Leitfaden Ethikberatung

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Bayern
Zurechtkommen
Ethikkultur in der Altenhilfe
Stefan Dinges
Frank Kittelberger
www.diakonie-bayern.de
Zurechtkommen
Ethikkultur in der Altenhilfe
Leitfaden zur Orientierung und Organisation
einer ethischen Entscheidungskultur in Einrichtungen der stationären Altenhilfe
Stefan Dinges, Frank Kittelberger
Sich Menschen am Lebensende zuzuwenden und sie zu begleiten – diese diakonische Aufgabe unterstützte die Initiative Hospizarbeit und Palliativ Care, die das Diakonische Werk Bayern
vor einigen Jahren startete. In zahlreichen Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der stationären und ambulanten Altenpflege, aber auch in gezielten Implementierungsmaßnahmen
für Träger und ihre Einrichtungen wurde die Sorge um Menschen
am Lebensende in den Mittelpunkt gerückt. Diese Sorge, die unter dem Stichwort „end-of-life-care“ verschiedene Disziplinen und
Handlungsfelder zusammenfasst, hat an Breite und Tiefe gewonnen.
In diesem Zusammenhang rückte eine Reihe ethisch schwieriger
Situationen und moralischer Fragestellungen im Bereich der Pflege und Begleitung von
Menschen am Lebensende ins Blickfeld. Achtsamkeit stellte sich als ein Kennzeichen diakonischer Zuwendung heraus. Deutlich sehen wir, wie wichtig es ist, die verschiedenen Sichtweisen der Beteiligten, von Ärzten und Pflegepersonal, der Angehörigen und vor allem der
zu Pflegenden, miteinander ins Gespräch zu bringen. Es kann also nicht um schnelle und
eindeutige Lösungen gehen. Es geht um die Fähigkeit, miteinander im Gespräch zu sein.
Eigene Wertvorstellungen und Erwartungen geraten nicht selten in den Widerspruch zu den
Wertvorstellungen, Erwartungen und Bedürfnissen anderer. Ethische Orientierung bedeutet
hier, das Gespräch und den gemeinsamen Blick auf eine Situation zu fördern. Anders als in
manchen klinischen Ethikkomitees, denen ein schwieriger Fall zur Entscheidung vorgelegt
wird, versuchen wir in den Einrichtungen vor Ort die Betrachtung derselben Situation von
verschiedenen, zum Teil ganz unterschiedlichen Sichtweisen her einzuüben. Ethikberatung
in der bayerischen Diakonie stellt sich der Frage: Wie kommen in dieser Lebenssituation
Betroffene und Beteiligte miteinander zurecht, dass sie gemeinsam einen guten, gangbaren
Weg finden. Es geht um Handlungsfähigkeit und Kommunikation.
Der vorliegende Leitfaden bietet einen Einblick in Methoden und Arbeitsmaterialien zur
Ethikberatung, die auf den jahrelangen Praxiserfahrungen der beiden Autoren beruhen. Er
nimmt die Fähigkeiten und Kompetenzen der einzelnen Mitarbeitenden, aber auch die Organisationen und Einrichtungen selbst in den Blick. Denn: Die Qualifikation der einzelnen
kommen nur dann zur Geltung, wenn die Einrichtung als ganze Ethikberatung als Aufgabe
auch der Organisationsentwicklung ernst nimmt.
Wir danken den beiden Autoren, Frank Kittelberger und Stefan Dinges, für die Erstellung
des vorliegenden Leitfadens und für das damit verbundene Engagement, Ethikberatung in
der Altenpflege fachlich zu fundieren und zu begleiten. Wir sind gewiss, dass mit diesem
Leitfaden den Herausforderungen moderner Altenpflege in einem wichtigen und kommunikativ bedeutsamen Feld Rechnung getragen werden kann.
Dr. Ludwig Markert
Präsident des Diakonischen Werks Bayern
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
S. 4
2. Themen, Inhalte und Strukturen von Ethikberatungen
S. 7
3. Grundlagen der Ethikberatung
S. 19
4. Modelle der Ethikberatung und ihre Einsatzmöglichkeiten
S. 32
5. Fortbildung / Training für unterschiedliche Formen der Ethikberatung
S. 43
6. Wie kommt die Ethikberatung in die Einrichtungen?
S. 47
7. Literaturverzeichnis / Links
S. 66
1. Einführung
Ethische Entscheidungskultur(en) am Lebensende
Die demographische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat in Einrichtungen der
stationären Altenhilfe bundesweit zu zahlreichen Modellprojekten der Implementierung von
Palliative Care geführt. Inzwischen ist auf diesem Feld einiges an innovativem Wissen,
Routinen und Strukturen entstanden. In den letzten Jahren sind neue Themen im Umfeld
der Fragen nach der Palliativversorgung im Pflegeheim in den Blick gekommen. Dazu
gehören die speziellen Anforderungen in der Begleitung von Demenzkranken am
Lebensende, aber auch Fragen der Ethik und Ethikberatung.
Die Hilfe im Alter der Inneren Mission München hatte im Laufe ihres Projektes zur
Implementierung von Palliativversorgung frühzeitig die Notwendigkeit erkannt, Fragen der
Ethikkultur, ethischer Entscheidungsprozesse und ethischer Strukturen gesondert in den
Blick zu nehmen. Daher hat sie sich entschlossen, im Jahr 2008 mit einem eigenen
Projekt zur Implementierung von Ethikberatung zu beginnen. Die hier vorliegende
Handreichung möchte die Projekterfahrungen, insbesondere aber die bewährten
Arbeitsmaterialien und Designs, Anderen zur Verfügung stellen: Das Projekt „Ethische
Entscheidungskultur am Lebensende“ wurde von der Robert-Bosch-Stiftung großzügig
gefördert; eine wesentliche Bedingung war, das Wissen zur Verfügung zu stellen – was wir
hiermit gerne tun1.
Ethische Kompetenz in diakonisch (karitativen) Einrichtungen der Altenhilfe
Nicht nur die interne Organisations- und Projektkultur der Hilfe im Alter, auch das kirchlichgesellschaftliche Umfeld begünstigten das geplante Ethikprojekt: Für das bei der RobertBosch-Stiftung beantragte und mit den Führungskräften der Hilfe im Alter vereinbarte
Projekt ergab sich in der Auftaktphase ein Kairos, der für die exemplarische Wirkung und
Weiterarbeit eine wichtige Bedeutung hatte: Im Zusammenhang diakonischer Initiativen in
Bayern hatte das Diakonische Werk mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche einen
Aufruf zugunsten strukturierter Ethikberatung in den Einrichtungen der Altenhilfe gestartet.
Dieser Aufruf war und ist in seinen Inhalten eine Bestätigung und Unterstützung für die
Zielvorgaben des Ethikprojekts der Hilfe im Alter. Zitat aus dem Aufruf vom Januar 20092:
Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Bayern und das Diakonische Werk
Bayern rufen hiermit dazu auf, Ethikberatung bzw. ausgewiesene ethische Kompetenz
in Zukunft in allen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen der Altenpflege zu
einem integralen Bestandteil des Gesamtkonzeptes werden zu lassen. (…).
Schon jetzt und in Zukunft immer mehr müssen auch in Einrichtungen der Altenpflege
schwierige Situationen bewältigt und schwierige Entscheidungen getroffen werden.
Dazu braucht es besondere ethische Wachsamkeit und Sensibilität für die Bedürfnisse
der Bewohnerinnen und Bewohner und für die Notwendigkeiten der konkreten
Situation. Dreh- und Angelpunkt, an der die ethischen Entscheidungen auszurichten
sind, sind die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner. In stationären
Pflegeeinrichtungen sind auch bereits heute Leitungen, Pflegeverantwortliche und
Mitarbeitende in diesem Sinn wachsam und sensibel. Dies verdient hohe Anerkennung
und Unterstützung – sowohl in fachlicher als auch in struktureller Hinsicht. Gerade
1
Weitere Informationen zum Projekt und zum Projektbericht, auf den wir uns hier häufig beziehen, bei:
[email protected]
2
http://www.diakonie-bayern.de/positionen-der-diakonie/zur-ethischen-kompetenz-in-der-altenhilfe.html
4
deshalb besteht eine besondere Herausforderung immer wieder darin, die Anweisungen von Hausärztinnen und Hausärzten mit teilweise widersprechenden
Erwartungen von Angehörigen und den eigenen Wünschen der pflegebedürftigen
Bewohnerinnen und Bewohnern zu vereinbaren. Willensbekundungen in Patientenverfügungen bedürfen der Interpretation. Werden Menschen im Pflegeheim krank,
rückt der Tod heran, setzt häufig ein vor allem für die Bewohnerinnen und Bewohner
belastender „Drehtüreffekt“ ein. Sie werden ins Krankenhaus überwiesen, kommen
wieder von dort zurück, werden wieder überwiesen, auch deshalb, weil in der Pflegeeinrichtung Unsicherheit über das angemessene Verhalten oder Zweifel an der verordneten Behandlung bestehen. Dieser „Drehtüreffekt“ widerspricht einer Auffassung,
gerade das Ende des Lebens -und was damit verbunden ist - als entscheidende
Lebensaufgabe anzunehmen und bewusst zu gestalten. Engagierte Hausleitunge
und Pflegende, die mit solchen Situationen zurechtkommen und offene Fragen
ansprechen, verdienen hohe Anerkennung. Sie brauchen aber auch professionelle
Begleitung und kontinuierliche Fortentwicklung ihrer ethischen Kompetenz.(…)
Die kirchlich Verantwortlichen skizzieren ein integriertes Modell in der Begleitung und
Versorgung hochaltriger Menschen. Sie betonen, dass es hier zusätzlicher Kompetenzen
bedarf – aber auch Strukturen, damit wirklich bedürfnisorientiert gearbeitet werden kann.
In dieser Empfehlung wird ein besonderes Augenmerk auf die MitarbeiterInnen gelegt; hier
werden die Notwendigkeit von Entlastung und indirekt von Supervision, aber auch
Handlungssicherheit hervorgehoben. Es wird auf den Ausbildungsbedarf hingewiesen, der
eben auch der Qualität der ganzen Einrichtung zugute kommen sollte. Grundtenor ist
jedenfalls das kommunikative Engagement, das für die Umsetzung der ethischen Frage
grundlegend ist.
Deswegen freuen wir uns, dass dieser Leitfaden vom Diakonischen Werk Bayern
herausgegeben wird. Er schließt an die Handreichung „Ethisch handeln in der Pflege“ der
Hessischen Diakonie3 an, die er ergänzen und weiterführen will. Damit steht der
deutschen Diakonie insgesamt eine beachtliche Breite an direkt nutzbarer Literatur in
einem noch jungen Themenfeld zur Verfügung.
Zum Gebrauch dieser Handreichung
Unsere Handreichung ist nicht primär für NeueinsteigerInnen ins Thema gedacht: Die
NutzerInnen sollten eine gewisse Vorerfahrung und ein Überblickswissen im Bereich der
Ethikberatung, Organisationsentwicklung und im Projektmanagement haben. Entsprechende Hinweise für Grundausbildungen haben wir im Anhang dokumentiert. Unsere
Handreichung richtet sich an PraktikerInnen, die in (ihren) Einrichtung Projekt-Praxis
voranbringen möchten bzw. eine schon begonnene Ethikberatung optimieren und
wirksamer gestalten möchten. Für diese Zielgruppe haben wir kurze Einführungen,
beispielhafte Designs und Arbeitsblätter zusammengestellt – wir laden herzlich dazu ein,
diese zu verwenden und ggf. zu adaptieren.
Im Sinne eines Leitfadens wird hier Interessierten ein Einblick in unser Modellprojekt
gegeben und dabei werden gleichzeitig Ideen vermittelt, welche Schritte sinnvoll und
welche Voraussetzungen nötig wurden, um selbst einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Dabei liegt die Betonung auf „ähnlich“. Kein Projekt gleicht dem anderen. Kein Modell kann
einfach „nachgebaut“ werden. Im Palliative Care, in der Hospizarbeit und auch in einer auf
die Betroffenen zentrierten Ethik steht die Situation der Betroffenen und Beteiligten im
Vordergrund.
3
http://www.diakonie-hessen-nassau.de/DWHN/presse/2009/Artikel/1809.html
5
Alles Wissen ist letztlich verdankt oder es wurde gemeinsam erarbeitet; wir danken allen
verantwortlichen Frauen und Männern in der Hilfe im Alter für die vertrauensvolle
Zusammenarbeit, namentlich sei die Geschäftsführung, Dr. Günter Bauer und Gerhard
Prölß (pars pro toto!) herausgegriffen. Zusammenarbeit, kollegiale Inspiration und auch
das ein oder andere Textfragment schulden wir insbesondere Svenja Uhrig, Brigitte Huber
und Martin Alsheimer.
Wolf Hirche und Siegfried Wanner im Diakonischen Werk Bayern ist für die Unterstützung
im ganzen Themenzusammenhang und insbesondere an der Ermöglichung dieses
Leitfadens zu danken.
6
2. Themen, Inhalte und Strukturen von Ethikberatungen
Klinische Ethikkomitees, Ethikberatung und Ethikbeiräte in der Altenhilfe
Woher kommt das Wissen, auf welches das Projekt „Ethische Entscheidungskultur am
Lebensende“ zurückgreifen konnte? Klinische Ethikberatung 4 in Form von „Health Care
Ethics Committees“5 war in den 80er Jahren eine Antwort auf organisationale Krisen im
Krankenhausbereich (Schadensfälle, Euthanasievorwürfe, Fragen nach Qualität und
Standards etc.). Krankenhäuser waren gezwungen, Ethikkomitees zu gründen, um die
eigene Existenz nicht zu gefährden und den ärztlichen MitarbeiterInnen eine rechtliche
Rückendeckung zu gewähren. Bald darauf wurde die Existenz eines Ethikkomitees zum
Gegenstand von Zertifizierungen und damit zu einem unerlässlichen Standard in
amerikanischen Krankenhäusern.
Über KollegInnen6, die in der USA Medizinethik lernten und lehrten und über die klinischen
Zertifizierungen, die durch Zertifizierungsgesellschaften nach Europa kamen, gelangte die
Idee der Klinischen Ethikkomitees bzw. der klinischen Ethikberatung auch nach
Deutschland7. Sie etablierten sich insbesondere an Universitätskliniken, wo sie eine
ergänzende Rolle zu den klinischen Ethikkommissionen einnahmen und auch von den
LehrstuhlinhaberInnen für Medizinethik betrieben wurden. Dabei hat insbesondere ein
Modell der KollegInnen aus Nimwegen8 Eindruck hinterlassen: In Ergänzung zu einem
Komitee waren die MitarbeiterInnen des Lehrstuhls für Medizinische Ethik über einen
Piepser für MitarbeiterInnen des gegenüberliegenden Krankenhauses für ethische
Fallkonsultationen auf Station erreichbar.
Andere Modelle wurden von Hans Martin Sass (Bochumer Patientenbogen), Stella ReiterTheil (Zürich)9 beschrieben. Einen wichtigen Schritt leisteten die beiden konfessionellen
Krankenhausverbände10 in Deutschland, die ihren Mitgliedern die Einrichtung von
Klinischen Ethikkomitees empfohlen haben – um hier einen zusätzlichen strukturellen
Mehrwert als konfessionelle Einrichtung zu haben und zur eigenen Profilbildung
beizutragen. Die bestehenden Ethikkomitees wurden in einer ersten Studie von Alfred
4
La Puma, John, Stocking, Carol B., Silverstein, Marc D., DiMartini, Andrea, Siegler, Mark (1988): An Ethics
Consultation Service in a Teaching Hospital. Utilization and Evaluation, in: JAMA 260, S. 808 – 811
5
Fletcher, John C., Hoffmann, Diane E.: Ethics Committees (1994): Time to Experiment with Standards, in:
Annals of Internal Medicine 120, S. 335 – 338
6
Z. B. Gerd Richter, vgl. Richter, Gerd (o.J.): Fälle klinischer Ethik – Theorie und Praxis. Erschienen in:
Reihe Gerontologie 39. Marburg; Richter, Gerd (2001): Ethics Consultation at the University Medical Center
– Marburg. In: HEC Forum 13 (3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 294 – 305
7
Z. B. Schmidt, Kurt W. (2001): Models of Ethics Consultation: The „Frankfurter Model“. In: HEC Forum 13
(3). Dordrecht: Kluwer Academic Publishers. S. 281 – 293; Simon, Alfred (2000): Klinische Ethikberatung in
Deutschland. Erfahrungen aus dem Krankenhaus Neu-Mariahilf in Göttingen. Ersch. in: Berliner
Medizinethische Schriften. Heft 36. Dortmund: Humanitas Verlag.
8
Gordijn, Bert (2000), Ethische Diskussionen im Team. Nijmweger Modell der multi-disziplinären ethischen
Fallbesprechung, in: Die Schwester/Der Pfleger 39 2 (2000), S. 114 – 117; Gordijn, Bert, Steinkamp, Norbert
(2000): Entwicklung und Aufbau Klinischer Ethikkomitees in den Krankenhäusern der Malteser Trägerschaft.
Ein Werkstattbericht, in: ZME 46, S. 305 – 310; Steinkamp Norbert, Gordijn Bert (2003) Ethik in der Klinik –
ein Arbeitsbuch. Luchterhand, Neuwied.
9
Reiter-Theil, Stella (2000): Ethics Consultation on Demand. Concepts, Practical Experience and a Case
Study, in: JME 26, S.198 – 203
10
Katholischer Krankenhausverband Deutschlands e. V., Deutscher Evangelischer Krankenhausverband
e.V.: Ethik-Komitee im Krankenhaus, Eigenverlag, Freiburg 1997.
7
Simon und Erny Gillen evaluiert11. Dabei wurde deutlich, dass viele Ethikkomitees ohne
ausreichende Ausbildung in die Arbeit gestartet waren. Dementsprechend zwiespältig
waren auch die ersten Erfahrungen, die mit Ethikkomitees und Ethikberatung gemacht
wurden; manche Komitees wurden eingerichtet und kamen nie in die Arbeit, andere trafen
sich zwar, hatten aber keine Anfragen.
Gemeinsam mit Simon/Gillen und einigen KollegInnen aus der IFF-Abteilung „Palliative
Care und Organisationales Lernen“ wurde 2002 ein Pilotprojekt zur Schulung und
Implementierung von Ethikberatung in der Kaiserswerther Diakonie/Florence Nightingale
Krankenhaus12 durchgeführt, 2003 dann auch in der stationären Altenhilfe13. Dahinter
stand die Idee, dass wechselseitig MitarbeiterInnen aus der Altenhilfe bzw. aus dem
Krankenhaus auf der Basis des Nimwegener Modells ethische Fallbesprechungen
moderieren können. Im Training zeigte sich ein unterschiedliches Vorgehen und Adaptieren
der Konzepte: Während im Krankenhaus sehr eng an den Nimwegener Vorgaben
festgehalten wurde, entwickelte sich in der Altenhilfe ein sehr differenziertes Vorgehen,
das sich auch an anderen Modellen aus dem Bereich der Sozialpädagogik orientierte. Hier
konnte schon auf interdisziplinäre und multiprofessionelle Fallbesprechung zurückgegriffen
werden. Ein weiteres Modell der kollegialen Beratung ergänzte das Methodenportfolio.
Interessant war zudem der Rahmen, in dem Ethikberatung eingerichtet wurde: Im Vorfeld
waren bereits durch das IFF-Team Strukturen von Palliative Care bzw. die Einrichtung
eines Hospizes im Krankenhaus begleitet worden; nachfolgend sollte auch auf
übergreifenden Ethikstrukturen auf Trägerebene hingearbeitet werden. Aus dem
Pilotprojekt wurde ein erweitertes Trainingsprogramm IFF/AEM aufgesetzt, das dreimal
durchgeführt wurde: Mainz 2002/2003, Freising 2003 und Düsseldorf 2004.
Die Fachgesellschaft Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) an der Universität
Göttingen richtete 2004/2005 einen Arbeitskreis ein, der ein gemeinsames
Ausbildungscurriculum für klinische Ethikberatung14 erarbeitet. Hier konnte neben den
medizinethischen Themen und den Moderationserfahrungen aus der IFF-Perspektive
insbesondere ein Organisationsschwerpunkt eingefügt werden. In nicht wenigen Projekten
der ersten Stunde war eine ‚Organisationsvergessenheit‘ zu bemerken; d. h. es gab
keinen klaren Auftrag der Führung, Rollenkonflikte (z. B. durch die Beteiligung von
SeelsorgerInnen oder unreflektierten Leitungsrollen im Komitee), mangelnden
Informationsfluss, keine oder nicht ausreichende Dokumentation etc. Es wurde anhand
des Curriculums annähernd deutlich, dass die Ausbildung allein noch nicht zu einer
gelingenden Ethikberatung (auf Station oder im Komitee) führen würde. Für den
Erfahrungsaustausch wurde eine Internet-Plattform15 gegründet, auf der neben dem
Curriculum weitere Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. Seit 2008 erarbeitet die
11
Simon, Alfred, Gillen, Erny (2000): Erhebung über Klinische Ethik-Komitees. In: Krankendienst 8-9. S. 245
– 248; Simon, Alfred, Gillen, Erny (2000): Klinische Ethik-Komitees in Deutschland / Feigenblatt oder
praktische Hilfestellung in Konfliktsituationen? In: Simon et al. (Hrsg.): Die Heilberufe auf der Suche nach
ihrer Identität. Frankfurt: LIT. S. 151 – 157.
12
Heller Andreas, Dinges Stefan (2003): Ethikberatung im Krankenhaus. In: Heller, Andreas, Krobath,
Thomas (Hrsg.): OrganisationsEthik. Organisationsentwicklung in Kirchen, Caritas und Diakonie. Freiburg im
Breisgau: Lambertus, S. 419 – 428.
13
Heller Andreas, Dinges Stefan (2003): Ethikberatung in der Altenhilfe. In: ProCare 6, S. 30 – 32; weitere
Erfahrungen: vgl. Hans Bartosch, Cornelia Coenen-Marx, Joachim F. Erckenbrecht, Andreas Heller (Hrsg.)
(2005): Leben ist kostbar. Der Palliative Care- und Ethikprozess in der Kaiserswerther Diakonie, Lambertus:
Freiburg
14
Simon Alfred, May Arnd T., Neitzke Gerald (2005), Curriculum „Ethikberatung im Krankenhaus“ in
EthikMed 17, S. 322 – 326.
15
www.ethikkomitee.de
8
Arbeitsgruppe Standards für die Einrichtung von Ethikberatung und Empfehlungen für die
Dokumentation; diese wurden nach der Approbation durch den Vorstand der AEM auf der
oben genannten Interseite veröffentlicht.
Auf der Basis des Curriculums wurden etliche Trainingsprogramme eingerichtet; ein
Programm, an dem sich die Autoren des Curriculums beteiligen, findet am Zentrum für
Gesundheitsethik (ZfG) an der Ev. Akademie Loccum jetzt schon im 12. Durchgang statt.
Ebenfalls am AEM/IFF-Basiscurriculum orientiert sich ein Ausbildungskurs für Ethikberatung in der Altenhilfe, den die beiden Projektverantwortlichen im Ethikprojekt der Hilfe
im Alter ab 2006 nun bereits zum fünften Mal anbieten werden (2006 und 2007 in Kloster
Irsee, 2008, 2009 und 2010 in Steinerskirchen, gemeinsam mit der Gemeinnützigen
Gesellschaft für soziale Dienste, Nürnberg).
Inhalte und Ziele der Fortbildung „Ethikberatung in der Altenhilfe“:
Grundlagen zu Ethik, Beratung und Organisation
Identifikation und Moderation ethischer Fragen im Alltag
Ethik als Prozess verstehen und gestalten
Brückenfunktion der Ethik (Person – Organisation – Kultur)
Entscheidungsspielräume gestalten
Ethische Entscheidungsfindung als Versorgungsqualität verstehen
Kontext zu end-of-life-care sehen
Grundparadigmen (gewaltfreier) Kommunikation zuordnen
Grundlagen zu Ethikberatung und Organisationsethik
Modelle interdisziplinärer Fallbesprechungen kennenlernen und einüben
Interprofessionelle Ethik und Ethikberatung in der Altenhilfe
Ethische Themen in der Altenhilfe
Fallbeispiele nach den Ansätzen von Loewy und Rabe moderieren
Entwicklung und Entscheidung für mögliche Modelle und Strukturen von
Ethikberatung
Beratung zur Implementierung und zu Routinen von Ethikberatung
Seit 2005 wurden von den ProjektbegleiterInnen (einzeln und gemeinsam) vielfache
Erfahrungen im Bereich Ethikberatung erworben, in Beratung und in der Implementierung.
Auch im Bereich der Altenhilfe wurden bereits mehrere Projekte in Training, Beratung und
Implementierung umgesetzt (z. B. Ethikbeirat des Geriatriezentrums am Wienerwald,
Wien, Kath. Pflegehilfe, Essen und in einem Projekt des österreichischen
Bildungsministeriums für Transdisziplinäre Forschung, Teilprojekt Ethische Arrangements
in Pflegeheimen16).
Inzwischen gibt es im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl von Modellen von
Ethikberatung, auch in der Altenhilfe, die sich im Wesentlichen auf die skizzierten
Konzeptionen und Modelle zurückführen lassen.
16
Pleschberger Sabine, Dinges Stefan (2007): “Ethische Fallbesprechung“. Planung, Ablauf und Reflexion
der Workshops im Projekt, in: Reitinger Elisabeth, Heimerl Katharina, Heller Andreas (Hg.): Ethische
Entscheidungen in der Altenbetreuung. Mit Betroffenen Wissen schaffen, kursbuch palliative care 11/2007;
Dinges Stefan (2008): Hürden auf transdisziplinären (Forschungs)Wegen, in: Reitinger Elisabeth (Hg.):
Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und Gesundheitswesen, Wien, Carl-Auer-Verlag, S. 109 – 119;
Reitinger Elisabeth (Hg.) (2008): Transdisziplinäre Praxis. Forschen im Sozial- und Gesundheitswesen.
Heidelberg: Verlag für Systemische Forschung – Carl Auer.
9
Baustein: Die Themenlandschaft einer Einrichtung in der Altenhilfe wahrnehmen
Die (ethischen) Themen, die in einer Einrichtung aufgeworfen und angesprochen werden,
sind aufschlussreich für die ethische Entscheidungskultur einerseits (die vorhandene und
die erwünschte) und für den Bedarf an ethischer Entscheidungskompetenz andererseits.
Die daraus entstehende Themenlandkarte kann ein wichtiges Instrument für die Arbeit und
die Weiterentwicklung in den Einrichtungen gesehen werden. Es sind jene Geschichten
und Themen, die vor allem MitarbeiterInnen17 aufwerfen, wenn sie nach guter Arbeit und
Versorgungen gefragt werden, nach Geschichten, die ihnen nachgegangen sind und von
denen sie glauben, dass ‚man‘ auch hätte anders entscheiden können. Diese Themen
führen wieder zur Grundannahme, dass Ethikberatung jene Themen besprechbar macht,
die in einer Organisation besprochen werden müssen, um weiterhin den Organisationszweck (in der Altenhilfe z. B. menschenwürdige Versorgung im Alter) zu gewährleisten und
selbst zukunftsfähig zu bleiben.
Die zweite Grundannahme ist, dass dazu die Widersprüche einer Organisation sichtbar
gemacht und dass das Nichtentscheidbare entschieden werden sollte. Einer der
Widersprüche, auf die wir immer wieder stoßen, ist die Anforderung, menschenwürdige
Versorgung im Alter zu garantieren und als Widerspruch dazu die gesellschaftliche
Abwertung des Alters. Dies ist weniger daraus abzuleiten, dass das jugendliche Aussehen
ein Schönheitsmaßstab ist etc., sondern vielmehr an der permanenten Ressourcenknappheit, die für die Versorgung alter Menschen gesellschaftlich zur Verfügung gestellt
werden. Simone de Beauvoir hat bereits 1970 in ihrem Buch „Das Alter“ darauf hingewiesen, dass sich die Humanität einer Gesellschaft daran ablesen lässt, welchen
Aufwand und welchen Verzicht sie zu leisten bereit ist, um ihre Alten zu versorgen.18
Ein Beispiel für die Figur des Nichtentscheidbaren, das es zu entscheiden gilt, ergibt sich z. B. bei
der Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Behandlung oder Behandlung bei demenziell erkrankten
BewohnerInnen oder nicht mehr auskunftsfähigen PatientInnen: Ob etwas Sinn macht, ist letztlich
dem Individuum und seiner/ihrer Entscheidung anheim gestellt. Viele Entscheidungssituationen in
der Altenhilfe sind jedoch dadurch charakterisiert, dass es trotz einer Willensäußerung, einer
Stellvertretung oder einer Patientenverfügung nicht mehr zweifelsfrei möglich ist zu entscheiden,
was in dieser oder jener Situation sinnvoll im Sinne der BewohnerIn oder PatientIn wäre. Hier hilft
Ethikberatung, indem sie die Entscheidung nicht auf einer singulären Perspektive begründet,
sondern auf einer strukturierten Bearbeitung in einem interdisziplinären, multiprofessionellen
Setting.
Methoden: Um die Themenlandschaft (= die aktuellen ethischen Herausforderungen)
einer Einrichtung zu erheben, eignen sich zwei Instrumente: (a) eine exemplarische
Bearbeitung einer Fallgeschichte oder (b) eine ausführliche, gemeinsame
Stärken-Schwächen-Analyse. Die erwähnten Arbeitsblätter und Materialien finden Sie
gleich im Anschluss an das jeweilige Kapitel.
Diese Instrumente haben einen unterschiedlichen Fokus und eine unterschiedliche
Durchdringungstiefe.
- Die ethische Bearbeitung einer Fallgeschichte geht bei einer Person und dem
betreuenden Team in die Tiefe. In einer vorausschauenden (prospektiven)
Bearbeitung, wenn alle relevant Betroffenen beteiligt werden konnten, kommt es in
17
Für den weiteren Verlauf der Implementierung ist die verstärkte Integration der Perspektiven von
BewohnerInnen und ihrer Angehörigen zu beachten; in der ethischen Bearbeitung der Bewohnergeschichten
war diese Perspektive ja schon vorhanden.
18
De Beauvoir, Simone, (1972) Das Alter (La Vieillesse 1970), Rowohlt Verlag: Reinbeck.
10
-
-
der Regel zu einer unmittelbaren Entscheidung oder zu einer Empfehlung, die dann
zeitnah umgesetzt wird. Hier wird insbesondere eine Verhaltensänderung auf
Teamebene oder bei einzelnen Personen möglich. Ob sich auch etwas an den
Arbeitszusammenhängen und an den organisationalen Rahmenbedingungen
ändert bzw. diese Kontexte gesehen werden, ist nicht immer garantiert.
In einer nachschauenden (retrospektiven) Aufarbeitung einer Fall-Geschichte
können diese Kontexte und das organisationale Lernen in den Mittelpunkt gestellt
werden. Sich als Team oder Einrichtung zu verbessern, obwohl zuvor gute Arbeit
geleistet wurde, ist eine starke Motivation, sich den auftauchenden Themen zu
stellen. Die Befürchtung, an einen Pranger gestellt zu werden, verhindert jedwede
Motivation. Deswegen ist dafür Sorge zu tragen, dass die strukturierte Bearbeitung
von retrospektiven Fallbesprechungen keinesfalls in eine ‚Schuldigensuche‘ oder in
ein Tribunal ausarten. Verantwortungsübernahme und gemeinsames Fokussieren
auf notwendige Veränderungen ist dagegen ein anzustrebendes Ziel.
Bei der Stärken-Schwächen-Analyse liegt der Fokus der Themen viel näher an den
Team- und Organisationsaufgaben; die individuelle Bewohnergeschichte bzw. die
aktuelle Versorgungssituation sind eher der Katalysator für eine Problemstellung
bzw. für eine notwendige Lösung oder einen Entwicklungsschritt.
Beispiel: Entwicklung/Bearbeitung einer Themenlandkarte aus exemplarischen Fallgeschichten
•
Scham von BewohnerInnen, zur Last zu fallen und pflegebedürftig zu sein
•
(Über-) fordernde BewohnerInnen (mit Einfluss, Macht)
•
Mobilisierung, Gedächtnistraining wider Willen
•
Unruhige, aggressive BewohnerInnen, mit Tendenz zu Zerstörungen, Ekel auslösenden
Handlungen, täglichem depressivem Sterbewunsch
•
Sexuelle Übergriffe gegenüber MitarbeiterInnen (z. B. in der Demenz)
•
Unterschiedliche Positionen im Team bei klarem PatientInnen/BewohnerInnen-Willen
•
Aufträge von Angehörigen, die das Team auszuführen haben
•
Konsequentes, kontinuierliches Einbeziehen des Hausarztes/der Hausärztin
•
Schwierige und belastende Sterbesituation, z. B. Atemnot, Ersticken, trotz Einstellen der
Ernährung längeres Sterben, Sterben im Doppelzimmer, starke Blutungen, Schmerzen
•
Ausreichende seelsorgliche und spirituelle Begleitung am Lebensende
•
Entscheidung/Abwehr eines/einer (dementen gerontopsychiatrisch veränderten)
Bewohners/Bewohnerin gegen Krankenhaus, Reanimation, lebensverlängernde Maßnahmen,
Ernährung, Verweigerung von Pflegemaßnahmen, Medikamentengabe
•
Krankenhauseinweisung wider Willen, Notarzt-Modus, Nicht-Beachtung von
Patientenverfügungen
•
Ausreichende Versorgung, Ausreichende Schmerztherapie und Symptomkontrolle im
Sterbeprozess
•
Entscheidung über Ernährung (PEG) bei Dementen/am Lebensende
•
Entscheidungen von Führungskräften, die nicht begründet werden
•
Ansprechen von Pflegefehlern (Dekubitus, Sauberkeit) bzw. unangemessenes Verhalten von
KollegInnen (Verstoß gegen Vereinbarungen, Regeln, Standards)
•
Anordnungen von BetreuerInnen, AmtsärztInnen – gegen das Team/Haus
Im Vergleich zu ähnlichen Projekten im Krankenhaus fallen einige Beobachtungen auf: Es
gibt eine erhöhte Sensibilität auf Alltagsthemen, die als ethisch bedenklich gesehen
werden: Die Entscheidungen auf Leben und Tod, die im medizin-dominierten Krankenhaus
an der Tagesordnung sind, treten in den Hintergrund. Eine verstärkte Aufmerksamkeit liegt
11
auf guter und angemessener Pflege. Damit wird auch der Dominanz der Pflegeberufe im
Alten- und Pflegeheim Genüge getan. Die Schwachstelle einer angemessenen und
ausreichenden medizinischen Versorgung wird gesehen. Aus diesen Perspektiven lässt
sich vermuten, dass in den Altenhilfe weniger ein ‚Zuviel‘ am Lebensende, sondern eher
ein ‚Zuwenig‘ an (medizinischer) Versorgung zum Thema wird und in den Einrichtungen
bedacht werden muss. Ähnlich wie im Krankenhaus werden Themen und Fragestellungen
markiert, die von außen in die Einrichtung getragen werden: Die Wünsche von
Angehörigen und anderen Bezugspersonen, Anordnungen von BetreuerInnen,
AmtsärztInnen und den medizinischen Diensten der Krankenkassen werden oft als
Störung und mit zu wenig Verständnis für die Alltagsarbeit markiert. Ähnlich wie im
Krankenhaus fällt es aus vielerlei Gründen schwer, Außenperspektiven als Unterstützung
zu nutzen bzw. als nützlich zu integrieren.
Erfahrungsaustausch: Vertiefende Analysen und Einsichten
In Workshops machen wir die Erfahrung, dass über kurz oder lang organisationsrelevante
Themen ‚auf den Tisch kommen‘ und einen sensibel-kompetenten Umgang fordern.
Beobachtung 1: Es fällt im Rahmen der Beschreibung von Fallgeschichten auf, dass die
Berichtenden schwer „auf den Punkt kommen“; die Geschichten werden ausschweifend erzählt
und starten oft mit unwesentlichen Details, andere TeilnehmerInnen werden unruhig …
Interpretation: Gerade in der knappen Zeit der Alltagsroutinen werden Auszeiten genutzt, um sich
belastende Dinge von der Seele zu reden; manchmal weist es auch auf hinderliche Muster im
Alltagsverhalten hin. Die ‚GeschichtenerzählerInnen‘ haben relevantes Wissen über eine
Betreuungssituation; dadurch dass sie nicht auf den Punkt kommen (eigentlich: das relevante
Thema nicht in den Vordergrund stellen!) wird ihnen nicht zugehört, die problematische Situation
bleibt offen. Mitunter verstummen diese MitarbeiterInnen frustriert.
Intervention: Es bedarf einer Anleitung zur gezielten Informationsweitergabe (Worum geht es –
Fragestellung: fachlich – palliativ – ethisch? Was ist die Vorgeschichte? Was sind relevante Fakten
(physisch, psychisch, sozial, spirituell)? Wie sind diese zu gewichten und zu bewerten? Was gibt
es an Handlungsmöglichkeiten, Alternativen, Konsequenzen?! Was könnte der nächste Schritt
sein? (Klären: Verantwortlichkeiten – EntscheiderInnen – zu Beteiligende). Die
Leitungsverantwortlichen sind zu befähigen, relevantes Wissen zeitgerecht von den
Mitarbeitenden zu generieren; moderierte Besprechungsroutinen sollen dabei unterstützen, damit
das Wesentliche an Informationen allen verständlich zur Verfügung steht.
Beobachtung 2: Im Rahmen der Fallbesprechung entsteht die Tendenz, dass Leitungsverantwortliche beginnen, Beteiligte zu belehren.
Interpretation: Führungskräfte erkennen in der Fallbearbeitung einerseits ihre Verantwortung
gegenüber bestimmten Themen; anderseits zeigen sich unterschiedliche Wissensbestände und
Nachholbedarf im Bereich von Fachkompetenz und persönlichen Fähigkeiten.
Intervention in der Moderation: Die/der ModeratorIn leitet dazu an, nur das, was zur unmittelbaren
Fallgeschichte gehört, kurz anzuführen; Führungskräfte sollen anderen Orts bei nächster
Gelegenheit geeignete Maßnahmen ergreifen, z. B. eine interne Weiterbildung abhalten etc.
Im Rückblick auf die Bearbeitung der Fallgeschichten stellt sich die Frage nach der Prävention
(und damit konkretisiert sich eine Aufgabe für die Moderation): Was sollte in den Teams
vorausschauend gelernt und organisiert werden? Wie schauen die Prozeduren aus bei:
-
unterschiedlichen Positionen bzw. Konflikten zwischen Angehörigen (BewohnerInnen) und
dem Team?
-
unterschiedlichen Positionen bzw. Konflikten zwischen Team und HausärtztInnen?
-
Konflikten im Team, zwischen Leitung und Team?
12
Beispiel: Themenlandschaft aus einer Stärken-Schwächen-Analyse
Bei der Arbeit mit der Stärken-Schwächen-Analyse greifen wir insbesondere jene Themen auf, die als
Schwächen bzw. als Herausforderungen genannt werden – hier zeigt sich der Entwicklungsbedarf der
Personen, der Teams und der Einrichtungen. Im Moderationsprozess ist es ebenso wichtig, mit den Stärken
und Chancen zu arbeiten (eine detaillierte Anleitung findet sich in der Materialbox). Die Themen aus der
Stärken-Schwächen-Analyse wurden nach den Stichworten ‚Pflegekultur‘, ‚Kommunikationskultur‘,
‚Teamkultur‘ und ‚Hauskultur‘ aufgegliedert.
Ethische Herausforderungen in der Pflegekultur
•
zu wenig Biographie der BewohnerInnen
•
viele demente BewohnerInnen => hoher Stressfaktor
•
Oftmals fehlt die Zeit, mit Angehörigen und BewohnerInnen in Ruhe zu sprechen
•
andere BewohnerInnen, die drängen
•
Patientenverfügungen oftmals nicht vorhanden/nicht aktuell/werden nicht anerkannt
•
zerstrittene Angehörige, die gegensteuern oder ihre Meinung ändern
Kommunikationskultur
•
getroffene Absprachen werden nicht eingehalten
•
Ängste, über Gefühle zu reden
•
zu wenig Austausch unter den MitarbeiterInnen
Teamkultur
•
Überlastung der Teams durch Personalwechsel, Aushilfskräfte, Zeitarbeit
•
oft unterschiedliches Verständnis und Empfinden von Situationen
•
zeitlicher Rahmen durch Rahmenbedingungen von außen sehr eng
•
Arbeit wird durch „Unorganisiertheit, Unordnung“ im normalen Ablauf gestört
•
Teams/Bereiche überlastet (durch hohe Krankenstände)
•
alte, eingefahrene Abläufe, resistente MitarbeiterInnen
•
negatives Gerede
•
Widerstände gegen fachlich begründete Veränderungen
•
Kommunikation mit und bis zu den PflegehelferInnen funktioniert nicht immer
•
Uneinigkeit im Team
Hauskultur
•
zu viel verwaltende Aufgaben in der Pflege (bessere Organisation der Aufgaben?)
•
zeitweise geringe Wertschätzung der Hauswirtschaft (Selbsteinschätzung: die HW macht da
schon… – wird hier Verantwortung abgeschoben?!)
•
Engpässe lösen zu viel Stress aus
•
Oft immer wieder neue ZeitarbeiterInnen und Krankheitsausfälle - deswegen keine gute
Arbeitsplanung möglich
•
zu viel egoistisches Verhalten (mein Team, unsere Station, etc.)
•
Cliquenwirtschaft – Teams klinken sich aus
•
Mobbinggefahr
•
Leitungen haben den Drang, Teammitglied sein zu wollen
•
zu wenig Abgrenzung zum Team
•
der sehr hohe Qualitätsanspruch lässt zu wenig Zeit übrig, um sich z. B. mit persönlichen
Gesprächen zu befassen.
13
•
Vor lauter „Qualitätsverbesserung“ und ständig sich ändernden Vorgaben geht der Blick für
das Wesentliche verloren.
•
Mitarbeitstruktur (nicht alle MitarbeiterInnen können/wollen sich mit dem Ethik-Thema
beschäftigen)
•
wichtige pflegerische Informationen (z.B. MRSA) müssen geordnet die Bereiche Küche und
Hauswirtschaft erreichen
•
nur Pflichten – wenig Anerkennung
•
Argumentation gegenüber Medizinischem Dienst der Krankenkassen nicht immer einfach
•
zu schnelle Zimmerräumung (bei Sozialamt sofort) -> der nächste Bewohner wartet schon ->
Geldfrage lösen durch „Freihaltegebühr“.
Erfahrungsaustausch:
Die herausfordernden Alltagsentscheidungen
In der Altenhilfe sind jeden Tag herausfordernde Entscheidungen zu treffen: Ist es
gerechtfertigt, physische oder psychische Gewalt anzuwenden, um einen Bewohner/eine
Bewohnerin zu waschen, der/die sich dagegen wehrt? Ist es legitim, die Freiheit eines
Bewohners/einer Bewohnerin einzuschränken, die unruhig ist und versucht aus dem Heim
in die alte Wohnung zu laufen? Sollen verwirrte PatientInnen über eine Magensonde
ernährt werden, aus Gründen eines allgemeinen Lebensschutzes – auch gegen ihren
erklärten oder geäußerten Willen? Dürfen medizinische Behandlungen ohne Zustimmung
an bettlägerigen PatientInnen durchgeführt oder unterlassen werden? Und: Wer hat
eigentlich zu entscheiden? Die besorgten Angehörigen, die kompetente Pflegeperson, die
erfahrene Heimleitung – oder der/die Betroffene selbst? Die Entscheidungssituationen in
der Altenhilfe sind komplex und Entscheidungen lassen sich nicht leicht treffen. Die Folge:
Wichtige Entscheidungen werden wegdelegiert oder gar nicht entschieden. Es entsteht der
Eindruck, am Ende des Lebens gehe es eigentlich um Nicht-Entscheidbares.
Der zweite Eindruck: Die ethischen Herausforderungen sind in den Einrichtungen der
Altenhilfe anders gelagert als in den Krankenhäusern. Sabine Wadenpohl hat in einem der
ersten Workshops für Ethikberatung (2002) in den Altenhilfeeinrichtungen der
Kaiserswerther Diakonie postuliert: Ethik(-beratung) in der Altenhilfe ist weit weniger von
der Dynamik „auf Leben und Tod“ geprägt, sondern eigentlich eine Ethik eines
(maßvollen) Lebens angesichts des Todes. Deswegen liegt die Vermutung nahe, dass es
auch andere Instrumente und Routinen der Ethikberatung braucht, als sie in der klinischen
Ethikberatung entwickelt wurden.1
Was Entscheidungen so schwierig macht
Das Schwierige an diesen (Alltags-)Entscheidungen ist: Sie lassen sich nicht ein für alle
Mal entscheiden. Sie müssen zwischen dem Einzelnen mit seiner/ihrer individuellen
Geschichte und einer verantwortlich gerechten Betreuung aller BewohnerInnen und den
vorhandenen Ressourcen ausbalanciert werden. Der Medizinethiker Erich Loewy hat das
Schwierige auf den Punkt gebracht: Am Lebensende haben wir beim Entscheiden selten
die Wahl zwischen gut oder besser. Es gilt zu entscheiden zwischen miserabel und
hundsmiserabel – zumindest auf den ersten Blick, vor allem aus dem Blickwinkel der
MitarbeiterInnen und der Angehörigen. Diese machen Druck: Das ist ja nicht mehr zum
1
Die entsprechenden Publikationen von Steinkamp/Gordijn (Ethik in Klinik und Pflegeeinrichtungen. Ein
Arbeitsbuch, Neuwied-Köln-München: Luchterhand, 2005) bzw. Dörries et al. (Klinische Ethikberatung. Ein
Praxisbuch, Stuttgart: Kohlhammer 2008) erscheinen jeweils in der 2. Auflage mit dem erweiterten Blick für
die Altenhilfe.
14
Aushalten, nicht mehr christlich, unwürdig … Und: Da muss man doch etwas machen!
Vielleicht hätte jedoch der Bewohner/die Bewohnerin gewollt, dass jetzt nichts mehr
gemacht wird. Auch wenn das Angehörige und MitarbeiterInnen schlecht aushalten …
Dazu verändern sich die Rahmenbedingungen dramatisch: Das Eintrittsalter in
Altenhilfeeinrichtungen hat sich in den vergangenen Jahren von durchschnittlich 75 Jahren
auf weit über 82 Jahre gesteigert, mit bis zu zehn Erkrankungen, einem hohen Anteil
demenziell veränderter Menschen und damit verbunden mit einem hohen Pflegebedarf2.
Bessere Entscheidungen organisieren
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich in vielen Einrichtungen die Frage, wie sich hier
eine kontinuierliche Reflexion auf Bedürfnisse der BewohnerInnen, auf angemessene
Versorgung und auf die stattfindenden Wertekonflikte bzw. das diakonische Profil
organisieren lässt. Und: Was kann eine eigene Konzeption von Ethikberatung in der
Altenhilfe dazu beitragen? Es braucht Verfahrensregeln, Routinen und Strukturen zu
entwickeln, einzuüben und zu pflegen, damit die herausfordernden Entscheidungen
möglichst gut und zeitnah getroffen werden.
• Eine gute Entscheidung beteiligt alle Betroffenen: BewohnerIn, Angehörige, die
Teammitglieder und die Hausleitungen sowie (Haus-)ÄrztInnen;
• Eine gute Entscheidung dient in erster Linie dem Bewohner/der Bewohnerin und
würdigt sie/ihn als Einzelperson;
• Eine gute Entscheidung ist eine, die getroffen wird!
Belastend für alle Beteiligten ist, wenn nichts entschieden wird, Entscheidungen
aufgeschoben, verweigert, verhindert oder solange wegdelegiert werden, bis es nichts
mehr zu entscheiden gibt. Und so einfach es klingt: Bessere Entscheidungen beginnen mit
der Erlaubnis zu fragen. Entscheidend ist die Frage: Ist es gut (für den Bewohner/die
Bewohnerin), wie wir hier arbeiten? Was heißt für die „Hilfe im Alter“ gute Arbeit, gute
Pflege, gutes Sterben? Erzielt werden soll eine Entscheidungskultur, die von allen
MitarbeiterInnen und Führungskräften mitgetragen und mitgestaltet wird und die allen
BewohnerInnen und ihren Angehörigen zugute kommt. Als ein Teil einer diakonischen
Entscheidungskultur ist zu fragen, welchen Unterschied es denn macht, ob jemand in
einer Einrichtung der Diakonie gepflegt wird? Gute Pflegequalität wird ja in allen anderen
Einrichtungen auch erwartet – was also ist der konfessionelle, christliche, diakonische
Mehrwert? Der christliche Weg, die protestantische Haltung, die diakonische
Verantwortung – das sind Wertepräferenzen im Wettbewerb mit anderen.
2
Vgl. z. B. Schulz, Andrea: Traditionelle und alternative Wohnformen für Seniorinnen und Senioren,
Hamburg: Diplomica Verlag, 2004; Them, Christa, Deufert, Daniela, Fritz, Elfriede: Die »Haller Altersstudie«,
Vortrag im Rahmen der Tagung »Pflegebedürftig« in der »Gesundheitsgesellschaft«, (26. – 28. März 2009),
Halle/Saale, in: Hallesche Beiträge zu den Pflegewissenschaften, Gesundheits- und Pflegewissenschaften
44 (2009), S. 3 – 15.
15
Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 2
Erhebung, Analyse und Dokumentation von Fallgeschichten in der
Ethikberatung
Datum der Anfrage
EinbringerIn
(intern/extern)
weitergeleitet an: Ethikberatung
Ethikbeirat
andere
A) Situations- und Problem BESCHREIBUNG
ƒ Worum geht es in der Anfrage (Thema, Konflikt, Beteiligte …)
ƒ
Bitte schildern Sie kurz die BewohnerIn/KlientIn und ihre Lebenssituation
(medizinisch-pflegerische Aspekte, sozial-spirituelle Anamnese …)
ƒ
Welche ethischen Fragestellungen wurden genannt?
ƒ
Mit welcher Frage wurde zur Ethikberatung eingeladen?
ƒ
Wer wurde eingeladen?
B) Moderations- und Beratungsprozess
ƒ
16
Verlauf der Ethikberatung:
Welche Aspekte/Positionen/Werte wurden in die Beratung eingebracht?
Neue Informationen und Aspekte?
Betroffene und Beteiligte, die noch nicht einbezogen wurden?
Wer hat was zu entscheiden? Wer ist für was verantwortlich?
C) Situations- und Problem-ANALYSE und Beratungs-ERGEBNISSE
ƒ
Ethische Beurteilung der Situation:
Hat sich die Fragestellung verändert?
Gibt es unterschiedliche Beurteilungen/Positionen?
Welche Handlungsoptionen und deren Folgen wurden erwogen?
ƒ
Zu welchem Ergebnis ist die Ethikberatung gekommen?
(begründete Situationseinschätzung, Empfehlung, Teamentscheidung,
Konsens/Dissens)
ƒ
Welche Vereinbarungen wurden getroffen?
(Informationen, Einbeziehen, weitere Treffen)
D) Umsetzung und Weiterarbeit/Evaluation
ƒ Wurden die getroffen Vereinbarungen umgesetzt?
gibt es weitere Auswirkungen durch die Ethikberatung?
Unterschrift der Verantwortlichen:
17
SOFT-Analyse zur systematischen Erhebung des Ist-Zustandes
Fragestellung:
Wie sieht aus Ihrer Perspektive (z. B. einer Führungskraft) konkret die ethische Entscheidungskultur (Fragen der Menschenwürde, Autonomiewahrung, Balance der Fürsorge,
Entscheidungen am Lebensende) aus?
Ziel:
Die gemeinsame Erarbeitung von verschiedenen Aspekten.
Diese soll als Basis dienen, um anschliessend erste Lösungsansätze gemeinsam zu
identifizieren und zu erarbeiten.
SOFT-Analyse: (Offene Methoden Stärken-Schwächen-Analyse – BMUK: Wien 1999)
Eine SOFT-Analyse ist eine Stärken-Schwächen-Analyse.
Die erste Möglichkeit zur Analyse der Ausgangssituation und des Blicks in die Zukunft bildet eine so
genannte Ist-Analyse, welche die gegenwärtigen Stärken und Probleme, aber auch die Chancen und
Gefahren in der künftigen Entwicklung auslotet. Auf dieser Grundlage lassen sich erste Strategien
für die mittel- und langfristige Zielsetzung in der jeweiligen Einrichtung oder Abteilung/ identifizieren,
planen und umsetzen.
Die hier vorgestellte Untersuchungsmethode eignet sich zur Analyse eines aktuellen Problemfeldes
bzw. einer aktuellen Situation.
Satisfaction (Zufriedenheit/Stärken)
Opportunities
(Ressourcen/Möglichkeiten/Chancen)
Was erscheint derzeit zufriedenstellend?
Was läuft bis jetzt gut? Was gilt es jetzt zu
bewahren? Das sind unsere Stärken.
Darauf können wir bauen. Daran müssen
wir festhalten. Das läuft rund. Darauf
können wir stolz sein.
Das sind unsere Möglichkeiten. Dies sind
unsere (vielleicht noch ungenutzten oder nicht
ausgeschöpften) Ressourcen. Das erreicht zu
haben wird gut sein. Dies sollten wir (noch
mehr) nutzen. Hier sind bereits gute Ansätze
vorhanden. Dies sollten wir mehr ausbauen,
entwickeln, die Chancen nutzen. Hier sind
Möglichkeiten vorhanden und auszubauende
Ansätze für …
Faults
(Schwächen/Hindernisse/Fehler)
Threats (Befürchtungen, Gefahren,
Das fehlt; dies ist jetzt nicht gut. Hier sind Schwierigkeiten,
Hindernisse, Probleme in Bezug auf ...
Daran müssen wir arbeiten. Hier gibt es
Probleme. Das erschwert die/das …
Hier läuft es nicht rund. Das läuft
unbefriedigend. Das stört uns/mich. Dies
sollten wir abstellen, weil …
18
Bedrohungen, Risiken)
„Was passiert, wenn nichts passiert“
Was passiert, wenn alles beim Alten bleibt?
Hier lauern Gefahren. Da müssen wir
vorsorgen. Wenn sich nichts verändert, ist zu
befürchten dass ...
Hier sind absehbare bedrohliche
Entwicklungen, drohende Probleme in Sicht.
Das droht uns, wenn wir im Bereich … nichts
tun.
3. Grundlagen der Ethikberatung
Ethik als Dienstleistung an Grundhaltungen, Wertvorstellungen und Handlungsprinzipien von Personen und Organisationen
Baustein: Die Einstiegsfrage im Training lautet für uns: Was ist der Unterschied zwischen
Moral und Ethik? (Die Ergebnisse werden auf einem Flipchart festgehalten …)
Hier die Begriffe auseinanderzuhalten (bzw.
die Unterschiede, um die unterschiedlichen
Perspektiven
und
Wirklichkeiten
im
(beruflichen) Alltag besser nutzen zu
können) ist eine Herausforderung. Unser
Eindruck: ‚Ethik‘ boomt – als Begriff und in
den Fortbildungsangeboten. Und: Ethik wird
auch als Synonym für Moral verwendet. Hier
entstehen viele Missverständnisse.
Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Moral
und Ethik beschreiben?
Ethik ist die (wissenschaftliche, theologischphilosophische oder einfach alltags-praktische) Reflexion auf Moral bzw. Moralen. Das
heißt, es braucht eine vorfindbare Moral
(Werthaltungen, Prinzipien, Normen, Leitbilder etc.), um darüber nachdenken zu
können, ob es so gut ist, wie es ist. Wollen
wir es so haben, wie es ist? Oder ist eine
andere Wirkung, ein anderes Ergebnis
wünschens- oder erstrebenswert? Ethik ist
also eine Dienstleistung an der Moral bzw.
zugunsten ihrer Wirksamkeit.
Abb. 1: Flipchart Moral – Ethik
Erny Gillen hat formuliert: Die Ethik befördert die Moral. Im Umkehrschluss bedeutet das:
Ethik ersetzt nicht eine Moral und kann demnach auch nicht als Ersatz für Moral herhalten:
Es braucht und geht nicht ohne explizite moralische Äußerungen und Positionierungen –
die diakonisch-karitativen Einrichtungen beziehen in vielen Bereichen unseres Sozial- und
Gesundheitswesens mutig Position, im Sinne eines expliziten Profils.
Eine zweite Beobachtung zum aktuellen Ethikboom und zur Scheu, den Begriff der Moral
zu verwenden: Viele Menschen sind der Überzeugung, ihre persönlichen Werte und
Überzeugungen gingen niemanden etwas an; sie verbitten sich vehement eine
Einmischung in ihre privaten Dinge. Hand in Hand mit dieser Individualisierungstendenz
geht der Trend, dass es zusehens schwerer wird, gesellschaftlich Normen und Werte
eindeutig zu positionieren und durchzusetzen, z. B. in der aktuellen Debatte um
Sterbehilfe oder künstliche Ernährung. Als eine Konsequenz dieser Entwicklung bedauern
Leitungsverantwortliche in den unterschiedlichsten Einrichtungen, dass sie nicht mehr von
einer eindeutigen Wertehaltung bei den MitarbeiterInnen ausgehen können. Deshalb
investieren auch die konfessionellen Einrichtungen Zeit und Geld, um durch Leitbilder und
Leitlinien ihren MitarbeiterInnen, aber auch den Kunden eine gute Orientierung über
Wertvorstellungen und Handlungsprinzipien, über Möglichkeiten und Grenzen zu geben. In
der Regel gelingt das dann, wenn gleichzeitig auch aufgezeigt wird, wie und wo diese
19
Werte und Moralen eingefordert und hinterfragt werden können oder aber wie man sich an
diesen Werten auch beteiligen kann. Weil hier den Organisationen und Einrichtungen, in
denen Menschen einen wesentlichen Teil ihrer Arbeits- und Lebenszeit verbringen, ein
wichtiger Beitrag zur Wertebildung zukommt, haben sich hier neue ethische
Reflexionsinstrumente etabliert, damit diese beabsichtigte Wirkung auch gelingt. Mit der
Perspektive der Organisationsethik ist so auch eine Brücke bzw. Verbindung möglich
zwischen dem Nachdenken und Reflektieren auf der Ebene des Individuums und der
Gesellschaft.
Baustein/Methode: Im Team der Ethikberatung, aus Anlass eines Workshops mit
Leitungskräften, im Ethikbeirat (oder Ethikkomitee) eine Analyse der (gewünschten und
erwarteten) Werte, Haltungen und Handlungsprinzipien für die Organisation/die
Einrichtung oder das Team durchführen (erst eine Einzelarbeit, dann der gemeinsame
Blick, die gemeinsame Sammlung; auf einem Flipchart zusammenschreiben: Was gilt für
Individuen, was gilt in einzelnen Teams, was gilt einrichtungsweit? Eine kritische Kontrolle:
Gibt es Ausnahmen, mit welcher Begründung?)
In einem zweiten Schritt lassen Sie bitte zusammenstellen: Wenn es zu Unklarheiten oder
einem Konflikt kommt, wie werden diese bearbeitet?
- z. B. bei einem Mobbing unter MitarbeiterInnen => Betriebsrat;
- z. B. bei der Beschwerde eines Bewohners/einer Bewohnerin => Beschwerdemanagement;
- z. B. neue Herausforderungen => Leitbild-Konferenz.
Aufgabe: Wo und wie werden in Ihrer Einrichtung derzeit Wertekonflikte zwischen
BewohnerInnen, Angehörigen und dem Betreuungsteam bearbeitet bzw. gelöst?
Erfahrungsaustausch: Im Alltag begegnen uns viele Fragen nach der Moral auf
unterschiedlichen Ebenen:
Auf der gesellschaftlichen Ebene (Sozialethik/Makroebene 2):
- Was sind die Grundwerte unseres Gesundheitssystems?
- In welchem Maß ist unsere Gesellschaft bereit, in die Versorgung kranker,
behinderter, alter und sterbender Menschen zu investieren?
- Welche christlichen Werte tragen dazu bei, die Humanität der Gesellschaft zu
befördern oder zu erhalten?
Auf der mittleren Ebene der Organisationen und Einrichtungen (Organisationsethik/Makroebene 1)
- Welche Werte und Handlungsprinzipien machen uns als christliche, diakonische
Einrichtung unverwechselbar? Wie unterscheiden wir uns von anderen
MitbewerberInnen auf dem Gesundheitsmarkt?
- Wofür stehen wir als Pflegeeinrichtung der Diakonie? Was kann von uns erwartet
werden, z. B. in der Versorgung hochaltriger, demenziell veränderter Menschen?
- Welches Verhalten der Führungskräfte, der MitarbeiterInnen entspricht der Marke
Diakonie, dem Profil einer diakonischen Einrichtung? Was kann unternommen
werden, um diese Marke zu schützen und weiter zu befördern?
Auf der Ebene der Teams und Wohnbereiche (Berufsethiken/Mesoebene)
- Wie können unterschiedliche Zugänge/Berufsrollen bzw. Berufethiken zu einem
gemeinsamen Teamhandeln und Entscheiden integriert werden?
- Was wird im Team als gute Versorgung/Pflege/Betreuung verstanden und was ist
gefährliche Pflege? Wie und wann wird das Erwünschte (bzw. das Gegenteil davon)
kommuniziert?
20
Auf der Basisebene (Mikroebene) spielen die persönlichen Erfahrungen, Werthaltungen
und Einstellungen eine wichtige Rolle (Individualethik/Mikroebene) – auch wenn wir heute
nicht mehr davon ausgehen können, dass unsere MitarbeiterInnen kirchlich oder
gemeindlich sozialisiert worden sind.
Bei Konflikten und in Entscheidungssituationen, in der Ethikberatung vor Ort haben wir die
Erfahrung gemacht, dass es gut ist, sich auf eine Ebene zu beschränken, auf der jetzt die
relevant Betroffenen entweder zusammen sind oder eingeladen werden. In der
Ethikberatung vor Ort macht es wenig Sinn, sich in Themen der Gesundheitspolitik zu
verlieren – da hier die EntscheidungsträgerInnen nicht erreichbar sind für eine Beteiligung.
Ganz anders kann hier ein Beirat oder ein Komitee agieren: Wenn Fragestellungen in den
Teams anhaltend nicht gelöst werden können werden, ist es hier möglich,
Trägervertreter/Innen mit KostenträgerInnen, VertreterInnen des MDK etc. zusammen an
einen Tisch zu bringen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Abb. 2: Ziel- und Handlungsebenen in der Ethikberatung © dinges 2010
Hilfreiche ethische Entscheidungsprinzipien
Wie kommen wir zu praxisrelevanten Entscheidungsprinzipien? In den Alltagssituationen
des Gesundheitswesens hat es sich bewährt, nicht auf so genannte Letztbegründungen
zurückzugreifen, sondern die von Beauchamp und Childress vorgeschlagenen mittleren
Prinzipien der Bio- bzw. Medizinethik zu verwenden. D. h. es wird im Alltag darauf
verzichtet, mit moralischen Urteilen wie der Geschöpflichkeit oder Gottesebenbildlichkeit
zu argumentieren, sondern es ist nach Autonomie, Nutzen, Schaden und Gerechtigkeit zu
fragen.
• Autonomie: Inwieweit gibt es autonome Willensäußerungen eines/einer Patient/in oder
eines/einer Bewohner/in, von denen sich ein Behandlungs- oder Betreuungsauftrag
ergibt oder abgeleitet werden kann?
• Nutzen: Welcher Nutzen, welches Ziel soll mit einer Behandlung oder Betreuung
erreicht werden?
21
•
Schaden: Welcher Schaden kann von einem Menschen abgewendet werden? Oder:
Mit welchem geringeren Schaden wird gerechnet, um ein größeres Ziel/Nutzen zu
erreichen? (z.B. Opiateinsatz zur Schmerzkontrolle ...)
• Gerechtigkeit: Ist die Wahl der Mittel, der Einsatz der Ressourcen gerecht(fertigt) bzw.
wird ein Vorgehen den PatientInnen, den BewohnerInnen – aber auch den Teams
gerecht?
Beauchamp und Childress griffen nicht irgendwelche ethische Prinzipien heraus, sondern
sie zitieren drei Leitsätze, die das ärztliche Handeln und deren Berufsethik seit
Jahrhunderten prägten und gestaltet haben:
- primum utilis esse (Beneficence- bzw. Nutzensprinzip)
- primum non nocere (Nonmaleficence- bzw. Schadensprinzip)
- voluntas aegroti suprema lex (Autonomy- bzw. Autonomieprinzip)
Wie sehr die alte Auswahl (aber auch die heutige!) einem bestimmten Kontext und einer
zeitgeschichtlichen Verfasstheit geschuldet war und ist, zeigen zwei wesentliche
Unterschiede: Das alte Prinzipienset berücksichtigte die Gerechtigkeit noch nicht als ein
Entscheidungskriterium; dafür wurde auf das Heil (= Religiöses Leitmotiv) der PatientInnen
verwiesen: salus aegroti suprema lex.
Wir werden im Folgenden vorschlagen, in der Altenhilfe bzw. in den Begleitungen am
Lebensende weitere Prinzipien wie z. B. die Fürsorge, Subsidiarität oder die Achtung
der Würde stärker zu berücksichtigen (vgl. die Ausführungen/Fragestellungen auf den
Arbeitsblättern). Darüber hinaus verweisen wir auf die Vielzahl der ethischen Einführungen
im Bereich der Medizin- und Pflegeethik.
Wo liegt der
Konflikt?
Welche
Frage
stellt sich?
Abb. 3: Ethische Prinzipien in der Ethikberatung © dinges 2010
Erfahrungsaustausch: Die ethischen Prinzipien dienen im Pflegealltag dazu, von einem
Unbehagen (ethisch/moralisch) in einer Konflikt- bzw. Entscheidungssituation zu einer
Reflexion, einer begründeten Einschätzung und in der Folge auch zu einer
entsprechenden Argumentation zu kommen. Die mittleren Prinzipien begründen und
22
argumentieren alltags- und entscheidungsnah, weshalb wir etwas tun oder lassen. Dabei
beobachten und beachten wir, dass es hier nicht um (endgültige) moralische Urteile,
Weltanschauungen oder Sinnzuschreibungen geht; die ethischen Einschätzungen und
Empfehlungen in der Ethikberatung begründen keine endgültigen Wahrheiten, sondern
eine Entschiedenheit in einer bestimmten Situation und Konstellation – dies aber möglichst
im Dialog oder gar Konsens, wenigstens jedoch in wertschätzender und gewaltfreier
Kommunikation.
Im Training, aber auch in der einzelnen Ethikberatung haben wir gute Erfahrungen damit
gemacht, die mittleren ethischen Prinzipien bzw. ihre aktuelle, konflikthafte Verwobenheit
sichtbar zu machen. Eine Erfahrung ist dabei, dass vielleicht im Konfliktpaar Autonomie
versus Fürsorge, das auch die Anfrage ausgelöst hatte, aktuell weder ein Konsens noch
eine Lösung zu finden ist. Blicken wir dann auf mögliche Ziele, Handlungsmöglichkeiten
und deren Folgen und legen wir darüber die Folie eines möglichen Nutzens oder
Schadens, werden wir entscheidungs- und in der Folge handlungsfähig (vgl. Arbeitsblatt
2: Ethische Prinzipien).
Organisationsethische Prinzipien und Aufmerksamkeiten
Ethikberatung ist Intervention: Ethikberatung auf der Ebene eines Ethikbeirats nimmt ja
über der Perspektive einer individuellen, einzelnen Geschichte auch Zusammenhänge
und Rahmenbedingungen in einem Team oder einer Einrichtung wahr und reflektiert
diese, um mit Richtlinien und/oder Empfehlungen Orientierung über den Einzelfall hinaus
zu schaffen. In diesen Reflexionen wird deutlich, wie sehr Ethikberatung Beratung der
Leitungen und ihrer Verantwortlichkeiten ist. Und weil jede Beratung auch eine Intervention ist, sind diese einerseits behutsam und bewusst zu gestalten; zum anderen
möchte die Beratung die Entscheidungskompetenz Einzelner, von Teams und
Führungsverantwortlichen stärken.
Erfahrungsaustausch: Der Leitsatz für uns lautet: Wir intervenieren nicht in die
Zusammensetzung eines Teams, noch wissen wir besser, wie eine Praxis oder eine
Lösung aussehen soll. Ethikberatung interveniert idealerweise in das Verhältnis eines
Teams bzw. einer bestimmten Gruppe, die um eine Entscheidung ringt, zu einer
erwünschten, angestrebten oder unerwünschten Praxis.
Abb. 4: Intervention im Ethikberatungsprozess © dinges 2010
23
Aus der Beratungspraxis möchten wir dazu das Modell der Interventionsebenen21 zur
Verfügung stellen, verbunden mit dem Leitsatz: Interveniere/verändere nur so tief wie
notwendig – nicht so tief wie möglich. Dahinter steht die Erfahrung, auch aus den
unterschiedlichen Therapieansätzen, dass Änderungen in der Arbeitsorganisation, in der
Aufgabenstellung und in der Rollenbeschreibung ein Problem nachhaltiger lösen helfen als
der Versuch, auf der Ebene der Werte und Normen oder gar der Persönlichkeit direkt eine
Veränderung zu erzielen. Können Menschen jedoch in der klar strukturierten und
orientierten Umgebung arbeiten und entscheiden, sind sie viel eher geneigt, auch die
expliziten Organisationswerte z. B. einer konfessionellen Einrichtung zu übernehmen.
Abb. 5: Modell der Interventionsebenen nach Berg/Schmidt © dinges 2010
Durch Ethikberatung werden auch die Organisationswerte bzw. die Organisationskultur
der Einrichtungen sichtbar. Der Haltung der Führungskräfte kommt hierbei eine wichtige
Funktion der Vorbildwirkung zu: Gerade wenn von der MitarbeiterInnen eine bestimmte
Haltung und ein entsprechendes Verhalten gefordert wird, hängt an der gelebten
Spiritualität ein großes Maß an Glaubwürdigkeit. Normen und Regeln gelten für Alle;
Vorgeben und Vorleben entscheiden über die Wirksamkeit. Ethikberatung reflektiert nicht
nur diese Vertikale; wir werden in der Ethikberatung immer wieder damit konfrontiert, dass
die Vertikale zwischen Halt und Haltung (vgl. Abb. 6) instabil wird: MitarbeiterInnen, die
andere halten sollen, in der Pflege, in der Begleitung brauchen selbst auch Halt: Gerade in
der Altenhilfe braucht es Aufmerksamkeit für die MitarbeiterInnen-Gesundheit und deren
Förderung. Förderliche Rahmenbedingungen erleichtern die Arbeit in der Altenhilfe und
sind zugleich Ausdruck von Wertschätzung und Anerkennung.
21
Weitere Hinweise: Dinges Stefan (2008), Ethik in der Organisation Krankenhaus – Intervention und
Innovation.
24
Abb. 6: Mehrdimensionale Organisations- und Führungskultur © dinges 2010
Im Hinblick auf die Mitarbeitergesundheit der MitarbeiterInnen kommen auch für die
Ethikberatung zwei wichtige Themen in den Fokus, die für eine umfassende Begleitung
am Lebensende wichtig sind: Gesundheitsförderung und Lebensqualität – zwei
Themenbereiche, die regelmäßig auftauchen. Als Projektidee haben wir dies an anderem
Ort neu zusammengestellt und in einem Trainingsprojekt22 umgesetzt.
Abb. 4: Projektidee Lebensförderung in der Altenhilfe © dinges&straub 2010
22
Projekt Viriditas gemeinsam mit der Martin Luther-Stiftung, Hanau, eingereicht zur Förderung bei ESF
Rückenwind.
25
Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 3
Arbeitsblatt: Ethische Prinzipien und die sich daraus ableitenden Spannungsfelder und
Konflikte
Arbeitsschritte:
1. Bitte ordnen Sie die Themen und Anliegen, die in einer Anfrage enthalten sind, den
folgenden Prinzipien zu und ergänzen Sie diese ggf.
2. Welche Prinzipien sind aktuell für die Bearbeitung der Anfrage förderlich oder
hinderlich?
3. Welche Prinzipien sind in der Anfrage konflikthaft miteinander verknüpft?
4. Welche Prinzipien können für eine Lösung gestärkt/betont werden?
26
Arbeitsblatt 2: Prinzipien und prozess-eröffnende Fragen zur Bearbeitung ethischer
Dilemmata am Ende des Lebens
I.
(Mittlere) Prinzipien der Medizinethik (Beauchamp/Childress, 1979)
1. Respekt vor der Autonomie
Welche Anliegen/Wünsche sind Ausdruck
von wessen Autonomie?
2. Nicht-Schaden
Was wäre aus Sicht des/der Betroffenen
ein Schaden?
3. Gutes tun, Fürsorge
Was sind relevante
den/die Betroffene/n?
4. Gerechtigkeit
Wem gilt es gerecht zu werden, welche
Rechte sind zu berücksichtigen?
Werte/Güter
für
Prinzipien der Pflegeethik (nach M. Rabe)
1. Würde des Menschen
Wie können Beteiligte gewürdigt werden?
2. Fürsorge für den pflegebedürftigen Menschen
Inwiefern unterstützt unsere Sorge
Teilhabe/Autonomie?
3. Autonomie (Selbstbestimmung) des
pflegebedürftigen Menschen
Was könnte es legitimieren, diese Autonomie
einzuschränken?
4. Gerechtigkeit
Balance unterschiedlicher Rechte, miteinander
zurecht kommen ...
5. Verantwortung
gegenüber dem pflegebedürftigen Menschen und
gegenüber der Gesellschaft
6. Dialog
mit dem pflegebedürftigen Menschen, dem Team,
den Angehörigen, mit Betreuer/innen und anderen
Bezugspersonen
Ethisch relevante Palliative Care – Prinzipien
1. Sind alle relevanten Aspekte eines mehrdimensionalen Menschenbildes (physio-psycho-sozialspirituell-kulturell) berücksichtigt bzw. im Blick?
2. Ist dies durch eine eingeübte und routinierte interprofessionelle und interdisziplinäre
Zusammenarbeit innerhalb des Versorgungskontextes und über seine Grenzen hinaus gedeckt?
3. Ist eine ausreichende Schmerztherapie/Symptomkontrolle gewährleistet? Ist dabei ein erweiterter
Bilck auf den Schmerzbegriff („total pain“-Konzept) eingeübt?
4. Ist gesichert: Keine unnötige Verlängerung oder Verkürzung des Lebens?
5. Sind die medizinisch/pflegerischen Indikationen für weitere Diagnosen und Behandlungen im Blick?
6. Ist die relevante Unterstützung im multiprofessionellen Team (incl. Frage nach dem Einsatz von
Ehrenamtlichen) vorhanden bzw. organisiert?
7. Mit welchem Nutzen können andere Einrichtungen und/oder Kompetenzen in die Versorgung
einbezogen werden?
8. Kann „ambulant vor stationär“ in dieser Situation als generelles Versorgungsprinzip zum Tragen
kommen?
27
Standards für Ethikberatung in Einrichtungen des Gesundheitswesens
Herausgegeben vom Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin e. V.
Kontaktadresse:
Akademie für Ethik in der Medizin e. V.
Humboldtallee 36
37073 Göttingen
Tel.: 0551 / 39-9680
E-Mail: [email protected]
Ethikberatung ist ein in Deutschland relativ neuer Ansatz zur Verbesserung der Qualität der
Versorgung von kranken und pflegebedürftigen Menschen. Entsprechende Strukturen wie z. B.
Ethik-Komitees, Ethik-Konzile oder Ethik-Foren werden von immer mehr Krankenhäusern sowie
Alten- und Pflegeeinrichtungen eingerichtet. Auch bei der Zertifizierung von
Gesundheitseinrichtungen wird Ethikberatung zunehmend als ein wichtiges Qualitätskriterium
nachgefragt.
Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung von Ethikberatung hat die Arbeitsgruppe
„Ethikberatung im Krankenhaus“ in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) die
nachfolgenden Standards für Ethikberatung in Einrichtungen des Gesundheitswesens entwickelt.
Sie beschreiben die Qualitätskriterien und Basisanforderungen, denen jede Form der
Ethikberatung genügen sollte. Die Standards wurden vom Vorstand der AEM am 24. Februar 2010
verabschiedet.
1. Ziele und Aufgaben
Ethikberatung dient der Information, Orientierung und Beratung der verschiedenen an der
Versorgung beteiligten bzw. davon betroffenen Personen (z. B. Mitarbeitende und Leitung der
Einrichtung, PatientInnen/BewohnerInnen, deren Angehörige und StellvertreterInnen). Zum
Gelingen dieses Beratungsangebots sind klare Ziele und Aufgaben erforderlich.
Allgemeine Ziele von Ethik in Einrichtungen des Gesundheitswesens sind:
• die Sensibilisierung für ethische Fragestellungen,
• die Vermittlung von medizin- und pflegeethischem Wissen,
• die Erhöhung der Kompetenz im Umgang mit ethischen Problemen und Konflikten.
Spezifische Ziele von Ethikberatung in Einrichtungen des Gesundheitswesens sind:
• die Unterstützung eines strukturierten Vorgehens bei ethischen Konflikten,
• die Verbesserung der Sprachfähigkeit und kommunikativen Kompetenz bei ethischen Konflikten,
• die systematische Reflexion über ethische Fragestellungen und Konflikte,
• die Umsetzung allgemeiner moralischer Werte (z. B. Menschenwürde, Autonomie,
Verantwortung, Fürsorge, Vertrauen) und spezifischer Werte der jeweiligen Einrichtung, die u. a. in
Leitbildern und professionsspezifischen Traditionen verkörpert sind, in reflektiertes Handeln,
• Lösungswege bei Konflikten zwischen unterschiedlichen individuellen und/oder institutionell
gefassten Werten und Moralvorstellungen zu suchen und durch gemeinsame Reflexion zu
tragfähigen Entscheidungen zu gelangen und diese umzusetzen.
Ziel ist es letztlich, Entscheidungsprozesse hinsichtlich ihrer ethischen Anteile transparent zu
gestalten und an moralisch akzeptablen Kriterien auszurichten, d. h. „gute Entscheidungen“ in
„guten Entscheidungsprozessen“ zu treffen. Dabei zielt Ethikberatung auf die Stärkung der
ethischen Kompetenz vor Ort. Sie trägt zur Qualitätssicherung in der Versorgung von
PatientInnen/BewohnerInnen bei.
Die Aufgaben der Ethikberatung in Einrichtungen des Gesundheitswesens, deren Umsetzung in
Abschnitt 3 beschrieben wird, umfassen u. a.:
28
• die Durchführung individueller ethischer Fallbesprechungen (Ethik-Fallberatung),
• die Erstellung von internen Leitlinien bzw. Empfehlungen (Ethik-Leitlinien) sowie
• die Organisation von internen und öffentlichen Veranstaltungen zu medizin- und pflegeethischen
Themen (Ethik-Fortbildung).
2. Implementierung und Organisation
a) Verhältnis zu Leitungsebene und Institution
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ethikberatung sind die Verankerung in der Mitarbeiterschaft
und die Unterstützung durch die Leitungsebene (Top-down- und Bottom-up-Prinzip). So erfolgt
eine Berufung der Mitglieder eines Gremiums zur Ethikberatung, wie z.B. eines Ethik-Komitees,
durch die Leitungsebene. In diesem Zusammenhang sind Dienstzeitregelungen, Ausstattung und
Budget zu klären. Einrichtungsinterne Leitlinien, die von der Ethikberatung erarbeitet wurden,
müssen durch die Leitungsebene bestätigt und umgesetzt werden.
Ethikberatung ist in ihren Inhalten und in der Gestaltung des vereinbarten Vorgehens nicht
weisungsgebunden. Ethikberatung ist aber Teil der Organisation und handelt folglich in einem
strukturellen Kontext. Ethikberatung berücksichtigt den strukturellen Rahmen und gestaltet diesen
durch ihre spezifische Dienstleistung mit. Deshalb arbeitet Ethikberatung – nach einer
differenzierenden Analyse – auf eine Integration in die Abläufe und Entscheidungsstrukturen in der
Einrichtung hin. Zugleich bleibt sie (qua Auftrag und Geschäftsordnung) ein kritisches Gegenüber
und steuert zu konfliktbeladenen, individuellen Verläufen eine relevante Außenperspektive bei. Es
ist eine besondere Herausforderung der Ethikberatung, eine angemessene Balance zwischen
institutioneller Einbindung und Unabhängigkeit herzustellen.
Leitung und Mitarbeiter der Einrichtung werden regelmäßig über die Aktivitäten der Ethikberatung
informiert.
b) Strukturelle und personelle Voraussetzungen
Für ein Gremium zur Ethikberatung ist eine Satzung und/oder Geschäftsordnung erforderlich. Die
Satzung regelt die Bezeichnung des Gremiums, seine inhaltliche Unabhängigkeit, die Ziele und
Aufgaben (s. o.), seine Zusammensetzung, den Modus der Berufung, Berichts- und
Dokumentationspflichten (s. u.) und die Struktur des Gremiums.
Die Zusammensetzung des Gremiums ist geeignet, die Zielsetzung zu erreichen und die Aufgaben
angemessen zu erfüllen. Das Gremium ist multiprofessionell besetzt und besteht – je nach Größe
der Einrichtung – aus fünf bis 20 Mitgliedern aus verschiedenen Bereichen und Hierarchieebenen.
Erforderlich sind Mitglieder mit ärztlicher, pflegerischer und medizin- bzw. pflegeethischer
Ausbildung. Anzustreben ist darüber hinaus die Mitgliedschaft von Menschen mit einem
juristischen, seelsorgerlichen/religiösen, psycho-sozialen und administrativen beruflichen
Hintergrund. Wünschenswert ist zusätzlich eine PatientInnen- bzw. BewohnerInnenperspektive,
die durch PatientInnen- oder HeimfürsprecherInnen, Mitglieder von Selbsthilfegruppen, die
Krankenhaushilfe oder durch engagierte BürgerInnen eingenommen wird.
Erforderliche Qualifikationen für Mitglieder eines Gremiums zur Ethikberatung sind kommunikative
und diskursive Kompetenzen, zeitliche Verfügbarkeit und eine entsprechende Weiterbildung. Die
Berufung der Mitglieder erfolgt durch die Leitung der Einrichtung für eine Amtsperiode von
mindestens zwei Jahren. Da personelle Kontinuität, Vertrauen und praktische Erfahrung wichtig für
den Erfolg von Ethikberatung sind, sollte eine erneute Berufung möglich sein.
Das Gremium wählt einen Vorsitz/Vorstand, der Sitzungstermine festlegt, zu Sitzungen einlädt,
eine Tagesordnung erstellt, die Sitzungen leitet, das Budget verwaltet und das Gremium nach
außen vertritt.
29
3. Umsetzung und Ausgestaltung der Aufgaben
Ethikberatung identifiziert Probleme und Konflikte in einer Einrichtung und trägt dazu bei, diese
Probleme und Konflikte möglichst einvernehmlich zu lösen und die erarbeitete Lösung praktisch
umzusetzen. Dies gilt für alle im Folgenden näher spezifizierten Aufgaben.
a) Durchführung individueller ethischer Fallbesprechungen (Ethik-Fallberatung): EthikFallberatungen dienen der Unterstützung in schwierigen Entscheidungs- bzw.
Behandlungssituationen. Sie können von allen an der Entscheidung bzw. Behandlung Beteiligten
beantragt werden (z.B. Mitarbeitende aus den verschiedenen Berufsgruppen,
PatientInnen/BewohnerInnen, deren Angehörige und StellvertreterInnen). Grundsätzlich ist
zwischen Einzelberatungen (z.B. bei individueller Gewissensnot) und gemeinsamen
Fallbesprechungen auf der Station bzw. im Wohnbereich zu unterscheiden. Bei gemeinsamen
Fallbesprechungen ist zu klären, wer an der Beratung teilnehmen soll und wer über diese zu
informieren ist. Eine Einbeziehung des/der Patient/in bzw. des/der Bewohner/in ist anzustreben.
Darüber hinaus sollte geregelt sein, in welchen Fällen eine Zustimmung des/der Patient/in bzw.
des/der Bewohner/in zur Ethik-Fallberatung einzuholen ist.
Die Ethik-Fallberatung findet in einem geschützten, störungsfreien Rahmen statt. Die gesetzlichen
Bestimmungen zum Datenschutz und zur Einhaltung der Schweigepflicht sind zu beachten. Das
Beratungsgespräch wird von einem Mitglied des Gremiums zur Ethikberatung moderiert; die
Orientierung an einem Moderationsleitfaden ist sinnvoll. Da die Ethik-Fallberatung ein Prozess ist,
sind Folgeberatungen möglich. Bei der organisatorischen Planung ist die Zeit für die Durchführung
sowie für die Vor- und Nachbereitung der Ethik-Fallberatung zu berücksichtigen.
Bei einer Ethik-Fallberatung verbindet sich Moderationskompetenz mit ethischer Expertise.
Aufgabe der Berater ist es einerseits, alle für die Bewertung des Falles erforderlichen Details
sichtbar zu machen und allen Anwesenden Raum zur Beteiligung zu geben, andererseits die
ethischen Fragen herauszuarbeiten und die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens nach ethischen
Kriterien zu gewichten. Für das weitere Vorgehen sind die theoretischen Aspekte und die realen
Gegebenheiten abzuwägen, so dass die Verantwortlichen das weitere Vorgehen festlegen und in
Handlung umsetzen können. Ein Konsens ist anzustreben; dieser ist erreicht, wenn alle an der
Fallberatung Beteiligten die vorgeschlagene Lösung mittragen und gemeinsam verantworten
können.
Das Ergebnis einer Fallberatung wird dokumentiert.
b) Erstellung von internen Leitlinien bzw. Empfehlungen (Ethik-Leitlinien)
Ethik-Leitlinien sind Handlungsempfehlungen, die sich aus immer wiederkehrenden Situationen
z. B. Umgang mit Patientenverfügungen, Legen einer PEG-Sonde, Wiederbelebung,
Therapiezieländerung, Umgang mit Zeugen Jehovas) ableiten und die als Orientierungshilfe für
Einzelfallentscheidungen dienen. Ihre Erarbeitung richtet sich thematisch nach dem in der
Einrichtung bestehenden Bedarf.
Ethik-Leitlinien werden durch Mitglieder des Gremiums zur Ethikberatung themenbezogen unter
Einbeziehung von sachkundigen Personen aus der Einrichtung oder von außerhalb erarbeitet. Sie
müssen den gesetzlichen Vorschriften sowie dem wissenschaftlichen Standard entsprechen und
daher regelmäßig aktualisiert werden. Ethik-Leitlinien werden von der Leitung der Einrichtung
verabschiedet.
c) Organisation von Veranstaltungen zu medizin- und pflegeethischen Themen (Ethik-Fortbildung)
Ethik-Fortbildungen dienen der Sensibilisierung für ethische Fragestellungen, der Vermittlung von
ethischem Wissen und der Erhöhung der Kompetenz im Umgang mit ethischen Problemen und
Konflikten. Zielgruppen sind u. a. die Mitarbeitenden der Einrichtung, die
PatientInnen/BewohnerInnen und deren Angehörige sowie die interessierte Öffentlichkeit.
30
Das Gremium zur Ethikberatung klärt in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen für die
Innerbetriebliche Fortbildung oder einer ggf. vorhandenen Bildungseinrichtung den Bedarf an
Ethik-Fortbildungen hinsichtlich der erforderlichen Inhalte und Methoden und regelt bzw.
koordiniert deren Organisation. Die Durchführung kann durch Mitglieder der Ethikberatung oder
durch andere geeignete Personen (z. B. andere Mitarbeitende der Einrichtung, externe
ExpertInnen) erfolgen.
Das Spektrum von Ethik-Fortbildungen kann von themenbezogenen Teambesprechungen bis hin
zu öffentlichen Veranstaltungen (z. B. Ethik-Tag, Patientenforum) reichen.
4. Dokumentation und Evaluation
Die verschiedenen Aktivitäten der Ethikberatung werden in geeigneter Weise dokumentiert und
zum Zweck der Qualitätssicherung fortlaufend evaluiert. Ein regelmäßiger (z. B. jährlicher)
Tätigkeitsbericht wird erstellt, der Leitung und den MitarbeiterInnen bekannt gemacht und mit
diesen diskutiert.
Die Ergebnisse einer Ethik-Fallberatung, die konkrete Auswirkungen auf die weitere Behandlung
oder Betreuung des/der Patient/in bzw. des/der Bewohner/in haben, sind schriftlich in den
Krankenunterlagen zu dokumentieren. Eine Kopie der Dokumentation wird unter Berücksichtigung
datenschutzrechtlicher Vorgaben vom Gremium zur Ethikberatung zur Absicherung der an der
Besprechung Beteiligten sowie für die Evaluation aufbewahrt.
Die Dokumentation der Ethik-Fallberatung sollte sich weitgehend auf einen Ergebnisbericht
beschränken, wobei der Schwerpunkt auf der ethischen Begründung für die gewählte
Handlungsoption bzw. Vorgehensweise liegt.
Im Sinne der Qualitätssicherung von Ethikberatung empfiehlt es sich, das Ergebnis einer EthikFallberatung – z. B. in der nächsten Sitzung des Gremiums zur Ethikberatung –
nachzubesprechen.
31
4. Modelle der Ethikberatung und ihre Einsatzmöglichkeiten
Im ersten Kapitel haben wir bereits einen Überblick über die Modelle in der Ethikberatung
gegeben; das Geheimnis des Erfolges besteht unserer Meinung nach bei jedem Modell
• in der klaren und bekannten Strukturierung eines Gesprächs- und Auseinandersetzungsprozesses;
• in einer wie auch immer gearteten inneren Logik und Abfolge: erst die Frage, dann die
Antwort, Problembeschreibung, mögliche Lösungswege erkennen, Entscheidung für
eine plausiblen, gewünschten Lösungsweg;
• durch eine überparteiliche Moderation, die VielrednerInnen bremst (und z. B. deren
Position am Flipchart festhält) und SchweigerInnen ermutigt und in den Prozess
einbezieht (mehr zur Moderationskompetenz in Kapitel 4).
Je nach Moderationserfahrung und Übung werden sich in Teams und Einrichtungen
Lieblingsmodelle bzw. Mischungen daraus herauskristallisieren. Einer Modellgläubigkeit
(d. h. bei uns wird nur nach diesem oder jenem Modell vorgegangen/moderiert!), der wir
mancherorts begegnet sind, können wir wenig abgewinnen.
Ein Urmodell23:
Kurzfassung des Schemas zur ethischen Urteilsfindung nach Tödt
Problemanalyse
erste Gefühle nennen / die Befindlichkeit wahrnehmen
eigene Vorurteile erkennen und benennen
erste, spontane Fragen sammeln
das Problem genau definieren und benennen
Situationsanalyse
Informationen zur Sache einholen / Wissen erweitern
Beispiele und Fälle sammeln und vergleichen
Weitere Informationen sammeln – offene Fragen benennen
Entscheidungsanalyse
Entscheidungen und Lösungen zum Problem kennenlernen
vergleichbare Fälle diskutieren
mögliche Werte und Normen zum Fall sammeln und diskutieren
Anwendung
Werte und Normen (Kriterien) ordnen – ein Urteil anbahnen
Diskussion dieser Kriterien
ein Urteil wagen
das Urteil auf die Ausgangsfrage anwenden
die Lösung an der Berufswirklichkeit überprüfen
23
Tödt, Heinz Eduard (1977): Schritte der ethischen Urteilsfindung; in: Zeitschrift für evangelische Ethik
21.Jhg. (1977) S.81 – 93
32
Moderation nach Loewy und Raabe
Auf der Grundlage dieses Urmodells haben wir in der Trainingspraxis zwei Favoriten, eine
Moderation nach Loewy und Rabe.
Der Medizinethiker Erich Loewy weist darauf hin, dass in der ethischen Beratung ‚nur‘
einige Fragen zu stellen sind:
• Wo stehen wir? (Die Frage nach dem Standort ...)
• Wo wollen wir hin? (Die Frage nach den Zielen ...)
• Wie kommen wir von A nach B? (Die Frage nach den Methoden und Schritten ...)
Mit diesen drei Fragen ist ein einfacher Beratungsprozess gewährleistet, der von jedem
und jeder zu leisten ist; als hilfreiche zusätzliche Fragen empfiehlt Loewy unbedingt zu
klären, welche (ethische) Fragestellung eigentlich vorliegt und wer was zu entscheiden
hat.
Marianne Rabe, Pflegeethikerin und Fachfrau aus der Pflege, hat zum ersten Mal 1998 im
Artikel ‚Dumm gelaufen‘ ein Modell der ethischen Situationseinschätzung vorgestellt, das
in der Folge auch mehrfach überarbeitet wurde. Ihr Modell zeichnet aus, dass hier Gefühle
und Verantwortung gleichermaßen angesprochen und als entscheidungsrelevant in der
ethischen Beratung aufgenommen werden. Beide Modelle haben wir mit Hinweisen und
der Beschreibung der einzelnen Schritte in einem Arbeitsblatt zusammengefasst.
Methodenmix:
Aus dem sozialpädagogischen Bereich haben die unterschiedlichsten Modelle, Strukturierungen und Vorgehensweisen in der Analyse von PatientInnen- bzw. BewohnerInnengeschichten längst in der Pflege und in der Medizin Einzug gehalten. Damit ist eine
strukturierte Besprechung oftmals vertraut und eingeübt. Einen Unterschied macht dabei,
dass es in der Ethikberatung eben nicht primär um eine fachliche Frage geht, wie z. B. in
der Diagnosestellung oder einer Pflegeanamnese, sondern eben um eine ethische
Fragestellung, die es zu erfragen und herauszuarbeiten gilt.
Bekannte Typen im Überblick
Typus
Wann?
Ziele?
Form/Aufwand
kollegiale Intervision
sofort, bei Bedarf
Einholen einer zweiten
Sichtweise
gering, an keine
Form gebunden
Hilfebedarfsplan für
eine/n Bewohner/in
halbjährlich, bei
Überprüfung und
großen
Einschätzung durch
Herausforderungen Fachkräfte
2 Stunden
Supervision mit Senior
Professional
anlassbezogen, bei Beseitigung von
Bedarf
Unsicherheiten; Abstimmung
in der Einrichtung
15‘ – 30‘
Fallbesprechung im
Team
regelmäßig,
anlassbezogen
20‘ – 60‘
interdisziplinäre oder
interprofessionelle
Fallbesprechung
wenn eine
Einholen von zusätzlicher
Fachlichkeit an ihre Expertise
Grenzen gerät
Helferkonferenz
Überprüfen und Sichern von
Gemeinsamkeiten und
Unterschieden im Team in
Bezug auf die Alltagsarbeit
Erstellen eines
Gesamtkonzeptes
klare
Strukturierung
10‘ – 20‘; in Form
eines Konzils oder
einer Beratung
großer
administrativer
Aufwand
33
Beispiel: Mit den Methoden lässt sich kreativ umgehen. Elemente davon können in vielen
Settings eingesetzt werden. So hat der Ethikbeirat der Hilfe im Alter eine Situation
retrospektiv besprochen, nachdem sie in der Einrichtung als bereinigt galt. Die Geschichte
wurde von der betroffenen PDL vorgestellt (Bericht) und vom Moderator gegliedert und
visualisiert. Sodann wurden alle Mitglieder des Beirats um ihre Rückmeldungen und
Einfälle gebeten, wobei erneut auf die Gliederung – Modell Rabe im Hintergrund –
geachtet wurde (Kommentar). In der Diskussion wurden die betroffenen Werte und
Normen, die Handlungsoptionen und der tatsächliche Ausgang diskutiert (Besprechung).
Schließlich wurde die PDL um ein Schlussvotum gebeten, welches Bezug auf die reale
Situation, den „Lerneffekt“ dieser Runde sowie möglicher Konsequenzen nahm
(Resonanz).
Das Nimwegener Modell der ethischen Fall-Besprechung
Den KollegInnen aus Nimwegen (Nijmegen, nl.) verdanken wir ein sehr elementarisiertes
Modell, das unter einem Vierer-Schritt bekannt geworden ist:
1. (Formulierung eines) Problem(s)
2. Fakten
3. Bewertung
4. Beschlussfassung
(Berücksichtigung besonderer Situationen)
Bei der Formulierung des Problems sollen das Problem und die Themen möglichst konkret
beschrieben werden, um dann eine Ausgangsfrage für die Moderation bzw. die
Teambesprechung zu erhalten. Inhaltlich soll ein Weg von der Intuition zur Argumentation
gefunden werden.
Für die Faktensammlung werden vier Dimensionen vorgegeben: Medizinisch – pflegerisch
– weltanschaulich – organisatorisch. Damit weitete das Nimwegener Modell das Spektrum
möglicher Fakten erheblich und bezog eben schon wesentliche Inhalte und Perspektiven
aus Palliative Care und Organisationsethik mit ein. Hier haben wir sprachliche
Adaptierungen vorgenommen, weil z. B. ein rein organisatorischer Aspekt zu kurz greift
… (vgl. Fragebogen in der Materialsammlung).
Die Bewertung der Fakten orientiert sich im wesentlichen an den Perspektiven
Patientenwohl – Patientenautonomie – Verantwortlichkeiten im Team.
Für die Beschlussfassung ist wichtig, das moralische Problem bzw. die ethischen Fragen
nochmals zu wiederholen und zu überprüfen, ob sich (welche) Veränderung im
Diskussionsverlauf gefunden haben; ebenso soll auf unbekannte Aspekte bzw. offene
Fragen hingewiesen werden. Die wichtigsten Argumente sind hervorzuheben, um dann
Vereinbarungen zu treffen bzw. einen (erweiterten) Behandlungsplan zu erstellen.
Erfahrungsaustausch: Wenn die Sprache frag-würdig wird: Menschen oder Fälle
In der alltäglichen Routine stehen wir vor einem Zwiespalt, der uns in allen
Versorgungskontexten begegnet: Wir wollen die Individualität von Menschen und ihren
Lebensgeschichten respektieren und würdigen, reden aber dennoch täglich – und ohne
groß darüber nachzudenken – von „Fällen“, von „Fallbesprechungen“ oder
„Fallgeschichten“. Die Herausforderung bestünde darin, dass wir eigentlich von FallGeschichten sprechen sollten und damit von dem Individuum und einem allgemeinen
Thema; dies lässt sich aber sprachlich und im Alltag nicht ausreichend durchhalten. So
werden im täglichen Sprachgebrauch aus Menschen Fälle, das Individuelle geht verloren.
34
Die darin sich niederschlagende Missachtung von individuellen Erlebnissen und
Schicksalen entspricht einer routinierten Versachlichung, an die wir uns im Gesundheitsbetrieb gewöhnt haben. Sie fällt uns kaum noch auf. Überspitzt wird manchmal auf
eine mögliche menschenverachtende Reduktion durch diese Sichtweise hingewiesen,
manchmal wurde auf einen NS-Vergleich von Alexander Mitscherlich verwiesen24.
Keinesfalls dürfen hierbei Verantwortliche im Gesundheitssystem einem Generalverdacht
ausgesetzt werden – die Frage, die uns beschäftigt, ist, welche Reflexionsschleifen
verhindern können, dass die individuellen Bedürfnisse und damit die Individualität von
PatientInnen oder BewohnerInnen vergessen oder gar gekränkt werden können. Wir
wollen diese Menschen ernst nehmen und sie nicht „über einen Kamm scheren“ mit
anderen. Wir haben im Palliative Care gelernt, dass die radikale Patientenzentrierung uns
genau vor dieser Standardisierung und Vereinheitlichung bewahrt. Wir haben in Kontexten
der palliativ und ethisch orientierten Altenpflege gelernt, diese radikale Zentrierung auf
individuelle Geschichten und Bedürfnisse zum Paradigma unserer Haltung und unseres
Handelns zu machen. Wir betrachten und behandeln Menschen individuell und beziehen
sie und ihre Wünsche in die Begleitung ein.
Gleichzeitig soll aber auch auf der Ebene der Teams und der Organisationen von solchen
Erlebnissen und Situationen gelernt werden. Im Sinne einer „lernenden Organisation“ ist
ein Grad der Verallgemeinerung zu erreichen, der uns genau diese Individualität im
Einzelfall erst ermöglicht – weil wir durch das Verallgemeinerbare vorbereitet sind. In
dieser paradoxen Aufgabe der „Standardisierung von Individualität“ sind das Denken in
Mustersituationen und das Lernen aus dem Gemeinsamen solcher Situationen
notwendiger Alltag. Jede Situation, die wir in einer ethischen Besprechung bearbeiten, hat
daher sowohl die Dimension des Einzelfalls als auch eine Strukturqualität für das gesamte
Procedere.
Wollen wir die organisationale Seite also nicht außer Acht lassen, müssen wir davon
ausgehen, dass jede Einzelsituation auch etwas für das Ganze austrägt. In der Tat handelt
es sich bei der Besprechung und Bearbeitung von individuellen Geschichten immer auch
um Fall-Geschichten. Der zuvor beschriebene Zwiespalt ist ein Spannungsfeld, auf das
nicht verzichtet werden kann. Wir schlagen vor, dass es für alle MitarbeiterInnen wichtig
wird, sich der eigenen Sprache und Terminologie kritisch bewusst zu sein und zumindest
den Begriff der Fallbesprechung wenn nicht zu vermeiden, so doch des öfteren durch
andere, das Individuum und seine Geschichte und Bedürfnisse betonende Begrifflichkeiten
zu ersetzen. Da kann zu einer „ethischen Situationsbesprechung“ oder zu einem Runden
Tisch eingeladen werden; wir können eine Bewohner/in-Situation in einer Teambesprechung in den Fokus nehmen; ich kann eine Situationsanalyse dokumentieren oder
eine Ethikrunde protokollieren. All dies wird im Bewusstsein der Beteiligten immer die
Funktion der vertrauten „Fallbesprechung“ haben, aber sie muss nicht ständig so genannt
werden! Wir schlagen vor, mit der Wortwahl zu spielen und sie bewusst wechselnd
einzusetzen.
24
„Es ist fast dasselbe, ob man den Menschen als „Fall“ siehe, oder als Nummer, die man ihm auf den Arm
tätowiert – doppelte Antlitzlosigkeit einer unbarmherzigen Epoche. Nur die geheime Übereinstimmung der
Praxis von Wissenschaft und Politik kann erklären, wieso in diesem Prozess unablässig die Namen von
Männern hohen wissenschaftlichen Ranges fallen, die vielleicht unmittelbar keine Straftat begingen, aber
doch objektives Interesse genug an all dem nahmen, was wehrlosen Menschen als grausames Geschick
zustieß“. Alexander Mitscherlich, Fred Mielke: Das Diktat der Menschenverachtung. Der Nürnberger
Ärzteprozeß und seine Quellen; Lambert Schneider, Heidelberg 1947; S. 12
35
Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 4
Folienvorlage: Modell der ethischen Beratung nach E. Loewy
Vorklärung
„Wer ist wie betroffen?“
„Wer hat was zu entscheiden?“
„Wer ist wofür verantwortlich?“
Feststellung
Was ist die ethische Fragestellung hier und heute?
Moderation entlang von:
drei zentralen Fragen:
„Wo stehen wir?“
Standort / Ausgangspunkt
„Wo wollen wir hin?“
Ziel(e)
„Wie kommen wir am besten von A nach B?“
Methoden
Umsetzung:
Wie sind die Antworten auf die ethische Fragen ...
... und wie gehen wir damit um?
t: Kluwer Academic Publishers. S. 255 – 264
36
Arbeitsblatt 2: Kurzfassung Moderationsmodelle
I. Ethikberatung nach Erich Loewy:
A. Wo stehen wir? (Was ist passiert? Was sind die Fakten?)
Standortbestimmung
B. Wo wollen wir hin?
Zielfindung
C. Wie kommen wir von A nach B?
Methodenwahl & Verantwortung
II. Modell der ethischen Situationseinschätzung nach Marianne Rabe
berücksichtigt besonders die Emotionen/Belastungen von Pflegesituationen: Gefühle
werden besprechbar, ohne den Anspruch, sie zu bearbeiten (=> Supervision/Therapie), es
kommt zur Verantwortungsübernahme innerhalb von Zuständigkeiten/Berufsrollen.
Reflexion in 3 Schritten:
1. Betrachtung der Situation
2. Betrachtung der Handlungsmöglichkeiten und Handlungsfolgen
3. Begründete Situationseinschätzung unter Einbeziehung ethischer Prinzipien
1. Betrachtung der Situation (1/3 der Zeit!)
Ausdrücken der eigenen Betroffenheit (Gefühle, Unbehagen, Unsicherheit, Unzufriedenheit), zugleich können Verantwortlichkeiten aus unterschiedlichen Rollen eingebracht
werden: Die Moderation leitet eine Runde ein, in der alle Anwesenden ihre Gefühle
aussprechen können, mit der Phrase: „Es macht mich betroffen, dass ... Womit bin ich
unzufrieden? Warum? Bin ich verletzt worden? Durch wen oder was?“ Die Artikulation der
Emotionen kann die dahinterliegenden Bedürfnisse sichtbar machen, die bei der
Konfliktlösung zu berücksichtigen sind. Mit einer anderen Phrase („Es (be)trifft mich, ...“)
können unterschiedliche Verantwortlichkeiten/Zuständigkeiten/Beteiligungen artikuliert
werden: „Es betrifft mich als Stationsleitung/als Mutter/Tochter etc. …“
Andere, nicht anwesende Betroffene und ihre Sichtweisen bzw. Beteiligungen: Wer
noch zu informieren/involvieren ist … Was sind deren Bedürfnisse/Interessen/Positionen?
Diese Perspektiven gilt es, in der Folge zu verifizieren …
Versuchen, „in den Schuhen der anderen zu stehen“, keine vorschnellen Urteile und
Schuldzuweisungen. Es bringt mich nicht weiter, wenn ich den anderen von vornherein
unlautere Motive unterstelle!
„Sich in eine andere Person hineinversetzen zu können, ist Voraussetzung für moralisches
Handeln“ (J. Nida-Rümelin).
2. Betrachtung der Handlungsmöglichkeiten und ihrer Folgen (1/3 der Zeit!)
Welche alternativen Handlungsmöglichkeiten hätte es gegeben? (gibt es – auch
„unmögliche“?) Jeweilige Folgen durchspielen! Jede Handlungsoption kann mehrere
verschiedene Folgen haben.
3. Begründete Situationseinschätzung unter Einbeziehung ethischer Prinzipien (1/3
der Zeit!)
• Abgleich der Überlegungen mit den ethischen Prinzipien
• Was ist das wesentliche Problem?
• Schlussfolgerungen
37
Folienvorlage:
nach M. Rabe
Entscheidungsperspektiven bei der ethischen Situationseinschätzung
Folienvorlage: Ethische Situationseinschätzung als mehrdimensionaler
Reflexionsprozess25
25
Bickhardt, Jürgen (2010): Der Patientenwille, Verlag C. H. Beck, München, S. 33
38
Arbeitsblatt 3: Aufgaben und Herausforderungen in der Moderation
Moderierte ethische Fallbesprechung
Phase
Arbeitsschritt
Aufgabe
Herausforderung
1.Vormöglichst deskriptiv- Entweder-OderInterview der
bereitung
multiperspektivisch Formulierungen;
FallbringerIn
Bewertungen
Perspektiven werden
Auswahl und Einladung repräsentativ und
relevant: Die es
nicht einbezogen; aufder TeilnehmerInnen
angeht, können es
oder abgewertet
angehen!
Ausweichen auf
Mehrere
Sicherung des
persönliche
Fragestellungen =>
Hauptthemas/der
Reihenfolge der
ethischen Fragestellung für und/oder
gesellschaftliche
Bearbeitung
festlegen
die Fallbesprechung – was
Ebenen bewusst
können wir hier
machen und ‚zurück
besprechen?
in den Raum‘
moderieren
2. FallbeSchilderung des Falls:
knapp, ohne eine
Angriffe oder
sprechung
Worum geht es? Passt die vorschnelle
Schuldzuweisungen,
gewählte Fragestellung?
Diskussion zu
Wechseln der Ebenen
provozieren
Wahrnehmen der
Stellungnahme der zu viel/zu wenig
Betroffenheiten: Was
Beteiligten;
Distanz zu Emotionen
macht betroffen? Wie
Sicherung von
Ablehnen von
unterschiedlich betrifft es
Emotionen und
Verantwortung
mich/andere?
Verantwortlichkeiten
Situations- und
Kernfrage: Wo
Monopole in den
Wertanalyse: Wo sind
stehen wir? Was
Bewertungen;
wichtige Unterschiede?
begründet unsere
Abwertung von
Was ist gemeinsame
Positionen?
Positionen
Basis?
Ethische Reflexion: Wie
Kernfrage: Wo
Absolutsetzung von
können wir die
wollen wir hin? Wer Positionen;
Unterschiede/Anliegen
hat was zu
paternalistische
verstehen/verknüpfen/
entscheiden?
Entscheidungsmuster
nutzen?
Ergebnissicherung
Klärung der
Wiederaufnahme der
weiteren
Diskussion,
Was haben wir jetzt
Vorgangsweise/
Killerphrasen
erreicht?
Zuständigkeiten
Abschluss
2. NachKommunikation und
in Alltagsroutinen
Verweigerung der
bereitung
Umsetzung der Ergebnisse mit ‚alten’ Mustern
Rollenverantwortung,
das
‚neue’
Wissen
Desorientierung im
Überprüfung der
wirksam etablieren Team/Organisation
Umsetzung
(adaptiert; vgl. Dinges Stefan (2008): Hürden auf transdisziplinären (Forschungs)Wegen)
39
Arbeitsblatt: Mögliche Moderationsfragen (nach dem Nimwegener Modell, adaptiert von
der Ethikbeauftragten Diözesanbeauftragte für Ethik im Gesundheitswesen, Erzbistum
Köln für Altenheime26, überarbeitete Version Dinges/Kittelberger)
PROBLEM- und FRAGESTELLUNG(EN)
Welches Problem ist wo aufgetaucht?
Wie ist es zutage getreten/Wer hat es bemerkt, angemeldet?
Welche ethische(n) Frage(n) ist/sind aufgetaucht?
Mit welcher ethischen Frage wurde zur Besprechung eingeladen?
Was ist die ethische Frage?
FAKTEN
Einschätzung der pflegerischen Situation
Wie ist die pflegerische Situation des Bewohners/der Bewohnerin?
Inwieweit ist der/die Bewohner/in in der Lage, sich selbst zu versorgen?
Bei welchen ATL/ AEDL braucht er/sie Unterstützung?
Welche Fakten aus der BewohnerInnenbeobachtung und Pflegeplanung stehen aktuell im
Vordergrund?
Gibt es besondere Pflegeprobleme bzw. sind sie zu erwarten?
Welche pflegerischen Maßnahmen können vorgeschlagen werden?
Inwieweit haben diese Maßnahmen eine günstige Auswirkung auf den Verlauf?
Einschätzung der medizinischen Situation
(Wer ist der/die behandelnde Hausarzt/-ärztin?)
Welche Diagnosen sind bekannt?
Welche Diagnose steht zurzeit im Vordergrund?
Wie sieht die aktuelle Behandlung aus?
Welche alternativen Behandlungen sind möglich?
Wie sieht die medizinische Prognose aus?
Inwieweit haben die aktuelle und die alternativen Behandlungen einen positiven Effekt auf
die Prognose?
Wie sieht die Prognose aus, wenn von einer Behandlung abgesehen wird?
Einschätzung der sozialen, weltanschaulichen, spirituellen und pflegerischen
Situation
In welches soziale Netzwerk ist der Bewohner/die Bewohnerin eingebunden? Wie
gestaltet er/sie das soziale Leben?
Welche wichtigen Lebensereignisse sind zu bedenken?
Welche kulturellen Hintergründe sind bekannt?
Was ist über die Lebensanschauung/Spiritualität/Religion des Bewohners/der Bewohnerin
bekannt?
Welche Aussagen des Bewohners/der Bewohernin gibt es zu Alter, Pflegebedürftigkeit,
Krankheit, Sterben und Tod?
Gibt es Hinweise darauf, dass die Situation und die Maßnahmen die Kräfte des Bewohners/der Bewohnerin übersteigen?
Gehört der Bewohner/die Bewohnerin einer Glaubensgemeinschaft an? Hat er/sie ein
Bedürfnis nach seelsorglicher Begleitung?
Welche Auswirkungen haben die benannten Maßnahmen auf sein/ihr soziales Leben?
Welche Reaktionen aus seinem/ihren sozialen Umfeld sind dazu bekannt?
26
http://www.erzbistum-koeln.de/export/sites/erzbistum/seelsorge/krankenhaus/ethik-medizinpflege/_galerien/download/Ethische_Fallbesprechung/2009-10-09-EFB_Altenheim_Instrumentarium.pdf
40
Inwieweit haben die benannten Maßnahmen eine günstige Auswirkung auf die persönliche
Entfaltung und das soziale Leben des Bewohners/der Bewohnerin?
Organisatorische, ökonomische und juristische Dimension
Kann dem Bedarf an Behandlung und Pflege des Bewohners/der Bewohnerin organisatorisch nachgekommen werden?
Sind dafür genügend Ressourcen vorhanden: Personal, Ausstattung, Heilmittel, Pflegematerial, Räumlichkeiten?
Sind bei der Behandlung oder dem Behandlungsverzicht konkret rechtliche Konsequenzen
zu erwarten?
Liegt eine Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung vor?
Ist eine gesetzliche Betreuung eingerichtet?
BEWERTUNG
Wohltun/Schaden vermeiden
aus der Sicht der Pflegenden und Betreuenden
Inwieweit dienen die Maßnahmen dem Wohl des Bewohners/der Bewohnerin:
· Lebenserhalt,
· körperliches Wohlbefinden (z. B. Bewegungsfreiheit, Schmerzfreiheit),
· geistiges Wohlbefinden (z. B. Wachheit, geistige Anregung, Orientiertheit),
· seelisches Wohlbefinden (z. B. Angstminderung, Lebensfreude),
· spirituelles Wohlbefinden (z. B. Sinn erleben),
· soziale Integration,
· persönliche Entfaltung?
Inwiefern können die Maßnahmen dem Bewohner/der Bewohnerin schaden?
Wie verhalten sich die positiven und negativen Effekte zueinander?
Autonomie des Bewohners/der Bewohnerin
Ist der Bewohner/die Bewohnerin einwilligungsfähig?
(Wenn nein, bitte weiter mit den Fragen zur Einwilligungsunfähigkeit)
Wie urteilt er/sie über die Belastungen und den Nutzen der Situation bzw. der Maßnahmen?
Ist der/die Bewohner/in über seine/ihre Situation der Wahrheit entsprechend in Kenntnis
gesetzt?
Wahrhaftigkeit
Wurde der/die Bewohner/in bis dato ausreichend in die Beschlussfassung miteinbezogen?
Was ist der (geäußerte) Wille des/der Bewohner/in bzw. gibt es eine Patientenverfügung?
Welche Werte und Auffassungen des Bewohners/der Bewohnerin sind relevant?
Welche Haltung vertritt der/die Bewohner/in gegenüber lebensverlängernder Intensivtherapie?
Ist der/die Bewohner/in einwilligungsunfähig?
Wie und durch wen wird festgestellt, dass der/die Bewohner/in einwilligungsunfähig ist?
In welcher Hinsicht ist er/sie einwilligungsunfähig?
Ist die Einwilligungsunfähigkeit durchgängig, oder gibt es Phasen, in denen der Bewohner/die Bewohnerin die Situation klar erfassen kann?
Gibt es verbale oder nonverbale, aktuelle oder frühere Äußerungen des Bewohners/der
Bewohnerin, die seinen/ihren Willen erkennen lassen?
Ist eine Betreuung eingerichtet oder muss sie eingerichtet werden? Gibt es einen Vorsorgebevollmächtigen?
Gibt es eine Patientenverfügung? Welche Relevanz hat sie für die zu planenden Maßnahmen?
Gerechtigkeit
Ist das vorgeschlagene Vorgehen im Hinblick auf andere (MitbewohnerInnen, Pflegende,
Angehörige) zu verantworten?
41
Ist der personelle, räumliche, wirtschaftliche Aufwand gerechtfertigt?
Blick auf das Team/die Beteiligten/die Institution
Welche Werte und Einstellungen werden jetzt vertreten?
Gibt es Einstellungen und Werte, die bisher nicht berücksichtigt wurden?
Welches sind die relevanten Richtlinien der Einrichtung zu den vorgeschlagenen Maßnahmen?
Welche Wertekonflikte werden deutlich?
Wie wird mit vertraulichen Informationen umgegangen (innerhalb des Teams und nach
außen)?
VOTUM
Wie lautet nun die ethische Frage?
Sind wichtige Fakten unbekannt? Welche?
Kann dennoch ein verantwortliches Votum abgegeben werden?
In welchen Situationen muss die Entscheidung aufs Neue überdacht werden?
Wie wird das Votum (einschließlich evtl. Minderheitenvotum) formuliert?
Welche konkreten Verpflichtungen gehen die TeilnehmerInnen der Fallbesprechung ein?
42
5. Fortbildung/Training für unterschiedliche Formen der Ethikberatung
Eine wesentliche Aufgabe, die in allen Empfehlungen für Ethikberatung genannt wird, ist
die angemessene Aus- und Weiterbildung für klinische Ethikberatung bzw. Ethikberatung
im Gesundheitswesen. Wir haben schon anklingen lassen, dass wir das Modell der
lernenden Organisation favorisieren – das individuelle Lernen von Einzelnen hinterlässt in
der Regel zu wenig Spuren in der Praxis der Teams und der Einrichtungen;
dementsprechend ist die Wirkungstiefe und Nachhaltigkeit eines solchen singulär erworbenen Wissens. Im Folgenden möchten wir einige Überlegungen zur organisationalen
Verankerung vorstellen und einige Kompetenzen, die wir für Ethikberatung in der Altenhilfe
für unerlässlich halten.
Ein Dreieck mit den Eckpunkten Haltung, Fähigkeit und organisationale Unterstützung
dient uns im Training und in der Erläuterung von Implementierungsprozessen:
Es markiert für uns die Notwendigkeit eines Gleichklangs, der häufig nicht ausreichend
balanciert scheint. Es genügt nicht, auf die Haltung allein zu fokussieren. Zwar ist eine
bestimmte (kommunikative) Haltung dem Palliative Care und der Ethik zueigen, ohne die
ein Versorgungsansatz hohl und schal wirken würde. Es geht um mehr als Techniken und
Methoden. Es geht um Herzensbildung und eine achtsame Haltung gegenüber den
Betroffenen, die vom Leitwert der Würde und Bewohnerzentrierung durchdrungen ist.
Gleichzeitig aber geht es eben nicht ohne Fachkenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Sie gehören dazu, denn die Haltung allein tut es nicht („gut gemeint ist nicht gut gemacht“).
Haltung plus Fähigkeit reichen vielleicht dem Individuum, genügen aber nicht im
Arbeitsalltag. Sie können sogar kontraproduktiv – weil frustrierend – sein, wenn die
Organisation nicht den Rahmen vorhält, der dieser Haltung und diesen Fähigkeiten Raum
und Ressourcen zur Verfügung zu stellt.
43
Bei der Bearbeitung von ethisch relevanten Situationen ist es hilfreich, die geforderten
Fachkompetenzen zu unterscheiden, um die Ebene der Bearbeitung im Konsens
festzulegen und damit erst eine angemessene Besprechung zu ermöglichen. Wir gehen
davon aus, dass der Grundmodus der Kommunikation in und unter all diesen Themen
liegt. Dieses Kommunikation, die mit Stichworten wie „wertschätzend“, „gewaltfrei,“
„partizipativ“ oder „allparteilich“ beschreiben werden kann, entspricht einer pastoralpsychologisch ausgerichteten Haltung im menschlichen Miteinander.
Bedürfnisse
und Bedarf
von
Bewohnern
44
Für die zentrale Moderationskompetenz greifen wir auf eigene Erkenntnisse und Beiträge
einer Kollegin zurück27.
Daraus einige wichtige Aspekte (weiteres Material im Folgekapitel):
Moderationsarbeit in der Ethikberatung als Anleitung zur Kommunikation – Stichworte
und Merksätze
Gruppendynamische Phänomene und Überlegungen können weitgehend außen vor
bleiben: Eine sporadisch zusammentretende Gruppe hat zwar auch eine Dynamik, aber
diese Phänomene sind hier zu vernachlässigen bzw. mit „normalem Leitungsverhalten“ zu
bewältigen. Ausnahme: Die Leitung einer regelmäßigen Fallbesprechungsgruppe mit
fester Zusammensetzung oder die Leitung eines Ethikbeirates verlangt etwas mehr
gruppendynamisches Verständnis.
Als Leitung einer Sitzung zur ethischen Situationseinschätzung oder Entscheidung hat
man eine begrenzte Rolle – nicht mehr und nicht weniger!
Die Moderationsrolle ist mit Aufgaben und Erwartungen verbunden. Diese sind zu
benennen und zu verstehen, um die TeilnehmerInnen zu entlasten. Zentral an die Rolle
der Moderatorin bzw. des Moderators sind sicher die Erwartungen
moderieren – leiten – befördern – zusammenfassen
Es geht darum, Rahmen, Halt und Sicherheit geben.
Für die Leitung braucht es etwas Mut und Übung – aber man kann es lernen.
Zentral ist eine gute Vorbereitung:
Was will und kann ich? Was ist meine Rolle? Ist das allen klar?
Wer kommt? Wer ist besonders betroffen?
Worum wird es gehen? Was kann passieren? Wie kann ich damit umgehen? Notausstieg?
Es geht um Kommunikation und um Anleitung zur Kommunikation!
27
Skript, Tipps und weitere Informationen dazu direkt bei unserer Kollegin:
Svenja Uhrig, Supervision•Coaching•Training; mail: [email protected]
45
Arbeitsblätter/Materialien zu Kapitel 5
Arbeitsblatt 1: Moderation in der ethischen Beratung
Zehn Leitfragen zur Vorbereitung auf die Leitung einer Ethikberatungssituation
1
Was ist meine Rolle in dieser Situation? Sonst in der Einrichtung?
Welche Rollen haben die anderen?
Wie passen diese Rollen zur Hierarchie der Einrichtung?
2
Wer arbeitet nicht (ganz) freiwillig mit? Was bedeutet dies?
3
Sind die Ziele heute klar? Kollidieren sie mit anderen Zielen der Einrichtung?
4
Wie wünsche ich mir unsere Kommunikationskultur?
Passt sie zur Kommunikationskultur der Einrichtung?
5
Sind Normen und Entscheidungswege klar – heute und sonst?
Wie handeln wir diese aus? Wer „schafft an“?
6
Stimmt die Balance von Transparenz und Vertraulichkeit?
„So offen wie möglich – so intern wie nötig“
7
Wie werde ich mit Widerständen umgehen?
8
Wo tauchen vielleicht Konflikte auf:
Sachebene oder Beziehungsebene?
Wie gehe ich damit um?
9
Hat jeder etwas davon, dass er/sie mitarbeitet?
10
Was brauchen wir vielleicht an Hilfe?
Zwei wichtige Grundsätze – mit fast universaler Gültigkeit
•Wir sind nicht miteinander verheiratet und müssen uns nicht lieben – aber wir arbeiten
zusammen.
Wenn ich leite, dann gelten zwei Sätze:
•„Begründen statt Befehlen“
&
„Betroffene zu Beteiligten machen“
46
6. Wie kommt die Ethikberatung in die Einrichtungen?
Implementierungsprojekt ‚Ethikberatung‘
Die Einrichtung von Ethikberatung in einer Organisation, in einem Dienst läuft nicht linear
ab, sondern ereignet sich in mehreren Schleifen (Phasen), in denen sowohl die
Führungskräfte als auch die MitarbeiterInnen einbezogen werden sollen. Aus der
Erfahrung unseres Projektes können wir einen solchen Verlauf mit mehreren Phasen
exemplarisch beschreiben und die erarbeiteten Bausteine zur Verfügung stellen.
Für die hier vorgeschlagene Weise der Implementierung ist das Verständnis einer
interventionsorientierten Projekt- und Organisationsentwicklung hilfreich. In vergleichbaren
Modellprojekten zur Implementierung von Palliativversorgung in Pflegeheimen ist dies
schon publiziert worden28. Viele der dort beschriebenen Prinzipien, Haltungen und Paradigmen können auch beim Thema Ethik/Ethikberatung eingebracht bzw. vorausgesetzt
werden.
Wir haben unser Projekt in die folgenden Phasen eingeteilt:
Konzeptionsphase
- Entwicklung der Idee (incl. Thesen zum Anlass und Bedarf)
- Skizzierung des handlungsleitenden Paradigmas (warum soll was geschehen?)
- Vorstellen des Projekts in allen Unternehmensbereichen
- Identifikation förderlicher und hinderlicher Rahmenbedingungen
- Erstellen eines Konzeptes mit Zielen und Aufgaben, einschließlich Finanzplan
- Ressourcen für das Projekt abklären
- Verbündete und KooperationspartnerInnen finden und einbinden
- Entscheidung für interne/externe Projektbegleitung treffen
=>1. Evaluation: Hat die Einrichtung von Ethikberatung eine realistische Chance? Muss ein
wichtiger Schritt wiederholt bzw. ergänzt werden?
Projektphase
- Das von der Führung beauftragte Projekt braucht eine nachhaltige Verankerung bei den
MitarbeiterInnen
- Sollen die BewohnerInnen/Angehörige/externe DienstleisterInnen miteinbezogen werden?
- lokale Adaptierungen in den einzelnen Einrichtungen
- Vorbereitung und Durchführung erster Workshops
=> 2. Evaluation und Nachbereitung in den einzelnen Einrichtungen
- Auswertung auf der Ebene der Führungskräfte
=> 3. Evaluation
Implementierungsphase
- Welche Strukturen sollen aus der Projektphase in die Routinen der Einrichtung bzw. des Trägers
übernommen werden?
- Errichten der lokalen Strukturen und Routinen, z. B. regelmäßige Fallberichte und/oder
Softanalyse
- Errichten der übergreifenden Strukturen und Routinen, z. B. HausleiterInnenkonferenz zur
ethischen Entscheidungskultur; Errichtung eines Ethikbeirats
28
Siehe Anmerkung 1 und 2
47
Evaluations- und Adaptionsphase
- Wie wurden die Ethikaktivitäten auf den unterschiedlichen Ebenen dokumentiert und
ausgewertet?
- Welches relevante Wissen konnte wie genutzt werden/nicht genutzt werden?
- Welche KooperationspartnerInnen sollen verstärkt eingebunden werden?
- Welcher Fortbildungsbedarf zeigt sich und wie kann dieser organisiert werden?
- Wie gestaltet sich das Verhältnis/der Informationsfluss/die Entscheidungen zu und mit den
verschiedenen Leitungsebenen?
- Wie wurden BewohnerInnen und ihre Angehörigen informiert/eingebunden/beteiligt/in Auswertungen einbezogen?
- Mit welchen anderen Projekten/Strukturen bedarf es einer Vernetzung?
=> 4. Evaluation im Sinne einer Bilanz
=> Weiter (z. B. jährliche) Bilanzen in die Routine des Trägers einbauen
Erfahrungsaustausch zur Konzept- und Projektphase
Ein möglicher Designvorschlag ging davon aus, einrichtungsübergreifend in einer
Trainings- und Projektgruppe zu arbeiten. Die Trainingsgruppe sollte aus mindestens zwei
bis drei Personen aus jeder Einrichtung plus VertreterInnen aus den Stabsstellen und der
Geschäftsführung gebildet werden. In dieser Konzeption wurde von einer bestimmten
Anzahl von Trainingstagen ausgegangen. Ziel wäre hier gewesen, (a) die Teilnehmenden
im Training mit den Grundkenntnissen der Ethikberatung auszustatten, (b) sie als
Keimzelle einer je einrichtungsinternen Projektgruppe zu befähigen, das Wissen und die
Methoden ins eigene Haus zu übertragen und dort (c) ein eigenes kleines Ethikprojekt
durchzuführen. Hier war auch vorgesehen, dass für die Arbeit in den hauseigenen
Projektgruppen externe Unterstützung abrufbar wäre. Hintergrund eines solchen Ansatzes
ist das Verknüpfen von Lernprozessen auf der Ebene der Personen und der Organisation:
Die Fortbildung bleibt nicht ein Wissensgewinn für die Einzelnen, sondern wird mit dem
Lernen ihrer Teams und Einrichtungen verknüpft.
Dieser Konzeptansatz fand aus vielerlei Gründen keine Zustimmung der Leitungen. Mit
Einbeziehung von deren Wünschen und Bedenken wurde das Projektdesign schlanker
und an bisherige Projekterfahrungen angepasst. Zudem wurden drei wesentliche Ziele
erreicht:
- Die Führungskräfte machten sich das Projekt zueigen; damit wurde die ethische
Reflexionskompetenz nicht über die Fortbildungsschiene eingeführt – sie wurde
direkte Reflexionskategorie auf Ebene der Teams und der Einrichtungsleitung.
- Die Führungskräfte engagierten sich im Projekt und identifizierten sich mit den
Projektanliegen. Die Analyse-Ergebnisse aus den folgenden Workshops konnten
schneller umgesetzt werden, indem gleich nach Zuständigkeiten, Rollen und
Kompetenzen gefragt wurde. (Das Gegenbeispiel sind ethische Reflexionen, an
denen sich Führungskräfte nicht beteiligen; diese bekommen dann zwar einen
supervisorischen, psychohygienischen Charakter – die Umsetzung ist ungleich
aufwendiger!)
- Für die Führungskräfte war die Perspektive für ein einrichtungsübergreifendes
Ethikgremium ein wichtiges Ziel; damit wurde der Blick auf ein größeres Ganzes,
aber auch auf hinderliche und förderliche Rahmenbedingungen gelenkt. So wurde
das Ethikthema gleich auf drei relevanten Ebenen angegangen und als
‚kommunizierende Röhren‘ verstanden und gestaltet.
48
Zur Projektarchitektur im Detail
Nachdem die Führungskräfte sich das Projekt zueigen gemacht hatten, konnte das Projekt
strategisch von drei Personen gesteuert werden: dem Geschäftsführer als Auftraggeber,
dem internen Projektleiter und dem externen Projektbegleiter. Die inhaltliche Steuerung
ebenso wie die Auswertungen und Umsetzungen wurden bislang gemeinsam mit
den Führungskräften geleistet; mit der Einrichtung des Ethikbeirates wird diese Aufgabe zukünftig von diesem übernommen.
Abb. 7: Projektarchitektur Hilfe im Alter © o&e 2009
49
Implementierungsphase 1: Konzeption und Einrichtung eines Ethikbeirates
Erfahrungsaustausch: Angemessene Sprache und Strukturen – Ethikbeirat statt
Ethikkomittee
Damit das Projekt kein Strohfeuer wird und damit die inspirierenden Projekterfahrungen
weiterwirken, hat sich die „Hilfe im Alter“ als Träger entschieden, einen Ethikbeirat für alle
Einrichtungen gemeinsam zu etablieren. Dies ist der erste Ethikbeirat in diakonischen
Einrichtungen der bayerischen Landeskirche. Vergleichbar mit den klinischen
Ethikkomitees werden die Mitglieder des Ethikbeirates die Geschäftsführung und die
Heimleitungen bei grundsätzlichen ethischen Fragestellungen beraten. Dazu wurden in
der Geschäftsordnung29 zwei Prinzipien grundgelegt:
1. Ethikberatung als Entscheidungshilfe
Ethikberatung bietet durch eine vereinbarte Struktur, in einem begrenzten Zeitrahmen und
durch eine wertschätzende, allparteiliche Moderation in ethisch schwierigen oder
konflikthaften Situationen die Möglichkeit einer grundlegenden Standortbestimmung und in
der Folge eine gemeinschaftliche Entscheidungsgrundlage. Dadurch wird dem Willen
eines Bewohners/einer Bewohnerin vorrangig Rechnung getragen wie auch Anliegen und
Bedürfnisse von Angehörigen und MitarbeiterInnen berücksichtigt.
2. Beteiligung der Betroffenen
Ein wesentliches Grundprinzip der Ethikberatung ist die Beteilung derer, die betroffen sind.
In der Hilfe im Alter gibt es in den einzelnen Häusern durch das intensive Palliativprojekt
bzw. durch die dadurch entwickelten Strukturen und Kompetenzen unterschiedliche
Bausteine, die bereits eine ethische Entscheidungskultur befördern. (…) Um dieses
Grundprinzip umzusetzen, wurde in jedem Haus ein Ethikflyer aufgelegt, der zum
Hinschauen, ins Gespräch kommen und zu gemeinsamer Verantwortung ermutigte. (vgl.
angefügte Bausteine)
Für die erste Funktionsperiode konnten neben engagierten MitarbeiterInnen aus allen
Berufsgruppen und Einrichtungsbereichen, aus allen Hierachieebenen und Funktionen
und aus allen Einrichtungen auch namhafte Persönlichkeiten aus der evangelischen
Kirche, aus Sozial- und Gesundheitseinrichtungen sowie aus der Hospizbewegung
gewonnen werden.
Für die gemeinsame Arbeit wurden in der Geschäftsordnung vier Aufgaben formuliert:
a) die exemplarische Bearbeitung von individuellen, aber auch paradigmatischen
Fallgeschichten (prospektiv und retrospektiv) aus den Altenhilfe-Einrichtungen der „Hilfe
im Alter“,
(b) die Erarbeitung von gemeinsamen Ethischen Empfehlungen und Leitlinien für die „Hilfe
im Alter“,
(c) die Unterstützung von moderierten ethischen Fallbesprechungen/Ethikberatung in den
einzelnen Einrichtungen der „Hilfe im Alter“ und
(d) die Ermöglichung von Fort- und Weiterbildung des Ethikbeirates sowie aller
MitarbeiterInnen der Hilfe im Alter, um die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und
die ethische Bewusstseinsbildung in allen Bereichen der „Hilfe im Alter“ zu fördern.
Für die erste Funktionsperiode wurde aus den internen Mitgliedern eine Geschäftsführerin
des Ethikbeirates gewählt, die von dem internen Projektkoordinator und dem externen
Projektbegleiter unterstützt werden wird.
Die Arbeit des Ethikbeirates steht unter einem dreifachen Auftrag: Der Beirat wird aus der
Perspektive der MitarbeiterInnen und den Leitungskräften als Unterstützung ihrer
29
Die ganze Geschäftsordnung ist als Arbeitsblatt angefügt.
50
Alltagsarbeit gewünscht. Die Geschäftsführung der „Hilfe im Alter“ beauftragte bei der
Etablierung des Beirates explizit alle Mitglieder.
"Für die Altenhilfe in Bayern ist die Konstitution des Ethikbeirates ein Novum, für Diakonie
und Kirche ein wegweisender Schritt – einer, der längst überfällig war", so die Regionalbischöfin Breit-Keßler in ihrer Ansprache. Als "Qualitätsmerkmal" bezeichnete sie die
Ethik-Beratung: "Ethische Wachsamkeit und Sensibilität für die Bedürfnisse" der Bewohnerinnen und Bewohner seien unerlässliche Voraussetzung, um die schwierigen Situationen und Entscheidungen in den Einrichtungen der Altenpflege bewältigen zu
können. Zugleich gelte es, "in einer Gesellschaft, die ein Menschenbild mit den Attributen
,jung, schön, vital, leistungsfähig, effizient und erfolgreich‘ favorisiert, die Würde alter
Menschen ganz besonders zu achten".
Hier schärft sich deutlich das diakonische Profil: Die Hilfe im Alter braucht AgentInnen des
Diakonischen; HüterInnen einer voraussetzungsfreien Gastfreundschaft und Würde,
Seismographen für die Verletzlichkeit des Menschen. Die „Hilfe im Alter“ erwartet, dass
sich ihre MitarbeiterInnen für eine diakonische Ausrichtung engagieren; sie erwarten und
fordern das von ihren Führungskräften. Gleichzeitig ist sich die Geschäftsführung bewusst,
dass der Träger hier Unterstützung und Vorgaben leisten muss, in permanenten
Prozessen der Selbstbeobachtung und Weiterentwicklung, des Ausbalancierens von
Unterschieden und Widersprüchen. In den Unterschieden entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben, ist ein wichtiges Ziel für die MitarbeiterInnen, die Führungskräfte und
letztlich für den Träger Diakonie.
Statt Recht haben rechtzeitig miteinander zurechtkommen
Gerhard Prölß, Geschäftsführer der Hilfe im Alter, konkretisierte sowohl in Richtung der
MitarbeiterInnen wie auch des Beirates den Auftrag der Geschäftsführung:
„Wegschauen ist nicht erlaubt“, mahnte er bei der Konstituierung des Ethikbeirats
am 29. Oktober 2009 in München und ermuterte die Mitglieder des Ethikbeirates: „In
diesem Projekt haben Sie die Erlaubnis, über wirklich jede Kritik und jedes Unbehagen
nachzudenken.“ Mit dem Projekt etabliere sich „eine neue Kultur der Kritik- und Entwicklungsfähigkeit! “
Mit der Erlaubnis, kritische ethische Fragen stellen zu dürfen, wird in der Hilfe im Alter der
wachsenden Zahl ethischer Herausforderungen im Sinne einer gemeinsamen Vorsorge
begegnet. Im Vordergrund steht nicht, wer am Ende Recht hat, sondern wie Teams und
HausärztInnen, BewohnerInnen und Angehörige miteinander zurechtkommen, damit die
BewohnerInnen rechtzeitig zu dem Recht kommen, das eigene Leben bis zuletzt
verantwortlich mitzugestalten.
Mit dem Ethikbeirat, aber auch mit der Möglichkeit zur Ethikberatung in den einzelnen
Einrichtungen ist ein wesentlicher Schritt getan, dass gute Entscheidungen nicht nur von
den motivierten MitarbeiterInnen getroffen werden; zur Entscheidungskultur gehört, dass
alle aufmerksam sind und alle sich strukturiert und mit Unterstützung den ethischen
Herausforderungen stellen können. Damit ist eine Vision ungesetzt und konkretisiert, die
der Philosoph Hans Jons als Verständigungssystem und Plattform für den Erfolg der
eigenen Sache bezeichnet hatte: „Letzten Endes liegt jede Hoffnung, die wir haben, darin,
dass es Verständigungssysteme gibt, (…) dass man Gremien und Plattformen bildet, in
denen sich Menschen mit verschiedenem Wissen und verschiedenen Interessen begegnen und auch über solche Dinge sprechen, die nicht gerade in der Linie des größtmöglichen Erfolges ihrer jeweils eigenen Sache liegen.“
51
Implementierungsphase 2: Entwicklung und Einsatz des Ethikberatungsflyers
Die Entwicklung und Implementierung unseres Flyers Ethikbeirat und Ethikberatung in der
Hilfe im Alter war ein zentraler Schritt. Stellte er doch den Übergang der zunächst intern
orientierten Arbeit in die Öffentlichkeit dar: going public als Ziel. Um auch hier das
Commitment der Leitungsebene gestärkt zu halten, wurde aufwändig an diesem
Projektschritt gearbeitet30.
Der Text des Flyers wurde in mehreren Schritten redigiert. Wir hatten einen Entwurf
vorgelegt, den wir sowohl im Ethikbeirat als auch in der Leitungskonferenz der Hilfe im
Alter zur Kommentierung vorlegten. Alle Rückmeldungen, Anregungen und Bedenken
wurden eingearbeitet. Eine zweite Fassung wurde dem Ethikbeirat erneut zur Diskussion
vorgelegt. Die daraus resultierende Version wurde dann erneut in der Leitungskonferenz
besprochen und abgesegnet. Dieser halbjährige Prozess führte zu einer Endfassung,
deren Implementierung wir den Häusern völlig freigestellt haben. Vorgegeben war nur ein
Zeitrahmen (Jahresende 2010). Die Häuser erhielten Briefe zur Information der
Mitarbeitenden, der BewohnerInnen und der Angehörigen. Im Herbst 2010 wurde der Flyer
in großer Auflage gedruckt. Die Häuser konnten in diesem Zeitraum selbst entscheiden,
welche Schritte in der Vorbereitung der Mitarbeitenden und der Veröffentlichung des
Flyers sie gehen wollten. Damit wurde den Einrichtungen größtmögliche Freiheit und
Verantwortung in diesem relevanten Projektschritt gegeben.
30
Die entsprechenden Vorlagen und Musterbriefe sowie die Endfassung des Flyers sind im Materialteil zu
Kapitel 5 abgedruckt.
52
Evaluationsphase – Die Organisation von Wirksamkeit und Nachhaltigkeit
Erfahrungsaustausch: Es gibt ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Evaluation: Für
viele bedeutet ‚Evaluation’ eine Überprüfung der Befindlichkeit oder Wirksamkeit nach
einer Veranstaltung oder einem Projekt; in der Regel wird dazu ein standardisierter
Fragebogen verwendet, in dem einige Items mit einer 5er-Skala abgefragt werden –
bestenfalls enthält ein solcher Fragebogen noch ein Feld ‚was Sie noch anmerken wollen .
Außer dem offensichtlichen Ziel der Überprüfung, dessen Auftraggeber und Nutzer
weitgehend in Unklaren bleiben, gibt es keinen Einfluss auf die Fragestellung bzw. auf die
Kriterien oder Zielsetzungen, die dahinter vermutet werden. Oft bleibt auch noch die
Auswertung im Dunkeln, ganz zu schweigen von den Konsequenzen, die gezogen
werden.
‚
Gegen diese letztlich unbefriedigende Verwendung des Evaluationsbegriffs soll hier ein
weiteres Verständnis, im Sinne einer Kybernetik – einer umfassenden Führungskunst
entwickelt werden. Drei grundlegende Prinzipien kommen zur Anwendung:
1. Evaluation wird als ein fortlaufender Prozess in einem ‚Regelkreis von Planung –
Steuerung – Überprüfung verstanden.
2. In der systemischen Sichtweise werden in unterschiedlichen Rollen Auftraggeber,
Akteure und Kunden in der jeweiligen Phase der Evaluation beteiligt.
Dementsprechend verändern sich auch die Planungs-, Steuerungs- und
Überprüfungsinstrumente bei der erneuten Durchführung.
3. Evaluation zielt auf rasche Veränderung – gerne auch ad experimentum – hin.
Dadurch werden Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit einer Maßnahme oder eines
Projektes (wie z. B. ‚Ethikberatung in der Altenhilfe’) gewährleistet.
‚
Einige grundsätzliche Aspekte für eine Evaluation von Ethikberatung31 in der Altenhilfe:
Ethikberatung stellt in vielfältiger Weise eine Innovation und einer Intervention im System
Altenhilfe dar. Deswegen greift es m. E. zu kurz als Evaluation nur die Wirksamkeit der
einzelnen Beratung bzw. den einzelnen Implementierungsmaßnahmen zu überprüfen.
Unser Evaluationskonzept balanciert hier zwischen der individuellen Beratungssituation,
den Verknüpfungen, die auf der Ebene des Beirats getroffen werden (z. B. durch
Empfehlungen und Leitlinien) und wesentlichen Umwelten (Auftrag und Ressourcen,
Strategie und Kultur des Trägers, einzeln und gesamt).
Mögliche Ziele einer Evaluation von Ethikberatung in der Altenhilfe
-
Überprüfung des Auftrags durch die Leitung – Adaptierung der Geschäftsordnung
Überprüfung und Optimierung des Beratungsprozesses
Kontrolle der eigenen Wirksamkeit/Nachhaltigkeit
Überprüfung der eigenen Fach- und Beratungskompetenzen im Bezug auf
Ethikberatung
Leistungsbilanz des Ethikberates/der Fallberatungen
Organisationsentwicklung des Ethikbeirates bzw. des Trägers und seiner
Einrichtungen
Prozessberatung der Weiterentwicklung
31
Vgl. Dinges, Simon (2010), Grundlagen und Bausteine für eine systemische Evaluation von Ethikberatung.
Im Rahmen der Akademie für Ethik in der Medizin werden aktuell Indikatoren und unterschiedliche Modelle
von Evaluation zusammengestellt.
53
Planung der konkreten Durchführung einer Evaluation
1. Zunächst ist die Geschäftsführung des Ethikbeirates als Auftraggeber für die
Evaluation zu sehen; damit fällt in der ersten Phase Auftraggeberschaft und
Evaluationsgruppe zusammen. Dahinter steht der Gedanke, dass zunächst der
innerste Kreis des Ethikbeirates und des Beratungsteams sich der Evaluation im
Sinne einer Selbstüberprüfung stellt und erprobt.
2. Diese Ergebnisse, kombiniert mit der Außenperspektive des Evaluators, die an den
Ethikbeirat zurückgespielt werden, gestalten dann die nächsten Phasen, nämlich
die beiden eigentlichen Auftraggeber von Ethikbeirat und Ethikberatung, die
Geschäftführung der HiA und die anfragenden Häuser mit ihren Leitungen und
MitarbeiterInnen, letztlich auch die BewohnerInnen und ihre Angehörigen – als
Nutznießer der Dienstleitung Ethikberatung.
3. Auch diese Ergebnisse werden von Evaluator kommentiert zurückgespielt. Parallel
zu den Evaluationsschritten werden von Evaluator die vorliegenden Formulare
(Anfrage, Protokoll, Dokumentation), Geschäftsordnungen, Informationsbroschüren,
Internetauftritt sowie Fallauswertungen und wenn vorhanden Leitlinien als Daten
herangezogen.
4. Idealerweise werden Ergebnisse und Empfehlungen der Evaluation nach der
Präsentation gemeinsam diskutiert und umgesetzt.
54
Materialien zum Kapitel 5
Beispiel: Beauftragung zum Ethikbeirat
Sehr geehrte/r Herr/Frau …………………..
Herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, im Ethikbeirat der ‚Hilfe im Alter’ mitzuarbeiten und
zu einer vielseitigen ethischen Reflexion von Bewohnergeschichten, Arbeitssituationen in
den Einrichtungen und einrichtungsübergreifenden Themen beizutragen.
Hiermit beauftrage ich Sie für diese uns sehr wichtige
für den Zeitraum von ……………………..
als internes/externes Mitglied des Ethikbeirates der ‚Hilfe im Alter‘.
Dienstleitung
Die Aufgaben des Ethikbeirates lt. Geschäftsordnung:
(a) die exemplarische Bearbeitung von BewohnerInnengeschichten und Arbeitssituationen
aus den Einrichtungen der Hilfe im Alter,
(b) die Erarbeitung von gemeinsamen ethischen Empfehlungen und Leitlinien für die Hilfe
im Alter,
(c) die Unterstützung von moderierter Ethikberatung in den Einrichtungen der Hilfe im
Alter,
(d) die Sorge um Fort- und Weiterbildung, um die Auseinandersetzung mit ethischen
Fragen und die ethische Bewusstseinsbildung in allen Bereichen der Hilfe im Alter zu
fördern.
Im Gegenzug verpflichtet sich die Geschäftsführung,
die Beratungen und Empfehlungen des Ethikbeirats zum Gegenstand intensiver und
gewissenhafter Auseinandersetzung zu machen und sie nach Möglichkeit in wirksame
Praxis umzusetzen bzw. zu autorisieren;
zu einem gemeinsamen jährlichen Treffen, um die gemeinsamen Anliegen zu reflektieren
und die Rahmenbedingung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.
Gottes Segen für Ihr und unser Tun!
55
Beispiel: Information und Geschäftsordnung für Ethikberatung und Ethikbeirat der
Altenhilfeeinrichtungen der Hilfe im Alter (Hilfe im Alter)
0. Vorwort und Orientierung
Plurale Wertvorstellungen und Lebensentwürfe
Jeder Mensch hat individuelle Wertvorstellungen, einen persönlichen Lebensentwurf als
Grundlage für das eigene Entscheiden. Damit treffen, auch im Alltag unserer Einrichtungen, unterschiedliche Wert- und Lebenseinstellung aufeinander. Insbesondere im Alter
und am Lebensende kann es hier zu Differenzen oder gar Konflikten kommen, die eine
gute oder bestmögliche Entscheidung und damit Versorgung be- oder verhindern.
Ethikberatung als Entscheidungshilfe
Ethikberatung bietet durch eine vereinbarte Struktur, in einem begrenzten Zeitrahmen und
durch eine wertschätzende, allparteiliche Moderation in ethisch schwierigen oder konflikthaften Situationen die Möglichkeit einer grundlegenden Standortbestimmung und in der
Folge eine gemeinschaftliche Entscheidungsgrundlage. Dadurch werden dem Willen eines
Bewohners/einer Bewohnerin vorrangig Rechnung getragen wie auch Anliegen und
Bedürfnissen von Angehörigen und MitarbeiterInnen berücksichtigt.
Beteiligung der Betroffenen
Ein wesentliches Grundprinzip der Ethikberatung ist die Beteiligung derer, die betroffen
sind. In der Hilfe im Alter gibt es in den einzelnen Häusern durch das intensive Palliativprojekt bzw. durch die dadurch entwickelten Strukturen und Kompetenzen unterschiedliche Bausteine, die bereits eine ethische Entscheidungskultur befördern. Um diese
Bemühungen zu bündeln und zu unterstützen, hat die Geschäftsführung der Hilfe im Alter
(mit Unterstützung und Förderung der Robert-Bosch-Stiftung) ein Ethikprojekt in Abstimmung mit der Heimleiterkonferenz gestartet. In einer ersten Phase wurden in den
einzelnen Häusern ein gemeinsames Verständnis von Ethikberatung und der notwendige
Entwicklungsbedarf erarbeitet. Um das bisher in unterschiedlichen Projekten Erreichte zu
sichern wird jetzt in der zweiten Phase ein Ethikbeirat der/für die Hilfe im Alter
eingerichtet.
Der Ethikbeirat – Garant für Entscheidungskompetenz und Versorgungsqualität
Der Ethikbeirat der Hilfe im Alter wird (einrichtungsübergreifend) von der Geschäftsführung eingesetzt und für die Dauer von drei Jahren berufen. Die folgende Geschäftsordnung gibt Auskunft über die Ziele und Aufgaben, die unterschiedlichen Arbeitsweisen
sowie die Zusammensetzung des Ethikbeirates. Der Ethikbeirat ist aus den verschiedenen
fachlichen, palliativen und ethischen Projektperspektiven wünschenswert und notwendig
geworden; er soll den zahlreichen Aktivitäten in den einzelnen Einrichtungen wie auch im
Gesamtunternehmen unterstützend und fokussierend zur Seite stehen.
Durch eine interprofessionelle und interdisziplinäre Ausrichtung und durch das skizzierte
Aufgabenprofil zielt der Ethikbeirat durch seine Arbeit auf eine verbreiterte Entscheidungskompetenz und dadurch auf eine bestmögliche Versorgungsqualität. Im Sinne der
Dienstleistungsfunktion von Ethikberatung hat er ein grundsätzlich subsidiäres Verständnis
seiner Arbeit, die der strategisch-diakonischen Ausrichtung der Hilfe im Alter Rechnung
tragen wird.
56
Mit der Einrichtung des Ethikbeirates in der Hilfe im Alter wird auch einer Empfehlung von
Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (München) und Diakoniepräsident Dr. Ludwig
Markert (Nürnberg) gefolgt. Sie haben dazu aufgerufen, „Ethikberatung bzw. ausgewiesene ethische Kompetenz in Zukunft in allen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen der Altenpflege zu einem integralen Bestandteil des Gesamtkonzeptes werden zu
lassen.“ (Januar 2009)
1. Aufgaben und Ziele des Ethikbeirates
Die wesentlichen Aufgaben des Ethikbeirates sind
(a) die exemplarische Bearbeitung von individuellen, aber auch paradigmatischen
Fallgeschichten (prospektiv und retrospektiv) aus den Altenhilfe-Einrichtungen der Hilfe im
Alter,
(b) die Erarbeitung von gemeinsamen ethischen Empfehlungen und Leitlinien für die Hilfe
im Alter,
(c) die Unterstützung von moderierten ethischen Fallbesprechungen/Ethikberatung in den
einzelnen Einrichtungen der Hilfe im Alter und
(d) die Ermöglichung von Fort- und Weiterbildung des Ethikbeirates sowie aller MitarbeiterInnen der Hilfe im Alter, um die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und die
ethische Bewusstseinsbildung in allen Bereichen der Hilfe im Alter zu fördern.
a) Exemplarische Bearbeitung von Fallgeschichten aus den einzelnen Einrichtungen
Grundsätzlich sollte jeder/jeder, der/die im Kontext der Hilfe im Alter auf eine ethische
Herausforderung, Fragestellung oder einen akuten Konflikt stößt, sich an den Ethikbeirat
wenden können. Dessen KoordinatorIn bzw. Leitung wird in enger Absprache mit dem
Einbringer/der Einbringerin entscheiden, welche Auseinandersetzungsform dem Anliegen
angemessen und zielführend ist.
In seinen routinemäßigen Treffen wird der Ethikbeirat geeignete Themen und Situationen
exemplarisch bearbeiten und allfällige Ergebnisse dokumentieren und entsprechend
kommunizieren. Damit wird die angestrebte ethische Entscheidungskultur in der Hilfe im
Alter vorangetrieben und gefördert. Natürlich kann der Ethikbeirat auch aus eigenem
Antrieb Themen aufgreifen und bearbeiten, die seinen Zielsetzungen entsprechen.
b) Ethische Empfehlungen und Leitlinien
Aufgrund von exemplarischen Fallgeschichten/Anfragen aus allen Bereichen der Hilfe im
Alter, sowie bei sich wiederholenden ethischen Fragestellungen im Rahmen der
fachlichen, palliativen und ethischen Fallbesprechungen vor Ort in den einzelnen
Einrichtungen, kann der Ethikbeirat Stellungnahmen, Empfehlungen und Leitlinien
ausarbeiten und Entscheidungsmöglichkeiten vorschlagen. Bestehende, ethisch relevante
Leitlinien werden dabei im Sinne des Leitbildes berücksichtigt und in Abstimmung mit der
Geschäftsführung weiterentwickelt.
Grundsätzlich setzt die Geschäftsführung der Hilfe im Alter die vom Ethikbeirat
vorbereitete Empfehlung im Sinne einer Leitlinie in Kraft. Die ethischen Leitlinien sollen
allen Mitarbeitenden der Hilfe im Alter eine orientierende Hilfestellung und Rahmung
geben. Den BewohnerInnen und ihren Angehörigen dienen sie als Anhaltspunkte für
Werte, denen die Hilfe im Alter als Institution besondere Bedeutung beimisst.
57
c) Förderung und Unterstützung moderierter, ethische und palliativer Fallbesprechungen/Ethikberatung in den einzelnen Einrichtungen
Fallbesprechungen (mit fachlichen, palliativen oder ethischen Schwerpunkten) sind als
Unterstützung in schwierigen Entscheidungssituationen alltagsnah in den einzelnen
Einrichtungen etabliert. Sie berücksichtigen die unterschiedlichen Zuständigkeiten und
Entscheidungskompetenzen der unterschiedlichen Berufe. Sie orientieren sich an der
Autonomie und den individuellen Bedürfnissen der MitarbeiterInnen und der BewohnerInnen in Balance zu verantwortlichen Behandlungs- und Betreuungsangeboten und
einer gerechten Verteilung der Ressourcen.
Ziel ist eine verstärkte Beteiligung der Betroffenen (BewohnerInnen, Angehörige, Mitarbeitende) bei relevanten Entscheidungsprozessen. Damit sollen die Kommunikation und
die ethische Diskussion durch eine multiprofessionelle und interdisziplinäre Entscheidungs- und Beteiligungskultur gestärkt und verbessert werden. Idealerweise steht der
Ethikbeirat in Kontakt mit den ModeratorInnen und den Leitungsverantwortlichen der
Häuser bzw. wird von diesen informiert oder direkt angefragt.
Die Unterstützung kann einerseits dadurch erfolgen, dass eine aktuelle Situation konziliarisch oder retrospektiv kommentierend an den Ethikbeirat delegiert wird (vgl. a); oder
indem von Seiten des Ethikbeirates geeignete Moderation zur Verfügung gestellt wird.
d) Kontinuierliche Fort- und Weiterbildung
In Zusammenarbeit mit der o. g. Fachstelle werden sowohl für die Mitglieder des
Ethikbeirats als auch für alle MitarbeiterInnen und Führungskräfte Fort- und Weiterbildung
angeboten. Neben fachlichen und ethischen Themen in Vorträgen und Informationen
werden hier insbesondere Kompetenzen im Bereich der interdisziplinären Kommunikation
und Moderation weiterentwickelt.
2. Mitglieder
Die Zusammensetzung des Ethikbeirates zielt darauf ab,
• dass möglichst alle Einrichtungen, Ebenen und relevanten Berufsgruppen vertreten sind;
• dass hier auch jene KooperationspartnerInnen abgebildet werden, mit denen im Alltag
zusammengearbeitet wird: ambulante Dienste und Hospizgruppen, Krankenhäuser sowie
auch niedergelassene ÄrztInnen;
• um nicht in einer Binnen- oder Alltagsperspektive zu verharren, sollen Personen und
Expertisen aus den Bereichen Diakonie/Kirche, Medizinethik/Palliative Care, Recht,
Geriatrie/Gerontologie und Pflegewissenschaften angesprochen und beteiligt werden.
Der Ethikbeirat wird aus 15-18 Mitgliedern bestehen, um arbeitsfähig zu bleiben.
Die Geschäftsführung der Hilfe im Alter kann nach Rücksprache mit dem bereits eingerichteten Ethikbeirat entscheiden, welche Rollen dauernd, kooptiert oder fallweise
besetzt werden. In Einzelfällen können auch VertreterInnen von BewohnerInnen oder
Angehörigen eingeladen und beteiligt werden.
Koordination und Leitung: Von den Beiratsmitgliedern wird für die Dauer einer
Funktionsperiode ein/e LeiterIn und zwei StellvertreterInnen (= Vorstand) mit einfacher
Mehrheit gewählt. Ihnen obliegt die ordnungsgemäße Durchführung der Sitzungen; sie
sind AnsprechpartnerInnen für ethische Anfragen und stehen in regelmäßiger
Kommunikation mit der Geschäftsführung der Hilfe im Alter.
Idealerweise koordiniert der/die LeiterIn auch die Anfragen bezüglich ethischer Fragestellungen/Fallbesprechung in den einzelnen Einrichtungen; wenn der Bedarf nach
externer Moderation besteht, in enger Absprache mit den Führungskräften vor Ort.
58
Auswahl und Beauftragung: Zur Besetzung vakanter Stellen erfolgt nach Ausschreibung
eine Auswahl durch den Vorstand des Ethikbeirats, der dann der Geschäftsführung der
Hilfe im Alter einen Vorschlag unterbreitet. Die Beauftragung des neuen Mitglieds erfolgt
durch die Geschäftsführung.
3. Regelmäßige Treffen
Der Ethikbeirat trifft sich als Gesamtgremium mindestens zwei Mal im Jahr. Um
arbeitsfähig zu sein, besteht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht. Die Termine sind in
der jeweiligen Dienstplangestaltung zu berücksichtigen und für ein Arbeitsjahr zu planen.
In einem zusätzlich jährlichen Treffen mit der Geschäftsführung der Hilfe im Alter erfolgt
wechselseitige Information, Bericht und statistische Auswertung der dokumentierten
Fallbesprechungen.
Sollten weitere Treffen notwendig sein, sollte eine Einladung mit Anlass bzw. kurzer
Skizze der Fallgeschichte mindestens zehn bis 14 Tage im Voraus erfolgen.
Sollte eine rechtzeitige Einladung nicht möglich sein bzw. weniger als die Hälfte der
Mitglieder des Ethikbeirates erreichbar sein, liegt es im Ermessensspielraum des
Vorstandes, in Abstimmung mit der Geschäftsführung eine Ad-hoc-Ethikberatung
einzuberufen. Diese Beratungsarbeit, wie auch andere stattfindende Ethikberatungen,
sollten in irgendeiner Form an reguläre Treffen des Ethikbeirates rückgebunden werden.
4. Verschwiegenheit
Die Mitglieder sind zur Verschwiegenheit über die Beratungen und die vertraulichen
Unterlagen verpflichtet. Dies gilt für alle Personen, die an Sitzungen teilnehmen oder als
ExpertInnen hinzugezogen werden. Die Verschwiegenheitspflicht bleibt auch nach dem
Ausscheiden aus dem Ethikbeirat bestehen.
5. Auflösung
Der Ethikbeirat ist eine ständige Einrichtung der Hilfe im Alter und kann ohne schwerwiegenden Grund nicht aufgelöst werden. Er wird aufgelöst, wenn nach gemeinschaftlicher Auffassung aller ordentlichen Mitglieder und/oder der Geschäftsführung der
Hilfe im Alter die Grundlagen einer erfolgreichen Arbeit nicht mehr bestehen.
6. Durchführung von ethischer Fallbesprechung auf Einrichtungsebene
Ethikberatung im Ethikbeirat
A. Grundstruktur
Ethikberatung in der Hilfe im Alter soll in ethischen Entscheidungssituationen und/oder in
Konflikten auf der Ebene von Stationen, Funktionsbereichen und Abteilungen unterstützen
und möglichst zeitnah alle relevanten Mitarbeitenden zusammenführen. Das Ergebnis der
Beratung wird von den Verantwortlichen in ihren Kompetenzbereichen umgesetzt.
Für Ethikberatung auf Einrichtungsebene stehen ausgewählte Mitglieder des Ethikbeirates
bzw. der Fachstelle und ggf. Mitarbeitenden der Hilfe im Alter mit entsprechender Moderationskompetenz zur Verfügung. Die Nominierung zur Moderationsgruppe erfolgt auf Basis
freiwilliger Meldung und/oder Beauftragung. Die ModeratorInnen werden in einer Liste im
Anhang zur Geschäftsordnung veröffentlicht.
59
Die ModeratorInnen arbeiten in einem Zweier-Team und teilen sich Moderation und
Dokumentation.
Die ModeratorInnen werden von der Leitung des Ethikbeirats und nach Rücksprache mit
ihrer direkten Dienststellenleitung eingesetzt. Die Moderationstätigkeit zählt als Dienstzeit.
B. Anmeldung und Ansetzen der Ethikberatung
Jede/r Mitarbeitende hat das Recht, eine Ethikberatung anzumelden. Auch BewohnerInnen bzw. deren gesetzliche VertreterInnen sowie Angehörige können eine Ethikberatung beantragen.
Die Anmeldung erfolgt entweder über die Hausleitung (HL/PDL) oder über die Leitung
bzw. Koordination des Ethikbeirats. Nach Erarbeiten einer relevanten ethischen Fragestellung und Feststellen der Sinnhaftigkeit einer konsiliaren ethischen Fallbesprechung/Ethikberatung werden ModeratorInnen vor Ort oder externe ModeratorInnen
benannt, und die beteiligten Leitungen vor Ort über die Anmeldung informiert.
Die Ethikberatung soll zeitnah in Absprache mit dem/der Anmeldenden sowie der pflegerischen Leitung der entsprechenden Einrichtung erfolgen.
Der/die KoordinatorIn entscheidet, welche Mitglieder als ModeratorInnen nominiert
werden. Diese kommen nach Möglichkeit und je nach Dringlichkeit/Eskalation nicht aus
der entsprechenden Einrichtung.
Tritt jedoch der begründete Fall ein, dass eine Ethikberatung nicht vertretbar erscheint, so
ist dies zwischen AnmelderIn, Leitung bzw. Koordination des Ethikbeirates und
Geschäftsführung der Hilfe im Alter zu kommunizieren. In diesem seltenen Fall sollte dann
ein alternatives Bearbeitungssetting (Supervision, Coaching etc.) empfohlen werden.
C. Teilnehmende der Ethikberatung
Bei der Beratung sollen alle direkt mit der Situation befassten MitarbeiterInnen und
Professionen beteiligt werden. In jedem Fall ist zu überprüfen, in welcher Weise die
betroffenen BewohnerInnen, deren Angehörige bzw. die Bevollmächtigten sinnvoll beteiligt
werden.
D. Zeitrahmen der ethischen Fallbesprechung/Ethikberatung
Eine Ethikberatung sollte nicht länger als 45 Minuten dauern. Alle Teilnehmenden sollten
während der vollen Beratungszeit präsent sein und ihre Vertretung in anderen Funktionen
vorab geklärt haben. Die Teilnahme an und die Moderation von Ethikberatung ist
Dienstzeit.
E. Mögliche Ergebnisse der konsiliaren ethischen Fallbesprechung/Ethikberatung im
Ethikbeirat
Jede Ethikberatung schließt mit einem Beratungsergebnis in Form einer begründeten Neueinschätzung der Situation oder einer (Team-)Entscheidung für ein weiteres Vorgehen.
Kein Beratungsergebnis kann den Arzt und die Ärztin von ihrer Berufspflicht entbinden –
d. h. diese bleiben frei in ihrer situationsbezogenen, und ihre am Bewohnerwillen auszurichtenden, ärztlichen Entscheidung. Für Pflegende und Mitarbeitende anderer Dienste gilt
das Entsprechende im Rahmen der jeweiligen Berufspflichten.
60
F. Dokumentation der ethischen Fallbesprechung/ Ethikberatung im Ethikbeirat
Das Moderatorenteam protokolliert die Fragestellung und das Beratungsergebnis, gegebenenfalls einige Beobachtungen über den Moderationsverlauf oder offene Fragestellungen.
Diese Protokolle stehen dem Ethikbeirat in den Räumen der Leitung des Ethikbeirates
intern zur Verfügung; für die an der Beratung Beteiligten ist ein Ergebnisprotokoll zu
verfassen. In der Patientendokumentation ist zu vermerken, dass eine konsiliare ethische
Fallbesprechung/Ethikberatung stattgefunden hat und das Ergebnis dort entsprechend zu
sichern.
G. Auswertung der ethischen Fallbesprechung auf Einrichtungsebene/Ethikberatung im
Ethikbeirat
Die Ethikberatungen werden intern im Ethikbeirat ausgewertet. Auf entsprechende
Fortbildung und Qualitätsentwicklung wird geachtet.
Die Geschäftsführung der Hilfe im Alter wird in regelmäßigen Abständen informiert.
7. AuftraggeberInnen und Öffentlichkeitsarbeit
Der Auftrag zur Einrichtung eines Ethikbeirates in der Hilfe im Alter erfolgte durch die
Geschäftsführung der Hilfe im Alter im Frühjahr 2009. Die Geschäftsordnung wurde von
der Leitungskonferenz und der Geschäftsführung in Zusammenarbeit mit der o. g.
Fachstelle erarbeitet bzw. beschlossen.
Die Konstituierung des Ethikbeirates erfolgte am 29. Oktober 2009 in München.
Die Geschäftsordnung wird im QM-Rahmenhandbuch der Hilfe im Alter veröffentlicht.
61
Baustein: Info-Folder Ethikberatung
62
Beispiel: Info-Brief an Heimleitungen der „Hilfe im Alter“
Betr: Brief an die Leitungen unserer Alten- und Pflegeheime zur Implementierung des
Flyers „Ethikberatung und Ethikbeirat“
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Unser Flyer zur Ethikberatung und zum Ethikbeirat ist gedruckt. Er steht Ihnen in ausreichender Anzahl zur Verfügung. Ein Muster liegt diesem Brief bei.
Wir hatten in der Heimleiterklausur und im Ethikbeirat vereinbart, dass die Implementierung des Flyers in den einzelnen Einrichtungen individuell unter Ihrer Leitung
durchgeführt wird. Dafür sollen Zuständigkeiten und Abläufe in Ihrer Einrichtung im
Umgang mit Rückmeldungen geklärt werden, die MitarbeiterInnen über den Flyer, die
dahinter stehenden Anliegen und den vereinbarten Umgang informieren. (Ein Briefentwurf
an alle MitarbeiterInnen liegt diesem Schreiben bei).
Wie besprochen, soll dann Ende November der Flyer in den Einrichtungen ausliegen. Wir
empfehlen, zeitgleich alle BewohnerInnen und deren Angehörige mit einem Exemplar des
Flyers zu versorgen. Auch für diese Information haben wir ein Musterschreiben vorbereitet, das Sie gerne noch kommentieren und adaptieren können (Anlage).
Das Schreiben an die MitarbeiterInnen hat einen allgemeinen Teil, der vom Ethikbeirat
konzipiert wurde; in einem zweiten Teil mögen Sie bitte den in der Hausleitung
vereinbarten Ablauf und die Zuständigkeiten als individuellen Text, mit der Handschrift
Ihrer Einrichtung, einfügen. Alle MitarbeiterInnen sollen gut informiert und vorbereitet sein
und die Anliegen und Ziele des Ethikprojektes mittragen können.
Wir bieten Ihnen hier eine kurze Checkliste mit möglichen Schritten und Fragen an, die in
dieser (ja recht kurzen) Implementierungsphase hilfreich sein können:
• Wie und wo informieren Sie die MitarbeiterInnen vom Flyer? (Evtl. kann das
Begleitschreiben mit einem Muster an einem schwarzen Brett zusätzlich veröffentlicht
werden …)
• Wie können die MitarbeiterInnen vorbereitet werden, alle Rückmeldungen, auch
unfreundliche und unangemessene, professionell und engagiert entgegenzunehmen?
• Von der Perspektive des Ethikprojekts aus ist es uns wichtig, dass möglichst alle
Anfragen und Rückmeldungen kurz dokumentiert werden – auch wenn diese auf Station,
im Wohnbereich oder in anderen Routinen bearbeitet und gelöst werden.
• Bedarf es noch einer Information oder Unterstützung von Seiten des Ethikbeirates
und/oder seiner Geschäftsführung?
In der Geschäftsführung des Ethikbeirats beschäftigen wir uns derzeit intensiv mit der
Frage und Standardisierung der Dokumentation und der Anmeldung von ethischen Anfragen beziehungsweise Fallbesprechungen. Hier werden die entsprechenden Formulare
im Qualitätshandbuch und im Qualitätsmanagement zur Verfügung stehen. Geplant ist ein
Formular für die Anmeldung und Durchführung und eines für die Protokollierung und
Dokumentierung einer Fallbesprechung.
Mit Rückfragen wenden Sie sich bitte an uns.
63
Beispiel: Infobrief an die MitarbeiterInnen
Kopf des Hauses
Absender: Hausleitung
Datum: Herbst 2010
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen!
Wir möchten Sie heute an den Fortgang unseres gemeinsamen Ethikprojektes anschließen. Seit nunmehr einem Jahr arbeitet der Ethikbeirat erfolgreich. In fast allen
Einrichtungen haben schon moderierte Fallbesprechungen stattgefunden und einige
MitarbeiterInnen haben an unseren Workshops für Ethikmoderation teilgenommen. Die
Idee einer ethischen Aufmerksamkeit als Baustein unserer gemeinsamen diakonischen
Kultur in den Einrichtungen ist von Ihnen gut angenommen worden.
Ein weiterer Schritt in diesem Projekt ist die Veröffentlichung unseres neuen Flyers zur
Ethikberatung in unseren Einrichtungen: Wir wollen mit diesem Flyer alle, die in unseren
Einrichtungen ein- und ausgehen, in diese ethische Aufmerksamkeit einbinden. Uns ist
dabei wichtig, dass Sie über dieses Vorgehen ausreichend informiert sind.
Wenn der Flyer einmal in ihrer Einrichtung ausliegt, wird es passieren, dass Sie von
BewohnerInnen, Angehörigen oder BesucherInnen angesprochen werden. Dann sollten
Sie wissen, wie Sie reagieren können. Auch Sie selbst sollen nicht in Ihrer ethischen
Aufmerksamkeit nachlassen. Daher ist es wichtig, dass Sie sich im Haus vor der
Veröffentlichung des Flyers Gedanken über angemessene Reaktionen auf Anfragen und
die nötigen Zuständigkeiten machen.
Jede Einrichtung wird ihren eigenen Weg bei der Implementierung des Flyers gehen. Der
Ethikbeirat rechnet damit, dass bis Ende November in allen Einrichtungen der Flyer
bekannt ist und von den Mitarbeitenden erkannt und verstanden wird. Erst dann wird er
ausgelegt. Gleichzeitig werden wir Ende November die BewohnerInnen und Angehörigen
in einen eigenen Schreiben über diesem Flyer informieren. Die bis dahin nötigen Schritte
sind in ihrem Haus wie folgt vereinbart:
Hier bitte Text einfügen, der das Vorgehen und die Zuständigkeiten in der jeweiligen
Einrichtung klärt;
• Vorstellung und Einführung des Flyers
• Veröffentlichungstermin im Haus
• Verhaltensvorschlag beim Entgegennehmen einer Anfrage
• Wissen um die zuständigen Personen (Stationsleitung; PDL, HL, hausinternes Mitglied
des Ethikbeirates, Koordinator/in Ethikberatung der Hilfe im Alter)
• Mögliche Formen der Weiterbearbeitung oder Weiterleitung
Wir laden Sie hiermit ein, Ethikberatung als Dienstleistung an unseren BewohnerInnen
und ihren Angehörigen, aber auch an der Einrichtung selbst und am Träger zu verstehen.
Ihr Beitrag dazu ist zentral. Ethikberatung kann und wird uns in schwierigen Situationen
entlasten und unterstützen. Deswegen wollen wir uns gut und gemeinsam auf diese
Schritte vorbereiten.
64
Beispiel: Beispielbrief an Angehörige
Liebe Bewohnerinnen und Bewohner!
Liebe Angehörige!
Sehr geehrte Damen und Herren in diesem Haus!
Wie Sie sicher wissen, bemühen wir uns als diakonische Einrichtung, die Qualität der
Versorgung zu sichern und zu fördern. Dazu führen wir immer wieder gemeinsam mit
unseren MitarbeiterInnen Projekte durch, z. B. wie wir Ihre Wünsche und Anliegen besser
berücksichtigen und umsetzen können. Zuletzt haben wir ein Projekt zur ethischen
Entscheidungskompetenz durchgeführt und einen zentralen Ethikbeirat für alle Einrichtungen eingerichtet.
Dieses Projekt wurde auch durch eine Erklärung des evangelischen Landesbischofs Dr.
Johannes Friedrich und des bayrischen Diakoniepräsidenten Dr. Ludwig Markert inspiriert:
“Eine … ethische Kompetenz in Alten- und Pflegeeinrichtungen, sowie der Aufbau von
ausreichend Fortbildungsmöglichkeiten haben aus unserer Sicht hohe Priorität. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass eine erhöhte ethische Kompetenz in stationären Pflegeeinrichtungen nicht unabhängig von den gesamten Pflegeprozessen gesehen werden darf,
sondern integraler Bestandteil des Pflege- und Einrichtungskonzepts sein muss. Bewohnerinnen und Bewohner brauchen die Gewissheit, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen
werden und ihre Würde bis zum Lebensende geachtet wird. Die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter gewinnen Handlungssicherheit und erfahren Entlastung. Vor Ort können
Einrichtungen der Altenpflege mit Kirchengemeinden, diakonische Einrichtungen, mit der
Altenheimseelsorge, ambulanten Pflegediensten und Kliniken zusammenarbeiten und
gegenseitig beratend tätig werden.“
Weitere Informationen über die Umsetzung von Ethikberatung auch in dieser Einrichtung
können Sie dem beigefügten Flyer entnehmen. Wir werden diesen Flyer auch für Alle in
dieser Einrichtung veröffentlichen und auslegen. Natürlich stehen wir Ihnen für alle Fragen
und Anliegen zur Verfügung.
Bitte sprechen Sie uns an, wenn Sie das Gefühl haben, dass im Umgang mit Ihnen, mit
Ihren Angehörigen oder sonst jemandem in diesem Haus nicht richtig verfahren wird. Wir
sind auf Sie angewiesen, damit wir uns verbessern können.
Jetzt schon herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Ihre Rückmeldung und Ihre
Unterstützung!
Unterschrift Heimleitung
65
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Frank Kittelberger
Evangelischer Pfarrer und Pastoralpsychologe
Lehrsupervisor (DGfP; DGSv)
Gruppenanalytiker (GAG; DAGG)
Berufliche Position:
Pastoralpsychologische Pfarrstelle
SPES
Spiritualität•PalliativeCare•Ethik•Seelsorge
Konsulent der IFF
Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung
Abteilung Palliative Care und OrganisationsEthik
der Universität Klagenfurt (Wien)
Beirat im Gyökössy Institut
Institut für Seelsorge und Pastoralpsychologie der
Karoly Universität in Kesckemet, Ungarn
Stellvertretender Vorsitzender des BHPV (Bayerischer Hospiz- und Palliativverband)
Mitglied des DHPV (Deutscher Hospiz- und Palliativverband)
Mitglied der DGP (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin)
Mitglied der Steuerungsgruppe einer Taskforce „Palliative Care in long term facilities“
der EAPC (European Association for Palliative Care).
Langjährige Praxis in:
Seelsorge, Supervision und Beratung;
Fortbildung, Training, Vernetzung;
Hospiz- und Palliativarbeit; Implementierung;
Projektmanagement, Organisationsentwicklung.
Schwerpunkt dabei:
Implementierung von Hospizkultur, Palliativversorgung, Ethikberatung in Einrichtungen der
stationären Altenhilfe auf bayerischer, deutscher und europäischer Ebene.
Zahlreiche Veröffentlichungen
Dr. Stefan Dinges
Dr. Stefan Dinges ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter
und Universitätslektor am Institut für Ethik und Recht in
der Medizin tätig, einer Forschungsplattform der Universität
Wien und der Medizinuniversität Wien. Er arbeitet als selbstständiger
Trainer, Berater und Organisationsentwickler (organisation&ethik) sowie
als Mediator i. A. Er ist Vorstandsmitglied und Mitinitiator der österreichischen Plattform für Patientensicherheit.
Dr. Stefan Dinges hat langjährige Berufserfahrung in der Leitung und
Begleitung verschiedener Ausbildungsprogramme wie z. B. des Masterstudienganges Palliative Care und aktuell dem Universitätslehrgang für
Patientensicherheit und Qualität im Gesundheitswesen. Zahlreiche
Zusatzqualifikationen im Bereich Erwachsenenbildung, Sterbe- und
Trauerbegleitung, Gemeindeberatung und Organisationsentwicklung
sowie (klinischer) Ethikberatung in Einrichtungen des Gesundheitswesens.
[email protected]
68
Herausgeber:
Diakonisches Werk Bayern e. V.
Landesverband der Inneren Mission
Fachgruppe Kommunikation
Pirckheimerstraße 6
90408 Nürnberg
Telefon 0911 / 9354-204
Telefax 0911 / 9354-215
[email protected]
www.diakonie-bayern.de
ISBN 978-3-00-033725-3
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