GenEthik: Ethische Orientierungen im Konflikt um Grüne Gentechnik

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Markus Vogt
GenEthik:
Ethische Orientierungen im
Konflikt um Grüne Gentechnik
(Schriften der Katholischen Landvolk Bewegung KLB)
Stuttgart 2005
Herausgeber: Internationaler Landvolkdienst e.V.
Vogt - GenEthik 2
Gliederung
Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................ 1
Vorwort (KLB [Schleicher?, Kroll-Schlüter?] ............................................. 2
1.
Einführung
1.1 Grüne Gentechnik zwischen Interessens- und Überzeugungskonflikten ........................... 4
1.2 Gentechnik im Kontext ambivalenter Landwirtschaftspolitik ............................................ 4
2.
Theologische und ethische Orientierungen
2.1 Schöpfungstheologische Option für Gestaltungsverantwortung .................................
2.2 Gentechnik als Handwerk ............................................................................................
2.3 Verantwortung als Methode ........................................................................................
2.4 Gerechtigkeit aus der Perspektive der Schwachen .......................................................
2.5 Risiko-Ethik .................................................................................................................
3. Ethische Analysen aktueller Konflikte
3.1 Unterschiedliche Diskursebenen als Grund für Missverständnisse.............................
3.2 Ziele und erhoffter Nutzen der Grünen Gentechnik..................................................
3.3 Risiken und soziale Kontexte der Grünen Gentechnik.............................................
3.4 Hypothesen über die gesundheitlichen Risiken .........................................................
3.5 Was kann Grüne Gentechnik zur Lösung der Welternährungsprobleme beitragen?.....
3.6 Wie wirkt sich Grüne Gentechnik auf die Biodiversität aus? ..................................
4. Demokratische Legitimation und die Grammatik der Akzeptanz
4.1 Einstellungen zur Grünen Gentechnik in der Bevölkerung ...........................................
4.2 Öffentliche Stellungnahmen kirchlicher Gruppen ........................................................
4.3 Gesetzliche Regelungen zur Frage der Koexistenz .....................................................
4.4 Bedingungen ethischer und demokratischer Legitimation ............................................
4.5 Verantwortung in der Dialektik von Fortschritt und Risiko ...........................................
(5. Quellentexte: kirchliche Stellungnahmen zur Grünen Gentechnik)
Vogt - GenEthik 3
Vorwort KLB
Der Internationale Landvolkdienst (ILD) und die KLB Deutschland setzen sich seit vielen
Jahren mit Fragestellungen der Grünen Gentechnik auseinander. In einer Vielzahl verschiedener Debatten und Fachseminare wurden die Vor- und Nachteile ausführlich erörtert und diskutiert.
Dieser Diskurs erhielt mit dem von der Europäischen Union geförderten ÍLD- Projekt mit
dem Titel: „Kann die Gentechnik einen Beitrag zur Verbesserung der Ernährungssicherheit in
Entwicklungsländern leisten?“ eine neue Dimension. Denn damit soll ein qualifizierter Beitrag zur entwicklungspolitischen Bewusstseinsbildung in der europäischen Öffentlichkeit geleistet werden.
In der thematischen Auseinandersetzung wurde inzwischen deutlich, dass allein das Abwägen
der Argumente nicht sehr viel weiter hilft, weil diese meistens viele verschiedene Dimensionen betreffen. Von daher ist die Einordnung der Argumente wichtig. Dabei hilft die Ethik, die
ihre Maßstäbe an die verschiedenen Ebenen der Debatte anlegt und so die Diskussion erleichtert. Aus diesem Grund ist die Veröffentlichung der Schrift von Professor Markus Vogt „GenEthik: Ethische Orientierungen im Konflikt um die Grüne Gentechnik“ ein wichtiger Schritt
zur Versachlichung der Diskussion und zur Erklärung der Standpunkte. Sie befasst sich nicht
nur mit den Auswirkungen der Grünen Gentechnik auf den landwirtlichen Verbraucher in
Europa, sondern geht ausführlich auf ihre Auswirkungen in Südländern ein. Sie zeigt außerdem die Bedeutung der Debatte über die Grüne Gentechnik für die öffentliche Meinungsbildung.
Das Buch liefert Kriterien aus Sicht der Ethik, an denen sich die Grüne Gentechnik messen
lassen muss. Dies fördert die Differenzierung der Diskussion. Genau das wünscht sich der
Internationale Landvolkdienst.
Wir danken Herrn Prof. Markus Vogt ganz herzlich dafür, dass er uns seine hohe Fachkompetenz in Fragen der Ethik der Grünen Gentechnik zur Verfügung stellt und sie damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Der EU-Kommission danken wir dafür, dass sie dafür
die fínanziellen Mittel zur Verfügung stellt.
Hermann Kroll-Schlüter
Vorsitzender des ILD
Az:1.9.2
Vogt - GenEthik 4
1. Einführung
1.1 Grüne Gentechnik zwischen Interessens- und Überzeugungskonflikten
Die Auseinandersetzungen um Biotechnologie und Grüne Gentechnik (Nutzung gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelherstellung) bilden einen
höchst vielschichtigen und spannungsreichen Diskurs, in dem die oft hart und unvermittelt
aufeinander treffenden Positionen nur dann einigermaßen rational bearbeitet werden können,
wenn die unterschiedlichen Argumentationsebenen klar differenziert und einander zugeordnet
werden. Wie in einem Brennglas spiegeln sich in diesem Diskurs zentrale Fragen der Technik- und Risikobewertung, der Globalisierung, der Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung, des
Naturverhältnisses von Mensch und Gesellschaft, der Beziehung zwischen Wissenschaft, Ethik und Öffentlichkeit sowie nicht zuletzt der Abwägung zwischen wirtschaftlichen, sozialen
und ökologischen Gesichtspunkten.
Die Bewertung der Gentechnik ist also eine Querschnittsaufgabe, die sowohl natur- als auch
sozialwissenschaftlichen Sachverstand erfordert und letztlich nur im Rahmen eines umfassenden Werthorizontes vorgenommen werden kann. Sie geht in besonderer Weise auch die Öffentlichkeit an, da die Erforschung und Anwendung der Gentechnik nicht auf den Raum von
Labors und isolierten Wirkungsketten beschränkt bleibt, sondern letztlich alle mit ihren (positiven und negativen) Folgen leben müssen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus verständlich, dass in der Debatte um die Grüne Gentechnik nicht nur Interessenkonflikte ausgetragen
werden, sondern ebenso Überzeugungskonflikte hinsichtlich einer zukunftsfähigen Technik
und Gesellschaft.1
Überzeugungskonflikte können im Unterschied zu Interessenkonflikten nur in sehr eingeschränkter Weise durch Kompromisse gelöst und nach den Kriterien der Gerechtigkeit ausgehandelt werden. Sie führen vielmehr in der Regel zu Auseinandersetzungen, in denen die
Kontrahenten einander unerbittlich mit dem Anspruch auf Wahrheit gegenübertreten. Denn
Wahrheit oder vermeintliche Wahrheit lässt sich nicht teilen. Überzeugungskonflikte tragen
daher Charakterzüge eines Glaubenskonfliktes. Strukturell neu ist bei den großen modernen
Technikkonflikten, wie dem Streit um Kernenergie sowie dem um Gentechnik, dass sie sich
nicht privatisieren lassen und daher politisch das Lösungsmodell der Toleranz in wesentlichen
Punkten versagt. Da es um das Gemeinwohl geht und potentiell alle von den wirklichen oder
vermeintlichen Risiken betroffen sind, scheint für die einen das Gewährenlassen und für die
anderen der Verzicht auf die mit der Technik verbundenen Möglichkeiten jeweils keine tragbare Lösung. Die Frage der Technik ist hier sowohl aus Sicht vieler Befürworter als auch erst
recht aus Sicht ihrer Gegner konstitutiv für das Gemeinwohl. So wird die Gentechnik zu einem kollektiven Überzeugungskonflikt, der die Fähigkeit der Politik im Umgang mit Dissens
vor neue Herausforderungen stellt.
Die Debatte ist keineswegs nur von theoretischer Relevanz, sondern steht mitten im Kontext
einer dritten „grünen Revolution“, die durch die fortschreitenden Entwicklungen der Grünen
Gentechnik in Landwirtschaft und Ernährung weltweit ausgelöst wurde.2 Mit einer Wachstumsrate von ca. 20 % pro Jahr3 gehört die Grüne Gentechnik derzeit zu den erfolgreichsten
1
2
3
Zur Differenzierung zwischen Überzeugungs- und Interessenkonflikten vgl. Korff, W.: Die Energiefrage.
Entdeckung ihrer ethischen Dimension, Trier 1992, 232-235.
Vgl. Ignacio Nunez: Opportunities and Risks of Genetically Modified Organisms, in: Promotiae Iustitiae Nr.
79, 3/2003, 7-10, hier 8. Die ersten beiden „grünen Revolutionen“ sind für Nunez die Einführung der Intensivdüngung und Maschinisierung seit den 1940er Jahren sowie die Veränderungen infolge der Globalisierung
der Märkte seit den 1970er Jahren Manche sprechen auch von einer „zweiten grünen Revolution“, indem sie
die Globalisierung, die ja eher die Rahmenbedingungen betrifft, hier weglassen.
Vgl. Informationsdienst ISAAA (International Service for the Acquisitation of Agri-biotech applications) mit
regelmäßigen aktuellen Berichten des Vorsitzenden Clive James: www.isaaa.org, hier: Bericht vom 12. 1.
2005: Wachstumsrekorde des weltweiten Anbaus transgener Pflanzen auch für 2004.
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Wirtschaftszweigen und ist Auslöser für einen tiefen Strukturwandel und eine grundlegende
Richtungsentscheidung in der Landwirtschaft. Deren Bedingungen und Ziele bedürfen insofern einer ethischen und politischen Diskussion, als sie mit existentiellen Chancen und Risiken für die gesamte Bevölkerung verbunden sind und in eine Fülle von komplexen Wechselwirkungen mit anderen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Handlungsfeldern verknüpft
ist.
Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen breitet sich derzeit mit rasantem Tempo aus:
Waren es im Jahr 2000 noch vier Staaten der Erde, die fast den gesamten Anteil der Anbaufläche gentechnisch veränderter Pflanzen stellten, wurden im Jahr 2004 bereits 17 Länder mit
rund 8,25 Millionen Landwirten gezählt (USA, Argentinien, Kanada, Brasilien, China, Paraguay, Indien, Südafrika, Uruguay, Australien, Rumänien, Mexiko, Spanien, Philippinen, Kolumbien, Honduras und – eingeschränkt - Deutschland).4 Wenn man China und Argentinien
als Entwicklungsländer betrachtet, wird ein wesentlicher Anteil der gentechnisch veränderten
Pflanzen in Entwicklungsländern angebaut.
Der Anbau erfolgt in Argentinien und China unter stark industrialisierten Methoden. Während
in Nord- und Südamerika, China und Indien genmanipulierte Pflanzen in erheblichem Umfang kultiviert werden, spielen sie in der EU bisher eine eher untergeordnete Rolle. Vorreiter
im Anbau und teilweise auch in der Forschung zu GVOs in Europa ist Spanien, das im Jahr
2004 ca. 58.000 Hektar Bt-Mais anbaute. Als Importprodukt finden in Europa vor allem gentechnisch veränderte Futtermittel Verbreitung. Nach der Aufhebung des Moratoriums in der
EU im Februar 2004 sowie der vor allem nationalstaatlich zu konkretisierenden Einführung
von Koexistenzregeln ist auch in der EU der großflächige Anbau von GVOs prinzipiell möglich.
Politisch verlagert sich die Diskussion um Grüne Gentechnik in Europa derzeit von der Frage
„ja oder nein“ auf die Fragen konkreter Maßnahmen und Regulierungen zur Ermöglichung
von Koexistenz gentechniknutzender und gentechnikfreier Landwirtschaft. Der juristische
Fachdiskurs um Fragen der Koexistenzregeln kann aber die tiefe Verunsicherung in der Bevölkerung und in der Bauernschaft hinsichtlicht der Grünen Gentechnik und der Zukunft der
Landwirtschaft nicht beantworten. Deshalb kommt den vielen kirchlichen Gruppen, die diesen
ethischen Diskurs auf einer grundlegenderen Ebene führen und dabei in besonderer Weise
auch die sozialen Folgen der Grünen Gentechnik sowie ihre Einbindung in globale Strukturen
und Entwicklungen der Agrarpolitik in den Blick nehmen, ein wichtige Bedeutung zu.
1.2 Gentechnik im Kontext ambivalenter Landwirtschaftspolitik
Die intensiven Anfragen vieler kirchlicher Gruppen an die Grünen Gentechnik – sei es von
Landvolkverbänden, der Landjugend, Diözesanräten, Werken der Entwicklungshilfe oder
wissenschaftlicher Theologie aus beiden Kirchen – haben ihren Grund nicht primär in einer
höheren Einschätzung der ökologischen und gesundheitlichen Risiken Grüner Gentechnik
sondern in dem verstärkten Blick auf die weltweiten sozialen Kontexte ihrer bisherigen Einführung. Grüne Gentechnik wird stärker im Gesamtrahmen der Diskussion um die Ausrichtung der Agrarpolitik erörtert. Dazu haben die Kirchen in den letzten zwei Jahren ein Schwerpunktprogramm aufgelegt und mehrere Schriften veröffentlicht. Zum Teil ist die kritische
Diskussion auch in den Kirchen Ausdruck des Unbehagens an der Gesamtausrichtung der
Agrarpolitik. Die Kirchen vertreten die Meinung, dass Hunger heute das Gesicht agrarpolitisch verfehlter Rahmenbedingungen und zerstörter landwirtschaftlicher Eigenversorgung hat.
Der Maßstab, der sich daraus ergibt, ist die Frage: Dient die Gentechnik in der Praxis der
4
Vgl. www.isaaa.org (12. 1. 2005) sowie zu früheren Daten: Kordecki, G.: Siegeszug der Grünen Gentechnik?
Die globale Ausbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen – eine Bestandsaufnahme, in: Grüne Gentechnik.
Kirchliches Umweltmagazin Forum 69 (3/2003), hrsg. von der Ev. Kirche im Rheinland u.a., Düsseldorf u.a.
2003, 22-25, hier 23.
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Ausrichtung der Agrarpolitik auf Nachhaltigkeit mit ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Dimensionen oder dient sie der Verschärfung von problematischen Strukturen?
Auch den Kirchen ist klar, dass es eine Fülle etablierter Anwendungen Grüner Gentechnik
gibt z.B. die Prozessbeschleunigung in der Lebensmittelherstellung. Im Rahmen einer sozialethisch erweiterten Folgenabschätzung gibt es jedoch gewaltig viele Probleme. So zeigen beispielsweise die Analysen von Misereor und anderen zum „Golden Rice“, dass er den ganz
Armen nicht wirklich dient, weil diese sich den „Golden Rice“ nicht kaufen können. So
schlägt beispielsweise der Landwirtschaftsexperte J.E. Yap auf der Grundlage seiner praktischen Erfahrungen mit Kleinbauern in den Philippinen vor, dass es viel einfacher wäre, wenn
die Armen den Vitaminbedarf durch zusätzlichen Anbau von Gemüse decken würden.5 Durch
die Patentrechte werden Abhängigkeiten geschaffen. Oftmals ist die Forschung stärker ausgerichtet auf eine lineare Maximierung der Produktivität. Wir haben jedoch nicht das Problem,
dass wir zu wenig Nahrungsmittel haben, sondern dass oft die ganz Armen keinen Zugang
zum Markt und keine Strukturen für die Eigenversorgung haben. Hauptproblem der Grünen
Gentechnik ist, dass sie oft eingebunden ist in eine große Schieflage der Agrarpolitik.
2.
Theologische und ethische Orientierungen
2.1 Schöpfungstheologische Ausgangspunkte
Bei der theologisch-ethischen Erörterung der Grünen Gentechnik ist zuerst die Frage zu beantworten, ob der Mensch überhaupt zu derartigen Eingriffen in die Natur befugt ist. Diese
Frage ist schöpfungstheologisch zu erörtern. Die häufig anzutreffenden Einwände, dass sich
der Mensch bei der Gentechnik an Gottes Stelle setze und in die Schöpfungsordnung eingreife
oder dass die Gentechnik widernatürlich sei, sind als solche zu pauschal und nicht begründet.
Die Pauschalisierung und damit Unschärfe der Begriffe ist eine der größten Schwächen der
ethischen Diskussion um die Grüne Gentechnik, die häufig dazu führt, dass man mit Gemeinplätzen, Vorurteilen und Polarisierungen zwischen Befürwortern und Kritikern aneinander
vorbei redet.
Auf Grund des allgemeinen Gärtnerauftrags, den der Mensch der biblischen Schöpfungserzählung zufolge von Gott erhalten hat, lassen sich keine grundsätzlichen schöpfungstheologischen Einwände gegen die Grüne Gentechnik erheben.6 Nach biblischer Überzeugung soll der
Mensch die Welt aktiv und eigenverantwortlich gestalten. Dabei ist der „Herrschaftsauftrag“
(Gen 1, 28) immer in Verbindung mit dem „Gärtnerauftrag“ (Gen 2, 15) zu lesen: Herrschaft/Gestaltung und Verantwortung/Sorge für Gottes Schöpfung gehören untrennbar zusammen. Der Mensch hat einen Kulturauftrag, der eine verantwortliche Gestaltung der Natur
einschließt und Eingriffe nicht prinzipiell ausschließt. Schöpfungstheologisch ergibt sich keine grundsätzliche Tabuisierung gentechnischer Forschung, sondern vielmehr eine Gestaltungsverantwortung, die zu jeder Zeit unter umfassender Berücksichtigung der Voraussetzungen, Ziele und Folgen des menschlichen Handelns neu zu buchstabieren ist.
5
6
Vgl. Deutsche Bundesstiftung Umwelt/ Clearingstelle Kirche und Umwelt (Hrsg.): Kirchliche Beiträge zu
einer nachhaltigen Landwirthscaft. Tagung am 25./ 26. 3. 2004 (Dokumentation auf CD-Rom), Pressebericht.
Vgl. M. Negele: Natur und Kultur. Grundbegriffe des Wirklichkeitsverständnisses, in: Hausmanninger, T./
Scheule, R. (Hrsg.): ...geklont am achten Schöpfungstag. Gentechnologie im interdisziplinären Gespräch,
Augsburg 1999, 55-65; Hafner, J.: Gutheit der Schöpfung und Verbesserung der Natur, ebd. 67-87; Werlitz,
J.: „Und sieh es war sehr gut!“ Überlegungen zur Stellung des Menschen zwischen Gott und Mitgeschöpfen
nach Gen 1,26-31, ebd. 89-111; Schlitt, M. Gentechnologie in der Landwirtschaft aus der Sicht christlicher
Ethik, in Stimmen der Zeit 215 (1997), 183-196. Vogt, M. (2001): Naturverständnis und christliche Ethik, in:
Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (Hrsg.): Zum Naturverständnis der Gegenwart
(ANL-Berichte 25), Laufen 2001, 109-118.
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Nicht weniger und nicht mehr ist die Aussage der jüngsten Stellungnahme des Vatikans zur
Grünen Gentechnik in dem ersten umfassenden Kompendium kirchlicher Soziallehre, das ein
eigenes Kapitel zu Fragen der Umwelt und der Biotechnologie enthält.7 Insgesamt ist der Text
nicht als eine positive Bewertung Grüner Gentechnik zu verstehen, sondern als theologische
Option für eine offene Güterabwägung nach den Kriterien der Verantwortung, Gerechtigkeit
und Solidarität. Dafür wird ausdrücklich Forschungs- und Diskussionsbedarf angemahnt.
Auch die in den Medien viel beachtete Stellungnahme von Kardinal Martini zur Gentechnik
ist in diesem sehr allgemeinen Sinne zu verstehen.8 Hintergrund für die zunächst relativ positive Einschätzung der Chancen Grüner Gentechnik in den Vatikanischen Stellungnahmen ist
das sehr frühe und entschiedene Eintreten für ein „Recht auf Ernährung“ als Teil der Menschenrechte.9 Vor diesem Hintergrund wird Grüne Gentechnik vor allem daran gemessen und
künftig zu messen sein, ob sie zur Hungerbekämpfung beiträgt.
In christlicher Sicht ist die Schöpfung als Werk Gottes auch Sein Eigentum, das den Menschen nur treuhänderisch anvertraut ist, damit als es als „Lebenshaus“ (Zenger) zum langfristigen Wohle aller verwaltet wird. Bei dieser Gestaltung ist jedoch zu beachten, dass die von
Gott gegebene und vorgegebene Schöpfung einen Eigenwert besitzt, der eine Beachtung der
Integrität ökologischer Wirkungszusammenhänge weit über unmittelbare menschliche Verwertungszwecke hinaus erfordert. Ehrfurcht, Vorsicht und Behutsamkeit im Umgang mit der
Schöpfung sind dabei ganz wesentliche Maßstäbe.10 Ebenso wichtig ist aber auch das Staunen
über die Geheimnisse der Schöpfung, das zur Neugier und zum genauen Erforschen der vielfältigen Zusammenhänge anregt.11 Notwendig ist eine integrierte Abwägung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen im Sinne des ethischen Prinzips der Nachhaltigkeit, das heute aus christlicher Sicht als „kategorischer Imperativ zeitgemäßer Schöpfungsverantwortung“ verstanden werden kann.12
Die Schöpfungstheologie hat Konsequenzen für eine wichtige Differenzierung in der Anwendung des Patentrechts auf den Bereich der Gentechnik: Lebende Organismen und ihre Bestandteile werden wesentlich in der Schöpfung aufgefunden und nicht vom Menschen „erfunden“. „Das Leben ist per se nicht patentierbar, nirgendwo auf der Welt. Patentierbar ist nur
die technische Lehre, z.B. wie man bestimmte Merkmale einer Pflanze verändern oder hinzu7
8
9
10
11
12
Vgl. Pontifical Council for Justice and Peace: Compendium of the Social Doctrine of the Church, Vatican
2004, 267-270, bes. 268: “The Christian vision of creation makes a positive judgment on the acceptability of
human intervention in nature, which also includes other living beings, and at the same time makes a strong
appeal for responsibility.”
In den Medien wurde die Stellungnahme freilich als positives Votum wahrgenommen. Vgl. International
Coalition to Protect the Polish Countryside: Vatican Boosts Acceptance of Genetically Modified Foods,
Bericht vom 6. 8. 2003 (www.icppc.pl) sowie V. Macke, Wohlwollen im Vatikan. Die USA werben bei
Geistlichen erfolgreich für Gentechnik, in: Süddeutsche Zeitung vom 14. 10. 2003.
So bereits in der Sozialenzyklika Populorum progressio (1967), Nr. 11 und besonders in der Stellungnahme
des Päpstlichen Rates Cor Unum „Der Hunger in der Welt. eine Herausforderung für alle: Solidarische Entwicklung“; vgl. dazu Hermann, B.: Das Recht auf Ernährung am Beispiel Malis. Wirtschaftsethische Ansätze
auf dem Prüfstand (Schriften des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften 48), Münster 2003.
In Anknüpfung an das Konzept „Einverständnis mit der Schöpfung“ konkretisiert die Arbeitsgemeinschaft
der Umweltbeauftragten der Gliedkirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (AGU) durch folgende Kriterien für die Bewertung Grüner Gentechnik: Respekt vor dem Gegebenen, Solidarität mit den Mitgeschöpfen, Eigenwert und Eigenrecht der Mitgeschöpfe, Artgerechtigkeit, Artgrenzen, Artenvielfalt, Fehlerfreundlichkeit. Die Überschreitung der Artgrenzen sei nur bei sorgfältiger Prüfung der Gründe ethisch rechtfertigungsfähig. Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der Gliedkirchen in der Evangelischen
Kirche in Deutschland (AGU): Gentechnik (Reihe: Bewahrung der Schöpfung praktisch), 2. Auflage Iserlohn
2000 (54 Seiten), 43-45; vgl. auch EKD (1997): Einverständnis mit der Schöpfung. Ein Beitrag zur ethischen
Urteilsbildung im Blick auf die Gentechnik, Gütersloh 2. Auflage.
Zahlreiche Belege dafür, dass der alttestamentliche Glaube nicht primär durch eine naturreligiöse Tabuisierung, sondern durch seine Verbindung mit biologischer Neugier und Erkenntnis Elemente der Nachhaltigkeit
gefördert hat, sammeln A.P. und A.H. Hüttermann in ihrem Buch: Am Anfang war die Ökologie. Naturverständnis im Alten Testament, München 2002.
Die deutschen Bischöfe - Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen: Handeln für die Zukunft der
Schöpfung, Bonn 1998, Nr. 106-146.
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fügen kann.“13 An diesem Maßstab ist die konkrete Auslegung und Handhabung des TRIPsAbkommens ("TRIP" steht für "trade-related aspects of intellectual property rights“) zu messen: Patente dürfen nicht dazu führen, dass Firmen einen Monopolanspruch über Saatgut,
Pflanzen und ihren Anbau bekommen. Die Tradition, dass das im Saatgut gespeicherte Wissen prinzipiell als frei verfügbar und zugänglich gilt, ist zu respektieren, sowohl aus schöpfungstheologischen wie aus kulturellen Gründen. Patentrechte auf GVOs sind strikt und minimalistisch auf das berechtigte Anliegen der Unternehmen nach Schutz ihrer Investitionen zu
begrenzen und dürfen nie zum Besitzanspruch über Lebewesen werden.14
2.2 Gentechnik als Handwerk
Gentechnik ist zunächst als Handwerk zu verstehen: Als solches ist sie nicht unmittelbar und
pauschal als gut oder schlecht zu bewerten, sondern ethisch danach zu beurteilen, ob ihr Gebrauch, ihre Ziele und Mittel den Kriterien des Guten genügen.15 Zum Handwerk gehört im
Sinne von ars oder technē die Methode von Versuch und Irrtum; das Handwerk braucht keine
vollständige Kenntnis des Gegenstandes, den es bearbeitet, es bedarf jedoch der Einbindung
in einen ethisch-kulturellen Kontext, um die Ziele und Grenzen des technischen Handelns zu
bestimmen, die sich nicht aus dem Handwerk heraus ergeben können. Auf eine „schiefe Ebene“16 gerät die Praxis der Gentechnik dann und erst dann, wenn dieser ethische Kontext mit
entsprechenden Grenz- und Zielbestimmungen des Handwerks fehlt oder nicht hinreichend in
ihrer Gestaltung berücksichtigt wird.
Technik kann nicht aus sich heraus eine Ethik erzeugen, sondern sie braucht einen ethischen
Rahmen, der Ziele und Kriterien definiert und ihre Handhabung zum Wohl von Mensch und
Schöpfung sicherstellt. Einfach darauf zu vertrauen, dass die „Verfeinerung“ des Gegenstandes in der Biotechnologie gegenüber der herkömmlichen Chemie automatisch zu einer „Verfeinerung“ der Methode und damit zu einer Überwindung der „Vergewaltigung der Natur“
führe, wie Peter Sloterdijk in Bezug auf die Rote Gentechnik argumentiert, ist keine tragfähige Grundlage der BioEthik.17 Sie greift tief in den Bauplan des Lebens ein, kann die Folgen
dieser Eingriffe nur sehr begrenzt vorhersagen und bedarf deshalb einer verschärften Anwendung des Vorsorge- und Vorsichtsgebotes.
Auch wenn also Grüne Gentechnik als eine Form von Handwerk konzipiert werden kann,
bestehen doch qualitative Unterschiede zu den meisten anderen menschlichen Praktiken und
Techniken, insofern die Folgewirkungen noch weniger als sonst vorhergesehen werden können. ZuSo kann man beispielsweise ein Taschenmesser wieder einklappen und in die Tasche
zurückstecken; bei Freilandanbau von Grüner Gentechnik ist Analoges nicht ohne weiteres
möglich. Die möglichen Folgen Grüner Gentechnik betreffen zu einem Großteil Menschen,
die nicht an der Entscheidung über den Einsatz von Gentechnik beteiligt gewesen sind. Somit
13
14
15
16
17
Vgl. Bio Mitteldeutschland (anonym): Was spricht für ein Engagement der katholischen Kirche bei der Nutzung der Pflanzenbiotechnologie in Sachsen-Anhalt?, Herbst 2003, 15.
Im Unterschied zum Sortenschutz sind Patente 1. definiert durch ein genau beschriebenes Verfahren zur
„Herstellung“ der Pflanze. 2. Der Schutzumfang kann beim Patent größer sein, da ja ein Verfahren geschützt
wird, das auch auf andere Pflanzen angewendet werden kann. 3. Der zeitliche Umfang des Schutzes läuft ab
dem Datum der Anmeldung 20 Jahre und ist damit kürzer. Die Begrenzung des Patentrechtes auf Verfahrensschutz darf nicht aufgeweicht werden, wie das derzeit z.B. Monsanto versucht und wie es teilweise auch
in der praktischen Handhabung der EU im Patentrecht geschieht.
Vgl. Rosenberger, M.: Grünes Licht für grüne Technik? Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung aus der Sicht der Moraltheologie, in: E. Fulda u.a. (Hrsg.): Gemachte Natur. Orientierungen zur
Grünen Gentechnik, Karlsruhe 2001, 64-86, hier 68f.
Habermas, J. (2001: Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt a.M..
Sloterdijk, P. (2001): Der operable Mensch. Philosophische Anmerkungen zur Biotechnologie, München;
kritisch dazu J. Beaufort/ E. Gumpert/ M. Vogt (Hrsg.): Fortschritt und Risiko. Zur Dialektik der Verantwortung in (post-)moderner Gesellschaft (Forum für interdisziplinäre Forschung 21), Dettelbach 2003, bes.
159.
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unterliegt die Gentechnik im Bereich der Landwirtschaft grundsätzlich dem ethischen Verbot,
zugunsten vager Vorteile das Bestehende und Funktionierende nachhaltig und gegebenenfalls
irreversibel aufs Spiel zu setzen.
Die Charakterisierung der Grünen Gentechnik als Handwerk führt somit von der pauschalen
Frage „gut oder schlecht“ zu der differenzierten Frage, in welcher Weise und innerhalb welcher Grenzen ihre Anwendung ethisch und demokratisch zu rechtfertigen ist. Ich schlage vor,
diese Diskussion durch zwei Leitbegriffe zu strukturieren: Verantwortung und Gerechtigkeit.
Alle anderen ethischen Begriffe und Konzepte können und müssen m.E. diesen beiden zugeordnet und durch sie in einen Zusammenhang und eine Rangordnung gebracht werden.
2.3 Verantwortung als Methode
Verantwortung wird ermöglicht durch die verbindliche Klärung, wer vor wem für was nach
welchen Kriterien rechenschaftspflichtig ist. Es handelt sich also um einen „vierstelligen“
Begriff, dessen Stärke darin liegt, dass er der Anonymisierung der Verantwortung, die ein
Grundproblem moderner Technik ist, dadurch entgegentritt, indem er exakt Verantwortungssubjekt, Verantwortungsobjekt (Gegenstand, Reichweite), Kontrollinstanzen und schließlich
Regeln der Entscheidungsfindung definiert.18 Verantwortungsethik hat sich deshalb als Leitbegriff der Technikethik etabliert, weil sie primär (keineswegs ausschließlich) von der Folgenbewertung ausgeht und damit auch auf unbeabsichtigte Nebenwirkungen des Handelns
anwendbar ist, die ja bei technischem Handeln in der Regel ethisch weit problematischer sind
als die direkt negativen Intentionen des Handelns. Verantwortung bezieht sich sowohl auf die
Folgen des Handelns als auch auf die Folgen des Nichthandelns.19 Sie konkretisiert sich in
Kriterien und Regeln der Entscheidungsfindung, die man als eine Art „Handwerkszeug“ für
den offenen Prozess ethischer Entscheidungsfindung betrachten kann.
Das primäre Problem des technischen Handelns sind die nicht beabsichtigten Nebenwirkungen (Non-target-Effekte). In der Tradition werden diese unter der Rubrik „Handlungen mit
Doppelwirkungen“ diskutiert und nach den beiden Leitkriterien der Übelminimierung und der
Verhältnismäßigkeit – denen auch im Recht sowie in der ökonomischen Kosten-NutzenAbwägung eine wesentliche Rolle für die Entscheidungsfindung zukommt – bewertet.20 Die
Methode der Folgenbewertung ist für die Gentechnik deshalb von besonderer Bedeutung, weil
hier in der Regel nicht die direkt beabsichtigten Handlungswirkungen das primäre Problem
sind, sondern die außer Acht geratenen Nebenwirkungen. Einer „Gesinnungsethik“, die primär auf die Zähmung der Handlungsmotive (Intentionen) zielt, ist dieser Bereich methodisch
gar nicht zugänglich. Deshalb hat die nach bestimmten Regeln Güter abwägende und in bestimmten Bereichen kompromissbereite Form der „Verantwortungsethik“ als „Ethik für die
technologische Zivilisation“21 eine Schlüsselbedeutung gewonnen.
Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, die Methode der Verantwortungsethik als Ausgangspunkt für die ethische Bewertung der Grünen Gentechnik zu wählen. Die Organisation der
Verantwortung gibt Antwort auf die Frage: „Wer ist für was vor wem nach welchen Kriterien
rechenschaftspflichtig?“ Verantwortung ist also wie oben erwähnt ein vierstelliger Begriff,
der Handlungssubjekte, die Handlungsfolgen, die Kontrollinstanzen und die Entscheidungsre18
19
20
21
Vgl. Vogt, M.: Grenzen und Methoden der Verantwortung in der Risikogesellschaft, in: J. Beaufort/ E. Gumpert/ M. Vogt (a.a.O.), 85-108.
Die Einbeziehung der Folgen des Nichthandelns wird in der ethischen Systematik häufig vergessen oder unterbewertet, z.B. auch bei Hans Jonas in seinem Prinzip Verantwortung; in der katholischen Tradition der
Beichtspiegelmoral“ ist es jedoch durchaus geläufig an beides zu denken, indem man bekennt: „Ich habe Böses getan und Gutes unterlassen.“
Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen [SRU]: Umweltgutachten 1994, Stuttgart 1994, Nr. 50-60.
Vgl. Jonas, H.: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a.M. 1979.
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geln für die Frage der ethischen Zulässigkeit von Handlungen definiert. Wenn nur eine dieser
Dimensionen im Dunkeln bleibt, kann Verantwortung gesellschaftlich nicht gesichert werden.
Bei der ersten Dimension, der Frage nach dem Verantwortungssubjekt, ist für eine moderne
Gesellschaft und insbesondere für Grüne Gentechnik die Abwehr der Anonymisierung von
Verantwortung maßgeblich: Man muss möglichst exakt klären, wie die Abgrenzungen der
Verantwortung zwischen Forschern, Anwendern (Bauern), Lebensmittelhändlern und Verbrauchern sinnvoll bestimmt und kontrolliert werden können. Haftungsregeln müssen so definiert werden, dass beispielsweise auch bei Auskreuzungen gentechnisch veränderter Organismen, deren Herkunft nicht mehr eindeutig feststellbar ist, Verantwortungssubjekte greifbar
sind, damit nicht der Nutzen privatisiert und der Schaden kollektiviert oder auf einzelne zufällig betroffene Landwirte abgewälzt wird. Hier liegt die Kunst und Aufgabe der Politik darin,
verbindliche Strukturen gegen die Anonymisierung von Verantwortung zu schaffen.22
In Bezug auf die zweite Dimension, den Gegenstand der Verantwortung, geht es im Blick auf
die Gentechnik vor allem um drei Aspekte: (a) Verantwortung im Umgang mit der Schöpfung, (b) Verantwortung für eine ausreichende und erschwingliche Ernährung der Menschheit, (c) Verantwortung für die sozialen Folgen einer Umgestaltung der Landwirtschaft durch
Gentechnik. Zentrales Kriterium im Umgang mit der Schöpfung ist der Schutz der Artenvielfalt. Zur Bewertung des tatsächlichen und möglichen Beitrags Grüner Gentechnik zur Ernährungssicherung braucht es eine Verknüpfung von naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Perspektiven.
Zum Aspekt Kontrollinstanzen: Es ist ethisch und moralisch unzulässig, wenn man ein Gesetz
erlässt, das man nicht kontrollieren kann. Kennzeichnungspflicht, Transparenz und Haftung
müssen national und international so geregelt werden, dass sie auch kontrollierbar sind. Denn
Regeln, die diesem Anspruch nicht genügen, führen zur „Erosion der Moral“ und der Erfahrung, dass der „Ehrliche der Dumme ist.“23 Die Chancen Grüner Gentechnik werden nur
dann überwiegen, wenn es gelingt, kontrollierbare Regelungen und Rahmenbedingungen für
ihren Einsatz einzuführen.
Da der Konflikt zwischen den unterschiedlichen Akteuren, Zielen bzw. Handlungskontexten
und Kontrollinstanzen Grüner Gentechnik nicht vermeidbar ist und m.E. – was noch zu prüfen
sein wird – auch nicht von einem bestimmten einzelnen Aspekt her eindeutig aufgelöst werden kann – gestaltet sich ihre Bewertung als ein Prozess der Güterabwägung unter einem hohen Grad von systematischem Unwissen hinsichtlich der nur begrenzt vorausberechenbaren
Entwicklungen und Zusammenhänge. Dieser offene Prozess ist rechtlich durch das Verursacher- und das Vorsorgeprinzip abzusichern und durch entsprechende Haftungsregeln zu kontrollieren und zu formalisieren. Je größer die Schwierigkeit ist, inhaltlichen Konsens zu finden, desto größer die Bedeutung von formalen Regeln der Konfliktbewältigung. Deshalb ist
gerade für Grüne Gentechnik die demokratische Legitimierung ihrer Einführung sowie die
Beachtung der „Grammatik der Akzeptanz“ ein unverzichtbares Element der Verantwortung.
Verantwortungsethik in dem hier dargelegten Sinne ist eine Methode für die Strukturierung
des Diskurses. Sie kann helfen, die unterschiedlichen Problemebenen und Dimensionen deutlicher zu unterscheiden, dadurch manche unnötige Polarisierung des Diskurses zu vermeiden
und manche Defizite der rechtlichen Regelung exakter zu benennen.
2.4 Gerechtigkeit aus der Perspektive der Schwachen
22
Vgl. Staatsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.)(2004): Expertenanhörung zur Grünen Gentechnik. Dokumentation einer Tagung vom 12. 11. 2004, Stuttgart, 46 (Statement Vogt) und 48f (Antwort von Ministerpräsident Teufel).
23
Vgl. Homann, K. (1993): Wider die Erosion der Moral durch Moralisieren, in: J. Beaufort u.a. (Hrsg.), Moral
und Gesellschaft (Forum für interdisziplinäre Forschung 11), Dettelbach, 47-68.
Vogt - GenEthik 11
Während das Prinzip Verantwortung hervorragend geeignet ist, das Verhältnis des Menschen
im Umgang mit der Schöpfung sowie die Frage der Organisation von Haftungspflichten und
Konfliktregulierungen ethisch zu strukturieren, kann die Suche nach inhaltlichen Maßstäben
für die Lösung der zwischen einzelnen Menschen und Gruppen auftretenden Interessen- und
Zielkonflikte im Begriff und Anspruch der Gerechtigkeit ihre leitende Orientierung finden.
Diese ist heute notwendigerweise in einem globalen und intergenerationellen Horizont zu
denken. Die Folgen technischer Entwicklungen sind also stets im Blick auf ihre langfristigen
und weltweiten Wirkungen abzuschätzen. Dabei ist nach christlicher Überzeugung in besonderer Weise der Perspektive der Schwächsten Rechnung zu tragen (vorrangige Option für die
Armen). Ein philosophisches Äquivalent zur christlichen Option für die Armen ist das Differenzprinzip der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls, die gegenwärtig – freilich nur theoretisch - zu den anerkanntesten ethischen Ansätzen gehört.24
Der gerechtigkeitstheoretische Vorrang der Schwachen ist heute nicht hinreichend im Sinne
einer caritativen Solidarität des Teilens zu interpretieren, sondern wesentlich strukturethisch
als Fairness in den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Interaktion. Demnach ist also nicht allein die Frage zu beantworten, ob alle Menschen ausreichend
mit Nahrungsmitteln versorgt sind, sondern es sind auch die langfristigen sozialen und kulturellen Folgen der Verteilungsstrukturen als solche kritisch zu beleuchten. An diesem Punkt ist
daher zu überlegen, ob nicht, wie auch schon angedeutet, eine ungerechte Distributionsverhältnisse Landverteilung durch den Einsatz von Gentechnik verschleiert und stabilisiert werden, anstatt gesellschaftskritisch angeprangert und verändert zu werden.
Die Bewertung der Gentechnik muss abwägen zwischen den kurzfristigen und den langfristigen Auswirkungen auf die Ernährungssituation der Menschen in unterschiedlichen Regionen.
Für die langfristigen Folgen ist zu untersuchen, wie sich GVOs auf das jeweilige Ökosystem,
auf die sozialen Strukturen und Verhältnisse sowie auf die menschlichen Praktiken (langfristig) auswirken. Zu vermeiden ist beispielsweise, dass eine ungerechte Landverteilung, die zu
Nahrungsmittelmangel führt, obwohl ausreichende Agrarflächen zur Verfügung stehen, mit
Hilfe Grüner Gentechnik kaschiert und damit festzementiert wird. Sie ist wesentlich daran zu
messen, wie sehr sie zur Überlebenssicherung, Emanzipation und Freiheit gerade der Kleinbauern beiträgt.
Aus kirchlicher Perspektive, die Gerechtigkeit wesentlich als Option für die Armen versteht,
kommt der Frage, ob der Einsatz Grüner Gentechnik zur Verbesserung der Welternährung
führen wird, besondere Bedeutung zu. Diese Frage jedoch ist höchst vielschichtig und komplex. Auszugehen ist von einer umfassenden Analyse der Ernährungskrisen der Menschheit.
Diese sind bisher nicht primär ein Mengenproblem, sondern vielmehr Folge mangelnder
Kaufkraft der Armen sowie verfehlter Landwirtschafts- und Verteilungspolitik.25 Armut hat
heute wesentlich das Gesicht zerstörter landwirtschaftlicher Strukturen. Der Beitrag Grüner
Gentechnik ist vor diesem Hintergrund wesentlich daran zu messen, welche Art und Struktur
von Landwirtschaft sie fördert.
Des weiteren bedeutet Gerechtigkeit Beteiligungsgerechtigkeit. Diese setzt zunächst Transparenz voraus, was z.B. bei den Freilandversuchen in Sachsen-Anhalt im Jahr 2004 nicht gegeben war. Ferner erfordert die Beteiligungsgerechtigkeit, dass möglichst viele Betroffene möglichst weitgehend mitentscheiden können.26 Gerechtigkeit als Beteiligungsgerechtigkeit ist
aufs Engste mit Selbstbestimmung und Wahlfreiheit verknüpft. Diese stellen ethische Güter
dar, denen ein unbedingter Vorrang vor wirtschaftlichem Erfolg einiger weniger zukommt.
24
25
26
Rawls, J. (1991): Eine Theorie der Gerechtigkeit, 6. Aufl. Frankfurt [Erstveröff.: A Theory of Justice, 1971].
Vgl. dazu unten Kapitel 3.5. (Was kann Grüne Gentechnik zur Lösung der Welternährungsprobleme beitragen?)
Vgl. Nationale Konferenz der katholischen Bischöfe der Vereinigten Staaten von Amerika, Gerechtigkeit für
alle, Freiburg i.Br. 1987 (zur Beteiligungsgerechtigkeit als dem zentralen Impuls der Schrift vgl. bes. den
Kommentar von F. Hengsbach ebd., 201-310).
Vogt - GenEthik 12
Wird nämlich bei Fragen der Gentechnik über die Köpfe von auch nur mittelbar Betroffenen
hinweg entschieden, werden diese zum bloßen Objekt fremden Handelns degradiert, was mit
dem grundlegenden Schutz der Würde des Menschen nicht vereinbar ist.27 – Anders sähe es
aus, wenn die Ernährungssicherheit von Menschen auf dem Spiel stünde, doch dies ist, wie
gezeigt, hier nicht der Fall.
Zuletzt ist Gerechtigkeit in ihrer zeitlichen Dimension, d.h. als intergenerationelle Gerechtigkeit zu bedenken. Die nachfolgenden Generationen haben ein Anrecht auf eine möglichst intakte und reichhaltige Umwelt. Es wäre ungerecht, dass sie die Folgen sorg- und rücksichtslos
eingegangener Risiken ihrer Vorfahren tragen müssen. – Insofern die zukünftigen Generationen keine Stimme in den gegenwärtigen Diskussionen und Entscheidungen haben, ergibt sich
aus der kirchlichen Option für die Armen und Schwachen, dass die Kirche unweigerlich in die
Pflicht genommen ist, deren Interessen und Rechte zu vertreten. Darüber hinaus steht intergenerationelle Gerechtigkeit in einem engen Zusammenhang zu dem Glauben, dass die Schöpfung als Werk und Eigentum Gottes den Menschen, und zwar allen, nur anvertraut ist und
daher nicht „verbraucht“, zerstört oder geschädigt werden darf.
2.5 Risiko-Ethik
Methodisch gesehen ist die ethische Bewertung der Grünen Gentechnik vor allem eine Frage
des konsistenten Umgangs mit der dialektischen Spannung von Fortschritt und Risiko: Wer
kein Risiko eingeht, hat keine Zukunft. Wer zu viel Risiko eingeht, verspielt sie ebenfalls. Die
„Heuristik der Furcht“ (Worst-case-Annahme), wie sie Hans Jonas als Entscheidungsregel der
Verantwortung vorschlägt, ist dann und nur dann gerechtfertigt, wenn man – wie er es für
bestimmte Zusammenhänge der technologischen Zivilisation diagnostiziert - von einem erdrückenden Übergewicht der möglichen negativen Handlungsauswirkungen ausgeht.28 Sie
zielt nicht auf eine „apokalyptische Umkehrung der Fortschrittseuphorie“, die jede Handlungsfähigkeit lähmt29, sondern auf einen mündigen und differenzierten Umgang mit Risiken.
Dies fordert eine Aufklärung zweiter Art: "Der Befreiung aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit, die uns die erste Aufklärung brachte, muss nun die Befreiung von selbstverschuldeter Unbändigkeit, von Übermut und Maßlosigkeit folgen."30
Christliche Ethik setzt in dem vielschichtigen und offenen Diskurs um die Grüne Gentechnik
darauf, dass die Kenntnis der moralischen Grenzen und die Wahrnehmung der möglichen
Chancen auch im Bereich der Pflanzenzucht Kreativität zum Wohl von Mensch und Natur
freisetzt, ohne aber das, was an Gutem besteht, leichtfertig aufs Spiel zu setzen und ohne die
Freiheitsrechte anderer zu beschneiden.31 In dieser Debatte geht es nicht darum, einen AngstDiskurs zu schüren, sondern positive und ganzheitliche Leit- und Zukunftsbilder zu entwer-
27
Vgl. etwa Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; insbesondere die Selbstzweckformel des
kategorischen Imperativs.
28
Jonas, H. (1979). Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a.M., 63f.; zu einer Einschätzung der Gentechnik, ebd. 52f.
29
Hasted, H. (1991): Aufklärung und Technik. Grundprobleme einer Ethik der Technik, Frankfurt a.M. 1991,
172; Nida-Rümelin, J. (1996): Ethik des Risikos, in: ders. (Hrsg.): Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken
und ihre theoretische Fundierung. Ein Handbuch, Stuttgart, 806-830; Höffe, O. (1993): Moral als Preis der
Moderne. Ein Versuch über Wissenschaft, Technik und Umwelt, Frankfurt a.M., 73-92. Höffe richtet sich gegen ein „Privileg der Furcht“, die – wie im Mythos die Büchse der Pandora – die Hoffnungen einsperrt und
die Übel freilässt. Die Heuristik der Furcht sei ein notwendiger Kontrapunkt zu schwärmerischen Hoffnungen, kein Privileg, sondern eine Option für Nüchternheit (ebd. 85-89).
30
Markl, H. (1992): Die Fortschrittsdroge, Zürich, 30.
31
Vgl. Kommission VI für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz: Überlegungen zur Verantwortbarkeit gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft (April 2004, nicht veröffentlicht,
maßgeblichen Anteil an dem Text hat O. Renn).
Vogt - GenEthik 13
fen, die gerade durch die Anerkennung von notwendigen Grenzen richtungsgebende und
handlungsleitende Kraft zu entwickeln vermögen.32
Letztlich geht es in der Diskussion um die Grüne Gentechnik um eine neue Definition von
Fortschritt: Die Grenzen den Fortschritts sind heute nicht mehr primär die Grenzen menschlichen Könnens im Verfügungswissen über die Natur, sondern Grenzen der Steuerbarkeit und
Ausrichtung dieses Könnens auf das Wohl von Mensch und Schöpfung. Die Leitfrage künftigen Fortschritts lautet: Was wollen wir können? Die humane Beherrschung unserer Möglichkeiten ist der maßgebliche Engpass der Zukunftsfähigkeit moderner Zivilisation. Fortschritt
nach menschlichem Maß weiß um seine Werte und kennt seine Grenzen.33 Schöpfungsgerechter Fortschritt betrachtet die Natur nicht nur als Rand- und Störgröße, sondern nimmt die
Vielfalt und Schönheit der Natur sowie die Qualität der ökologischen Grundfunktionen (Produktion, Senken-, Lebensraum- und Informationsfunktion)34 als Bestandteil von Lebensqualität in ihre Zielbestimmung mit auf und ist durch die nachhaltige Integration von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Handlungsbedingungen definiert.
Man braucht hier für das ethische Handeln unter Risiko vor allem einen methodischen Ansatz,
der die unterschiedlichen Arten von Risiken und Unsicherheiten klassifiziert und entscheidungstheoretisch bewertet. Dazu einige Aspekte aus risikosoziologischer Sicht:
- Risikoabschätzung ist die systematische Kombination von Wissen und Zufall.35 Während
es bei der Kernenergie entscheidungstheoretisch vor allem um das Problem des Umgangs
mit möglichen Folgen von sehr geringer Wahrscheinlichkeit und extrem großem Schadensausmaß geht, sind die Risiken hinsichtlich der Grünen Gentechnik vor allem durch ein
hohes Maß an „systematischen Unwissen“ über ihr Ausmaß und ihre Wirkungen charakterisiert.
- Für die Folgenabschätzung unter komplexen Bedingungen sozialethisch besonders virulent
sind systemische Risiken, d.h. Beeinträchtigungen mit Querschnittswirkungen in sozialen,
wirtschaftlichen oder politischen Handlungsfeldern36
- Bewertungskriterien rationaler Risikoeinschätzung sind: Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert mit Schadensumfang (Versicherungsprinzip), Ubiquität (geografische Reichweite), Persistenz (zeitliche Ausdehnung), Reversibilität (Verzögerung der Effekte, Mobilisierungspotential.37
Für den Umgang mit Risiken sind vor allem fünf Elemente, die einer jeweils eigenen Logik
folgen, zu beachten: Abschätzung, Wahrnehmung, Bewertung, Management, Kommunikation.38 Notwendig sind sowohl risikoorientierte Strategien, die auf der Grundlage weiterer Forschung zur Folgenabschätzung Wahrscheinlichkeit und Reichweite der Risiken möglichst zu
begrenzen suchen, als auch vorsorgeorientierte Strategien, die Maßnahmen treffen, um beim
Bekanntwerden von negativen Auswirkungen möglichst rasch reagieren zu können (z.B.
32
Beaufort, J/ Gumpert, E./ Vogt, M. (Hrsg.)(2003): Fortschritt und Risiko. Zur Dialektik der Verantwortung in
(post)-moderner Gesellschaft, Dettelbach.
33
Rau, J: Fortschritt nach menschlichem Maß. Rede des Bundespräsidenten zu Gentechnik und Biomedizin,
Berlin 2001.
34
Gemeint ist mit diesen vier Grundfunktionen: Produktion von Ressourcen, Aufnahme/Assimilation von Schadund Reststoffen, Stabilität von ökologischen Lebensräumen und Vielfalt/genetische Informationsfunktion als
Basis langfristiger Evolutionsfähigkeit; wenn man die ökologischen Aspekte des Nachhaltigkeitskonzeptes
dynamisch versteht, dann haben sie nicht die Konservierung eines bestimmten Naturzustandes zum Ziel, sondern vielmehr die Optimierung dieser vier Grundfunktionen. Vgl. SRU, Umweltgutachten 1994, Stuttgart
1994, Nr. 96-112. Zum Begriff „Schöpfungsgerechter Fortschritt vgl. Korff, W.: Schöpfungsgerechter Fortschritt. Grundlagen und Perspektiven der Umweltethik, in: Herderkorrespondenz 51(1997), 78-84.
35
Renn, O./ Klinke, A.(2003): Risikoabschätzung und -bewertung. Ein neues Konzept zum Umgang mit Komplexität, Unsicherheit und Ambiguität, in: J. Beaufort/ E. Gumpert / M. Vogt (a.a.O.), 21-51, hier 26.
36
Renn/ Klinke 2003, 23; Nida-Rümelin 1996, 806-810.
37
Renn/ Klinke 2003, 29.
38
Renn/Klinke 2003, 25.
Vogt - GenEthik 14
Transparenz, und Rückverfolgbarkeit), als auch diskursive Strategien, die auf eine hinsichtlich
der gesellschaftlichen Wertvorstellungen angemessene Risikobewertung zielen und gleichermaßen Aufklärung, Vertrauensbildung, Konfliktmanagement angesichts bleibender Differenzen und eine gerechte Verteilung von Nutzen und Lasten umfassen.39 Charakteristisch für die
Art des Risikos bei Grüner Gentechnik ist, dass vorsorgeorientierte Strategien nur sehr begrenzt möglich sind, da die Rückholbarkeit Grüner Gentechnik bei Freilandanbau kaum möglich ist. „Solange die Risikoforschung nicht in all diesen Schritten erfolgreich ist, sind neuartige Experimente moralisch so erlaubt, wie Autos, die man dem Verkehr überlässt, ohne eine
zuverlässige Bremstechnik einzubauen.“40
Für die Risiko-Ethik ist methodisch entscheidend, ist, dass sie nicht mit rein quantitativen und
naturwissenschaftlichen Aspekten formuliert werden kann, sondern dass auch die subjektive
Seite und der Bezug zu sozialen Werten ein konstitutive Rolle spielen. Definiert man als Risiko „unerwünschte Folgen“, dann ergibt sich bereits daraus, dass Risikotheorien sowohl eine
analytische als auch eine normative Komponente umfassen. Aber auch die Risikoeinschätzung selbst hat bereits eine ethisch-normative Komponente, insofern die Menschen Risiken
nicht nur in Bezug auf mögliche physische Schäden wahrnehmen, sondern auch als Beeinträchtigungen sozialer und kultureller Werte. Deshalb muss die Risikokalkulation als Folgenabschätzung unter komplexen Bedingungen eingeordnet werden in eine allgemeine Theorie
der Verantwortung.
Verantwortung muss sich in dem offenen Prozess der Dialektik von Fortschritt und Risiko
bewähren. Um eine Polarisierung und Verhärtung der Fronten zwischen den Gegnern und
Befürwortern der Grünen Gentechnik für Landwirtschaft und Ernährung zu vermeiden, um
der Verunsicherung von Landwirten und Konsumenten entgegenzutreten, muss ein breiter
wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Diskurs über die spezifischen wirklichen und vermeintlichen Risiken der Grünen Gentechnik geführt werden. In diesem sind die Chancen und
Risiken der Gentechnik sachlich zu erörtern und verständlich zu vermitteln, um einen gesellschaftlichen Konsens für den Umgang mit dieser neuen Querschnittstechnologie zu ermöglichen.41 Vor allem ist die Frage zu klären, wie die Gefahren effektiv begrenzt und eine vorsorgeorientierte Risikopolitik ausgebaut werden können. Zwar gibt es eine große Anzahl von
Stellungnahmen, aber es fehlt bisher an konsensfähigen Methoden für eine bilanzierende Abwägung der Vor- und Nachteile, die in ausgewogener Weise die natur- und die sozialwissenschaftlichen Aspekte berücksichtigen, differenzieren und einander zuordnen.
Streng genommen ist der Begriff der „Koexistenz“, der in der gesellschaftlichen Debatte zwischen konventionellem oder ökologischem und durch transgene Nutzpflanzen geprägtem
Landbau nach dem Modell der Toleranz des Nebeneinanders unterschiedlicher Optionen
vermitteln will, ein Täuschung: Da durch Pollenflug das Erbgut gentechnisch veränderter
Pflanzen unbeabsichtigt auf konventionelle Sorten übertragen werden kann, kann es keine
Koexistenz im strengen Sinne geben. Pragmatisch versucht man sich auf Mindestbarrieren als
Pufferzonen zu verständigen. Da diese aber einen horizontalen Gentransfer langfristig nicht
vollständig verhindern können, muss ein gesellschaftliches Niveau der Risikobereitschaft definiert werden. Das scheint einerseits gerechtfertigt: Auch in der Natur gibt es Auskreuzung
und keine absolut strikten Artgrenzen. Daher wäre es weder naturphilosophisch angemessen
noch praktikabel, hier ein „Null-Risiko“ als Norm vorzugeben. Andererseits scheint es problematisch, da durch mögliche Akkumulationseffekte der akzeptierte Grenzwert (derzeit 0,9
%) und die rechtlich zulässigen Pufferzonen zum Einstieg in eine allmähliche und nicht mehr
rückholbare und flächendeckende Ausbreitung gentechnisch veränderter Organismen werden
kann. Letztlich ist die Definition von „Koexistenz“ nicht aus einem in der Natur vorgegebe39
40
41
Höffe, 1993, 76-80; Renn/Klinke 2003, 46.
Höffe 1993, 80.
Vgl. Kommission VI für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz: Überlegungen zur Verantwortbarkeit gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft (s.o.).
Vogt - GenEthik 15
nen Schwellenwert abzuleiten, sondern als eine unter Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Daten wesentlich sozialwissenschaftlich in Bezug auf die gesellschaftliche Willensbildung, Risikobereitschaft, Wertvorstellung und Konsensfähigkeit zu eruierende Größe.42
Dieser Prozess der gesellschaftlichen Willensbildung ist derzeit nicht abgeschlossen und
höchst konfliktreich. Es ist daher den politisch Verantwortlichen anzuraten, den noch ausstehenden Forschungs-, Diskussions- und Regelungsbedarf abzuarbeiten, bevor ein großflächiger Anbau gentechnisch veränderter Organismen zugelassen wird. Hierzu ist eine Intensivierung der Forschung als sozialwissenschaftlich erweiterte Folgenabschätzung sowie der gesellschaftliche Dialog nötig. Das ethische Entscheidungsproblem besteht wesentlich darin, dass
es aufgrund dieser höchst komplexen Vielfalt von Aspekten, Fakten, Hoffnungen und Befürchtungen auf teilweise sehr unterschiedlichen Ebenen und mit teilweise sehr unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten und Perspektiven keine eindeutige, objektive Abwägung geben
kann. Deshalb kann eine verantwortliche politische Entscheidung nicht jenseits des faktischen
wissenschaftlichen Dialogs und der gesellschaftlichen Akzeptanz getroffen werden und ist als
ethisches Handeln in nicht auflösbaren Konflikten durch formale Kriterien wie Transparenz,
Beteiligung und Gewaltfreiheit zu legitimieren.
Auf der Grundlage dieser allgemeinen theologischen und ethischen Basisreflexion zu schöpfungstheologischen und gerechtigkeitstheoretischen Maßstäben sowie verantwortungsethischen und risikosoziologischen Entscheidungskriterien sollen im folgenden aktuelle Konflikte
um die Grüne Gentechnik näher beleuchtet werden.
3. Ethische Analysen aktueller Konflikte
3.1 Unterschiedliche Diskursebenen als Grund für Missverständnisse
Die Grüne Gentechnik umfasst zwei Bereiche, die zu unterscheiden sind: einerseits die Anwendung in der Landwirtschaft (gentechnisch veränderte Tiere und Pflanzen), andererseits die
Anwendung in der Lebensmittelverarbeitung (Herstellung in geschlossenen Systemen, z.B.
Enzyme, Vitamine, Aminosäuren, Hydrokolloide etc. oder Nutzung in Fermentationsprozessen, z.B. bei Milchprodukten). Die Anwendung der Gentechnik für Zusatzstoffe oder Prozesshilfen in der Lebensmittelverarbeitung ist kaum mehr wegzudenken aus der gegenwärtigen Praxis. Der Einsatz von „maßgeschneiderten“ Enzymen ist in der Forschung und Praxis
weit fortgeschritten und wird auf breiter Basis eingesetzt, beispielsweise die Nutzung von
Cymosin als Prozesshilfe bei der Käseherstellung.43
Ziel der Nutzung transgener Organismen in der Lebensmittelherstellung bzw. -verarbeitung
ist es, möglichst haltbare, sensorisch attraktive, ernährungsphysiologisch hochwertige und
(z.B. von der Reifungszeit her) gut vermarktbare Produkte zu schaffen und dies möglichst
kostengünstig und mit geringer Umweltbelastung. In der ethischen Diskussion um den Einsatz
von Gentechnik in der Landwirtschaft geht es vor allem um die Abwägung zwischen den Vorteilen und Entwicklungspotentialen für die Ernährung des Menschen (einschließlich der indi-
42
Zu einem in dieser Weise auch sozialwissenschaftlich differenzierten Risikobegriff vgl. Renn, O./ Klinke,
A.(2003): Risikoabschätzung und -bewertung. Ein neues Konzept zum Umgang mit Komplexität, Unsicherheit und Ambiguität, in: J. Beaufort/ E. Gumpert / M. Vogt (a.a.O.), 21-51.
43
Früher wurde es aus Kälbermägen gewonnen, heute dagegen wird es mit Hilfe genveränderter Bakterien,
Hefen oder Schimmelpilze hergestellt. Hammes geht davon aus, dass die gewachsene Nachfrage nach Käse
heute anders kaum zu bewältigen wäre; vgl. Hammes, W.: Gentechnologie und Lebensmittelproduktion, in:
Hausmanninger, T./ Scheule, R (Hrsg.)(1999): ...geklont am achten Schöpfungstag. Gentechnologie im interdisziplinären Gespräch, Augsburg, 39-52, hier 44.
Vogt - GenEthik 16
rekten Verwendung über Futtermittel für Nutztiere) und den möglichen Risiken für Gesundheit und ökologische Zusammenhänge.
Hinsichtlich der gesundheitlichen und ökologischen Fragen, die ethisch diskutiert werden,
sind grundlegend drei Ebenen der Anwendung voneinander zu unterscheiden.44
(1) Lebensmittel, die aus genetisch veränderten Organismen (GVO) bestehen. Transgene
Nutzpflanzen sind Pflanzen, die gentechnisch verändert sind, um ihren Ertrag oder ihre
Widerstandskraft zu erhöhen. Bisher werden vier Feldfrüchte (Soja, Baumwolle, Mais und
Raps) in größerem Maßstab gentechnisch verändert angebaut; aber auch andere gentechnisch veränderte Organismen wie Chicoree, Kartoffel, Kürbis, Papaya, Tabak, Tomate
werden angebaut und vermarktet.45
(2) Lebensmittel, die aus GVOs hergestellt sind, deren Gen- und Proteinstruktur aber chemisch oder thermisch eliminiert ist und damit im Endprodukt, der Nahrung des Menschen
oder der Nutztiere, in der Regel nicht nachgewiesen werden kann.
(3) Lebens- und Futtermittel, die mit Hilfe genetisch veränderter Organismen oder von Bestandteilen aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt sind, diese aber nicht
enthalten.
Das Gütesigel ‚gentechnikfrei‘ umfasst alle drei der genannten Ebenen, also: aus nicht aus
GVOs bestehende, nicht aus GVOs hergestellte und nicht mit GVOs hergestellte Lebensmittel
sowie die Verwendung gentechnikfreier Futtermittel.. Insgesamt wird geschätzt, dass 80 - 90
% der im Handel befindlichen Lebensmittel in Deutschland (und ähnlich in den meisten anderen Industriestaaten) mit Bio- oder Gentechnik in Berührung gekommen sind.46 Für mögliche
direkte gesundheitliche Auswirkungen ist vor allem die erste Ebene relevant. Die biologischchemische Nachweisbarkeit des Einsatzes von GVOs auf Ebene zwei und drei ist nicht bzw.
kaum möglich.47 In der Alltagssprache ist bei der Rede von „Grüner Gentechnik“ oft nur die
erste Ebene gemeint. Das ist insofern ethisch relevant, als dadurch leicht die weniger problematischen und vergleichsweise gut etablierten Nutzanwendungen aus dem Blick geraten.
Selbst wenn man die Anwendung der Gentechnik in der Lebensmittelindustrie als „weiße
Gentechnik“ abgrenzen kann, sollten die verschiedenen Anwendungsfelder der Gentechnik im
pflanzlichen Bereich doch in ihrem Zusammenhang gesehen werden, da sich nur so ein ausgewogenes Bild ihrer Vor- und Nachteile ergibt.
Unterschiedliche Ebenen sind auch hinsichtlich des Verbraucherschutzes bzw. der Verbraucherverantwortung und Markttransparenz zu differenzieren und einander zuzuordnen: Zum
einen geht es um die Rückverfolgbarkeit der Herkunft von Lebens- und Futtermitteln und
damit die Frage der Kennzeichnungspflicht und des Schwellenwertes, ab dem diese eingefordert wird. In der Praxis stellt die Lebensmittelkontrolle ein gravierendes Problem dar.48 Dane44
45
46
47
48
Vgl. im Ganzen Hammes (s.o.), 39ff; Kempken, F./ Kempken, R. (2000): Gentechnik bei Pflanzen – Chancen und Risiken. Berlin; Rosenberger, M.: Grünes Licht für grüne Technik? Gentechnik in Landwirtschaft
und Lebensmittelverarbeitung aus der Sicht der Moraltheologie, in: E. Fulda u.a. (Hrsg.): Gemachte Natur.
Orientierungen zur Grünen Gentechnik (Karlsruher Beiträge zu Theologie und Gesellschaft Bd. 2), Karlsruhe
2001, 64-86, hier 81.
Zu einem Überblick einschließlich der jeweiligen Vorteile/Veränderungen, Anwendungsländer und Firmen,
die die Patente halten (allerdings nur bis zum Jahr 1998) vgl. Hammes 1999, 41-43. Hammes folgert aus der
Vielfalt der Feldversuche, dass eine „explosionsartige Zunahme der Pflanzen mit vielfältigen neuen Genkombinationen“ (ebd. 39) nicht unwahrscheinlich sei.
Vgl. Scheper, T.: Biotechnologie am Wirtschaftsstandort Deutschland – ein Beitrag zur Nachhaltigkeit?, in:
Zentrum für Umwelt und Kultur (Hrsg.): Biotechnologie – ein Beitrag zur Nachhaltigkeit?, München 1999,
26-31, hier 29. Auch in anderen Bereichen, wie Leder- oder Waschmittelindustrie, ist die Verbreitung der
Gentechnik ähnlich hoch.
Hammes 1999, 42.
Im Juli 2000 fand die Stiftung Warentest GVOs in 31 von 82 untersuchten Lebensmitteln, die nicht gekennzeichnet waren, davon in drei Waren über 20 % des Gesamtanteils. Dies zeigt, dass die Kontrollen in der
Praxis höchst unzureichend sind. Vgl. Rosenberger 2001, 84.
Vogt - GenEthik 17
ben ist ethisch zu berücksichtigen, dass der Verbraucher die Vielzahl an Informationen nur
sehr begrenzt verarbeiten kann, so dass diese oft mehr Verwirrung als Klarheit stiften: Die
Mehrzahl fühlt sich einerseits von Erklärungen und Hinweisen überflutet, andererseits nicht
ausreichend und in verständlicher Weise aufgeklärt. Schon heute kann die Informationsfülle
von der überwiegenden Mehrheit im täglichen Einkauf nicht so verarbeitet werden, dass sie
tatsächlich zur Orientierung dient.
Die Folge ist eine diffuse Angst vor der Unübersichtlichkeit und Anonymität des Marktes.
Markttransparenz und Konsumentensouveränität sind also sowohl ein Problem der Information, der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens (als wichtigste „Komplexitätsreduktion“ angesichts der Unübersichtlichkeit postmoderner Gesellschaft sowie des ganz normalen Alltags
zwischenmenschlicher Beziehungen, wie es Niklas Luhmann beschreibt) als auch der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit von Informationen.
In dieser höchst widerspruchvollen Situation, in der Gentechnik einerseits in Teilbereichen
selbstverständlich etabliert ist, anderseits aber auf größte Skepsis stößt, ist es wichtig, die unterschiedlichen Ebenen des ethischen Diskurses um die Grüne Gentechnik zu differenzieren49:
(1) Abschätzung der ökologischen und gesundheitlichen Folgen gentechnischer Eingriffe in
der Pflanzenzucht. Hier weisen die bisherigen wissenschaftlichen Forschungen sowohl inhaltlich als auch methodisch große Lücken und Dissense auf. Langzeitstudien und angemessene
Modelle für die mit linearen Vorstellungen oft nicht hinreichend erfassbare Komplexität genetischer Wirkungszusammenhänge sind notwendig, um hier in der Forschung empirisch gesicherte Grundlagen der Folgenabschätzung zu schaffen.50 Eine interdisziplinäre Folgenabschätzung muss als selbstverständliche Begleitforschung der Gentechnik etabliert werden.
(2) Ethische Abwägung von Chancen und Risiken der Grünen Gentechnik. Dabei geht es im
Kern um die Abwägung, Zuordnung und Integration von ökonomischen, sozialen und ökologischen Erfordernissen. Die Bewertung der Grünen Gentechnik muss letztlich an dem ethischen Prinzip der Nachhaltigkeit gemessen werden, das die Fragen der Gerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Naturverträglichkeit systematisch zu einem Konzept zukunftsfähiger Entwicklung verknüpft. Eine Abstimmung zwischen dem Tempo von technischer und ökonomischer Entwicklung und ethisch-gesellschaftlicher Reflexion ist vonnöten.
(3) Internationale Rahmenbedingungen für die rechtliche Durchsetzung und Kontrolle einer
verantwortlichen Forschung und Praxis zu GVOs. Diese Ebene betrifft die Fragen eines ethischen Grundkonsenses auf europäischer und globaler Ebene sowie dessen Umsetzung in internationales und nationales Recht. Ohne ein sanktionsbewehrtes internationales Recht und
dessen Harmonisierung mit nationalen Regelungen sind ethische Normen und die Ausrichtung von Forschung und Praxis auf das Weltgemeinwohl nicht durchsetzbar.51 Die ethische
Bewertung und rechtliche Regelung des Einsatzes Grüner Gentechnik ist letztlich nur möglich
im Kontext einer Verständigung über die Leitlinien einer neuen Welt-Agrarpolitik.
(4) Akzeptanz der Bevölkerung und des politischen Umgangs mit Dissenz: Da viele Fragen
der Bewertung Grüner Gentechnik aus methodischen Gründen prinzipiell offen bleiben und da letztlich alle von den Folgen betroffen sind - nur eingeschränkt nach dem klassischen Modell der Toleranz des Nebeneinanders unterschiedlicher Optionen gelöst werden können, ist
49
50
51
Vgl. dazu Ignacio Nunez: Opportunities and Risks of Genetically Modified Organisms, in: Promotiae Iustitiae Nr. 79, 3/2003, 7-10, hier 8f. (hier frei und mit etwas anderen Akzenten der Interpretation zusammengefasst).
Zumindest werden die Vertreter der Gentechnik immer wieder mit der Anfrage konfrontiert, wie realistisch
ihr Modell sei: Erbeigenschaften sind nicht einfach additiv in den Erbanlagen gespeichert, sondern ergeben
sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Komponenten. Der Austausch eines Elementes verändert also
nicht bloß eine einzelne Eigenschaft, sondern ein ganzes Beziehungsgefüge. Neben den vorgenommenen und
erwünschten Veränderungen ist von weiteren und höchstwahrscheinlich derzeit nicht absehbaren Veränderungen auszugehen, zu denen keinerlei Folgeabschätzungen vorgenommen werden können.
Zum Begriff des Weltgemeinwohls vgl. Papst Johannes Paul II, Sollicitudo rei socialis, Nr. 22 und 35-39.
Vogt - GenEthik 18
der gesellschaftliche Diskurs um die Bewertung der Grünen Gentechik unverzichtbar. Nötig
ist eine ausreichende und verständliche Information der Öffentlichkeit, indem Herkunft und
Bestandteile von GVOs transparent gemacht werden sowie eine gesellschaftliche Verständigung über die Möglichkeiten und Grenzen einer Koexistenz gentechniknutzender und gentechnikfreier Landwirtschaft bzw. Ernährung. Die Frage der Akzeptanz in der Bevölkerung
muss in der ethischen Reflexion als eine eigenständige Ebene betrachtet und im politischen
Handeln auch tatsächlich ernst genommen werden.52
Zahlreiche Konflikte in der Diskussion über Grüne Gentechnik haben ihre Ursache darin, dass
die Gesprächspartner auf unterschiedlichen Reflexionsebenen ansetzen und so aneinander
vorbei reden. Jede Ebene hat ihre eigenen Sprachregeln, Voraussetzungen sowie Problemzusammenhänge und muss zunächst in sich reflektiert werden, bevor sie mit den anderen Ebenen verknüpft wird. Diese zweite Reflexionsstufe der Verknüpfung und Integration dieser
unterschiedlichen Ebenen ist jedoch notwendig, da eine ethische Beurteilung und eine verantwortbare Praxis der Gentechnik nur möglich sind, wenn alle fünf Problemebenen bearbeitet werden.
3.2 Ziele und erhoffter Nutzen der Grünen Gentechnik
Sowohl was den eventuellen Nutzen als auch mögliche Risiken der Grünen Gentechnik betrifft, tragen Umweltschützer und die Befürworter eines weitgehend ungeregelten Umgangs
mit GVOs einen heftigen Streit aus. Als besondere Vorteile bzw. erhoffte Nutzanwendungen
der Grünen Gentechnik sind insbesondere die folgenden zu nennen:53
(1)
Gentechnische Veränderungen sind treffgenauer als konventionelle Züchtungsbemühungen. Sie können unerwünschten Nebenwirkungen von Kreuzungszüchtung (etwa geringe Halmfestigkeit) oft vermeiden und Nutzpflanzen bzw. -tiere stärker als bisher auf
die gewünschte Nutzwirkung hin optimieren.54 Bei den gentechnisch veränderten Pflanzen der sog. ersten und zweiten Generation wurden vor allem solche Eigenschaften gefördert bzw. initiiert, die ertragssteigernd wirkten oder in Anbau, Ernte, Transport und
Lagerung wirtschaftliche Vorteile versprachen.
(2)
Mit der Gentechnik können bestimmte erwünschte Eigenschaften wie Pestizidresistenz
oder Schädlingsresistenz in die Pflanze „eingebaut“ werden. Mögliche Vorteile genetischer Herbizidresistenz sind die Vereinfachung des Unkrautmanagements, die (ökologisch wünschenswerte) Verringerung der erforderlichen Herbizidmengen sowie Ertragssteigerungen. Wenn gentechnische Veränderung Resistenz gegen Totalherbizide schafft,
kann sie auch zur Erhöhung des Pestizideinsatzes führen.55 Die Folge wäre eine stark
52
53
54
55
Vgl. Korff, W.: „Grammatik der Zustimmung“. Implikationen der Akzeptanzproblematik, in: ders.: Die Energiefrage. Entdeckung ihrer ethischen Dimension, Trier 1992, 229-285. Aus ethischer Perspektive gewinnt
die Akzeptanzproblematik vor allem deshalb eine eigenständige Bedeutung, weil die Risikoabschätzung angesichts von „systematischem Unwissen“ über einige komplexe Wirkungszusammenhänge letztlich nur sehr
unvollständig sein kann und weil mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung mit den Folgen des Handelns
oder Nichthandelns leben muss.
Vgl. zum Folgenden u.a. Kommission VI der DBK, Information zur Grünen Gentechnik (unveröffentlicht,
maßgeblichen Anteil an dem Text hat O. Renn, in der Darstellung der Chancen und Risiken sind einige Textpassagen direkt übernommen); Umweltbundesamt (Hrsg.) (1996): Gentechnik in Entwicklungsländern – Ein
Überblick: Landwirtschaft. Berlin.
Vgl. dazu die Tabellen Hammes 1999 (a.a.O.), 41f und 47 sowie insgesamt 39-47.
Faktisch ist die Wirkung GVO hinsichtlich von Pestizideinsparung oder -vermehrung ambivalent. Gerade bei
den für den großflächigen Anbau in Europa in Frage kommenden Pflanzen seien die bisherigen Erfahrungen
wenig überzeugend; vgl. Evangelische Landeskirche in Baden u.a.: Gentechnik in der Landwirtschaft: Europäisches Moratorium muss bestehen bleiben!, in: FORUM 69 (a.a.O.), 40-43, hier 42.
Vogt - GenEthik 19
absinkende Artenvielfalt auf dem Acker.56 Es besteht aber durchaus auch die Möglichkeit und das Ziel, Biodiversität zu fördern.
(3)
Mit der Gentechnik können ernährungsphysiologisch erwünschte Eigenschaften wie
erhöhter Vitamingehalt oder Anreicherung mit bestimmten Spurenstoffen erzeugt werden. Dieser Vorteil wird vor allem bei den gentechnischen Anwendungen der sog. dritten Generation angestrebt. Als Beispiel kann hier eine bestimmte Reissorte genannt
werden, die gentechnisch mit dem Protein Ferritin versehen wird, das den Eisentransport
im Blut verbessert; auf diese Weise könnte den zwei Milliarden Menschen, die an Eisenmangel leiden, geholfen werden. Der viel gerühmte „Golden Rice“ hingegen, in den
ein Vorläufer des Vitamin A eingebaut ist, wird unterschiedlich bewertet.57 Vielerorts
wäre es sehr viel einfacher, Mischanbau zu betreiben. Ferner wird die Möglichkeit diskutiert, in Reis oder andere Grundnahrungsmittel Impfstoffe einzuschleusen, was in
Entwicklungsländern den faktisch angesichts der schwierigen hygienischen Bedingungen durchsetzbaren Impfschutz wesentlich verbessern könnte.
(4)
Die Gentechnik ermöglicht eine Anpassung von Nutzpflanzen an bestimmte klimatische
Bedingungen oder an regionale Besonderheiten. Ein Ziel ist etwa die Entwicklung von
Trockenreis, der seinen Stickstoff aus der Luft bezieht. Inwieweit eine solche regional
differenzierte Angebotserweiterung tatsächlich auch eintritt, ist vor allem von den
Marktverhältnissen und den politischen Rahmenbedingungen abhängig. Angesichts der
zu erwartenden Klimaänderungen sowie vor allem der von der UNO prognostizierten
Wasserknappheit für zwei Drittel der Menschen bereits in elf Jahren58 könnte die genetische Züchtung von Pflanzen, die weniger Wasser brauchen und Dürreperioden widerstandsfähiger überstehen können, gerade für Entwicklungsländer ein entscheidender
Vorteil sein.
(5)
In der Lebensmittelverarbeitung können die Produktionskosten und -zeiten sowie teilweise auch die Energiekosten und Umweltbelastungen gesenkt werden.59 Die Nutzung
der Gentechnik als Prozesshilfe oder für Zusatzstoffe in der Lebensmittelverarbeitung
gehört heute zum Standard der Lebensmittelindustrie und bringt erhebliche Vorteile für
Qualität und Kostensenkung.60 Weitere Ziele und bereits realisierte oder mögliche Vorteile Grüner Gentechnik bei der Lebensmittelverarbeitung mit Hilfe von Gentechnik
sind: Reduktion des hygienischen Risikos, Nutzung des probiotischen Effektes von Mikroorganismen, Produktion unter verbesserten ökologischen Gesichtspunkten, Erhöhung
der Prozesssicherheit, Vereinfachung des mikrobiologischen Geschehens, Verbesserung
der ökologischen Anpassung, kostengünstigere Produktion, Effizienzverbesserung, Zugang zu neuen Produkten.61
Insgesamt ist deutlich, dass das Potenztial Grüner Gentechnik für ethisch relevante Fragen im
Blick auf Nachhaltigkeit mit ihren wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimensionen
erheblich ist. Insbesondere bei der Gentechnik in der ersten Generation ist eine einseitige Betonung wirtschaftlicher Aspekte im Sinne der linearen Logik von Produktionsmaximierung zu
beobachten; bei der Grünen Gentechnik der zweiten und dritten Generation wird der wirt56
57
58
59
60
61
Eine aktuelle Studie in Großbritannien kommt zu dem Ergebnis, dass es in Bezug auf Insekten und Ackerbegleitkräuter bei Zuckerrüben und Raps zu einer Verringerung der biologischen Vielfalt kommt. (Farm Scale
Evaluations published today, Royal Society, UK, 16.10.2003, unter www.pubs.royalsoc.ac.uk
Vgl. dazu auch: Irrgang, B./Göttfert, M./Kunz, M. u.a.: Gentechnik in der Pflanzenzucht. Eine interdisziplinäre Studie (Forum für interdisziplinäre Forschung Bd. 20), Detttelbach 2000, 140-143.
Nach Berechnungen der UNEP in dem Milleniumsbericht „GEO 2000“ werden bereits im Jahr 2015 vier
Milliarden Menschen an mangelnder Trinkwasserversorgung leiden, was angesichts der Tatsache, dass 70 %
des Süßwassers in der Landwirtschaft verwendet und oft verschwendet werden, ganz wesentlich die Landwirtschaft betrifft. Vgl. UNEP, Global Environmental Outlook, Nairobi 1999, 24-51.
Vgl. Hammes 1999 (a.a.O.), 45.
Vgl. Hammes 1999 (a.a.O.), 39-52.
Hammes 1999 (a.a.O.), 47; Ignacimuthu 2003 (a.a.O.), 23-25.
Vogt - GenEthik 20
schaftliche Aspekt stärker mit ökologisch und sozial bzw. gesundheitlich sinnvollen Perspektiven verknüpft.
Die ethische Bewertung der Grünen Gentechnik als Handwerk ergibt sich vor allem daraus,
welchen ethischen Zielen sie dient. Sie unterliegt der Ambivalenz der gegenwärtigen weltweiten Agrarpolitik und landwirtschaftlichen Entwicklung und verstärkt diese. Verantwortung in
der Wissenschaft zeigt sich hinsichtlich der Grünen Gentechnik vor allem dann, wenn sie
konsequent auf ihre erheblichen sozialen, volkswirtschaftlichen und ökologischen Potentiale
hin weiterentwickelt und verbreitet wird und die damit verbundenen Gefährdungen umsichtig
vermieden werden.
3.3 Risiken und soziale Kontexte der Grünen Gentechnik
Gegen die optimistische Sicht lässt sich einwenden, dass der Einsatz von Gentechnik unter
den bisherigen Rahmenbedingungen primär die Produzenten und die multinationalen Unternehmen begünstigt und für die Verbraucher, die Welternährungslage und die Reduktion von
Pestiziden kaum nennenswerte Verbesserungen erbringt. Folgende Probleme werden diskutiert:
(1) Horizontaler Gentransfer: Insbesondere durch Pollenflug kann es zu unbeabsichtigten
Auskreuzungen von GVO kommen. Das Risiko liegt hier darin, dass Eigenschaften von
Nutzpflanzen, die gentechnisch verändert wurden, durch Auskreuzen auf Wildpflanzen
übertragen werden. Unter Umständen könnte deren Vermehrungsrhythmus gestört werden, wie dies im US-Bundesstaat Mississippi im Sommer 1997 bei pestizidresistenter
Baumwolle geschehen ist.62 Außerdem könnten sich die dann entstehenden neuen Wildpflanzen möglicherweise besser ausbreiten und dabei andere Pflanzen verdrängen. Dies
könnte negative Folgen für die Biodiversität haben und die Verwundbarkeit von fragilen
Ökosystemen drastisch erhöhen. Kritiker der Grünen Gentechnik sehen diese Gefahr vor
allem dann gegeben, wenn Nutzpflanzen gegen Schädlinge wie Viren, Insekten, Pilze,
Bakterien etc. resistent gemacht werden. Dagegen argumentieren die Befürworter der
Gentechnik, dass sich die für menschliche Bedürfnisse maßgeschneiderten Kulturpflanzen
kaum mit den wesentlich besser angepassten Wildkräutern im freien Wettbewerb der
Pflanzen messen können, da sich die meisten Kulturpflanzen ohne Hilfe des Menschen
kaum ausbreiten könnten.
Des weiteren besteht die Gefahr der ungewollten Züchtung von „Superunkräutern“, die
gegen mehrere Totalherbizide resistent sind (z.B. bei Raps in Kanada). Wenn Auskreuzungen oder sonstige Einträge von GVO zu Beeinträchtigungen für andere Landwirte führen, indem deren Erzeugnisse als „genetisch verändert" gekennzeichnet werden müssen
und/ oder nicht mehr als Öko-Produkte oder mit dem Sigel „gentechnikfrei“ vermarktet
werden dürfen, haben sie direkte sozioökonomische Auswirkungen, die derzeit in
Deutschland rechtlich relevant sind.
(2) Nichtintendierte mittel- und langfristige Schäden bei bloß kurzfristigem Nutzen: Dieses
Problem zeigt sich beispielsweise bei dem Versuch, auf gentechnischem Wege Pflanzen
gegen bestimmte Insekten resistent zu machen. Wenngleich zunächst die Aufwendungen
für Insektizide deutlich gesenkt und die Erträge gesteigert werden können, kann dennoch
nicht gänzlich auf den Einsatz von Insektenbekämpfungsmitteln verzichtet werden, weil
die genetische Veränderung die Pflanze nicht gegen alle Schädlinge wappnet. Vor allem
aber erwerben die Fraßinsekten in kürzester Zeit eine Resistenz, so dass die anfänglichen
Erfolge komplett verschwinden. Zudem werden wiederum Nützlinge und Bodenorganismen erheblich geschädigt. Als ein weiteres Problem kommt hinzu, dass Herbizide, die relativ zielgenau gegen nur wenige Arten wirken und für den konventionellen Landbau eine
62
Vgl. Kommission VI der DBK, Information zur Grünen Gentechnik (unveröffentlicht).
Vogt - GenEthik 21
wichtige Rolle spielen, im Markt von Breitbandherbiziden, die nur für gentechnisch veränderten Anbau verträglich sind, verdrängt werden. Darüber hinaus sind die Auswirkungen von GVOs auf die sehr komplexen Faktoren der Bodenqualität bisher kaum erforscht;
da die Landwirtschaft von der langfristigen Sicherung der Bodenfruchtbarkeit abhängig
ist, scheint hier besondere Vorsicht geboten.
(3) Problematische Botenstoffe und Marker: Bei der Gentechnik werden häufig Botenstoffe
oder Marker eingesetzt, die auf die Resistenz der Pflanzen Einfluss nehmen (Promotoren,
Trailer etc.). Diese Resistenzen etwa gegen Herbizide können sich auf andere Pflanzen
(etwa Wildkräuter) übertragen oder auch bei den Konsumenten der Pflanzen (Tiere und
Menschen) Probleme erzeugen. So sind etwa viele Kritiker der Meinung, dass diese Botenstoffe unter anderem zur Antibiotika-Resistenz des Menschen beitragen können. Dagegen argumentieren Befürworter der Gentechnik, dass die als Marker eingesetzten Antibiotika in der medizinischen Praxis nicht oder nicht mehr eingesetzt werden und mittelfristig
ohnehin auf andere Botenstoffe ausgewichen werden kann (und sollte).63 Eine Gesetzesänderung zum Verbot von Markergenen soll noch 2005 in Kraft treten.
(4) Allergische Reaktionen: Durch die Übertragung von Gensegmenten einer Pflanze, die der
Kunde nicht kennt und auf die er möglicherweise allergisch reagiert, auf eine andere
Pflanze kann es für den Konsumenten schwierig werden, sich gegen Allergien zu schützen. Befürworter der Gentechnik sehen indes keinen Grund zur Sorge: Man könne dieses
Problem durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen und Kennzeichnungen regeln. Kritiker befürchten dagegen, dass insbesondere bei einer starken Ausweitung des Einbaus von
fremden Gensegmenten Konsumenten sich nicht mehr ausreichend über die Herkunft der
Fremdgene informieren könnten und Allergiker die Übersicht verlören, welche potenziell
allergenen Stoffe in welchen Lebensmitteln vorhanden sind, so dass allergische Reaktionen kaum noch vorhersehbar würden. Zudem sinke die Zahl der Nahrungsmittel, auf die
Allergiker ausweichen können.64
(5) Monofunktionalisierung: Wenn wenige Getreidearten durch gentechnische Veränderung
so widerstandsfähig und ertragreich gemacht würden, dass sie weltweit Verbreitung fänden und die Weltgetreideversorgung von ihnen abhinge, könnten neue, bisher noch unbekannte Schädlinge oder Virenformen diese Versorgung global gefährden. Dieses Szenario
ist zwar auch bei konventioneller Züchtung gegeben (immerhin leben über 80 % der Menschen von nur noch 10 Nutzpflanzen), aber mit dem Einsatz der Gentechnik kann dieser
Trend zu einigen wenigen dominanten Nutzpflanzen noch wesentlich beschleunigt werden. Vertreter der Gentechnik versuchen in diesem Zusammenhang darzulegen, dass es
gerade mit dem Einsatz der Gentechnik möglich sei, regional angepasste Nutzpflanzen zu
erzeugen, und dass ein Markt für regionale Produkte für die Industrie durchaus attraktiv
sei und auch genutzt werde. Vor allem ermögliche aber die Gentechnik, Nutzpflanzen an
die zu erwartenden Klimaänderungen und die neuen Siedlungsstrukturen von Stadt und
Land anzupassen. Wenn man das Spektrum von Nutzpflanzen erweitern will, so komme
man mit Gentechnik schneller zu anbaufähigen Sorten als mit konventioneller Genetik.
(6) Abhängigkeit gegenüber agroindustriellen Konzernen: Viele Kritiker der Gentechnik befürchten, dass gentechnisch verändertes Saatgut die bestehende Abhängigkeit der Landwirte von wenigen Großfirmen verstärken könnte. Da es sich bei gentechnisch verändertem Saatgut fast ausschließlich um Hybridsorten65 handelt, müssen sich die Landwirte
63
64
65
Auch die WHO warnte schon 1991 vor der Übertragung von Antibiotikaresistenzen auf die Darmflora. Ebenso forderte der SRU im Sondergutachten zur Landwirtschaft 1996, die Markergene wieder herauszuholen;
ähnliche Forderungen erhoben Norwegen und inzwischen auch die EU. Vgl. Rosenberger 2001 (a.a.O.), 82.
Zur weiterführenden Diskussion und praktischen Information vgl. Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (Hrsg.)(2000): Kompendium Gentechnologie und Lebensmittel, Bonn; Katalyse Institut (1999):
Gentechnik in Lebensmitteln. Ein kritischer Ratgeber für Verbraucher, Hamburg.
Hybridsaatgut geht aus Sorten übergreifenden Kreuzungen hervor und ist bei der ersten Aussaat sehr ertrag-
Vogt - GenEthik 22
immer wieder neues Saatgut bei dem jeweiligen Hersteller kaufen. Im Gegensatz zu transgenem Mais, dessen Ernte zur Wiederaussaat nicht taugt, kann transgenes Soja - noch - als
Saatgut verwendet werden. Allerdings hat Monsanto beim US-Landwirtschaftsministerium bereits die Genehmigung zur Vermarktung von steriler Terminatorsoja eingeholt.66 Da
die Firma Monsanto 91 % aller einschlägigen Patente hält und einen überaus aggressiven
„Manchesterkapitalismus“ praktiziert, kann sie Monopolansprüche geltend machen und
Landwirte ausnützen. Es fehlt an einem offenen Markt, in dem sich unterschiedliche Firmen zum Vorteil der Kunden Konkurrenz machen.
Zudem werden von multinationalen Unternehmen Patente an Nutzpflanzen erworben,
durch die sie ihre Macht gegenüber Konkurrenten und Abnehmern ausbauen können. „Die
Patentierung von Pflanzensorten wird die Verarmung der Kleinbauern in Entwicklungsländern weiter vorantreiben. Wenn die europäischen Staaten das bestehende Patentsystem
weiter unterstützen, untergraben sie ihre eigene Entwicklungspolitik.“67
Ferner bieten inzwischen einige Firmen auch Gesamtpakete an (etwa Herbizide mit herbizidresistentem Saatgut), die langfristige Abhängigkeiten zementieren. Nach Ansicht der
Befürworter der Gentechnik würden die Landwirte langfristig von solchen Arrangements
profitieren und könnten auch die armen Landwirte in Entwicklungsländern (und nicht nur
die Großgrundbesitzer) mit den gentechnisch veränderten Sorten mehr Einkommen, vor
allem aber Einkommenssicherheit, erzielen. Nicht ohne Grund, so die Befürworter, würden immer mehr Entwicklungsländer auf gentechnisch veränderte Nutzpflanzen setzen
und versuchen, solche auch mit Hilfe eigener Forschungsanstrengungen zu entwickeln.
Dennoch sind zahlreiche Beobachter besorgt, dass vor allem die Kleinbauern in den Entwicklungsländern in zunehmende Abhängigkeiten geraten, weil sie nicht mehr darüber
entscheiden können, welches Saatgut sie kaufen wollen und wie sie ihre traditionellen
Rechte wahren können.68
(7) Belastung des sozialen Friedens: Da eine Koexistenz im strengen Sinne nicht möglich ist
und die Einführung Grüner Gentechnik durch einzelne Bauern in einem bestimmten Maße
alle betrifft, kann sie zu einer erheblichen Belastung des sozialen Friedens werden. Letztlich ist eine kollektive Verständigung über das gesellschaftlich gewollte Maß an Risikobereitschaft und die Abwägung zwischen ökologischen und gesundheitlichen Risiken, wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen sowie deren Verteilungen auf unterschiedliche Akteure
nötig. Da der Wert landwirtschaftlicher Flächen in nicht unerheblichem Maß davon abhängig sein kann, ob auf dem Nachbargrundstück GVOs angebaut werden, geht es hier
keineswegs nur um "weiche" Faktoren gesellschaftlicher Willensbildung, sondern um
ganz handfeste Nachbarschaftskonflikte.
66
67
68
reich, büßt jedoch in der zweiten Generation im allgemeinen stark an Qualität ein; zumeist schaltet ein eingebautes Terminatorgen die eingeschleusten Funktionen oder die Fruchtbarkeit der Pflanze nach einer Generation aus. Folglich kann das Hybridsaatgut nur einmal verwendet werden, und Bauern sind von der Möglichkeit abgeschnitten, eigenständig Saatgut zu erzeugen. Die Diskussion über Hybridsorten ist so alt wie es die
Sorten gibt, d.h. seit ca. 50 Jahren. Wenn ein Landwirt keine Hybridsorten anbauen, sondern jedes Jahr einen
Teil seiner Ernte als Saatgut zurücklegen will, dann kann ihn niemand daran hindern. Es hat sich jedoch
schon vor 40 Jahren in den USA für die Landwirte als vorteilhafter erwiesen, die Ernte ganz zu verkaufen
und sich bei der neuen Aussaat neues Saatgut zu kaufen, da der Saatzuchtbetrieb aufgrund optimaler Lagerungsbedingungen eine hohe Keimungsrate garantiert und Hybridsorten von Haus aus ertragsfähiger sind.
Vgl.: www.dosto.de/gengruppe/texte/landwirtschaft/landw6.html
So Prof. Dr. Josef Sayer, Hauptgeschäftsführer von Misereor, zitiert nach Bio Mitteldeutschland (BMD):
Was spricht für ein Engagement der katholischen Kirche bei der Nutzung der Pflanzenbiotechnologie in
Sachsen Anhalt?, 5 (unveröffentlicht, keine Angabe von Autor und Datum), wo zu Recht angemerkt wird,
dass dies nicht Gentechnik spezifisch ist (was freilich nichts daran ändert, dass sich die Verbreitung der Gentechnik in einem von einseitigen Machtstrukturen geprägten Patentsystem verheerend auf die Gerechtigkeit
auswirken kann).
Vgl. dazu etwa die Vorgehensweise des brasilianischen Agrarkonzerns ‚Monsanto‘, der mit seinem Produkt‚
Roundup-Ready-Soja‘ in Argentinien und Brasilien eine Monopolstellung zu erringen versucht und dabei das
gesetzliche Verbot, in Brasilien transgenes Soja anzubauen, auf Grund der Mängel bei Polizei und Justiz völlig ignorieren kann.
Vogt - GenEthik 23
Auf einige Punkte dieser Chancen und Risiken, die für die ethische Diskussion eine zentrale
Rolle spielen, soll im Folgenden näher eingegangen werden.
3.4 Hypothesen über die gesundheitlichen Risiken
Die Diskussion um die möglichen gesundheitlichen Risiken der Grünen Gentechnik ist so
komplex, dass es sinnvoll ist, sie in einem eigenen Abschnitt zu behandeln. Die gesundheitliche Unbedenklichkeit gentechnisch veränderter Lebensmittel ist Voraussetzung ihrer Zulassung, Verbreitung und Akzeptanz. Die Methoden, nach denen dies festgestellt wird, sind jedoch umstritten. Die Komplexität möglicher Wechselwirkungen kann nicht vollständig erfasst
werden. Aufgrund der begrenzten Übertragbarkeit von Versuchsergebnissen bei Tieren auf
den Menschen sowie aufgrund der Überlagerungen durch den Einfluss individueller Dispositionen, Verzehrgewohnheiten und Zubereitungsformen sowie allgemein durch die jeweiligen
Lebensbedingungen ist eine monokausale Zurechnung unmöglicher Langzeiteffekte bestimmter toxischer Prozesse kaum methodisch kontrolliert möglich. Die Garantie der gesundheitlichen Unbedenklichkeit Grüner Gentechnik ist letztlich abhängig von dem Vertrauen in moderne Wissenschaft. Hier scheiden sich die Geister: Viele haben dieses Vertrauen verloren.
Andererseits ist moderne Wissenschaft nach wie vor sehr erfolgreich und in vielen Bereichen
unverzichtbar.
In der Praxis hat sich zur Erleichterung der Risikoabschätzung das Konzept der „substantiellen Äquivalenz“ in der WHO durchgesetzt und bewährt.69 So kann trotz bestehender Wissenslücken ein relativ hohes Niveau an Konsistenz und Sicherheit in den wissenschaftlichen Aussagen über allergene Potentiale in neuen Lebensmitteln erreicht werden. Die WHO unterscheidet drei Kategorien der Diskussion um mögliche gesundheitliche Risiken: 1. Übertragung von Antibiotikaresistenzen auf die Darmflora; 2. Entstehung giftiger Spaltprodukte im
Verdauungstrakt; 3. Allergene Wirkung.70
Insgesamt sind die gesundheitlichen Risiken der Grünen Gentechnik weitgehend als hypothetische Risiken einzuschätzen. Denn bisher gibt es keine wissenschaftlich anerkannten empirischen Untersuchungen, die eine differenzierte biologische und medizinische Risikoaussage
begründen. Es herrscht eine Spaltung zwischen Populärwissenschaft, bzw. Medienaufmerksamkeit und etablierter Wissenschaft. Aber auch methodische Schwierigkeiten, wie z.B. die
Frage der Übertragbarkeit von Ergebnissen bei Tieren und Pflanzen auf physiologische Vorgänge im menschlichen Körper, sind ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor. Folgende Fälle
werden diskutiert:71
69
70
71
Substantielle Äquivalenz (substantial equivalence) meint die methodisch gesicherte Übertragbarkeit von
Untersuchungsergebnissen auf Wirkungsannahmen bei anderen, aber vergleichbaren Organismen und Kontexten. Vgl. dazu Hammes 1999, 48f.
Rosenberger 2001, 81 unter Berufung auf Dokumente der WHO von 1991. Die WHO konzentriert sich
inzwischen hauptsächlich auf mögliche Allergenwirkungen: Codex Alimentarius: The Codex Commission
agreed in principle that the safety of food derived from genetically modified organisms (GMO) should be
tested and approved by governments prior to entering the market. In particular, GMO foods should be tested
for their potential to cause allergic reactions. (Pressemitteilung auf der WHO-Website www.who.int/...vom 6.
7. 2001). Grundsätzlich sollten bei der Sortenzulassung solche Tests mit eingeführt werden.
Zur Sicherheit von gentechnisch veränderten Lebensmitteln: Spök, A. et al. (2002): Toxikologie und Allergologie von GVO-Produkten. Umweltbundesamt Wien, Monographien Band 109. Zur Diskussion um die Umweltwirkungen von Bt-Mais: Obrycki, J.J., Losey, J.E., Taylor, O. & Hesse, L. (2001): Transgenic insecticidal corn: Beyond insecticidal toxicity to ecological complexity. BioScience 51, 353-361 (Überblick zur Bewertung verschiedener Experimente). Hilbeck, A./ Moar, W.J./ Pusztai-Carey, M./ Filippini, A./ Bigler, F.
(1998): Toxicity of Bacillus thuringiensis Cry1Ab toxin to the predator Chrysoperla carnea (Neuroptera:
Chrysopidae). Env. Entomology 27, 1255-1263. (Die Arbeiten von Hilbeck et al. beziehen sich auf die Wirkungen von mit Bt-Mais gefütterten Beutetieren auf die Florfliege. Nach www.biosicherheit.de (Link zu BtMais) soll mit neuen Testmethoden gezeigt worden sein, dass die Florfliegenlarven nicht durch Bt-Toxin,
sondern infolge eines indirekten Effektes geschädigt werden. Vgl. auch www.soilassociation.org: Studie, die
Vogt - GenEthik 24
-
A. Pusztai behauptete am 10. 8. 1998 in einem Fernsehinterview, dass seine Untersuchungen mit transgenen Kartoffeln, die er an Ratten verfüttert hatte, negative Auswirkungen
auf Wachstum, Organentwicklung und Immunsystem gezeigt hätten. Pusztai hatte in Kartoffeln das Lectin des Schneeglöckchens eingeführt. Diese Strategie war entwickelt worden, um Kartoffeln für Kartoffelkäfer ungenießbar zu machen, hat sich aber nie durchgesetzt. Pusztai baute einen unspezifischen Genschalter (Promotor) ein, was dazu führte,
dass das Lectin in allen Geweben der Kartoffel synthetisiert wurde anstatt nur in den Blättern. Eine solche Pflanze hätte die Sortenzulassung nie bekommen. Bei seinen Rattenfütterungs-Experimenten hat er geringfügige Unterschiede in der Größe der verschiedenen
Darmsegmente festgestellt und daraus dann die allgemeine Aussage einer potentiellen Gefährlichkeit grüner Gentechnik konstruiert, was sich möglicherweise aber auch einfach
durch den unterschiedlichen Effekt der Diät je nach Darmabschnitt erklären lässt. In der
Veröffentlichung (The Lancet, 354, 1353-1355) sind weder die einzelnen angeblichen
Schäden noch die Zahl der Ratten, mit denen er in den jeweiligen Varianten gearbeitet
hatte, angegeben. Das Prüfungskomitee des Rowett Reseach Institute (RRI), des Arbeitgebers von Pusztai, hat die Ergebnisse nicht bestätigt und seinen Vertrag nicht verlängert,
wodurch er erst recht bekannt wurde.72
-
Diskutiert werden Schädigungen der Larven des Monarchfalters durch Pollen von BtMais, der sich an Seidenpflanzen anlagert; dies ist einzuschränken auf Bt-176-Mais von
Syngenta, wo sich das Bt relativ stark an den Pollen anlagert; andere Maissorten sind weniger problematisch.73 Auch hier gibt es grundlegende methodische Probleme: Es wurde
gleichfalls kein gewebespezifischer Promotor genommen, so dass auch der Pollen giftig
wurde. Dieser wurde dann exzessiv auf deren Futterpflanze geschmiert, so dass den Raupen gar keine andere Wahl blieb, als diesen zu fressen, um an ihr eigentliches Futter zu
gelangen.
-
Bekannt ist auch die Diskussion um Florfliegen, die nach dem Verzehr von Maiszünslerlarven, die gentechnisch veränderten Mais gefressen haben, verenden. Dabei ist nicht geklärt, in welchem Ausmaß das Bt-Toxin oder die schlechte Qualität der Beute dafür verantwortlich ist.
-
Zur Ablagerung von Bt-Mais im Boden, was die dortigen Organismen schädigen kann,
gibt es bisher keine aussagekräftigen Untersuchungen.74 Dies könnte ein erhebliches Problem sein.
-
Über Bienen, die gentechnisch veränderten Raps, aber auch Bt-Mais aufnehmen, kann die
Nahrungskette des Menschen unmittelbar einbezogen sein.
Festzuhalten bleibt (für einen naturwissenschaftlichen Laien, der diese Diskussion mit ethischem Interesse und sehr begrenzter biologischer Fachkompetenz verfolgt):
1.
Es gibt keine methodisch gesicherten Aussagen über direkte gesundheitliche Schäden
beim Menschen.
2.
Aussagen zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen von GVOs auf Tiere beruhen auf
methodisch oder handwerklich problematischen Voraussetzungen.
72
73
74
sich unter dem Stichwort Nutrition Health Study mit der Sicherheit von Gentech-Lebensmitteln befasst). Für
Hinweise zu dieser Diskussion danke ich Frau M. Mertens, Gentechnikspezialisten beim BUND, sowie Prof.
Dr. A. Hüttermann, Biologe an der Universität Göttingen, Ich habe die Quellen nicht selbst geprüft.
Vgl. www.gensuisse.ch/focus/stellarch/kart_rat.html. Originalstudie: Ewen. S.B. & Pusztai, A. (1999): Effect
of diets containing genetically modified potatoes expressing Galanthus nivalis lectin on rat small intestine.
The Lancet 354, 1353-1355.
Arbeiten, die zur Wirkung von Bt-Toxinen auf den Monarchfalter im Jahr 2001 publiziert wurden, sind unter
www.pnas.org/cgi/doi/10.1073//pnas.171315698 (bzw. ..... 211277798 oder .... 211287498) zu finden.
Vgl. www.biosicherheit.de: Untersuchungen zur Abgabe und Stabilität von Bt-Toxinen im Boden sowie zur
Wirkung von Bt-Toxinen auf heimische Schmetterlinge - z.B. Tagpfauenauge, Kohlmotte, Kohlweißlinge.
Vogt - GenEthik 25
3.
Die Behauptung, es gäbe keine ökologischen und gesundheitlichen Risiken der Grünen
Gentechnik, beruht aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge und der relativ geringen Erfahrungswerte methodisch auf einem verkürzten Begriffsverständnis.
4.
Man muss von hypothetischen Risiken sprechen, die Anlass für weitere Forschung sind
und im Sinne des Vorsorgeprinzips bestimmte Vorsichtsmaßnahmen begründen.
5.
Die populärwissenschaftliche Überzeichnung von Risiken bedient einen Angstdiskurs,
der auch nach dem gegenwärtigen Wissensstand keine angemessene Grundhaltung für
den Umgang mit Grüner Gentechnik ist.
Ein großes Problem des Vertrauens sowie der wissenschaftlichen und politischen Kontrolle
anerkannter Standards im Umgang mit der Grünen Gentechnik sind illegale Einführungen
und/oder das Ausnützen von Gesetzeslücken sowie Unkenntnis und mangelnde Einhaltung
der guten fachlichen Praxis besonders in Entwicklungsländern, so dass in der Praxis mit einer
Anwendung von Grüner Gentechnik jenseits der rechtlichen Regeln gerechnet werden muss.75
3.5 Was kann Grüne Gentechnik zur Lösung der Welternährungsprobleme beitragen?
Der Frage, ob der Einsatz Grüner Gentechnik zur Verbesserung der Welternährung führen
wird, kommt gerade aus der Perspektive christlicher Ethik eine zentrale Bedeutung zu: Denn
die biblische und sozialethische Option für die Armen misst die Gerechtigkeit einer bestimmten Wirtschaftsordnung, Politik, Technik oder Handlung wesentlich an ihrer Wirkung auf die
Situation der Armen (siehe oben Abschnitt 2.4). Auszugehen ist von einer umfassenden Analyse der Ernährungskrisen der Menschheit.
Maßgeblich sind hier die Forschungen des Nobelpreisträgers Amartya Sen, die er unter dem
Titel „Hunger and Powerty“ und „Development as Freedom“ veröffentlicht hat.76 Sen kommt
zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass es weltweit unter den Bedingungen funktionierender
kultureller und demokratischer Kommunikation noch nie größere Hungersnot gegeben hat,
nennt dies „Entwicklung als Freiheit.“77 Hunger war demnach in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts nicht primär ein Mengenproblem, sondern vielmehr Folge mangelnder Kaufkraft
der Armen sowie verfehlter Landwirtschafts- und Verteilungspolitik. Armut wird heute wesentlich durch zerstörte landwirtschaftliche Strukturen verschärft. Gerechtigkeit, Demokratie,
stabile politische und soziale Verhältnisse und kulturelle Faktoren scheinen für die Hungerbekämpfung ebenso maßgeblich zu sein, wie die Frage der Menge von verfügbaren Nahrungsmitteln auf den globalen Märkten.
Das primäre Problem der Armen und Hungernden ist nicht der absolute Mangel an Nahrungsmitteln, sondern Korruption, fehlende Kaufkraft, instabile politische Verhältnisse sowie
kulturelle Entwurzelung durch Kriege und Arbeitslosigkeit. Der Beitrag Grüner Gentechnik
75
Vgl. zum folgenden: Greenpeace: Die Gefahren der Genpflanzen. Unkontrollierte Ausbreitung, ungeplante
Nebenwirkungen Hintergrundpapier vom November 2003 www.greenpeace.org.uk/.. .Genannt werden: GenMais der Firma Prodigene in Texas, 2001, der wohl aus Nachlässigkeit nach der Ernte mit Soja vermischt
wurde, so dass 62 ha Gen-Mais vernichtet werden mussten, um unkontrollierte Ausbreitung zu vermeiden.
(vgl. The Washington Post, Justin Gillis: Soybeans Mixed With Altered Corns, 13. 11. 2002); StraLinkMais,
der eigentlich nur für Tierfutter zugelassen ist, sich jedoch auch in Mais für menschliche Nahrung fand
(Greenpeace beruft sich hier auf einen Reuter-Bericht vom 18. 3. 2001); Ausbreitung von Gen-Mais in Mexiko, wo die Kontrolle besonders schwer ist, weil Mais dort gut in die vielen Wildsorten auskreuzen kann;
Ausbreitung von gv Raps in Kanada, wo dessen Wildwuchs große Probleme bereite. In England seien mindestens an 14 Orten illegale Rapssorten gepflanzt worden. In Deutschland hat Greenpeace 2001 in Niedersachsen und 2002 in Hessen illegalen Mais-Anbau aufgespürt, der dann vernichtet werden musste.
76
Zu einer deutschen Zusammenfassung der Ergebnisse vgl. Sen, A.: Ökonomie für den Menschen. Wege zu
Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, München/Wien 2000 (Original: Development as Freedom, New York 1999).
Sen 2000, 13-23 und 196 - 229
77
Vogt - GenEthik 26
zur Hungerbekämpfung ist wesentlich daran zu messen, ob er zur Überwindung oder zur Verstärkung dieser Strukturen beiträgt. Das bedeutet auch, dass die traditionellen Anbaumethoden und Zuchtrechte kleinbäuerlicher Strukturen unter Umständen aufgrund ihrer sozialen
Funktion auch dann vorzuziehen sind, wenn ihr Ertrag geringer ist. Jedenfalls ist ihre Bedeutung für die Grund- und Krisensicherung der Bevölkerung sowie für kulturelle Zusammenhänge mit in den Blick zu nehmen. Gerade angesichts von Korruption sowie politischen, sozialen und ökologischen Krisen in Entwicklungsländern können diese Aspekte traditioneller
Landwirtschaft nicht durch hochtechnisierte, meist marktabhängige Produkte kompensiert
werden kann.78 Technik braucht den Rahmen der Kultur und Gerechtigkeit, um segensreich
für Mensch und Schöpfung wirken zu können.
Mit dem Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen sind viele Vorteile verbunden, die zu dem
Ziel einer ausreichenden und qualitativ hochwertigen Ernährung der Weltbevölkerung beitragen können. Dabei ist jedoch immer zu berücksichtigen, dass die Ernährungskrisen der
Menschheit weniger das Resultat mangelnder Nahrungsmittel als vielmehr Folge verfehlter
Landwirtschafts- und Verteilungspolitik sind oder sich zwangsweise als Konsequenz der
mangelnden Kaufkraft, also der weltweiten Armut ergeben. Daran werden auch verbesserte
gentechnische Verfahren und Produkte wenig ändern. Die meisten der heute vorgenommenen
gentechnischen Modifikationen im Pflanzenbereich dienen überwiegend den Interessen der
Hersteller, der Händler und der Agrarindustrie, während die von den Befürwortern beschworene Verbesserung der Welternährungslage von manchen als „uneingelöstes Versprechen“
charakterisiert wird.79
„Ernährungssicherheit ist primär keine (agrar-)technische, sondern eine soziale Frage.“80 Wer
verspricht, die Frage des Welthungers allein durch Technik lösen zu können und mit der Grünen Gentechnik einen quasi religiösen Heilsanspruch der Hungerüberwindung verknüpft,
macht die Technik zur Ideologie. Auch die führenden Gentechnikfirmen, wie z.B. Monsanto
sind inzwischen viel zurückhaltender mit diesem Argument geworden, schon deshalb, weil sie
auf zahlungsfähige Kunden angewiesen sind, und die ganz armen daher marktwirtschaftlich
gesehen kaum ein relevante Zielgruppe sein können. Erst unter der Voraussetzung fairer
Weltmarktstrukturen und einer nachhaltigen Ausrichtung der Weltagrarpolitik gibt es eine
echte Chance, dass der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft wirklich den Armen
zugute kommt. Die äußerst harten Methoden von Monsanto ihre Patentrechte einzuklagen,
Bauern vor Gericht zu zerren und nicht selten in den Ruin zu treiben81, lässt große Zweifel
daran aufkommen, wie sehr der Nutzen für die arme ländliche Bevölkerung im Blick und Interesse der führenden Akteure für Grüne Gentechnik ist.
Damit zeigt sich, dass die Frage nach dem Einsatz der Grünen Gentechnik nicht allein unter
Berücksichtigung biologischer Gesichtspunkte geklärt werden kann, sondern nicht minder
soziale Aspekte und auch Gerechtigkeitsfragen (in globalem Ausmaß) zu bedenken sind. So
spielen etwa Zulassung und Anbau von GVOs eine große Rolle bei der Gewährung von Ent78
79
80
81
Zur Diskussion dieser vielschichtigen Zusammenhänge vgl. Sen, A.: Ökonomie für den Menschen (a.a.O.)
sowie Umweltbundesamt (Hrsg.) (1996): Gentechnik in Entwicklungsländern – Ein Überblick: Landwirtschaft, Berlin.
Vgl. die kritische Bilanz des FAO-Berichtes, Dimensions of Need von 1995, dem sich der Päpstliche Rat Cor
Unum, Der Hunger in der Welt (deutsch hrsg. von der DBK, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 128,
Bonn 1996), anschließt (zitiert nach Rosenberger 2001, 73).
Rosenberger 2001, 80. Er fährt fort: „Eine faire und gerechte Weltwirtschaftspolitik zu finden gehört daher
zu den großen Aufgaben der nächsten Jahrzehnte. Erst dann können einzelne gentechnische Entwicklungen
den Entwicklungsländern zum Vorteil gereichen.“ (ebd. 80f). Vgl. dazu auch Höffe, O. (1991): Moral als
Preis der Moderne, Frankfurt a.M. , 91f: Höffe kritisiert das Versprechen des „Endsiegs über den Hunger“,
das den Blick von jenen Problemen ablenke, deren Lösung den Hunger in der Welt tatsächlich beseitigen
könnte: die Veränderung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen.
Nach Angaben des „Center for Food Safety“ hat Monsanto bisher 147 Farmer vor Gericht gebracht und
insgesamt 15 Mio. Dollar von ihnen erstritten. Der Einsatz von Privatdetektiven und Drohungen im rechtlich
unklaren Raum belastet den sozialen Frieden; vgl. www.centerforfoodsavety.org/monsantoversusfarmersreport.cfm oder (zusammengefasst): www.abl-ev.de/gentechnik (Bericht vom 9.2. 2005).
Vogt - GenEthik 27
wicklungshilfe und bei den Verhandlungen über eine Liberalisierung des Welthandels mit
Agrarerzeugnissen, wovon insbesondere Entwicklungsländer, die durch die gegenwärtigen
Bedingungen im Welthandel deutlich benachteiligt werden, profitieren sollen. Beispielsweise
üben derzeit die USA einen enormen Druck auf Sambia aus, gentechnisch veränderte Organismen zuzulassen. Dies könnte jedoch zu der für das Land verheerenden Folge führen, dass
europäische Staaten sämtliche Agrarimporte aus diesem Land, die mit GVOs in Berührung
gekommen sein könnten, abweisen.
Der großflächige Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft dient meist der Exportorientierung. Er drängt teilweise über Jahrhunderte gewachsene Kulturen und Traditionen, die dem
jeweiligen Anbaugebiet angepasst sind und einer von sozialen und wirtschaftlichen Krisen
relativ unabhängigen Eigenversorgung der ärmeren ländlichen Bevölkerung dienen, zurück.
Der Konflikt der Einführung Grüner Gentechnik mit diesen Strukturen, die für Hungerbekämpfung eine wesentliche Bedeutung haben, ist nicht zwangsläufig; aber der Konflikt ist
wahrscheinlich und es muss bei der Einführung Grüner Gentechnik, die sich gegenwärtig gerade bei Kleinbauern in Entwicklungsländern rasant ausbreitet, bedacht werden.
Soll die Steigerung von Ernteerträgen, die größere Resistenz der Anbaupflanzen gegen Schädlinge, Trockenheiten oder Witterungsextreme wirklich der Hungerbekämpfung dienen, darf
die Abhängigkeit der Kleinbauern von Patentrechten der Firmen, von instabilen Exportmärkten nicht zu groß sein. Der mit der Einführung Grüner Gentechnik einhergehende Wandel von
Sozialstrukturen und kulturellen Gepflogenheiten darf nicht zur völligen Verdrängung kleinbäuerlicher Strukturen durch Großbetriebe oder dem Zusammenbrechen des gewachsenen
dörflichen Zusammenhalts führen.82 Wenn Grüne Gentechnik verstärkt auf die Bedürfnisse
der Armen, d.h. wesentlich auf die bessere Anpassung ihrer Sorten an die jeweiligen regionalen Bedingungen und deren mögliche Veränderung durch Klimawandel ausgerichtet würde,
ihre Einführung unter Schutz des sozialen und kulturellen Umfeldes stattfände, die Verknüpfung Grüner Gentechnik mit der Abhängigkeit von teuren Patentrechten und schwankenden
Exportmärkten deutlich reduziert würde, dann könnte sie einen wesentlichen Beitrag zur
Hungerbekämpfung bieten. Soll Grüne Gentechnik dem Wohl der Armen dienen, setzt sie –
wie jede komplexe Technik – ein hohes Maß an Verantwortung und Mündigkeit voraus.
3.6 Wie wirkt sich Grüne Gentechnik auf die Biodiversität aus?
Im Blick auf den ethischen Maßstab der Schöpfungsverantwortung und der Nachhaltigkeit ist
eine zentrale Anfrage an die Grüne Gentechnik, ob der massive Einsatz von GVOs die Biodiversität und genetische Ressourcen reduziere und regional angepasste Kultursorten verdränge.
Im Blick auf die Auskreuzung durch horizontalen Gentransfer ist diese Frage bereits oben
(Abschnitt 3.3) diskutiert - mit dem Ergebnis, dass dieses Risiko ernst zu nehmen ist, zugleich
aber einigermaßen begrenzt scheint, insofern GVOs auf kulturspezifische Funktionen hin optimiert sind und daher in freier Wildnis bzw. Kulturlandschaft keine überdurchschnittlich hohen Ausbreitungschancen haben dürften.
Ein zweiter Aspekt ist die Frage, ob Grüne Gentechnik hinsichtlich der Kultursorten zu einer
Reduktion der Biodiversität führt. Im Rahmen der Grünen Revolution vernachlässigen Kleinbauern nicht selten den eigenen Anbau auf ihren kargen Feldern, weil die Hochleistungssorten
dort nicht wachsen. Dadurch geraten auch die traditionellen Sorten in Vergessenheit. Infolge
dessen wird die eigene Ernährung auf preiswerte Produkte wie weißen, geschälten Reis und
82
So verweisen nicht nur die Hilfswerke Missio und Misereor, sondern auch der Welternährungsgipfel von
Rom 2002 eindringlich auf das Risiko hin, dass die lokale Wirtschaft mit ihren gewachsenen kleinbäuerlichen Strukturen in den Entwicklungsländern in neue Abhängigkeiten gerät, lokale Märkte zerstört und angepasste Kultursorten verdrängt werden. Vgl. Misereor: Wem gehört die Welt? Werkmappe zur Fastenaktion
2003, Aachen 2003; FAO: Declaration of the World Food Summit five years later..., Rome 2002; Herrmann,
B.: Das Recht auf Ernährung am Beispiel Malis, Münster 2003.
Vogt - GenEthik 28
Weizenmehl umgestellt. Krankheitsanfälligkeit und Mangelernährung sind vielfach die Folge.
Wenn der Einsatz grüner Gentechnik auf Kosten des traditionellen Wissens und dessen Pflege
und Tradierung geht, ist das Versprechen, dadurch die landwirtschaftlichen Probleme der
Entwicklungsländer zu lösen, höchst unsicher.
Die Forschung und der Einsatz Grüner Gentechnik sollte sensibel anknüpfen an die oft ökologisch und ernährungsphysiologisch wertvollen, von den Bauern und Bäuerinnen selbst entwickelten Getreide- und Gemüsesorten, die über Jahrhunderte an die schwierigen Anbaubedingungen und an kulturelle Kontexte angepasst sind. Mischanbausysteme und eine Verbesserung des Bodens mit natürlichem Dünger aus Mist, Stroh und Kompost sind in der Regel weniger krisenanfällig als exportoptimierte Monokulturen. Durch geschickte Bewirtschaftung
sind oft auch auf kleiner Fläche gute Erträge möglich, die eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung sichern.83 Sie sind in der Regel arbeitsintensiver, was jedoch – da Arbeit auch
in vielen Entwicklungsländern eines der knappsten Güter ist – einen wichtigen sozialen Vorteil darstellt. All dies spricht nicht prinzipiell gegen die Gentechnik, wohl aber gegen ihre
ungeregelte Verbreitung.
Grüne Gentechnik bedingt keinen Zwang zur Monofunktionalisierung. Die ethische Frage ist
hier, ob und wieweit die in der gegenwärtigen Form der Globalisierung dominierende Marktlogik, die eher eine Einengung auf einige wenige weltweit einsatzfähige Nutzpflanzen als eine
Differenzierung nach kleinräumigen Anforderungen erwarten lässt, mit in die Bewertung einbezogen werden soll und welche Rolle die Gentechnik in diesem Kontext spielt und spielen
wird. In einer sozialethisch erweiterten Technikfolgenabschätzung für die Grüne Gentechnik
ist das Problem der Verstärkung von Monopolstrukturen erheblich.84
4. Demokratische Legitimation und die Grammatik der Akzeptanz
4.1 Einstellungen zur Grünen Gentechnik in der Bevölkerung
Die Debatte um Grüne Gentechnik ist Teil einer Strukturveränderung des ethisches Diskurses
um Technikverantwortung: Ihre Folgen lassen sich nur teilweise und mühsam auf die unmittelbar Beteiligten eingrenzen. Letztlich müssen alle mit den Folgen der Entscheidung für eine
Nutzung, einen Nutzungs- und Forschungsverzicht oder eine begrenzte Nutzung leben. Die
Vor- und Nachteile, Risiken, Innovationspotentiale und sozialen Kontexte sind so komplex,
heterogen oder langfristig, dass eine methodisch gesicherte oder gar rein naturwissenschaftliche Folgenabschätzung schon im Keim versagt. Ob sie zur Schlüsseltechnologie oder zum
Fluch des 21. Jahrhunderts wird, hängt nicht zuletzt von der Einstellung der Bevölkerung und
ihrer Bereitschaft und Fähigkeit ab, einen Gestaltungsrahmen zu definieren, global abzustimmen und wirksam zu kontrollieren. Ohne eine breit in der Bevölkerung verankerte Akzeptanz
und Grundkenntnis steht die Grüne Gentechnik unter einem schlechten Stern. Deshalb ist die
Reflexion auf die Einstellungen in der Bevölkerung ein wesentlicher Teil der ethischen Reflexion.
83
84
Vgl. Kordecki, G: Es geht auch ohne Golden Rice! Indische Bauern kehren zu traditioneller Landwirtschaft
zurück, in: FORUM 69 (a.a.O.), 49-52. Kordecki beruft sich vor allem auf Erfahrungen der „Deccan Development Society“ (DDS) im indischen Andra Pradesh.
Der entscheidende Faktor für die Bewertung der Grünen Gentechnik in ihrem Beitrag zur Überwindung von
Ernährungskrisen in Entwicklungsländern ist die Frage, ob und wie eine sozialethisch erweiterte Technikfolgenabschätzung durchgeführt wird. Wenn man diese als nachgeordnete Problemebene einordnet und zunächst außen vor lässt wie z.B. die ansonsten sehr gründliche Studie von Irrgang u.a., kommt es zu einer
weitgehend positiven Einschätzung, legt man den Akzent auf soziale Zusammenhänge, wie z.B. die Misereor-Studien, kommt es zu einer negativen Einschätzung. Vgl. exemplarisch: Irrgang, B./Göttfert, M./Kunz, M.
u.a.: Gentechnik in der Pflanzenzucht. Eine interdisziplinäre Studie, Detttelbach 2000); Nilles, B.: Patente
auf Leben – ein Risiko für Ernährung und biologische Vielfalt, in: Misereor: Wem gehört die Welt? Werkmappe zur Fastenaktion 2003, Aachen 2003, 51-58.
Vogt - GenEthik 29
Umfrageergebnisse zeigen deutlich, dass gentechnische Anwendungen dann am ehesten akzeptiert werden, wenn sie mit Zielen verbunden sind, die von der Bevölkerung als wünschenswert oder sozial nutzbringend angesehen werden.85 Dies ist zum Beispiel bei medizinischen und pharmazeutischen Anwendungen der Fall, wo Gentechnik zur Erreichung des universellen Ziels „Gesundheit“ eingesetzt wird. Die gentechnische Herstellung von Insulin, ohne die die Behandlung der Zuckerkrankheit heute kaum denkbar wäre, bietet keinen Anlass
für medizinethische Diskussionen.
Im Gegensatz dazu fällt die Akzeptanz der Gentechnik bei der Agrarproduktion weitaus kritischer aus. Bemerkenswert ist allerdings eine Divergenz zwischen dem informierenden und
dem informierten Teil der Bevölkerung. In Untersuchungen über Wissenschaftsjournalismus,
Risikokommunikation und Nachrichtenselektion zeigte Scherer, dass die Grundeinstellung
gegenüber der Gentechnik bei den darüber berichtenden Journalisten insgesamt eher positiv
ist.86
Die deutliche Ablehnung gentechnischer Verfahren in der Nahrungsmittelproduktion dokumentiert eine Repräsentativbefragung der GFK-Marktforschung, die im Frühjahr 1999 in
Deutschland durchgeführt wurde.87 Danach lehnen 76,1 % der Befragten die Entwicklung und
Einführung gentechnisch veränderter Lebensmittel ab. Noch höher ist der Anteil derer, die
keine gentechnisch veränderten Lebensmittel kaufen wollen. Als Gründe für die Ablehnung
werden vor allem gesundheitliche Risiken und die Unkontrollierbarkeit der Risiken der Gentechnik genannt. Immerhin 95 % der Befragten sprachen sich explizit für eine generelle
Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel aus. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kamen zuvor schon die Bürgerforen in Baden-Württemberg, die von der Akademie für Technikfolgenabschätzung im Jahre 1996 landesweit durchgeführt wurden, sowie
Untersuchungen in Großbritannien und den USA.
Fragt man nach den Ursachen für diese deutliche Ablehnung, dann spielt die fehlende Nutzenwahrnehmung eine größere Rolle als die Risikobewertung durch die Befragten.88 Eine
Untersuchung mit Fokusgruppen in sechs EU-Ländern (Deutschland, Frankreich, Italien,
Spanien, Großbritannien und Dänemark) im Zeitraum 1999/2000 kam zu dem Schluss, dass
für die meisten Konsumenten der Nutzen gentechnisch veränderter Lebensmittel entweder
nicht erkennbar war oder ihres Erachtens nur einer kleinen Interessengruppe zugute komme.
Aus den Auswertungen der Fokus-Gruppen, in denen offen die Ängste, Befürchtungen, aber
auch Hoffnungen und Visionen der Teilnehmer angesprochen wurden, schälte sich eine Erkenntnis klar heraus: Je mehr die Menschen die gentechnischen Veränderungen als ein Zeichen einer anonymen Bedrohung ihrer selbstbestimmten Lebenswelt erleben, desto ablehnender stehen sie dem Vormarsch der Gentechnik im Nahrungsbereich gegenüber.
In der Wahrnehmung der Bevölkerung mag die Gentechnik gleichsam als Kulminationspunkt
der Abneigung gegen eine hochtechnisierte, hochchemisierte Landwirtschaft dienen, mit der
„Turbokühe“, „Hormonkälber“ und „BSE-Rinder“ assoziiert werden und bei der einseitige
ökonomische Verwertungsinteressen gegen die Interessen der Konsumenten und der Umwelt
stünden. Die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel reflektiert das Misstrauen in die großtechnische Lebensmittelproduktion. Wenn ver-
85
86
87
88
Vgl. zum Folgenden: Hampel, J./ Renn, O. (1999): Gentechnik in der Öffentlichkeit. Wahrnehmung und
Bewertung einer umstrittenen Technologie. Frankfurt/M. und New York; Renn, O./ Hampel, J.(2001): Gentechnik, öffentliche Meinung und Ethik, in: M. Weber und P. Hoyningen-Huene (Hrsg.): Ethische Probleme
in den Biowissenschaften, Heidelberg, 133-146.
Scherer, H.: Gentechnik in den Medien, in: Hausmanninger (s.o.), 161-172.
Zitiert nach: Kommission VI der DBK, Information zur Grünen Gentechnik (unveröffentlicht).
So Ortwin Renn in der Auswertung der Studien. Vgl. Renn/ Hampel 2001 (a.a.O.), 133-146. Vgl. auch Vorholz, F.: Gentechnik ohne Nutzen, in: Die Zeit vom 24. 6. 2004, S. 22 (Wirtschaft).
Vogt - GenEthik 30
sucht werden sollte, Gentechnik durch die „Hintertür” ohne breiten Dialog einzuführen, ist
mit erheblichen Irritationen der Öffentlichkeit zu rechnen.89
Vor diesem Hintergrund ist der EU-Beschluss, nach dem die Zulassungs- und Kennzeichnungsbestimmungen dann nicht gelten, wenn zufällige und technisch unvermeidliche Beimischungen gentechnisch veränderter Organismen den Schwellenwert von 0,9 Prozent unterschreiten, problematisch. Insofern die Verbraucher danach nur noch entscheiden können, ob
sie mehr oder weniger gentechnisch veränderte Produkte kaufen wollen, bedeutet dies einen
Eingriff in die Verbraucherautonomie. Wie Konsumenten sich bei Transparenz entscheiden,
zeigen Beispiele aus Frankreich und England, wo bereits gentechnisch veränderte Lebensmittel aus den Regalen der Geschäfte zurückgezogen wurden, weil sie nicht verkaufbar waren.
Auch bei den Bauern in Deutschland zeichnet sich eine Ablehnung gentechnischer Veränderungen ab: 70 % der Landwirte wollen kein gentechnisch verändertes Saatgut anbauen.90
Im Rahmen sozialer Bewegungen ist inzwischen die Gentechnik als Mobilisierungsgrund fest
verankert. Im Kampf gegen die „Kolonisierung der Lebenswelt“ betonen die gesellschaftlichen Protestbewegungen gegen Gentechnik die Notwendigkeit der Besinnung und des zumindest vorübergehenden Ausstiegs. Die Angst, nur noch Objekt rein an Effizienz und Gewinn
orientierten Wirtschaftens zu sein, äußert sich in der bewussten Abkehr von industriellen Fertigungsweisen und zweckrationalem Verwaltungshandeln.
Innerhalb dieses Spannungsverhältnisses von Technisierung und ihren Gegenbewegungen
gewinnt die Gentechnologie ein besonderes Gewicht als Symbol für eine rücksichtslose und
rein profitorientierte Technologieentwicklung. In der Debatte um Risiken und Probleme der
Gentechnik gerät jedoch der Umstand allzu häufig in Vergessenheit, dass die Einstellungen
zur Gentechnik weniger von den befürchteten Risiken oder erhofften Chancen beeinflusst
werden als durch die grundlegende Fragestellung, ob ein weiteres Voranschreiten in Richtung
auf Effizienz, Naturverwertung und Funktionalität wünschenswert sei.
Das Abstimmungsverhalten bei Umfragen passt wenig zum Abstimmungsergebnis mit den
Füßen beim Einkauf: Industriell durchgestyltes Convenience-Food ist hochbegehrt. Die
Mehrheit will einerseits vor den Risiken verschont bleiben und äußert dies durch entsprechende Aussagen bei Umfragen und Postulaten an die Politik, will aber andererseits gleichzeitig die Vorteile haben, was sich beim Kaufverhalten zeigt. Die Diskrepanz zwischen Umfrage-Antworten und Alltagsverhalten sowie ein großes Maß an Widersprüchlichkeit des im Risikoverhaltens, das zwischen extremen Sicherheitsbedürfnissen einerseits und leichtfertiger
Lust an Risiken andererseits schwankt, findet sich auch in zahlreichen anderen Handlungsfeldern.91
Zuletzt sei auf die Stimmung bei den deutschen Bauern eingegangen: Viele Bäuerinnen und
Bauern, konventionelle wie ökologische, sind davon überzeugt, dass eine Koexistenz nicht
möglich ist. Sie wollen keine GVO anbauen und wehren sich dadurch, dass sie sich freiwillig
zu gentechnikfreien Zonen zusammenfinden.92 So hat sich beispielsweise der Präsident des
Deutschen Bauernbundes Kurt-Henning Klamroth in einem offenen Brief an die Bischöfe der
ostdeutschen Landeskirchen bei den Kirchen „für ihr aufrichtiges Engagement gegen den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen bedankt“.93 Präsident Klamroth beruft sich darauf,
89
90
91
92
93
Vgl. Kommission VI der DBK, Information zur Grünen Gentechnik (unveröffentlicht).
Umfrage des Wickert-Instituts in Hildesheim Sommer 2002, vgl. W. Hoffmann, Gentechnik in Lebensmitteln, in: Grüne Gentechnik. Kirchliches Umweltmagazin Forum 69 (3/2003), hrsg. von der Ev. Kirche im
Rheinland u.a., Düsseldorf u.a. 2003, 33f.
Vgl. Renn, O./ Klinke, A.: Risikoabschätzung und -bewertung. Ein neues Konzept zum Umgang mit Komplexität, Unsicherheit und Ambiguität, in: Fortschritt und Risiko in der Bioethik am Beispiel der Embryonenforschung, in: J. Beaufort/ E. Gumpert / M. Vogt (Hrsg.): Fortschritt und Risiko. Zur Dialektik der Verantwortung in (post-)moderner Gesellschaft, Dettelbach 2003, 21-51.
Vgl. Gentechnik in der Landwirtschaft – Entschließungsvorlage für den Diözesanrat in der Erzdiözese Freiburg 3/04.
Brief vom 28. 5. 2004 (zitiert nach: www.agrar.de).
Vogt - GenEthik 31
dass die „weitüberwiegende Anzahl der Bauern den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen ablehnen.“ Neben ethisch-moralischen Gründen seien dafür „vor allem wirtschaftliche
und rechtliche zurzeit überhaupt nicht kalkulierbare Risiken“ ausschlaggebend. Nach Auffassung des Deutschen Bauernbundes solle die Einführung zwar vorrangig dem Ziel der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen dienen, verkenne aber, „dass die Initiative der Agrarindustriekonzerne vermutlich darauf abzielt, neue Absatzmärkte für gentechnisch verändertes Saatgut,
das mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dann auch wieder in den USA produziert wird, zu
schaffen.“ Damit würde auch dieser Zweig der Landwirtschaft in eine kolossale Abhängigkeit
geraten.
Ausschlaggebend für die inzwischen weitgehend kritische Haltung der Bauern gegenüber der
Einführung und Verbreitung Grüner Gentechnik ist vor allem die Abwälzung der Risiken auf
die Anwender. Auch durch die großflächige Aussaat von genetisch verändertem Mais als sogenannten Erprobungsanbau im Jahr 2004 in Sachsen-Anhalt wurden die Bauern unnötig
stark belastet: Er fand ohne ausreichende Information der Öffentlichkeit statt, was die demokratische Legitimation in Frage stellt und zu der vorhersehbaren Konsequenz führte, dass der
Konflikt auf dem Rücken der Bauern ausgetragen wurde. Dies sollte in Zukunft vermieden
werden.
Die überwiegend kritische Einstellung gegenüber der Grünen Gentechnik unter den deutschen
Landwirten und Verbrauchern ist vor allem Ausdruck des verlorenen Vertrauens. Dieser Vertrauensverlust wurde nicht allein von Fragen der Gentechnik ausgelöst, sondern ist in dem
größeren Kontext der Diskussion um die Agrarpolitik insgesamt zu sehen, deren Orientierungslosigkeit in vielen Fragen auf das Misstrauen gegenüber der Gentechnik zurückwirkt.
Dem lässt sich nur dadurch begegnen, dass die Diskussion um Grüne Gentechnik nicht allein
als Diskurs über Risiken geführt wird, sondern in den Zusammenhang der Ziele und Werte
der Agrarpolitik gestellt werden sollte. Gerade hierzu haben die Kirchen in den letzten Jahren
vielfältige Beiträge geliefert.
4.2 Öffentliche Stellungnahmen kirchlicher Gruppen zur Grünen Gentechnik
Die Diskussion um die Chancen und Risiken der Gentechnik wird in den Kirchen seit geraumer Zeit intensiv geführt. Sie ist ein Spiegel der allgemeinen gesellschaftlichen Debatte, wobei Fragen der Schöpfungsverantwortung/Ökologie, der Gerechtigkeit sowie der Rolle der
Gentechnik für die zukünftige Landwirtschaft und ländliche Entwicklung besonders akzentuiert werden. Überwiegend kritische Stellungnahmen finden sich vor allem bei den ländlichen
Verbänden; in der akademischen Theologie halten sich positive und negative Wertungen in
etwa die Waage.
Folgende Stellungnahmen sind von besonderer Bedeutung (zu einzelnen Texten vgl auch Anhang):
katholisch
-
Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen (VI) der Deutschen Bischofskonferenz: Überlegungen zur Verantwortbarkeit gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft (Entwurf 22. April 2004, noch nicht veröffentlicht). Hintergrund dieser Stellungnahme ist eine interne Information, die von der Ökologischen Arbeitsgruppe dieser Kommission zur Information der Bischöfe verfasst wurde
-
Kongress zur Grünen Gentechnik im Vatikan (10./11. November 2003) und verschiedenen
Äußerungen von Kardinal Martino, Päpstlicher Rat Justitia et Pax; Abschnitt zur Biotechnologie im Kompendium katholischer Soziallehre, das im Oktober 2004 erschienen ist.
-
Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe zum Entwurf des Gesetztes zur
Neuordnung des Gentechnikrechts (11. Juni 2004).
Vogt - GenEthik 32
-
Reflexion zur Grünen Gentechnik in der Erklärung des Zentralkomitees der Katholiken
„Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden. Plädoyer für eine nachhaltige Landwirtschaft“ (Nov. 2003), Seite 29-34; eine daran anschließende Stellungnahme des Zentralkomitees aus Anlass der aktuellen Gesetzgebung wurde am 25.3.2004 unter
dem Titel „Freigabe transgener Pflanzen möglichst zurückhaltend handhaben“ veröffentlicht (Bericht vom Generalsekretär S. Vesper über Äußerungen der umweltpolitischen
Sprecherin des ZdK C. Nickels); eine weiterführende Diskussion dazu fand u.a. beim Katholikentag in Ulm im Juni 2004 statt).
-
Verschiedene Stellungnahmen von Diözesanräten und Katholischen Verbänden zu Fragen
der Gentechnik (z.B. Diözesanrat Freiburg: Gentechnik in der Landwirtschaft, März 2004;
Verband des Katholischen Landvolks der Diözese Rottenburg-Stuttgart: Resolution zur
Grünen Gentechnik vom 16.5.2004; Landvolk des Bistums Hildesheim: Gentechnik in der
Pflanzenzucht. Chancen und Risiken und die ethische Beurteilung (Studientag am 29. 1.
1994, Dokumentation von 76 Seiten); Positionspapier von KLJB, KLFB und KLB (1999):
Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung, Freiburg/ Münstertal 1999
(www.landpastoral.de); Pressemitteilung des Diözesanrates Augsburg vom 25. 5. 2004:
„Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ablehnen!“).
-
Chrétiens dans le Monde Rural (CMR) Frankreich/KLB Deutschland; Ländliche Gilden
Belgien/ Landfrauenverband Belgien/ KLB Freiburg/ KLB Köln/ KLB RottenburgStuttgart/ Katholische Landvolkshochhschule Ägidius Schneider: Nahrung für alle. Gentechnik – greifbare Hoffnung oder gewinnbringende Illusion? 5. Europäischer Begegnungstag vom 14.-17. 11. 2001 (Dokumentation der Tagung in Bad Honnef von 61 Seiten).
-
CIDSE Internationale Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Solidarität: Patente auf
Leben und die Bedeutung der Ernährungssicherheit - eine christliche und entwicklungspolitische Perspektive. Deutsche Ausgabe hrsg. von Misereor (Misereor: Wem gehört die
Welt? Werkmappe zur Fastenaktion 2003, Aachen 2003 - dort insbesondere: B. Nilles. Patente auf Leben – ein Risiko für Ernährung und biologische Vielfalt, 51-58); aktuelle Fortschreibung der Stellungnahmen: www.patenteaufleben.de.
-
Promotiae Iustitiae 79 (3/ 2003): Debate about Genetically modified organisms (GOM)
(Internationales Nachrichtenblatt des Sozialapostolats der Jesuiten, Themenheft zur Grünen Gentechnik mit zehn Stellungnahmen, zum Teil vor dem Hintergrund eigener Projekte, unterschiedliche Standpunkte, 27 Seiten Debatte, erscheint in Rom auf englisch, italienisch, französisch und spanisch)
-
Niemirowicz, K.: Genetische Modifikation in der Landwirtschaft – Pro und Contra, Referat zum Internationalen Symposion der Polnischen und Österreichnischen Bischofskonferenz, Landwirtschaft - ländlicher Raum (Warschau 13.-16.5.2004; (www.warszawa.ak.
org.pl)
ökumenisch
-
Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der evangelischen Kirchen in Deutschland
(AGU)/ Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der deutschen Diözesen/ Ausschuss
für den Dienst auf dem Lande in der Evangelischen Kirche in Deutschland (ADL)/ Katholische Landvolkbewegung (KLB): Ungelöste Fragen – Uneingelöste Versprechen. 10 Argumente gegen die Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen in Landwirtschaft und
Ernährung, Güstrow 7.10.2003.
-
Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Neuorientierung für ein nachhaltige Landwirtschaft. Ein Diskussionsbeitrag zur Lage der Landwirtschaft, mit einem Wort des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in
Vogt - GenEthik 33
Deutschland, Hannover/Bonn („Gemeinsame Texte 18“, in Nr. 10 kurzer Abschnitt zur
Grünen Gentechnik, wichtiger ist hier jedoch der Zusammenhang zu grundlegenden Perspektiven für die Entwicklung und Zukunft der Landwirtschaft).
-
Gudrun Kordecki/ Christina Drepper Gentechnik in Landwirtschaft und Ernährung, in:
Clearingstelle Kirche und Umwelt u.a. (Hrsg.): „...es soll nicht aufhören Saat und Ernte“
(Gen 8, 32). Ein Praxisbuch zum Mehr-Wert nachhaltiger Landwirtschaft, München 2004.
G. Kordecki arbeitet seit vielen Jahren am Institut für Kirche und Gesellschaft, Iserlohn,
zur Grünen Gentechnik und ist die maßgebliche Autorin zahlreicher Stellungnahmen von
evangelischer Seite. Christina Drepper ist Umweltbeauftragte des Bistums Essen und arbeitet am Dezernat für gesellschaftliche und weltkirchliche Aufgaben. Die Darstellung
zielt auf Grundinformation und ethische Diskussion für die kirchliche Bildungsarbeit.
-
Clearingstelle Kirche und Umwelt: Dokumentation der Tagungen „Kirchliche Beiträge zu
einer nachhaltigen Landwirtschaft mit Forum zur Grünen Gentechnik im März 2004 in
Osnabrück (Tagung auf Einladung der Clearingstelle Kirche und Umwelt in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und zehn kirchlichen Verbänden bzw.
Arbeitsgemeinschaften (in Vorbereitung).
evangelisch
-
EKD: Einverständnis mit der Schöpfung. Ein Beitrag zur ethischen Urteilsbildung im
Blick auf die Gentechnik, Gütersloh 2. Auflage 1997 (grundlegende und umfassende Reflexion, in der die Linie späterer Stellungnahmen definiert wird).
-
Forum Umwelt und Entwicklung/Evangelischer Entwicklungsdienst (Hrsg.): Die Bedeutung der aktuellen Gentechnikdebatte in der europäischen Union für den Süden, Bonn April 2004 (68 Seiten, im Internet unter www.eed.de).
-
Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der Gliedkirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (AGU): Gentechnik (Reihe: Bewahrung der Schöpfung praktisch), 2.
Auflage Iserlohn 2000 (54 Seiten).
-
Kirchliches Umweltmagazin „Forum“ 69 (3/2003) zur Grünen Gentechnik (repräsentative
Zusammenfassung der Diskussion in der Evangelischen Kirche in Deutschland)
-
Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer in Deutschland e.V. (AEU): Grüne Gentechnik.
Vom ritualisierten Streit zum sachorientierten Diskurs, 2. aktualisierte Auflage München
1999.
-
Evangelisches Bauernwerk Baden-Württemberg: Abschluss der Diskursrunde zur Grünen
Gentechnik – Stellungnahme als Vertretung der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD) zur gesellschaftlichen Debatte, Hohebuch 2002.
wissenschaftlich (theologisch-ethisch und interdisziplinär)
-
Rosenberger, M.: Grünes Licht für grüne Technik? Gentechnik in Landwirtschaft und
Lebensmittelverarbeitung aus der Sicht der Moraltheologie, in: E. Fulda u.a. (Hrsg.): Gemachte Natur. Orientierungen zur Grünen Gentechnik (Karlsruher Beiträge zu Theologie
und Gesellschaft Bd. 2), Karlsruhe 2001, 64-86 (Michael Rosenberger ist Moraltheologe
an der Universität Linz, und Mitglied der österreichischen Gentechnik-Kommission; in
dem Tagungsband sind auch einige andere theologisch und naturwissenschaftlich interessante Beiträge).
-
Hausmanninger, T./ Scheule, R (Hrsg.): ...geklont am achten Schöpfungstag. Gentechnologie im interdisziplinären Gespräch, Augsburg 1999 (Thomas Hausmanninger ist Sozialethiker an der Universität Augsburg; Rupert Scheule sein wiss. Mitarbeiter; die Studie
bietet einen sehr guten interdisziplinären Querschnitt der Debatte) .
Vogt - GenEthik 34
-
Hofmeister, G.: Ethikrelevantes Natur- und Schöpfungsverständnis. Umweltpolitische
Herausforderungen, naturwissenschaftlich-philosophische Grundlagen, schöpfungstheologische Perspektiven, Fallbeispiel: grüne Gentechnik (Darmstädter Theologische Beiträge
zu Gegenwartsfragen, Bd. 4). Frankfurt a.M. 1999 (Dissertation mit Vorwort von Günter
Altner, gründliche ethische Hintergrundreflexion).
-
Irrgang, B./Göttfert, M./Kunz, M. u.a.: Gentechnik in der Pflanzenzucht. Eine interdisziplinäre Studie (Forum für interdisziplinäre Forschung Bd. 20), Detttelbach 2000 (Bernhard Irrgang ist Philosoph und Theologe, hat den Lehrstuhl für Technikfolgenabschätzung
und ist Mitglied der Ökologischen AG der DBK; im Hintergrund der Studie steht ein langjähriges Studienprojekt des Hochschulinstitutes).
-
Busch, R. J.; Haniel, A.; Knoepffer, N.; Wenzel, G. (Hrsg.), (2002): Grüne Gentechnik.
Ein Bewertungsmodell, Frankfurt/M. (im Hintergrund steht die Diskussion des Münchner
Instituts „Theologie – Technik – Naturwissenschaft“ (TTN).
-
Hampel, J. und Renn, O. (1999): Gentechnik in der Öffentlichkeit. Wahrnehmung und
Bewertung einer umstrittenen Technologie, Frankfurt/M. und New York (keine unmittelbare kirchliche Verbindung, aber indirekt über die Mitgliedschaft von O. Renn in der ökologischen AG der DBK dort als Hintergrundreflexion maßgeblich berücksichtigt; vgl.
auch den neueren Aufsatz, der noch mehr auf spezifisch ethische Fragen eingeht: Renn,
O./ Hampel, J.(2001): Gentechnik, öffentliche Meinung und Ethik. In: M. Weber und P.
Hoyningen-Huene (Hrsg.): Ethische Probleme in den Biowissenschaften, Heidelberg:,
133-146.
Resümee
Diese Aufzählung ist nicht vollständig, sondern sie ist darauf angelegt, einen repräsentativen
Querschnitt der kirchlichen Diskussion zur Grünen Gentechnik zu bieten:
-
Generell zeigt dieser Ausschnitt, dass die Diskussion um Grüne Gentechnik in den Kirchen intensiv geführt wird.
-
Die Stellungnahmen sind nicht einheitlich: Auf katholischer Seite findet sich einerseits die
sehr strikte Kritik der Umweltbeauftragten, von Misereor sowie internationalen Studien
einiger Jesuiten, auf der anderen Seite die deutlich positiver geprägte Haltung in dem vom
Vatikan veröffentlichten Kompendium der katholischen Soziallehre. In der Evangelischen
Kirche zeichnet sich eine breite Mehrheit mit deutlich kritischer Haltung ab; eine Ausnahme sind Stellungnahmen der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Unternehmer und des
Münchner Instituts „Technik – Theologie – Naturwissenschaft“ (TTN), die in der Grünen
Gentechnik primär Chancen sehen.
-
Die Diskussion wird nicht nur theoretisch geführt: Auch die Praxis der Diözesen, die teilweise große landwirtschaftliche Flächen verpachtet haben, ist derzeit weitgehend restriktiv. In den sieben bayerischen Diözesen ist der Anbau GVO genehmigungspflichtig und
bisher nirgendwo genehmigt. Auch in den anderen Diözesen Deutschlands ist der Anbau
faktisch meines Wissens nirgendwo genehmigt.94
-
Einige Texte, die wichtig und/oder nicht leicht zugänglich sind, werden im Anhang zur
Information mitgegeben. Für die ethisch bedeutsame und eigenständige Frage der Akzeptanz Grüner Gentechnik in den Kirchen ist die Auseinandersetzung mit den Argumentationsmustern dieser Quellen unverzichtbar.
94
Vgl. Pachtvertrag für die bayerischen Diözesen, § 8: „ ... Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ist
nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung des Verpächters im Rahmen der gesetzlichen Regelungen zulässig.“ Den besten Überblick zum aktuellen Stand kann Gotthard Dobmeier, der Sprecher der Umweltbeauftragten, geben (Erzbischöfliches Ordinariat München und Freising, Pf. 330 360, Tel.: 089-2137-1514).
Vogt - GenEthik 35
Die Unterschiede zwischen den Stellungnahmen sind erheblich. Wenn man die anfangs dargestellte Differenzierung unterschiedlicher Diskussionsebenen berücksichtigt, kann man darin
teilweise eine wechselseitige Ergänzung sehen. Dennoch spiegeln sie nur einen Teil des
Spektrums der Argumente wieder. Mehr sollte man von ihnen auch nicht erwarten. Dann aber
sind sie ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte über die ethische und demokratische Legitimation Grüner Gentechnik, der vor ihrer breiten Einführung berücksichtigt werden
sollte.
4.3 Gesetzliche Regelungen zur Frage der Koexistenz
Seit langem wird in der EU über die Zulassung gentechnisch veränderter Organismen (GVO)
gestritten. Seit 1998 sind keine neuen gentechnisch veränderten Pflanzen und seit 2000 keine
solchen Produkte in der EU zugelassen worden. Im Februar 2004 wurde das Moratorium aufgehoben, wobei die Einzelregelungen für Anbau und Verbreitung als eher restriktiv gelten,
jedoch zugleich ein Reihe von ungeklärten Fragen und Lücken aufweisen.95
Zusammen mit dem Forum Umwelt und Entwicklung des Deutschen Naturschutzrings hat der
Evangelische Entwicklungsdienst die EU-Gesetzgebung aus globaler Perspektive kommentiert und kommt zu folgendem Resümee: „Die Auseinandersetzung um die Frage, ob Gentechnik zum Beispiel als möglicher Beitrag für die Hunger- und Armutsbekämpfung nötig ist,
entscheidet sich zunehmend über die Fragen der Möglichkeit, diese Technik zu regulieren“96
Die Entwicklungsländer seien dabei auf die Vorbildrolle der EU angewiesen, viele seien desorientiert, unter starkem Druck der USA sowie ihrer Verbündeten in der Miami-Gruppe und
überhaupt nicht darauf vorbereitet, eine Koexistenz zwischen gentechnikfreier und gentechniknutzender Produktion sicherzustellen. Bei der allein auf die eigenen Belange abgestellten
Aufhebung des Moratoriums sei sich die EU nicht hinreichend der weltweiten Signalwirkung
ihres Handelns bewusst.
Innerhalb Europas war die Aufhebung des Moratoriums dagegen durchaus vorbereitet und
durch viele Einzelregelungen flankiert. Die EU-Kennzeichnungsverordnung regelt die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Kennzeichnungspflichtig sind demnach Lebensmittel, Zutaten und Zusatzstoffe immer dann, wenn sie
aus GVO bestehen, aus ihnen hergestellt oder mit ihnen hergestellt wurden, unabhängig davon, ob die GVO noch nachgewiesen werden können oder nicht. Sie ist seit dem 18. April
2004 unmittelbar gültig und bedarf keiner weiteren Umsetzung in nationales Recht.
Von zentraler Bedeutung sind die Probleme der Saatgutkontamination mit GVO, der Kennzeichnung von Lebens- und Futtermitteln, der Sicherung der gentechnikfreien Landwirtschaft
sowie Haftungsfragen. Für die Koexistenz von landwirtschaftlichen Betrieben, die auf den
Einsatz von Grüner Gentechnik setzen oder bewusst darauf verzichten, hat sich die Diskussion auf die folgenden drei Aspekte konzentriert:97
(1)
95
96
97
Saatgutkontamination: Die Frage ist, ob eine solche Kontamination hinnehmbar ist und
wer darüber entscheiden darf; ferner wie hoch die GVO-Kontamination von Saatgut sein
Zu einem Überblick vgl. Di Fabio, U./Kreiner, S.: Bio- und Gentechnik, in: H.-W. Rengling: Handbuch zum
europäischen und deutschen Umweltrecht, 2. überarb. Aufl. Köln 2003, Bd. II, Teilband I, 678-762 (= § 63);
www.genethisches-netzwerk.de; www.agrar.de.
Forum Umwelt und Entwicklung/ Evangelischer Entwicklungsdienst (Hrsg.): Die Bedeutung der aktuellen
Gentechnikdebatte in der Europäischen Union für den Süden, Bonn April 2004, 53 (Kapitel 9) (68 Seiten, im
Internet unter www.eed.de).
Vgl. zum Folgenden Baier, A. et al. (2001): Grüne Gentechnik und ökologische Landwirtschaft. Bericht des
Umweltbundesamtes. UBA-Texte 23/01; aktuelle Informationen im Internet: www.genethischesnetzwerk.de; www.greenpeace.de (Datenbank der Verbraucherinitiative); [email protected] (Infodienst);
www.novartis,de; www.monsanto.de;
www.aventis.de; www.transgen.de; www.biosicherheit.de;
www.stmugv.bayern.de.
Vogt - GenEthik 36
darf. Saatgut nämlich steht ganz am Anfang der Produktionskette, und jede Verunreinigung potenziert sich – vom Züchter zum Landwirt über die Verarbeitung bis in den Einkaufsladen.
(2)
Kosten durch Einkreuzungen: Was geschieht, wenn der Nachbar eines Bauern gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut? Einkreuzungen durch gentechnisch veränderten Pollen über weite Entfernungen sind beim landwirtschaftlichen Anbau wahrscheinlich, auch
in verwandte Wildformen.98 Pflanzen können auswildern, wenn sie durch konventionelle oder gentechnische Züchtung bessere Potentiale zum Überleben in nicht vom Menschen geschaffenen Lebensräumen haben. Eigenschaften können „vertikal“, d. h. über
Pollen vermittelt, oder „horizontal“, also über freie DNS, die nicht zellgebunden vorliegt, auf andere Organismen übertragen werden. Probleme gibt es auch bei den weiteren
Stufen der Produktionskette, bei der Verarbeitung und beim Handel. Die zusätzlichen
Kosten für Hecken und Abstandsflächen, die solche Auskreuzungen verhindern sollen,
können zwischen fünf und 40 Prozent liegen.99 Wer trägt diese Kosten? Nochmals verschärft wird diese Problematik im ökologischen Landbau. Denn Ökobauern, die wegen
der von ihnen nicht verschuldeten Verunreinigung ihrer Ernten mit gentechnisch veränderten Pflanzen ihre Erzeugnisse nicht mehr als Ökoprodukte verkaufen können, erleiden beträchtliche finanzielle Einbußen.
(3)
Haftung: Angesichts der Schwierigkeit, die genaue Herkunft von Pollenflug nachzuweisen, ergibt sich ein erhebliches Problem, nämlich zu regeln, wer für einen Schaden haftet. Soll die Haftungsfrage national oder EU-weit geklärt werden? Der Deutsche Bauernverband fordert, die Bedingungen der Koexistenz angesichts des Binnenmarkts und
der grenzüberschreitenden Warenströme EU-weit festzulegen und nicht den einzelnen
Mitgliedsstaaten zu überlassen. Nach der gegenwärtigen Regelung trägt der Landwirt,
der genmanipulierte Erzeugnisse verwendet, das alleinige Risiko, während die Erzeuger
der GVOs aus der Haftungspflicht ausgenommen sind. Die Haftungsfrage bringt große
organisatorische und finanzielle Schwierigkeiten mit sich, insbesondere bei kleinräumiger Landwirtschaft.100 Gegenwärtig gilt die Frage der ökonomischen Haftung den Versicherungsunternehmern als unabschätzbar, weshalb sie keinen Versicherungsschutz anbieten.
Vor allem aus Angst vor dem Haftungsrisiko lehnen es gegenwärtig die Bauern und auch der
Deutsche Bauernverband mehrheitlich ab, gentechnisch verändertes Saatgut auszubringen.
Während sich in der Diskussion um „konventionelle“ und „ökologische“ Landwirtschaft die
ideologische Polarisierung lockert und teilweise gar auflöst, führt die unterschiedliche Einschätzung der Grünen Gentechnik, besonders zwischen den west- und ostdeutschen Bauern,
zu neuen Grabenkämpfen.
In Deutschland wurde am 21. 6. ein „Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts“ verabschiedet. Hauptanliegen der Novelle des Gentechnikgesetzes ist es, „neben dem Schutz von
Umwelt und menschlicher Gesundheit die konventionelle gentechnikfreie und die ökologische
Landwirtschaft vor Auskreuzungen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) zu
schützen.“101 Bei der Gentechnik haben die EU-Mitgliedstaaten durch umfassende Vorgaben
des EU-Rechts nur einen eingeschränkten Handlungsspielraum. Während die Kennzeichnung
98
Vgl. Gentechnik in der Landwirtschaft – Entschließungsvorlage für den Diözesanrat in der Erzdiözese Freiburg 3/04: Die Koexistenz von gentechnikfreier und gentechniknutzender Landwirtschaft wird als prinzipiell
unmöglich erachtet, weil die Aussaat von GVOs in der freien Natur weder eingegrenzt noch rückgängig gemacht werden kann. Damit wird die Freisetzung von GVO zu einem Experiment mit unabsehbaren Folgen.
99
Das haben verschiedene Studien der EU- Kommission, des Öko-Instituts Freiburg und des Forschungsinstituts für biologischen Landbau errechnet.
100
Vgl. Unsöld, D.: Neue EU-Verordnungen beenden Gentech-Moratorium, in: Forum 69 (a.a.O.), 26-31, hier 42.
101
Vgl. BMU, Grüne Gentechnik konkret. Erläuterungen zur Novellierung des Gentechnikgesetzes,
www.bmu.de/... sowie www.genfood.at/Aktuell/News/959/index.html.
Vogt - GenEthik 37
und das Inverkehrbringen von GVOs zu Versuchszwecken oder zum Verkauf weitgehend auf
EU-Ebene geregelt sind, haben die Mitgliedstaaten bei der Frage, ob und wie sie das Nebeneinander des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen und nicht gentechnisch veränderter
Pflanzen regeln, einigen Handlungsspielraum. Es gibt aber auch auf EU-Ebene das Bemühen,
einheitliche Regelungen hierfür zu etablieren.
Das Gesetz enthält zum Schutze der gentechnikfreien Landwirtschaft insbesondere drei Instrumente:
-
„Eine Vorsorgepflicht zur Vermeidung wesentlicher Beeinträchtigungen durch GVO, vor
allem eine Pflicht zur Einhaltung der „guten fachlichen Praxis" beim Anbau gentechnisch
veränderter Pflanzen,
-
ein Standortregister, über das Landwirte präzise Informationen über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in ihrer Nachbarschaft erhalten können,
-
Ausgleichsansprüche gegenüber dem GVO-Anbauer, wenn es zu wesentlichen Beeinträchtigungen durch Auskreuzungen kommt.“ (ebd.)
Die Vorsorgepflicht umfasst danach vor allem die Vermeidung von drei möglichen Beeinträchtigungen der Nachbarn: 1. Wenn der Nachbar aufgrund von Pollenflug seine Erzeugnisse nicht mehr in Verkehr bringen darf, weil sie Spuren von GVO enthalten, die noch nicht für
ein Inverkehrbringen zugelassen sind. 2. Wenn durch die Auskreuzung von GVO ein Nachbar
seine Erzeugnisse als „genetisch verändert" kennzeichnen muss (mehr als 0,9 Prozent gentechnisch veränderte Organismen). 3. Wenn durch die Auskreuzung von GVO ein Nachbar
seine Erzeugnisse nicht mehr als aus ökologischem Landbau stammend oder mit dem Hinweis
„ohne Gentechnik" kennzeichnen darf.
Damit das Ziel, wesentliche Beeinträchtigungen durch das unbeabsichtigte Vorhandensein
von GVO zu vermeiden, erreicht werden kann, zählt das Gesetz verschiedene Grundpflichten
auf, wie z.B. die Einhaltung von Mindestabständen zwischen Feldern. Außerdem muss derjenige, der mit GVO kommerziell umgeht, entsprechende Zuverlässigkeit, Kenntnisse, Fertigkeiten und Ausstattung nachweisen. Derjenige, der GVO in Verkehr bringt, muss eine Produktinformation mitliefern („Beipackzettel"), aus der hervorgeht, wie beim Umgang mit dem
jeweiligen GVO wesentliche Beeinträchtigungen der Nachbarn vermieden werden können.
Das Standortregister (§ 16a) ist ein auch über das Internet zugängliches, öffentliches Register,
in dem Informationen über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland gespeichert sind (www.bvl.bund.de/standortregister). Wer ein berechtigtes Interesse glaubhaft
machen kann, hat einen Anspruch auf weitere detaillierte Auskunft. Daher kann insbesondere
ein möglicherweise beeinträchtigter Nachbar eines GVO-Feldes Auskunft über das betreffende Flurstück erhalten.
Zur Regelung der zivilrechtlichen Abwehr- und Ausgleichsansprüche (§ 36a) setzt das Gesetz
auf eine gesamtschuldnerische Haftung der betreffenden GVO-Nachbarn, so dass der Beeinträchtigte, wenn er nicht nachweisen kann aus welchem Feld der Pollenflug kann, selbst entscheiden kann, gegen welchen Nachbarn er seinen Ausgleichsanspruch geltend macht.
Darüber hinaus muss der Antragsteller künftig einen Entwurf für einen Plan mit Beobachtungsmaßnahmen (Monitoring) vorlegen, um eine Genehmigung zum Inverkehrbringen von
GVO auf EU-Ebene zu erhalten. Damit soll die Sicherheit von Umwelt und Gesundheit so gut
wie möglich gewährleistet werden. Genehmigungen zum Inverkehrbringen von GVO werden
künftig für höchstens zehn Jahre erteilt. Zum Schutz ökologisch besonders sensibler Gebiete,
die zu dem europäischen „Natura 2000"-Netzwerk gehören, gibt es Sonderregeln. Rechtsverordnungen, die das Inverkehrbringen und die Koexistenz detailliert regeln sollen, sind geplant
und bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.
Vogt - GenEthik 38
Die Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist kritisch: "Der Gesetzentwurf
schränkt in seinen Auswirkungen die Freiheit der Forschung erheblich ein. ... In § 1 Nr. 1
wird beim Schutzziel des Gesetzes die ’Berücksichtigung ethischer Werte’ neu eingeführt.
Das überzeugt nicht. Der vom Gesetz bezweckte Schutz ist selbst ein ethischer Wert. Die ‚Berücksichtigung ethischer Werte’ stellt in einem Gesetzestext einen unbestimmten Rechtsbegriff dar.“102 In einem Beschluss vom 18. 6. 2004 bezeichnet die Junge Union Bayern das Gesetz als „Verhinderungsgesetz“ und setzt dagegen das Plädoyer für einen offenen Umgang mit
der Gentechnik zur Stärkung des Standorts Deutschland. Die Charakterisierung als „Verhinderungsgesetz“ scheint nicht unberechtigt103; sie passt allerdings wenig zur in der gleichen
Stellungnahme mehrfach geäußerten Einschätzung, dass es gar „kein Risiko“ gebe.
Beide genannten kritischen Stellungnahmen sind eher polemisch als argumentativ differenziert. Der Vorschlag eines Haftungsfonds statt der gesamtschuldnerischen Haftung bringt Finanzierungsprobleme, der Vorschlag, die Haftung auf nachweisbare Verstöße gegen die „gute
fachliche Praxis“ zu begrenzen, entzieht einen wesentlichen Teil des diskutierten Risikos der
rechtlichen Regelung. Gegenwärtig ist das Haftungsrisiko jedoch überproportional auf die
Schultern der Landwirte, die GVOs einsetzen wollen, verlagert, wofür wesentlich auch die
Gentechnik produzierenden Firmen mit ihrer weitgehenden Ablehnung der Haftungsrisiken
selbst die Verantwortung tragen. Es fehlt an wichtigen Erfahrungswerten im Umgang mit
GVOs.
4.4 Bedingungen ethischer und demokratischer Legitimation
Statt einer abschließenden Bilanz möchte ich dem Ergebnis des bisherigen Diskurses nicht
mehr und nicht weniger Gewicht geben als dem einer Zwischenbilanz. Die folgenden Grundsätze und Bedingungen104, verstehen sich als Voraussetzungen dafür, dass eine mögliche Anwendung der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion ethisch positiv bewertet werden kann. Die eher restriktive Formulierung zielt nicht auf Ablehnung, sondern auf
die Schaffung von Voraussetzungen und Rahmenbedingungen dafür, dass die Entwicklung
erkennbar an den Bedürfnissen der Ernährungssicherung für alle Menschen und der Förderung nachhaltiger Strukturen in der Landwirtschaft ausgerichtet wird:
(1)
102
103
104
105
Sicherheit: Der Schutz vor Auskreuzen muss auf einem als „sicher“ geltenden Niveau
gewährleistet werden. Dazu bedarf es sortenspezifischer Abstandsregeln sowie einer
langfristigen Begleitforschung zum Pollenflug von GVOs. Da es in der Regel kaum eindeutige naturale Schwellenwerte für die Grenze, ab der eine Auskreuzung als „gefährlich“ zu gelten hat, gibt, müssen diese in gesellschaftlichem Konsens definiert werden.105 Risiken sind immer auch eine abhängige Variable der gesellschaftlichen RisikoVgl.: www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnahmen/2004/download/gentechnikrecht_0604.pdf
Die Angst vor indirekter Verhinderung von Gentechnik durch Auflagen ist nicht ohne historischen Grund:
Vor gut 20 Jahren war Deutschland führend in einigen Bereichen der „weißen Gentechnik“ (vor allem Fermentationsbereich sowohl in der Forschung als auch in der Produktion von Produkten aus Mikroorganismen,
z.B. technische Enzyme sowie Insulinherstellung der Firma Höchst) und hat u.a. durch starke Auflagen im
ersten Gentechnikgesetz der damaligen Bundesrepublik den Anschluss verloren. Heute teilen NOVO (Kopenhagen) und Genencor (Palo Alto) den Markt praktisch unter sich auf. Der volkswirtschaftliche Schaden,
den dieses Gesetz für den Standort Deutschland verursacht hat, wird auf -zig Milliarden EURO geschätzt.
Vgl. dazu auch teilweise Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden, Bonn 2003 (a.a.O.), 22f.
Da Konsens in pluralistischen Gesellschaften nur begrenzt erreichbar ist, gilt hier einerseits das Mehrheitsprinzip mit Minderheitenschutz, andererseits kann man versuchen, Risiken wissenschaftlich abzuschätzen
und die Zumutbarkeit von Risiken durch Vergleiche mit der Risikobereitschaft der mittelbar und unmittelbar
Betroffenen in anderen Feldern zu eruieren. Dabei muss jedoch auch eine subjektive Komponente der oft individuell sehr unterschiedlichen Risikowahrnehmung berücksichtigt werden. Vgl. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU), Jahresgutachten 1996, Stuttgart 1996, Kapitel 4 (Grenzwerte) und Renn, O./
Klinke, A: Risikoabschätzung und -bewertung (a.a.O.).
Vogt - GenEthik 39
bereitschaft. Sie sind keine Naturphänomene, sondern aufgrund ihrer Abhängigkeit von
technischen Messmethoden, erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, kulturellen Präferenzen und politischen Variablen dem Wandel und damit auch der ethischen Verantwortung unterworfen. Die naturalistische Verbergung der kulturellen Variablen hinter
angeblich objektiven toxikologischen Schwellenwerten führt zwangsläufig zu Fehlurteilen.106 Maßstab für die Sicherheit der Gentechnik kann nicht die Fiktion eines „NullRisikos“ sein, sondern der gesellschaftliche Konsens auf der Basis der genannten wissenschaftlichen, kulturellen und institutionellen Voraussetzungen. Ob der auf 0,9 %
festgelegte Grenzwert in der EU auf Dauer den Sicherheitserwartungen genügen kann,
muss diskutiert und geprüft werden.
(2)
Vorsorge: In der aktuellen Gesetzesvorlage ist die Vorsorgepflicht als „Einhaltung der
guten fachlichen Praxis" definiert und auf den Schutz der Nachbarn vor Pollenflug, der
seine Erzeugnisse im Verkauf als „ohne Gentechnik“ bzw. „ökologisch“ beeinträchtigt,
bezogen. Konkretisiert wird dies durch die Forderung nach Mindestabständen zwischen
Feldern sowie den Nachweis von bestimmten Kenntnissen, Fertigkeiten und Ausstattungen. Im Bereich von Verbraucher- und Gesundheitsschutz geht es wesentlich um Vorsorgemaßnahmen gegen die Ausweitung der Antibiotika-Resistenz und ein risikoorientiertes Überwachungskonzept zur Kontrolle importierter Lebensmittel. Als Entscheidungsmethode ist Einzelfallprüfung sowie eine Bewertung der Ziele, eine Abschätzung
der Folgen und ein Vergleich mit den möglichen Alternativen angesagt.
(3)
Haftung: Landwirte müssen selbst entscheiden können, ob sie mit oder ohne Gentechnik
wirtschaften. Eine strikte Trennung von gentechnisch veränderten und gentechnikfreien
Anbauweisen, Verarbeitungs- und Vermarktungsprozessen ist daher unabdingbar. Die
Kosten dafür dürfen nicht den konventionell oder ökologisch produzierenden Landwirten auferlegt werden. Im Haftungsrecht ist strikt das Verursacherprinzip bei den Nutzern
von GVOs anzuwenden. Die Beweislast liegt bei ihnen. Gesetzlich wurde dafür das
Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung der betreffenden GVO-Nachbarn eingeführt.
Wenn der Beeinträchtigte nicht nachweisen kann, aus welchem Feld der Pollenflug kam,
darf er selbst entscheiden, gegen welchen Nachbarn er seinen Ausgleichsanspruch geltend macht.
(4)
Kontrolle: Wissenschaftliche Begleitforschung zur Beobachtung und Bewertung der
möglichen Risiken sowie zum Umgang mit unvorhergesehenen Situationen und Konflikten (sozialwissenschaftlich erweitertes Monitoring) muss etabliert werden. Zusätzlich ist – inzwischen auch gesetzlich - ein öffentlich zugängliches Standortregister, über
das Landwirte präzise Informationen zum Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in
ihrer Nachbarschaft erhalten können, erforderlicheingeführt. Allerdings bedarf es dann
auch eines Schutzes der Felder vor „Gen-Vandalen“, die sie aus Überzeugung, Angst
und/ oder zu Zwecken der politischen Demonstration zerstören.
(5)
Transparenz und Wahlfreiheit: Menschen müssen frei entscheiden können, sich so zu
ernähren, wie sie es für gesund, ökologisch und ethisch unbedenklich halten. Deshalb ist
eine klare und umfassende Kennzeichnung für alle gentechnisch veränderten Lebensmittel und Lebensmittelbestandteile unerlässlich. Um echte Kundensouveränität zu gewährleisten, bedarf es aber nicht nur der Deklaration der Inhaltsstoffe und der Rückverfolgbarkeit der Herkunft von Lebensmitteln, sondern auch der intensiven und glaubwürdi-
106
Für die ethische Bewertung von Grenzwerten sind deshalb grundsätzlich zwei Dinge zu fordern: a) Offenlegung der Kriterien, nach denen sie festgelegt wurden. b) Institutionelle Festlegung der Entscheidungskompetenz nach demokratischen Regeln. Nur so kann dem Misstrauen gegenüber Grenzwerten im öffentlichen Bewusstsein aufgrund der starken Schwankungen, denen Umweltstandards unterworfen sind, begegnet werden..
Vgl. dazu grundlegend: Gethmann, C.F./ Mittelstraß, J.: Maße für die Umwelt, in: Gaia (Ökologische Perspektiven in Natur-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaften) Heft 1, Basel 1992, 16-25, 18.
Vogt - GenEthik 40
gen Verbraucherberatung und öffentlichen Aufklärung, um der Desorientierung durch
unverarbeitete Informationen entgegenzuwirken.
(6)
Soziale Folgen: Die Weiterentwicklung der Gentechnik hat tiefgreifende Auswirkungen
auf die Struktur der Landwirtschaft. Um diese auch in den komplexen globalen Zusammenhängen sozial und ökologisch verantwortbar zu gestalten, besteht ein hoher Bedarf
an sozialethisch erweiterter Risikoforschung sowie an gesellschaftlich klar vereinbarten
und national wie international kontrollierbaren Grenzen. Die Auswirkungen der Grünen
Gentechnik für die bäuerliche Landwirtschaft in Entwicklungsländern sind ein vorrangiger Maßstab der Gerechtigkeit, der bei ihrem Einsatz berücksichtigt werden muss.
4.5 Verantwortung in der Dialektik von Fortschritt und Risiko
Die ethischen Probleme der mit Hilfe Grüner Gentechnik "gemachten Natur" liegen nicht
primär darin, dass die ökologischen und gesundheitlichen Risiken eine neue Qualitätsstufe
darstellen würden, sondern darin, dass sie bisher eher problematische Strukturen der landwirtschaftlichen und agrarpolitischen Entwicklung verstärken oder zumindest in diese eingespannt sind und es so völlig offen ist, ob die tatsächliche Forschung und Nutzung wirklich
konsequent auf Nachhaltigkeit sowie Ernährungssicherung der Ärmsten ausgerichtet sind. Die
Chancen, die sich mit Grüner Gentechnik verbinden, sind so groß, dass eine verstärkte Forschung ethisch zu begrüßen und zu fordern ist. Aber nur im Rahmen klarer und international
abgestimmter und kontrollierbarer Regulierungen kann sichergestellt werden, dass ihre praktische Anwendung auch wirklich dem Wohl des Menschen dient und sich angemessen in die
Ordnung der Schöpfung einfügt. Notwendig ist eine verstärkte spezifisch soziale Folgenabschätzung.
Letztlich kann aber auch der hochkomplexe ökologische, medizinische und soziologische
Fachdiskurs um die Abschätzung der Folgen Grüner Gentechnik keine hinreichende Antwort
geben auf die tiefen ethischen Kontroversen, die von ihr ausgelöst wurden und werden: Notwendig ist eine philosophische, theologische und kulturelle Klärung der Fortschrittserwartungen. Der Diskurs um die Grüne Gentechnik ist der derzeit prägnanteste Modellfall für die
latente Spannung zwischen höchst widersprüchlichen und oft ungeklärten Fortschrittserwartungen und -ablehnungen in der postmodernen Moderne.107
Die „postmoderne Moderne“ lässt sich durch eine paradoxe Mischung aus gebrochenem und
gesteigertem Fortschrittsglauben charakterisieren, in der Ablehnung und Überhöhung von
Zukunftserwartung und -planung recht unvermittelt nebeneinander stehen. Aus Mangel an
einem Konsens über inhaltlich bestimmte Maßstäbe von Fortschritt verständigt man sich als
Ersatz dafür auf das Prinzip der quantitativen Steigerung von Produktivität (Wachstum) und
Verfügungswissen (Information, technische Naturbeherrschung). Heute stellen (rote und grüne) Gentechnik eine wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich zentrale Projektionsfläche
für ganz unterschiedliche, oft überhöhte Fortschrittserwartungen und -befürchtungen dar.
Die Kirchen stehen mitten in dem Konflikt des Ringens um einen neuen Fortschrittsbegriff:
einerseits sind die jüdisch-christliche Konzeption eines linearen statt eines zyklischen Verlaufs der Geschichte sowie eine Kosmologie, in der Gott und Welt voneinander getrennt sind,
letztere also einen Entwicklungsfreiraum besitzt, wesentliche geistesgeschichtliche Voraussetzungen der Fortschrittsidee. Andererseits besteht ein Spannungsverhältnis zwischen christlichem Glauben und neuzeitlichem Fortschrittsglauben, der die Zukunft als ein offenes Projekt unendlicher Progression deutet und dessen vor allem naturwissenschaftlich, technisch
107
Vgl. zum Folgenden: Beaufort, J/ Gumpert, E./ Vogt, M. (Hrsg.)(2003): Fortschritt und Risiko. Zur Dialektik
der Verantwortung in (post)-moderner Gesellschaft (Forum für interdisziplinäre Forschung 21), Dettelbach;
Vogt, M. / Ostheimer, J. (20054): Fortschrittsglaube; in: H. Baer u.a. (Hrsg.): Lexikon neu religiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen, Freiburg, 385-390.
Vogt - GenEthik 41
und wirtschaftlich erfolgreiches Fortschrittsstreben sich als ‚Säkularisierung des Heilsglaubens’ verstehen lässt.108
Theologisch ist darauf zu antworten: Jeder Fortschritt ist ambivalent, bringt mit größeren
Chancen zugleich auch größere Gefährdungen. Dies gilt auch für die Grüne Gentechnik. Wer
sie mit quasi heilsgeschichtlichen Erwartungen verbindet, wie etwa die Überwindung des
Hungers oder die Utopie einer aus sich selbst heraus „sanften Technik“, macht sie zur Ideologie.109 Menschliche Geschichte ist immer eine Geschichte von vielfältigen Fortschritten; aber
auch eine Geschichte von Rückschlägen und neuen Gefahren. "Der märchenhafte Fortschritt
der Verfügbarkeit an wundervollen Möglichkeiten scheint untrennbar verbunden mit dem
grauenhaften Fortschritt an Zerstörung und Vernichtung unwiederbringlicher Werte."110 Fortschritt im Singular gibt es nicht. Nur wer Gentechnik nüchtern in dieser Ambivalenz einzuschätzen weiß, ist ihr ethisch gewachsen.
Es liegt auf der Hand, dass bloßes Wachstum von Wissen und Wohlstand nicht den Gehalt
des Fortschritts (im utopischen Sinn) ausmachen kann; notwendige Maßstäbe sind vielmehr
Gerechtigkeit, Freiheit und Lebensqualität auf globaler Ebene. Fortschritt braucht Maßstäbe,
die ihm Richtung geben, sonst schlägt er in sein Gegenteil um, weil seine Erfolge moralisch
und technisch nicht mehr bewältigt werden können. Gerade aufgeklärtes Denken muss sich
auf Werte, Regeln und Grenzen verständigen, wenn es einen „Fortschritt nach menschlichem
Maß“ ermöglichen will.111
Jeder Fortschritt ist mit Risiken verbunden. Diese weisen jedoch zu Beginn des 21. Jh.s teilweise eine neue Struktur und Qualität auf, die das bisherige Fortschrittskonzept in Frage stellen. Aufgrund ihrer Langfristigkeit, Entferntheit und Komplexität entgehen sie oft der sinnlichen Wahrnehmung. Deshalb reagiert das natürliche „Frühwarnsystem“ des Menschen unzureichend - entweder mit Panik oder mit Lethargie. Dies zeigt sich in dem teilweise höchst
irrationalen Umgang mit Fortschritten und Risiken in der öffentlichen Diskussion und in der
gesellschaftlichen Praxis (dem relativ hohen Risikobewusstsein in Fragen der Grünen Gentechnik steht eine vergleichsweise hohe individuelle Risikofreudigkeit im Mobilitätsverhalten
und eine Reaktionsträgheit hinsichtlich der Risiken von Klimaveränderungen gegenüber).
Angesichts der dialektischen Dynamik von Fortschritt und Risiko als einer unhintergehbaren
Vorraussetzung menschlicher und gesellschaftlicher Entwicklung bleibt nur ein Reflexionsmodell von Aufklärung und Technik112: Fortschrittsstreben und damit Risikobereitschaft sind
unverzichtbar, da die wissenschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Innovationsfähigkeit
die wichtigste Ressource der Zukunftsfähigkeit darstellt. Eine vertiefte Aufklärung über die
Bedingungen und Werte des Fortschritts ist jedoch unverzichtbar für seine Verantwortbarkeit.
Das Streben nach Verbesserung der individuellen und gesellschaftlichen Verhältnisse ist anthropologisch grundgelegt. Dabei ist Fortschritt jedoch keine Kategorie objektiver Geschichtsdeutung, sondern vielmehr eine unverzichtbare moralisch-politische Vernunftidee (Kant). Sie
bedarf einer Orientierung jenseits von linearen Fortschrittsvorstellungen, die den Menschen
108
Vgl. Blumenberg, H. (1974): Säkularisierung und Selbstbehauptung. Frankfurt/M.; Kaufmann, F.-X. (1989):
Religion und Modernität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven, Tübingen.
109
Sloterdijk, P. (1999): Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den
Humanismus, Frankfurt/M.; Schirrmacher, F. (Hrsg.)(2001): Die Darwin AG. Wie Nanotechnologie, Biotechnologie und Computer den neuen Menschen träumen, Köln; Piechocki, R. (2003): Altäre des Fortschritts
und der Aufklärung im 21. Jahrhundert, in: Altner, G./ Leitschuh-Fecht, H./ Michelsen, G./ Simonis, E.U./
Weizsäcker, E.U. von (Hrsg.): Jahrbuch Ökologie 2003, München, 11-37.
110
Markl, H.: Die Fortschrittsdroge, Zürich 1992, 9. Markl bezeichnte die Faszination des Fortschritts, die unabhängig von allem Wissen um seine Gefahren wirksam ist als typisches Merkmal einer Sucht - deshalb sein
Buchtitel "Die Fortschrittsdroge"
111
Rau, J. (2001): Wird alles gut? Für einen Fortschritt nach menschlichem Maß. „Berliner Rede“ am 18. Mai
2001, hg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Berlin; Spaemann, R. (1981) u.a. (Hg.):
Fortschritt ohne Maß? Eine Ortsbestimmung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation. München.
112
Hasted, H. (1991): Aufklärung und Technik. Grundprobleme einer Ethik der Technik, Frankfurt a.M., 283292; entfaltet im Kontext der Biotechnologie: ebd. 83-104.
Vogt - GenEthik 42
für einzelne Verbesserungen seiner Lebenssituation dynamisch motiviert und diese würdigt,
ohne die Erfolge in der Behauptung subjektunabhängiger Wertmaßstäbe als geschichtliche
Tatsache zu verabsolutieren und gegen Kritik zu immunisieren. Die Suche nach einer solchen
human angemessenen Balance von Fortschrittshoffnung und Fortschrittskritik ist eine stets
neue Herausforderung.113
Fortschritt gibt es nur in kontingenter, vorläufiger und pluraler Form. An diesem mitzuwirken, gehört jedoch zum christlichen und kirchlichen Auftrag, da die Schöpfung prinzipiell gut,
in die Dynamik des Heilsgeschehens eingebettet und dem Menschen als Raum von Freiheit,
Gestaltung und Verantwortung aufgegeben ist. Von daher ist auch das „Prinzip Verantwortung“, das Hans Jonas als Gegenmodell zum Blochschen „Prinzip Hoffnung“ und damit als
kritisches Gegenmodell zur neuzeitlichen Fortschrittsutopie versteht, nicht resignativ gegen
den Fortschrittsglauben auszuspielen, sondern im Sinne einer intelligenten Selbstbeschränkung zu entfalten. Eine solchermaßen differenzierte Zukunftshoffnung jenseits von linearem,
utopisch aufgeladenem Fortschrittsglauben ist als kritischer Maßstab an die Grüne Gentechnik
anzulegen. Die Diskussion um Grüne Gentechnik bleibt abstrakt und erzeugt nur leere Gemeinplätze114, wenn sie nicht konsequent in den Kontext der Fragen nach einer Neuausrichtung der Landwirtschaft insgesamt gestellt wird. Denn der Fortschritt, den sie erzeugt, ist ethisch gesehen kein Selbstzweck, sondern danach zu bewerten, welche Art von Landwirtschaft er begünstigt und damit welchen Werten er dient.
Literatur
Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der Gliedkirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland
(AGU)(2000): Gentechnik (Reihe: Bewahrung der Schöpfung praktisch), 2. Aufl. Iserlohn.
Baier, A. et al. (2001): Grüne Gentechnik und ökologische Landwirtschaft. Bericht des Umweltbundesamtes.
UBA-Texte 23/01.
Beaufort, J/ Gumpert, E./ Vogt, M. (Hrsg.)(2003): Fortschritt und Risiko. Zur Dialektik der Verantwortung in
(post)-moderner Gesellschaft (Forum für interdisziplinäre Forschung 21), Dettelbach.
Bio Mitteldeutschland (BMD): Was spricht für ein Engagement der katholischen Kirche bei der Nutzung der
Pflanzenbiotechnologie in Sachsen Anhalt? (unveröffentlicht, keine Angabe von Autor und Datum).
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Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden, Bonn
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Vogt - GenEthik 45
Zum Autor
Prof. Markus Vogt, Dr. theol. M.A. phil., geb. 1962 in Freiburg i.Br., Studium der Theologie und Philosophie in München und Jerusalem, 1992-1995 wiss. Mitarbeiter im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung. Seit Oktober 1998 Professur für Christliche Sozialethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Salesianer Don Boscos in Benediktbeuern und Leitung der dortigen Clearingstelle „Kirche und Umwelt“ (Gemeinschaftseinrichtung von Hochschule und Kommission VI der Deutschen Bischofskonferenz). Seit 1999 Leitung der Arbeitsgruppe Umwelt des Rates
der Europäischen Bischofskonferenzen.
Vom Oktober 2002 bis September 2004 fand an der Clearingstelle Kirche und Umwelt ein von der
Deutschen Bundesumweltstiftung (dbu) gefördertes Forschungsprojekt "Kirchliche Beiträge zu einer
nachhaltigen Landwirtschaft" statt. Dieses steht im Hintergrund der hier veröffentlichten Reflexion,
ebenso wie zwei kirchliche Schriften zu aktuellen Fragen der Landwirtschaft, an denen der Autor mitgearbeitet hat:
- Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/ Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Neuorientierung für eine nachhaltige Landwirtschaft. Ein Diskussionsbeitrag zur Lage
der Landwirtschaft, Hannover/ Bonn 2004 (Gemeinsame Texte 18).
- Zentralkomitee der Katholiken: Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden.
Plädoyer für eine nachhaltige Landwirtschaft, Bonn 2004.
Kontakt und Informationen zur Arbeit der Clearingstelle Kirche und Umwelt:
Prof. Markus Vogt, Phil.-Theol. Hochschule Benediktbeuern
Don Bosco-Str. 1; 83671 Benediktbeuern,
eMail: [email protected]; www.kloster-beneditbeuern.de/clear
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Zusammenfassung für den rückseitigen Buchdeckel
Die ethische und gesellschaftliche Brisanz des Konfliktes um Grüne Gentechnik ergibt sich
daraus, dass die vielbeschworene „Koexistenz“ gentechniknutzender und gentechnikfreier
Landwirtschaft und Ernährung letztlich nur eingeschränkt möglich ist: Deshalb versagt das
klassische Modell der Konfliktbewältigung durch die Privatisierung von Entscheidungen und
die Toleranz des Gewährenlassens. Interessenkonflikte werden überlagert durch Überzeugungskonflikte hinsichtlich einer zukunftsfähigen Technik und Gesellschaft. Grüne Gentechnik fordert die Gesellschaft zu einer kollektiven Entscheidung darüber heraus, welche Landwirtschaft und Ernährung sie in Zukunft will.
Die Bewertung Grüner Gentechnik ist eine Querschnittsaufgabe, für die hier das Modell einer
sozialethisch erweiterten Folgenabwägung vorgeschlagen wird, die
- natur- und sozialwissenschaftliche Aspekte der Risikobewertung kombiniert,
- Nachhaltigkeit als kategorischen Imperativ heutiger Schöpfungsverantwortung versteht,
- Verantwortung als Methode gegen die Anonymisierung von Handlungssubjekten entfaltet,
- Gerechtigkeit im Blick auf Hungerbekämpfung und die Folgen für Kleinbauern bewertet
und
- nach der Grammatik der Akzeptanz in der komplexen Beziehung zwischen Wissenschaft,
Ethik und Öffentlichkeit fragt.
Das Buch gibt keine einfachen und abschließenden Antworten, sondern definiert ethische
Kriterien als „Handwerkszeug“ für die nötige Verständigung in dem dialektischen Prozess
von Fortschritt und Risiko, der sich in der Grünen Gentechnik derzeit in exemplarischer Weise bündelt.
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