Begegnungen mit Mathematik

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Begegnungen mit Mathematik
1. Vorlesung: Zahlen
1. Große Zahlen: Million - Milliarde
Nach einer weit verbreiteten Meinung hat Mathematik vor allem mit Zahlen zu tun.
Mathematiker müssen Leute sein, die viel rechnen. Dem Mathematiker C. F. Gauß (17771855) wird sogar der Ausspruch zugeschrieben: “Gott rechnet”. Ich habe dieses Zitat
nirgends bestätigt gefunden.
Vielleicht rührt obige Meinung daher, daß Zahlen auch im täglichen Leben vorkommen
und somit etwas Vertrautes darstellen, was man am ehesten mit der so wenig bekannten
Mathematik assoziieren kann. Darüber hinaus sind Zahlen durchaus beliebt: Der heimliche
Traum vieler Menschen sind große Zahlen, besonders wenn sie benannt sind, am besten
mit der Währungseinheit Euro.
Beispiel 1. Herr Kleinschmidt gewinnt im Lotto eine Million. Er will nur noch von
seinem Geld leben und beschließt, pro Monat e10.000,- auszugeben. Wie viele Jahre und
Monate reicht sein Geld, wenn man die Zinsen außer Acht lässt?
Rechnung: 1.000.000 : 10.000 = 100 Monate = 8 Jahre und 4 Monate
Beispiel 2. Frau Großmüller erbt eine Milliarde Euro. Auch sie will nur noch von
ihrem Geld leben und beschließt ebenfalls pro Monat e10.000,- auszugeben.
Rechnung: 1.000.000.000 : 10.000 = 100.000 Monate = 8333 Jahre und 4 Monate.
Beispiel 3. Laut Bund der Steuerzahler beträgt die Staatsverschuldung in Deutschland im Jahre 2011 fast zwei Billionen (= 2000 Milliarden = 2 Millionen Millionen) Euro,
das ist über dreißigmal soviel wie 1970. Jedes Jahr werden über 50 Milliarden Euro Zinsen
dafür fällig. Die Neuverschuldung beträgt derzeit fast 60 Milliarden Euro, das entspricht
einer Verschuldungsgeschwindigkeit von ca. 3000 Euro pro Sekunde.
Wollte man die Schuldensumme von 2011 (2 Billionen Euro) auf die genannte Weise
ausgeben, so brauchte man dafür fast 17 Millionen Jahre.
Beispiel 4. Wie man mit großen Zahlen reich werden kann:
12. September 2006: Am 4. September entdecken Dr. Curtis Cooper und Dr. Steven Boone,
beide Professoren an der Central Missouri State Universität die 44. bekannte Mersennesche
Primzahl, 232.582.657 −1. Diese Zahl hat 9’808’358 Dezimalstellen und verpasst damit knapp
das Preisgeld von $ 100’000: Der mit $ 100’000 dotierte “Electronic Frontier Foundation
Preis” wird erst bei mehr als 10 Millionen Dezimalstellen gezahlt.
.................
Nun haben wir zur Genüge dargelegt, was Mathematik nicht ist, oder zumindest,
welche Zahlen für die Mathematik irrelevant sind. Es gilt nämlich:
Satz 1. Mathematik kennt keine benannten Zahlen.
2. Ein Streifzug durch die Zahlen.
Mit “Zahlen” meinen wir zunächst natürliche Zahlen, d. h. die Zahlen der Menge
N = {0, 1, 2, 3, 4, 5, . . .}.
Warum die 0 zu den natürlichen Zahlen gerechnet wird, werden wir in Kürze sehen.
Beispiel 1: Kaprekar-Zahlen. Der indische Mathematiker D.R.Kaprekar machte im
Jahre 1949 folgende Beobachtung.
(1) Man gibt eine vierstellige Zahl mit verschiedenen Ziffern a, b, c, d vor.
(2) man ordnet die Ziffern (a < b < c < d).
(3) Man bildet die größte und die kleinste Zahl aus diesen vier Ziffern (dcba und abcd).
(4) Man bildet die Differenz beider Zahlen. Es kann sein, daß diese Zahl 6174 ist. Ist
das nicht der Fall, so bildet man die größte und die kleinste Zahl aus den Ziffern der
vierstelligen Differenz und subtrahiert diese Zahlen wiederum. Diese Prozedur wiederholt
man eventuell. Am Ende ergibt sich immer 6174, und zwar spätestens nach 7 Schritten.
Beispiel 1: Gegeben ist die Zahl 6174.
1.Schritt: 7641 - 1467 = 6174.
Beispiel 2: Gegeben ist die Zahl 5644.
1.Schritt: 6544-4456=2088
2.Schritt: 8820-0288=8532
3.Schritt: 8532-2358=6174.
Beispiel 3: Gegeben ist die Zahl 7652.
1.Schritt: 7652-2567=5085
2.Schritt: 8550-0558=7992
3.Schritt: 9972-2799=7173
4.Schritt: 7731-1377=6354
5.Schritt: 6543-3456=3087
6.Schritt: 8730-0378=8352
7.Schritt: 8532-2358=6174.
Das Verfahren funktioniert für vierstellige Zahlen, deren Ziffern nicht alle gleich sind.
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Ebenso kann man das Verfahren auf dreistellige Zahlen anwenden. Dann landet man
stets bei der Kaprekar-Zahl 495.
Beispiel: Gegeben ist die Zahl 343.
1.Schritt: 433-334=099
2.Schritt: 990-099=891
3.Schritt: 981-189=792
4.Schritt: 972-279=693
5.Schritt: 963-369=594
6.Schritt: 954-459=495.
Wir wollen überlegen, warum dies so ist. Die gegebene Zahl wird zunächst in eine
absteigende Ziffernfolge geordnet: abc mit a > b > c. Diese Zahl hat im Dezimalsystem
den Wert 100a + 10b + c. Hiervon ziehen wir 100c + 10b + a ab. Es ergibt sich
(100a + 10b + c) − (100c + 10b + a) = 99(a − c).
Es bleiben somit nur neun Möglichkeiten:
99 · 1 = 099
99 · 2 = 198
99 · 3 = 297
99 · 4 = 396
99 · 5 = 495
99 · 6 = 594
99 · 7 = 693
99 · 8 = 792
99 · 9 = 891.
Erkennen Sie das Muster? Ordnet man diese Zahlen in absteigende Ziffernfolge, so
bleiben nur noch 5 Möglichkeiten: 990, 981, 972, 963, 954. Alle diese Möglichkeiten sind in
obigem Beispiel bereits vorgekommen. Damit ist bewiesen, daß 495 die einzige dreistellige
Kaprekar-Zahl ist.
Wie sieht es mit zwei Stellen aus? Hier versagt das Verfahren:
74 − 47 = 27; 72 − 27 = 45; 54 − 45 = 09; 90 − 09 = 81; 81 − 18 = 63; 63 − 36 = 72.
Können Sie das beweisen?
Beispiel 2: Die Zahl 1089.
Ein ähnliches Verfahren sieht so aus:
(1) Gegeben ist eine dreistellige Zahl aus nicht gleichen Ziffern (abc).
(2) Man bildet die Differenz zur gespiegelten Zahl (cba).
(3) Hierzu addiert man die Spiegelzahl und erhält stets: 1089.
Das erscheint auf den ersten Blick erstaunlich. Wir werden bald noch Größeres sehen.
Beispiel 1:
(1) 836
3
(2) |836 − 638| = 198
(3) 198+891 = 1089
Beispiel 2:
(1) 536
(2) |536 − 635| = 099
(3) 099+990 = 1089
Nun sind wir sicher schon überzeugt, daß immer 1089 herauskommt. In der Tat ist es
so. Wir wollen sehen, warum:
Beweis. Auch hier ist (100a + 10b + c) − (100c + 10b + a) = 99(a − c). Anschließend
wird |99(a − c)| zur dazu gespiegelten Zahl addiert. Aus der obigen Tabelle ersieht man,
daß die Vielfachen von 99 von der Form 100a + 10 · 9 + (9 − a) sind. Die gespiegelte Zahl
hierzu ist also 100(9 − a) + 10 · 9 + a. Als Summe ergibt sich somit
(100a + 10 · 9 + (9 − a)) + (100(9 − a) + 10 · 9 + a) = 100 · 9 + 10 · 18 + 9 = 1089.
Q. e. d.
Beispiel 3: Eine Rechenaufgabe.
× = 123456789.
(Es gibt nur eine Lösung!) Das scheint auf den ersten Blick sehr schwierig zu sein: Eine
Gleichung mit zehn Unbekannten! Für einen Mathematiker ist das jedoch kein Problem:
Wir zerlegen zunächst 123456789 in Primfaktoren. Die Quersumme ist 45, also ist die
Zahl durch 9 teilbar: 123456789 : 9 = 13717421. Wenn man nicht viel Geduld hat, hilft
nun eine Primzahltabelle. Es ergibt sich dann 123456789 = 3 · 3 · 3607 · 3803 als Zerlegung
in Primfaktoren. Damit ist sofort klar, daß die gesuchte Zerlegung nur wie folgt aussehen
kann:
123456789 = (3 · 3607) · (3 · 3803) = 10821 · 11409.
Hierbei sind wir nun, wie kaum zu vermeiden, auf den Begriff der Primzahl gestoßen.
Was ist eine Primzahl?
Definition. Eine Zahl p aus N heißt Primzahl, wenn sie genau zwei Teiler hat. Die
Folge der Primzahlen ist:
2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29, 31, . . .
Warum ist 1 keine Primzahl? Weil sie nur einen Teiler hat. Man muß sich aber die
Frage stellen, ob diese Definition wirklich sinnvoll ist, und warum 1 von den Primzahlen
ausgeschlossen wird.
Wir holen dazu etwas weiter aus und beginnen mit der Addition. Wir nehmen uns eine
Zahl, z. B. 5, und zerlegen sie in Summanden: 5 = 2 + 3. Dann läßt sich 3 weiter zerlegen:
3 = 2 + 1. Hierbei zerfällt 2 wieder in 1+1. Am Ende gelangt man so zur vollständigen
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Zerlegung: 5 = 1 + 1 + 1 + 1 + 1. Weiter geht das nicht mehr. Die 1 ist also hinsichtlich der
Addition ein “Atom”, ein kleinster Bestandteil, der keine weitere Zerlegung mehr zuläßt.
Nun wenden wir uns der Multiplikation zu. Hier haben wir z. B. für 30 die Zerlegung:
30 = 2 · 3 · 5. Für 60 haben wir
60 = 2 · 2 · 3 · 5.
Weiter geht es nicht. Hier stoßen wir also auf die “Atome” 2, 3 und 5. Es handelt sich
dabei offenbar genau um die oben definierten Primzahlen. Die 1 kann aber nicht als Atom
auftreten, denn die Abspaltung des Faktors 1 ist immer möglich und führt nicht zu einer
echten Zerlegung. Die Definition der Primzahlen ist daher genau richtig: Bei der Zerlegung
von 60 ergeben sich vier Primfaktoren; bei 30 sind es drei Primfaktoren; bei 10 sind es
zwei, bei 5 nur einer, und bei der 1 sind es null Primfaktoren.
Hieran sieht man zugleich, warum die 0 zu den natürlichen Zahlen gezählt werden
sollte: die 1 gehört zweifellos zu N, und sie hat 0 Primfaktoren. Auf die Anzahl 0 kann
also nicht verzichtet werden.
Fazit: Es ist natürlich, die 0 zu den natürlichen Zahlen zu zählen.
Zum Schluß dieser Vorlesung stellen wir uns die Frage, ob es unendlich viele Primzahlen
gibt. Euklid hat hierfür den klassischen Beweis geliefert:
Satz 2. Es gibt unendlich viele Primzahlen.
Beweis. Angenommen, es gäbe nur endlich viele, etwa n Primzahlen: p1 , p2 , p3 , . . . , pn .
Wir bilden das Produkt n = p1 · p2 · p3 · · · pn . Freilich wäre dann n + 1 eine sehr große Zahl.
Aber sie müßte sich, wie alle anderen Zahlen, in Primfaktoren zerlegen lassen. Nehmen
wir einmal an, p sei ein solcher Primfaktor von n + 1. Da p in der Liste p1 , p2 , p3 , . . . , pn
vorkommt, wäre jedenfalls n durch p teilbar. Und schon geht der Bär in die Falle: Sowohl
n als auch n + 1 wären durch p teilbar, ein offenbarer Widerspruch! Die Annahme, es gäbe
nur endlich viele Primzahlen, ist damit widerlegt. Positiv audgedrückt: Es gibt unendlich
viele Primzahlen. Q. e. d.
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