Ingo Schulmeyer

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AKAD - Fachhochschule Stuttgart
[email protected]
Dozent: Prof. Dr. Ulrich Kreutle
SQL04 – Wissenschaftstheorie und empirische
Forschung
Ist eine wertneutrale Forschung in der Praxis
realisierbar?
18.07.10
Ingo Schulmeyer
[email protected]
Immatrikulations-Nr.: 629670
Korrektor
Datum
Note
Unterschrift
Erklärung
Ich versichere, dass ich das beiliegende Assignment selbstständig verfasst,
keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt
sowie alle wörtlich oder sinngemäß übernommenen Stellen in der Arbeit
gekennzeichnet habe.
(Ort, Datum)
(Unterschrift)
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
i
1
Einleitung
1
2
Das Problem der Wertfreiheit
2
2.1 Werte und Werturteile ........................................................................................ 2
2.2 Die Position des kritischen Rationalismus zu Werturteilen ............................... 3
2.3 Konträre Positionen ............................................................................................ 5
3
Ist eine wertfreie Wissenschaft möglich
6
3.1 Objektivität der Wirtschaftswissenschaften ....................................................... 7
3.2 Die Bedeutung der Wirtschaftsethik ................................................................... 9
4
Fazit
11
Literaturverzeichnis
13
i
Einleitung
1
Einleitung
Diese Arbeit behandelt die Position des kritischen Rationalismus zur
Wertfreiheit in den Wissenschaften und untersucht, ob sich diese Forderung
überhaupt realisieren lässt, bzw. ob heutige Wissenschaften wertfrei sind.
Der Werturteilsstreit, also die Diskussion ob Wissenschaft frei von Werturteilen
sein soll, hatte seinen ersten Höhepunkt 1914 im Verein für Sozialpolitik. Ein
halbes Jahrhundert später erreichte die Diskussion einen weiteren Höhepunkt,
welcher als „Positivismusstreit in der deutschen Soziologie“ in die Geschichte
einging. Bis heute hat der Streit nichts an Aktualität und Brisanz verloren.
Nach einer kurzen Einführung in das Problem der Wertfreiheit folgt eine
Begriffsabgrenzung als Ausgangspunkt für die weiteren Abhandlungen. Danach
wird die Position Max Webers und sein Wertfreiheitspostulat beschrieben. Die
Position des kritischen Rationalismus zur Thematik wird beispielhaft an den
Theorien von Hans Albert vorgestellt. Ebenso werden die Argumente von
Gegnern der Wertfreiheit dargelegt.
Ausgehend von diesen Ansichten wird dann die Frage erörtert ob Wertfreiheit in
der heutigen Wissenschaft möglich ist, ob sie bereits vorhanden ist und wichtiger
noch, ob sie überhaupt wünschenswert oder gar erstrebenswert ist. Zuerst werden
allgemein die Wissenschaften betrachtet, danach wird am Beispiel der
Wirtschaftswissenschaften die Problematik näher erörtert. Zum Abschluss soll
noch die Forderung nach einer Ethik in den Wirtschaftswissenschaften betrachtet
werden.
-1-
Das Problem der Wertfreiheit
2
Das Problem der Wertfreiheit
Die Forderung nach Wertfreiheit bzw. Wertneutralität ist in den empirischen
Wissenschaften oft zu finden. Sie impliziert, dass für die Gewinnung
wissenschaftlich relevanter Fakten nur die empirischen Daten, aber keinesfalls die
Werturteile von Menschen verwendet werden dürfen. Ebenso können aus
Sachaussagen keine Werturteile abgeleitet werden. Diese Forderung ist nicht
unumstritten. Ihren historischen Ursprung hat sie im britischen Empirismus.
Bereits David Hume beschrieb die Ableitung vom Sein aufs Sollen als einen
Fehlschluss1. Nach seiner Theorie ist es unmöglich, logisch von beschreibenden
Aussagen auf Werturteile zu schließen.
Um die Legitimität der Forderung nach einer wertfreien Wissenschaft zu
erörtern und um festzustellen ob unsere heutige Wissenschaft wertfrei ist oder
zumindest sein kann oder soll ist es unabdingbar, vorab einige Definitionen und
Standpunkte als Diskussionsbasis festzulegen.
2.1 Werte und Werturteile
Die
Frage,
was
ein
Wert
ist,
beschäftigt
die
Philosophen
und
Geisteswissenschaftler schon sehr lange. Ein Hauptproblem in der seit Webers
Aufsehen erregendem Aufsatz „Die ´Objektivität´ sozialwissenschaftlicher und
sozialpolitischer Erkenntnis“ 1904 immer wieder geführten Diskussion über
Werturteile ist, dass Befürworter und Gegner der Wertfreiheit teilweise
unterschiedliche Ansichten darüber hatten und haben, was eigentlich ein Wert
oder ein Werturteil ist.
Befürworter der Wertfreiheit in den Wissenschaften bezeichnen als ein
Werturteil „eine Äußerung der Art, dass etwas der Fall sein soll oder muss, bzw.
nicht der Fall sein soll oder darf.“2 Moralische Wertäußerungen werden oft als
nicht wahrheitsfähig eingestuft. Diese Ansichten wurden auch Max Weber
1
Vgl. David Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur (engl. A Treatise of Human
Nature.), Buch III, Teil I, Kapitel I, Meiner, Hamburg, 1989
2
Karl-Dieter Opp: Methodologie der Sozialwissenschaften, S. 222, VS Verlag, Wiesbaden, 2005
-2-
Das Problem der Wertfreiheit
zugeschrieben, auch wenn er dies nie explizit begründet hat. Genauer definiert
wurde der Begriff des Werturteils erst bei Hans Albert, demzufolge „Werturteile
keine Erkenntnisse vermitteln“ und „keinerlei kognitiven Gehalt haben.“3
2.2 Die Position des kritischen Rationalismus zu
Werturteilen
Als Vertreter des kritischen Rationalismus soll hier stellvertretend die Position
Hans Alberts betrachtet werden. Dieser vertritt im Wesentlichen die späte
Auffassung zum Werturteilsproblem von Max Weber, die er in der
Werturteilsdiskussion (1914) im „Verein für Sozialpolitik“ veröffentlichte und
vertrat. Max Weber änderte im Verlaufe des Werturteilsstreits (1903-1914) seine
Meinung dahingehend, dass er eine deutliche Unterscheidung zwischen Aussagen
und Werturteilen fordert. Die Kathederwertung, also die Äußerung von
persönlichen ethischen, ästhetischen oder weltanschaulichen Wertungen eines
Lehrkörpers im akademischen Unterricht lehnt er ab. „An seiner These der
Unmöglichkeit wissenschaftlicher Werturteile“4 hält er fest, denn „eine
empirische Annahme vermöchte niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur,
was er kann und, unter Umständen, was er will.“5 Webers Hauptanliegen ist
jedoch nicht das Heraushalten jeglichen Wertens aus den Wissenschaften, er
fordert
aber
eine
deutliche
Unterscheidung
von
Werturteilen
und
Tatsachenbehauptungen. Webers Abhandlungen und Forderungen zu dieser
Thematik werden unter dem Begriff „Wertfeiheitspostulat“ zusammengefasst.
Hans Albert denkt Webers These weiter und grenzt das Problem weiter ab. Er
unterscheidet drei Arten von Werturteilen6:
1. Werturteile im Basisbereich: Sie
ausgesprochene
oder
praktizierte
3
entstehen
Bekenntnis
z.B.
zu
durch
das
wissenschafts-
Gerhard Ebeling: Kritischer Rationalismus? Zu Hans Alberts Traktat über kritische Vernunft,
Mohr, Tübingen, 1973
4
Herbert Keuth: Wissenschaft und Werturteil, S. 6ff, Mohr, Tübingen, 1989
5
Max Weber: Die 'Objektivität' sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in:
Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. Johannes Winckelmann, Tübingen, 1988
6
Vgl. Hans Albert: Wissenschaftstheorie, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 3, S.
4687, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1976
-3-
Das Problem der Wertfreiheit
theoretischen Auffassungen oder die Auswahl der Forschungsprobleme.
Sie sind Voraussetzung für jede Forschungstätigkeit. Deshalb werden
diese Arten von Werturteilen von Befürwortern des Wertfreiheitspostulats akzeptiert.
2. Werturteile im Objektbereich: Sie
beinhalten wissenschaftliche
Aussagen über Werte, z.B. Untersuchungen der Zielsysteme von
Unternehmen. Die Werte an sich sind also nicht das Ergebnis, sondern
die Objekte wissenschaftlicher Untersuchungen.
3. Werturteile im Aussagenbereich: Sie behandeln Wertungen im
Rahmen wissenschaftlicher Aussagen über Objekte, also die Frage ob
wissenschaftliche
Untersuchungen
Werturteile sind
Gegenstand
wertfrei
sein
müssen.
der Werturteilsdiskussion in
Diese
den
empirischen Wissenschaften.7
Wird im Folgenden also von Werturteilen gesprochen sind damit Werturteile im
Aussagenbereich gemeint. Albert vertritt die Auffassung, dass aus Werturteilen
oder Entscheidungen auf rein logischem Wege keine Erkenntnisse zu gewinnen
sind, ebenso aus Erkenntnissen keine logische Schlussfolgerung auf Werturteile
oder Entscheidungen möglich ist. Dennoch hängen Bewertungen, Entscheidungen
und Erkenntnisse unmittelbar zusammen und beeinflussen sich gegenseitig.8
Ein Hauptproblem dieser Auffassung, dass auch von den Vertretern der
kritischen Theorie (speziell Jürgen Habermas) unterstellt wurde, war der fehlende
Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis. Der kritische Rationalismus bliebe
aufgrund seines Nonkognitivismuses auf den Bereich instrumenteller Vernunft
beschränkt. Diese Argumentation wird jedoch weder Weber noch Albert gerecht,
da diese keineswegs fordern, dass Werturteile in der Wissenschaft keine Rolle
spielen dürfen. Sie fordern lediglich, dass es niemals das Ziel einer
wissenschaftlichen Betrachtung sein darf, Werturteile zu fällen. Wenn ein Wert
eine wissenschaftliche Aussage beeinflusst, bedeutet das nicht, dass der Wert auch
in der Aussage enthalten ist. Die Aussage kann sich trotzdem auf die Realität
7
Vgl. Klaus Brockhoff: Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte, S. 27f,
Gabler, Wiesbaden, 2009
8
Vgl. J. Baechler et al: Erkenntnis und Moral. Ein Nachtrag zum Positivismusstreit, S. 313-325,
Paris, 2000
-4-
Das Problem der Wertfreiheit
beziehen. Andererseits ist, um eine wertfreie Aussage zu treffen, eine
ausreichende Klarheit über den eigenen Willen
immer nötig. „Die reine
Wissenschaft gibt uns also in Anwendung auf praktische Probleme Mittel in die
Hand, praktische Möglichkeiten zu untersuchen und damit herauszubekommen,
wie wir die vorliegende Situation bewältigen können, aber sie sagt uns nicht, dass
wir irgendeine der in Frage kommenden Möglichkeiten realisieren sollen.“9
Werturteile dürfen Wissenschaftler also leiten, sie dürfen aber nicht das Ziel der
wissenschaftlichen Arbeit, nämlich die Wahrheitsfindung, beeinflussen.
2.3 Konträre Positionen
Das Wertfreiheitspostulat löste eine Welle von teils heftigen Gegenreaktionen
aus. Die erste Gegenreaktion auf Webers Stellungnahme stammte von Eduard
Spranger. „Seiner Meinung nach haben Geisteswissenschaften die Aufgabe,
ethisch und politisch zu fordern und zu werten.“10 Leo Strauss geht noch weiter,
indem er behauptet ein Wissenschaftler handle unredlich, wenn er nicht werte.
Ohne diese Standpunkte näher hinterleuchten zu wollen, sollte nicht unerwähnt
bleiben, dass viele der Gegenthesen zum Wertfreiheitspostulat gar nicht dessen
Kern treffen, sondern z.B. auf Entscheidungen in der Wertbasis abzielen.
Auch unter Wirtschaftswissenschaftlern findet sich bereits früh die Forderung
nach einer wertenden Wissenschaft. Heinrich Nicklisch und seine Anhänger
stehen schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts für eine
„humanistisch an sogenannten ewigen Werten im Gewissen orientierte Sichtweise
mit strengen, nicht marktbezogen formulierten Gerechtigkeitspostulaten.“11
9
Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft, S. 66, 1968
Herbert Keuth: Wissenschaft und Werturteil, S. 53, Mohr, Tübingen, 1989
11
Klaus Brockhoff: Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte, S. 28, Gabler,
Wiesbaden, 2009
10
-5-
Ist eine wertfreie Wissenschaft möglich
3
Ist eine wertfreie Wissenschaft möglich
Das zentrale Problem dieser Arbeit ist die Frage, ob sich eine wertfreie
Wissenschaft im Sinne des kritischen Rationalismus realisieren lässt.
Betrachtet man Wissenschaft in Hinblick auf ihr Ziel, so ist sie nicht wertfrei, da
jedes Ziel an sich schon einen Wert darstellt. Das höchste Ziel jeder Wissenschaft
ist Wahrheit. Man kann also generell sagen, die empirischen Wissenschaften
untersuchen die Frage „Was ist (der Fall)?“, die normativen Wissenschaften
hingegen die Frage „Was soll sein?“ Diese ‚wertbehaftete‘ Wissenschaft widerlegt
aber noch nicht die Wertfreiheit im Sinne des kritischen Rationalismus. Dieser
meint mit wertfrei eher, dass dieses Ziel nicht anderen, z.B. politischen oder
weltanschaulichen Werten untergeordnet sein, bzw. von diesen manipuliert
werden darf. „Es geht also eigentlich dann nicht um Freisein von Werten, sondern
um ein Nicht-Manipuliertwerden der höchsten Werte der Wissenschaft“12
Ein wichtiger Punkt ist, dass es durchaus unterschiedliche wissenschaftliche
Disziplinen gibt. Diese unterscheiden sich in sehr starkem Masse in der
Ausprägung der Wertfreiheit. Mathematische Aussagen lassen sich zum Beispiel
nicht aus der Erfahrung ableiten und sind nicht falsifizierbar. Sie lassen sich nur
durch einen streng logischen Beweis herleiten. Dies verleiht der Mathematik eine
prinzipielle Endgültigkeit und Allgemeingültigkeit und somit natürlich auch a
priori Wertfreiheit.
Normative Wissenschaften wie z.B. Ethik oder Politik hingegen begründen
Wertaussagen. Diese Wissenschaften können sich nicht aus der Erfahrung
ableiten. Man kann nur sehen was ist, man kann nicht sehen und damit nicht
erfahren was sein soll. Die entscheidende Frage, die sich nun bei den normativen
Wissenschaften stellt, ist, ob es auch andere Kriterien zur Herleitung der
Allgemeingültigkeit gibt.
Habermas bejaht diese Frage und definiert als
Kriterium für die Allgemeingültigkeit einer These einen allgemeinen Konsens, der
12
Paul Weingartner: Werte in den Wissenschaften, in Gerhard Zecha: Werte in den
Wissenschaften, S. 57ff, Mohr Siebeck, Tübingen, 2006
-6-
Ist eine wertfreie Wissenschaft möglich
nur über Argumente hergestellt wurde.13 Diese Ansicht, und damit die
Möglichkeit normativer Wissenschaft, ist aber bis heute sehr umstritten. Es stellt
sich also eigentlich nicht die Frage, ob die normative Wissenschaft wertfrei ist,
denn das ist sie eben gerade nicht, sondern vielmehr ob normative Aussagen
überhaupt wissenschaftliche Geltung haben dürfen.
Der kritische Rationalismus bezog sich in seinen Aussagen und Forderungen
zur Wertfreiheit vor allem auf die empirischen Wissenschaften. Stellvertretend für
diese Kategorie sollen im nächsten Kapitel die Wirtschaftswissenschaften auf
Wertfreiheit untersucht werden.
3.1 Objektivität der Wirtschaftswissenschaften
Der unterschiedliche Geltungsanspruch, sowie die Unterscheidung zwischen
Sach- und Wertaussagen werden in den Wirtschaftswissenschaften weitgehend
akzeptiert. Trotzdem kommt es häufig vor, dass Ökonomen Wertaussagen mit
Anspruch auf wissenschaftliche Gültigkeit machen. Dies kann zwei Ursachen
haben. Entweder sind sich die Forscher selbst ihres Wertens gar nicht bewusst,
d.h. sie treffen ihre Aussage in der Annahme, dass diese dem Grundsatz der
Wertfreiheit standhält. Der zweite Fall ist der, dass sich die Wissenschaftler ihres
Wertens bewusst sind, aber aus subjektiven Gründen oder dem Glauben, im
Wohle der Allgemeinheit zu handeln, Werturteile mit in ihre Aussagen einfließen
lassen. Hiermit ist aber noch nicht erreicht, dass diese Aussagen auch allgemein
als wissenschaftlich anerkannt werden. Wissenschaft entsteht schließlich nicht
durch die Aussagen Einzelner sondern durch die kritische Diskussion
verschiedener Thesen und die Akzeptanz der Gesellschaft. Somit ist die
Wahrscheinlichkeit groß, dass wertende Aussagen zwar nicht zwangsläufig
abgelehnt, aber zumindest als unwissenschaftlich entlarvt werden.14 Unterstellt
man nun, dass es sich bei den Wirtschaftswissenschaften um rein empirische
Wissenschaften
handelt,
kann
man
Schlussfolgern,
13
dass
die
heutigen
Vgl. Jürgen Habermas: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt a.M. 1973
Vgl. Gebhard Kirchgässner: Wertfreiheit und Ojektivität in den Wirtschaftswissenschaften, in
Gerhard Zecha: Werte in den Wissenschaften, S. 137ff, Mohr Siebeck, Tübingen, 2006
14
-7-
Ist eine wertfreie Wissenschaft möglich
Wirtschaftwissenschaften prinzipiell wertfrei sein können. Sie werden dies jedoch
nur, durch kritische Auseinandersetzungen mit der Thematik und die dadurch
entstehende Ablehnung von „haltlosen“ Behauptungen.
Nun stellt sich natürlich die Frage, ob sich zu jeder der unzähligen
wissenschaftlichen Untersuchungen in angemessener Zeit eine oder gar mehrere
Gegenuntersuchungen anstellen lassen, die eine kritische Auseinandersetzung mit
der Thematik überhaupt erst ermöglichen. Solange eine These nämlich nicht
widerlegt ist, steht sie erstmal im Raum und kann damit Menschen und
Entscheidungen beeinflussen. Dies ist als sehr kritisch anzusehen und wirft
berechtigte Zweifel an einer wertfreien Wissenschaft auf. Der Anteil an
Wissenschaftlern die Werturteile mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit äußern ist
nämlich beträchtlich. Oft handeln sie dabei nicht einmal im eigenen Interesse,
sondern werden von Regierungen, Parteien und anderen Interessensgruppen
beauftragt, Gutachten zu erstellen, bei denen das Ergebnis von vornherein klar
ist.15 Dem Wissenschaftler wird also bewusst oder unbewusst eine Richtung
seines Forschens vorgegeben, die natürlich auf ein bestimmtes Ergebnis abzielt.
Weber forderte in seinem Postulat nicht nur eine wertfreie Wissenschaft, sondern
auch wertfreie Wissenschaftler, zumindest solche die ihr Werten aus dem
wissenschaftlichen Bereich fernhalten: „Persönlichkeit‘ auf wissenschaftlichem
Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient.“16
Betrachtet man die Wirtschaftswissenschaft im eigentlichen Sinne und
beschränkt sich auf die positive Ökonomik, so kann dieser Bereich als wertfrei
betrachtet werden.17 Grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge wie z.B. das
Prinzip von Angebot und Nachfrage sind allgemein anerkannt und bilden die
Realität hinreichend genau ab.
15
Vgl. Gebhard Kirchgässner: Zur Theorie wirtschaftspolitischer Beratung, 1996
Max Weber: Wissenschaft als Beruf, S. 15, Reclam, Stuttgart, 1995
17
Vgl. Gebhard Kirchgässner: Wertfreiheit und Ojektivität in den Wirtschaftswissenschaften, in
Gerhard Zecha: Werte in den Wissenschaften, S. 164, Mohr Siebeck, Tübingen, 2006
16
-8-
Ist eine wertfreie Wissenschaft möglich
3.2 Die Bedeutung der Wirtschaftsethik
Unabhängig davon, ob sich Wertfreiheit realisieren lässt, ist natürlich die Frage
berechtigt ob dies überhaupt wünschenswert oder erstrebenswert ist. Die
Globalisierung, Armut, Umweltkatastrophen oder die Weltwirtschaftskrise
vergangenes Jahr lassen immer wieder Forderungen nach einer Ethik in der
Wirtschaftswissenschaft aufkommen. Eine solche Ethik bedingt jedoch, dass
Werturteile gefällt werden. Dies verlangt einen normativen Charakter der
Wissenschaft, welchen das Wertfreiheitspostulat ausschließt. Die Ökonomik an
sich begründet keine Werturteile. „Sie zeigt vielmehr auf, welche Konsequenzen
gezogen werden müssten, wenn Zustände erreicht werden sollten, die bestimmten
Werturteilen bzw. Wertkonzeptionen entsprechen.“18
Die Forderung nach einer im Allgemeinwohl wertenden Wirtschaftswissenschaft findet sich in der sogenannten „integrativen Wirtschaftsethik“
wieder. „Ihre Vertreter sind davon überzeugt, dass man aufbauend auf der Idee
von Jürgen Habermas (1983) eine kognitive Wirtschaftsethik entwickeln kann, die
ein normatives Fundament abgibt, welches Maßstäbe zur Beurteilung der
wirtschaftlichen Situation gibt.“19 Als Hauptvertreter dieser Richtung gilt der
Schweizer Professor Peter Ulrich. Ulrich versteht seinen Ansatz als grundlegende
Kritik am herrschenden ökonomischen Rationalitätskonzept. Rationalität sei ein
„Kriterium, wie vernünftigerweise gehandelt werden soll und somit immer schon
eine normative Idee.“20 Damit versucht er die disziplinäre Trennung zwischen
Ökonomie
und
Ethik
wieder
aufzuheben.
Um
der
Ökonomik
mehr
Lebensdienlichkeit abzuverlangen fordert er: „Falls wir im praktizierten oder
vorgestellten Diskurs mit den unmittelbar Betroffenen zum Schluss kommen, dass
unsere Zweckwahl uns „zwingen“ würde, Dinge zu tun, die wir unter moralischen
Gesichtspunkten anderen Menschen gegenüber nicht gutheißen könnten, so
sollten wir unsere moralische Pflicht darin erkennen, das fragliche wirtschaftliche
18
Gebhard Kirchgässner: Wertfreiheit und Objektivität in den Wirtschaftswissenschaften, in
Gerhard Zecha: Werte in den Wissenschaften, S. 137ff, Mohr Siebeck, Tübingen, 2006
19
Gebhard Kirchgässner: Wertfreiheit und Objektivität in den Wirtschaftswissenschaften, in
Gerhard Zecha: Werte in den Wissenschaften, S. 139, Mohr Siebeck, Tübingen, 2006
20
Peter Ulrich: Diskursethik und politische Ökonomie, in Bievert, B./Held, M.: Ethische
Grundlagen der ökonomischen Theorie, S. 70ff, Frankfurt/New York, 1989
-9-
Ist eine wertfreie Wissenschaft möglich
Tun zu unterlassen und unsere wirtschaftliche Selbstbehauptung auf andere Weise
anzustreben.“21
In diesen Forderungen liegt aber eben die Problematik der integrativen
Wirtschaftsethik. So sind Moralvorstellungen doch eine sehr subjektive
Angelegenheit und unterscheiden sich stark, je nach Kultur, Nationalität oder
können sogar individuell verschieden sein. Das Kopieren von Produkten oder
Ideen zum Beispiel ist in westlichen Kulturen moralisch höchst verwerflich, in
China hingegen wird es als eine Ehrerweisung angesehen.
Ist
es
also
gerechtfertigt,
einen
Anspruch
für
eine
Ethik
in
der
Wirtschaftswissenschaft zu erheben oder ist das purer Idealismus? Generell ist
moralisches Handeln von beispielsweise Unternehmensleitern oder Banken
wünschenswert. Dies sollte jedoch von den empirischen Wissenschaften getrennt
betrachtet werden. Da solch eine Ethik keine Allgemeingültigkeit hat und auch
nicht haben kann ist es natürlich auch die Entscheidung des Einzelnen, ob er
danach handelt. An die Moral kann also nur appelliert werden, um eine für alle
bessere Gesellschaft zu erreichen. Wissenschaftlich begründen oder gar beweisen
lässt sie sich nicht.
21
Peter Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie,
Bern/Stuttgart/Wien, 2008
- 10 -
Fazit
4
Fazit
Vertreter des kritischen Rationalismus fordern eine wertfreie Wissenschaft.
Diese Forderung bezieht sich hauptsächlich auf die empirischen Wissenschaften.
Dieser Anspruch besteht aus mehreren Punkten.
Zum einen sollen Sachaussagen und Werturteile klar getrennt werden. Dies ist
notwendig um objektive und allgemeingültige wissenschaftliche Aussagen
machen zu können. Das Problem ist, dass viele Wissenschaftler Wertungen mit in
ihre Forschung einfließen lassen oder von außen manipuliert werden. Somit wird
auch das Ergebnis von Untersuchungen beeinflusst und verfälscht. Die
allgemeinen empirischen Wissenschaften, deren Aussagen bereits über längere
Zeiträume untersucht und auch immer wieder bestätigt bzw. widerlegt wurden,
können als wertfrei angesehen werden. Problematischer wird es, wenn man die
zahlreichen neueren Forschungen betrachtet. Diese haben erstmal Gültigkeit, bis
sie gegebenenfalls widerlegt werden. Hier kann nicht immer von Wertfreiheit
ausgegangen werden. Zumindest sollten solche Forschungsergebnisse immer
kritisch hinterfragt und bewertet werden.
Ebenso kann angezweifelt werden, dass keine Katheter-Wertung stattfindet. Die
Lehrkräfte sind eben Individuen mit einer subjektiven Meinung oder Einstellung.
Diese im akademischen Unterricht immer klar von Sachaussagen zu trennen, bzw.
ganz zu unterdrücken liegt nicht in der menschlichen Natur und kann wohl nicht
immer eingehalten werden.
Die Behauptung, dass
sich aus Werturteilen keine wissenschaftliche
Erkenntnisse ableiten lassen und umgekehrt mag zwar richtig sein, jedoch ist das
entlarven wertbasierter Aussagen als ‚unwissenschaftlich‘ schwierig.
Die Forderung der Antagonisten der Wertfreiheit nach einer Ethik in den
Wissenschaften ist problematisch. Es ist wünschenswert, dass Menschen im
Allgemeinwohl handeln und sich auch von Moralvorstellungen leiten lassen.
Trotzdem sollte so eine Ethik klar getrennt sein von den empirischen
Wissenschaften. Sie kann keine Allgemeingültigkeit haben. Eine „wahre“ oder
„absolute“ Ethik kann es nicht geben. Deshalb ist es wichtig, immer wieder an die
Moral von Entscheidungsträgern zu appellieren, um eine lebenswertere Umwelt
- 11 -
Fazit
zu schaffen.
Der Glaube an das Gute und die Macht und der Einfluss der
Menschen können oft mehr bewirken, als reine Wissenschaft oder die „Wahrheit“.
- 12 -
Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis
Albert, Hans: Wissenschaftstheorie, in: Handwörterbuch der
Betriebswirtschaft, Bd. 3, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1976
Albert, Hans: Traktat über kritische Vernunft, 1968
Baechler, Jean et al: Erkenntnis und Moral. Ein Nachtrag zum
Positivismusstreit, Paris, 2000
Brockhoff, Klaus: Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte,
Gabler, Wiesbaden, 2009
Ebeling, Gerhard: Kritischer Rationalismus? Zu Hans Alberts Traktat über
kritische Vernunft, Mohr, Tübingen, 1973
Habermas, Jürgen: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt
a.M., 1973
Hume, David: Ein Traktat über die menschliche Natur (engl. A Treatise of
Human Nature.), Buch III, Teil I, Kapitel I, Meiner, Hamburg, 1989
Keuth, Herbert: Wissenschaft und Werturteil, Mohr, Tübingen, 1989
Kirchgässner, Gebhard: Wertfreiheit und Ojektivität in den
Wirtschaftswissenschaften, in Gerhard Zecha: Werte in den Wissenschaften, Mohr
Siebeck, Tübingen, 2006
Kirchgässner, Gebhard: Zur Theorie wirtschaftspolitischer Beratung, 1996
Opp, Karl-Dieter: Methodologie der Sozialwissenschaften, VS Verlag,
Wiesbaden, 2005
Ulrich, Peter: Diskursethik und politische Ökonomie, in Bievert, B./Held, M.:
Ethische Grundlagen der ökonomischen Theorie, Frankfurt/New York, 1989
Ulrich, Peter: Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer
lebensdienlichen Ökonomie, Bern/Stuttgart/Wien, 2008
Weber, Max: Die 'Objektivität' sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer
Erkenntnis, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. Johannes
Winckelmann, Tübingen, 1988
Weingartner, Paul: Werte in den Wissenschaften, in Gerhard Zecha: Werte in
den Wissenschaften, Mohr Siebeck, Tübingen, 2006
Weber, Max: Wissenschaft als Beruf, Reclam, Stuttgart, 1995
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