8. Saarbrücker Symposium Interessante Rechtsfragen der Reproduktionsmedizin in D im Jahre 2010 Andreas Giebel IVF-SAAR Saarbrücken/Kaiserslautern ortsübergreifende überregionale GMP Happel/Giebel/Nassar/Otte Tagungsort Luminanz, Quartier Eurobahnhof 5. November 2010 Themen • Embryonenschutzgesetz (ESchG) ( - Gendiagnostikgesetz) • Embryonenschutzgesetz (ESchG) • Fremdsamenspende (AID) • Gesundheitsmodernisierungsgesetz • Richtlinie der ÄK des Saarlandes 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 2 Der Fall I 2005 balancierte Translokation 13/14 beim Mann keine PKD möglich Folge: regelmäßig Abort oder Totgeburt oder Tod kurz nach der Geburt Paar wünscht PID Transfer nur des einzigen gesunden Embryos auf Weisung der Patientin zwei kranke Embryonen starben ab Keine SS 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 3 balancierte Translokation 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 4 PKD Untersuchung der Polkörper Chromatide Chromatide 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 5 PKD Diagnostik meist auf numerische Aberrationen (Aneuploidie) nur der Eizelle nur wenige Chromosomen FISH - Technik z.B. Chrom. 13, 18, 21, X, Y, (16) Fehldiagnose: 10% muss bis zum Vorkernstadium abgeschlossen sein – enges Zeitfenster keine Kollision mit ESchG 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 6 PID Präimplantationsdiagnostik Untersuchung des Embryos Tag 5 nach Follikelpunktion Blastozysten- Trophektodermbiopsie FISH-Technik = Floureszens-In-Situ-Hybridisierung CGH = Comparative Genomische Hybridisierung 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 7 Blastomerenbiopsie 3.Tag Embryonalentwicklung 6-10 Zellstadium Entnahme 2 Zellen totipotent 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 8 Trophektodermbiopsie 5.Tag Embryonalentwicklung keine embryonalen Zellen (spätere Placentaentwicklung) pluripotent 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 9 FISH-Technik 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 10 CGH (Chip-Technik) Detektion von submikroskopisch kleinen Veränderungen, die durch den Verlust oder Zugewinn von Chromosomenmaterial charakterisiert sind gleichzeitige Hybridisierung unterschiedlich fluoreszenzmarkierter DNS von Patienten und gesunden Kontrollen auf ein dichtes Raster gleichmäßig über das Genom verteilter DNS-Sonden mit bekannter chromosomaler Lokalisation 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 11 Der Fall Ia 2005 balancierte Translokation 13/14 beim Mann keine PKD möglich Folge: regelmäßig Abort oder Totgeburt oder Tod kurz nach der Geburt Paar wünscht PID Transfer nur des einzigen gesunden Embryos auf Weisung der Patientin zwei kranke Embryonen starben ab Keine SS 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 12 Der Fall I vor Durchführung Behandlung 2005 Einholung Rechtsgutachten: 1 und 2 ESchG seien nicht verletzt, aber: Strafrechtslage aktuell nicht geklärt Empfehlung: Selbstanzeige zur Rechtssicherheit des angenommenen, nicht bestehenden Strafbarkeitsrisikos 2006 Einstellung des Verfahrens wegen ‚unvermeidbaren Verbotsirrtums‘ aber: keine Entscheidung, da nicht abschließend zu beurteilen, ob ein Bruch des ESchG vorläge 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 13 Der Fall Ib 2006 balancierte Translokation 11/22 bei der Frau Z.b. schwerstbehinderter Tochter wg. Translokation Z.n. SS-Abbruch wg. chromosomaler Aneuploidie des Embryos Transfer nur des einzigen gesunden Embryos auf Weisung der Patientin ein kranker Embryo starb ab Keine SS 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 14 Der Fall Ic 2006 balancierte Translokation 2/22 bei der Frau Z.n. zwei Aborten und Z.n. SS-Abbruch wg. chromosomaler Aneuploidie des Embryos Transfer nur der beiden gesunden Embryonen auf Weisung der Patientin ein kranker Embryo starb ab Eintritt einer SS und Geburt einer gesunden Tochter 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 15 Das Urteil 5 StR 386/09 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 6. Juli 2010 in der Strafsache ESchG §§ 1, 2 Die nach extrakorporaler Befruchtung beabsichtigte Präimplantationsdiagnostik mittels Blastozystenbiopsie und anschließender Untersuchung der entnommenen pluripotenten Trophoblastzellen auf schwere genetische Schäden hin begründet keine Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG. Deren Durchführung ist keine nach § 2 Abs. 1 ESchG strafbare Verwendung menschlicher Embryonen. BGH, Urteil vom 6. Juli 2010 – 5 StR 386/09 LG Berlin – 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 16 ESchG 1 Mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken Abs 1 Nr. 2: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 17 Das Urteil 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG ist nicht verletzt: Intention des Gesetzes in dieser Form, war es, die ‚Produktion‘ von Embryonen für Forschungszwecke und zum ‚Verbrauch‘ zu verhindern Wille war es im vorliegenden Fall aber ganz bewusst eine (gesunde) SS herzustellen das galt primär für jede befruchtete Eizelle bei ‚mehraktigen‘ Behandlungen muss es letztlich der Patient in den Händen halten, die Fortführung auch beenden zu können. zu unterscheiden sind pluri- und totipotente Zellen. Eine PID an totipotenten Zellen ist lt. 6 Abs. 1 ESchG i.V. mit 8 Abs. 1 ESchG eindeutig untersagt und unter Strafe gestellt 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 18 ESchG 6 Klonen Abs 1: Wer künstlich bewirkt, dass ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Foetus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 8 Begriffsbestimmung Abs 1: Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 19 Das Urteil 5 StR 386/09 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 6. Juli 2010 in der Strafsache ESchG §§ 1, 2 Die nach extrakorporaler Befruchtung beabsichtigte Präimplantationsdiagnostik mittels Blastozystenbiopsie und anschließender Untersuchung der entnommenen pluripotenten Trophoblastzellen auf schwere genetische Schäden hin begründet keine Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG. Deren Durchführung ist keine nach § 2 Abs. 1 ESchG strafbare Verwendung menschlicher Embryonen. BGH, Urteil vom 6. Juli 2010 – 5 StR 386/09 LG Berlin – 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 20 ESchG 2 Mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen Abs 1: Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluß seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 21 Das Urteil 2 Abs. 1 ESchG ist nicht verletzt: • wäre ‚verwenden‘ auch ohne Einwirken auf die Substanz des Embryos gegeben, wäre bereits das alleinige Betrachten des Embryos durch ein Lichtmikroskop, oder das Embryoscoring zu Lern- und Lehrzwecken bereits ein strafbehaftetes ‚verwenden‘ • Nichtversorgung der nicht transferierten Embryonen & schließlich das aktive Verwerfen sind kein ‚verwenden‘ i.S. des ESchG • ESchG leitet auch keine Pflicht zur unbegrenzten Kryokonservierung ab 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 22 Das Urteil 2 Abs. 1 ESchG ist nicht verletzt: durch die PID an pluripotenten Zellen wird der Embryo nicht unmittelbar geschädigt und auch mittelbar nicht nachhaltig gefährdet – Embryoblast selbst nicht betroffen Die PID gab es zur Zeit der Entstehung des ESchG noch gar nicht, keine ausdrückliche Ablehnung oder Billigung ESchG gewährleistet namentlich keinen umfassenden Lebensschutz des Embryos lt. 2, Abs. 2 und 6 Abs. 2 und 7 Abs. 2 ‚Spirale‘ und ‚Pille danach‘ dürfen gezielt und vorbehaltlos einen intakten Embryo ‚in vivo‘ töten 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 23 ESchG 2 Mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen Abs. 2 Ebenso wird bestraft, wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, dass sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt. 6 Klonen Abs. 2 Ebenso wird bestraft, wer einen in Absatz 1 bezeichneten Embryo auf eine Frau überträgt. 7 Chimären- und Hybridbildung Abs. 2 Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, 1. einen durch eine Handlung nach Absatz 1 entstandenen Embryo auf a) eine Frau oder b) ein Tier zu übertragen oder 2. einen menschlichen Embryo auf ein Tier zu übertragen. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 24 Das Urteil 2 Abs. 1 ESchG ist nicht verletzt: durch die PID an pluripotenten Zellen wird der Embryo nicht unmittelbar geschädigt und auch mittelbar nicht nachhaltig gefährdet – Embryoblast selbst nicht betroffen Die PID gab es zur Zeit der Entstehung des ESchG noch gar nicht, keine ausdrückliche Ablehnung oder Billigung ESchG gewährleitet namentlich keinen umfassenden Lebensschutz des Embryos lt. 2, Abs. 2 und 6 Abs. 2 und 7 Abs. 2 ‚Spirale‘ und ‚Pille danach‘ dürfen gezielt und vorbehaltlos einen intakten Embryo ‚in vivo‘ töten ausschlaggebend ist die eigene Werteentscheidung des Gesetzgebers lt. 3 ESchG 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 25 ESchG 3 Verbotene Geschlechtswahl Wer es unternimmt, eine menschliche Eizelle mit einer Samenzelle künstlich zu befruchten, die nach dem in ihr enthaltenen Geschlechtschromosom ausgewählt worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Dies gilt nicht, wenn die Auswahl der Samenzelle durch einen Arzt dazu dient, das Kind vor der Erkrankung an einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne oder einer ähnlich schwerwiegenden geschlechtsgebundenen Erbkrankheit zu bewahren, und die dem Kind drohende Erkrankung von der nach Landesrecht zuständigen Stelle als entsprechend schwerwiegend anerkannt worden ist. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 26 Das Urteil 2 Abs. 1 ESchG ist nicht verletzt: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages zum EschG: Es könne „einem Ehepaar nicht zugemutet werden“, „sehenden Auges das Risiko einzugehen“, „ein krankes Kind zu erhalten, wenn künftig die Möglichkeit bestehen sollte, durch Spermienselektion ein gesundes Kind zur Welt zu bringen“; darüber hinaus „bestehe die Gefahr, dass dann, wenn ein zu erzeugendes Kind mit einer zum Tode führenden geschlechtsgebundenen erblichen Krankheit belastet sei, eine Abtreibung vorgenommen werde“ analog 218 und der dort gegebenen Indikation zum SSAbbruch: „schwerwiegende Beeinträchtigung der Schwangeren“ maßgebend 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 27 Folgen "Die unlogische Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik und der Präimplantationsdiagnostik ist durch das Urteil des Bundesgerichtshofs endlich aufgehoben worden", kommentierte Bundesärztekammer-Präsident Professor Jörg-Dietrich Hoppe. 20.10.2010 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 28 Das Urteil • Verbot PID kann auch nicht aus 15 Abs. 1 Satz 1 Gendiagnostikgesetz gefolgert werden: „vorgeburtliche genetische Untersuchungen sind (nur) während der SS ausdrücklich erlaubt“ Gesetzgeber hat die Problematik bewusst herausgenommen, trotz ausreichender Regelungsmöglichkeit • aber: keine unbegrenzte Selektion anhand genetischer Merkmale! • Klärungsbedarf: eindeutige gesetzliche Regelung wünschenswert 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 29 Folgen 24. Oktober 1990 verabschiedet Die Zeit schreibt am 07.07.2010: Das deutsche Embryonenschutzgesetz, eines der strengsten der Welt, stammt von 1990, quasi aus dem Mittelalter der Reproduktionsmedizin. Schon damals blieb aus politischer Uneinigkeit Wichtiges ungeregelt. Seitdem hat sich die Medizin rasch entwickelt. Heute stehen neue Techniken bereit, um unfreiwillig Kinderlosen zu helfen oder um schwerwiegende Erbkrankheiten im Vorfeld festzustellen. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 30 schwerwiegende Erbkrankheiten monogene Erkrankungen Mutation muss in der Familie bekannt sein Mutation muss mit hoher diagnostischer Sicherheit nachweisbar sein Mutation führt zu erhöhtem Wiederholungsrisiko für zukünftige Kinder Späte Manifestation kein Anlass für PID Milde Verlaufsform kein Anlass für PID balancierte Translokationen: Reduktion Aborte von 88% auf 18% 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 31 Erbgänge 50%iges Wiederholungsrisiko Achondroplasie Apert-Syndrom Brachydaktylie Chorea Huntington („Veitstanz“) Ehlers-Danlos-Syndrom (Typen I–IV, VII A/B, VIII) Engelmann-Syndrom Erythropoetische Protoporphyrie Familiäre Hypercholesterinämie HMSN Typ I (Morbus Charcot-Marie-Tooth) Maligne Hyperthermie Marfan-Syndrom Myotone Dystrophie Neurofibromatose (Morbus Recklinghausen) Osteogenesis imperfecta (Typ I) Ruvalcaba-Myhre-Smith-Syndrom 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 32 Erbgänge 25%iges Wiederholungsrisiko Adrenogenitales Syndrom (AGS) Ahornsirupkrankheit Alkaptonurie Alpha1-Antitrypsinmangel Beta-Thalassämie Galaktosämie Hutchinson-Gilford-Syndrom Joubert-Syndrom Kretinismus Kurzripp-Polydaktylie-Syndrom (Typ I, II, III, IV) Laurence-Moon-Biedl-Bardet-Syndrom Lippen-Kiefer-Gaumenspalte Mukopolysaccharidosen (MPS) Mukoviszidose bzw. Zystische Fibrose Nephrotisches Syndrom vom finnischen Typ Peters-Plus-Syndrom Phenylketonurie (PKU) Ribbing-Syndrom Spinale Muskelatrophie Sichelzellenanämie 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 33 Erbgänge 50%iges Wiederholungsrisiko nur für Söhne 50%iges Überträgerrisiko für Töchter Fragiles X-Syndrom Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel Hämophilie A und B (Bluterkrankheit) Lesch-Nyhan-Syndrom Morbus Fabry Mukopolysaccharidose Typ II Muskeldystrophie Duchenne etc. Norrie-Syndrom Retinitis pigmentosa Rot-Grün-Blindheit Septische Granulomatose Swyer-Syndrom X-SCID (severe combined immune deficiency) 100%iges Überträgerrisiko für Töchter 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 34 Erbgänge 100%iges Wiederholungsrisiko für Töchter Familiäre phosphatämische Rachitis = idiopathisches Debré-de-Toni-Fanconi-Syndrom oder Vitamin-D-resistente Rachitis 50%iges Wiederholungsrisiko 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 35 AUSSICHTEN Indikationen für PID an der VUB 1993 - 2001 Paare 16 Reziproke Translokation 10 Robertsonsche Translokation 15 Klinefelter Andere chromosomale Abweichungen 15 44 Geschlechtswahl 141 Monogenetische Erkrankungen 241 Zusammen Risiko Fehldiagnosen Geschlechtsbestimmung Risiko Fehldiagnosen monogene Erkrankungen 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium Zyklen 24 17 27 28 98 300 494 < 1% 7% 36 Folgen Ethikrat nimmt Beratungen zu Fragen der Reproduktionsmedizin auf - FDP wirbt für Freigabe der Abstimmung im Bundestag -- Von Verena Schmitt-Roschmann -- = PRESSEMITTEILUNG 07/2010 Berlin, den 23. Juli 2010 Am gestrigen Donnerstag hat der Deutsche Ethikrat seine Beratungen zu Fragen der Reproduktionsmedizin aufgenommen. Impulsreferate von Jochen Taupitz und Regine Kollek zu rechtlichen und medizinischen Aspekten neuer Entwicklungen im Bereich der Reproduktionsmedizin bildeten den Auftakt der Diskussionen, die in eine Stellungnahme des Rates münden sollen. Ratsmitglied Jochen Taupitz stellte die Frage, inwieweit das Embryonenschutzgesetz noch zeitgemäß ist, in das Zentrum seines Vortrags. Er konstatierte, dass das Embryonenschutzgesetz (ESchG) trotz zahlreicher Neuerungen in Fortpflanzungsmedizin und Entwicklungsbiologie seit mittlerweile zwanzig Jahren unverändert fortbesteht. Dies sei insofern problematisch, als das Gesetz strafrechtliche Verbote enthält, die aus verfassungsrechtlichen Gründen besonders exakt formuliert sein müssen. Katholische Nachrichten Agentur, Mi 06.10.2010, 17:43, kna Bonn Medizin/Gentechnik/KORR/ «Abschied vom Embryonenschutz?» Bioethisches Kolloquium zur Präimplantationsdiagnostik Taupitz gab einen Überblick über die Ziele des Embryonenschutzgesetzes und wies auf Regelungen hin, die entweder durch die jüngste Rechtsprechung – wie die des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, des Oberlandesgerichts Rostock und des Bundesgerichtshofs – eingeschränkt worden sind oder aus seiner Sicht unterschiedlich ausgelegt werden können bzw. rechtspolitisch umstritten sind. Dazu zählten das Verbot der Eizellspende, der künstlichen Befruchtung mit dem Samen eines Verstorbenen, der Erzeugung und Verwendung von Embryonen zu einem nicht ihrer Erhaltung dienenden Zweck, der Leihmutterschaft sowie das Verbot, mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen. Auch müsse gefragt werden, so Taupitz, inwieweit es gerechtfertigt sei, den Embryo in vitro gemäß Embryonenschutzgesetz stärker zu schützen als den heranwachsenden Embryo bzw. Fötus gemäß dem geltenden Abtreibungsrecht. Dass das Embryonenschutzgesetz novelliert werden müsse, sei zwar weitgehend unbestritten; es müsse aber noch diskutiert werden, ob es zu ergänzen bzw. zu präzisieren oder durch ein breiter gespanntes Fortpflanzungsmedizingesetz abzulösen sei. Von Peter de Groot (KNA) Ratsmitglied Regine Kollek zufolge ergibt sich aus den neuen Entwicklungen reproduktionsmedizinischer Techniken, dem in den vergangenen zehn Jahren geführten Ethikdiskurs und der jüngsten Rechtsprechung ein neuerlicher Diskussionsbedarf. Allerdings sei nicht klar, inwiefern die wissenschaftlich-technischen Entwicklungen eine Reform des Embryonenschutzgesetzes zwingend erforderlich machten. In der politischen Debatte, die das Urteil zeitigte, wurde und wird sowohl der Ruf nach einem gesetzlichen Verbot der PID laut wie auch der nach einer generellen oder eventuell eingeschränkten Zulassung. Kritiker der PID befürchten, dass sie zu einer neuen Form der Eugenik und zu einer sinkenden Bereitschaft in der Gesellschaft führen werde, behinderte Kinder zu akzeptieren. Sie plädieren deshalb für ein Verbot der PID. Bei dem Kolloquium in Mainz taten dies unter anderen der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), und die Spitzenkandidatin der rheinland-pfälzischen Christdemokraten für die Landtagswahl im März und Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Julia Klöckner. In ihrem Referat stellte Kollek die technischen Möglichkeiten und Grenzen von In-vitroFertilisation (IVF), Intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI), Polkörperdiagnostik (PKD), Präimplantationsdiagnostik (PID) und anderer reproduktionsmedizinischer Verfahren vor. Angesichts der vergleichsweise geringen Erfolgsquoten und der relativ hohen Mehrlingsrate von IVF und ICSI gewinne nicht nur der Blastozystentransfer an Bedeutung, sondern auch die im Ausland häufig angewandte PID. Im Rahmen der Krankheitsdiagnostik werde sie zunehmend zur Identifizierung von Krankheitsdispositionen, aber auch zur Krankheitsvermeidung und zur Auswahl des Geschlechts oder eines sogenannten Retterbabys herangezogen. Darüber hinaus werde die PID vielfach auch eingesetzt, um die Schwangerschaftsrate nach IVF zu erhöhen, ohne dass dieser Effekt tatsächlich belegt sei. Koalition gespalten beim Schutz von Embryonen Mainz (KNA) Wird die Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland verboten? Oder eben nicht? Letzteres befürchten Kritiker der PID, darunter die katholische Kirche. Mit der Frage «Abschied vom Embryonenschutz?» überschrieb denn auch die Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle (KSZ) ein bioethisches Kolloquium, zu dem sie für Mittwoch nach Mainz eingeladen hatte. Hintergrund: Im Juli hatte der Bundesgerichtshof (BGH) grünes Licht gegeben für die genetische Untersuchung von durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryonen und die Aussonderung geschädigter Embryonen. Nach Wortlaut und Geschichte des 1990 vom Bundestag verabschiedeten Embryonenschutzgesetzes sei die Präimplantationsdiagnostik - die in dem Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt wird - «zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden des extrakorporal erzeugten Embryos» nicht strafbar, so der 5. Senat des BGH. Der Bonner Professor für Öffentliches Recht, Christian Hillgruber, hob bei dem Mainzer Kolloquium hervor, der Embryo sei Mensch. Das gelte auch für den Embryo in vitro. Und er erinnerte an eine Aussage des Bundesverfassungsgerichts, wonach sich der Embryo «als Mensch» entwickele und nicht «zum Menschen». Für Hillgruber steht fest: Der Embryo hat ein Recht auf die vom Grundgesetz garantierte Menschenwürde, hat ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Hillgruber sieht hier eine unbedingte staatliche Schutzpflicht. Er plädierte dafür, die PID, der ein «Selektionsmechanismus» eigen sei, zu verbieten und unter Strafe zu stellen. Berlin (dapd). Die Koalition ist im Streit über Gentests an Embryos bei künstlicher Befruchtung tief gespalten. Die FDP lehnt Forderungen aus der Union nach einem Verbot der sogenannten Präimplantationsdiagnostik (PID) strikt ab. Notfalls solle man die Abstimmung im Bundestag als Gewissensentscheidung freigeben, sagte die FDP-Gesundheitsexpertin Ulrike Flach. Es geht um die Frage, ob Embryonen aus einer künstlichen Befruchtung vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf Erbkrankheiten untersucht werden dürfen. Die Neuregelung der PID ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juli nötig geworden. Flach sagte: "Es geht um die Not von Paaren, die auf natürlichem Wege kein gesundes Kind bekommen können und die wissen, dass es in ihrer Familie eine schwere genetische Krankheit gibt." Diese Paare müssten bisher das Risiko eingehen, dass die Frau bei einer künstlichen Befruchtung einen schwer geschädigten Embryo eingesetzt bekomme. "Dann stellt sich die Frage, ob man eine Abtreibung durchführt oder nicht", erklärte Flach. "Das möchten wir den Familien ersparen." Es gehe "nicht darum, Designerbabys mit blauen Augen auszuwählen, wie es oft befürchtet wird". Der Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder (CDU), beharrt dagegen auf einem Verbot der Präimplantationsdiagnostik und warnte davor, davon abzukehren: "Das PID-Verbot ist maßgeblich für den Schutz des Lebens." Das entspricht dem Grundsatzprogramm der CDU. Zwtl: Lindner spricht von "Frage der Humanität" FDP-Generalsekretär Christian Lindner bezeichnete die Möglichkeit zur PID als eine "Frage der Humanität". Man müsse den "Eltern ihre schwerwiegende Lebensentscheidung zu erleichtern". Seine Partei respektiere es, dass der Union eine Positionierung in dieser Frage noch schwer fällt. Auch er nannte als Ausweg, "diese ethische Grundsatzentscheidung ohne Fraktions- und Koalitionsbindung" im Bundestag freizugeben. Eine solche Gewissensentscheidung sei bei der Frage der Stammzellforschung ebenfalls gegeben. Formal gibt es im Bundestag keinen Fraktionszwang. Die Abgeordneten sind nur ihrem Gewissen verpflichtet. Gleichwohl gibt es im Parlament eine Fraktionsdisziplin, die verhindern soll, dass Koalitionspartner gegeneinander stimmen. Abstimmungen werden nur im Einzelfall freigegeben. (Quelle: Flach und Mißfelder in "Augsburger Allgemeinen"; Lindner in der "Berliner Zeitung"). dapd/tt/bv 121807 okt 10 Ausnahmslos jeder Mensch habe ein Recht auf Würde, dies auch unabhängig von der Beschaffenheit seiner Gene, sagte Hillgruber. Ähnlich der an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt lehrende Philosoph Walter Schweidler. Er nannte in Mainz die Menschenwürde ein «Verbot, Menschenwürde abzusprechen oder abzustufen». Der Heidelberger Medizinethiker und -historiker Axel W. Bauer sprach mit Blick auf das 20 Jahre alte Embryonenschutzgesetz von «Unvollkommenheiten» und «Strafbarkeitslücken». Es seien ethische und rechtliche «Grauzonen» des Embryonenschutzes entstanden. Aus der Perspektive des Lebensschutzes, so das Mitglied des Deutschen Ethikrats, bestehe Handlungsbedarf. pdg/cdt/ 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 37 Themen • Embryonenschutzgesetz (ESchG) ( - Gendiagnostikgesetz) • Embryonenschutzgesetz (ESchG) • Fremdsamenspende (AID) • Gesundheitsmodernisierungsgesetz • Richtlinie der ÄK des Saarlandes 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 38 Der Fall II SZ 02.10.2010 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 39 Der Fall II verheiratetes Paar, seit 2002 in Behandlung, 2008 IVF Kryokonservierung von 9 PN-Eizellen danach verstarb der Ehemann 1. Kryo-Transfer wurde daraufhin verweigert: nur ‚Sachen‘ könnten herausgegeben werden Unterschiedliche Rechtsauffassung: Humane Gameten seien Sachen, solange noch keine Verschmelzung der PN eingetreten ist Gegenmeinung: Gamenten sind keine Sachen, weil sie Potenz zur Generierung von Leben enthalten ‚Sachen‘ können aus sich kein ‚Leben‘ machen (unverbindlicher) Kommentar zur Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion der BÄK verlangt Verwerfung von kryokonservierten EZ, wenn einer der Partner stirbt 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 40 Richtlinie ass. Reproduktion BÄK 5.2. Kryokonservierung Die weitere Kultivierung von Eizellen im Vorkernstadium darf nur zum Zwecke des Transfers und nur mit der Einwilligung beider Partner vorgenommen werden. Das Paar ist darauf hinzuweisen, dass über konservierte Eizellen im Vorkernstadium beide nur gemeinschaftlich verfügen können. Hierüber ist eine schriftliche Vereinbarung zu treffen. Kommentar zu Punkt 5.2. Stirbt einer der Partner oder zieht einer der Partner seine Zustimmung zur Kryokonservierung oder Weiterkultivierung zurück, etwa nach einer Scheidung oder dauerhaften Trennung, endet der Vertrag, und die kryokonservierten Zellen sind zu verwerfen. aber auch: Das Paar ist darauf hinzuweisen, dass die konservierten Eizellen im Vorkernstadium in ihrem Eigentum stehen. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 41 Der Fall II Klinik hat nicht verworfen, aber 2. Herausgabe verweigert, nachdem Patientin in Polen Kryotransfer plante LG Neubrandenburg: Klinik kann Herausgabe PN-Stadien verweigern, wenn dadurch strafrechtliche Verfolgungsgefahr besteht Begründung: Herausgabe ist Beihilfe zu Straftatsbestand nach 4, Abs. 1, Nr. 3 ESchG 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 42 ESchG 4 Eigenmächtige Befruchtung, eigenmächtige Embryoübertragung und künstliche Befruchtung nach dem Tode Abs. 1 Nr. 3 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer wissentlich eine Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tode künstlich befruchtet. Nicht bestraft wird im Fall des Absatzes 1 Nr. 3 die Frau, bei der die künstliche Befruchtung vorgenommen wird. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 43 Der Fall II sind imprägnierte (= mit Sperma besetzte) PN-Eizellen UNBEFRUCHTET? dagegen spricht: • nach Imprägnierung ist die Befruchtung durch ein anderes Spermium ausgeschlossen • 05.11.2010 8, Abs. 1, ESchG 8. Saarbrücker Symposium 44 ESchG 8 Begriffsbestimmung Abs 1: Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 45 Das Urteil 7 U 67/09 2 O 111/09 LG NB Verkündet am: 07.05.2010 URTEIL IM NAMEN DES VOLKES hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2010 für R e c h t erkannt: Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Neubrandenburg vom 12.08.2009 (2 O 111/09) abgeändert und die Beklagte verurteilt, die neun unter dem Namen der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes S. S. eingelagerten befruchteten kryokonservierten Eizellen an die Klägerin herauszugeben. Die Revision wird zugelassen. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 46 Das Urteil • Frau ist Eigentümerin der kryokonservierten PN-EZ, • Klinik ist ‚Besitzerin‘ der EZ ohne Recht auf weiteren Besitz • Keine Beihilfe zum Straftatsbestand: ‚Befruchtung einer EZ mit Sperma eines toten Mannes‘ 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 47 Das Urteil es gibt keine Legaldefinition der („künstlichen“) Befruchtung Vorgang der Befruchtung ein etwa 24h dauernder Prozess: • Beginn: Zusammentreffen Spermien/Eizelle • Ende: Verschmelzung der Chromosomensätze der Vorkerne 8, Abs. 3, EschG massgeblich 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 48 ESchG 8 Begriffsbestimmung Abs 3: Keimbahnzellen im Sinne dieses Gesetzes sind alle Zellen, die in einer Zell-Linie von der befruchteten Eizelle bis zu den Ei- und Samenzellen des aus ihr hervorgegangenen Menschen führen, ferner die Eizelle vom Einbringen oder Eindringen der Samenzelle an bis zu der mit der Kernverschmelzung abgeschlossenen Befruchtung. 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 49 Das Urteil • Frau ist Eigentümerin der kryokonservierten PN-EZ, • Klinik ist ‚Besitzerin‘ der EZ ohne Recht auf weiteren Besitz • Keine Beihilfe zum Straftatsbestand: ‚Befruchtung einer EZ mit Sperma eines toten Mannes‘, da Vollendung der Befruchtung nach Imprägnierung zu Lebzeiten nicht von 4, Abs.1, Nr.3 erfasst Intention: Bericht des Rechtsauschusses des Bundestages (1990) wollte definitiv regeln, dass mit der Massnahme der Befruchtung nicht erst nach dem Tod des Mannes begonnen wird ursprünglich war auch nur eine Ordnungswidrigkeit und keine Strafbarkeit vorgesehen 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 50 Zukunft? • Aufhebung fragmentarischer Charakter ESchG • Gesamtkonzeption zur umfassenden Regelung aller im Zusammenhang mit den heutigen Fortpflanzungstechniken entstehenden Probleme Zeitpunkt Schaffung ESchG (1990) hatte der Bund keine Gesetzgebungskompetenz seit 1994 (durch Änderung GG) gegeben, aber immer noch nicht genutzt zur Schaffung eines FORTPFLANZUNGSMEDIZINGESETZes 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 51 Themen • Embryonenschutzgesetz (ESchG) ( - Gendiagnostikgesetz) • Embryonenschutzgesetz (ESchG) • Fremdsamenspende (AID) • Gesundheitsmodernisierungsgesetz • Richtlinie der ÄK des Saarlandes 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 52 Vielen Dank für Ihre AUFMERKSAMKEIT 05.11.2010 8. Saarbrücker Symposium 53