsprechend später traumatisiert. Dagegen ist die zeitliche Latenz zwischen Trauma und Manifestationszeitpunkt der psychiatrischen Symptomatik nicht signifikant unterschiedlich.
36
GERIATRIE JOURNAL 6/08
G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D
Trauma-Reaktivierung und
Retraumatisierung
Tab. 2: Brückensymptome
ICD 10-Symptom
Häufigkeit als Brückensymptom
Cluster C. Vermeidung
Agoraphobie
1
Hydrophobie
1
Klaustrophobie
3
soziales Vermeidungsverhalten
4
Cluster C. oder D.
Ängstlichkeit als Tendenz zu
12
Angstvermeidungsverhalten
Cluster D. 2. erhöhte psychische Sensitivität und Erregung
a. Ein- und Durchschlafstörungen
0
b. Reizbarkeit oder Wutausbrüche
3
c. Konzentrationsschwierigkeiten
0
d. Hypervigilanz
16
e. erhöhte Schreckhaftigkeit
5
station der psychischen Erkrankung, die
so genannten Brückensymptome, weisen ältere Patienten mit einer verzögert
auftretenden PTSD nur zum Teil auf.
In einer dritten Studie wurden 40 ambulante Patienten, welche infolge des 2.
Weltkriegs eine Traumatisierung erlitten
hatten und aktuell an einer verzögert
auftretenden posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt waren, untersucht
[4]. Im ersten Teil dieser Arbeit konnten
26 Patienten mit Brückensymptomen
(Alter 71,7 ± 4,6 Jahre) mit 14 Patienten ohne Brückensymptome (74,6 ± 6,5
Jahre) verglichen werden. Patienten mit
Brückensymptomen waren zum Traumatisierungszeitpunkt tendenziell jünger (etwa drei Jahre, p = 0,16) als Patienten ohne Brückensymptome. Bei einer etwas größeren Stichprobe (größeren
„Power“) hätte sich nach entsprechender
Abschätzung wohl Signifikanz ergeben;
damit könnte sich die bereits von Maercker et al. [11] untermauerte, bereits o.g.
Hypothese der größeren Symptombelastung von Kindern in einer etwas größeren Folgestudie voraussichtlich erneut
bestätigen.
Die Brückensymptome waren inhaltlich zwei PTSD-Symptomclustern nach
ICD-10 (Tab. 2) zugeordnet worden.
Zum Cluster C „Vermeidungsverhalten“
zählt z.B. die ausgeprägte Hydrophobie
einer Patientin. Der Zusammenhang mit
dem Trauma ist mit Kenntnis der AnamGERIATRIE JOURNAL 6/08
Im zweiten Teil der zuletzt genannten
Studie wurden deskriptiv-explorativ
mögliche Ursachen für Trauma-Reaktivierungen und Retraumatisierungen diskutiert. Schreuder [17] zufolge kann es
Jahre nach einer Traumatisierung noch
zu einer so genannten Trauma-Reaktivierung kommen. Davon sollte die so
genannte Retraumatisierung als ein zweites Traumaereignis abgegrenzt werden,
das sich unter Umständen erst Jahrzehnte
später ereignet und ebenfalls Auslöser
manifester PTSD-Symptomatik sein
kann [1].
Angeregt durch die 3-fach gegliederte
Hypothese von Heuft [7] zur Trauma-Reaktivierung wurde eine erweiterte Glienese (sie war als Kind von einem Nach- derung vorgenommen. Unter systemabarschiff aus Zeugin des Untergangs der tischen Gesichtspunkten lassen sich fünf
„Wilhelm Gustloff“) leicht nachvoll- pathogenetische Faktoren einer Trauziehbar. Die häufig angegebene Ängst- mareaktivierung unterscheiden, die einlichkeit nahm eine Zwischenstellung ein. zeln oder in Kombination auftreten
(Abb. 3). Der körperliMan kann sie sowohl als
eine Tendenz zu Angst- Viele Betroffene spüren che Alterungsprozess
vermeidungsverhalten
einen Druck, eine noch („Gebrechlichkeit“)
lässt die Patienten Hilf(Cluster C) als auch als
unerledigte Aufgabe
losigkeit und das Geein Symptom der Übervor sich zu haben
fühl des Ausgelieferterregtheit (Cluster D) beSeins erleben und erzeichnen. Von den Cluster D-Symptomen wurde am häufigsten innert damit an die traumatische
eine die Jahrzehnte überdauernde Hyper- Situation [7]. Hier waren eine schwere
vigilanz als ein ständiges Gefühl des „Nie- Herzerkrankung, orthopädische Leiden,
mandem-trauen-Könnens“ beschrieben. chronische Schmerzen nach Polytrauma
Abb. 3: Trauma-Reaktivierung
Somatisch
Gebrechlichkeit
Hilflosigkeit
Gefühl des
Ausgeliefertseins
Psychisch
Vergesslichkeit
Demenz
Veränderte Gedächtnisorganisation
Selektive Erinnerung
Erinnerungsreichtum
5 pathogenetische
Faktoren
Politisch
Kriegsberichterstattung
Fernsehdokumentationen
zum 2. Weltkrieg
Aktuelle Nachrichten
Sozial
Einsamkeit
Berentung
Verwitwung
Biografisch
Lebensrückblick
Geburtstag
Autobiografie
Besuch der alten
Heimat
Modell möglicher pathogenetischer Faktoren
37
G E R O N T O P S Y C H I AT R I E : PT S D
und eine Krebserkrankung als Auslöser ren Wertigkeit im Einzelfall nicht exakt
für Kriegserinnerungen identifiziert wor- zu bestimmen war.
den.
Zweitens können kognitive BeeinPTSD-Diagnose-Erweiterung
trächtigungen („Vergesslichkeit“) die
traumabezogenen Erinnerungen durch in der ICD 11
eine veränderte Gedächtnisorganisation Die Generationen der Kriegstraumatiund -funktion modifizieren. Aber auch sierten leben nur noch wenige Jahre. Die
bei kognitiv nicht Beeinträchtigten ICD 10-Klassifikation der PTSD ist nur
kommt es neben einem selektiven Er- eingeschränkt auf gerontopsychiatrische
Patienten anwendbar.
innerungsstil und einer
Trauma-ReaktivierunWünschenswert wäre
Abnahme der Kohärenz
der Erinnerung an das gen können auch durch deshalb eine PTSD-Diagnose-Erweiterung in der
Trauma generell zu eiderzeitige Kriege
ICD 11. Dazu wäre ernem häufigeren Erinangestoßen werden
stens eine Erweiterung
nern und einem Erdes Zeitkriteriums E nöinnerungsreichtum [10].
Alte Gedächtnisinhalte können nicht tig [3]. Zweitens sollten psychotische
mehr so gut kontrolliert und „bewacht“ Symptome in die Symptomcluster B, C
werden. Sie werden wichtiger und rasch und D aufgenommen werden [5]. Drittens müssten auch Brückensymptome als
„geweckt“ [20].
Als dritter Faktor einer Traumareakti- Zeichen einer inkompletten PTSD klasvierung ist die komplexe Änderung der sifizierbar werden [4]. Denn nur nach
sozialen Situation im höheren Lebensal- klarer Diagnosestellung ist eine adäquater zu nennen („Einsamkeit“). So bringt te medikamentöse und spezifische nichtdas Senium eine weitgehende Freiset- medikamentöse Therapie möglich. Eine
zung aus sozialen Rollen und Verpflich- Sekundärprävention durch frühzeitige
tungen mit sich, z.B. durch Berentung, Wahrnehmung von Brückensymptomen
Selbstständigkeit der Kinder oder den und pathogenetischen Faktoren sollte keiTod des Partners. Dadurch entstehen ne Vision bleiben. Vielleicht bleibt dann
Freiräume zur Wahrnehmung bisher un- den jetzt noch jüngeren Kriegskindern ein
solcher Verlauf in der Demenz erspart:
bewältigter Erlebnisse.
Ein vierter Faktor für die Häufung von
„Die wollen mich an die Luft setzen.
Traumaerinnerungen ist das „Last ChanDie wollen mich kaltmachen.“
ce Syndrom“. Viele Betroffene spüren
einen vorbewussten Druck, eine noch
„Wer weiß, wo sie mich hinverschleppt
unerledigte Aufgabe vor sich zu haben
haben.“
[7]. Im Rahmen einer Lebensbilanzie„Aber ich darf ja nicht ruhen, ich bin
rung setzen sie sich mit der eigenen Bioja heimatlos.“
grafie vermehrt auseinander. Das Ver„Ich laufe jede Nacht, aber ich bin
langen nach einem Lebenssinn spielt dabald da.“
bei eine bedeutende Rolle [15]. Dieser
„Vergiss nicht, mich mitzunehmen!“
Aspekt wurde hier „Lebensrückblick“ genannt.
Als fünfter Faktor für die PTSD-Ent- Literatur
1. Bergmann MV. Die Angst vor Retraumatisierung
stehung durch Trauma-Reaktivierung ist
und die Abwehrfunktion der negativen therapeutidie zunehmende Aufarbeitung unserer
schen Reaktion. In: Schlösser A, Höhfeld K (Hrsg)
Trauma und Konflikt. Psychosozial-Verlag, Gießen
Vergangenheit im Fernsehen anzusehen.
(1998) 33-50
Trauma-Reaktivierungen werden aller2. Braak H, Braak E. Frequency of stages of Alzheidings u.U. auch durch derzeitige Kriege
mer-related lesions in different age categories.
Neurobiol Aging 18 (1997): 351-357
angestoßen [15]. Diese Aspekte können
3. Böwing G, Schmidt KUR, Schröder SG. Erfüllen
unter dem Begriff „Kriegsberichterstatkriegstraumatisierte, gerontopsychiatrische
Patienten aus Mecklenburg-Vorpommern PTSDtung“ zusammengefasst werden.
Kriterien? Psychiat Prax 34 (2007): 122-128
Insgesamt fand sich häufig ein Gefü4. Böwing G, Schröder SG. (in press) Spätfolgen von
ge mehrerer Anlässe und Ursachen, deKriegserlebnissen – Brückensymptome, Trauma-
38
Reaktivierung und Retraumatisierung. Trauma &
Gewalt
5. Böwing G, Schmidt KUR, Juckel G, Schröder SG.
Psychotische Syndrome bei kriegstraumatisierten
älteren Patienten. Nervenarzt 79 (2008): 73-79
6. Faulenbach B. Flucht und Vertreibung in der
individuellen und kollektiven Erinnerung und
als Gegenstand von Erinnerungspolitik. In:
Flucht und Vertreibung. Europa zwischen 1939
und 1948. Hamburg: Ellert &Richter (2004):
224-231
7. Heuft G. Die Bedeutung der Trauma-Reaktivierung
im Alter. Z Gerontol Geriat 32 (1999): 225-230
8. Kay DW. Schizophrenia and schizophrenia-like
states in the elderly. Br J Psychiatry. Spec No 9
(1975): 18-24
9. Kruse J. von. (Hrsg.). Weißbuch über die „Demokratische Bodenreform“ in der sowjetischen
Besatzungszone Deutschlands. Dokumente und
Berichte. München (1988)
10. Maercker A. Posttraumatische Belastungsstörungen und pathologische Trauer. In: Maercker A
(Hrsg). Alterspsychotherapie und klinische Gerontopsychologie. Berlin Heidelberg: Springer (2002):
245-282
11. Maercker A, Herrle J Grimm I. Dresdener Bombennachtsopfer 50 Jahre danach: Eine Untersuchung
patho- und salutogenetischer Variablen. ZfGP 12
(1999): 157-167
12. Mitscherlich A, Mitscherlich M. Die Unfähigkeit
zu trauern. München: Piper (1967)
13. Naimark NM. Sowjetsoldaten, deutsche Frauen
und das Problem der Vergewaltigungen.
In: Naimark NM: Die Russen in Deutschland.
Berlin: Propyläen (1997): 91-179
14. Radebold H. Kriegsbeschädigte Kindheiten:
die Geburtsjahrgänge 1930-32 bis 1945-48.
psychosozial (2003): 9-15
15. Radebold H. „Kriegskinder” im Alter – Bei Diagnose historisch denken. Dtsch Ärztebl 101 (2004):
A 1960-1962
16. Saller W. Flucht und Vertreibung. In: GEOEpoche
Deutschland nach dem Krieg. Hamburg: Gruner +
Jahr (2002): 46-57
17. Schreuder JN. Posttraumatic re-experiencing in
older people: working through or covering up?
Am J Psychotherapy 50 (1996): 231-242
18. Spranger H. Retraumatisierungen der Eltern- und
Kindergeneration des 2. Weltkriegs. Psychotraumatologie (2002); 3 (Online) http://www.thiemeconnect.com/ejournals/html/psychotrauma
19. Treichel H-U. Das Schweigen. In: GEOEpoche
Deutschland nach dem Krieg. Hamburg: Gruner +
Jahr (2002): 100-102
20. Tüschen R Traumareaktivierung im Alter. In:
Junglas J (Hrsg) Traumaorientierte Psychotherapie
und Psychiatrie. Nach den Tsunamis des Lebens.
Deutscher Psychologenverlag, Bonn (2006):
65-71
21. Weizsäcker V. von. Gestalt und Zeit. 2. Aufl.
Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen (1960)
22. Weltgesundheitsorganisation. Internationale
Klassifikation psychischer Störungen, ICD 10,
Kapitel V (F): Forschungskriterien. Bern Göttingen
Toronto: Huber (1994)
Georgia Böwing,
MediClin Müritz-Klinikum GmbH,
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Röbel,
Stadtgarten 15, 17207 Röbel,
eMail: georgia.boewing@
mueritz-klinikum.de
GERIATRIE JOURNAL 6/08
P U B L I K AT I O N E N : B Ü C H E R
Personzentrierte Beratung und Therapie
Die nicht direktive oder klientenzentrierte Psychotherapie, Mitte des 20.
Jahrhunderts von Carl R. Rogers begründet, geht davon aus,
dass jeder Mensch gut
ist und danach strebt,
die eigenen Fähigkeit zu
entfalten und sich stetig weiterzuentwickeln.
Basierend auf dieser Annahme besteht die Aufgabe des Psychotherapeuten u.a. darin, ein
vertrauensvolles und sicheres Umfeld zu schaffen und den Klienten
bei seiner Selbstexploration zu begleiten.
Der Schweizer Psychologe Peter Elfner arbeitet seit Jahren klientenzentriert
mit psychisch erkrankten, alten Menschen und hat seine Erfahrungen nun in dem
Buch „Personzentrierte
Beratung und Therapie
in der Gerontopsychiatrie“ zusammengefasst.
Darin beschäftigt er sich
zunächst mit den verschiedenen Aspekten des
Alterns und gibt einen
Überblick über die psychischen Krankheitsbilder im Alter. Anschließend erläutert er Rogers
Therapie-Ansatz und be-
Gerontopsychologie
In den letzten Jahren ist in verschiedenen Verlagen eine Reihe von Psychologiebüchern zu Themen aus dem Bereich
des Alterns erschienen. Meist sind sie
sehr geprägt von Vorstellungen und Meinungen. So ist zu begrüßen, dass jetzt eine Neuauflage der „Gerontopsychologie“ aus dem Springer-Verlag erfolgt ist.
Wie im Vorwort von Professor Oswald
deutlich gemacht wird, wurde versucht,
in dem Buch Gerontopsychologie wissenschaftlich ohne modischen Schnickschnack verständlich darzulegen. Gegenüber der Erstauflage ist auf Grund neuerer Inhalte, verändertem Stil und
verändertem Layout ein praktisch neues Buch entstanden. So ist zu begrüßen,
dass Kapitel wie „Tod und Sterben“ sowie „Pflege aus psychologischer Sicht“
und „Angehörigenberatung – Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger als ein zentrales Arbeitsfeld der Gerontopsychologie“, eigene und nicht zu
klein geratene Abschnitte umfassen.
Besonders gut gefällt mir an dem Buch,
dass immer wieder auf weiterführende Literatur hingewiesen wird. Daneben werden die Aussagen literaturmäßig belegt
und können so auch als Fundgrube in der
Literatursuche genutzt werden. Gewünscht hätte ich mir, dass vielleicht als
GERIATRIE JOURNAL 6/08
schreibt – auch anhand von Fallbeispielen –, wie er die klientenzentrierte
Therapie im gerontopsychiatrischen
Fachzentrum in Winterthur umsetzt.
Entstanden ist ein lesenswertes Buch,
das zeigt, dass Menschen bis ins hohe Alter hinein über ein bemerkenswertes
Entwicklungspotenzial verfügen.
jh
Personzentrierte Beratung und
Therapie in der Gerontopsychiatrie.
Mit einem Geleitwort von
Marlies Pörtner.
Von Peter Elfner.
Verlag Ernst Reinhardt, München.
1. Auflage 2008. 126 Seiten,
kartoniert, 19,90 Euro,
ISBN-10: 349701981X,
ISBN 13: 978-3-497-01981-6.
Psychotherapie im Alter
Anhang einige Einschätzungsskalen, Testverfahren, Pflegeplanungen im Anhang
so dargestellt würden, dass man sie für
die Praxis übernehmen kann. Oder, dass
im Text Hinweise gegeben werden, wo
man solche Arbeitsmaterialien bestellen
kann. Dies würde für die praktische Umsetzung manchen Gesagtes in diesem
Buch förderlich sein.
Bei den Autoren handelt es sich um eine Zusammenarbeit österreichischer und
deutscher Fachleute, bevorzugt aus Nürnberg/Erlangen mit Ergänzung aus Heidelberg sowie aus Wien und Graz. Eine
insgesamt gelungene Arbeit, die man nur
jedem in der Geriatrie Arbeitenden empfehlen kann. In diesem Sinne sei dem
Buch eine hohe Auflage gewünscht.
Prof. Dr. Ingo Füsgen
Gerontopsychologie, Grundlagen
und klinische Aspekte zur Psychologie des Alterns. Von Wolf D. Oswald,
Gerald Gatterer und Ulrich M.
Fleischmann. Verlag Springer,
Berlin, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, 2008. 266 Seiten,
gebunden, 39,95 Euro,
ISBN-10: 321175685X,
ISBN 13: 978-3-211-75685-0
Seit 2004 werden in der Zeitschrift
„Psychotherapie im Alter“ theoretische Positionen, praktische Therapieerfahrungen
und Projektbeschreibungen zur
Psychotherapie
bei älteren Menschen systematisch aufgegriffen.
In diesem Band
werden die Darstellungen der
ersten beiden
Jahrgänge wieder
aufgegriffen. In
den vier Kapiteln
@ Psychotherapeutische Diagnostik
@ Angst und posttraumatische Störungen
@ Gruppenmethoden
@ Veränderung von Beziehungen und
psychische Störungen im Alter
wird das therapeutische Vorgehen
aus unterschiedlichen methodischen
und institutionellen Perspektiven
beschrieben.
Psychotherapie im Alter.
Johannes Kipp (Hrsg.).
Mit einem Geleitwort von Harmut Radebold. Psychosozial Verlag, Gießen.
1. Auflage 2008. 270 Seiten, broschiert,
29,90 Euro, ISBN-10: 3-89806-778-5,
ISBN-13: 9783898067782.
39
P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N
Herz- und Gefäßerkrankung
Weniger kardiovaskuläre Ereignisse bei
Hochrisikopatienten durch AT1-Blocker
Kardiovaskuläre Risikopatienten, die eine
bestmögliche Basistherapie erhalten, profitieren von einer zusätzlichen Behandlung mit dem AT1-Blocker Telmisartan
(z.B. Kinzalmono®). Bei diesen Patienten
gibt es signifikant weniger Myokardinfarkte, Schlaganfälle und kardiovaskuläre
Todesfälle. Die Ergebnisse dokumentiert
die TRANSCEND-Studie, eine Parallelstudie des ONTARGET-Studienprogrammes. Sie wurde im September beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für
Kardiologie in München vorgestellt.
In der TRANSCEND-Studie wurden
5.926 Patienten, die eine ACE-HemmerUnverträglichkeit aufwiesen, plazebokontrolliert mit 80 mg Telmisartan täglich behandelt. Die Teilnehmer an der Studie
sind ein Hochrisikokollektiv. Es wurden
Patienten in die Studie einbezogen, die
über 55 Jahre alt sind, KHK und/oder
pAVK, einen vorangegangenen Schlaganfall oder Diabetes mit Endorganschäden
haben. Alle erhielten eine bestmögliche
Basistherapie und wiesen einen gut eingestellten Blutdruck auf. Rund 75% wurden bereits mit einem Trombozyten-Aggressionshemmer, 66% mit einem Betablocker und 30% mit einem Diuretikum
und/oder Kalziumantagonisten behandelt.
Trotz der umfassenden Basistherapie
zeigte sich nach fünf Jahren bei der doppelblinden, randomisierten Endpunktstudie (bei kardiovaskulären Todesfällen,
Schlaganfällen, Myokardinfarkten und
Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz), dass der primäre Endpunkt um
8% gesenkt werden konnte.
Die Ergebnisse des 2. Endpunktes
(Kombination aus Rate an Myokardinfarkten, Schlaganfällen und kardiovaskulärem Tod) senkte den Endpunkt um 13%.
Dazu Prof. Dr. K. Teo, Hamilton, Kanada, auf dem Kardiologen-Kongress in
München: „Geprüft wurden mit dem sekundären Endpunkt die gleichen Kriterien
wie in der Hope-Studie.“ (Hier war der
ACE-Hemmer Ramipril untersucht worden und es hatte sich eine signifikante Re-
40
duktion der Parameter ergeben. Der ACEHemmer gilt seitdem als Goldstandard.)
In der ONTARGET-Studie zeigte sich,
dass 80 mg Telmisartan täglich hinsichtlich der kardioprotektiven Schutzwirkung
10 mg Ramipril täglich ebenbürtig sei, so
der Hersteller. Die Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse würde zudem mit
besserer Verträglichkeit erreicht. Prof. Dr.
Michael Böhm, Homburg/Saar sagte dazu auf dem Kongress in München: „Telmisartan stellt eine gute Behandlungsal-
ternative bei Patienten dar, die Ramipril
auf Grund von Nebenwirkungen nicht
vertragen. Dies sind rund 20% der kardiovaskulären Risikopatienten.“ Der Kardiologe machte ferner darauf aufmerksam, dass es bislang keine groß angelegte
Endpunktstudie zur Kardioprotektion bei
Patienten gab, die zwar ein kardiovaskuläres Ereignis hinter sich haben, aber nicht
schwer krank sind und mitten im Leben
stehen. Diese Lücke wurde mit ONTARGET jetzt geschlossen.
Quelle: Bayer Vital GmbH, Leverkusen;
Pressemitteilung zur TRANSCENDStudie vom 9. Oktober 2008;
www.viva.vita.bayerhealthcare.de
oder www.bayer.de
Arthrose
Körpereigene Therapie wirkt auch nach
zwei Jahren gegen Knie-Arthrose
Forscher der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf wollten überprüfen, welche
Therapie langfristig am besten bei Kniegelenksarthrose hilft. Sie verglichen bei
310 Patienten die Wirkung der OrthikonTherapie, von Hyaloronsäure und Plazebo über einen Zeitraum von zwei Jahren.
Hyaloronsäure ist ein Gelenkschmiermittel, das oft zur Behandlung von Arthrose
eingesetzt wird. Bei der Orthokin-Therapie werden entzündungshemmende Eiweißstoffe aus dem Blut des Patienten gewonnen und in das Gelenk gespritzt. Die
Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift
„Osteoarthritis and Catilage“ veröffentlicht (http://www.oarsi.org).
Den mit der Orthokin-Therapie behandelten Patienten ging es nach zwei Jahren bezogen auf Schmerz und Funktion
des Gelenkes deutlich besser als den anderen Mitpatienten: Von den 310 Patienten profitierten 188 noch von der ersten
Behandlung; 122 hatten in der Zwischenzeit andere Therapien, wie Operationen,
Spritzen, Medikamente oder Akupunktur in Anspruch genommen. Innerhalb
der Orthokin-Gruppe mussten die wenigsten Patienten nachbehandelt werden.
Ein deutlicher Unterschied zeigte sich im
WOMAC-Test, einem Fragebogen zu Gelenkfunktion und Lebensqualität. Nach
einem Ausgangswert von ca. 124 erreichte die Orthokin-Gruppe WOMAC = 58
mit einer deutlichen Verbeserung der Gelenkfunktion und Beweglichkeit. Die Vergleichsgruppen WOMAC = 88 bzw. 84 lagen deutlich darüber. Auf der visuellen
Analogskala von 0-100 lag die durchschnittliche Schmerztherapie durchschnittlich bei 70. Nach zwei Jahren lag
der Wert in der Orthokin-Gruppe bei 30,
in der Hyaloron-Gruppe bei 39, in der Plazebo-Gruppe bei 37. Studienarzt Carsten
Moser: „Die Orthokin-Therapie ist eine
sichere und lang wirksame Alternative zu
den herkömmlichen Behandlungsmethoden.“
Die Therapie wurde von dem Orthopäden Prof. Dr. Peter Wehling und Molkularbiologen Dr. Julio Reinecke entwickelt. Sie basiert auf den Erkenntnissen
über die biologischen Mechanismen der
Arthrose und Schmerzentstehung. Bei Arthrose wird u.a. das Protein Interleukin-1
freigesetzt, das für den Aufbau der Knorpelmasse mitverantwortlich ist. Um diesen Prozess zu beruhigen bzw. zu stoppen
wird der biologische Gegenspieler InterGERIATRIE JOURNAL 6/08
P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N
leukin-1-Rezeptorantagonist eingesetzt.
Dieser neutralisiert und wirkt entzündungshemmend, schmerzlindernd und
knorpelschützend. Beim Orthokin-Verfahren werden verschiedene Proteine und
Wachstumsfaktoren aus dem Blut des Pa-
tienten gewonnen und in das erkrankte
Gelenk gespritzt.
Quelle: Stiftung Molekulare Medizin,
Düsseldorf, Pressemitteilung vom
4. August 2008; www.momi.de
Schmerztherapie
Hochwirksames Schmerzmedikament
verbessert Lebensqualität um 50%
Auf dem 12. World Congress of Pain, der
im August in Glasgow, Schottland, stattfand, referierten Schmerzexperten über
aktuelle Entwicklungen in der Schmerztherapie. Ulf Schutter, Schmerzexperte aus
Marl, verwies hier auf das neue Medikament Targin® als Analgetikum der Wahl
für Patienten mit starken Schmerzen. Er
präsentierte eine große, nicht-interventionelle Multicenterstudie. Mehr als 7.800
Patienten, davon 1.963 opioid-naiv und
5.849 mit einem Opioidagonisten vorbehandelt, litten hier an starken Schmerzen
des Bewegungsapparates. Sie waren überwiegend durch degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule verursacht worden.
58% der naiven und 35% der vorbehandelten Patienten beurteilten die Wirksamkeit ihrer analgetischen Vorbehandlung als schlecht oder sehr schlecht. Auch
die Verträglichkeit bewerteten 25% der
naiven und 22,5% der vorbehandelten
Patienten ebenso wie die Wirksamkeit.
Die Patienten wurden auf Targin eingestellt. Innerhalb einer 4-wöchigen Beobachtungsphase gab es folgende Ergebnisse: Die Darmfunktion der opioid-naiven Patienten verbesserte sich um 49%. Ihr
Bowel Function Index (BFI), ein validierter Parameter zur Beurteilung klinisch
relevanter Darmfunktions-Unterschiede,
reduzierte sich um 12 Punktwerte, im vorbehandelten Kollektiv nahm er sogar um
27 Punktwerte ab. Das entspricht einer um
63% verbesserten Darmfunktion.
Auch Symptome wie Übelkeit oder
Schwindel verringerten sich im naiven
Kollektiv um knapp die Hälfte. Schutter
erklärt dieses Ergebnis so: „Werden starke Schmerzen nicht ausreichend gelindert,
produziert der Körper Endorphine. DieGERIATRIE JOURNAL 6/08
se Neuropeptide binden an die gleichen
Rezeptoren wie exogen verabreichte Opioide. Sie können beispielsweise auch im
Darm andocken und eine opioid-induzierte Obstipation verursachen. Das neue
Medikament blockiert diese Rezeptoren,
der Mechanismus muss jedoch noch wissenschaftlich belegt werden.“
Nach 4-wöchiger Behandlung der Patienten mit Targin waren die Patienten
gut eingestellt. Die Schmerzstärke reduzierte sich im naiven Kollektiv von NRS
5,9 auf 3,3, in der vorbehandelten Gruppe von 5,5 auf 3,3. Die hohe analgetische
Wirksamkeit der Fix-Kombination zeigt
auch eine Metaanalyse klinischer Phase II
und III-Studien mit Untersuchungszeiträumen von bis zu einem Jahr von Karen
Simpson, Leeds, England und PD Dr.
Winfried Meißner, Jena.
In der von Schutter präsentierten Multicenter-Studie nahm auch die Lebensqualität aller Patienten deutlich um 50%
zu. Der Summenscore der Beeinträchtigung verringerte sich um insgesamt 21,1
Punkte. Die Fähigkeit zu arbeiten, soziale Kontakte zu pflegen und Lebensfreude
zu empfinden verdoppelte sich. 90% der
behandelnden Ärzte beurteilten die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Targin
mit gut und sehr gut.
Literaturauswahl:
1. Symposium „Advanicng the field in pain medicineintegrating agonists and antagonists“, 12th world
Congress on Pain, 17.-22.8.08, Glasgow, Schottland
2. Presse-Roundtable „Targin® schafft Lebensqualität –
Neue Daten bestätigen starke Wirksamkeit und
überlegene Verträglichkeit“, veranstaltet von Mundipharma am 20. August 2008 im Rahmen des 12th
World Congress on Pain, International Association
for the Study of Pain (IASP), 17.-22. August 2008,
Glasgow, Schottland
3. Simpson K. et al: Analgetic efficacy of oxycodone in
combination with naxalone as prologed release (PR)
tablets in patients with moderate to severe chronic
pain. Poster PT 226, 12th World Congress on Pain,
International Association for the Study of Pain
(IASP), 17.-22. August 2008, Glasgow, Schottland
Quelle: Mundpharma Vertriebsgesellschaft mbh & Co. KG, Limburg
a.d. Lahn, 20. August 2008;
www.mundipharma.de
Typ-2-Diabetes
Inkretinkonzept mit neuer Generation
von Antidiabetika
Mit einer neuen Kombinationstherapie
für Typ-2-Diabetiker kann jetzt HbA1c effektiv gesenkt werden, ohne dabei das
Risiko für Hypoglykämien zu erhöhen.
Die orale Zufuhr von Glukose hat eine
höhere Insulinsekretion zur Folge als die
intravenöse Glukose-Zufuhr. Dieser sog.
Inkretin-Effekt ist bei Typ-2-Diabetikern
vermindert. Er ist zurückzuführen auf
die Freisetzung der gastroindestinalen
Peptidhormone Glucagon-Like Peptide1 (GLP-1) und Glucose-dependet Insulinotropic Peptide (GIP). Beide Hormone stimulieren die Insulinsekretion der
Betazellen im Pankreas und hemmen die
Glukagonbildung der Alphazellen. Bei
Typ-2-Diabetikern wird GLP-1 nur noch
vermindert ausgeschüttet, es wird weniger Insulin produziert und mehr Glukagon gebildet. GLP-1 kann durch seine
kurze Halbwertzeit schwer substitiuiert
werden.
An diesem Punkt setzen die Wirkprinzipien der neuen Antidiabetika an. Synthetisch hergestelltes Inkretinmetikum (Exenatide) ahmt GLP-1 nach. Das Medikament bindet an den GLP-1-Rezeptor und
aktiviert ihn. Gleichzeitig schützt der
DDP-4-Hemmer Sitagliptin GLP-1 vor
dem Abbau.
41
P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N
Beide Substanzen sind in Kombination
mit Metformin, einem Sulfonylharnstoff,
zugelassen. Exenatide senkt den HbA1cWert durchschnittlich zwischen 0,8 und
1,1%, Sitagliptin um 0,8%. Ein Unterschied ist die Gewichtsreduktion zwischen
1,6 und 2,8 kg unter dem GLP-1-Analogon. Exenatide muss 2-mal täglich subku-
Hypertonie
25% weniger Schlaganfälle durch
Blutdrucksenker
Der Blutdrucksenker Losartan senkt
das relative Schlaganfallrisiko um
25% bei Bluthochdruckpatienten. Die
Wirksamkeit dieses Medikamentes
bestätigte sich in der Life-Studie.
Hier nahmen 9.193 Patienten mit
mittelschwerer bis schwerer Hypertonie und im EKG diagnostizierter
linksventrikulärer Hypertrophie (LVH)
teil. Der mittlere Ausgangswert der
Patienten lag bei 174/98 mmHg. Die
Wirksamkeit der losartanbasierten
Therapie wurde in der Studie der
atenololbasierten gegenüber
gestellt. Die hohe Wirksamkeit von
Losartan führte dazu, dass Lozaar
Protect® in den Wirkstärken 50 und
100 mg jetzt auch zur Verringerung
des Schlaganfallrisikos bei Hypertonikern mit linksventrikulärer Hypertrophie zugelassen ist.
Der Hersteller verweist darauf,
dass zu Losartan inzwischen mehr
als 7.000 Studien vorliegen. Es steht
für vier Anwendungsgebiete zur Verfügung: essentielle Hypertonie, chronische Herzinsuffienz (für Patienten
älter als 60 Jahre, die nicht mit einem
ACE-Hemmer eingestellt sind), diabetische Nierenerkrankung (mit einer
Proteinurie > 0,5 g/Tag) und Reduktion des Schlaganfalls.
Quelle: Presseinformation der
MSD Sharp & Dohme GmbH vom
November 2008, Haar; www.msd.de
Tumortherapie
Misteltherapie steigert Lebensqualität
bei Tumorpatienten
In Frankfurt traf sich eine Expertenkonferenz mit dem Ziel, die Misteltherapie bei
Tumorpatienten aus praktischer Sicht zu
vereinfachen. Das Treffen stand unter der
Schirmherrschaft des Kieler H.G. Creutzfeldt Institutes. Die Misteltherapie reduziert Nebenwirkungen einer Chemo/Strahlentherapie und verbessert die Lebensqualität der Patienten. Fachleute aus
Klinik und Praxis stellten auf der Konferenz Praxisleitlinien in Form eines Thesenpapieres auf, denn die Therapie gilt
mitunter als schwierig und die Wirtsbaumwahl teilweise als undurchsichtig.
Die Experten stellten einleitend fest:
Mistelpräparate können prinzipiell in allen Phasen der Tumortherapie ergänzend
zur onkologischen Standardtherapie eingesetzt werden. Dabei soll sie unmittelbar nach der Diagnosestellung beginnen,
42
um die Verträglichkeit der Strahlen- und
Chemotherapie zu verbessern. Die Fachleute waren sich einig, dass die übliche
subkutane Applikation zur Immunmodulation, zum DNA-Schutz gesunder
Zellen während der Chemotherapie und
insgesamt zur Verbesserung der Lebensqualität führt.
Die Mistelgesamtextrakte stammen von
verschiedenen Viscum album-Unterarten
und haben unterschiedliche biochemische Zusammensetzungen und somit auch
Unterschiede in den pharmakologischen
Wirkungen. Das Tannenmistelpräparat
Helixor A ist grundsätzlich für eine Initialtherapie und besonders für Patienten
mit reduziertem Allgemeinzustand. Für eine stärkere Immunstimulation gibt es das
Apfelmistelpräparat Helixor M. Lässt die
Wirksamkeit dieser beiden Arzneimittel
tan injiziert werden, Sitagliptin kann täglich als 100 mg-Tablette verabreicht werden.
Dazu Prof. Dr. Thomas Haak, Bad Mergentheim: „Wenn die Metformin-Monotherapie nicht den gewünschten Erfolg
zeigt, sollte man frühzeitig Sitagliptin dazugeben, um den Blutzucker effektiv zu senken. Ist der HbA1c-Wert bereits zu hoch
(ab 10%) zeigt auch diese Kombinationstherapie möglicherweise nicht mehr den gewünschten Effekt. In diesem Fall ist die
Therapie mit Exenatide eine Alternative.
Das Inkretinkonzept bietet mehr Möglichkeiten für maßgeschneiderte Therapien.“
Quelle:
1. Pre-Session der Berlin-Chemie AG „Inkretine –
Inkretinschutz und DPP-4-Hemmer“ anlässlich der
43. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellscahft, München, 29. April 2008
2. http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/
redaktion/mitteilungen/leitlinien/DDG_LL_T2D_200
8_04_14_Diskussionseenteurf.pdf
Quelle: Berlin-Chemie AG, Berlin;
Pressemitteilung vom Juli 2008;
www.berlin-chemie.de
im Laufe der Therapie nach, gibt es das
lektinreichste Mistelpräparat aus der Kiefernmistel Helixor P.
Für eine optimierte Therapie muss die
Dosierung von Mistelgesamtextrakten
dem Krankheitsverlauf des einzelnen Patienten angepasst werden. Aus diesem
Grund ist eine Standarddosierung nicht
sinnvoll, sondern eine schrittweise Dosiseskalation empfehlenswert. Die Misteltherapie sollte bis zur optimalen Patientenreaktion (z.B. Lokalreaktion < 5 cm
an der Injektionsstelle oder ein Temperaturanstieg > 0,5°C) gesteigert werden.
Mit der so ermittelten Dosierung erfolgt
eine anschließende Erhaltungstherapie.
Die Behandlungsdauer beträgt in der
adjuvanten Tumortherapie fünf Jahre, in
der palliativen ist sie zeitlich unbegrenzt,
solange der Patient davon profitiert.
Quelle: Expertenkonferenz „HelixorTherapie bei soliden Tumoren“ vom
19.3.2008 in Frankfurt. Veranstalter:
H.G. Creutzfeldt-Institut, Kiel,
www.creutzfeldt-institut.com
GERIATRIE JOURNAL 6/08
IMPRESSUM/TERMINE
Impressum
Herausgeber:
Prof. Dr. Dr. med. G. Kolb, Lingen;
Prof. Dr. med. I. Füsgen, Wuppertal;
Prof. Dr. med. C. Sieber, Nürnberg;
Prof. Dr. med. B. Höltmann, Grevenbroich;
Prof. Dr. R. Hardt, Trier;
PD Dr. M. Haupt, Düsseldorf;
Prof. Dr. D. Lüttje, Osnabrück
Redaktion: Jola Horschig (Ltd. Redakteurin, presserechtlich verantwortlich), Im Kampe 9, 31832 Springe,
Telefon: 0 50 41 / 98 90 58, Telefax: 0 50 41/ 98 90 59,
eMail: [email protected]
Herstellung: Sabine Löffler (verantwortlich)
Grafik: Sabine Löffler (verantwortlich)
Verlag: gerikomm Media GmbH,
Winzerstr. 9, 65207 Wiesbaden
Verlagsleiter: Reiner Münster,
Telefon: 0 61 22 / 70 52 36, Telefax: 0 61 22 / 70 76 98,
eMail: [email protected]
Anzeigen: Reiner Münster,
Telefon: 0 61 22 / 70 52 36, Telefax: 0 61 22 / 70 76 98,
eMail: [email protected]
Zur Zeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 1 vom 01.01.2004
Anzeigenschluss: 3 Wochen vor Erscheinen
Rechte: Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.
Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine
Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Dies
gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,
Mirkoverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag behält sich
das ausschließliche Recht der Verbreitung, Übersetzung
und jeglicher Wiedergabe auch von Teilen dieser Zeitschrift durch Nachdruck, Fotokopie, Mikrofilm, EDVVerwertung on- und off-line, Funk- oder Fernsehaufzeichnung vor. Jede gewerblich hergestellte oder benutzte
Fotokopie verpflichtet nach Paragraph 54 (2) UrhRG zur
Gebührenzahlung an die VG Wort, Abt. Wissenschaft,
Goethestr. 49, 80336 München, von der die Modalitäten
zu erfragen sind.
Hinweise: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen vor allem von Neuzulassungen sollten in jedem
Fall mit den Beipackzetteln der verwendeten Medikamente verglichen werden. Alle Informationen werden nach
bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für die Richtigkeit
gegeben.
Vertrieb: gerikomm Media GmbH, Reiner Münster,
Telefon: 0 61 22 / 70 52 36, Telefax: 0 61 22 / 70 76 98
Bezugspreise: Jahresbezugspreise für 6 Ausgaben
inkl. Versandkosten:
Inland: Euro 42,–
Ausland: Euro 46,–
Studenten/AiP (gegen Vorlage einer Bescheinigung):
Inland: Euro 28,–
Studenten/AiP (gegen Vorlage einer Bescheinigung):
Ausland: Euro 32,–
Institutionen: Euro 62,–
Einzelheft: Euro 12,–
Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie
ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Gerichtsstand und Erfüllungsort: Wiesbaden
Druck: Verlag Gödicke Druck & Consulting, Hannover
© gerikomm Media 2008
Druckauflage: 5.500 Exemplare
GERIATRIE JOURNAL 6/08
ISSN 1439-1139
V. Quartal 2008
Termine 2008
@ 16. – 17. Januar 2009 – Block 1
@ 13. – 14. Februar 2009 – Block 2
@ 20. – 21. März 2009 – Block 3
@ 5. – 6. Juni 2009 – Block 4
@ 26. – 27. Juni 2009 – Block 5
@ 10. – 11. Juli 2009 – Block 6
Basis-Kurs Altersmedizin (BKA)
Informationen: Geriatrische Akademie Brandenburg e. V., c/o.
Evangelisches Krankenhaus Woltersdorf, Organisationsmanagement,
Schleusenstr. 50, 15569 Woltersdorf, Tel. 0 33 62/779 - 225/- 200,
Fax: 0 33 62/779 - 225/- 209, eMail [email protected]
@ 6. bis 8. Februar 2009, Bad Segeberg, Teil I
27. Februar bis 1. März 2009, Bad Segeberg, Teil II
Zusatz-Weiterbildung Palliativmedizin Basiskurs
Informationen: Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung, Petra
Petersen, Esmarchstr. 4-6, 23795 Bad Segeberg, Tel. 0 45 51/803-166,
Fax 0 45 51/803-194, eMail: [email protected], www.aeksh.org
@ 13./14. Februar 2009, Bad Staffelstein
„... es hat uns nicht geschadet!?“ – Psychotherapie der
Nachkriegsgeneration
5. Nordbayerische Tagung für verhaltenstherapeutische Medizin
Informationen: Klinikum Staffelstein, Gerontopsychosomatik, Sekretariat,
Am Kurpark 11, 96231 Bad Staffelstein, Tel. 0 95 73/56-543,
Fax 0 95 73/56-749, eMail: [email protected]
@ 13./14. Februar 2009, Hamburg
„Alt, körperlich krank und depressiv – und dann?“
8. Hamburger Symposium „Aktuelle Konzepte der Altersmedizin“
Informationen: Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg, Zentrum für Ältere, Abt. für Med.
Geriatrie, Chefarzt Dr. Peter Flesch, Langenhorner Chaussee 550,
22419 Hamburg, Tel. 0 40/18 18 87-23 14/23 12, Fax 0 40/18 18 872052, eMail: [email protected], www.asklepios.com/klinikumnord
@ 1. – 3. April 2009, Bournemouth (UK)
British Geriatrics Society – Spring Meeting
Informationen: British Geriatrics Society, Marjory Warren House,
31 St John's Square, London EC1M 4DN, Tel: + 44 (0)20 7608 1369,
Fax + 44 (0)20 7608 1041, www.bgs.org.uk/Notices/bgs_conferences.htm
@ 6. bis 9. Mai 2009, Wien
4. gemeinsamer Österreichisch-Deutscher Geriatriekongress
Informationen: Ludwig-Boltzmann-Institut für angewandte Gerontologie,
Ilse Howanietz, Apollogasse 19, A-1070 Wien, Tel: +43/1/52 103-5770,
Fax +43/1/52 103-5779, eMail: [email protected],
www.geriatrie-online.at
@ 24. – 26. September 2009, Göttingen
100 Jahre jung: Geriatrie für die Zukunft. 19. Kongress der DeutschenGesellschaft für Geriatrie (DGG)
Informationen: Reiner Münster, Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft
für Geriatrie (DGG) und gerikomm Media GmbH, Winzerstr. 9,
65207 Wiesbaden, Tel. 0 6122/70 52 36, Fax 0 61 22/70 76 98,
eMail: [email protected]
43
Herunterladen