FORSCHUNG UND TECHNIK Neuö Zürcör Zäitung Mittwoch, 6. Februar 2008 Nr. 30 Ärztlicher Gutachter bricht Gebot der Geheimhaltung Ein untergegangener Kontinent vor Antarktika Streit um Rosiglitazon hält in den USA an Entdeckung auf der Suche nach Zusammenhängen zwischen Kontinentaldrift und Klima Ein bekannter amerikanischer Diabetesspezialist hat seine Funktion als Gutachter für die renommierte Fachzeitschrift «New England Journal of Medicine» dazu missbraucht, den vertraulichen Inhalt einer Untersuchung über die Sicherheit des Diabetesmittels Rosiglitazon vor Ablauf der Publikationssperre an das betroffene Pharmaunternehmen weiterzuleiten. Was von manchen als Kavaliersdelikt gesehen wird, enthält bei genauerem Hinsehen erheblichen Zündstoff. Denn dabei geht es nicht nur um das Fehlverhalten einer Einzelperson. Vielmehr stellt sich die Frage, wie vertrauenswürdig das Begutachtungssystem der Medizinjournale sein kann, wenn die Gutachter derart befangen sind wie der jetzt in die Kritik geratene Diabetologe Steven Haffner vom Health Science Center der Universität in St. Antonio, Texas. So unterhält Haffner enge wirtschaftliche Beziehungen zu dem Rosiglitazon-Hersteller GlaxoSmithKline, dem er unter anderem als Berater und Redner auf Werbeveranstaltungen zur Seite steht. Heikle wirtschaftliche Verflechtungen Intensive Kontakte zur Industrie sind in der klinischen Medizin freilich keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Begehrt sind solche Verbindungen nicht zuletzt deshalb, weil sie dem Wissenschaftsbetrieb zugute kommen. Denn ohne finanzielle Unterstützung der Wirtschaft wäre klinische Forschung heute in vielen Fällen nicht mehr möglich. Vor diesem Hintergrund erscheinen die jüngsten Vorfälle wie das Tor zu einem finsteren Abgrund: So hatte Haffner vom «New England Journal of Medicine» den Auftrag erhalten, die Qualität einer Studie zu beurteilen, deren Inhalt die Sicherheit von Rosiglitazon in Zweifel zog und damit eine lukrative Einnahmequelle von GlaxoSmithKline bedrohte. Der Autor der betreffenden Analyse, der Kardiologe Steven Nissen von der Cleveland Clinic in Ohio, war nach Auswertung der verfügbaren Daten zu dem Schluss gekommen, dass der Blutzuckerregulator das Risiko von Herzinfarkten in die Höhe treibt. Von Haffner frühzeitig informiert, bemühte sich GlaxoSmithKline daraufhin um Schadensbegrenzung, konnte das spätere Absacken seines Aktienkurses allerdings nicht verhindern. Andauernde Diskussionen Die von Nissen vorgelegten Indizien – Belege stehen bis jetzt noch aus – haben in Fachkreisen heftige Debatten ausgelöst. Etliche Experten meldeten sich danach mit dem Argument zu Wort, die Analyse weise erhebliche Mängel auf und erlaube daher keine abschliessenden Aussagen. Tatsache ist jedoch, dass die als Grundlage für Nissens Arbeit dienenden Studien in die gleiche Richtung weisen. Zudem geht es bei der Behandlung mit Blutzuckerregulatoren in erster Linie darum – das wird bei solchen Diskussionen oft verdrängt –, die schwerwiegenden Folgen eines Diabetes abzuwenden. Hierzu zählen insbesondere die oft tödlichen Herzanfälle. Ein Anstieg des Infarktrisikos, selbst wenn er nur gering ist, stellt daher den Nutzen einer solchen Therapie grundsätzlich in Frage. Nicola von Lutterotti Nature 451, 509 (2008). INHALT Merkur – einst vulkanisch aktiv? Im Süden des Indischen Ozeans, nahe der Antarktis, haben Wissenschafter Spuren eines untergegangenen Kontinents gefunden. Sie wollen die Entwicklung der Kontinente besser verstehen, um zu sehen, ob und wie diese die Geschichte des Klimas beeinflusste. Weitab von den Zentren der Zivilisation, vor der Küste der Ost-Antarktis, findet sich ein unterseeisches Gebirge, das Kerguelen-Plateau. Die Frage, wie es entstanden ist, hat die Erdwissenschafter immer wieder beschäftigt, ohne dass sie sie aber hätten beantworten können. Das Plateau steigt aus einer Wassertiefe von etwa 4000 Metern um 3000 Meter auf eine durchschnittliche Höhe von 1000 Metern unter dem mittleren Meeresspiegel an und erstreckt sich über eine Fläche, die grösser ist als jene von Deutschland und Frankreich zusammen. An einigen Stellen ragt die Oberfläche auch über den Meeresspiegel, wie zum Beispiel bei den Kerguelen-Inseln. Der Vulkan Mount Ross auf der Insel Courbet erreicht zum Beispiel eine Höhe von 1850 Metern über dem Meeresspiegel. Siliziumreiche Gesteine Jahren, als eine vulkanisch sehr aktive Phase verschiedene Regionen der Erdoberfläche veränderte, verdickte sich dann die kontinentale Kruste des südlichen Plateaus mit basaltischem Gestein aus dem an die Oberfläche drängenden Magma. Die bis heute anhaltenden vulkanischen Aktivitäten haben auch die ozeanische Kruste des nördlichen Kerguelen-Plateaus dicker werden lassen. wie ozeanische Plateaus oder tektonische Bruchzonen von Interesse. Auch heute ist die Region übrigens noch geologisch aktiv; auf der Heard-Insel spuckt einer der wenigen antarktischen Vulkane regelmässig Lava aus. Noch dynamischer ist die Situation zwischen Patagonien und der Antarktischen Halbinsel. Am Grund der Drake-Strasse und der Scotia-See südlich der Falklandinseln befindet sich ein Spreizungsrücken, aus dem Magma strömt – Baustoff für neue ozeanische Kruste. Am östlichen Rand der Scotia-See liegt die Inselkette des SandwichBogens. Sie wirkt wie ein Kamm, durch den der Zirkumpolarstrom hindurch muss. Es handelt sich um eine Subduktionszone, in der sich die ozeanische Kruste des Südatlantiks unter die südamerikanische Platte schiebt, die einzige erdbebenaktive Zone der Antarktis. Die Frage ist nun: Was geschieht, wenn Meeresströmungen durch – manchmal auch nur verhältnismässig kleine – Anpassungen der Gestalt des Meeresbodens umgelenkt werden und sich dadurch die Verteilung von Temperatur und Salzgehalt in verschiedenen Ozeanbecken verändert? Gibt es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den über die Jahrmillionen stattfindenden Prozessen der Plattentektonik und dem Klima, zum Beispiel über den wichtigen Klimafaktor der Meeresströmungen? Was bedeutet es für das Klima, wenn an einem Engpass für Meeresströmungen neue unterseeische Vulkane entstehen oder sich im Laufe der Zeit Sedimente ablagern, die den Strömungsquerschnitt verkleinern? Kann es zum Beispiel zur Behinderung des Austausches von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Wasser kommen mit Auswirkungen auf die Lebenswelt der Ozeane und damit möglicherweise auf die atmosphärischen Treibhausgase? Ein Hindernis für den Zirkumpolarstrom Die Entstehung des Kerguelen-Plateaus interessierte die Expeditionsteilnehmer vor allem, weil es ein Hindernis für den um den antarktischen Kontinent kreisenden Zirkumpolarstrom darstellt, die weltweit grösste Meeresströmung. Dieser entstand erst, als sich Australien und Südamerika vor ungefähr 30 Millionen Jahren von der Antarktis lösten. Seine gewaltigen Wassermassen umfliessen heute das Gebiet des Kerguelen-Plateaus im Norden. Noch ist aber nicht bekannt, ob der Zirkumpolarstrom schon immer diesen nördlichen Umweg nehmen musste oder ob nicht ein wesentlicher Anteil des Wassers durch die schmale Öffnung zwischen dem Plateau und der Antarktis strömte. Sollte dies der Fall gewesen sein, hätte das auch zu einem anderen Wärmehaushalt in der Region geführt. «Plates & Gates» ist ein zentrales Programm des Internationalen Polarjahres. Damit auch die Übergänge zwischen den Jahreszeiten erfasst werden können, erstreckt sich dieses über zwei Jahre und dauert noch bis zum 1. März 2009. Die Programme des IPY sind breit angelegt, um auch Erkenntnisse zu erschliessen, die anderen Disziplinen als Grundlage für weitere Forschungen dienen können. Geografische Entdeckungen sind dabei eher qualitativer Art; es geht mehr darum, grundsätzlich zu verstehen, wie sich unsere Umwelt permanent verändert. Da erscheint die Charakterisierung des südlichen Kerguelen-Plateaus als einstiger Kontinent fast als ein Nebenprodukt. Das Gleiche gilt für den Befund, dass sich der Rand der Antarktis in Teilbereichen des Indischen Ozeans als sehr ausgedünnt erwiesen hat, der Kontinent also nicht, wie bisher angenommen, überall an der Schelfkante endet, sondern sich viel weiter nach Norden erstreckt. Bisher vermuteten die Wissenschafter, dass der grösste Teil dieses gewaltigen Massivs aus frischer ozeanischer Kruste besteht, die nachträglich durch Magma aus vulkanischer Aktivität verdickt wurde. Auf ihrer ersten Expedition im Rahmen des Internationalen Polarjahres (IPY) konnten Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polarund Meeresforschung in Bremerhaven im Rahmen des Projektes «Plates & Gates» nun jedoch nachweisen, dass dem nicht so ist. Vielmehr handelt es sich beim südlichen Teil des KerguelenNoch fehlen die faktischen Befunde Plateaus um ein altes Fragment des indischen Kontinents, das zudem überraschend gross ist. Da Mit «Plates & Gates» will man deshalb herausfinsich die kontinentale Kruste bei der Trennung den, ob etwa die sprunghafte Abkühlung der gloIndiens von der Antarktis extrem ausdehnte, ist balen Temperatur um zirka fünf Grad vor ungees relativ dünn und kam unter den Meeresspiegel fähr 34 Millionen Jahren oder die nicht ganz so zu liegen. Im Norden grenzt übermässig dicke schnelle, aber tendenziell anhaltende Abkühlung ozeanische Kruste an das Fragment. seit etwa 15 Millionen Jahren mit der KontinenUm die Struktur der Erdkruste in der Tiefe taldrift und der Bildung von Tiefwasserrinnen zu Daten für paläoklimatische Modelle des geologisch kaum erkundeten Meeresgebiets begründen ist. Dass die Plattentektonik das Erdkennenzulernen, sandten die Wissenschafter von klima beeinflusst hat (und beeinflussen wird), ist Die Erkenntnisse von «Plates & Gates» sollen ihrem Forschungsschiff, dem Eisbrecher «Polarzwar oft behauptet worden, letztlich aber fehlen letztlich in eine neue Generation hochaufgelöster stern», entlang einer Strecke von 400 Kilometern die Fakten, die diese Hypothese belegen. Das paläoklimatischer Computermodelle einfliessen, Schallwellen zum Meeresboden. Diese wurden an Klima zurück über Zeiträume von Jahrmillionen die die Klimaentwicklung über sehr lange tektoden Grenzen geologischer Schichten reflektiert zu simulieren, hört sich phantastisch an. Doch die nische Zeiträume zu simulieren vermögen. Um und gebrochen und von Seismometern, die in geErforschung der Vergangenheit ist unabdingbar, Klimaprozesse – insbesondere die für den Wärbührender Entfernung auf dem Ozeanboden verdenn die Aussagekraft von Computer-Simulatiometransport entscheidenden Meeresströmungen ankert worden waren, wieder empfangen. Aus der nen kann nur daran gemessen werden, wie gut sie – zu modellieren, bedarf es genauer InformatioLaufzeit des Schalls konnte auf das Material im das bisher Geschehene abbilden. Auch interesnen über die Meeresbodentopografie. Deren GeUntergrund und auf die Dicke der Erdkruste gesiert die Menschheit ja, welches Schicksal sie auf stalt und Dynamik aber ist ein Resultat der Platschlossen werden. tentektonik und anderer tektonischer und vulkader Erde zu erwarten hat. Wenn die KlimaändeZwischen der Prydz Bay, einer meist eisnischer Prozesse. In diesem Rahmen nehmen die rungen und ihre Folgen in der Vergangenheit einibedeckten Bucht im Mündungsbereich des AmeMeeresengen (englisch Gateways) eine Schlüsselgermassen verstanden sind, können wir auch die ry-Schelfeises in der Ostantarktis, und dem südstellung ein. Sie setzen dem globalen WasserkreisFolgen zukünftiger Klimaveränderungen besser lichen Ende des Kerguelen-Plateaus haben die lauf geometrische Grenzen und bestimmen desvoraussagen. So gab es in der Erdgeschichte zahlGeophysiker so eine verhältnismässig dünne sen Wege. Deshalb konzentriert sich die Forreiche Erhöhungen der Atmosphärentemperatur, Kruste vorgefunden. Bei den seismischen Wellen schung im Nordpolargebiet auf die Framstrasse die über das hinausgingen, was uns in den nächsmassen sie hohe Geschwindigkeiten in den Gezwischen Grönland und Spitzbergen, im Süden ten Jahrhunderten erwartet. Es ist daher zum Beisteinen, wie sie für die Basalte charakteristisch auf die Öffnungen zwischen der Antarktis und spiel wichtig zu wissen, inwieweit sich damals sind, die an mittelozeanischen Spreizungsrücken Australien sowie zwischen der Antarktis und auch die Eisschilde aufgelöst hatten, die mitverausgeworfen werden. Auf dem Plateau, etwa ab Südamerika. Ebenso sind andere Regionen, die antwortlich für den Meeresspiegelanstieg sind. dem 64. südlichen Breitengrad nach Norden hin, Hindernisse für Meeresströmungen darstellen, Gert Lange hingegen verdickt sich die Kruste, und die seismischen Wellen 30º 0 Kilometer 2000 breiteten sich hier langsamer Afrika Perth Perth aus. Dieses Muster spricht für Durban Australien Australien siliziumreiche Gesteine; es ist ein Indischer Ozean Indiz für eine geologische Struktur kontinentalen Ursprungs. Karsten Gohl vom Alfred40º Wegener-Institut, der das IPYProjekt «Plates & Gates», in dem Wissenschafter aus 18 LänCrozet-Inseln –1000 m Kerguelen dern den Zusammenhang zwiPrince-Edward-Insel schen Plattentektonik, MeeresHeard-Insel 50º strömungen und KlimaentwickSüdpolarmeer lung erforschen, auch leitet und international koordiniert, stellt –3000 m sich die Vorgeschichte des Kerguelen-Plateaus aufgrund der neuen Erkenntnisse jetzt so vor: 60º Nachdem der indische Subkontinent vor ungefähr 130 Millionen n e k Prydz Bay ec a rb Jahren durch einen mittelozeapol Süd nischen Spreizungsrücken schon es h c vollständig von der Antarktis 70º dis 70º -In abgelöst worden war, versetzte es Magnetischer ch sich dieser nach Norden und Südpol trennte ein Stück Indiens ab – Etwa 180 Millionen Jahre vor heute ähnliche Sprünge kennt man von anderen ozeanischen Rücken 80º 80º Australien her. Wahrscheinlich dehnte und Antarktis Antarktis verdünnte sich die kontinentale Indien Kruste Indiens dabei enorm. Arabien Antarktika Während der Kontinent weiter 90º Sandwich-Inseln nach Norden driftete, blieb der Südpol Südpol Afrika abgetrennte Teil – das heutige südliche Kerguelen-Plateau – auf der antarktischen Seite. Auf seiner Nordseite bildete sich Südamerika über Jahrmillionen ozeanische Kruste, die die Basis des heutigen nördlichen Plateaus darPazifischer Ozean NZZ stellt. Vor etwa 120 Millionen Wie Zugvögel sich orientieren Bei der Orientierung von Zugvögeln spielt das Magnetfeld eine grosse Rolle. Doch auch die B2 innere Uhr könnte dabei wichtig sein. Lösungen der Mathematik-Meisterschaft Die erste Runde der 22. Internationalen Mathematik- und Logik-Meisterschaft ist beendet. Wir B3 publizieren die Lösungen der Aufgaben. Wie der Barcode ein Erfolg wurde Der Weg des Barcodes von der Idee über die Standardisierung bis in den Supermarkt war weit. Daraus lassen sich Lehren ziehen für die Einführung von sogenannten RFID-Funk-Etiketten. B 5 redaktion.wissenschaftnzz.ch Verantwortlich für diese Beilage: Heidi Blattmann (Leitung); Christian Speicher, Alan Niederer, Stephanie Kusma, Vera Bettenworth, Hanna Wick, Stefan Betschon Atl an tis n ke üc -R n ele u rg Ke NASA Vor kurzem hat die Messenger-Sonde erste Daten vom Merkur geliefert. Einige Geländestrukturen deuten auf frühere vulkanische Aktivität hin. B 2 B1