TA-SWISS Studie Wissen können, dürfen, wollen? Genetische Untersuchungen während der Schwangerschaft Vorstellung der Studie an der NTA7-Konferenz am 17. November 2016 in Bonn Susanne Brauer Brauer & Strub|Medizin Ethik Politik www.brauerstrub.ch [email protected] 1 Thema der Studie Thema: Genetische Untersuchungen während der Schwangerschaft Nicht-invasive Pränataltests (NIPT) im Fokus Neue genetische Analyseverfahren • Microarray-Verfahren (Chromosomenstörungen) • Hochdurchsatzsequenzierung (DNA, Gesamtgenom) Drei Problemebenen: a) Es braucht eine biologische Probe, die dem Körper der Frau entnommen wird Einwilligung (Informed Consent) der Frau als Voraussetzung; b) Verschiedene Verfahren zur Untersuchung von genetisch bedingten Behinderungen und Krankheiten Risiken, Leistungsfähigkeit, Aussagekraft, Anwendungsbereich etc. c) Die Resultate der Untersuchung wen betreffen die Ergebnisse; welche Folgeentscheidungen stellen sich; wer hat einen Nutzen etc. Drei Leitfragen: 1. Welche genetischen Informationen können wir vom Embryo/Fötus ermitteln? 2. Was dürfen werdende Eltern in Erfahrung bringen? 3. Was wollen werdende Eltern überhaupt wissen? 2 Stand der Technik Neuheit von NIPT gegenüber Ersttrimestertest (ETT) und invasiver Diagnostik: vereinfachter und risikoloser Zugang zu genetischem Material von Embryonen und (gegenüber ETT) Ergebnisse mit höherer Aussagekraft Problem der Zufallsbefunde und der noch nicht-(eindeutig) interpretierbaren Daten, v.a. bei neuen Hochdurchsatzsequenzierungsund Microarray-Verfahren. Ausblick zur Technologieentwicklung Langfristig könnte Gesamtgenomsequenzierung nicht-invasiv möglich werden mit der Einschränkung, dass verlässliche prognostische Einschätzungen der häufigen Genvarianten weiterhin fehlen werden. Schönheit, Intelligenz etc. werden wegen zahlreicher genetischer Varianten nicht diagnostizierbar sein. Ziel von PND: Ausschluss von Chromosomenanomalien sowie schweren mono- oder oligogenen Krankheiten 3 Aufbau der Studie Zusammenfassung – Executive Summary 1. Einleitung 2. Medizinische Sachlage – 3. Sozialwissenschaftliche Befunde – – – 4. Situation und Handeln schwangerer Frauen Versorgung, Aufklärung und Beratung Einschätzung und Erfahrungen mit NIPT Ökonomische Perspektiven – – 5. Angebot, Akteure und Kosten von NIPT Nutzenbegriff und Wirtschaftlichkeit der Screeiningverfahren Rechtliche Perspektiven – – 6. Rechtliche Rahmenbedingungen für pränatale Untersuchungen, inkl. Aufklärung, Beratung und Einwilligung sowie Auseinandersetzung mit dem Vorentwurf GUMG Rechtliche Rahmenbedingungen für den Abbruch einer Schwangerschaft Ethische Perspektiven – – 7. Entwicklung und Zukunft der Pränataldiagnostik in der Schweiz Individual- und familienethische Perspektive (Reproduktive Autonomie, elektiver und selektiver Schwangerschaftsabbruch, elterliche Pflichten und Kindeswohl; Beratungsspraxis ) Sozialethische Perspektive (Gesellschaftliche Wahrnehmung von Krankheit und Behinderung; Diskriminierung von Menschen mit Behinderung; Nutzenbegriff, Datenschutz) Ausgangsposition und Empfehlungen 4 Argumentation Ausgangssituation Untersuchungen, die genetische Eigenschaften des Embryos/Fötus in den Blick nehmen, sind nur mit Proben, die dem Körper der Frau entnommen werden, durchführbar. Die Frau hat die Möglichkeit, solche Untersuchungen zu veranlassen oder abzulehnen. Es braucht ihr informiertes Einverständnis. Wie sind Standards des Informed Consent bei neuen genetischen Verfahren aufrechtzuerhalten? Normative Anforderungen Persönliche Freiheiten und Rechte der Frau respektieren und ermöglichen • Reproduktive Selbstbestimmung • Recht auf Wissen bzw. Nichtwissen/ Recht auf Auskunft • Recht als zukünftige Inhaberin der elterlichen Sorge Würde und Schutz des Embryos/Fötus berücksichtigen Keine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung 5 Annahmen Vertrauen in Frauen, verantwortungsvoll zu entscheiden. Rein objektive Einschätzung von Leiden und Belastungen nicht möglich. Persönlicher, individueller Nutzen für die Familienplanung kann bestehen. Ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen ist nicht ermittelbar. Keine staatlichen Werturteile über menschliche Lebensformen Gefahr der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Lösungsvorschlag Zugang zur und Qualität von Beratung verbessern, um informierte, selbstbestimmte und verantwortungsvolle Entscheidungen der Frauen (und ihrer Partner) möglich zu machen und damit auch den Schutz und die Würde des Embryos zu gewährleisten. 6 14 Empfehlungen Aufklärung und Beratung 1. Voraussetzungen in personeller, finanzieller und fachlicher Hinsicht ausbauen. 2. Qualitätsstandards auch für neue Untersuchungsverfahren wie den NIPT sicherstellen. Neue genetische Untersuchungsmethoden 3. Begleitforschung etablieren. 4. NIPT nur zusammen mit einer Ultraschalluntersuchung einsetzen. 5. Die Kosten für nachgeburtliche genetische Untersuchungen übernehmen. Umgang mit genetischen Informationen 6. Zufallsbefunde bzw. Überschussinformationen nur auf Patientenwunsch mitteilen. 7. Datenschutz für Kind und für Blutsverwandte gewährleisten. 8. Ökonomischer Nachteile bei Versicherungsabschluss vermeiden. 9. Erhobene Daten auf Wunsch des Kindes mitteilen. 7 Schwangerschaftsabbruch 10. Vor dem Schwangerschaftsabbruch positive Testergebnisse durch invasive Diagnostik bestätigen. 11. Selektive Schwangerschaftsabbrüche vorbeugen, indem in Politik und Gesellschaft eine positive Werthaltung der Vielfalt menschlichen Lebens gefördert wird. Laufende Revision des Gesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) 12. Anwendungsbereich pränataler genetischer Untersuchungen nicht durch Listen beschränken, sondern auf das Ziel ausrichten, der Frau eine informierte selbstbestimmte Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermöglichen. 13. NIPT gesetzlich explizit den genetischen Untersuchungen zuordnen oder die kategorielle Unterscheidung zwischen pränatalen genetischen Untersuchungen und pränatalen Risikoabklärungen überdenken. 14. Klärung herbeiführen, ob ein gesetzliches Verbot der Mitteilung des Geschlechts aufgrund des Diskriminierungsverbots gerechtfertigt werden kann oder ob es als unzulässige Einschränkung der reproduktiven Autonomie zu verwerfen ist. 8 Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Literaturangabe: Susanne Brauer, Jean-Daniel Strub, Barbara Bleisch, Christian Bolliger, Andrea Büchler, Isabel Filges, Peter Miny, Anna Sax, Sevgi Tercanli, Markus Zimmermann: Wissen können, dürfen wollen? Genetische Untersuchungen während der Schwangerschaft. TA-SWISS, Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung (Hrsg.). vdf-Hochschulverlag an der ETH Zürich, 2016. Unterstützt wurde die Studie von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI), der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) und der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Auch als ebook zum freien Download bereit: www.vdf.ethz.ch 9