In Gute Pässe Schlechte Pässe lotet Waldmann ein Thema aus, das unsere Gesellschaft derzeit bewegt wie kaum ein anderes – Grenzen: „Warum kann ich mich mit meinem guten deutschen Pass völlig ungehindert in 178 Ländern bewegen? Und warum haben Menschen aus ärmeren Ländern diese Bewegungsfreiheit nicht?“ Wo immer wir uns als Mitglieder einer bestimmten Gruppe definieren, grenzen wir andere aus. Dieser Mechanismus ist so tief in uns verwurzelt, dass er uns wie selbstverständlich erscheint. Eine feste Identität verleiht Halt und Orientierung. Das Fremde, das Unbekannte bleibt auf Abstand. Gleichzeitig aber sehnen wir uns danach, Grenzen zu überwinden, sie aufzubrechen, um Neues zu entdecken. So scheint es, dass wir zunehmend bereit sind, unsere Freiheit ganz dem Bedürfnis nach Sicherheit unterzuordnen. Wollen wir das? Im Mittelpunkt von Gute Pässe Schlechte Pässe – und ebenso zentral auf der Bühne – steht eine Mauer aus Menschen, die zwei sehr unterschiedliche Ensembles, eine zeitgenössische Tanzkompanie und eine aus der Welt des Nouveau Cirque, voneinander trennt. Waldmanns Protagonisten: dreißig Menschen – Tänzer und Akrobaten, Mauerbauer und Mauerschauer, Hiesige und Fremde. Auch wenn die Bühne sie eint, entstehen verschiedene Lager, verhärten sich die Fronten. Immer neue menschliche Demarkationslinien bilden sich, zwischen Tänzern und Akrobaten, aber auch ganz persönlich in unseren Köpfen. Die scheinbare Selbstverständlichkeit von Grenzen und des überkommenen Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts (François Mitterrand: “Le nationalisme, c'est la guerre“) führt zu der Frage: Was markieren die Grenzen wirklich? Gerade in einer globalisierten Welt gilt: Je mehr die Tänzer und Artisten als zwei grundverschiedene Theaterkulturen dazu übergehen, sich spiegelbildlich in ihren Bewegungssprachen anzunähern, desto dringlicher ziehen sie ihre Grenzen. Die einmal errichtete kulturelle Differenz scheint umso nötiger zu werden, je deutlicher wird, dass die Grenze gar nicht oder nur virtuell existiert. Die Sehnsucht nach einer geschlossenen Gesellschaft führt zur Heiligsprechung ihrer eigenen Sprechweisen und ihrer eigenen Traditionen, sie insistiert auf eigene Körpertechniken, selbst wenn beide Nationen vor Minuten kein anderes Ziel kannten als ihre Grenzen zu überwinden. Der Pass, seine Gültigkeit, sein Ansehen, die Bewegungsfreiheit, die er garantiert oder nimmt, er ist nur der erste Repräsentant des Nationalismus, den wir alle mit uns führen. Eine Produktion von Helena Waldmann und ecotopia dance productions Uraufführung am 4. März 2017 Theater im Pfalzbau Ludwigshafen In Koproduktion mit Theater im Pfalzbau Ludwigshafen (D), Hessisches Staatsballett im Rahmen von Tanzplattform Rhein-Main, ein Projekt des Hessischen Staatsballetts im Staatstheater Darmstadt und Hessisches Staatstheater Wiesbaden und Künstlerhaus Mousonturm, Frankfurt (D), Les Théâtres de la Ville de Luxembourg (L), Colours International Dance Festival Stuttgart (D), Kaserne Basel (CH), Kurtheater Baden (CH), FFT Düsseldorf in Kooperation mit tanzhaus nrw (D), Tafelhalle Nürnberg (D), gefördert durch den Fachausschuss Tanz und Theater BS/BL Helena Waldmann Helena Waldmann, seit 1989 freischaffende Tanzregisseurin, studierte von 1982-86 Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und entwickelte erste Arbeiten zum Spiel mit der Wahrnehmung («Die Krankheit Tod», «vodka konkav») sieben Jahre lang am Mousonturm in Frankfurt/M. Seit 2000 lebt sie in Berlin. Ihre politischen Choreografien entstehen und touren weltweit. Es dominieren Arbeiten, die in Auseinandersetzung stehen mit u.a. Fremdbestimmung («Headhunters»-Brasilien; ausgezeichnet mit dem Theaterpreis der UNESCO), der Zensur («Letters from Tentland» - Iran), Unterdrückung («BurkaBondage» Kabul/Tokio), der sozial geächteten Rolle des Vergessens («revolver besorgen») und prekären Arbeitsbedingungen («Made in Bangladesh» - Dhaka), ein Werkstück über Ausbeutung in der Textil- und Kulturindustrie. Die Produktion wurde für den Deutschen Theaterpreis DER FAUST 2015 in der Kategorie Choreographie nominiert. www.helenawaldmann.com Tobias Staab (Dramaturgie) Tobias Staab arbeitete am theaterwissenschaftlichen Forschungszentrum Sound and Movement (SaM) für Gegenwartstheater und Neue Medien und publizierte diverse Aufsätze in Fachpublikationen. Mit Ritournelle etablierte er 2012 ein Festival für avancierte elektronische Popmusik in den Münchner Kammerspielen. Zwischen 2013 und 2015 arbeitete er als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen, unter anderem mit Regisseuren wie Johan Simons, Stefan Pucher und René Pollesch. Seit 2015 arbeitet Tobias Staab als Dramaturg für die Ruhrtriiennale. Dort kuratiert er u.a. das musikalische Programm im Bereich Pop-Musik. Gemeinsam mit dem US-Choreografen Richard Siegal gründete er 2016 die Kompanie Richard Siegal / Ballet of Difference. Judith Adam (Kostümdesign) Seit 2004 arbeitet Judith Adam als Kostümbildnerin mit Tim Plegge zusammen. Nach „Momo“ und „Orpheus“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe, entstanden „Aschenputtel“ und „Kaspar Hauser" für das Hessische Staatsballett. In dieser Spielzeit feierte dort „Der Sommernachtstraum“ Premiere. Sie arbeitet auch mit den Choreographen Reginaldo Oliveira („Der Fall M.", "Anne Frank") und Antoine Jully ("Jurassic Trip") und den Performern Gabriele Reuter ("Tourist a de-centred place", "the amplitude") und Amigo Kadir Memis zusammen. 2014 entwarf sie die Kostüme für die Tänzer von Helena Waldmanns »Made in Bangladesh«. Neben ihrem großen Interesse für den zeitgenössischen Tanz arbeitet Judith Adam seit 2006 als Kostümbildnerin im Musiktheater mit Regisseuren wie Corinna Tetzel, Michaela Dicu, Elmar Ottenthal und Annette Leistenschneider zusammen. Herbert Cybulska (Lichtdesign) Seine Lichtkunst entstand schon für das Gasometer Oberhausen, für den Mei Shan Park im chinesischen Shaoxing City und zahllose andere öffentliche Orte im In- und Ausland. Für Helena Waldmann ist er von Beginn an für das Bühnenlicht verantwortlich. 2012 gewann er gleich zweimal den Deutschen Lichtdesignpreis in den Kategorien „Lichtkunst“ und „Events und Messen“, 2015 wurde sein Lichtkonzept für den expressionistischen Sakralbau St. Bonifatius in Frankfurt am Main mit dem Deutschen Lichtdesignpreis „Kulturbauten“ und einem German Design Award ausgezeichnet. Johanna Hwang (Probenleitung) erhielt ihre Tanzausbildung an der Heinz-Bosl-Stiftung, Ballett Akademie München. Das erste Engagement führte sie ans Staatsballett Berlin, wo sie neun Jahre lang als Halbsolistin unter der Leitung von Vladimir Malakhov tanzte. Anschließend wurde sie von Mauro Bigonzetti als Solistin ans Aterballetto Italien geholt. Seit 2016 ist sie als Gasttrainerin tätig. Sara Enrich Bertran (Tanz) die gebürtige Spanierin erhielt ihre Ausbildung beim Dansa Institut del Teatre de Barcelona, im Anschluss daran gehörte sie während der ersten zwei Jahre der Junior Company des IT DANSA in Barcelona an. Sie tanzte in den Compagnien von Ramon Oller, Henry Oguike und Thomas Noone, bei Norrdans und Carte Blanche. Helena Waldmann Chris Jäger (Tanz) geboren in Deutschland, erhielt er seine Ausbildung im Zeitgenössischen Tanz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt. Er tanzte am Staatstheater Kassel und als Solist am Staatstheater Braunschweig. - eine Grenzerfahrung Gute Pässe Schlechte Pässe Tjorm Palmer (Artist) geboren 1993 in Deutschland. Mit 14 begann er seine Ausbildung an der Staatlichen Artistenschule in Berlin, die er 2013 erfolgreich abschloss. Zu den bekannten Auftrittsorten in Berlin gehören das Chamäleon-Theater und das Wintergarten-Variété, der Friedrichstadtpalast und die Staatsoper. Er performte im Friedrichsbau-Variété in Stuttgart, schuf mit seiner Gruppe LostAcrobats das Stück Back to the Roots, ging mit Bühne frei von Hirschgold auf Europatournee und performte mehr als 30 Events mit CosmicArtists (Tramphouse Show, Airtrack Show). Lysandre Coutu-Sauvé (Tanz) die gebürtige Kanadierin schloss 2007 ihre Ausbildung an der École de danse contemporaine de Montréal ab. In Montréal arbeitete sie u.a. mit den Choreographen Marc Boivin, Estelle Clareton, Mélanie Demers und Andrew de Lotbinière Harwood (AH HA Productions). Seit 2009 lebt sie in Berlin, wo ihre eigenen Arbeiten entstanden: Born as Animals (2010), Divers Suit No.1 (2011) und Bastard with a Name (2015). Declan Whitaker (Tanz) ist gebürtiger Engländer und erhielt seine Ausbildung an der London Contemporary Dance School. Er tanzte bei verschiedenen Londoner Compagnien und zuletzt in der National Dance Company Wales und bei Martin Forsberg in Kopenhagen. Choreographische Erfahrungen sammelte er beim Royal Ballet und bei der National Dance Company Wales. Carlos Zaspel (Artist) Ist in Berlin geboren und erhielt seine Ausbildung an der staatlichen Artistenschule in Berlin. Seine Disziplinen sind Chinese Pole, Handbalancing, Trampolin und Tumbling und Jonglage. Im Duo tritt er als „Two Guys-One Club“ auf. Das Kurtheater Baden bedankt sich sehr herzlich bei den 20 Mauerbauern und Mauerbauerinnen aus Baden und Umgebung, die sich unentgeltliche für diese Produktion zur Verfügung gestellt haben. Ohne Sie wäre dieser Abend nicht möglich gewesen. Kurtheater Baden, Dienstag 7. März 2017 Antonia Modersohn (Artist) ist geboren in Deutschland. Sie absolvierte die Staatliche Artistenschule in Berlin, die sie 2011 erfolgreich abschloss. Ihre Disziplinen sind Chinese Pole und Luftakrobatik. In der Luft tritt sie als „Duo3Fach“ auf. Sie arbeitete in unterschiedlichen Shows in den GOP Variété Theatern sowie in vielen weiteren Variétés. Ansonsten zeigte sie ihr Können in Martinique, Belgien, Marokko und Ibiza. Tanzregie, Bühne und Konzept Helena Waldmann Mit Sara Enrich Bertran, Chris Jäger, Antonia Modersohn, Tjorm Palmer, Lysandre Coutu-Sauvé, Declan Whitaker, Carlos Zaspel Mauerbauer & Mauerbauerinnen: Ali Ahmadi, Manuel Bangerter, Ali Eftekhary, Hans Fischer, Abdikani Fyesal, Dominik Gysi, Gabrielle Heynen, Selina Huber, Sebastian Koch, Emmanuelle Mancea, Andreas Oschwald, Astrid Ryter, Sajjad Ali Samimi, Elena Schweizer, Luigi Tosolini, Franziska Voegtlin, Robert Zimmermann, Doris Zinniker, Jelena Zupan u.a. Dramaturgie und musikalische Konzeption Tobias Staab Musik Mika Vainio, Arne Deforce, Jean-Philippe Rameau, Richard Wagner Kostüm Judith Adam Licht Herbert Cybulska Probenleitung Johanna Hwang Technische Leitung Carsten Wank Lichttechnik Carsten Wank, Jörg Bittner Tontechnik Stephan Wöhrmann , Matthias Hirzel Vielen Dank! www.kurtheater.ch Dauer ca. 60 min