Konstruktionen mit Zirkel und Lineal Seminar: Euclidean Geometry; Rüdiger Scheu, FS 2016 Bedeutung der Konstruktionen in Euklids Elemente Ein Merkmal der “Elemente“ ist der konstruktive Zugang, den Euklid in seinem Werk wählt. Sätze sind keine üblichen Sätze, wie wir sie in der modernen Mathematik kennen, sondern zumeist Konstruktionsprobleme: Aus gegebenen Objekten soll eine Zielfigur konstruiert werden. Insofern sind die Konstruktionen eine spezielle Form von Existenzbeweis: Wir beschränken uns bei unseren Werkzeugen auf den Zirkel und das Lineal (ohne Massstab). Beispiel: Proposition I.1 Es sei die gerade Strecke AB gegeben. Es soll auf AB ein gleichseitiges Dreieck errichtet werden. Es ist um A mit Radius AB der Kreis BCD zu zeichnen und um B mit Radius BA der Kreis ACE. Vom Punkt C, in dem die Kreise sich schneiden, sind zu den Punkten A und B die Strecken CA und CB zu ziehen. Dieser Fokus auf Konstruktionen spiegelt sich auch in den Postulaten Euklids wieder: • Von einem beliebigen Punkt zu einem anderen ist eine gerade Strecke zu ziehen, • und um einen beliebigen Punkt ist mit beliebigem Radius ein Kreis beschreibbar,(...) Aus Sicht der modernen Mathematik würden wir eher sagen, dass es genau eine Gerade gibt, die durch zwei gegebene Punkte läuft und wir würden den Kreis als die Menge der Punkte definieren, die einen konstanten Abstand zum Mittelpunkt besitzen. Euklid geht so weit, dass er nur Figuren betrachtet, die mit Zirkel und Lineal konstruierbar sind. So finden sich in “Elemente“ beispielsweise keine regelmässigen 7-Ecke, da diese nicht konstruierbar sind. Dagegen sind sie durch den Winkel 2π/7 aus moderner Sicht eindeutig definiert. Warum wählt Euklid also den Zugang mit Zirkel und Lineal, obwohl die Griechen für praktische Anwendungen besseres Werkzeug (siehe erster Vortrag) kannten? Durch die Entwicklung mit Zirkel (entspricht Kreis) und Lineal (Gerade) ist die auf den Axiomen aufbauende Entwicklung sehr klar und logisch nachvollziehbar, da die Konstruktionswerkzeuge gedanklich sehr einfach zu fassen sind. Konstruktionen Konstruktionsregeln Eine Figur entsteht durch eine endliche Anzahl von Geraden und Kreisen, die man ausgehend von gegebenen geometrischen Objekten konstruiert. Neue Punkte werden durch Schnitte erzeugt. Der kollabierende Zirkel Euklid zeigt in I.2 die Konstruktion einer gegebenen Strecke an einem mit dieser Strecke nicht verbundenen Punkt. Man kann sich fragen, warum dies so umständlich geschieht. Zunächst wird auf der Verbindungsstrecke von Punkt und Seite der Strecke ein gleichseitiges Dreieck konstruiert; dies wird genutzt um Streckenlängen zu übertragen. In Euklids Auffassung ist das Werkzeug Zirkel“ so zu verstehen, dass ” es seine Längeneinstellung verliert, sobald es vom Blatt genommen wird. Man nennt dies auch einen kollabierenden Zirkel. Andererseits zeigt Euklid in I.2, dass dieser kollabierende Zirkel äquivalent ist zu einem Zirkel, der Strecken übertragen (transportieren) kann. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal Seminar: Euclidean Geometry; Rüdiger Scheu, FS 2016 Konstruktion in möglichst wenigen Zügen Eine interessante Aufgabe ergibt sich, wenn man versucht bestimmte Figuren in möglichst wenig Zügen“ zu konstruieren. Dabei zählt jeder konstruierte Kreis und jede konstruierte Gerade als ” ein Zug. Schnittpunkte markieren, beliebige Punkte auswählen und Streckenzüge verlängern ist kostenlos“. ” Beispiel: Senkrechte durch Punkt P auf Geraden g konstruieren (4 Züge standard, 3 Züge möglich.) In vier Zügen lässt sich die Konstruktion erreichen, indem man zwei Punkte mit gleichem Abstand zu P auf g konstruP B iert. Über der Verbindungsstrecke konstruiert man dann ein gleichseitiges Dreieck (ohne die Seiten zu ziehen); die Spitze des Dreiecks definiert den zweiten Punkt, der für die senkA rechte Gerade nötig ist. In nur drei Zügen geht es, indem man den Thaleskreis in C der Konstruktion verwendet: Wähle einen belieben Punkt A, der nicht auf der Geraden liegt. Kreis um diesen Punkt mit Radius AP → B (1). Gerade durch A und B → C (2). Gerade durch P und C ist die gesuchte Senkrechte (3). Ein ähnliches Konstruktionsspiel lässt sich online auf www.euclidthegame.com spielen. Exaktheit von Konstruktionen und Ausblick: Konstruierbarkeit Die Durchführung der Konstruktionen sind immer fehlerbehaftet. Was für uns Mathematiker zählt, ist jedoch die exakte Konstruktion, die als Idee“ (im Sinne Platons) hinter der Konstruktion steht. ” Diese wesentliche Unterscheidung führte immer wieder zu Verwirrung: Hobby“-Mathematiker ver” suchen bis heute, Konstruktionen zu finden, von denen wir wissen, dass sie mit Zirkel und Lineal nicht konstruierbar sind. Hierzu zählen die drei klassischen Probleme der Antike: Quadratur des Kreises, Dreiteilung des Winkels und die Würfelverdopplung. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal Seminar: Euclidean Geometry; Rüdiger Scheu, FS 2016 Betrachtet man die Konstruktion mit Zirkel und Lineal algebraisch, lässt sich schnell plausibel machen, warum dies Konstruktionen nicht möglich sind. Geraden lassen sich mit linearen Gleichungen in der Ebene beschreiben. Kreise mit quadratischen Gleichungen: r2 = (x − a)2 + (y − b)2 . Neu konstruierte Punktkoordinaten ergeben sich also als Lösungen von Gleichungssystemen mit quadratischen und linearen Gleichungen. Diese Koordinaten √ lassen sich durch Körperoperationen +, −, ·, : und x 7→ x erzeugen. Konkrete Konstruktionsmöglichkeiten nutzen beispielsweise Strahlensätze (Vielfache und Teiler) und den Höhensatz (Quadratwurzel). Algebraisch lassen sich alle diese Koordinaten durch sukzessive Körpererweiterung des Körpers der rationalen Zahlen Q erzeugen. Eine einfache quadratische Körpererweiterung von Q ist: √ √ Q( a) = {α + β a|α, β ∈ Q}. Was sich durch eine endliche Anzahl von Körpererweiterungen nicht erzeugen lässt sind beispiels√ weise Kubikwurzeln 3 ·, oder transzentente Zahlen wie π. Beispiel: Winkeldrittelung Wir wollen wir nun einsehen, dass die Drittelung des Winkels daher nicht möglich ist. Manche Winkelgrössen sind drittelbar, aber beispielsweise existiert keine Konstruktion für einen 20◦ -Winkel, die Dreiteilung des 60◦ -Winkels. Könnte man α = 20◦ konstruieren, dann wäre auch cos(20◦ ) über den Einheitskreis konstruierbar. a = cos(20◦ ) ist eine Lösung der Gleichung 8a3 − 6a − 1 = 0, die keine Lösung in Q besitzt. Da es eine Gleichung dritten Grades ist, besitzt sie auch keine Lösung in einem durch quadratische Körpererweiterung erzeugten Erweiterungskörper von Q. (Rigoros lässt sich dies anhand des Körpererweiterungsgrades zeigen. Vergleiche Abschnitt 28, Kapitel 6 in Hartshorne: Geometry: Euclid and beyond). Damit ist cos(20◦ ) nicht konstruierbar und somit die Winkeldrittelung für beliebige Winkel mit Zirkel und Lineal nicht konstruierbar. Andere Spielregeln: Origami Dass sich die antiken Probleme nicht lösen lassen, hängt ganz mit unseren gesetzten Spielregeln zusammen. Durch Einschränkung auf Zirkel und Lineal war es nicht möglich, die nötigen Koordinaten zu konstruieren. Origami, die japanische Falttechnik, hat ähnlich einfache Spielregeln. Alle Winkel, Längen usw. müssen durch falten eines rechteckigen Papiers erzeugt werden. Interessanterweise lässt sich mit Origami die Winkeldrittelung realisieren... https://www.sciencenews.org/article/trisecting-angle-origami