PDF - Kindernetzwerk

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Kindernetzwerk e.V.
Für kranke und behinderte Kinder
und Jugendliche in der Gesellschaft
Krankheitsübersicht
Depressionen im
Kindes- und
Jugendalter
KINDERNETZWERK
AN ALLE BEZIEHER UND NUTZER DIESER KRANKHEITSÜBERSICHT
Mit den in dieser Krankheitsübersicht enthaltenen Informationen bietet das
Kindernetzwerk e.V. lediglich einen ersten Überblick über die Erkrankung, die
Behinderung oder das entsprechende Schlagwort.
Alle Informationen werden nach bestem Wissen – mit tatkräftiger Unterstützung
unseres pädiatrischen Beraterkreises und wissenschaftlichen Fachbeirats – aus
diversen Quellen ( Fachbücher, Fachartikel, Kindernetzwerk-Archiv sowie aus dem
Internet ) zusammengestellt.
Bei der Krankheitsübersicht wird darauf geachtet, dass die Informationen verständlich
und gut leserlich geschrieben sind. Wir möchten Eltern, Betroffenen und
Nichtmedizinern dadurch ermöglichen, insbesondere auch seltene Erkrankungen
besser zu verstehen.
Wir streben einen möglichst hohen Grad an Aktualität an, können aber wegen des
rapiden medizinischen Fortschrittes nicht in jedem Fall garantieren, stets den
allerneusten Stand des Wissens komplett abzubilden. Gerade deshalb empfehlen wir,
sich immer an einer der zuständigen Selbsthilfegruppen zu wenden (siehe beiligende
Adressen) um dort weiteres aktuelles Material anzufordern und individuelle Beratung
einzuholen!
Die Krankheitsübersicht ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch bestimmt. Eine
Weitergabe an Dritte ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. Die
Unterlagen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Inhalte der beigefügten
Materialien stellen keine Bewertung von Seiten des Kindernetzwerks dar, sondern
dienen der übersichtlichen Zusammenfassung vorhandener Informationsmaterialien
in kompakter Form.
Bei einem Teil der Krankheitsbildern liegen beim Kindernetzwerk noch umfassendere
Informationen (Infopakete) vor. Näheres erfahren sie über die Geschäftsstelle.
Aufgrund der Seltenheit vieler Erkrankungen ist es nicht möglich, bei allen
Krankheitsübersichten ein Fallbeispiel darzustellen. Falls Sie uns dabei unterstützen
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Depressionen
im Kindes- und Jugendalter
Zusammengestellt für das Kindernetzwerk von:
Dr. Hans-Joachim Landzettel, Darmstadt
10/2008
Kurzbeschreibung
Eine vorübergehende traurige Grundstimmung, Selbstzweifel und
Schlafstörungen können zeitweise bei allen Menschen, so auch bei Kindern
beobachtet werden. Eine schwere Depression ist dagegen eine seelische
Erkrankung und gehört zur Gruppe der affektiven Störungen. Sie zeichnet sich
aus durch:
– eine
Kombination von emotionalen, kognitiven und körperlichen
Beschwerden
– eine deutliche Beeinträchtigung des Patienten
– und einer Dauer von mindestens zwei Wochen sowie Rezidivneigung.
Früher glaubte man, bei Kindern und Jugendlichen komme Depression als
seelische Krankheit noch nicht vor, weil ihnen noch die kognitive Reife fehle
und außerdem traurige Stimmungen zur normalen Entwicklung gehörten. Dann
erkannte man aber zunehmend, dass bei bestimmten somatischen Beschwerden
(z.B. Kopf- und Bauchschmerzen, Enuresis, Enkopresis) durchaus eine
depressive Grundstimmung vorherrschen kann. Man sprach dann von „lavierter
Depression“. Erst seit einem Jahrzehnt werden vermehrt auch bei Kindern und
Jugendlichen depressive Störungen als seelische Krankheit anerkannt. Es ist
ungewiss, ob die Zunahme zeitbedingt ist, oder ob sie sich durch eine
zunehmende Sensibilisierung der Erwachsenen erklären lässt.
Da die offiziellen Klassifikationen sich nach den diagnostischen Kriterien der
Erwachsenenpsychiatrie richten, können sie den Besonderheiten der Kinder und
Jugendlichen nicht gerecht werden. Kinder- und Jugendärzte fordern deshalb,
dass in Zukunft die Besonderheiten der Symptomatik von depressiven Kindern
und Jugendlichen stärker beachtet werden, um die Frühsymptome besser
erkennen und präventiv behandeln zu können. Dies ist nach neueren
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Erkenntnissen sehr wichtig, da bei einem frühen Krankheitsbeginn Depressionen
in bis zu 80 % in das Erwachsenenalter rezidivieren können.
(In der folgenden Klassifikation nach ICD-10 und DSM-IV-Tr sind die
typischen depressiven Störungen durch Schwärzung hervorgehoben.)
ICD-10
DSM-IV-TR
Depressive Episoden (F32)
– leicht (F32,0)
– mittelgradig (F32,1)
– schwer(ohne psychot.Sympt.) (F32,2)
– schwer( mit psychot. Sympt.) (F32,3)
Rezidiv. depressive Störungen (F33)
Manische Episoden (F30)
Bipolare affektive Störungen (F31)
Anhaltende affektive Störungen (F34)
– Zyklothymia (F34,0)
– Dysthymia (F 34,1)
Depressive Störungen
- Major Depression
- Dysthymia
Bipolare Störungen
- Bipolar I
- Bipolar II
- Zyklothyme Störungen
Substanzinduzierte affekt. Störungen
- depressiv
- prämenstruell dysphorisch
- Minor Depression
- rezid. kurze depress. Störungen
- postpsychotisch
- Depression überlagert durch
Schizophrenie/wahnhafte Störung
.
Symptome
Symptome einer ausgeprägten Depression (nach Remschmid: Kinder- und
Jugendpsychiatrie, 5. Auflage 2008, Gg Thieme Verlag)
Emotionale Symptome
traurige Grundstimmung
Antriebshemmung
Schuldgefühle
Interessenverlust
Angst/Irritierbarkeit
Gefühl der Erschöpfung
Gefühl der Gefühllosigkeit
Stimmungsschwankungen
Tagesschwankungen
Suizidalität
Neigung zu Aggressivität
Kognitive Symptome
Denkhemmung/Grübeln
Konzentrationsstörungen
Selbstherabsetzung, -kritik
Hilflosigkeit/Machtlosigkeit
Insuffiziensgefühle
düstere Zukunfterwartungen
Todesgedanken
neg. Einstellung zu sich selbst
Katastrophenerwartung
Versündigungsideen
Verarmungsideen
Misserfolgsorientierung
Körperliche Symptome
Schlafstörungen
Appetitverlust
Müdigkeit
Psychomot. Retardierung
Agitation
Libidoverlust
Hypochondrie
vegetative Beschwerden
(Kopf- u. Bauchschmerzen
Verdauungsstörungen)
Die Unterscheidung in primäre und sekundäre Depression ist problematisch.
Eine Depression kann sicher als primäres und eigenständiges Krankheitsbild
auftreten, kann sich aber auch sekundär nach vielen anderen psychiatrischen
Erkrankungen entwickeln. Zum Beispiel wird eine depressive Verstimmung oft
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als sekundäre Zusatzdiagnose bei Schizophrenie, Anorexia nervosa,
Angststörungen, hirnorganischen oder chronischen körperlichen Erkrankungen
gestellt. Depressive Verstimmung kann dagegen auch von Anfang an ein fester
Bestandteil der Schizophrenie und Anorexia nervosa sein.
Besonderheiten der Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen:
– Auch ernste depressive Verstimmungen bei Kindern werden oft nicht
wahrgenommen, da die Symptomatik meist geringer und kurzfristiger
ausgeprägt ist. Außerdem können Kinder ihre seelische Not meist nicht so
gut verbal äußern.
– Depressive Symptome bei Säuglingen und Kleinkindern können oft durch
eine Bindungsstörung zu ihren Bezugspersonen und durch Deprivation erklärt
werden.
– Depressive Äquivalente können die Ursache von somatischen Beschwerden
(Kopf- und Bauchschmerzen, Bettnässen und Einkoten) sowie aggressivem
Verhalten sein. Früher sprach man von „lavierter Depression“.
– In der Adoleszenz und besonders der Pubertätsphase nehmen depressive
Erkrankungen deutlich zu. Geschlechtsverhältnis: Vor der Pubertät sind mehr
Jungen, nach der Pubertät mehr Mädchen betroffen.
– Suizidgedanken kommen bei Kindern sicher seltener vor als bei Erwachsenen.
Jüngere Kinder denken dabei eher an ein Weiterleben auf einer höheren Stufe
und nicht an einen Endpunkt ihres Lebens.
– Suizidversuche und „erfolgreiche“ Suizide sind vor der Pubertät äußerst
selten, nehmen jedoch in der Adoleszenz deutlich zu.
Entwicklungsabhängige Symtomatik
Kleinkind- und Vorschulalter
– vermehrtes Weinen
– Irritierbarkeit
– Schlafstörungen
– gestörtes Essverhalten
Schulalter
– verminderte Mimik und Gestik
– Stimmungslabilität
– Introvertiertheit, keine Lust an altersgemäßem Spielen
– Gereiztheit, Aggressivität
– Schlafstörungen
– Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust
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Jugendalter
– Emotional: depressive Verstimmung, Niedergeschlagenheit, Leere, Ängste,
Grübeleien
– Kognitiv: Konzentrationsmangel, Selbstvorwürfe, pessimistische Einstellung,
Schuldgefühle, keine Zukunftsperspektiv, „Röhrenblick“
– Motivational: Interessenverlust, Antriebslosigkeit, Suizidalität
– Somatisch: Schlafstörungen, Appetitverlust, psychosomatische Beschwerden
– Motorisch: Agitation,
Verlangsamung, schauspielerisches Verhalten,
zwanghafte Verhaltensrituale
– Interaktiv: Verminderung der Kommunikation und der sozialen Fähigkeiten.
– Exzessiver Drogen- und Alkoholabusus, zeitweise Aggressivität
Formen der Erkrankung:
Bei Kindern und Jugendlichen treten in der Regel nur folgende depressive
Erkrankungen auf:
a Depressive Episode
b Rezidivierende depressive Störung
c Dysthyme Störung
a Depressive Episode
Um diese Diagnose zu stellen, müssen eine Mehrzahl von Symptomen bestehen
und die Erkrankung muss mindestens zwei Wochen andauern.
Kernsymptome:
– traurige, depressive Stimmung
– Verlust von Interesse und Freude
– erhöhte Ermüdbarkeit und Antriebsminderung
Zusatzsymptome
– verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
– vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
– Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit
– negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
– Schlafstörungen
– verminderter Appetit und Gewichtsverlust
– diffuse Ängste
– Suizidgedanken, -pläne und/oder -handlungen
– bei Kindern stehen oft somatische Beschwerden, motorische Unruhe und
Aggressivität im Vordergrund
b Rezidivierende depressive Störung
Die Symtomatik entspricht der depressiven Episode. Die Krankheit tritt jedoch
rezidivierend auf und kann unterschiedlich Wochen oder Monate andauern. In
schweren Fällen werden auch manische Symptome gesehen, die an eine bipolare
manisch-depressive Erkrankung erinnern
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c Dysthyme Störung
Hier besteht eine chronische depressive, oft auch reizbare Verstimmung, die bei
Kindern und Jugendlichen mindestens ein Jahr bestehten muss. (Bei
Erwachsenen dagegen zwei Jahre.)
Sympotome:
– Appetitverlust oder gesteigertes Essbedürfnis
– Schlaflosigkeit oder gesteigertes Schlafbedürfnis
– Energielosigkeit, Erschöpfung
– Störung des Selbstwertgefühls
– Konzentrationsschwäche, Entscheidungsschwäche
– Hoffnungslosigkeit
Diagnostik
Anhaltspunkte für die Diagnose ergeben sich oft schon aus der Vorgeschichte
und Familienanamnese. Um die Diagnose zu sichern, müssen die Patienten über
einen längeren Zeitraum beobachtet und untersucht werden.
Für die klinische Untersuchung stehen spezifische und standartisierte
Fragebogen- und Interviewverfahren zur Verfügung. Eine Beurteilung durch den
Patienten selbst, aber auch durch Eltern, Lehrer und Arbeitskollegen kann
hilfreich sein. Für die Annahme einer krankhaften Depression müssen zu
erkennen sein:
– eine Kombination von Symptomen aus dem emotionalen, kognitiven und
körperlichen Bereich,
– eine deutliche Beeinträchtigung der alters- und entwicklungstypischen
Lebensvollzüge im Sinne einer kognitiven Triade: Der Patient hat ein
negatives Bild von sich selbst, von der Welt und von der Zukunft,
– Persistenz von mindestens 2 Wochen und häufig auch eine Rezidivneigung.
Bei Kindern und Jugendlichen ist die Diagnosenstellung dadurch erschwert, da
sich die offiziellen Kriterien nach der Erwachsenenpsychiatrie richten. Es ist zu
erwarten, dass in Zukunft die Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen
stärker berücksichtigt werden.
Als Hilfen für die Diagnosenstellung bei Kindern und Jugendlichen haben sich
bewährt:
– DIKJ (Depressionsinventar für Ki. u.Jgl., Stiensmeiser-Pelster 2000) für
8-16 Jahre
– DTK (Depressionstest für Kinder, Rossmann 1993) für 9-14 J.
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–
–
BB/SBB-DES (Fremd- u.Selbstbeurteilungsbogen-depressive Symptomatk,
Döpfner u. Lehmkuhl) 4-18 und 11-18 J.
CDRS (Skala zur Beurteilung der Depression bei Kindern,
Poznanski/Steinhausen, 2000) 6-12 J.
Ursachen/Ätiologie
Ursächliche und/oder auslösende Faktoren:
•
•
•
•
Genetische Faktoren
Genetische Ursachen spielen sicher eine große Rolle, der Erbgang konnte jedoch
noch nicht identifiziert werden.
Wenn ein Elternteil depressiv erkrankt ist, so liegt für das Kind die
Wahrscheinlichkeit, auch depressiv zu erkranken, bei 24 %.
Wenn beide Eltern krank sind, beträgt das Risiko ca. 50%.
Wenn ein Geschwister depressiv krank ist, liegt das Risiko bei 12 %, ebenfalls
zu erkranken.
Auch bei eineiigen Zwilligen besteht das Risiko bei 50% ebenfalls zu erkranken.
Konstitutionell
Es ist schwer zu entscheiden, ob die genetische Ursache allein für die
Depression verantwortlich ist. Die pränatale und perinatale Psychologie und die
Bindungsforschung zeigen, wie früheste emotionale Erfahrungen ein Kind in
positivem und negativen Sinne prägen, ja als zusätzliche Faktoren im Sinne
einer Epigenetik das belastete Gen moderieren können. Wenn ein Kind durch
Deprivation oder eine schwere Bindungsstörung in seiner emotionalen
Entwicklung gehemmt wird, kann es vermutlich in seinem späteren Leben eine
konstitutionelle Neigung zu depressiven Störungen entwickeln.
Psychische Faktoren
Bestimmte Persönlichkeitsfaktoren (z.B. Introversion, Ängstlichkeit,
Neurozitismus) können die Entwicklung einer depressiven Erkrankung
anbahnen. Vermutlich sind diese Eigenschaften nur zum Teil genetisch bedingt.
Sie können auch Ergebnis einer schweren Bindungsstörung in früher
Säuglingszeit sein.
Traumatisierende frühkindliche Erfahrungen
z.B. Deprivation, Misshandlung und sexualisierter Missbrauch, erlernte
Hilflosigkeit
Aktuelle psychosoziale Belastung
Tod oder Trennung von einer geliebten Bezugsperson (Scheidungskinder)
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Physikalische Einwirkungen
z.B. Lichtentzug, dunkle Wintermonate
Auslenkung der Neurotransmittersysteme/ Neuroendokrinologische Hypothesen
Katecholaminhypothese → Mangel an Norepinephrin
Serotoninhypothese → Mangel an Serotonin
Störung der Emotions-Motivationsachse: Mangel an Dopamin, Opioide,
Oxytozin
Störung der Hypothalamus- Hypophysen- Nebennierenrinden-Achse
Störung der Hypophysen- Schilddrüsenachse -> Hypothyreose
Häufigkeiten
Depressive Verstimmungen sind im Kindesalter entweder selten oder werden zu
wenig erkannt und erstgenommen. In der Adoleszenz und besonders in der
Pubertät treten die Störungen stärker in Erscheinung. Depressive Erkrankungen
sind vor der Pubertät bei Jungen häufiger, nach der Pubertät dominieren dagegen
die Mädchen. Die Zahlenangaben sind sehr unterschiedlich und deshalb
unzuverlässig, was sich schon daraus erklärt, dass die Diagnosen nach sehr
unterschiedlichen Kriterien gestellt wurden.
Prävalenzzahlen (Häufigkeiten aller Fälle einer bestimmten Krankheit in einer
Population zum Zeitpunkt der Untersuchung):
•
Vorschulalter 0,7 – 1,8 %
•
Schulalter 1,3 – 4,4 %
•
Jugendalter 2,6 – 10,9 %
Bei klinischen Stichproben wurden wesentlich höhere Zahlen gefunden:
•
Praepubertät 8 – 10 %.
•
Adoleszenz ca. 25 %.
Es besteht eine hohe Tendenz zur Chronifizierung:
•
Nach einem Jahr haben 25% der Patienten eine neue depressive Episode,
•
nach zwei Jahren sind es 40 %,
•
nach fünf Jahren sogar 72 %!
Wahrscheinlich ist die Prävalenz im Kindesalter wesenlich höher als bisher
angenommen. Als Kinderärzte sind wir gefordert, auch beim Säugling auf
diskrete Zeichen einer depressiven Verstimmung zu achten, weil dadurch die
primären Bezugspersonen zu einer angemessenen Feinfühligkeit im Umgang mit
ihren Kindern angeleitet werden können. Möglicherweise kann dadurch eine
spätere depressive Störung des Kindes vermieden werden.
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Differenzial-Diagnose
Um die Diagnose der Depression zu sichern, müssen folgende Gründe für eine
sekundäre depressive Verstimmung ausgeschlossen werden:
•
Drogen- und Medikamentenabusus
•
Schizophrenie
•
körperliche Krankheiten (z.B. Hypothyreose)
•
starke Trauerreaktion bei Verlust einer wichtigen Bezugsperson
(Scheidungskinder)
•
„normale“ Pubertäts- und Adoleszentenkrisen (Pubertätshypochondrie)
•
Frühphase einer heredodegenerativen Erkrankung (z.B. Chorea
Huntington)
Im Rahmen einer depressiven Erkrankung können andere
Erkrankungen gleichzeitig auftreten:
•
Angststörung
•
Störung des Sozialverhaltens, Aggressionen
•
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-hyperkinetisches Syndrom)
•
Essstörungen
•
Zwangsstörungen
seelische
Im Einzelfall ist es sehr schwierig zu entscheiden, ob der depressiven
Erkrankung oder einer anderen Störung die primäre Bedeutung zukommt.
Standard- Therapie
Psychotherapie
Jede Therapieform muss sich individuell nach dem Entwicklungsstand und nach
den aktuellen Stärken und Schwächen eines Kindes und Jugendlichen richten.
Von Anfang an müssen die primären Bezugspersonen in den Behandlungsplan
einbezogen und wenn möglich als Kotherapeuten gewonnen werden. Oft werden
Eltern von lähmenden Schuldgefühlen befreit, wenn sie erfahren, dass die
depressiven Symptome ihres Kindes Teil einer seelischen Erkrankung sind. Sie
sind dann eher in der Lage, zusammen mit dem Therapeuten ihrem Kind eine
positive und hoffnungsvolle Grundhaltung zu vermitteln.
Bei einer leichten bis mittelschweren depressiven Erkrankung reicht meist eine
Behandlung mit kognitiver Verhaltenstherapie zusammen mit einer
interpersonellen Psychotherapie aus.
9
Weniger abgesicherte Erfolgsaussichten bestehen dagegen bei einer
tiefenpsychologisch orientierten Psychotherapie, einer Familientherapie oder
Klientenzentrierten Spieltherapie.
Empirisch nicht abgesichert, in manchen Fällen dennoch erfolgreich, sind eine
psychodynamische und psychoanalytische Therapie, einschließlich der Spielund Familientherapie. (Die systemische Familientherapie soll dagegen durchaus
erfolgreich sein.)
Die kognitive Verhaltenstherapie geht von dem Depressionsmodell nach
Beck aus und zentriert sich auf die „depressiv-kognitive Triade“: das negative
Selbst-, Welt- und Zukunftsbild des Patienten. Da der depressive Kranke infolge
einer röhrenartigen Einengung nur noch die negative Seite wahrnimmt, versucht
die Verhaltenstherapie
•
die positiven Denkinhalte wieder zu entdecken
•
eine tragfähige Beziehung und neue soziale Fähigkeiten aufzubauen
•
eine kurzfristige Entlastung (Moratorium) und längerfristig belastende
Strukturen abzubauen
•
neue
positive
und
angenehme
Aktivitäten
zu
entdecken
(Selbstverstärkung)
•
starre absolutistische Grundüberzeugungen abzubauen
•
neue Konfliktlösungsstrategien einzuüben
•
Aktivitätstraining und Planung eines sinnvollen Tagesablaufes
(z.B.Aufnahme in Sportverein oder Chor, Musikunterricht)
Die interpersonelle Psychotherapie deckt zunächst auf, welche negativen
psychosozialen und interpersonellen Erfahrungen der Erkrankung vorausgingen.
Dann versucht sie, dem Patienten neue Handlungsspielräume und alternative
Verhaltensmöglichkeiten zu eröffnen, die ihn aus seinen depressiven Zwängen
befreien
Oft hat es sich bewährt, wenn KlassenlehrerInnen und Arbeitgeber in die
Beratung einbezogen werden.
Medikamentöse Behandlung
Bei Kindern und Jugendlichen sollte eine medikamentöse Behandlung in der
Regel nur bei schwerer depressiver Symtomatik erfolgen, zumal die Patienten
oft nur dann für eine Psychotherapie zugänglich sind, wenn sie zuvor
medikamentös behandelt wurden.
Die trizyklischen Antidepressiva sind bei Kindern und Jugendlichen meist
unwirksam. Etwas besser, jedoch weniger als bei Erwachsenen, sind wirksam
•
SSRIs = selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
•
SNRIs =selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
•
Johanniskrautextrakte
10
Bei der Behandlung muss bedacht werden, dass der antidepressive Effekt
frühestens nach zwei Wochen zu erwarten ist, während unliebsame
Nebenwirkungen sofort auftreten. So sollen bei einer SSRIs-Behandlung
verstärkt suizidale Ideen, jedoch keine suizidale Handlungen vorkommen. Da
bei Behandlungsbeginn eine an sich erwünschte Antriebssteigerung früher als
der antidepressive Effekt auftritt, kann eine Suizidalität zunächst stärker in
Erscheinung treten.
In Deutschland ist nur Fluoxetin für Kinder ab dem vollendeten 8. Lebensjahr
zugelassen.
Kranke mit leichter oder mittelschwerer depressiver Symtomatik können meist
ambulant behandelt werden. Eine stationäre Behandlung ist bei folgenden
Bedingungen angezeigt:
•
besonders schwere depressive oder psychotische Symptomatik
•
akute Suizidalität
•
akute schulische Krisensituation, die eine Beschulung unmöglich macht
•
Störung des Sozialverhaltens, Angstsymptomatik
•
nach schwerer seelischer oder körperlicher Misshandlung oder sexuellem
Missbrauch
•
psychische Erkrankung der Bezugsperson
•
erfolgloser ambulanter Behandlung
Weitere Therapien, zum Teil noch in der Erforschung
Als Ergänzung der Psychotherapie können Ergotherapie, Physiotherapie,
Mototherapie, Reit- und Musiktherapie sehr erfolgreich sein. Die Anmeldung in
einen Sportverein oder in eine Chorgemeinschaft geben zudem dem
Tagesverlauf eine neue Struktur und fordern die Aktivität zu neuen positiven
und emotionalen Zielen heraus.
Bei allen psychotherapeutischen Behandlungen erfährt der Patient unabhängig
von der Methode ein großes Maß an persönlicher Zuwendung, die er ja dringend
braucht. Dies stimuliert bei jedem Menschen das Motivationszentrum, das mit
seinen Hormonen Dopamin, den Opioiden und Oxytozin die Stimmung aufhellt
und die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit verstärkt. Dies spielt auch
bei einer rein medikamentösen Behandlung eine nicht zu unterschätzende Rolle,
da der Patient während der Behandlung eine besondere fürsorgliche Zuwendung
des Arztes erfährt. Auf der anderen Seite ist es natürlich schwer beim
therapeutischen
Erfolg
zu
entscheiden,
welcher
Anteil
der
Psychotherapiemethode bzw. der pharmakologisch wirksamen Substanz
zukommt oder als Folge der ernstzunehmenden Placebowirkung anzusehen ist.
Auch bei pharmakologisch wirksamen Medikamenten wird meist nur eine
Besserung der Beschwerden um 60 % erreicht, von denen die Hälfte sogar
plazebobedingt sein dürfte.
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Prognose
Um eine depressive Erkrankung festzustellen, sollten die Symptome mindestens
über zwei Wochen bestehen. Schwere depressive Störungen verlaufen bei
Kindern und Jugendlichen in Episoden von ca. 7 bis 9 Monaten Dauer.
Die Rückfallquote von 40 % innerhalb der ersten zwei Jahre nach
Erkrankungsbeginn ist sehr hoch und erreicht innerhalb von fünf Jahren sogar
70 %.
Kinder aus konfliktreichen Familien haben eine höhere Rückfalltendenz. Ca. 20
bis 40 % der Jugendlichen entwickeln innerhalb von fünf Jahren eine bipolare
Affektpsychose. Je früher eine depressive Erkrankung auftrat, desto früher ist
ein Wechsel zu einer bipolaren Erkrankung zu erwarten. Auch Kinder mit einer
dysthymen Störung entwickeln später oft eine depressive Episode oder eine
bipolare Erkrankung.
Somit muss bei einer depressiven Erkrankung eines Kindew und eines
Jugendlichen leider mit einer ernsten Prognose gerechnet werden. Umso
wichtiger ist es, beim Säugling und Kleinkind Frühsymptome zu erkennen, um
sie präventiv behandeln zu können.
Eine Suizidneigung kann auch schon vor dem Ausbruch der depressiven
Erkrankung festgestellt werden am „präsuizidalen Syndrom“:
•
auffälliger Rückzug, Einschließen im Zimmer, Lautstellung der
Musikanlage
•
Nachlassen der Interessen
•
Suizidgedanken, Ankündigung von Suizidhandlungen
Beratung der Familien
Um prädisponierende Faktoren frühzeitig zu erkennen, sollte eine Familie über
depressive Familienangehörige befragt werden. Die Ergebnisse der
Bindungsforschung legen uns nahe, jungen Ehepaaren, die ihr erstes Kind
erwarten, Vorbereitungskurse anzubieten, um ihnen den Zugang zu einer
adäquaten Feinfühligkeit für die Signale ihres neugeborenen Kindes zu
vermitteln. Viele junge Mütter hatten in ihrer Kleinfamilie nicht die Chance, im
Alter von 10 bis 12 Jahren (dem geeigneten Zeitfenster für Erfahrungen im
natürlichen Umgang mit Säuglingen) eigene emotionale Erfahrungen mit einem
Säugling zu sammeln und sind dann sehr unsicher, wenn sie ihr erstes Kind
empfangen. Außerdem sollten Eltern dafür sensibilisiert werden, dass die
emotionale Entwicklung ihres Kindes durch elterliche Paarkonflikte oder
Scheidungsabsichten negativ beeinflusst werden. Sie sollten ein sicheres Gefühl
dafür entwickeln, was ihr Kind zur Entwicklung des Urvertrauens braucht: Das
12
richtige Maß an Liebe und Zuwendung, das heißt, nicht zu wenig, aber auch
nicht zuviel. Nach Winnicot ist dies die „hinreichend gute Mutter“. Dazu gehört
auch die verläßliche väterliche Bezugsperson, die die Dyade Mutter-Kind nach
dem ersten Lebenshalbjahr lockert und das Kind behutsam seine Welt
erforschen lässt.
Wenn ein Kind an einer depressiven Episode erkrankt ist, so müssen die Eltern
vorsichtig mit der Ernsthaftigkeit der Prognose vertraut gemacht werden.
Literatur
Hinweise auf weiterführende Literatur:
H. Remschmidt, Kinder- und Jugendpsychiatrie, 5. Aufl. Thieme 2008
H. Remschmidt, F.Mattejat, A. Warnke, Therapie psychischer Störungen bei
Kindern und Jugendlichen, 1. Aufl. Thieme 2008
Petermann, Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie und -psychotherapie, 5.
Aufl. Hogrefe 2002
J.Bauer, „Warum ich fühle, was du fühlst“ 7. Aufl. Heym 2007
J.Bauer, Prinzip Mensch, Hofmann und Campe 2007
K.H. Brisch, Bindung und Bindungsstörung, 4.Aufl., Klett-Cotta 2001
K.H.Brisch/Th. Hellbrügge, Kinder ohne Bindung, Klett-Cotta 2006
BUNDESVERBÄNDE
Bei folgenden BUNDESWEITEN ANLAUFSTELLEN können Sie
Informationsmaterial anfordern. Fragen Sie dort auch nach Ansprechpartnern des
jeweiligen Verbandes in der Umgebung Ihres Wohnortes! Falls vorhanden, sind
auch Auslandsadressen mit aufgelistet. Bitte haben Sie dafür Verständnis, daß wir
in Bereichen, in denen bereits bundesweite Ansprechpartner existieren, primär
diesen Initiativen den Versand von Informationsmaterial und die Vermittlung
spezieller Hilfen überlassen. Bei zusätzlichen Fragen können Sie sich natürlich
jederzeit wieder an das Kindernetzwerk wenden!
Emotions Anonymous e.V.
Bundesverband der Angehörigen psychisch
Selbsthilfegruppen für emotionale Gesundheit
Kranker e.V. (BApK), Geschäftsstelle
Katzbachstr. 33
Oppelner Str. 130
10965 Berlin
Tel.: 0 30/7 86 79 84
Fax: 0 30/78 89 61 78
53119 Bonn
Tel.: 02 28/63 26 46
Tel.: Beratung: 01 80 5 95 09 51(14 ct/Min)
Fax: 02 28/65 80 63
e-mail: [email protected]
Internet: www.emotionsanonymous.de
Bürozeiten: Do 18-22 Uhr
- Selbsthilfegruppen für Menschen mit seelischen Problemen
e-mail: [email protected];
[email protected]
Internet: www.bapk.de
Ansprechpartner/innen: Geschäftsführerin: Leonore
Julius
Selbsthilfeberatung für psych. Erkrankte und deren
Angehörige:
Angehörige: Mo, Di, Do 15-19 Uhr
Betroffene: Mi, Fr 14-17 Uhr
Selbsthilfeberatung zu psych. Erkankungen im Arbeitleben:
Mo, Di, Do 15-19 Uhr
ANGEBOTE:
Informationsveranstaltungen über:
- Psychische Erkrankungen und Rückfallrisiken
- Sozialpsychiatrische und klinische Angebote
- Psychotherapie und Medikamente
- Sozialrecht
- Möglichkeiten politischer Einflußnahme
- Gründung und Leitung von Angehörigengruppen
- Hilfe für Kinder psychisch Kranker
Psychotherapie
Schatten & Licht -
Informations-Dienst (PID)
Krise nach der Geburt e.V.
Oberer Lindweg 2
Obere Weinbergstr. 3
53129 Bonn
Tel.: 02 28/74 66 99
Fax: 02 28/9 87 31-71
86465 Welden
Tel.: 0 82 93/96 58 64
Fax: 0 82 93/96 58 68
e-mail: [email protected]
Internet: www.psychotherapiesuche.de
Ansprechpartner/innen: Dipl.-Psych. Uschi Grob
Bürozeiten: Mo,Di, Do,Fr 9-12, Mo,Do 13-16 Uhr
e-mail: [email protected]
Internet: www.schatten-und-licht.de
Ansprechpartner/innen: Sabine Surholt
Der Informationsdienst hilft bei der Suche
nach geeigneten Psychotherapeuten.
Selbsthilfegruppe bei
- Depressionen
- Psychosen
nach einer Geburt
Psychotherapie Koordinationsstelle
Postpartum Support
Bezirksstelle Unterfranken
International (PSI)
Hofstr. 5
927 North Kellogg Avenue
97070 Würzburg
Tel.: 0 18 05/80 96 80 (14 ct/min.)
Fax: 0 18 05/99 01 10 (14 ct/min.)
U.S.A.- Santa Barbara, CA 93111
Tel.: 001 8059 6776 36
Fax: 001 8059 6706 08
e-mail: [email protected]
Internet: www.kvb.de
Bürozeiten: Mo-Do 9-17 Uhr, Fr 9-13 Uhr
e-mail: [email protected]
Internet: www.iup.edu/an/postpartum/
Child and Adolescent Bipolar Foundation (CABF)
National Depressive and
Manic-Depressive Association (DMDA)
PMB 331
730 North Franklin Street
U.S.A.- Wilmette IL 60091
Tel.: 001 8472 5685 25
U.S.A.- Chicago IL 60610-3526
Tel.: 001 3126 4200 49
e-mail: [email protected]
Internet: www.bpkids.org
Internet: www.ndmda.org
Anlaufstelle in Amerika für:
- manische Depressionen
Anlaufstelle in Amerika für:
- manische Depressionen
Anxiety Disorders
Der Zugang zur Psychatrie, für Betroffene,
Association of America
Interessierte und Angehörige
11900 Parklawn Drive Ste 100
U.S.A.- Rockville, MD 20852
Tel.: 001 3012 3193 50
e-mail: [email protected]
Internet: www.psychiatrie-aktuell.de
Der von der Firma Janssen-Cilag publizierte InternetAuftritt richtet sich an Patienten und bietet Wissenswertes
rund um des Thema Psychiatrie. Kurze, aber informative
Texte geben einen Einblick in Erkrankungen wie
Depression, Demenz Schizophrenie und andere
psychische Leiden. Ein weiterer Menüpunkt zeigt die
verschiedenen Therapiemöglichkeiten auf.
Internetseite
Internetseite zu
zu Depressionen
Depressionen, Schizophrenie und
Zwangsstörungen
Internet: www.kompetenznetz-depression.de
Internet: www.forumseele.de
Internetauftritt für Arzt
und Patient zu Depression
Internet: www.denkepositiv.com
Diese von der Firma Wyeth ins Leben gerufene Website
hat laut den Betreibern das Ziel, Früherkennung und
Therapie von Depressionen und Angsterkrankungen zu
unterstützen. Patienten stehen laiengerechte Beiträge zum
Thema Depression, deren Behandlung sowie eine
Arztsuche zur Verfügung. Für Ärzte bietet die Seite
ausführliche Fachinformationen.
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