Meeresumwelt-Symposium 2006

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MeeresumweltSymposium
2006
16. Symposium
13. bis 14. Juni 2006
CCH - Congress Center Hamburg
Am Dammtor
20355 Hamburg
Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie
in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt
und dem Bundesamt für Naturschutz
im Auftrag des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
© Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH)
Hamburg und Rostock 2007
www.bsh.de
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne ausdrückliche schriftliche
Genehmigung des BSH reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Inhalt
Vorwort .............................................................................................................................................................5
Ehlers, Peter
Verbesserung der Kenntnisse als Grundvoraussetzung für maritimes Handeln . ............................................7
Europäische Meeresschutzpolitik
Klug, Astrid
Die Meere im Spannungsfeld von Nutzung und Umweltschutz - ein strategischer Blick in die Zukunft.......... 13
Siemers, Haitze
Die künftige Meerespolitik der EU: eine europäische Vision für Ozean und Meere......................................... 19
Salomon, Markus
Ein kritischer Blick auf die Europäische Meeresschutzstrategie......................................................................23
Heslenfeld, Peter
Ecological Quality Objectives - Health Indicators for the Sea..........................................................................29
Neuhoff, Hans-Georg
Ergebnisse der Nordsee-Ministerkonferenz zu den Umweltauswirkungen von Schifffahrt und Fischerei
Göteborg, 4. und 5. Mai 2006 - Themenbereich Fischerei.............................................................................. 31
Breuch-Moritz, Monika
Ergebnisse der Nordsee-Ministerkonferenz zu den Umweltauswirkungen von Schifffahrt und Fischerei
Göteborg, 4. und 5. Mai 2006 - Themenbereich Schifffahrt............................................................................ 37
Marine Raumplanung und IKZM
Molitor, Ludger
Raumordnungsplan für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ)................................................45
Wilke, Torsten
Naturschutz im Rahmen der Raumordnung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ)........53
Bunge, Thomas
Das Instrument der strategischen Umweltprüfung bei der Raumplanung im Meer.........................................69
Lütkes, Stefan
Integriertes Küstenzonenmanagement (IKZM) in Deutschland: die nationale IKZM-Strategie........................83
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Prahl, Susanne und Ursula Siebert
Histopathologische Aspekte zur akustischen Belastung von Schweinswalen.................................................93
Erdmann, Frithjof
Beifang von See- und Wasservögeln in Stellnetzen der Küstenfischerei der Ostsee.................................... 101
Greve, Wulf
Globale Erwärmung und Zooplankton........................................................................................................... 115
Ballastwassermanagement
Bethge, Petra und Rolf von Ostrowski
Internationales Übereinkommen von 2004 zur Überwachung und Behandlung von Ballastwasser
und Sedimenten von Schiffen........................................................................................................................ 125
Skrede, Anne-Beth
Ballast Water Management - from the Perspective of the Environment.......................................................... 127
Voigt, Matthias
Technische Entwicklungen zur Behandlung von Ballastwasser..................................................................... 129
Offshore-Windparks
Finger, Antje
Ökologische Begleitforschung auf den Forschungsplattformen FINO I - III.................................................. 137
Merck, Thomas
Auswirkungen von Offshore-Windenergieanlagen auf Seevögel - Ergebnisse der skandinavischen
Begleitforschung............................................................................................................................................ 143
Meißner, K arin, Bockhold, Jens und Holmer Sordyl
Problem Kabelwärme? - Vorstellung der Ergebnisse von Feldmessungen der Meeresbodentemperatur
im Bereich der elektrischen Kabel im Offshore-Windpark Nysted Havmøllepark (Dänemark)...................... 153
Burchard, Hans
Mögliche Auswirkungen von Offshore-Windenergieanlagen auf den Wasseraustausch der Ostsee
(„QuantAS-Off“).............................................................................................................................................163
Buck, Bela Hieronymus
Marikultur als Co-Nutzung in Offshore-Windparks: Status Quo, Probleme und Perspektiven....................... 167
Vorwort
Das 16. Symposium „Aktuelle Probleme der Meeresumwelt“ fand vom 13. bis 14. Juni 2006 in Hamburg statt.
Das Symposium wird veranstaltet vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Zusammenarbeit
mit dem Umweltbundesamt, dem Bundesamt für Naturschutz und im Auftrag des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Wie bereits in den vergangenen Jahren kommt das BSH dem Wunsch nach Veröffentlichung der Vorträge mit
diesem speziellen Symposiumsband nach. Damit ist beabsichtigt, die Vielzahl der vorgetragenen Informationen zu dokumentieren, einem größeren Kreis von Interessenten zugänglich zu machen und die Diskussion
um die weiterhin aktuellen Probleme zu beleben.
Die Beiträge wurden ohne Reviewverfahren in unveränderter Form übernommen und abgedruckt.
Verbesserung der Kenntnisse als Grundvoraussetzung
für maritimes Handeln
Begrüßungsansprache zur Eröffnung des 16. Meeresumweltsymposiums
Peter Ehlers
Die Meere finden immer größere Beachtung, selbst
in unserem so kontinental ausgerichteten Land. Die
Nutzung der Meeresressourcen einschließlich der
Energiegewinnung auf dem Meer nimmt weiter zu.
Damit verbunden ist die Notwendigkeit, Meere zu
schützen mit dem übergeordneten Ziel, auch und
gerade im marinen Bereich eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten. Dem dient eine Vielzahl
von aktuellen Initiativen und Aktivitäten, von denen
ich einige herausgreife:
• Seit einigen Monaten liegt der Entwurf einer EG-Richtlinie für eine europäische Meeresschutzstrategie vor,
ein Thema, das uns auf diesen Symposien bereits in
den vergangenen Jahren beschäftigt hat.
• In der vergangenen Woche hat die Europäische
Kommission ihr Grünbuch für eine maritime Politik
herausgegeben, mit der ein ganzheitlicher Politikansatz verfolgt werden soll. Klar ist, dass die Meeresschutzstrategie dabei eine wichtige Säule werden
muss.
• Im vergangenen Monat haben die zuständigen Minister der Nordseeanliegerstaaten auf einer Konferenz
in Göteborg umfangreiche zusätzliche Maßnahmen
beschlossen, um nachteilige Auswirkungen der Fischerei und Schifffahrt auf die Meeresumwelt zu verringern.
• Im letzten Jahr sind erstmals zwei Schutzgebiete in der deutschen AWZ ausgewiesen
und Natura-2000-Meldungen an die EG gegeben
worden.
• Die Helsinki-Kommission entwickelt zur Zeit ein
neues Aktionsprogramm für die Ostsee.
• Die OSPAR-Kommission hat mit den Vorbereitungen für einen Qualitätszustandsbericht 2010
begonnen.
• Weltweite Aktivitäten wie GMES oder GEOSS, die
mit Nachdruck vorangetrieben werden, sollen die
Meeresüberwachung im globalen Maßstab weiter
verbessern.
• Im Dezember diesen Jahres wird hier in Hamburg
die 5. Nationale Maritime Konferenz stattfinden. Bundeskanzlerin Merkel setzt damit fort, was von der Vorgängerregierung begonnen worden ist. Mit diesem
markanten Ereignis kann das maritime Bewusstsein
weiter geschärft werden.
Bei den Aktivitäten zum Schutz der Meere geht es
nicht mehr wie früher nur um die Reduzierung von
Verschmutzungen. Vielmehr setzt sich zunehmend
ein ganzheitlicher ökosystemarer Ansatz durch, bei
dem der marine Naturschutz und die Erhaltung der
Biodiversität eine besondere Rolle spielen. Deutlich
wird aber auch, dass der Meeresumweltschutz eines
von mehreren Elementen einer nachhaltigen Entwicklung ist, dass es also einer Abwägung zwischen den
unterschiedlichen Zielen und Interessen bedarf.
Um zu einer Abwägung zu gelangen, ist es besonders
wichtig, dass Qualitätsziele entwickelt und Indikatoren
als Beurteilungsgrößen festgelegt werden. Das setzt
voraus, dass ausreichende Daten über die Umwelt
vorhanden sind. Das wiederum geht nicht ohne Forschung und vor allem ohne ein langfristig angelegtes
zielorientiertes Monitoring. Umso bedenklicher ist es,
dass gerade diese Aktivitäten aus finanziellen Gründen immer weiter eingeschränkt werden. Das ist ein
immer schwerer wiegender Widerspruch zum Ziel
einer nachhaltigen Entwicklung. Wir klagen darüber
schon seit Jahren. Eine Folge ist z.B., dass das BSH
schweren Herzens entscheiden musste, Ende diesen
Jahres unsere „Gauss“ außer Dienst zu stellen. Das
kann auch Auswirkungen auf das Monitoring haben.
Ein anderes nicht gerade ermutigendes Beispiel ist
die deutsche Beteiligung am weltweiten ARGO-Pro-
gramm. Mit äußersten Anstrengungen haben wir uns
an dem Projekt beteiligen können. Ob wir das noch
fortsetzen können, ist gegenwärtig äußerst zweifelhaft. Dabei ist jedem Experten klar, dass die dadurch gewonnenen Daten dringend benötigt werden.
Gerade die bei GEOSS und GMES zu beobachtende
Konzentration auf Satellitensysteme macht für sich
allein wenig Sinn, sondern bedarf unbedingt der Ergänzung durch verifizierende in-situ-Messungen.
Wie, so fragt man sich, passt die fortschreitende Reduzierung der meereskundlichen Untersuchungsund Entwicklungskapazitäten eigentlich zusammen
mit dem neuesten Gutachten des Wissenschaftlichen
Beirats „Globale Umweltveränderungen“, der schwerwiegende Folgen für die Meere durch die Kohlendioxid-Emissionen prognostiziert. Wenn die Politik dies
als Besorgnis erregend empfindet, muss dann nicht
auch gehandelt werden? Muss dann nicht zumindest
alles versucht werden, damit wir die Kenntnisse über
das, was im Meer geschieht, verbessern?
Noch haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben,
dass im Rahmen einer ganzheitlichen Meerespolitik
die Verbesserung der Kenntnisse über die Meere als
Grundvoraussetzung für zielorientiertes Handeln einen höheren Stellenwert erhält. Dabei ist es sicherlich unsere Aufgabe, insbesondere die Politik davon
zu überzeugen, wie wichtig es ist, ausreichende Ressourcen für den Meeresumweltschutz und die Meeresüberwachung bereit zu stellen trotz aller – unbestritten - notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen.
Gerade diesem Ziel dient das jährliche Meeresumweltsymposium, in dem neueste Informationen und
Erkenntnisse vorgestellt und ausgetauscht werden.
Zu dem diesjährigen Symposium, das wir nun schon
zum 16. Mal veranstalten – in Zusammenarbeit mit
dem Umweltbundesamt und dem Bundesamt für Naturschutz – heiße ich Sie alle herzlich willkommen. Die
erneut große Teilnehmerzahl unterstreicht, welches
Gewicht die Veranstaltung hat. Wenn sie gelegentlich
durch ähnliche Veranstaltungen ergänzt wird, dann
sehe ich auch darin eine Bestätigung der Qualität
des Meeresumweltsymposiums.
Ein ganz besonders herzlicher Gruß gilt den Teilnehmern aus dem Ausland, die uns wieder davor bewahren werden, den Blick nur nach innen zu richten.
Ich begrüße die Referentinnen und Referenten, die
erneut die Hauptlast tragen. Ihnen sei schon an dieser Stelle sehr herzlich für die Bereitschaft gedankt,
uns an ihren Erkenntnissen und Ansichten teilhaben
zu lassen. Und lassen Sie mich in diesen Dank meine
eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließen, die in bewährter Weise besonders engagiert
und professionell das Symposium vorbereitet haben
und betreuen. Ihnen ist, wie ich meine, wieder ein
sehr attraktives Programm gelungen.
Den Auftakt des Symposiums bildet die europäische
Meeresschutzpolitik und ihre künftige Integration in
eine umfassende Meerespolitik. Thematisch gehören dazu die aktuellen Entwicklungen in der Europäischen Gemeinschaft in gleicher Weise wie die
Ergebnisse der Nordseekonferenz von Göteborg.
Sprechen wollen wir auch über Umweltqualitätsziele,
sind sie doch ein entscheidendes Element für eine
künftige Meeresschutzstrategie.
Gerade wegen der immer notwendiger werdenden
Interessenabwägung wollen wir ein besonderes Augenmerk auf die marine Raumplanung und das integrierte Küstenzonenmanagement richten. Dieser Problematik ist im Wesentlichen der heutige Nachmittag
gewidmet. Neben Informationen über den aktuellen
Stand der Raumplanung in der ausschließlichen
Wirtschaftszone und die nationale IKZM-Strategie
soll besonders auch auf Naturschutzbelange und
die Notwendigkeit einer strategischen Umweltprüfung eingegangen werden. Wer dann nach all diesen
Themen eine Stärkung braucht, sei herzlich zu dem
Empfang heute Abend im BSH eingeladen.
Am morgigen Vormittag sollen einige spezielle Umweltthemen angesprochen werden: die akustische
Belastung von Schweinswalen, Seevögel als Beifang
und die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf
das Zooplankton. So unterschiedlich diese Probleme
sind, gemeinsam ist ihnen, dass sie auf menschliche
Aktivitäten zurückzuführen oder von ihnen beeinflusst
sind. Zu diesem Themenbereich gehört auch die
Ballastwasserproblematik, der wir einen eigenen Tagungsabschnitt zubilligen, haben doch fachliche Fragen zur Umsetzung des Ballastwasserübereinkommens große aktuelle Bedeutung, nicht zuletzt um das
internationale Inkrafttreten voranzutreiben. Den Abschluss bilden die „Offshore-Windparks“, ein Thema,
das uns schon seit mehreren Jahren in den Symposien begleitet. Das völlig zu Recht, weil die Vorhaben
zur Errichtung von Offshore-Windparks nicht nur zahlreiche Fragen aufgeworfen, sondern auch umfangreiche Untersuchungen in Gang gebracht haben, die
insgesamt zur Verbesserung unserer Kenntnisse über
das, was vor unseren Küsten geschieht, beitragen.
Wir haben bewusst die vielen angebotenen Themen
auf einige aktuelle Schwerpunkte konzentriert, wohl
wissend, dass die Probleme der Meeresumwelt sehr
viel umfassender und vielschichtiger sind. Aber wir
wollen eine thematische Überlastung und einen damit verbundenen zu engen Zeitrahmen vermeiden,
um genügend Raum für Diskussionen zu lassen, die
auf früheren Symposien gelegentlich etwas zu kurz
gekommen sind.
Eine ganz wichtige Grundlage für die hoffentlich sehr
lebhaften und weiterführenden Diskussionen wird der
Auftaktvortrag der Parlamentarischen Staatssekretärin
Frau Astrid Klug bilden. Ich danke Ihnen, sehr verehrte
Frau Staatssekretärin, sehr herzlich, dass Sie in diesem
Jahr zu uns sprechen werden. Sie reihen sich damit in
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Peter Ehlers
Präsident und Professor
des Bundesamtes für Seeschifffahrt
und Hydrographie
Bernhard-Nocht-Straße 78
20359 Hamburg
Neptunallee 5
18057 Rostock
eine illustre Schar ein, zu der Klaus Töpfer genauso
wie Angela Merkel, Jürgen Trittin, mehrere Landesminister und Parlamentarische Staatssekretäre zählen.
Wir danken Ihnen auch, dass Ihr Ministerium, in dessen Auftrag wir das Symposium durchführen, wiederum die finanziellen Voraussetzungen geschaffen hat,
damit die Veranstaltung in diesem Rahmen stattfinden
kann. Wir sind nun sehr gespannt auf Ihren Vortrag:
Die Meere im Spannungsfeld von Nutzung und Umweltschutz – ein strategischer Blick in die Zukunft.
Damit, meine Damen und Herren, ist das 16. Meeresumweltsymposium eröffnet.
Europäische
Meeresschutzpolitik
Europäische Meeresschutzpolitik
Die Meere im Spannungsfeld von Nutzung und Umweltschutz – ein strategischer Blick in die Zukunft
Astrid Klug
Sehr geehrter Herr Prof. Ehlers,
sehr geehrte Damen und Herren,
das heutige Symposium zur Meeresumwelt findet in
einem interessanten zeitlichen Umfeld statt und das
zeigt, dass Sie mit einem hochaktuellen Thema einen Nerv unserer Zeit treffen. Dafür einen herzlichen
Dank.
Vor wenigen Wochen fand in Stralsund ein vielbeachteter Internationaler Meeresnaturschutzkongress
statt. Anfang Mai hatte die schwedische Umweltministerin zu einer Ministerkonferenz über die Umweltauswirkungen der Schifffahrt und der Fischerei nach
Göteborg eingeladen. Anfang Juni hat die Europäische Kommission das Grünbuch Meerespolitik vorgelegt. Ich werde darauf noch näher eingehen.
Ende April hat die Bundesregierung ihre Nationale
Strategie zum Integrierten Küstenzonenmanagement
(IKZM) präsentiert. Küstenregionen sind die Schnittstellen zwischen Meeres- und Landnutzung und
bedeutende Wirtschaftsräume. 70 Prozent der Weltbevölkerung und 60 Prozent der Europäer leben in
Küstennähe. Küstenregionen sind sozial, wirtschaftlich und kulturell von der Meeresnutzung entscheidend geprägt und abhängig. Die Menschen in den
Küstenregionen sind deshalb auch für den Meeresschutz wichtige Akteure. Das IKZM kann helfen, Nutzungskonflikte im Meer zu identifizieren und mit den
Akteuren zu diskutieren.
Neben den klassischen Meeresnutzungen wie Schifffahrt, Fischerei, Tourismus und Energiegewinnung,
die die Küstenregionen prägen und das Ökosystem
Meer belasten, gibt es eine zusätzliche riesige Herausforderung, die der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) ganz aktuell in
seinem jüngsten Gutachten „Die Zukunft der Meere
– zu warm, zu hoch, zu sauer“ auf den Punkt bringt.
Der WBGU schreibt uns ins politische Stammbuch,
dass der sich abzeichnende Klimawandel unüber-
sehbar große Veränderungen und Schäden für die
Meeresumwelt und die Küsten mit sich bringt – mit
erheblichen Folgen für den Menschen. Die Oberflächenschichten erwärmen sich, der Meeresspiegel
steigt immer rascher an, die Meere versauern zunehmend und die Meeresökosysteme mit ihrer - noch
reichhaltigen - biologischen Vielfalt sind bedroht. Wir
sind dabei, Prozesse im Meer anzustoßen, die in den
letzten Jahrmillionen ohne Beispiel sind, gleichzeitig
aber wegen der geophysikalischen Verzögerungseffekte den Zustand der Weltmeere für Jahrtausende
bestimmen werden. Damit greift der Mensch an entscheidender Stelle in das Erdsystem ein, wobei viele
Folgen noch gar nicht genau vorhersehbar sind. Entschlossenes und vorausschauendes Handeln sei jetzt
notwendig, damit die Meere kritische Systemgrenzen
nicht überschreiten. Der Umgang des Menschen mit
den Meeren werde zu einer entscheidenden Bewährungsprobe auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft
– so der WBGU. Und ich füge hinzu, es wird für viele
Regionen der Erde eine existenzielle Bewährungsprobe dazu.
Die marinen Ökosysteme reagieren besonders sensibel und schneller als terrestrische Ökosysteme auf
Klimaänderungen. Nicht nur die biologische Vielfalt
ist dabei in Gefahr und Überflutungen ganzer Küstenregionen wahrscheinlich, der Klimawandel stellt
auch eine Bedrohung für die Fischerei und die ausreichende Nahrungsversorgung aus dem Meer dar,
weil eine weitere Erhöhung der Wassertemperaturen
zu einer zunehmenden Versauerung führt. Aktiver
Klimaschutz ist deshalb nicht nur Naturschutz und
moderne Energiepolitik, sondern auch Meeres- und
Küstenschutz und die Voraussetzung für eine nachhaltige Fischerei.
Klimaschutz
Deutschland wird international eine Vorreiterrolle im
Klimaschutz zugeschrieben. Wir verfolgen mit der
Förderung der Erneuerbaren Energien und dem Aus-
13
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Europäische Meeresschutzpolitik
bau der Energieeffizienz eine Doppelstrategie für eine
zukunftsfähige Energieversorgung. Deutschland hat
sich im Kyoto-Protokoll verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2012 gegenüber 1990 um 21 Prozent zu reduzieren, fast 19 Prozent davon haben wir
bereits erreicht. Aber wir wissen auch heute schon,
dass wir weitere große Anstrengungen brauchen.
Um die Erderwärmung auf maximal 2 Grad Celsius
zu begrenzen, müssen wir bis 2050 die Treibhausgasemissionen in den Industriestaaten um bis zu
80 Prozent reduzieren und die Entwicklungs- und
Schwellenländer als Partner für den Kyoto-Prozess
gewinnen. Was wir brauchen, ist eine konsequente
Entkopplung des weltweiten Wirtschaftswachstums
von den Treibhausgasemissionen. Dafür bleibt uns
nur noch ein kleines Zeitfenster. Deshalb wird der Klimaschutz auch eines der Top-Themen im Rahmen
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der G8Präsidentschaft in 2007.
Nachhaltige Balance
Schutz und Nutzung
zwischen
Die Meere sind eine der entscheidenden Grundlagen für das Leben auf unserer Erde. Sie sind Heimat für einen Großteil der biologischen Vielfalt, besitzen jedoch auch einen immensen wirtschaftlichen
Wert. Angesichts einer stetig wachsenden Zahl von
Nutzungsformen gilt es, die zukünftige Meerespolitik
so zu entwickeln, dass die Funktionen und die Leis­
tungsfähigkeit des Ökosystems Meer nicht gefährdet
werden. Der dazu notwendige Schutz der komplexen
Meeresökosysteme und ihre Nutzung müssen in ein
ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden. Diese Erkenntnis verlangt auf allen politischen
und rechtlichen Regelungsebenen der Meerespolitik
einen neuen, integrativen Politikansatz. Wir müssen
die Meeresschutzaspekte in alle betroffenen Politikbereiche einbinden und eine nachhaltige Balance
zwischen Schutz und Nutzung organisieren.
Europäische und nationale Politik
Derzeit werden zahlreiche Instrumente entwickelt
oder weiterentwickelt:
Auf europäischer Ebene diskutieren wir die Europäische Meeresschutzstrategie einschließlich der Meeresstrategie-Richtlinie auf der Basis eines Entwurfs
der Europäischen Kommission vom 24. Oktober 2005.
Erste substanzielle Verhandlungen wird es dazu in
der Ratsarbeitsgruppe Umwelt am 20.06.06 geben.
Ziel ist die Erreichung eines „guten Zustands der
Meeresumwelt“ Europas bis zum Jahr 2021 auf der
Grundlage des Ökosystemansatzes. Dazu sollen die
Meeresumwelt bewertet, der gute Zustand beschrieben, Umweltziele festgelegt sowie Überwachungsund Maßnahmenprogramme erstellt werden.
Das Grünbuch der EU-Kommission zur zukünftigen
Europäischen Meerespolitik soll Anfang Juni veröffentlicht werden. Danach startet eine einjährige Konsultationsphase.
Ziel ist ein umfassendes Konzept zur Ausschöpfung
des Potenzials für eine nachhaltige Nutzung der
Meere, ohne die Meeresökosysteme zu schädigen.
Dabei soll die europäische meerespolitische Vorreiterrolle gesichert werden und bisher isoliert betrachtete Politikbereiche wie Schifffahrt, Fischerei,
Offshore-Energie, Meeresschutz, Entwicklung der
Küstenbereiche in eine Zusammenschau gebracht
werden. Die Europäische Meeresschutzstrategie
und ihre Richtlinie sollen die Umweltsäule des Grünbuches bilden.
In Vorbereitung ist auch eine Nationale Meeresstrategie und damit eine Richtungsentscheidung der
Bundesregierung über gemeinsam definierte Ziele
und Maßnahmen zur Erreichung und Sicherung der
nachhaltigen Nutzung und des Schutzes der Meeresumwelt. Die Nationale Meeresstrategie soll auch
auf der Grundlage des Integrationsprinzips und des
Ökosystemansatzes entstehen und als längerfristige
Basis der deutschen Verhandlungsposition im europäischen Kontext dienen. Wir wollen, dass die Meere
mit ihren wichtigen Funktionen auch außerhalb von
„Krisenzeiten“ wie Tankerhavarien, Seehundsterben
und exzessiven Algenblüten wahrgenommen werden.
In Vorbereitung ist außerdem ein HELCOM Baltic Sea
Action Plan mit dem Ziel einer „gesunden Ostsee“,
der alle zur Reduzierung der Verschmutzung und zur
‚Reparatur‘ bereits eingetretener Schäden des Ökosystems Ostsee notwendigen Maßnahmen umfassen
soll und in einer ostseeweiten Strategie die Russische
Föderation mit einbindet.
Deutschland engagiert sich in regionalen Meeresschutzorganisationen wie der Kommission zum
Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks
(OSPAR-Kommission) und der Helsinki-Kommission
zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes
(HELCOM) oder den Internationalen Nordseeschutzkonferenzen sowie ihrem Nachfolgeprozess, der sich
mit den Umweltauswirkungen von Schifffahrt und Fischerei befasst.
Europäische Meeresschutzpolitik
Diese internationale Zusammenarbeit ist unendlich
wichtig, weil Lebewesen und Lebensräume in den
Weltmeeren keine nationalen Grenzen kennen und
damit auch die Probleme nicht. Und die wahren
Grenzen für die Nutzung der Meere und Gewässer
setzen ohnehin nicht Politiker, Beamte oder Lobbyisten, die wahren Grenzen für die Nutzung der Meere
setzt uns die Natur. Die Frage ist nur, ob der Mensch
klug genug ist, diese Grenzen rechtzeitig zu erkennen und zu akzeptieren.
Die Herausforderungen sind also groß und der Meeresschutz braucht noch mehr Tempo. Meeresschutz
heißt aber auch „viele dicke Bretter bohren“. Die Interessen und das damit verbundene Engagement sind
schon innerhalb der europäischen Mitgliedstaaten
sehr unterschiedlich. Staaten mit einem Hauptinte­­­r­esse an Fischerei und Tourismus legen besonderen
Wert auf den Schutz ihrer Küsten- und Meeresgebiete sowie der langfristigen Bewirtschaftung außereuropäischer Gewässer über Drittlandsabkommen.
Staaten mit starker Hafenwirtschaft oder großen
Handelsflotten wollen vorrangig eine leistungsfähige
attraktive Seeverkehrswirtschaft fördern. Vor diesem
Hintergrund kommt es darauf an, die gegenläufigen
Interessen abzuwägen und die Meerespolitik so zu
entwickeln, dass sie den Zielen eines nachhaltigen
Wirtschaftswachstums, zukunftsfähiger Arbeitsplätze
und dem Schutz von Natur und Umwelt entspricht
und gleichzeitig die durch Drittlandsabkommen betroffenen Entwicklungsländer bei einer nachhaltigen
Bewirtschaftung ihrer Gewässer unterstützt.
Deutschland ist sowohl Flaggenstaat als auch Hafenund Küstenstaat und kann insofern innerhalb der EU
eine wichtige Rolle beim Zusammenführen der verschiedenen Interessen spielen. Das war auch bei der
Ministerkonferenz Anfang Mai in Göteborg wieder
spürbar, zu der die schwedische Umweltministerin
Lena Sommestad eingeladen hatte und in deren Mittelpunkt die Umweltauswirkungen von Fischerei und
Schifffahrt auf die Meere standen.
Ich will die Ergebnisse dieser Ministerkonferenz kurz
anreißen – sie stehen heute Nachmittag noch einmal
ausführlich auf dem Programm. Aber es sind konkrete
Beispiele für aktuelle Fortschritte, mit denen das dicke Brett Meeresschutz wieder ein kleines Stück tiefer angebohrt werden konnte.
1.
Fischerei und Umwelt
Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen betont auch die Notwendigkeit, die Wider-
standsfähigkeit der Meeresökosysteme nachhaltig
zu stärken und nennt neben dem Klimawandel die
Überfischung als wichtigsten Bedrohungsfaktor mariner Ökosysteme. Die Fischerei ist von großer wirtschafts-, ernährungs- und beschäftigungspolitischer
Bedeutung. In vielen Ländern der Erde ist Fisch die
wichtigste Eiweißquelle für Hunderte Millionen Menschen. Jedoch sind die natürlichen Produktionsgrenzen erreicht. Weltweit wird die Hälfte der Fischbestände maximal genutzt und ein Viertel ist als Folge
von Überfischung bereits kollabiert.
Durch bestimmte Fangmethoden sind auch wirtschaftlich nicht genutzte Fischarten, Seevögel, Meeressäuger, die am Meeresboden lebenden Tier- und
Pflanzenarten sowie deren Lebensräume betroffen,
was aus der Sicht des Umwelt- und Naturschutzes
von besonderer Bedeutung ist. Die nicht nachhaltige Nutzung der Fischbestände bedroht aber nicht
nur die marine biologische Vielfalt sondern auch die
Existenz der Fischerei selbst und der davon abhängenden Industrien.
Die Integration von Belangen des Umwelt- und Naturschutzes in die Fischerei ist notwendig, um die geforderte Widerstandsfähigkeit der Meeresökosysteme
zu erreichen, sie dient aber auch mit dazu, die Fischerei auf ein nachhaltiges Niveau zurückzuführen.
Auf der Ministerkonferenz in Göteborg haben wir
hierzu einige Maßnahmen vereinbart:
• Die zuständigen Gremien der EU und Norwegens
sollen zur Weiterentwicklung des Ökosystemansatzes bis spätestens 2010 einen Ökosystem-basierten Plan für die Fischerei in der Nordsee entwickeln und möglichst umgehend umsetzen.
• Wir haben die Bedeutung mariner Schutzgebiete
einerseits sowie geschlossener Gebiete als Maßnahme des Fischereimanagements andererseits
als wichtigen Beitrag zum Schutz der biologischen
Vielfalt der Meere anerkannt. Wir haben beschlossen, dass für Schutzgebiete, die in erster Linie dem
marinen Naturschutz dienen, unter Einbeziehung aller Interessengruppen ein adäquates Fischereimanagement entwickelt werden soll.
• Weitere Maßnahmen gelten der Verbesserung der
Nachhaltigkeit der Fischerei durch die Reduzierung des Rückwurfs (“discard”) von gefangenem
aber nicht marktfähigem Fisch sowie des Beifangs
von Seevögeln und anderen marinen Organismen.
Zum Schutz bedrohter Meeressäuger wie z.B. des
Schweinswals, haben wir uns darauf geeinigt, den
Beifang auf maximal 1% der bestmöglichen Populationsschätzung zu reduzieren. Im Rahmen von
Pilotprojekten soll bis 2008 die Wirksamkeit eines
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Europäische Meeresschutzpolitik
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Rückwurfverbots überprüft und auf der Grundlage
der Erkenntnisse eine Ausweitung des bislang nur
von Norwegen praktizierten Verbots in Erwägung
gezogen werden.
• Zusätzlich haben wir beschlossen, bis 2010 technische Leitlinien zur Prüfung von Fischereien auf ihre
Umweltverträglichkeit zu entwickeln, welche auch
die Auswirkungen auf die Ökosysteme der Nordsee
und insbesondere auf empfindliche marine Arten und
Lebensräume umfassen. Bei der Einrichtung neuer
mariner Aquakulturbetriebe soll eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden, wobei insbesondere der Schutz wilder Bestände von Lachs und
Kabeljau zu beachten ist.
Außerhalb der angesprochenen Konferenzthemen
sehe ich einen weiteren strategischen Ansatz für
eine nachhaltige und ökosystemverträgliche Ausgestaltung der Fischerei: Die Ökozertifizierung von Fischereien und Fischprodukten. Das BMU unterstützt
diesen Ansatz seit vielen Jahren und ich freue mich
daher besonders, dass dies inzwischen auch beim
deutschen Fischereisektor auf Interesse gestoßen
ist und sich beispielsweise die deutsche Seelachsfischerei freiwillig einer Überprüfung nach den Kriterien des Marine Stewardship Councils (MSC) unterzieht.
2.
Marine Naturschutzgebiete
Erlauben Sie mir, ein Thema der Konferenz unter
einem anderen Gesichtspunkt nochmals stärker
auszuleuchten: Eine zentrale Voraussetzung im Balanceakt von Schutz und gleichzeitiger nachhaltiger
Nutzung der Meeresressourcen ist der Erhalt der biologischen Vielfalt im Meer. Hierzu zählen nicht nur
der Erhalt der Artenvielfalt, – unter besonderer Berücksichtigung auch der weit wandernden Arten –,
sondern auch der für sie essentiellen Lebensräume
mit ihren ökologischen Funktionen und dynamischen
Prozessen.
Erhaltungsmaßnahmen bedürfen vor diesem Hintergrund der grenzüberschreitenden internationalen, ja
weltweiten Zusammenarbeit, weshalb die Vertragsparteien des Übereinkommens über die biologische
Vielfalt beschlossen haben, weltweit bis zum Jahr
2012 ein Netzwerk von effektiv gemanagten Meeresschutzgebieten zu schaffen, das auch Gebiete auf
Hoher See einschließt. Für unsere Hausmeere ist der
von HELCOM und OSPAR 2003 in Bremen gemeinsam gefasste Beschluss maßgeblich, ein solches
Netzwerk bereits bis zum Jahre 2010 zu erstellen, in
das HELCOM seine Baltic Sea Protected Areas ein-
bringen wird. Das gemeinsame Netzwerk wird auch
die Natura-2000-Gebiete der EU mit einbeziehen,
für die der Bund im Jahre 2004 rund 30% der Flächen der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszonen gegenüber der EU-Kommission gemeldet hat.
Hiervon sind je ein Vogelschutzgebiet in Nord- und
Ostsee inzwischen Bestandteil des gemeinsamen
Netzwerks. Daneben wurden von den Küstenbundesländern ­Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein dort bestehende Schutzflächen in das Netzwerk eingebracht. Für die übrigen
seitens des Bundes nominierten Flächen können die
notwendigen Verfahren fortgesetzt werden, sobald
sie in der Gemeinschaftsliste der EU-Kommission
festgelegt sind.
Die Effizienz eines solchen Netzwerkes hängt aber
wesentlich davon ab, dass bestehende oder potentielle Konflikte mit ihren Auswirkungen auf die
Meeresnatur bekannt sind und ein geeignetes Management menschlicher Aktivitäten in europäischen
und den angrenzenden Gewässern stattfindet. Entsprechende Themen standen im Mittelpunkt des
bereits erwähnten und von BMU und BfN vom 8.-11.
Mai 2006 in Stralsund mit rund 200 Fachleuten aus
20 Staaten durchgeführten internationalen Meeresnaturschutzkongresses. Dabei haben Erfahrungen
aus Australien mit der Schutzgebietsverwaltung des
„Great-Barrier-Reefs“ sowie aus Kanada mit seinem
im Nordwest-Atlantik größten Unterwasser-Canyon
„The Gully“ gezeigt, dass sich ein geeignetes Management mariner Schutzgebiete nicht nur erfolgreich, sondern auch langfristig umsetzen lässt.
3.
Schifffahrt und Umwelt
Hinsichtlich des von der Ministerkonferenz in Göteborg ebenfalls behandelten Themenkreises Seeschifffahrt will ich mich auf einige wenige wesentliche
Punkte beschränken, da Sie hierzu heute Nachmittag
ja noch weitere Einzelheiten vorgestellt bekommen.
Der Schwerpunkt lag auf dem Konzept des vom Neubau bis hin zum Abwracken besonders umweltfreundlichen Schiffes („clean ship“), das wir national sowie
auf der Basis gemeinsamer Initiativen im Rahmen der
Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) international weiter voranbringen wollen. In diesem Feld
eröffnet sich zudem der Industrie ein hohes Innovationspotenzial. Sobald in der IMO dazu international
einheitliche Kriterien erarbeitet worden sind, werden
nicht zuletzt auch Fracht-Disponenten die Möglichkeit
haben, besonders umweltfreundlichen Schiffsraum
zu identifizieren und in Anspruch zu nehmen.
Europäische Meeresschutzpolitik
Ein wesentlicher Punkt ist auch die Erarbeitung einer
Strategie zur Umsetzung des Ballastwasserübereinkommens in der Nordsee, womit das Einschleppen
fremder Organismen verhindert werden soll. OSPAR
ist hierbei involviert, wir haben aber auch HELCOM
eingeladen, sich in diese Strategie einzubringen.
der EU abgeben wird. Das von der EU-Kommission
kürzlich vorgelegte Grünbuch zur zukünftigen Meerespolitik werden wir in diesem Sinne genau prüfen.
Wir haben Maßnahmen zur Beschränkung der Anwendung schädlicher Antifouling-Produkte sowie zur
Auflistung nicht vertretbarer Stoffe getroffen und setzen uns für die Entwicklung alternativer Systeme zur
Bewuchshemmung ein.
Gesunde Meere sind eine vielfältige Quelle für Ernährung, Wohlstand und Beschäftigung der Menschen
sowie ein wesentlicher Klimafaktor und wichtiger Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Das Meer hat eine
entscheidende Bedeutung für das wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Miteinander der Menschen.
Wir haben vereinbart, im Rahmen der gegenwärtigen
Überarbeitung der Anlage VI zum MARPOL-Übereinkommen weitere Reduzierungen der Verschmutzung
durch Schiffsabgase anzustreben. Dabei geht es
um die Verbesserung der Treibstoffqualität, die Absenkung des Schwefelgehalts für das Befahren von
Schwefelemissionskontrollgebieten (SECA) auf weniger als 1% sowie eine Initiative in der IMO zur Senkung der geltenden Stickoxidgrenzwerte für Schiffsdieselmotoren um mindestens 40%.
Wir unterstützen die Revision der Anlage V – Schiffsmüll – zum MARPOL-Übereinkommen. In diesem
Zusammenhang geht es nicht nur darum, das Abfallaufkommen an Bord zu reduzieren, sondern die
Müllvermeidung z.B. bereits im Verpackungsbereich
zu beginnen aber auch darum, die Nutzung der Annahmekapazitäten in den Häfen zu erleichtern.
Wir haben uns darauf verständigt, im Rahmen der
IMO Probleme, die durch den Schiff-zu-Schiff-Transfer von Öl außerhalb der Hoheitsgewässer entstehen
könnten, zu thematisieren und zu untersuchen, inwieweit die Wartung von Doppelhüllentankern noch verbessert werden kann.
4.
Schlussbemerkung
Die zunehmende Globalisierung und Vernetzung
erfordern es, das Meer ganzheitlich als einen dem
Land gleichwertigen Natur- und Wirtschaftsraum zu
erfassen. Nur eine abgestimmte Politik der EU-Mitgliedstaaten kann wegweisend und beispielhaft über
die Meere hinweg sein. Das Grünbuch Meerespolitik
bietet die Chance für einen integrativen Politikansatz,
der Schutz und Nutzung in eine Balance bringt und
für mehr Verbindlichkeit sorgt. Ob das Grünbuch
dies leisten wird, ob die Meeresschutzstrategie eine
starke Umweltsäule der europäischen Meerespolitik wird oder ob der Meeresumweltschutz hinter die
optimierte Nutzbarkeit der Ressource Meer und der
damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen zurückgedrängt wird, werden die nächsten Monate zeigen. Und ich hoffe, dass sich viele von Ihnen in diese
Debatte einbringen werden und auch von diesem
Symposium wichtige Impulse dafür ausgehen.
Dabei sollte uns eines immer bewusst sein: Die Meere
brauchen uns Menschen nicht, aber wir Menschen
brauchen gesunde und funktionierende Meere.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Europäische Meerespolitik
Wir haben in Göteborg auch zu der bereits angesprochenen Europäischen Meeresschutzstrategie
und dem dazu gehörigen Vorschlag für eine Meeresstrategie-Richtlinie Stellung genommen. Mit Blick
auf die Förderung eines integrierten ökosystemaren
Ansatzes und auf die anstehenden Verhandlungen
haben wir die Erwartung geäußert, dass die Richtlinie einen regionalen Ansatz, kosteneffiziente Maßnahmen, angemessene Überwachungsprogramme,
Zeitpläne und Umweltziele berücksichtigen wird.
Ferner haben wir unserer Erwartung Ausdruck verliehen, dass die Europäische Meeresschutzstrategie die Umweltsäule der zukünftigen Meerespolitik
Anschrift der Verfasserin:
Astrid Klug; MdB
Parlamentarische Staatssekretärin
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Alexanderstraße 3
10178 Berlin
17
Europäische Meeresschutzpolitik
Die künftige Meerespolitik der EU: eine europäische
Vision für Ozean und Meere
Haitze Siemers
Strategische Ziele der Kommission 2005 - 2009
In Europa:
Die besondere Notwendigkeit, eine umfassende Seeverkehrspolitik (maritime policy) zu entwickeln, vollständige Realisierung des Potenzials seegestützter
Wirtschaftstätigkeit in ökologisch nachhaltiger Weise
getragen durch Exzellenz in meereswissenschaftlicher Forschung, Technologie und Innovation.
Meeresstrategien in:
• Kroatien
• Portugal
Europa hat eine intensive Beziehung zum Meer
Deutschland und Frankreich
• Maritimer Koordinator
• Secrétariat général de la mer
Einige Daten:
• 50 % der Bevölkerung der EU lebt in Küstenregionen,
• über 60 % der Touristen in der EU verbringen ihren
Urlaub am Meer,
• 90 % des EU-Außenhandels und
• 40 % des Binnenhandels verlaufen über See­
häfen,
• 3 - 5 % des Brutto-Inland-Produkts (BIP) wird durch
maritime Aktivitäten erwirtschaftet.
Internationale Anforderungen
• Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen:
„Die Probleme der Ozeane sind eng miteinander
verbunden und sollten als Ganzes betrachtet werden“ (Präambel)
• Umsetzungsplan des Weltgipfels zur nachhaltigen
Entwicklung:
„Die nachhaltige Entwicklung der Ozeane sicherzustellen, erfordert wirksame Zusammenarbeit und
Koordinierung“ (Johannesburg 2002)
Internationale Trends
Meerespolitische Strategien:
• USA
• Australien
• Kanada
• Philippinen
• Pacific Island Forum
Meeresministerien in:
• Griechenland
• Polen
Das Grünbuch zur EU-Meerespolitik - Ziele
Hauptziel
Eine Diskussion über eine zukünftige Meerespolitik
für die EU
• umfassend/ holistisch
• auf Bestehendem aufbauend
• ausgewogen: Lissabon und Göteborg
Ziel: Koordination und Zusammenarbeit
Wettbewerbsfähigkeit
Jobs
Qualifikationen
Wissenschaft
Technologie
Sicherheit
Koordination
Daten
IKZM
Raumplanung
Meeres
Ressourcen
Meeresumwelt
19
20
Europäische Meeresschutzpolitik
Links - Zusammenhänge
Lebensqualität an der Küste
Zum Beispiel:
• Forschung und Schiffbau
•
GKSS und Containerschiffe
• Daten und Sicherheit der Meere
•
Domain awareness und IUU Fischerei
•
•
•
•
Das Grünbuch zur EU-Meerespolitik - Grundlagen
• Wahrung und Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit
(growth and jobs)
• Wahrung der (Meeres-)Umwelt: Nachhaltigkeit
• Aufbauen auf Wissen und Kenntnis
• Internationale Zusammenarbeit
• Innnovation in allen Bereichen
•
Wissenschaft
•
Technologie
•
Raumplanung
•
„Governance“
Wachstum und Wachstumsperspektiven
Die Europäische Union hat Wettbewerbsvorteile:
• Schiffbau und Schiffsausrüstung
• Schiffahrt
• Küstentourismus
• Offshore-Energiegewinnung (einschließlich erneu­
erbare Energien)
Europäische Sektoren mit guten Zukunftschancen:
Kreuzschifffahrt
• Häfen
• Aquakultur/ Fischzucht
• Erneuerbare Energien
• Unterwasser-Telekommunikation
• Maritime Biotechnologie
Voraussetzungen
• Eine gesunde Umwelt
• Förderung leistungsfähiger Forschung und Entwicklung
• attraktive Jobs und Arbeitsbedingungen
• ein effizienter, überschaubarer rechtlicher Rahmen
Anpassung an eine sich ändernde Umwelt
Klimawandel
• Anstieg der Meeresspiegel
• Versäuerung des Meerwassers
• unbeständigeres Wetter
Attraktivität der Küste
Umgang mit Risiken
Entwicklung des Tourismus
Management of the land-sea interface
Werkzeuge zum besseren Umgang mit den Her­
ausforderungen
• Daten
• Raumplanung
• Finanzmittel
Governance oder Entscheidungsfindung
International:
• die Rolle der EU
• Zusammenarbeit
Intern:
• Koordination, Information, meerespolitische Ansätze
• Offshore-Aktivitäten der Regierungen
Wie geht es weiter? Die Konsultation
Ein integraler Teil des Grünbuchs: der Dialog
• 1 Jahr der Konsultation
• mit allen Parteien
• vor Ort und über Internet
Das Ziel: eine europäische Politik für und mit dem europäischen Bürger
Europäische Meeresschutzpolitik
Interne Organisation
Eine Leitungsgruppe von 10 Kommissaren
unter dem Vorsitz von Joe Borg
Experten der
Mitgliedsstaaten
MPTF
Organisation
Analyse
Koordination
Interessenvertreter
(MS, Industrie, NRO, Bürger)
Anschrift des Verfassers:
Haitze Siemers
Task Force Meerespolitik
Europäische Kommission
J-99 07/12
B-1049 Brüssel
Belgien
Kontaktinformation:
E-Mail: [email protected]
http://ec.europa.eu/maritimeaffairs
Interservice
Group
GrünbuchNachfolgeReport
21
Europäische Meeresschutzpolitik
Ein kritischer Blick auf die Europäische
Meeresschutzstrategie
A critical view of the European Marine Strategy
Markus Salomon
Zusammenfassung
Summary
Am 24. Oktober 2005 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Meeresschutzstrategie
vorgelegt. Diese Strategie ist für den zukünftigen
Schutz unserer heimischen Meere von grundlegender
Bedeutung. So werden sich u.a. sämtliche in der Planung befindlichen nationalen Handlungskonzepte
zum Meeresschutz an dieser europäischen Vorgabe
orientieren. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat in einem Kommentar zur Umweltpolitik einen kritischen Blick auf den Vorschlag für eine
Europäische Meeresschutzstrategie geworfen. Darin
kommt der SRU zu dem Ergebnis, dass der Kommissionsvorschlag erhebliche Schwächen aufweist und
für die Gewährleistung eines langfristigen Schutzes
der Europäischen Meere dringend nachgebessert
werden muss.
The European Commission presented its proposal for
a Marine Strategy on 24 October 2005. This strategy
is highly relevant for the future protection of our seas.
All future national concepts for the protection of the
marine environment will be based on this European
approach. In its Comment on Environment Policy the
German Advisory Council on the Environment (SRU)
took a critical look at the proposed Marine Strategy
and concluded that the Commission´s proposal was
far too weak to guarantee long-term protection of the
European seas and that there was an urgent need for
improvement.
Einleitung
Nationen leben. Jährlich werden in der Nordsee ungefähr 2,5 Millionen Tonnen Fisch gefangen, ca. 40
Millionen m3 Sand und Kies entnommen und auf 500
Plattformen Öl und Gas gefördert. Hinzu kommen
noch jährlich an die 2,5 Millionen Touristen, welche
die Küste besuchen und etwa 300.000 Schiffsbewegungen (OSPAR [2000]). Mit dem geplanten Ausbau
der Windenergie im Offshore-Bereich werden weitere
Ansprüche an den Meeresraum gestellt. Das Beispiel
der Fischerei, welche nicht nur für die Überfischung
der Fischbestände sondern auch für massive Veränderungen insbesondere der benthischen Lebensgemeinschaften verantwortlich gemacht wird, zeigt welche zum Teil tief greifenden Konsequenzen derartige
Eingriffe für die Ökosysteme haben können. Sie führen zu einem Verlust an Biodiversität, Abnahme der
Lebensraumqualität, Eutrophierung, Schadstoffexposition der Organismen und Strukturveränderungen in
den Meeren. Zu all diesen Belastungen kommt noch
der anthropogene CO2-Ausstoß mit seiner Klima verändernden und versauernden Wirkung.
In Übereinstimmung mit den Vorgaben des 6. Umweltaktionsprogramms hat die Europäische Kommission im Oktober letzten Jahres einen Vorschlag
für eine Europäische Meeresschutzstrategie (Thematische Strategie zum Schutz und zur Erhaltung
der Meeresumwelt) vorgelegt. Ein Blick auf die wesentlichen Probleme in den Meeresregionen verdeutlicht, vor welchen Herausforderungen ein europäisches Schutzkonzept für die Meere steht. So
sind die Eingriffe durch die Fischereiwirtschaft, die
Landwirtschaft, die land- und seebasierten Industrien, die Seeschifffahrt, die Küstenentwicklung und
den Tourismus für einen erheblichen Nutzungsdruck
auf die marinen Lebensräume verantwortlich (ICES
[2003], SRU [2004]). Ein gutes Beispiel hierfür ist die
Nordsee mit einem dicht besiedelten und industriell
wie landwirtschaftlich genutztem Einzugsgebiet von
841 500 km2, in dem 184 Millionen Menschen aus 12
23
24
Europäische Meeresschutzpolitik
Mit einer Europäischen Meeresschutzstrategie soll
es in der Zukunft gelingen, einen langfristigen Schutz
der Meere vor den genannten Eingriffen zu realisieren. Der von der Kommission veröffentlichte Vorschlag beinhaltet eine Thematische Strategie zum
Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt, eine
Meeresstrategie-Richtlinie und eine Risikobewertung;
auf letztere wird im Folgenden nicht näher eingegangen (Europäische Kommission [2005 a, b, c]).
Die Thematische Strategie
Die Veröffentlichung zur Thematischen Strategie umfasst im Wesentlichen die Darstellung der Intentionen
des Schutzkonzeptes mit den dazugehörigen Erklärungen. So werden die Leistung und die Funktionen
der Meeresräume für die Lebensqualität in Europa
betont, die Belastungslage zusammengefasst, auf
die bestehenden Wissensdefizite bezüglich der Prozesse innerhalb der Ökosysteme und die Bedeutung
der Eingriffe durch den Menschen hingewiesen, eine
Defizitbewertung der bestehenden Meeresschutzpolitiken vorgenommen, der Handlungsbedarf vorgestellt und auf das eigentliche Handlungskonzept
– der „Meeresstrategie-Richtlinie“ – verwiesen.
Ein sehr wichtiger Aspekt für die Strategie ist die
Defizitanalyse der derzeitigen den Meeresschutz
betreffenden Politiken. Dass ein langfristiger Schutz
der europäischen Meere nicht gewährleistet werden
kann, liegt:
• an den in unterschiedlichen Politikfeldern ergriffenen Schutzmaßnahmen, die nicht explizit auf den
Meeresschutz ausgerichtet sind,
• in der fehlenden Durchsetzungskraft der Internationalen Konventionen zum Schutz der Meeresregionen,
• in der unzureichenden Implementierung der internationalen Übereinkommen zum Schutz der Meere
und
• in einer fehlenden Verknüpfung zwischen den verschiedenen Strategien, Empfehlungen, Konventionen, Übereinkommen und Richtlinien, die dem
Meeresschutz dienen.
Um diese Unzulänglichkeiten zu beseitigen, schlägt
die EU-Kommission eine Strategie vor, mit der:
• ein dualer Ansatz (Kooperation der Mitgliedstaaten
miteinander und mit Drittstaaten bei gleichzeitig regional getrennter Vorgehensweise),
• ein wissensbasierter Ansatz (Entwicklung einer
umfangreichen Wissensbasis über die marinen Lebensräume),
• ein ökosystemarer Ansatz (Aktivitäten in den Meeren
sollen nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit gemanaget werden) und
• ein kooperativer Ansatz (Einbeziehung von relevanten Interessensgruppen und die Stärkung der
Kooperation mit den regionalen Meeresschutzkonventionen)
verfolgt werden soll.
Das ganz wesentliche Ziel der Kommission ist es,
mit einer integrierten Politik zum Schutz der europäischen Meere die Umweltsäule der zukünftigen Europäischen Meerespolitik (zu deren konzeptionellen
Ausgestaltung wurde gerade ein Grünbuch veröffentlicht) zu gestalten.
Die Meeresstrategie-Richtlinie
Das eigentliche Handlungskonzept innerhalb der Meeresschutzstrategie stellt die Meeresstrategie-Richtlinie
dar, mit der rechtlich verbindliche Maßnahmen zum
Schutz der Meere und Ozeane festgelegt werden sollen. Dabei setzt die Richtlinie den Rahmen zur Entwicklung von nationalen Meeresschutzstrategien. Ziel der
Richtlinie ist es, bis zum Jahr 2021 einen Guten Umweltstatus in den europäischen Meeren zu erzielen.
Für die Zielerreichung werden die Mitgliedstaaten
verpflichtet nach folgendem Zeitplan eigene Meeresschutzstrategien zu entwickeln:
• Innerhalb von 4 Jahren müssen der derzeitige Umweltstatus des Meeresgewässers und die bestehenden anthropogenen Eingriffe bewertet werden.
• 5 Jahre bleiben für die Definition des Guten Umweltstatus.
• 6 Jahre sind vorgesehen für die Implementierung
eines Monitoringprogramms zur Überwachung des
Umweltzustandes und zur Überprüfung der Zielerreichung.
• Bis zum Jahr 2016 soll ein Maßnahmenprogramm
entwickelt werden,
• welches dann bis spätestens 2018 operationalisiert
werden muss.
In der Richtlinie werden die Mitgliedstaaten mit Meeresgewässern innerhalb gleicher Meeressregionen
aufgefordert, ihre Aktivitäten untereinander und mit
Drittstaaten zu koordinieren. Für diese Koordination
soll auf bestehende Institutionen zurückgegriffen
werden. Dabei können die nationalen Meeresschutzstrategien auf bestehende Programme, die im Rahmen der internationalen Übereinkommen etabliert
wurden, aufgebaut werden.
Europäische Meeresschutzpolitik
Die EU-Kommission verpflichtet sich, für die Festlegung des Guten Umweltstatus innerhalb von 2 Jahren Kriterien und Standards zu entwickeln.
Ein weiterer nennenswerter Punkt in der Richtlinie ist
die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, vor der Umsetzung einer Maßnahme, diese einer Kosten-NutzenAnalyse zu unterziehen.
In dem Fall, dass die Mitgliedstaaten einen Bereich
identifizieren, in dem sie das gesetzte Ziel durch eigene Maßnahmen aufgrund von:
• Aktivitäten oder fehlenden Aktivitäten anderer Mitgliedstaaten oder Drittländer,
• natürlichen Ursachen und höherer Gewalt
oder
• Aktivitäten mit übergeordnetem Interesse, welche
schwerer gewichten als die Eingriffe in die Umwelt
nicht erreichen können, müssen sie dies der EUKommission umgehend mitteilen. Außerdem ist die
Kommission davon zu unterrichten, wenn der Mitgliedstaat einen Eingriff in sein Meeresgewässer
identifiziert, welcher auf nationaler Ebene nicht behoben werden kann.
Die Kommission behält sich vor, sämtliche Programme u.a. in Bezug auf die Zielerreichung hin zu
überprüfen und gegebenenfalls abzulehnen. Es ist
vorgesehen, die Richtlinie spätestens 15 Jahre nach
in Kraft treten zu evaluieren.
Kritik an der Thematischen Strategie
und der Meeresstrategie-Richtlinie
Die zentrale Schwäche des Kommissionsvorschlags
für eine Europäische Meeresschutzstrategie ist, dass
auf die zum Teil sehr eindringliche Analyse nicht die
entsprechenden Konsequenzen in der Umsetzung
folgen. Dies betrifft insbesondere das Konzept der
Thematischen Strategie, in dem die Verantwortung für
die Gestaltung und Umsetzung des Meeresschutzes
ausschließlich in die Hände der Mitgliedstaaten gelegt wird. Dieser durchaus als „Renationalisierung“ zu
bezeichnende Ansatz ist angesichts der bereits heute
existierenden starken Internationalisierung und Europäisierung einer Vielzahl den Meeresumweltschutz
betreffenden Sachbereiche unverständlich. Die Europäische Kommission begründet dies mit dem Hinweis
auf die Vielfalt der Bedingungen und Bedürfnisse der
Meeresumwelt der EU. Wenngleich derartige Unterschiede auf regionaler bzw. nationaler Ebene zweifellos gegeben sind, so zeigen doch allein die Arbeiten
der internationalen Konventionen, dass es trotz die-
ser Unterschiede möglich ist, auch auf internationaler
Ebene Ziele und Strategien festzusetzen.
Mit der Beschränkung des Handlungskonzeptes auf
die nationale Ebene werden wesentliche Politiken bzw.
Sektoren, die Einfluss auf die Meere haben, ausgeklammert. Insbesondere die Sektoren Landwirtschaft
und Fischerei sind für ein hohes Maß der Meeresbelastungen verantwortlich. Sowohl Landwirtschaftsals auch Fischereipolitik werden in erster Linie durch
europäische Vorgaben bestimmt. Auf nationaler Ebene kann in diesen Politikfeldern kein wesentlicher
Fortschritt erzielt werden. Nach Auffassung der Europäischen Kommission sollen die kürzlich umgesetzten Reformen innerhalb dieser Politiken ausreichend
sein, um zur Herstellung eines guten Umweltstatus
der Meere beizutragen. Diese Einschätzung ist angesichts des weiterhin bestehenden Missmanagements
in der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP), in dem
die wissenschaftlichen Empfehlungen für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände und zum
Schutz der Ökosysteme immer noch weitgehend
ignoriert werden, nicht nachvollziehbar (Daw and
Gray [2005]). Ähnliches gilt auch für die Gemeinsame
Agrarpolitik (GAP), die bisher nicht zu deutlichen Verminderungen der Nitrateinträge in die Küstenmeere
beitragen konnte und dies, obwohl dieser Sektor inzwischen als Hauptverursacher gilt (OSPAR [2000],
HELCOM [2003]). Es ist jetzt schon absehbar, dass
die Mitgliedstaaten in diesen Bereichen ohne Änderung EU-rechtlicher Vorgaben wenig Substanzielles
werden erreichen können.
Trotz der begrenzten Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten in vielen die Meere betreffenden Politiken
sind nationale Meeresschutzstrategien als Bestandteil
eines Gesamtkonzepts für eine Europäische Meeresschutzstrategie begrüßenswert. Zweifelsohne ist aber
in den Sektoren Fischerei, Landwirtschaft und Seeschifffahrt die Europäische Kommission aufgefordert,
ein Schutzkonzept mit klaren Zielvorgaben zu entwickeln. Durch die fehlende Einbeziehung europäischer
Politiken in den Strategievorschlag versäumt die EUKommission die große Chance, einen integrierenden
Ansatz zum Schutz der Meere vorzulegen.
Ein weiterer Kritikpunkt an der Strategie ist die fehlende Anknüpfung an bestehendes, den Meeresschutz betreffendes Europäisches Umweltrecht. Dies
betrifft insbesondere die Wasserrahmenrichtlinie und
die Nitratrichtlinie, die beide zum Schutz des InlandSüßwassers konzipiert wurden. Da diese Richtlinien
aber die Besonderheit der Meere u. a. als letzte Senke nicht berücksichtigen, wären hier Anpassungen erforderlich. Die Europäische Kommission selbst weist
25
26
Europäische Meeresschutzpolitik
auf die mangelnde Konsistenz von Maßnahmen, Programmen und Zielvorgaben, die den Meeresschutz
betreffen, hin, ohne aber daraus entsprechende Konsequenzen in der praktischen Umsetzung zu ziehen.
In ähnlicher Weise lässt die Europäische Meeresschutzstrategie eine explizite Anknüpfung an die
existierenden internationalen Meeresschutzkonventionen vermissen. Das Europarecht kann aufgrund seiner Rechtsverbindlichkeit und Sanktionsbewehrung
einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Ziele und
Maßnahmen internationaler Meeresschutzabkommen liefern. In dem Strategievorschlag bleibt es aber
weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen, welchen
Stellenwert sie den verbindlichen Vorgaben der Meeresschutzkonventionen einräumen und dies, obwohl
auch die Europäische Gemeinschaft Vertragspartner
wichtiger internationaler Übereinkommen zum Schutz
der Meeresregionen, wie zum Beispiel der OSPARsowie der Helsinki-Konvention, ist. Somit gelingt es
mit dem Kommissionsvorschlag nicht, einen besseren Vollzug der internationalen Konventionen zu realisieren.
Neben den Schwächen innerhalb des Strategiekonzeptes zeigen sich auch Defizite in der Meeresstrategie-Richtlinie. Das eigentliche Ziel der Richtlinie,
bis zum Jahr 2021 einen guten Umweltstatus in den
europäischen Meeren zu erreichen, ist als durchaus ambitioniert zu bewerten. Es bleibt allerdings im
höchsten Maße zweifelhaft, ob dies mit dem Richtlinienvorschlag erreicht werden kann und zwar nicht
nur, weil er sich darauf beschränkt, einen Rahmen
zur Entwicklung von nationalen Meeresschutzstrategien zu liefern, sondern weil der darin vorgesehene
Zeitplan im höchsten Maße inkonsistent ist. So bleibt
den Mitgliedstaaten noch Zeit bis 2016, um Maßnahmenprogramme zu entwickeln und bis 2018, um diese dann umzusetzen. Konsequenterweise ist in den
ersten zehn Jahren nach In-Kraft-Treten (soweit die
RL 2008 verabschiedet wird) der Richtlinie mit keinerlei Fortschritten für die Erhaltung der Meeresumwelt
zu rechnen. Anschließend verbleiben dann nur noch
drei Jahre, um einen Guten Umweltstatus in den Gewässern zu erzielen. Unter der Voraussetzung, dass
ambitionierte Ziele für die Meeresgewässer festgesetzt werden, ist eine Zielerreichung in dieser kurzen
Zeitspanne unrealistisch.
Die Definition des Guten Umweltstatus als der Zustand in den Meeresgewässern, der in Zukunft angestrebt werden soll, ist von wesentlicher Bedeutung
für den Erfolg der Meeresstrategie-Richtlinie. Problematisch ist hierbei, dass wiederum die Definition
des Guten Umweltstatus allein den Mitgliedstaaten
überlassen bleibt. Hier besteht das Risiko, dass ei-
nige Mitgliedstaaten entweder sehr vage oder sehr
schwache Ziele definieren. Ob die innerhalb der
Richtlinie geforderte Kooperation zwischen den Anrainerstaaten und die von der Europäischen Kommission zu setzenden Standards und Kriterien dies
verhindern können, bleibt fraglich.
Bedenklich ist des Weiteren die Vorgabe in der Richtlinie, diese vor der Umsetzung der Maßnahmen einer
Kosten-Nutzen-Analyse zu unterziehen. Es bestehen
zum Teil erhebliche Schwierigkeiten, den Nutzen einer Schutzmaßnahme zu quantifizieren. Außerdem
wären in diesem Fall, da das Ziel, bis zum Jahr 2021
einen Guten Umweltstatus zu erreichen, innerhalb
der Richtlinie bereits festgelegt wurde, wenn, dann
Kosten-Wirksamkeits-Analysen angebracht. Aber
auch dieses Instrument darf nicht dazu beitragen,
die Umsetzung der Maßnahmenprogramme hinauszuzögern.
Insgesamt ist festzuhalten, dass der vorgelegte
Vorschlag der Europäischen Kommission für eine
Meeresschutzstrategie nicht einem so dringend geforderten sektorenübergreifenden integrierenden Ansatz entspricht.
Aus diesem Grund empfiehlt der SRU dringend
Nachbesserungen an der Strategie, insbesondere in
folgenden Punkten:
• eine deutlich stärkere Integration des Meeresschutzes in die relevanten gemeinschaftlichen Sektorpolitiken insbesondere GAP, GFP und die Verkehrspolitik,
• eine Anpassung des bestehenden EU-Umweltrechts
an die Erfordernisse des Meeresumweltschutzes,
• eine explizitere Integration der bereits vereinbarten
Ziele und Maßnahmen der internationalen Konventionen und der dort erarbeiteten Programme in die
Europäische Meeresschutzstrategie und
• die Erarbeitung eines realistischen Zeitplans mit
dem es gelingt, bis 2021 einen Guten Umweltstatus
in den europäischen Meeren zu erreichen.
Europäische Meeresschutzpolitik
Literatur
Daw, T. and T. Gray, 2005: Fisheries science and sustainability in international policy: a study of failure
in the European Union’s Common Fisheries Policy. Marine Policy, 29, p. 189-197.
Europäische Kommission, 2005a: Communication
from the Commission to the Council and the European Parliament. Thematic Strategy for the Protection and Conservation of the Marine Environment. COM(2005) 504 final.
Europäische Kommission, 2005b: Proposal for a
Directive of the European Parliament and of the
Council establishing a Framework for Community
Action in the field of Marine Policy (Marine Strategy Directive). COM(2005) 505 final.
Europäische Kommission, 2005c: Impact Assessment – Thematic Strategy on the Protection and
Conservation of the Marine Environment. Brüssel:
Europäische Kommission.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Markus Salomon
Geschäftsstelle des Sachverständigenrates
für Umweltfragen
Reichpietschufer 60
10785 Berlin
www.umweltrat.de
HELCOM, 2003: The Baltic Marine Environment
1999–2002. Baltic Sea Environment Proceedings
No. 87. Helsinki: HELCOM.
ICES (International Council for the Exploration of the
Sea), 2003: Environmental Status of the European Seas (http://www.ices.dk/reports/germanqsr/23222_ICES_Report_samme.pdf).
OSPAR, 2000: Quality Status Report. Region 2: Greater North Sea. London: OSPAR Commission.
SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen), 2006:
Der Vorschlag der Europäischen Kommission für
eine Meeresschutzstrategie – Rückzug aus der
europäischen Verantwortung? Kommentar zur
Umweltpolitik, Nr. 5. http://www.umweltrat.de/
03stellung/downlo03/komment/kom_nr5.pdf
SRU, 2004: Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee. Sondergutachten. Baden-Baden: Nomos.
http://www.umweltrat.de.
27
Europäische Meeresschutzpolitik
Ecological Quality Objectives - Health Indicators
for the Sea
Peter Heslenfeld
Kurzfassung
Summary
Um die gesetzten Umweltziele zu erreichen und zur
Förderung der nachhaltigen Nutzung der Meeresumwelt strebt OSPAR die Anwendung des ÖkosystemAnsatzes zur Regelung menschlicher Aktivitäten an.
Hierzu werden die allgemeinen Ziele in konkrete ökologische Qualitätsziele (EcoQUOs) übertragen. Der
Satz an EcoQUOs deckt die gesamte Meeresumwelt
ab. Wenn die EcoQUOs erreicht werden, kann das
Meer als „gesund“ eingestuft werden.
OSPAR strives at implementing the Ecosystem Approach to the management of human activities, to
achieve its environmental aims and to promote sustainable use of the marine environment. For this purpose, the general aims are translated into concrete
Ecological Quality Objectives (EcoQOs). The set of
EcoQOs covers the whole marine environment and if
the EcoQOs are achieved, the sea can be declared
as ‘healthy’.
Im Bereich der Nordsee macht OSPAR Erfahrungen
mit der Entwicklung und Anwendung von EcoQUOs.
Ein Beispiel für ein EcoQUO ist: „Der Anteil an verölten Trottellummen (Uria aalge) sollte 10 % oder weniger von den gesamt am Strand gefundenen toten
oder sterbenden Trottellummen betragen”. Wenn
dieser Wert überschritten wird, müssen Maßnahmen
zur Verringerung der negativen Effekte von Öl auf die
marine Umwelt ergriffen werden.
In the North Sea OSPAR is gaining experience with
the development and implementation of EcoQOs. An
example of an EcoQO is: ‘The proportion of oiled
guillemots (Uria aalge) should be 10 % or less of
the total found dead or dying on the beach’. If this
amount is exceeded, measures have to be taken to
decrease the negative effect of oil on the marine environment.
The ecosystem approach
EcoQOs are indicators for the health of the marine
ecosystem and for the effects of human activities
thereon. A limit or target level is attached to them
in order to determine whether (additional) measures are necessary to regulate human activities.
Although EcoQOs generally are strongly linked to
specific human interventions, investigations might
be necessary to determine the causes in case an
EcoQO is not reached. The EcoQO framework contains ten ecological issues that cover the most important components of the marine ecosystem (such
as sea birds, mammals and plankton). These issues
are also linked to the OSPAR thematic strategies.
Only when all EcoQOs are achieved the sea can be
considered ‘healthy’.
Management measures at sea have long been taken
from the perspective of economic sectors, resulting
in undesirable impacts on the marine ecosystem. To
change this the Ecosystem Approach to the management of human activities has been launched in
international policy making. This approach aims to
manage these activities with increased consideration
of ecosystem health and sustainable use. Several
international bodies are currently translating this approach into clear and practicable ecosystem objectives. In Europe, the Commission for the Protection
of the Marine Environment of the North-East Atlantic
(OSPAR) takes a leading position with the development and implementation Ecological Quality Objectives (EcoQOs) using a stepwise learning-by-doing
approach.
29
30
Europäische Meeresschutzpolitik
North Sea Pilot Project
The 5th North Sea Ministerial Conference (NSMC)
invited OSPAR to develop and implement ten EcoQOs as a pilot project for the North Sea. The Netherlands and Norway coordinate the pilot project
within OSPAR and several other North Sea countries
contribute by developing individual EcoQOs. Other
EcoQOs are under development. The results of this
process have been reported to the NSMC in Göteborg, May 2006.
OSPAR will continue with the development and implementation of the EcoQOs, the coming years, by
applying adaptive management: learning by doing.
The performance of the EcoQO framework will be
evaluated in 2009.
Example of an EcoQO
Guillemots (Uria aalge) are birds that are sensitive
for oil floating on the water surface. Oiled birds will
almost certainly die and some of these are washed
ashore. Hence they can be a good indicator for oil
Address of lecturer:
Peter Heslenfeld
Ministry of Transport, Public Works
and Water Management
North Sea Directorate
PO Box 5807
NL-2280 HV Rijswijk
The Netherlands
pollution. The target level of this EcoQO is a maximum of 10% of the dead or dying guillemots on
the beach is polluted by oil. This message is easy
to understand for the general public (the bird was
killed by oil) and enlarges the awareness for implementing the Ecosystem Approach. Volunteers carry
out monitoring by collecting dead guillemots on the
shoreline. They use an international field manual to
ensure consistency in monitoring data. The monitoring is done during six periods of one week in
winter. Implementation costs are only a few thousand euros per year (consisting of travel expenses
for volunteers and two days of work for a national
coordinator).
Future
The European Union is developing the European
Marine Strategy (EMS) aiming at promoting sustainable use of the seas and conserve marine ecosystems. The Ecosystem Approach is central to
the EMS and the OSPAR EcoQO framework might
serve as an example for regional implementation of
the EMS.
Europäische Meeresschutzpolitik
Ergebnisse der Nordsee-Ministerkonferenz zu den
Umweltauswirkungen von Schifffahrt und Fischerei
Göteborg, 4. und 5. Mai 2006 - Themenbereich Fischerei
Results of the North Sea Ministerial Meeting on the Environmental
Impact of Shipping and Fisheries held at Göteborg,
4 and 5 May 2006 − Fisheries Issues
Hans-Georg Neuhoff
Zusammenfassung
Summary
Im Themenbereich Fischerei befasste sich die Ministerkonferenz mit acht Themenblöcken, die im Wesentlichen die Bergen-Deklaration (BD)* aus dem
Jahre 2002 weiter entwickeln:
The Ministerial Conference dealt with eight issues,
essentially follow-ups to the 2002 Bergen Declaration (BD)*
• Ökosystemansatz im Fischereimanagement
als dem übergeordneten Leitprinzip des Fischereimanagements;
• Umweltprüfung in der Fischerei
die gewährleisten soll, dass die von der Fischerei betroffenen Ökosysteme nicht überfordert werden;
• Marine Schutzgebiete und geschlossene Gebiete
die einerseits die Flora und Fauna schützen und andererseits der Erhaltung bzw. Wiederherstellung von
Fischbeständen dienen sollen;
• Reduzierung des Fischereidrucks
als einer Voraussetzung für eine künftig nachhaltigere Fischerei;
• Rückwürfe unerwünschter Fänge
deren Reduzierung eine weitere Voraussetzung für
eine nachhaltigere Fischerei ist;
• Abfall auf See und Geisternetze
als Bereiche, in denen Fischerei zur Verringerung
der Belastung der Meere beitragen kann;
• Marine Aquakultur
die so auszugestalten ist, dass die Umweltbelastungen möglichst gering sind;
• Fischereiaufsicht und Durchsetzung von Fischereiregelungen
als Instrumente zur Gewährleistung der Einhaltung
fischereilicher Vereinbarungen.
• Ecosystem approach to fisheries management
as the guiding principle of fisheries management;
• Prior environmental assessments of fisheries
to protect marine ecosystems affected from adverse fishing impacts;
• Marine protected areas and closed areas
to protect flora and fauna on the one hand,
and preserve or restore fish stocks on the other
hand;
• Reduced fishing pressure
as a prerequisite to future sustainable fisheries;
• Discards of unwanted catch
are to be minimised as another prerequisite to
sustainable fisheries;
• Marine litter and ghost fishing
as issues where fisheries can contribute toward
reducing marine environmental pollution;
• Marine aquaculture
which should be practiced with the least possible
adverse environmental impacts;
• Fisheries control and enforcement
as instruments to ensure compliance with fisheries regulations.
* Ministererklärung der Fünften Internationalen Konferenz zum Schutz der Nordsee, 20. - 21. März 2002, Bergen, Norwegen
31
32
Europäische Meeresschutzpolitik
Im Einzelnen wurden unter diesen Themenblöcken die folgenden Hauptthemen angesprochen:
(Paragraphen-Angaben beziehen sich auf die Fundstelle in der Göteborg-Deklaration bzw. mit dem Hinweis „BD“ auf Paragraphen der Bergen-Deklaration
von 2002).
Ökosystemansatz im Fischereimanagement
• Entwicklung eines Ökosystem-basierten Plans für
die Fischerei in der Nordsee bis 2010 (§ 2):
Der Erhalt der vollen Funktionalität des Ökosystems
bestimmt, in welchem Umfang die Produktivität des
Ökosystems genutzt werden kann. Der von den zuständigen Gremien der EU sowie Norwegens und
unter Einbeziehung der betroffenen Interessengruppen zu entwickelnde und möglichst umgehend
umzusetzende Plan soll der weiteren Reduzierung
schädlicher Auswirkungen der Fischerei auf die
Meeresumwelt der Nordsee dienen. Ein Problem,
das in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden muss, ist die Änderung des Ökosystems auf
Grund der klimabedingten Erwärmung.
• Forschungsprojekte zur Schaffung der hierfür nötigen Management-Grundlagen (§ 3 & BD 20):
Der Weg vom „total allowable catch“ für eine Zielart
über einen Bewirtschaftungsansatz für mehrere Zielarten bis zu einem auf dem Ökosystem basierenden
Fischereimanagement ist weit. Es bedarf noch erheblicher Forschung, bis alle Grundlagen für einen
solchen Ökosystemansatz entwickelt worden sind
und zum Einsatz gelangen.
• Verbesserung von Geschirr und Methoden zur Verringerung negativer Auswirkungen auf die Meeresumwelt und des Beifangs (§ 3 & BD 25):
Diese Forderung war bereits im Paragrafen 25 der
Bergen-Deklaration angelegt und ist in der Göteborg-Deklaration lediglich dahingehend konkretisiert
worden, dass es um die Minimierung der Störung
des Meeresbodens und seiner Lebewesen sowie
um die Minimierung des unbeabsichtigten Beifangs
geht.
• Säugetier-Beifang < 1% der höchsten Populationsabschätzung (§ 3 & BD 29):
Gemäß der Bergen-Deklaration sollte der Beifang
an Schweinswalen 1,7% der höchsten Populationsabschätzung nicht überschreiten. Die Göteborg-Deklaration enthält für den Schweinswal keine Sonder-
bestimmung mehr, so dass dieser nun unter dem
schärferen allgemein für Meeressäuger geltenden
< 1%-Ziel mit berücksichtigt wird.
• Warum nehmen Sandaal- und Stintdorsch-Populationen ab? Forschung und Reduzierung des Fischereidrucks (§ 5):
Die Populationen von Sandaal und Stintdorsch in
der Nordsee haben abgenommen, ohne dass genau
bekannt wäre, woran das liegt. Die Ursachen sollen
erforscht und diesen ggf. mit einer Reduzierung des
Fischereidrucks begegnet werden.
Umweltprüfung in der Fischerei
• Entwicklung und Umsetzung von Raumplanung u. a.
als Fischerei-Managementwerkzeug (§ 6):
Mit der Entwicklung und Umsetzung einer Raumplanung sollen unter anderem Fischbestände geschützt werden können. Mit der jüngsten Novelle
des Raumordnungsgesetzes wurden die Grundlagen für eine Raumordnung in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) geschaffen, was
angesichts zukünftiger neuer konkurrierender Nutzungsarten auch notwendig ist. Traditionell wurden
die Meere u. a. durch die Schifffahrt, die Fischerei
und das Militär genutzt. Windparks sind als neue
Nutzung zu berücksichtigen. Weitere Flächenansprüche bestehen im Naturschutz, da u. a. zum
Schutz der biologischen Vielfalt rund 30 Prozent
der Fläche in der deutschen AWZ in der Nordsee
unter Schutz gestellt werden sollen und teilweise
schon gestellt sind.
• Umweltprüfung neuer Fischereien sowie strategische Umweltprüfung von Fischereiplänen und Fischereiprogrammen (§ 8):
Zur Anwendung des Ökosystemansatzes ist es wichtig zu wissen, wie Fischereipläne und ‑programme
sich auf das Ökosystem auswirken, das ja gleichzeitig Grundlage der Fischerei ist. Diese Maßnahme
erfolgt auf freiwilliger Basis.
• Erarbeitung von Leitlinien einer Umweltprüfung zur
Abschätzung der Auswirkungen der Fischerei auf
Ökosysteme bis 2010 (§8 ):
Die hier geforderten Leitlinien sollen dazu dienen,
die für die Fischerei spezifischen Anforderungen
einer Umweltprüfung zu formulieren, um bei der
Abschätzung der Auswirkungen der Fischerei auf
die Ökosysteme zu vergleichbaren Ergebnissen zu
kommen.
Europäische Meeresschutzpolitik
Marine Schutzgebiete und Geschlossene Gebiete
soll bis 2007 auf seine Wirksamkeit untersucht und
gegebenenfalls nachjustiert werden.
• Einbeziehung der Fischereibehörden beim Management von Schutzgebieten (§ 9)
sowie
• Entwicklung eines Fischereimanagements für marine (Natur-)Schutzgebiete (§ 13):
• Forschung zur Quantifizierung der Effizienz unterschiedlicher Fangflotten sowie zur Korrelation
des Fischereiaufwands zur Fischereisterblichkeit
(§ 16):
Bis 2010 soll ein effektiv geführtes Netzwerk von
Schutzgebieten im Rahmen des Helsinki-Übereinkommens und des OSPAR-Übereinkommens eingerichtet
werden. Sofern es den Schutzzielen nicht zuwider
läuft, kann in solchen Gebieten auch Fischerei ausgeübt werden. Deshalb sollen die Fischereibehörden in
das Management einbezogen werden. Um welche Fischereien es sich dabei handeln kann, muss für jedes
Schutzgebiet separat definiert werden, einschließlich
des dort zulässigen Umfangs der Fischerei.
• Ausweisung bis 2008 von geschlossenen Gebieten zur Bestandserholung sowie von temporär
geschlossenen Jungfisch-Schutzgebieten als Management-Pilotprojekte (§ 11 & BD 31; § 12 & BD
23/24):
Ausreichend große und genügend lange geschlossene Gebiete sollen bis 2008 zur Unterstützung des
Wiederaufbaus erschöpfter Bestände eingerichtet
werden. Ebenfalls bis 2008 soll die Möglichkeit der
vorübergehenden Schließung eines Gebietes zum
Schutz von Jungfischbeständen („real time closure“)
untersucht werden.
Reduzierung des Fischereidrucks
• Regulierung des Fischereiaufwandes (derzeit beim
Kabeljau) auch bei anderen Fischereien (z.B. Plattfisch) (§ 14):
Der Fischereiertrag wird üblicherweise über die
Quote und den „total allowable catch“ reguliert. Im
Falle der erschöpften Kabeljaubestände der Nordsee wird – insbesondere im Fall von Überkapazitäten
der Fangflotte – zusätzlich auf eine Beschränkung
des Fischereiaufwandes durch eine Begrenzung der
Fangtage zurückgegriffen. Dies soll gegebenenfalls
auf andere Fischereien übertragen werden.
• Evaluierung der Effizienz des Kabeljau-Wiederauffüllungsplans bis zum Jahre 2007 (§ 15):
Der Kabeljau-Wiederauffüllungsplan ist auf fünf bis
zehn Jahre angelegt, je nachdem wie die Erholung
voranschreitet. Sein Ziel ist die Vergrößerung des
Laicherbestandes um 30% pro Jahr. Das Programm
Die Fängigkeit von Fischereigerät ist unterschiedlich, was bei einer Beschränkung des Fischereiaufwandes durch eine Begrenzung der Fangtage zu
berücksichtigen ist. Von daher sind Erkenntnisse
über die Effizienz von Fangflotten unterschiedlichen
Typs unerlässlich.
Rückwürfe unerwünschter Fänge
• Untersuchung der Auswirkungen von Rückwurfverboten im Rahmen eines Pilotprojektes bis 2008 (§ 20):
Die Auswirkungen des norwegischen Rückwurfverbotes sollen untersucht werden und bei Erfolg zu einer
Ausweitung des Verbots führen. Ein solches Verbot
könnte sich gegebenenfalls auf die Populationen von
Sandaal und Stintdorsch günstig auswirken, weil dadurch der Umfang der so genannten „Industriefischerei“ verringert werden könnte.
• Bericht über Möglichkeiten das „high-grading“ zu
verbieten (fällig 2008) (§ 21 & BD 27):
Beim „high-grading“ wird wirtschaftlich wenig lukrativer Fisch zu Gunsten eines wertvolleren Fangs zurückgeworfen, was der zurückgeworfene Fisch meist
nicht überlebt und was mit einer nachhaltigen Bewirtschaftung nicht vereinbar ist.
• Erfassung von Fanggröße und -zusammensetzung
sowie von Rückwürfen und Beifang als Eckwerte für
den Ökosystemansatz (§ 18):
Beobachterprogramme und Überwachung müssen
funktionieren, um Bedingungen für Erholungsprogramme und deren Auswirkungen auf das Ökosystem bewerten zu können.
Abfall auf See und Geisternetze
• Anlandung aufgefischten Mülls als Beitrag zur Reduzierung der Müllbelastung der See sowie „fishing for
litter“-Aktivitäten (§ 22):
Beim Fischen geht nicht nur Fisch ins Netz sondern
manches Mal auch Müll. Durch Anlandung dieses
Mülls können Fischer dazu beitragen, die Meere
33
34
Europäische Meeresschutzpolitik
sauber zu halten. Vorbedingung ist aber eine kostenlose Annahme des Mülls im Hafen. Hier sind somit
die Küstenbundesländer bzw. deren Hafenbehörden
gefordert. Das „fishing for litter“ ist eine Aktivität, die
u. a. in den Niederlanden durchgeführt und mit Projektmitteln bzw. durch Sponsoren unterstützt wird.
• Meldepflicht bei Verlust von Fanggeschirr (§ 23):
sowie
• Programm zur (elektronischen) Markierung bzw.
Identifizierung von Fanggeschirr, um Bergung zu ermöglichen (§ 24):
Die Fischerei kann durch den Verlust von Fanggeschirr zur Belastung des Meeres beitragen. Verlorene
Netze können nämlich unter Umständen als „Geisternetze“ weiterhin fängig sein und sich somit auf besondere Weise nachteilig auf das Ökosystem auswirken.
Dem soll durch die Meldepflicht bei Verlust begegnet
werden. Die elektronische Markierung des Fanggeschirrs soll zudem das Wiederauffinden verlorenen
Fanggeschirrs erleichtern.
• Abschätzung der Auswirkungen von „Geisternetzen“
auf die Meeresumwelt (§ 25):
Die Minister haben sich darauf verständigt, die ökologischen Auswirkungen von „Geisternetzen“ abschätzen zu lassen. Auch hierfür ist die Meldung des Verlusts von Fischereigeschirr eine Grundvoraussetzung.
Marine Aquakultur
Konsum verwendet, sondern zu Fischmehl verarbeitet
werden. Wie oben ausgeführt, sind die Populationen
dieser beiden Arten in der Nordsee rückläufig. Vor
diesem Hintergrund würde die Entwicklung alternativen Futters auf Pflanzenbasis wie auch das oben
bereits angesprochene Rückwurfverbot zur Erfüllung
dieser beiden Forderungen beitragen.
• Berücksichtigung des Schutzes von Wildbeständen
bei der Platzierung von Lachs- und Kabeljau-Käfigen
(§ 29):
Wie bereits im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsprüfung für neue Aquakulturanlagen angesprochen, lässt es sich nicht immer vermeiden,
dass Zuchttiere aus der Käfighaltung entkommen.
Insofern sollte eine Nähe zu Wildpopulationen vermieden werden, um der genetischen Veränderung
von Wildpopulationen durch Zuchttiere vorzubeugen.
Fischereiaufsicht und Durchsetzung
von Fischereiregelungen
• Verbesserung der Fischereiaufsicht sowie bessere
Vergleichbarkeit des Vorgehens (§ 31):
Diese Forderung wird einerseits durch die neu geschaffene Europäische Fischereiaufsichtsagentur
und andererseits auf nationaler Ebene umgesetzt
werden müssen.
• Umweltverträglichkeitsprüfung für alle Neueinrichtungen mariner Aquakultur (§ 26):
• Forderung, das Anlanden illegal gefischten Fischs
durch Hafenstaat/Flaggenstaat-Maßnahmen zu unterbinden (§ 33):
Die marine Aquakultur kann die Meeresumwelt belasten zum Beispiel durch Futter- und Medikamentenrückstände und Kot oder dadurch, dass Zuchtfische
aus der Käfighaltung entkommen und sich mit der
Wildpopulation vermischen. Solche potentiellen Belastungen müssen im Zusammenhang mit den Umweltbedingungen am geplanten Standort vor der Neueinrichtung einer marinen Aquakultur berücksichtigt
werden, um deren Eignung oder Nichteignung ermitteln zu können.
Diese Forderung ist insofern problematisch, als die
vorhandenen juristischen Voraussetzungen in den
Anrainerstaaten sehr unterschiedlich sind und diese
Forderung daher von den Staaten nicht gleichförmig
umgesetzt werden kann. So können Einlaufverbote
für Fischereifahrzeuge, die illegal gefangenen Fisch
anlanden wollen, nicht von allen Staaten ausgesprochen werden, weil die gesetzlichen Grundlagen fehlen.
• Futterbedarf der Aquakultur darf nicht zur Überfischung von „Futterfisch“ führen (§ 27):
sowie
• Entwicklung alternativen Futters insbesondere auf
Pflanzenbasis sowie auf Basis von Fischabfällen aus
kommerziellen Anlandungen (§ 28):
Das in der Aquakultur benutzte Futter basiert bislang
weitgehend auf Fischarten wie dem Sandaal und dem
Stintdorsch, die nicht für den direkten menschlichen
• Maßnahmen, um Sanktionen vergleichbarer zu machen (§ 36):
Bei diesen Maßnahmen geht es darum, dass die
Strafverfolgungsbehörden der Anrainerstaaten sich
über ihre jeweiligen Möglichkeiten austauschen. Dazu
gehört, die jeweiligen Voraussetzungen für eine Strafverfolgung kennen zu lernen und sich andererseits
über die Strafhöhen auszutauschen mit dem Ziel zu
einem einheitlicheren Vorgehen bei Regelverstößen
in der Fischerei zu kommen.
Europäische Meeresschutzpolitik
Der vollständige Text der Göteborg-Deklaration vom
Mai 2006 steht derzeit nur in englischer Sprache zur
Verfügung. Er kann von der Website www.sweden.
gov.se/northseaconference als PDF-Datei heruntergeladen werden. Die an einigen Stellen ebenfalls zi-
Anschrift des Verfassers:
Dr. Hans-Georg Neuhoff
Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Referat Meeresumweltschutz
Robert-Schuman-Platz 3
53175 Bonn
tierte Bergen-Deklaration vom März 2002 steht auf
der Website www.regjeringen.no/nb/dep/md/dok/
rapporter_planer/rapporter/2002/T-1410-BergenDeclaration.html?id=420161 als PDF-Datei zur Verfügung.
35
Europäische Meeresschutzpolitik
Ergebnisse der Nordsee-Ministerkonferenz zu den
Umweltauswirkungen von Schifffahrt und Fischerei
Göteborg, 4. und 5. Mai 2006 - Themenbereich Schifffahrt
Results of the North Sea Ministerial Conference on Environmental
Impacts of Shipping and Fisheries, Gothenburg, 4-5 May 2006
„Shipping“ part
Monika Breuch-Moritz
Zusammenfassung
Der zweite Tag der Konferenz in Göteborg war der
weiteren Verbesserung des Schutzes der Nordsee vor
den Auswirkungen der Schifffahrt gewidmet. Erstmals
waren daher auch die Verkehrsminister ausdrücklich
zu einer Nordseeschutzkonferenz eingeladen worden.
Deutschland wurde in diesem Teil durch die Parlamentarische Staatssekretärin des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Frau Karin Roth, vertreten. Die fachliche Vorbereitung wurde
von Frau Petra Bethge (Referat LS 24) geleistet.
Frau PSts´in Roth hob besonders hervor, dass die
Seeschifffahrt nicht zu den Hauptverursachern der
Verschmutzung der Meere gehöre und im Vergleich
zu anderen Verkehrsmitteln in vielem eine deutlich
bessere Umweltbilanz vorweisen könne. Dennoch sei
es für eine moderne Verkehrspolitik selbstverständlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Belastungen für die Umwelt weiter zu reduzieren.
Frau PSts´in Roth konnte durchsetzen, dass sich die
Nordseeanrainerstaaten der deutschen Strategie
zur Überarbeitung der internationalen Luftreinhaltevorschriften in MARPOL Anlage VI (insbesondere
Senkung der Schwefel- und Stickoxidwerte) in der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) anschließen und diese dort unterstützen. Sie erreichte
z.B., dass die Nordseeanrainer sich bei der IMO gemeinsam für eine Senkung der Stickoxid-Grenzwerte
um mindestens 40 % einsetzen werden.
Darüber hinaus lag der inhaltliche Schwerpunkt des
Schifffahrtsteils auf dem so genannten „Clean Ship
Concept“. Mit der Entwicklung von Anreizsystemen
soll die Berücksichtigung von Umweltbelangen über
den gesamten Lebenszyklus eines Schiffes und so
auch der Einsatz besonders innovativer, umweltfreundlicher Technologien gefördert werden.
Hervorzuheben ist, dass die vereinbarten Maßnahmen zur Verbesserung der durch die Seeschifffahrt
verursachten Umweltbeeinträchtigungen gemeinsam
mit den anderen Nordseeanrainerstaaten in der IMO
vorangebracht werden sollen und nicht auf regionaler Ebene. Nur dadurch können Vorschriften für die
Schifffahrt weltweit verbindlich geregelt werden und
alle Flaggenstaaten binden. Dies ist nicht nur für den
Umweltschutz sondern auch für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Schifffahrt unerlässlich.
Summary
The second day of the Gothenburg Conference focused on better protection of the North Sea environment against the impacts of shipping. For the first
time, therefore, the Ministers of Transport had been
expressly invited to attend an international conference on the protection of the North Sea. In this part
of the Conference, Germany was represented by Ms.
Karin Roth, Parliamentary State Secretary at the Federal Ministry of Transport, Building and Urban Affairs
(BMVBS). The technical conference preparations had
been made by Ms. Petra Bethge (section LS 24).
Parliamentary State Secretary Karin Roth emphasized that shipping was not the main source of marine pollution but, in comparison with other means of
transport, had a clearly better environmental balance
sheet in many respects. Nevertheless, within the
framework of modern transport policy, all endeavours
would of course be made to further reduce environmental pollution.
37
38
Europäische Meeresschutzpolitik
Parliamentary State Secretary Karin Roth succeeded
in convincing the North Sea states of the German approach in revising the international clean air regulations
in MARPOL, Annex VI, especially with regard to the reduction of sulphur and NOx, and secured their support
within the International Maritime Organization (IMO).
For example, at IMO, all North Sea states will jointly vote
for a reduction of NOx limit values by at least 40 %.
Another focus of the „shipping“ part of the Conference was the „Clean Ship Concept“, which involves
the development of incentives for the use of cleaner,
Der zweite Tag der Konferenz in Göteborg war der
weiteren Verbesserung des Schutzes der Nordsee vor
den Auswirkungen der Schifffahrt (also dem „Ship������
ping“�����������������������������������������������
-Teil) gewidmet. Erstmals waren daher auch die
Verkehrsminister ausdrücklich zu einer Nordseeschutzkonferenz eingeladen worden. Die Vorbereitung wurde
in einem eigenen Arbeitskreis – IGSS – in erster Linie
von den Vertretern der Verkehrsressorts geleistet.
Deutschland wurde in diesem Teil der Konferenz
durch die Parlamentarische Staatssekretärin des
innovative technologies throughout the working life
of a vessel in order to improve its environmental performance.
It should be noted that the agreed measures to reduce the environmental impacts of shipping will be
implemented jointly with the other North Sea States
within IMO, not on a regional level. This ensures that
such regulations apply to shipping worldwide and
are binding for all Flag States. This not only benefits
the environment but is also indispensable to ensure
the competitiveness of European shipping.
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Frau Karin Roth, vertreten. Die
fachliche Vorbereitung hat Frau Petra Bethge (Referat
LS 24) geleistet. Zu den Teilnehmern der Konferenz
gehörte natürlich auch Prof. Dr. Peter Ehlers, Präsident des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH).
Zunächst zu den Ergebnissen (dargestellt in Abb. 1)
– einige aus dem Bereich der Schifffahrt wurden bereits erwähnt:
Referat LS 24
M inisterkonferenz zum S chutz der N ordsee
4. -5. M ai 2006, G öteborg
hier:
-
E rgebnisse S chifffahrt =„ships“
clean ship approach
U m setzung des B allastw asserübereinkom m ens
W artung von D oppelhüllentankern
R egeln zum ship to ship transfer von Ö l
Z usam m enarbeit bei Ü berw achung und V erfolgung von
V erstöß en
S chw erpunkt: Revision MARPOL VI –
R eduktion der E m issionen aus M otoren
=> gem einsam e Initiative in der IM O !
1
Abb. 1: Ergebnisse der Nordsee-Ministerkonferenz
Europäische Meeresschutzpolitik
Einen wesentlichen inhaltlichen Schwerpunkt bildete
das so genannte „Clean Ship Concept“. Mit der Entwicklung von Anreizsystemen soll die Berücksichtigung von Umweltbelangen über den gesamten Lebenszyklus eines Schiffes und so auch der Einsatz
besonders innovativer, umweltfreundlicher Technologien gefördert werden. Dahinter steckt der Gedanke,
dass ein Versender von Waren künftig die Möglichkeit
haben soll, die umweltfreundlichste Transportart auswählen zu können. Manche Firmen praktizieren das
bereits jetzt – IKEA ist bekannt dafür, aber auch BP
macht Werbung mit besonders hohen Umweltanforderungen an ihre Öltransporte. Die Wirkung auf den
Kunden ist ein Aspekt. Daneben gilt es jedoch, nach
weiteren Methoden zu suchen, die wirtschaftliche
Anreize für besonders umweltfreundliche Schiffe bieten. Wichtig in diesem Zusammenhang ist: solche
Anreizsysteme – von Vereinfachungen bei der Hafenstaatkontrolle angefangen bis hin zu gestaffelten Gebühren – müssen möglichst weltweit, mindestens aber
für im Wettbewerb stehende Regionen abgestimmt,
entwickelt und eingeführt werden, um einseitige Belastungen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Entsprechende Initiativen sollen gemeinsam in
die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO)
eingebracht werden.
Eine Arbeitsgruppe unter der Führung von Norwegen
und den Niederlanden wird entsprechende umweltgerechte Kriterienkataloge entwickeln.
Technisch ist Deutschland auf dem Gebiet des Umweltschutzes in der Schifffahrt ohnehin führend und
deutsche Werften bauen Schiffe, die auch den künftigen Anforderungen gerecht werden können – sofern
auch die Wettbewerbsseite angemessen berücksich­
tigt wird und keine einseitigen Belastungen z.B. nur auf
deutsche Schiffe oder deutsche Häfen zukommen.
Weitere Themen stehen mit dem Clean Ship Approach
in direktem Zusammenhang:
• Über die Ballastwasserkonvention werden wir morgen noch mehr hören. In der Göteborgkonferenz
wurde u.a. vereinbart, die Entwicklung solcher neuen Technologien zu unterstützen, die geeignet sind,
die hohen Anforderungen an die Qualität von Ballastwasser zu erfüllen.
• Die Deklaration befasst sich außerdem mit Aussagen zur Vermeidung von Abfall, zur Verbesserung
der Akzeptanz von Hafenauffanganlagen, zur Erweiterung des Übereinkommens zu TBT-haltigen
Schiffsanstrichen auf weitere schädigende Chemikalien, zur Unfallverhütung und vielen anderen Themen, die alle in der IMO behandelt werden.
• Ein weiterer wichtiger Aspekt wurde in einer eigenen Arbeitsgruppe vertieft: die Überwachung auf
Verschmutzung und die Intensivierung der Zusammenarbeit bei der Verfolgung von Verstößen, insbesondere um das illegale Einleiten von Öl besser in
den Griff zu bekommen.
• Weitere Beschlüsse greifen die Problematik der Öltransporte auf: Nachdem das Ende der Einhüllentanker absehbar ist, muss man sich bewusst machen, dass Doppelhüllentanker nicht die Lösung
aller Probleme sind. Deshalb besteht Einigkeit, dass
neben einer intensiven Qualitätskontrolle von Einhüllentankern (so lange sie noch in Betrieb sind) auch
eine gründliche Wartung von Doppelhüllentankern
entwickelt werden muss.
• Neue Probleme, die durch das Verbot der Einhüllen­
tanker in europäischen Gewässern verstärkt wurden,
entstehen beim Umladen von Öl auf See außerhalb
der Hoheitsgewässer von einem Schiff ins andere –
„ship to ship transfer“ genannt. Auch hier bedarf es
der Entwicklung und Verschärfung von Regelungen.
Eine Bemerkung: manche Länder (z.B. Dänemark)
machen durchaus lukrative Geschäfte damit.
Den Hauptschwerpunkt der Konferenz und insbesondere unserer aktuellen Umweltpolitik in der Seeschifffahrt stellt aber die Reduktion der Emissionen durch
Schiffe in die Luft dar.
Durch die lange Lebensdauer und Fahrzeit von Schiffen sowie den Gebrauch von Schweröl in der Seeschifffahrt sind Maßnahmen zu Emissionssenkungen
aus Schiffsmotoren erst im letzten Jahrzehnt wirksam
geworden. Deutschland hatte hier eine wichtige Vorreiterrolle inne und setzte sich erfolgreich für eine erstmals weltweite Begrenzung des Schwefelgehaltes in
Schiffstreibstoffen ein. An diesem Thema zeigt sich,
dass die Arbeit in der IMO sehr erfolgreich sein kann.
So ist die Anlage VI von MARPOL 2005 in Kraft getreten, und in der IMO besteht bereits Einigkeit darüber,
diese Anlage weiter zu verschärfen. Im Zusammenhang damit wurde die Ostsee zum Schwefelüberwachungsgebiet (SECA- Sulphur Emission Control Area)
erklärt. Dies ist seit Mai 2006 wirksam. Die Regeln für
die SECA Nordsee werden 2007 in Kraft treten.
Vor allem die Ostseeanrainer, aber auch die Nordseestaaten haben ein großes Interesse an der Senkung
der Schwefelemissionen und Stickoxide. Dennoch
gab es in Göteborg sehr unterschiedliche Auffassungen zwischen den Ländern. Unsere Parlamentarische Staatssekretärin Frau Roth hat sich gerade
für diesen Punkt in einem engagierten „Kampf“ eingesetzt und sich letztlich auch durchsetzen können.
Wie mir von Teilnehmern berichtet wurde, hat sie in
39
40
Europäische Meeresschutzpolitik
intensiven Einzelgesprächen mit allen anwesenden
Ministern Überzeugungsarbeit geleistet und für anspruchsvollere Ziele geworben:
So konnte Frau PSts´in Roth durchsetzen, dass sich
die Nordseeanrainerstaaten der deutschen Strategie
zur Überarbeitung der internationalen Luftreinhaltevorschriften in MARPOL Anlage VI (insbesondere
Senkung der Schwefel- und Stickoxidwerte) in der
IMO anschließen und diese dort unterstützen. Damit werden sich die Nordseeanrainer bei der IMO
gemeinsam für eine Senkung der Stickoxid-Grenzwerte um mindestens 40 % einsetzen. Dieser Wert
wurde zuvor insbesondere vom Vereinigten Königreich (UK) – aber auch von Frankreich und Belgien –
abgelehnt. Die tatsächliche Einigung wurde bei der
Abstimmung am zweiten Tag erreicht, als sich dann
auch die genannten Staaten schließlich fast „genö­
tigt“ sahen, zuzustimmen.
Ich habe schon mehrfach betont, dass die vereinbarten Maßnahmen zur Verbesserung der durch
die Seeschifffahrt verursachten Umweltbeeinträchtigungen gemeinsam mit den anderen Nordseeanrainerstaaten in der IMO vorangebracht werden sollen
und nicht auf regionaler Ebene. Der Grund ist: nur
dadurch können Vorschriften für die Schifffahrt weltweit verbindlich geregelt und alle Flaggenstaaten
eingebunden werden. Dies ist nicht nur für den Um-
weltschutz, sondern auch für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Schifffahrt unerlässlich. Ohne
Bindung der Flaggenstaaten aus anderen Regionen
können auch keine Fortschritte für die Umwelt erzielt
werden.
Die Bevorzugung der IMO ist keine Europafeindlichkeit sondern die Konsequenz aus der Tatsache,
dass Schiffe weltweit fahren und Schiffe aller Nationen bzw. Flaggenstaaten auch zu uns kommen.
Auf Seeschiffe zu verzichten ist undenkbar – gerade
Deutschland als Exportweltmeister ist für den Erhalt
seiner Wirtschaft notwendig auf dieses Transportmittel angewiesen.
Erst seit den Unfällen von Erika und Prestige hat die
EU die Schifffahrt „entdeckt“ – und in einigen Fällen drängt sich eher der Eindruck auf, dass einige
Staaten großes Interesse daran hatten, aus innenpolitischen Gründen durch pressewirksame Aktivitäten
von ihrer eigenen Verantwortung im Zusammenhang
mit diesen Unfällen abzulenken (z.B. durfte die Prestige nicht einlaufen sondern wurde – entgegen dem
Rat des Kapitäns und aller Experten – aufs Meer geschleppt, mit den bekannten Folgen). Seither erarbeitet die EU-Kommission immer wieder neue Richtlinien
oder Verordnungen, oft zu Themen, die in der IMO
oder in anderen Gremien bereits behandelt werden,
und erzeugt damit Doppelarbeit.
Referat LS 24
Begrenzung der Emissionen aus Motoren von Schiffen
MARPOL VI – Regelungen in
IMO:
In Krafttreten
MARPOL VI
EU
Ziele von Göteborg
für Revision Anlage VI
und NOx Techn. Code
Schwefel in
Schiffskraftstoffen
weltweit < 4,5 % m/m
19. 05. 2005
=
im S chw efelüberw achungsgebiet
- O stsee: < 1,5 % m /m
19. 05. 2006
11. 08. 2006
V erschärfung
- N ordsee: < 1,5 % m /m
22. 11. 2007
11. 08. 2007
„
Grenzwert für Stickoxide
19. 05. 2005
=
V erbot von O zonschichtschädigenden S ubstanzen (C F C ´s
und H alone)
19. 05. 2005
=
- w eitere V erschärfung
- w eitere S E C A s
(Ü berw achung durch IM O )
S enkung um m ind. 40%
..
V erschärfung
w eitere S enkung in H äfen
EU-Schwefelemissionsrili:
B egrenzung der S chw efelem issionen
von S chiffen in H äfen < 0. 1% m /m
01. 01. 2010
Abb. 2: MARPOL VI
2
Europäische Meeresschutzpolitik
Aus Abbildung 2 wird deutlich: bei der Änderung der
Schwefelemissionsrichtlinie hat die EU u.a. die Inkrafttretenszeiten für die Schwefelüberwachungsgebiete noch
einmal geregelt – mit von IMO-Beschlüssen abweichenden Zeiten – die nur die Umsetzung erschweren.
Eine Bemerkung: anders als die Fischerei, die im
Wesentlichen in EU-Kompetenz fällt, steht die Schifffahrt im direkten Wettbewerb mit Flaggen aus DritteWelt-Ländern oder muss auch Vorgaben aus Häfen
in Ostasien berücksichtigen. Dennoch wurde die Fischerei in der EU selbst bei der Entwicklung der EUMeeresschutzstrategie praktisch ausgeklammert.
Warum IMO?
IMO-Übereinkommen orientieren sich an der Machbarkeit. Dort sind Praktiker und Fachleute aus allen
relevanten Bereichen von Anfang an eingebunden,
die auch die praktische Umsetzbarkeit zum Ziel haben. Dadurch werden diese Übereinkommen später
von fast allen Ländern gezeichnet und treten in Kraft.
So ist selbst bei kleineren Schritten weltweit oft ein
größerer realer Fortschritt – gerade auch für die Umwelt - erreicht, als überaus anspruchsvolle Übereinkommen (siehe Umwelthaftung u.ä.), die aber in der
Schublade liegen bleiben und so gar nichts verbessern. In der EU werden die Verhandlungen oft unter ungeheurem Zeitdruck von Regierungsvertretern
oder Botschaftsangehörigen geführt, die nicht so tief
im Thema stecken können – die Ergebnisse sind dann
entsprechend. Auch werden von EU-Regelungen nur
europäische Flaggenstaaten gebunden – die Gefahr
der Ausflaggung ist jederzeit gegeben.
Ein praktischer Vorteil in der IMO ist darüber hinaus: es
werden direkt die Interessen zwischen Schifffahrt und
Umwelt ausbalanciert – bei der EU kommt es dagegen
oft zu „Paketlösungen“, in Gegengeschäften werden
u. U. wichtige Umweltanliegen gegen Zugeständnisse
in völlig anderen Politikfeldern ausgespielt.
Und noch ein Punkt: Die EU-Kommission verfolgt oft
Eigeninteressen, z.B. um bestimmte Kompetenzen
an sich zu ziehen. So hat die EU-Kommission bereits
mehrfach nachweislich Umweltfortschritte behindert
und wichtige, Erfolg versprechende Submissionen
an die IMO von EU-Mitgliedstaaten mit Drittstaaten
unterbunden, da die Kommission die Kompetenz für
das Thema reklamieren wollte. In der IMO gibt es
keine eigenen derartigen Gremien, dort verhandeln
ausschließlich die Mitgliedstaaten.
Diese Blockbildung der EU-Staaten wird von anderen Mitgliedstaaten der IMO daher mit Irritation
beobachtet und führt zunehmend dazu, dass es
auch zu anderen Blockbildungen kommt, die gegen
die EU-Staaten gerichtet sind. Dies ist ein weiterer
Hemmschuh auf dem Weg zu besseren international
gültigen Vorschriften. Die Verlagerung der Umweltprobleme – z.B. in andere Regionen – sollte nicht unser Ziel sein.
Dieses Anliegen gilt auch für die Wahl der Verkehrsmittel: Verkehr wird nie ohne Auswirkungen
auf die Umwelt stattfinden können. Es muss also
um die Minimierung negativer Auswirkungen gehen. Daher muss die Frage nach den Alternativen
gestellt werden:
Referat LS 24
CO2 - Emissionen der Verkehrsträger
⇒ Geringster Treibhausgasausstoß bei der Seeschífffahrt
(gemessen an Ladung und Strecke)
Containerschiff (4.800 TEU)
0,119
Hapag-Lloyd
Barge / Feeder (400 TEU)
Rail (80 TEU)
(kg/TEU/km)
TEU =Twenty Feet equivalent Unit
0,477
0,673
2,296
Truck (2 TEU)
Quelle: Institut für Energie und Umwelt (IFEU), Heidelberg 2002
6
Abb. 3: Co2-Emissionen verschiedener
Verkehrsträger
41
42
Europäische Meeresschutzpolitik
Abbildung 3 zeigt beispielhaft, dass die Seeschifffahrt gemessen am Transportaufkommen deutlich
geringere CO2-Emissionen zu verzeichnen hat, als
andere Verkehrsträger. Die Seeschifffahrt zu verteufeln oder deutlich zu erschweren, kann zu Umgehungstrategien führen, die am Ende in der Summe eine größere Verschmutzung zur Folge haben
könnten. Dies ist ein Punkt, der auch unserer Staatssekretärin in Göteborg wichtig war: Frau PSts´in
Roth hob besonders hervor, dass die Seeschifffahrt
nicht zu den Hauptverursachern der Verschmutzung der Meere gehöre und im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln in vielem eine deutlich bessere
Umweltbilanz vorweisen könne.
Dennoch ist es für die Verkehrspolitik der Bundesregierung selbstverständlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Belastungen für die Umwelt weiter
zu reduzieren – und dieses tun wir auch. Regelungen
sind vorhanden oder auf gutem Weg, es gibt Vorschriften für die Kontrolle zur Einhaltung der Regeln,
die Verfolgung und Ahndung von Verstößen, Haftung
und Wiedergutmachungsfonds, die laufend weiter
entwickelt werden. Ich bitte aber auch um Verständnis, wenn nicht alle noch existierenden Probleme auf
einmal gelöst werden können und die praktische Umsetzbarkeit in der Wirtschaft und nicht zuletzt in den
Verwaltungen mit berücksichtigt werden muss.
Zum Abschluss möchte ich mit der Karte des Gebietes der Nordseeschutzkonferenz zeigen, dass
außer den Meeresgebieten auch die Einzugsgebiete
der Flüsse, die Material in die Nordsee transportieren,
eine wichtige Rolle spielen. Und diese landseitigen
Eintragungen – aus Landwirtschaft, Siedlungen und
Industrie – sind unbestritten noch immer die Hauptverursacher der meisten Meeresverschmutzungen
– nicht die Schifffahrt.
Abb. 4: Karte des Nordseeschutzgebietes
Anschrift der Verfasserin:
Monika Breuch-Moritz
Referatsleiterin im
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Referat WS 24
Robert-Schuman-Platz 1
53175 Bonn
Marine Raumplanung
und IKZM
Marine Raumplanung und IKZM
Raumordnungsplan für die deutsche ausschließliche
Wirtschaftszone (AWZ)
Spatial planning in the German Exclusive Economic Zone (EEZ)
Ludger Molitor
Zusammenfassung
Summary
Die in jüngster Zeit stark gestiegene Nutzungsvielfalt
des Meeresraumes mit ihren jeweiligen Ansprüchen
erhöht den Druck auf die Meere und Küstenräume
und führt zu häufigen Nutzungskonflikten, insbesondere auch mit Natur- und Umweltanliegen. Zur Lösung der Nutzungskonflikte ist die Raumordnung ein
geeignetes Instrument. Mit der Raumordnung erfolgt
eine abwägende und vorausschauende Planung und
Lenkung der verschiedenen Nutzungsinteressen mit
dem Ziel, Konflikte frühzeitig zu erkennen und sie koordiniert einer nachhaltigen Lösung zuzuführen. Im
Rahmen eines transparenten Abwägungsprozesses
wird allen Beteiligten die Möglichkeit gegeben, ihre
Ansprüche und Vorstellungen in den Planungsprozess einzubringen.
There has been a strong increase in marine uses in
the recent past, and the different demands made on
the marine environment are putting pressure on the
oceans and coastal waters, which leads to frequent
conflicts of use, primarily with nature conservation
and environmental interests. Spatial planning is a
suitable tool for solving such conflicts of use. It balances and controls the different interests in order to
identify possible conflicts at an early stage, and coordinates them to find a sustainable solution. Within
the framework of a transparent planning process, all
stakeholders have an opportunity to present their
concepts and express their claims.
Mit der im Juli 2004 in Kraft getretenen Novellierung
des Raumordnungsgesetzes wurde dessen Anwendungsbereich auf die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) ausgedehnt und dem Bund erstmals
die Aufgabe übertragen, einen Raumordnungsplan
aufzustellen. In einem solchen Plan werden Ziele
und Grundsätze der Raumordnung einschließlich
Gebiete für einzelne Nutzungen festgelegt, die gesetzliche Bindungswirkungen für nachfolgende Projekte entfalten. Dies bietet potentiellen Investoren
Planungssicherheit.
Nach dem Raumordnungsgesetz erfolgt die Raumplanung in der AWZ durch Rechtsverordnung des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung. Die vorbereitenden Verfahrensschritte
werden vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) mit Zustimmung des BMVBS
durchgeführt.
Wenn man an der Küste steht und der Blick das Meer
bis zum Horizont erfasst, wirkt alles so unberührt,
unversehrt. Nicht ohne Grund verbinden wir mit den
Meeren das Gefühl der Freiheit. Doch diese grenzenlose Weite täuscht. Wenn man sich das Meer genauer
The amendment to the Spatial Planning Act, which
entered into force in July, 2004, extended its range
of application to the Exclusive Economic Zone and
required the Federal Government, for the first time,
to develop a spatial plan. A spatial plan defines the
goals and principles of spatial planning and specifies areas for the different planned uses, which are
legally binding for later projects. It provides planning
security to potential investors.
Under the Spatial Planning Act, spatial planning in
the EEZ is subject to an ordinance of the Federal Ministry of Transport, Building and Urban Affairs. Preparations for the procedure are made by Bundesamt für
Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), with consent
of the ministry.
ansieht, stellt man schnell fest, wie intensiv die Seegebiete vor den Küsten (Küstenmeer und AWZ) genutzt werden. Lässt man die abgebildeten Karten des
­CONTIS-Informationssystems auf sich wirken, dann
ist von Weite und Unberührbarkeit keine Rede mehr.
45
Abb. 1: Nordsee: sämtliche Nutzungen und Schutzgebiete
Quelle: CONTIS-Informationssystem
46
Marine Raumplanung und IKZM
Abb. 2: Ostsee: sämtliche Nutzungen und Schutzgebiete
Quelle: CONTIS-Informationssystem
Marine Raumplanung und IKZM
47
48
Marine Raumplanung und IKZM
Sehr schnell wird klar, dass es sich bei Nord- und
Ostsee um einen Wirtschaftsraum handelt. Und
dieser Wirtschaftsraum befindet sich in einer immer schneller werdenden Nutzungsentwicklung. In
einem anfangs kaum bemerkten, gegenwärtig aber
ganz deutlich werdenden Prozess haben sich die
klassischen Nutzungen wie Schifffahrt und Fischfang mehr und mehr intensiviert, und neue Nutzungen sind hinzugetreten: Prospektion von Erdöl
und Erdgas, Transportleistungen für diese Produkte,
Glasfaserkabel für Telekommunikation, Stromkabel
zum Transport elektrischer Energie, Abbau von
Sanden und Kies, Verklappung von Schlick aus
Fahrrinnen und Häfen, militärische Übungsgebiete,
Nationalparke, Naturschutzgebiete und Natura2000Schutzgebiete, Offshore-Windenergieanlagen. Und
es wird weitergehen mit submarinen Turbinen zur
Stromerzeugung aus Gezeitenströmungen, Marikulturen, künstlichen Inseln für Fabriken z.B. zur Wasserstoffproduktion und touristischen Nutzungen.
Damit einher geht die immer stärkere Verflechtung des terrestrischen und des marinen Raumes.
Beispiel hierfür ist die Stromgewinnung auf dem
Meer. Die Offshore-Windparks in der AWZ leiten
Ihren produzierten Strom durch die AWZ und das
Küstenmeer zu den Netzeinspeisungspunkten des
Höchst- oder Hochspannungsnetzes an Land. Um
den Transport zu den Verbrauchern zu gewährleisten, reichen die bestehenden Freileitungen nicht
mehr aus. Die Erweiterung ist schon beantragt
worden.
Die unterschiedlichsten Nutzungs- und Schutzinteressen stehen oft zueinander in Konkurrenz oder
schließen sich sogar aus. Fast alle Nutzungen sind
raumbezogen, d.h. es bedarf der Entscheidung,
welchen Nutzungsformen und welchen Interessen
für ein bestimmtes Gebiet der Vorzug zu geben ist.
Bislang fehlte es an übergreifenden, integrierenden
Planungs- und Entscheidungsansätzen. Alle traditionellen Nutzungen im Meer wie Schifffahrt, Fischerei, Deponiegebiete, bergbauliche Nutzungen und
militärische Übungsgebiete konnten in den zurückliegende Jahrzehnten nach sektoralen Fachplanungsgesetzen und Verordnungen geregelt werden.
Auch nach der bisherigen Rechtslage der Seeanlagen-Verordnung ist nur eine sektorale Abwägung
der beantragten Errichtung von Anlagen in der AWZ
mit den Interessen der Schifffahrt und der Umwelt
möglich, so dass Genehmigungen erteilt werden
müssen, soweit diesbezüglich keine Versagungsgründe vorlagen. Andere Nutzungsinteressen, z.B.
für wirtschaftliche oder Forschungszwecke, blieben
bislang unberücksichtigt.
Nach allem dürfte klar sein, dass die zunehmenden
Nutzungen in der AWZ durch eine umfassende abwägende und vorausschauende Planung und Lenkung
koordiniert und einer an Nachhaltigkeit orientierten
Lösung zugeführt werden müssen. Aus diesem
Grund bedarf die Entwicklung der ausschließlichen
Wirtschaftszone einer integrativen Betrachtungsweise. Dieses kann durch die Raumordnung geleistet
werden. Denn gerade das Raumordnungsgesetz hat
mit seiner Novellierung 1998 das Nachhaltigkeitsprinzip zur übergeordneten Leitvorstellung erhoben.
Damit war es umso verständlicher, dass der Ruf und
die Forderung nach einer marinen Raumplanung immer größer wurde. Initiiert durch die Ministerkonferenz für Raumordnung im Jahr 2001 haben sich die
Bundesregierung sowie die Landesregierungen geeinigt, auch für den Meeresbereich Raumordnungspläne aufzustellen.
Bevor ich nun auf die konkrete Raumplanung in der
AWZ komme, möchte ich Ihnen zunächst zum besseren Verständnis einige allgemeine Ausführungen
machen, wie die Raumordnung die Nutzung und die
Entwicklung des Raumes steuert.
Im deutschen Rechtssystem hat die Raumordnung
die Stellung einer übergeordneten Rechtsmaterie.
Sie hat Auswirkungen auf die Fachplanungen der
Bauleitplanung, der Verkehrsinfrastruktur, der Umwelt
etc., ohne jedoch selbst Teil dieser Fachplanungen zu
sein. Mit der Raumordnung erfolgt eine abwägende
und vorausschauende Planung und Lenkung der
vielfältigen Nutzungsinteressen mit dem Ziel, Konflikte frühzeitig zu erkennen und sie koordiniert einer
nachhaltigen Lösung zuzuführen. Dabei werden alle,
aber insbesondere die wirtschaftlichen Ansprüche
an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in
Einklang gebracht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass
die Raumentwicklung sich vor allem an ökologischen
Zielen zu orientieren hat. Der Schutz und die Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen stehen
gleichwertig neben der Aufgabe der Raumordnung,
die Standortvoraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen.
Umgesetzt wird dies mittels Aufstellung zusammenfassender, übergeordneter Raumordnungspläne und durch Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen. Die Raumordnungspläne
dienen der Konkretisierung von allgemeinen Grundsätzen zur Ordnung des Raumes; in ihnen werden
einzelne Ziele und Grundsätze der Raumordnung
für ein bestimmtes Gebiet konkret festgelegt. Die
Rechtswirkungen dieser Festlegungen verhelfen
Marine Raumplanung und IKZM
der Raumordnung letztendlich zu ihrer Bedeutung
in der Praxis: Denn die in einem Plan festgelegten
Ziele und Grundsätze der Raumordnung sind bei
nachfolgenden raumbedeutsamen Projekten zu berücksichtigen; zum Teil sind sie für diese sogar strikt
bindend. Mit anderen Worten: Wird später ein konkretes Projekt beantragt, so muss die Zulassungsbehörde den Antrag ablehnen, wenn die Festlegungen
im Raumordnungsplan entgegenstehen. Auf diese Weise kann die Raumordnung die Entwicklung
des Raums nachhaltig steuern; die Raumordnung
hat also in Deutschland für die einzelnen Fachplanungen und ihre konkreten Projekte nicht nur einen
empfehlenden, sondern einen rechtlich verbindlichen Steuerungscharakter. Diese Steuerung kann
die Raumordnung unter anderem deswegen erfolgreich umsetzen, weil sie aus ihrer – den einzelnen
Fachplanungen übergeordneter – neutralen Position
heraus gerade auch bei Konflikten zwischen zwei
fachplanerischen Nutzungsansprüchen frühzeitig
vermittelnd und akzeptanzfördernd wirken kann.
Die Raumordnungspläne für das gesamte Bundesgebiet
beinhalten Ziel- und Grundsatzaussagen einschließlich
konkreter Gebietsfestlegungen für einzelne Nutzungen.
Diese raumordnerischen Festlegungen können sehr
vielgestaltig sein und verschiedene Rechtsfolgen haben. Die Bandbreite reicht von allgemeinen Aussagen
(z. B., dass der Verkehr umweltverträglich, also emissions-minimiert zu erfolgen hat) bis hin zu konkreten
Festlegungen, dass einzelne Nutzungen in bestimmten
Gebieten ausgeschlossen werden, oder dass sie nur
in konkret benannten Gebieten stattfinden dürfen. Des
Weiteren können auch Gebiete von Planfestlegungen
bewusst freigehalten werden, um eine flexible Entwicklung des Raums zugunsten zukünftiger, heute noch
nicht konkretisierter Nutzungen zu sichern.
Auf Grund des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland obliegt die Raumordnung im Küstenmeer den deutschen Bundesländern Niedersachsen,
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Im Küstenmeer existieren zum Teil schon Raumordnungspläne, zum Teil werden sie zurzeit aufgestellt.
In der AWZ wurde mit der Novellierung des Raumordnungsgesetzes im Rahmen des EAG-Bau vom Juli
2004 die Rechtsgrundlage für eine Raumordnung
des Bundes in der deutschen AWZ geschaffen. Mit
dem neuen § 18a ROG wurde der Anwendungsbereich des Raumordnungsgesetzes auf die AWZ ausgedehnt. Dieses konnte nur durch eine ausdrückliche
gesetzliche Regelung erfolgen, da die AWZ nicht wie
das Küstenmeer zum Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zählt.
Ermöglicht wurde diese Ausdehnung durch das
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, das dem einzelnen Staat das Recht gibt, den
Geltungsbereich nationaler Gesetze auf das exterritoriale Gebiet der AWZ auszudehnen. Weiterhin
ermöglicht das SRÜ den Anrainerstaaten unter Beachtung der Freiheit der Meere, also insbesondere
die Nutzung für die freie Schifffahrt, die AWZ für
wirtschaftliche Nutzung und Ausbeutung in Anspruch zu nehmen.
Deshalb schreibt das Raumordnungsgesetz vor, dass
im Bereich der AWZ die Raumordnung innerhalb des
Rahmens des Seevölkerrechts erfolgt. Festzulegende
Ziele und Grundsätze müssen sich danach auf die
wirtschaftliche und wissenschaftliche Nutzung, auf
die Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit
der Seeschifffahrt sowie auf den Schutz der Meeresumwelt beziehen. Konkret bedeutet dies, dass
die internationale Schifffahrt sowie die Verlegung von
Rohrleitungen durch eine nationale Raumordnung
nicht eingeschränkt werden können. Deshalb können zum Beispiel die Hauptschifffahrtsrouten von
der Raumordnung nicht mit anderen Nutzungen über­
plant werden. Konkrete Gebietsfestlegungen z.B. für
das Militär sind dagegen nicht möglich.
Im Raumordnungsplan der AWZ kann der Bund genauso wie die Länder in ihren Raumordnungsplänen
an Land verschiedene Gebietstypen festlegen, nämlich Vorrang-, Vorbehalts- und Eignungsgebiete. Danach können Gebiete der AWZ als Vorranggebiete
bezeichnet werden, die für bestimmte Nutzungen
vorgesehen sind und andere, dem entgegenstehende Nutzungen ausschließen. Die Festlegung eines
Gebietes als Vorbehaltsgebiet bedeutet, dass bestimmten Nutzungen bei der Abwägung mit anderen
Nutzungen in diesem Gebiet ein besonderes Gewicht beigemessen werden soll. Mit der Festlegung
von Eignungsgebieten soll eine Nutzung auf diese
Gebiete beschränkt werden und an anderer Stelle
ausgeschlossen sein.
Auch wenn die Festlegung von Vorrang-, Vorbehaltsund Eignungsgebieten für bestimmte Nutzungen
Bindungswirkungen auf Zulassungsverfahren haben
kann, ist jedoch noch keine unmittelbare Entscheidung über die Zulassung von konkreten Projekten,
Vorhaben oder Maßnahmen getroffen worden. Diese Entscheidung ergeht in den Genehmigungsverfahren auf der Grundlage des jeweiligen Fachrechts
(z.B. Bundesberggesetz, Seeanlagenverordnung),
im Rahmen derer weitergehende Prüfungen, z.B. hinsichtlich der Umweltverträglichkeit, erforderlich werden können.
49
50
Marine Raumplanung und IKZM
Aber schon auf Planungsebene ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich. Nach dem geänderten Raumordnungsgesetz ist bei der Aufstellung
der Raumordnungsplanung eine Umweltprüfung
durchzuführen. Mit der Einführung einer förmlichen
Umweltprüfung wird die „Richtlinie über die Prüfung
der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme“ (2001/42/EG) umgesetzt. Diese stellt europaweit einheitliche Standards hinsichtlich Verfahren
und Inhalt einer in die Planaufstellung integrierten
Umweltprüfung auf. Dabei ist den öffentlichen Stellen
und der Öffentlichkeit frühzeitig und effektiv Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf des Raumordnungsplans und seiner Begründung sowie zum
Umweltbericht zu geben. In die Begründung zum
Raumordnungsplan ist eine zusammenfassende Erklärung aufzunehmen, wie Umwelterwägungen, der
Umweltbericht und wie die abgegebenen Stellungnahmen im Plan berücksichtigt wurden.
Die vorbereitenden Verfahrensschritte zur Aufstellung
der Ziele und Grundsätze der Raumordnung in der
ausschließlichen Wirtschaftszone, insbesondere die
Umweltprüfung und die Öffentlichkeitsbeteiligung,
werden vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in enger Abstimmung mit dem BMVBS
durchgeführt. Das BSH hat in den vergangenen Jahren bei der Bearbeitung von Zulassungsverfahren
für Pipelines, Windenergieanlagen sowie Strom- und
Telekommunikationskabel große Erfahrungen bei
der Durchführung von raumbedeutsamen Verfahren
sammeln können. Auch die vom BSH zusammen mit
dem BMVBS und dem BMU abgestimmten Verfahren
zur Festlegung von besonderen Eignungsgebieten
für Windkraftanlagen enthielten erste Elemente planerischer Gestaltung und können für die Raumplanung in der AWZ nutzbar gemacht werden.
Die Raumplanung in der AWZ erfolgt durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung unter Beteiligung der fachlich
betroffenen Bundesministerien. Im Einzelnen werden
nach Ermittlung der einzelnen Nutzungsansprüche an
die AWZ unter Beteiligung von sachverständigen Personen und Stellen Ziele und Grundsätze der Raumordnung aufgestellt, einschließlich der Festlegung von
Gebieten für einzelne Nutzungen. Das Verfahren beinhaltet die Beteiligung öffentlicher Stellen, der Öffentlichkeit, der Bundesländer sowie der Anrainerstaaten.
Die auf Grundlage der Seeanlagenverordnung bis zum
31. Dezember 2005 festgelegten besonderen Eignungsgebiete für Windkraftanlagen haben auch unter
dem geplanten Raumordnungsregime in der AWZ Bestand. Sie sind in den Raumordnungsplan als Ziel der
Raumordnung zu übernehmen und als Vorranggebiete
festzulegen. Dies gibt den Investoren in die OffshoreWindenergie die notwendige Planungssicherheit.
Um den Festlegungen des Raumordnungsplanes für
die AWZ bei der Genehmigung von Anlagen in der
AWZ Geltung zu verschaffen, wird im Rahmen des
laufenden Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung
maritimer Vorschriften eine so genannte Raumordnungsklausel in die Seeanlagenverordnung eingefügt.
Diese hat den Inhalt, dass bei der Genehmigung von
konkreten Projekten und Anlagen in der AWZ Ziele
der Raumordnung zu beachten und Grundsätze der
Raumordnung zu berücksichtigen sind.
Anfang 2005 fragten wir bei den potentiell in ihren
Belangen berührten Stellen (inkl. derjenigen der
Anrainerstaaten Niederlande, Großbritannien, Dänemark, Schweden und Polen) die bestehenden
und geplanten Nutzungen in der AWZ und in den
angrenzenden Gebieten ab und fertigten daraufhin
Karten, in denen diese bestehenden und geplanten
Nutzungen aufgenommen wurden. Danach erfolgten
bilaterale Abstimmungsgespräche mit den für die
Schifffahrt, die Umwelt, die Windenergiegewinnung
und den Meeresbergbau zuständigen Behörden.
Auf Grund der danach vorliegenden Kenntnisse
kamen wir überein, die tatsächlichen Hauptschifffahrtsrouten als (unantastbares) Gerüst in Form von
Vorranggebieten bei der Standortsuche nach Vorrang- und Vorbehaltsgebieten für andere Nutzungen
zugrunde zu legen. Nach jetziger Kenntnislage sind
Konflikte bei den einzelnen Nutzungsansprüchen
hauptsächlich zwischen den Interessen der Windenergiegewinnung und des Meeresumweltschutzes
zu erwarten.
Für die Umweltprüfung wird begleitend zur Erstellung
des Raumordnungsplans der Umweltbericht erarbeitet, welcher den Zustand des Meeres beschreibt und
die voraussichtlichen Auswirkungen der Nutzungsfestlegungen im Raumordnungsplan ermittelt und
bewertet. Der Untersuchungsrahmen des Umweltberichts wurde im Frühjahr 2005 unter Beteiligung der
in ihren Belangen berührten Behörden, der Umweltschutzverbände sowie der interessierten Öffentlichkeit festgelegt (Scoping).
Zurzeit werden der Entwurf des Raumordnungsplans
sowie der Umweltbericht erarbeitet.
Zu dem fertig gestellten Entwurf des Raumordnungsplans sowie zum Umweltbericht wird in der zweiten
Hälfte dieses Jahres ein umfassendes Beteiligungs-
Marine Raumplanung und IKZM
verfahren stattfinden. In diesem Zuge bekommen
sämtliche Behörden einschließlich derjenigen der
Anrainerstaaten Gelegenheit, zu der Raumplanung
Stellung zu nehmen. Ebenso wird ein Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren durchgeführt, in dem Nichtregierungsorganisationen, Natur- und Umweltschutzverbände, potentielle private Investoren in Projekte
auf See sowie interessierte Bürger Stellung nehmen
können.
Unter Berücksichtigung aller eingegangenen Stellungnahmen werden wir im Anschluss an das Beteiligungsverfahren eine umfassende, abschließende
Gesamtabwägung aller berührten Interessen und
Belange vornehmen und den endgültigen Raumordnungsplan mit seinen Ziel-, Grundsatz- und Gebietsfestlegungen entwickeln. Dieser soll im Jahr 2007 in
Kraft treten.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Inhalt
des Raumordnungsplans in der AWZ in Bezug auf
den Meeresumweltschutz sagen. Obwohl endgültige
Entscheidungen noch nicht getroffen sind, kann man
aber schon jetzt sagen, dass der Raumordnungsplan
umfassende Festlegungen zugunsten der Meeresum-
Anschrift des Verfassers:
Ludger Molitor
Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung
Invalidenstr. 44
10115 Berlin
welt enthalten wird. Diese werden – entsprechend der
jeweiligen Kennzeichnung – entweder die Rechtsqualität von Zielen oder von Grundsätzen der Raumordnung haben; sie werden daher bei nachfolgenden
Projektplanungen zu beachten bzw. zu berücksichtigen sein.
Festlegungen zugunsten des Meeresumweltschutzes
sollen in erster Linie durch Nebenbestimmungen
bei raumplanerischen Festlegungen für andere Nutzungen erfolgen. Dies entspricht dem quellenbezogenen Ansatz, den das SRÜ und auch das ROG
verfolgen.
Raumordnerische Gebietsausweisungen kommen
beim Meeresumweltschutz wie auch bei allen anderen Nutzungen nur dort in Betracht,
• wo nicht nur aus fachlicher sondern auch aus raumordnerischer Sicht die Notwendigkeit für eine Ausweisung besteht
• wo zur Entwicklung des Raumes die Gebietsausweisung einen Mehrwert zu bestehenden fachplanerischen Festlegungen hat und
• wo die raumordnerische Ausweisung eindeutig auf
fachliche Grundlagen gestützt werden kann.
51
Marine Raumplanung und IKZM
Naturschutz im Rahmen der Raumordnung in der
deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ)
Nature conservation within the framework of spatial planning
in the EEZ
Torsten Wilke
Zusammenfassung
Summary
Mit der Aufnahme von § 18 a in das Raumordnungsgesetz (ROG) durch das Europarechtsanpassungsgesetz Bau (EAG Bau) vom 24.06.2004 ist dem Bund
die Aufgabe übertragen worden, eine Raumordnung
für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone
(AWZ) zu entwickeln.
By the inclusion of Art. 18a into the Federal Regional
Planning Act based on the “EAG-Bau” Act of 24 June
2006, the Federal Government was assigned the task
of developing a spatial plan for the German Exclusive
Economic Zone (EEZ).
Im Zuge des ersten Verfahrensschrittes zur Aufstellung dieser Raumordnung durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
(BMVBS) waren das Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) sowie das
Bundesamt für Naturschutz (BfN) gefordert, ihre Ansprüche und Anforderungen an die Raumordnung zu
übermitteln. Der Beitrag gibt die wichtigsten Ansprüche und wesentlichen Inhalte wieder, die das BfN in
einem so genannten naturschutzfachlichen Planungsbeitrag aufbereitet und in das Verfahren eingespeist
hat. Entsprechend dem derzeitigen Kenntnisstand in
der AWZ umfasst der Planungsbeitrag die Belange
des Naturschutzes von der Ebene eines Leitbildes
bis hin zu konkreten Hinweisen auf Bereiche von besonderer Bedeutung und Anforderungen, wie diese
mit Hilfe des raumordnerischen Instrumentariums
gesichert werden sollen. Der vollständige Planungsbeitrag des BfN ist einsehbar unter:
www.habitatmare.de/de/downloads/Planungsbeitrag_zur_Raumordnung_AWZ_2006.pdf
As a first step in the development of the spatial plan
by the German Federal Ministry of Transport, Building and Urban Affairs, the Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation and Nuclear Safety
and the Federal Agency for Nature Conservation
were asked to state their demands and requirements
concerning the spatial plan. This contribution outlines
the most important requirements and issues that
have been identified by the Federal Agency for Nature Conservation and contributed to the spatial planning process. Based on current knowledge about the
EEZ, the planning article covers concerns of nature
conservation ranging from corporate principles to
concrete data on areas of special relevance and recommendations for their protection using spatial planning tools. The complete planning article is available
at the following Internet address:
www.habitatmare.de/de/downloads/Planungsbeitrag_zur_Raumordnung _AWZ_2006.pdf
53
Marine Raumplanung und IKZM
54
Einführung
1. Rahmenbedingungen
Seit der Novellierung des Raumordnungsgesetzes
(ROG) durch das Europarechtsanpassungsgesetz
Bau (EAG Bau) am 24.04.2004 können in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ)
ausweislich § 1 Abs. 1 Satz 3 ROG einzelne Funktionen im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ)
entwickelt, geordnet und gesichert werden. § 18a
ROG bestimmt seither, dass durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen (heute Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - BMVBS) Ziele
und Grundsätze der Raumordnung im Sinne des §
3 Nr. 2 und 3 ROG hinsichtlich der wirtschaftlichen
und wissenschaftlichen Nutzung, hinsichtlich der
Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit der
Seeschifffahrt sowie zum Schutz der Meeresumwelt
unter Beteiligung der fachlich betroffenen Bundesministerien aufgestellt werden sollen (siehe auch
Beitrag von Molitor in diesem Heft, S. 45 ff.). Mit dem
genannten Regelungsbereich zum Schutz der Meeresumwelt sind unmittelbar die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(BMU) und vom Bundesamt für Naturschutz (BfN)
wahrzunehmenden Aufgaben in der AWZ betroffen
(vgl. § 38 BNatSchG). Entsprechend waren BMU
und BfN in einem ersten Verfahrensschritt gefordert,
ihre Ansprüche an die Raumordnung in der AWZ an
das für die vorbereitenden Verfahrensschritte verantwortliche Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) zu übermitteln. Diese Ansprüche
und Anforderungen wurden vom BfN in einem so
genannten naturschutzfachlichen Planungsbeitrag
unter Verwendung von Ergebnissen aus dem F+EVorhaben „Naturschutzfachliche und naturschutzrechtliche Anforderungen im Gefolge der Ausdehnung des Raumordnungsregimes auf die deutsche
AWZ“ (Köppel et al. [2005]) aufbereitet und in das
Verfahren eingespeist. Die wichtigsten Anforderungen und wesentlichen Inhalte aus diesem Planungsbeitrag werden im Folgenden in verkürzter
Form dargestellt. Nicht Bestandteil dieses Beitrages
sind aufgrund ihres Umfanges die Begründungen
sowie die detaillierteren fachlichen Vorschläge für
eine naturräumliche Gliederung des Planungsraumes, die ggf. als Grundlage für teilräumliche
Regelungen im Rahmen der Raumordnung dienen
können. Der komplette naturschutzfachliche Planungsbeitrag ist unter der in der Zusammenfassung
genannten Internetadresse einsehbar.
Aufgrund der gesetzlichen Anforderungen, Ziele und
Grundsätze ausdrücklich auch zum Schutz der Meeresumwelt aufzustellen, wird davon ausgegangen,
dass diese Ziele und Grundsätze aktiv in einem expliziten Abschnitt „Schutz, Pflege und Entwicklung der
Meeresnatur“ zu regeln sind. Dabei ist insbesondere
zu beachten, dass mit den Schutzgebietsmeldungen
nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie nicht alle für
den Naturschutz bedeutsame Arten und Biotope abgedeckt sind und der Handlungsauftrag des § 18 a
ROG zum Schutz der Meeresumwelt daher allein
mit einer raumordnerischen Sicherung der NATURA
2000-Gebiete als Vorranggebiete für die Meeresnatur noch nicht berücksichtigt ist.
Darüber hinaus wird als grundlegende Anforderung
vorausgesetzt, dass eine der Leitvorstellung der
nachhaltigen Raumentwicklung (§ 1 Abs. 2 ROG) verpflichtete Raumordnung für die AWZ einen ökosystemaren Ansatz, d. h. eine ganzheitliche Betrachtungsweise zum Schutz der Funktionszusammenhänge
verlangt, der die Tragfähigkeit und Aufnahmekapazitäten der Ökosysteme flächendeckend einbezieht.
Daraus folgt, dass nicht nur eine explizite und aktive
Ziel- und Grundsatzformulierung zugunsten des
Meeresnaturschutzes erforderlich ist, sondern diese Belange auch die Grundlage für alle anderen zu
regelnden Nutzungen bilden und flächendeckend in
die Formulierung von Zielen und Grundsätzen für andere Nutzungen einfließen müssen.
2. Aufgabe des naturschutzfachlichen Planungsbeitrags
Aufgabe des vom BfN in den Raumplanungsprozess
eingebrachten naturschutzfachlichen Planungsbeitrages ist es, die Anforderungen an die Raumplanung
in der AWZ aus Sicht des Naturschutzes zu konkretisieren und aktuelle Erkenntnisse als naturschutzfachliche Grundlage für die erstmalige Aufstellung
eines Raumordnungsplanes in der deutschen AWZ
aufzubereiten. Er ist primär an die verfahrensführenden und planaufstellenden Behörden BMVBS und
BSH gerichtet. Bei der Formulierung und Gliederung
wurde aber versucht, Formulierungen zu finden, die
der üblichen raumplanerischen Ziel- und Grundsatzformulierung entsprechen. Damit liegen im Prinzip
integrationsfähige Formulierungsvorschläge vor, so
dass damit auch schon die zukünftigen Adressaten
der Raumordnung angesprochen werden.
Der naturschutzfachliche Planungsbeitrag ist in drei
Teile gegliedert. Nach der Einführung im Teil A wird
im Teil B die besondere Bedeutung der AWZ als Na-
Marine Raumplanung und IKZM
turraum und deren naturräumliche Funktion und Gliederung dargelegt. Darauf aufbauend werden im Teil
C die konkreten Anforderungen an die Raumordnung
aus Sicht des Naturschutzes formuliert. Im ersten
Abschnitt wird dabei die Leitvorstellung einer nachhaltigen räumlichen Entwicklung für die AWZ konkretisiert. Darüber hinaus werden konkrete Erfordernisse
in Form von textlichen Grundsätzen sowie textlichen
und gebietsbezogenen Zielen abgeleitet. Dabei werden schließlich auch Bereiche mit herausragender
Bedeutung für den Naturschutz identifiziert, die im
Rahmen der Raumordnung als Vorranggebiete für die
Meeresnatur gesichert werden sollten. Gegebenenfalls können auch über die Ausschlusswirkung von
Eignungsgebieten für andere Nutzungen im Sinne
von § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ROG naturschutzfachlich
relevante Räume vor Beeinträchtigungen geschützt
werden. Zu allen in Teil C benannten Anforderungen
wurde eine naturschutzfachliche Begründung, die
sich auf eine entsprechende Interpretation der gesetzlichen Vorgaben und Grundlagen bezieht, mitgeliefert.
Konkrete, aus Sicht des Naturschutzes erforderliche
Anforderungen an bestimmte Nutzungen können erst
in Abhängigkeit der vorgesehenen Ausgestaltung
dieser Nutzungen abschließend entwickelt werden.
Sie waren daher nicht Gegenstand des ersten naturschutzfachlichen Planungsbeitrages sondern werden
vom BfN zu gegebener Zeit - auch in Abhängigkeit
von den Ergebnissen der strategischen Umweltprüfung – im weiteren Verfahren ergänzt.
Naturschutzfachlicher Planungsbeitrag - Grundlagen
1. Naturräumliche Funktion und Gliederung der
AWZ
1.1 Die AWZ als Naturraum
Die deutsche AWZ von Nord- und Ostsee stellt für
Deutschland einen einmaligen großflächigen Naturraum und faszinierenden Freiraum dar. Gleichzeitig
ist die deutsche AWZ Teil der sich anschließenden
ausgedehnten Meere und Ozeane mit ihren großen
zusammenhängenden Ökosystemen, deren Funktionsfähigkeit für das Leben auf der Erde von besonderer Bedeutung ist.
Die miteinander vernetzten Meeresökosysteme ermöglichen das Vorkommen einer großen Vielfalt von
Arten, Lebensgemeinschaften und lebensraumtypischen Prozessen. Die Lebensgemeinschaften nut-
zen und prägen ihre Lebensräume, die in ihrer Vielfalt
und Dynamik spezifisch sind und sich durch Vorkommen typischer Arten auszeichnen.
Die ökologischen Funktionen der AWZ umfassen
Wechselwirkungen der Lebewesen (Flora und Fauna) mit ihren Lebensräumen im Meeresboden einschließlich seines Untergrundes, in der Wassersäule,
an der Meeresoberfläche und im Luftraum darüber.
Die ökologischen Bedingungs- und Wirkungszusammenhänge werden maßgeblich beeinflusst von der
geografischen Lage, vom Klima, vom Licht, von der
Morphologie und vom Substrat des Meeresbodens
sowie von der Hydrologie mit Wassertemperatur,
Salzgehalt, Schichtungsverhältnissen und den Strömungs-, Wind-, Seegangs- sowie Turbulenzverhältnissen wie auch den Gezeiten.
Das Meer, Lebensraum auch für eine Vielzahl hoch
mobiler Arten, ist, wenn man von einzelnen geologischen Erhebungen einmal absieht, besonders in
der Wassersäule und über dem Wasser gekennzeichnet durch weiträumige Offenheit und Barrierefreiheit. Auch wenn ausgeprägte Landmarken an der
Oberfläche häufig fehlen, weist auch die deutsche
AWZ in der Nord- und Ostsee raumstrukturelle Gliederungsmerkmale auf, nach denen sich unterschiedliche Lebens- und Naturräume abgrenzen lassen.
Die Grenzen sind entsprechend der Dynamik des
Lebensraums nicht als scharfe Linien, sondern teilweise als breite Übergangsbereiche zwischen den
Naturräumen ausgebildet.
1.2
Naturräumliche Gliederung
1.2.1 Nordsee
In der Nordsee lassen sich unter naturräumlichen
Gesichtspunkten grundsätzlich ein „küstennaher Bereich“ bis zu einer Wassertiefe von ca. 10 m und der
sich seewärts daran anschließende „Offshore-Bereich“ unterscheiden. Auf Grundlage von abiotischen
Kriterien wie Licht, Morphologie (mit der Wassertiefe
als wichtigem Faktor), Hydrographie mit charakteristischen Wassermassen und Sedimentverteilungen
sowie darauf aufbauend nach dem biotischen Kriterium der Verteilung der charakteristischen Benthosgemeinschaften ist eine weitere Unterteilung naturräumlich unterschiedlicher Teilregionen möglich, die
in der Raumordnung zur besseren Ansprache und
ggf. zur Formulierung spezifischer Anforderungen
genutzt werden kann (A: Östliche Deutsche Bucht,
B: Elbe-Urstrumtal; C: Südwestliche Deutsche Bucht;
D: Nordwestliche Deutsche Bucht; E: Übergangsbe-
55
56
Marine Raumplanung und IKZM
reich zwischen Deutscher Bucht und Doggerbank;
F: Doggerbank; G: Zentrale Nordsee nördlich Doggerbank. Verändert nach Rachor und Nehmer [2003])
Als auffällige, tiefe Leitstruktur zieht sich von der heutigen Elbemündung kommend das eiszeitliche ElbeUrstromtal (B) nach Nordwesten durch die Deutsche
Bucht, biegt etwa östlich der Weißen Bank (bei 55°
N) nordwärts ab und „mündet“ im Osten der Dogger-
bank in die zentrale Nordsee. Diese durch Feinstsande und Schlickböden gekennzeichnete Leitstruktur
trennt - westwärts in ausgedehnten Übergangsflächen, ostwärts scharf durch auffällige Hangbereiche unterschiedliche Wassermassen (u. a. in Bezug auf
den Salzgehalt) und (sandige) Sedimentgebiete, womit sich auch unterschiedliche hydrologische Verhältnisse und abgrenzbare Besiedlungsräume für Lebensgemeinschaften ergeben.
56°
G
N
Dänemark
F
B
55°
E
A
B
Grenzen
Festlandsockel/AWZ
B
Küstenmeer
Büsum
Internationale Grenze
54°
Wassertiefen
C
Cuxhaven
0 - 10 m
10 - 20 m
20 - 30 m
Norden
30 - 40 m
40 - 50 m
Niederlande
50 - 60 m
4°
Emden
5°
6°
7°
Wilhelmshaven
Bremerhaven
Geodätisches Datum: WGS 84
Kartenprojektion: Mercator (54°N)
8°
E
9°
Abb. 1: Naturräumliche Gliederung der deutschen AWZ der Nordsee
1.2.2 Ostsee
Die deutschen Meeresgebiete der Ostsee befinden
sich in einem Übergangsbereich zwischen der von
der Nordsee geprägten Beltsee und der eigentlichen,
Brackwasser dominierten zentralen Ostsee. Gezeiten sind praktisch ohne Einfluss. Ökologisch markanter Übergang zwischen den unterschiedlichen
Wasserkörpern ist die Darßer Schwelle. Verbindung
zwischen ihnen ist die kaum 30 m tiefe Kadetrinne.
Deshalb lassen sich für die deutsche Ostsee zunächst grundsätzlich die „westliche Ostsee“, die sich
östlich bis zu Kadetrinne/Darßer Schwelle erstreckt,
und die östlich davon gelegene „zentrale Ostsee“
unterscheiden.
Auch hier lassen sich auf Grundlage der bereits für
die Nordsee benannten naturräumlichen Kriterien
weitere Teilbereiche untergliedern.
Von West nach Ost unterscheiden sich demgemäß
die noch recht stark marin geprägte Kieler Bucht (A)
von der Mecklenburger Bucht (B). Es folgt der Übergangsbereich der Darßer Schwelle (C), an den sich
das Arkonabecken (D) und Pommersche Bucht (E)
anschließen.
Marine Raumplanung und IKZM
56°
N
Schweden
Dänemark
55°
D
Flensburg
C
A
Schleswig
E
B
Grenzen
Grenzen
54°
Stralsund
Kiel
Festlandsockel/AWZ
Küstenmeer
Küstenmeer
Internationale Grenze
Rostock
Wassertiefen
Wassertiefen
0 - 10 m0 - 10 m
10 - 20 m10 - 20 m
Lübeck
Wismar
20 - 40 m20 - 40 m
m
40 - 50 m40 - 50HAMBUR
50 - 60 m50 - 60 m
10°
Greifswald
Geodätisches Datum: WGS 84
Kartenprojektion: Mercator (54°N)
11°
12°
13°
E
Polen
14°
Abb. 2: Naturräumliche Gliederung der deutschen AWZ der Ostsee
Naturschutzfachlicher Planungsbeitrag - Naturschutzfachliche Anforderungen an die Raumordnung in
der AWZ
1. Die Umsetzung der Leitvorstellung nach § 1
ROG
Leitvorstellung der Raumordnung ist auch für die
AWZ eine nachhaltige Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum
mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt
und zu einer dauerhaft, großräumig ausgewogenen
Ordnung führt.
In diesem Sinne ist die räumliche Ordnung im Rahmen der Vorgaben des SRÜ und im Einklang mit internationalen Vereinbarungen zu entwickeln.
Dazu zählen im Bereich des Meeresumweltschutzes
insbesondere das:
• Übereinkommen über die biologische Vielfalt CBD
• Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks – OSPAR-Übereinkommen und
• Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets – Helsinki-Übereinkommen.
Hinzu kommen die europarechtlichen Vorgaben
der EU-Vogelschutz- und der FFH-Richtlinie sowie generell auch die Wasserrahmen-Richtlinie.
Verfassungsrechtlich ist Art. 20a GG mit dessen
wesentlichen Inhalten (z. B. das grundsätzliche
ökologische Verschlechterungsverbot) zu berücksichtigen.
57
Marine Raumplanung und IKZM
58
Das BfN hält es im Sinne einer nachvollziehbaren
Herleitung und Gliederung für notwendig, den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung Leitlinien
oder Leitsätze im Sinne eines Leitbildes für die Entwicklungen in der AWZ von Nord- und Ostsee voranzustellen. Diese Leitlinien müssen der Besonderheit des Naturraums AWZ Rechnung tragen und aus
Sicht des Naturschutzes zur Unterstützung einer
nachhaltigen Raumentwicklung in der AWZ den folgenden Anforderungen gerecht werden. Die nachfolgend formulierten Anforderungen an die räumliche Ordnung der AWZ sind auch die Grundlage
für die in den nachfolgenden Abschnitten 2 und 3
formulierten naturschutzfachlichen Grundsätze und
Ziele.
Im vorliegenden Beitrag werden nur die vier Hauptsätze wiedergegeben. In der oben genannten Originalfassung des Planungsbeitrages werden diese
Hauptsätze jeweils weiter detailliert.
(1) Die räumliche Ordnung hat dem Auftrag des Art. 20
a GG zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen gerecht zu werden.
(2) Die räumliche Ordnung hat die besondere Bedeutung des großflächigen und barrierefreien Naturraums sowie seine unterschiedlichen Dimensionen
und Wirkungszusammenhänge zu berücksichtigen.
(3) Die räumliche Ordnung hat die Bestrebungen zur
Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur Errichtung eines Netzwerkes von Meeresschutzgebieten
(MPAs) zu unterstützen sowie entsprechende Entwicklungsoptionen offen zu halten.
2.1
Meeresnatur und -landschaft
(1) Meeresnatur und -landschaft sowie die Biodiversität sollen in der AWZ dauerhaft geschützt, gepflegt, entwickelt und, soweit erforderlich, möglich
und angemessen, wiederhergestellt werden.
(2) Die AWZ soll als Naturraum in ihren jeweilig typischen, natürlichen Ausprägungen und mit ihren
Austauschbeziehungen und Wechselwirkungen
zur Erhaltung der biologischen Vielfalt gesichert
und entwickelt werden.
(3) Eine Verinselung von Lebensräumen soll vermieden
werden, indem sowohl innerhalb der deutschen
AWZ als auch im Verhältnis zum angrenzenden
Küstenmeer und zur AWZ angrenzender Staaten
ein Biotopverbund sowohl mit charakteristischen
als auch naturschutzfachlich besonders wertvollen
Bereichen etabliert wird.
(4) Die Naturgüter sollen entsprechend der Leitvorstellung der Nachhaltigkeit sparsam und schonend
in Anspruch genommen werden (nachhaltige Nutzung).
(5) Beeinträchtigungen des Naturhaushalts sollen unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips sowie
des Ökosystemansatzes vermieden, vermindert
und ausgeglichen werden.
(6) Auf dauerhaft nicht mehr genutzten Flächen sollen
die Funktionen des Naturhaushaltes durch Rückbau bzw. Wiederherstellung in ihrer Leistungsfähigkeit erhalten oder wiederhergestellt werden.
(4) Die räumliche Ordnung hat dem Vorsorgeprinzip
Rechnung zu tragen.
Allgemeine Begründung/Erläuterung:
2.
Grundsätze (G) zur Sicherung und Entwicklung des Naturraums AWZ
Die nachfolgenden Formulierungen sind im Sinne
von Grundsätzen nach § 3 Nr. 3 ROG zu verstehen, d. h. es handelt sich hier um allgemeine Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung
des Raumes auf Grund von § 2 ROG als Vorgabe
für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen. Auch hier werden nur die Hauptsätze wiedergegeben (fett), die in der Originalfassung
des Planungsbeitrages noch weiter ausgeführt
sind, sowie eine Auszug aus der Begründung, der
die Herleitung erläutert.
Der geänderte Grundsatz des § 2 Abs. 2 Nr. 8 ROG
bezieht nunmehr ausdrücklich auch die „Meeresgebiete“ in die Grundsatzformulierungen für Natur und
Landschaft ein. Dabei wird der Begriff „Natur und
Landschaft“ auch in § 2 Abs. 2 Nr. 8 ROG – wie im
Naturschutzrecht – in einem umfassenden Sinne verstanden.
§ 2 Abs. 2 Nr. 8 ROG enthält im Vergleich zu anderen Grundsätzen des § 2 Abs. 2 ROG eine vergleichsweise ausführliche Auflistung der für Natur und Landschaft maßgeblichen Grundsätze.
§ 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 ROG enthält zunächst den
Grundsatz, Natur und Landschaft dauerhaft zu
Marine Raumplanung und IKZM
schützen, zu pflegen, zu entwickeln und, soweit
erforderlich, möglich und angemessen, wiederherzustellen (im Detail siehe dazu Absatz (1)). Satz 2
verpflichtet dazu, dabei den Erfordernissen des Biotopverbundes Rechnung zu tragen (dazu Absatz
(3)). Die Naturgüter sind nach Satz 3 sparsam und
schonend in Anspruch zu nehmen (dazu Absatz
(4)). Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes sind
auszugleichen (dazu Absatz (5)). Bei dauerhaft
nicht mehr genutzten Flächen soll der Boden in seiner Leistungsfähigkeit erhalten oder wiederhergestellt werden (dazu Absatz (6)). Bei der Sicherung
und Entwicklung der ökologischen Funktionen und
landschaftsbezogenen Nutzungen sind auch die
jeweiligen Wechselwirkungen zu berücksichtigen
(dazu Absatz (2)). Im Bereich der AWZ wohl ohne
praktische Relevanz bleiben die deshalb hier nicht
weiter zu erörternden Verpflichtungen zum Schutz
des Grundwassers und zum vorbeugenden Hochwasserschutz.
2.2
Freiraum und Flächeninanspruchnahme
(1) Die AWZ soll großflächig als ökologisch intakter Freiraum erhalten, entwickelt und, soweit
erforderlich, möglich und angemessen, in ihrer
Bedeutung für funktionsfähige Meeresböden,
für den Wasserhaushalt, die Tier- und Pflanzenwelt (Biodiversität) und das Klima gesichert
oder in ihren Funktionen wiederhergestellt werden.
(2) Die Meereslandschaft ist in ihrer natürlichen Eigenart und Schönheit zu sichern. Ihre charakteristische Freiraumstruktur ist zu erhalten. Erhebliche
Beeinträchtigungen des Erlebnis- und Erholungswerts der Meereslandschaft sind im Sichtbereich
der Küste zu vermeiden.
3. Ziele (Z) zur Sicherung und Entwicklung des
Naturraums AWZ
3.1
Schutzgüter der FFH- und Vogelschutzrichtlinie
Die nachfolgend unter 3.1.1 und 3.1.2 benannten Vorranggebiete für die Meeresnatur sind in den Abbildungen/Karten der Anlage dargestellt.
3.1.1 Vorranggebiete für die Meeresnatur in der
AWZ der Nordsee
(1) Insbesondere für die gemäß der FFH-RL (92/43/
EWG) relevanten Lebensraumtypen und Arten (Anhang I und II) kommt den an die Kommission gemeldeten Gebieten
• „Borkum-Riffgrund“ (DE 2104-301)
• „Doggerbank“ (DE 1003-301)
• „Sylter Außenriff“ (DE 1209-301)
eine herausragende naturschutzfachliche Bedeutung zu, so dass diese Gebiete als Vorranggebiete
für die Meeresnatur zu sichern sind (Z).
(2) Insbesondere für die gemäß der VRL (79/409/EWG)
relevanten Arten kommt dem gemeldeten und zum
Naturschutzgebiet erklärten Gebiet
• „Östliche Deutsche Bucht“ (DE 1011-401)
eine herausragende naturschutzfachliche Bedeutung zu, so dass dieses Gebiet als Vorranggebiet
für die Meeresnatur zu sichern ist (Z).
3.1.2 Vorranggebiete für die Meeresnatur in der
AWZ der Ostsee
Allgemeine Begründung/Erläuterung:
(1) Insbesondere für die gemäß der FFH-RL (92/43/
EWG) relevanten Lebensraumtypen und Arten (Anhang I und II) kommt den an die Kommission gemeldeten Gebieten
• „Adlergrund“ (DE 1251-301)
• „Fehmarn Belt“ (DE 1322-301)
• „Kadetrinne“ (DE 1339-301)
• „Pommersche Bucht mit Oderbank“
(DE1652-301)
• „Westliche Rönnebank“ (DE 1249-301)
eine herausragende naturschutzfachliche Bedeutung zu, so dass diese Gebiete als Vorranggebiete
für die Meeresnatur zu sichern sind (Z).
In Teil B, Abschnitt 1.1 wurde ausgeführt, warum die
AWZ von Nord- und Ostsee für Deutschland einen
einmaligen großflächigen und faszinierenden Naturund Freiraum darstellt. Zum Schutz und zur Entwicklung von Freiraumstrukturen benennt § 2 Abs. 2 Nr. 3
ROG Grundsätze, die für die AWZ entsprechend er
Absätze 1 bis 3 zur Geltung kommen sollen.
(2) Insbesondere für die gemäß der VRL (79/409/EWG)
relevanten Arten kommt dem gemeldeten und zum
Naturschutzgebiet erklärten Gebiet
• „Pommersche Bucht“ (DE 1552-401)
eine herausragende naturschutzfachliche Bedeutung zu, so dass dieses Gebiet als Vorranggebiet
für die Meeresnatur zu sichern ist (Z).
(3) Flächen sollen nur sparsam und mit möglichst
wenigen Zerschneidungseffekten in Anspruch genommen werden.
59
Marine Raumplanung und IKZM
60
3.1.3 Weitere FFH-relevante Strukturen außerhalb
der Vorranggebiete
(1) Die Beschädigung oder Zerstörung von kleinräumigen Sandbänken, Riffen und submarinen, durch
Gasaustritte entstandenen Strukturen als besonders seltene und sensible Lebensräume soll auch
außerhalb der Vorranggebiete für die Meeresnatur
in der gesamten AWZ so weit wie möglich vermieden werden (Z).
3.2
Vogelzug
Die nachfolgend benannten Gebiete sind in den Abbildungen/Karten der Anlage als „Gebiete mit besonderer Bedeutung für den Vogelzug“ dargestellt.
3.2.1 Vogelzug über die deutsche AWZ der Nordsee
(1) Für den Vogelzug über die Nordsee ist die Deutsche Bucht küstenseitig einer gedachten Linie,
die vom westlichsten Punkt Dänemarks, dem „Blåvands Huk“, im 45°-Winkel zur niederländischen
Insel Texel verläuft, aufgrund des anzunehmenden
Breitfrontzuges von besonderer naturschutzfachlicher Bedeutung. Dieser Bereich ist außerhalb der
Flächen mit bereits genehmigten oder im Genehmigungsverfahren befindlichen Windparks sowie
außerhalb der raumordnerischen Vorrang- und
Eignungsgebiete für Windkraftnutzung von den
Vogelzug beeinträchtigenden Wirkungen freizuhalten, um insbesondere durchgängige Zugkorridore
zu erhalten (siehe Abb. 3: Erläuterungskarte Nordsee) (Z).
3.2.2 Vogelzug über die deutsche AWZ der Ostsee
(1) Für den Vogelzug über die Ostsee kommt den Meeresgebieten zwischen
• „Fehmarn-Lolland“ und
• „Rügen-Schonen“
eine besondere naturschutzfachliche Bedeutung
zu.
3.3
Die nachfolgend benannten Gebiete sind in den Abbildungen/Karten der Anlage als „Gebiete mit besonderer Bedeutung für benthische Lebensgemeinschaften“ dargestellt.
3.3.1 Benthische Lebensgemeinschaften in der deutschen AWZ der Nordsee
(1) Für die benthischen Lebensgemeinschaften in der
Nordsee kommt den Gebieten
• „Südliche Schlickbank“
• „Zentrales Elbe-Urstromtal“
• „Zentrale Nordsee“ (siehe Karte Nordsee in der Anlage 1)
aufgrund von repräsentativen und verdichteten
Vorkommen von OSPAR- und Rote-Liste-Arten und
nach OSPAR zu schützenden Habitaten (vgl. Liste
Nordsee) in für die einzelnen Lebensräume und
Arten gut erhaltenen Zuständen, eine besondere
naturschutzfachliche Bedeutung und besondere
ökologische Vernetzungsfunktion zu (s. auch Art.
10 FFH-RL). Der Schutz der benthischen Lebensgemeinschaften in diesen Gebieten ist sicherzustellen (Z).
3.3.2 Benthische Lebensgemeinschaften in der deutschen AWZ der Ostsee
(1) Für die benthischen Lebensgemeinschaften in der
Ostsee kommt dem Submergenz-Band mit verdichteten Vorkommen von Rote-Liste-Arten (vgl.
Liste Ostsee) außerhalb der gemeldeten NATURA
2000 Gebiete auch in den Gebieten:
• „Kieler Bucht“
• „Mecklenburger Bucht“
• „Nördlich Darß“ (siehe Karte Ostsee in der Anlage 2)
eine besondere naturschutzfachliche Bedeutung zu.
Der Schutz der benthischen Lebensgemeinschaften
in diesen Gebieten ist sicherzustellen (Z).
3.4
Diese Gebiete sind außerhalb der Flächen mit bereits genehmigten oder im Genehmigungsverfahren befindlichen Windparks sowie außerhalb der
raumordnerischen Vorrang- und Eignungsgebiete
für Windkraftnutzung von den Vogelzug beeinträchtigenden Wirkungen freizuhalten, um insbesondere durchgängige Zugkorridore zu erhalten
(siehe Abb. 4: Erläuterungskarte Ostsee) (Z).
Benthische Lebensgemeinschaften
Erläuterungen zu Kapitel 3
Nachfolgend werden zu einigen Formulierungen
aus Kap. 3 erklärende Erläuterungen gegeben. Dabei sollen hier nur einige wichtige zusätzliche Aspekte aufgezeigt werden, die sich nicht unmittelbar
aus der Zielformulierung erschließen. Im Original
des Planungsbeitrages sind darüber hinaus zu jeder Zielformulierung zusätzliche Erläuterungen, im
Marine Raumplanung und IKZM
Sinne von naturschutzfachlichen Begründungen,
gegeben, die sich auf eine entsprechende Interpretation der gesetzlichen Vorgaben und Grundlagen
beziehen.
mindest außerhalb der Flächen mit bereits genehmigten oder im Genehmigungsverfahren befindlichen
Windparks sowie außerhalb der raumordnerisch
festzulegenden Vorrang- und Eignungsgebiete für
Windkraftnutzung von den Vogelzug beeinträchtigenden Wirkungen freizuhalten.
3.4.1 Dreidimensionale Gebietsfestlegungen
Für die AWZ erscheint es aus naturschutzfachlicher Sicht grundsätzlich möglich, das räumliche
Ordnungssystem und damit auch die Kategorien Vorrang-, Vorbehalts- und Eignungsgebiete (letztere Kategorie nur in Bezug auf Nutzungsansprüche) an der
Dreidimensionalität, die den Naturraum prägt, auszurichten. D. h., dass entsprechende Gebiete durchaus
auch für eine bestimmte Dimension den entsprechenden vorrangigen Anspruch erfordern (z. B. Vorrangfunktion für die Meeresnatur auf dem Meeresgrund oder im Luftraum), andere Schutzbestrebungen
gerade auch in Abhängigkeit von entsprechend sich
mehrdimensional auswirkenden Nutzungen dagegen
einen mehrdimensionalen Ansatz erfordern. So zielt
die Sicherung von Gebieten mit besonderer Bedeutung für benthische Lebensgemeinschaften (vgl. 3.3)
vor allem auf einen entsprechenden Schutz vor Beeinträchtigungen am Meeresboden und den Ausschluss
von Nutzungen, die zu Veränderungen des Meeresbodens und seiner Lebensgemeinschaften führen wie z.
B. Sand- und Kiesabbau, Marikulturen (unmittelbarer
Nährstoffeintrag) oder Schleppnetzfischerei etc. Unter Umständen wird damit die Möglichkeit eröffnet,
auch Vorranggebiete in einem Raum zu überlagern,
die sich dann aber auf nicht für den Schutz nötige
Dimensionen des Naturraums beziehen.
3.4.2 Zielformulierungen zum Vogelzug
Große Bereiche der deutschen AWZ, die nur zu
einem geringen Teil durch die gemeldeten EU-Vogelschutzgebiete abgedeckt werden, sind Teil international bedeutsamer Zugvogelrouten. Sie sind
aufgrund dieser besonderen naturschutzfachlichen
Bedeutung im Rahmen der Raumordnung entsprechend zu sichern.
Sind Zugvögel gezwungen, von ihren tradierten Routen abzuweichen und damit Umwege zu fliegen, so
hat das einen negativen Einfluss auf ihren Energiehaushalt, der in energetischen Engpasssituationen
auch die Überlebensrate bzw. die Reproduktion der
entsprechenden Populationen beeinflussen kann.
Um insbesondere durchgängige Zugkorridore zu
erhalten, sind die bedeutsamen Bereiche daher zu-
Hier wird bewusst in der Doppelbezeichnung nicht
nur von raumordnerischen Vorranggebieten sondern
gleichzeitig von raumordnerischen Eignungsgebieten für Windkraftnutzung gesprochen, weil das Ziel
der Freihaltung außerhalb dieser Gebiete dadurch
erreicht werden soll, dass derartige Gebiete im Zuge
der Raumordnung nicht nur als Vorranggebiete für
Windkraftnutzung, sondern gleichzeitig auch als Eignungsgebiete im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
ROG mit Ausschlusswirkung an anderer Stelle ausgewiesen werden (s. dazu Abb. 3 und 4 auf den Folgeseiten).
Weitere verfahrensbezogene Anforderungen und Beiträge
Neben diesen, vor allem inhaltlichen und regelungstechnischen Anforderungen sind von Seiten des
BMU und BfN in einer ersten Meldung zusätzlich
auch einige verfahrenstechnische und begleitende
Anforderungen gestellt worden, um die Steuerungsmöglichkeiten der Raumordnung tatsächlich nutzen
zu können.
Über Hinweise zum Umgang mit den gesetzlichen
Anforderungen an das Verfahren in Bezug auf SUP
und FFH-Verträglichkeitsprüfung hinaus sind das
insbesondere die Anforderungen, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, damit durch die Raumplanung in der AWZ die angestrebte Ordnung und
Steuerung der Nutzungen sowie eine den Raumordnungsplänen an Land vergleichbare Wirkung auch
tatsächlich erreicht werden kann. Dazu gehört u.
a. die Einfügung einer Raumordnungsklausel in die
SeeAnlV und die Auseinandersetzung mit Fragen im
Hinblick auf Steuerungsmöglichkeiten, wenn in nachfolgenden Planungs- und Genehmigungsverfahren
von den Vorgaben der Raumordnung abgewichen
wird. An Land werden diese Fragen durch das ROG
z. B. mit entsprechenden Vorschriften zu Zielabweichungen (§ 11), zur Untersagung raumordnungswidriger Planungen (§ 12), Raumordnungsverfahren (§
15) oder auch Kompensationsregelungen (§ 7 Abs.
2) geregelt, die in der AWZ aber durch die fehlende
Inbezugnahme in § 18a ROG in dieser Form nicht zur
Geltung kommen.
61
Abb. 3: Erläuterungskarte zu den Gebieten mit besonderer Bedeutung für den Vogelzug sowie zur Offshore-Windkraftnutzung in der AWZ der deutschen Nordsee und den verbleibenden durchgängigen Korridoren
62
Marine Raumplanung und IKZM
Abb. 4: Erläuterungskarte zu den Gebieten mit besonderer Bedeutung für den Vogelzug sowie zur Offshore-Windkraftnutzung in der AWZ der deutschen Ostsee
Marine Raumplanung und IKZM
63
64
Marine Raumplanung und IKZM
Darüber hinaus hat das BfN unabhängig vom hier
dargestellten naturschutzfachlichen Planungsbeitrag
dem BSH auch für den Umweltbericht Textbeiträge
zur Bestandbeschreibung und –einschätzung in Bezug auf die Schutzgüter Biotoptypen/Benthos, Marine Säugetiere, Rast- und Zugvögel sowie Biologische
Vielfalt zur Verfügung gestellt.
Fazit
Mit dem hier in seinen wesentlichen Inhalten dargestellten naturschutzfachlichen Planungsbeitrag
konnten die Belange des Naturschutzes frühzeitig in
das Verfahren zur Aufstellung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung für die deutsche AWZ
von Nord- und Ostsee eingebracht werden. Einen
Eindruck davon, inwieweit sie sich im weiteren Verfahren durchsetzen werden, wird der noch ausstehende erste Entwurf der Raumplanung als Ergebnis
der raumordnerischen Gewichtung und Abwägung
aller Nutzungs- und Schutzansprüche von Seiten
BMVBS/BSH liefern. Entsprechend wird sich das BfN
im weiteren Verfahren für die Durchsetzung der ein-
gebrachten Belange einsetzen, dies gilt insbesondere im Hinblick auf
• die aktive Aufgabenwahrnehmung des Meeresnaturschutzes (Ziel- und Grundsatzformulierungen
zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung der
Meeresnatur inkl. entsprechender Vorrang- und
Vorbehaltsgebiete),
• eine entsprechende Ausschöpfung der raumordnerischen Steuerungsmöglichkeiten von Nutzungen (Ausweisung von Eignungsgebieten für
die Windkraft und andere Nutzung im Sinne von §
7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ROG mit Ausschlusswirkung
an anderer Stelle), um für den anzunehmenden
Geltungszeitraum der Raumplanung von 10 bis 15
Jahren einen konkreten naturschutzverträglichen
Ordnungsrahmen zu schaffen und die Nutzungen
auf entsprechend geeignete Flächen begrenzen
zu können sowie
• eine angemessene Berücksichtigung der für den
Umweltbericht zur Verfügung gestellten Bestandsbeschreibungen und –einschätzungen als Bewertungsgrundlage für die von BMVBS/BSH vorzunehmende Bewertung der Umweltauswirkungen und
die entsprechende Alternativenprüfung.
Anlage 1: Gebiete mit besonderer Bedeutung für den Meeresnaturschutz in der AWZ der deutschen Nordsee
Marine Raumplanung und IKZM
65
Anlage 2: Gebiete mit besonderer Bedeutung für den Meeresnaturschutz in der AWZ der deutschen Ostsee
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Marine Raumplanung und IKZM
Marine Raumplanung und IKZM
Literatur
Rachor, E. und P. Nehmer, 2003: Erfassung und Bewertung ökologisch wertvoller Lebensräume in
der Nordsee. Abschlussbericht für das F+E-Vorhaben FKZ 899 85 310; http://www.habitatmarenatura2000.de/de/downloads/berichte/Benthos_
oekolog_Untersuchungen_Nordsee_2004.pdf
Anschrift des Verfassers:
Torsten Wilke
Leiter des Fachgebietes II 3.1
Landschaftsplanung und räumliche Planung
Bundesamt für Naturschutz
Außenstelle Leipzig
Karl-Liebknecht-Str. 143
04277 Leipzig
Köppel, J., Wende W., Herberg, A. Wolf, R., Nebelsieck,
R. und K. Runge, 2005: Naturschutzfachliche und
naturschutzrechtliche Anforderungen im Gefolge
der Ausdehnung des Raumordnungsregimes auf
die deutsche AWZ. Abschlussbericht für das F+EVorhaben FKZ 804 85 017 des BfN; bisher unveröffentlicht.
67
Marine Raumplanung und IKZM
Das Instrument der strategischen Umweltprüfung
bei der Raumplanung im Meer
Strategic Environmental Assessment as a tool
in marine spatial planning
Thomas Bunge
Zusammenfassung
Summary
Seit Juli 2004 muss auch die Raumplanung für Meeresgebiete nach deutschem Recht grundsätzlich eine
strategische Umweltprüfung einschließen, die die
erheblichen Umweltauswirkungen der Pläne prognostiziert und bewertet. Diese Prüfung ist – ebenso
wie die Raumplanung selbst – innerhalb der 12-Seemeilen-Zone Aufgabe der Länder Niedersachsen,
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
In der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone
in Nord- und Ostsee sind dagegen Bundesbehörden
zuständig (§ 18a ROG). Die Anforderungen an die
Umweltprüfung richten sich auf Bundesebene und
vorläufig auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein nach § 7 Abs. 5 bis 10 ROG. In MecklenburgVorpommern existieren dagegen seit Juli 2006 eigene Vorschriften; vergleichbare Landesnormen sind
demnächst in den beiden anderen Küstenländern
zu erwarten. Alle diese Regelungen verlangen von
der zuständigen Behörde insbesondere, während
der Entwicklung des Plans einen Umweltbericht zu
erarbeiten, am Verfahren die Öffentlichkeit zu beteiligen und nach Abschluss des Plans die erheblichen
Umweltauswirkungen zu überwachen („Monitoring“).
Der folgende Beitrag befasst sich mit dem Ablauf
der Umweltprüfung, mit deren Inhalt und mit der
Möglichkeit, Mehrfachprüfungen zu vermeiden, indem die Aufgaben auf mehrere Verfahren aufgeteilt
werden („Abschichtung“). Er geht außerdem auf die
Unterstützung der Arbeiten durch landschaftsplanerische Beiträge ein. Abschließend spricht er knapp
das Monitoring der Umweltfolgen an.
Under German law, spatial planning for marine areas
includes, since July 2004, a Strategic Environmental Assessment (SEA) which aims at identifying, describing and evaluating the environmental impacts
of projects. As far as the coastal sea area (12 nautical miles) is concerned, spatial planning is a task
of the three federal states (Laender) Lower Saxony,
Schleswig-Holstein, and Mecklenburg-Western Pomerania, while the plans for the German Exclusive
Economic Zone will be prepared by federal authorities. At the federal level, the legal basis for SEA is
Art. 7, paras. 5 to 10, of the federal Spatial Planning
Act. These provisions are also applicable to SEA in
spatial planning in Lower Saxony and SchleswigHolstein until these states adopt their own legislation
on this subject. The Spatial Planning Act of Mecklenburg-Western Pomerania, on the other hand, contains rules on SEA since July 2006. Both federal and
Land legislation require the competent authority, in
particular, to prepare an environmental report, to involve the public in the planning process, and, later, to
monitor the environmental effects of the projects. The
following text deals with the SEA procedure in marine
spatial planning, with the scope of the assessment,
and with possibilities of avoiding duplication of work
by tiering. It also addresses the advantages of seascape planning in the SEA process. Finally, it briefly
looks at the monitoring requirements.
69
Marine Raumplanung und IKZM
70
1
Einleitung
Seit vielen Jahren lässt sich die Entwicklung beobachten, dass wirtschaftliche Aktivitäten, die bisher
auf Landflächen beschränkt waren, mehr und mehr
auch in Meeresgebieten stattfinden. Erdöl und Erdgas werden gefördert, Sand und Kies abgebaut.
Über den Meeresboden laufen zahlreiche Öl- und
Gaspipelines sowie Stromkabel, zumeist zwischen
mehreren Staaten. Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch Offshore-Windparks, obwohl die meisten sich noch in der Planungsphase befinden und
erst einige von ihnen gebaut werden.1) Die für die
nächste Zeit in Aussicht genommenen Parks sollen
jeweils eine große Zahl von Windkraftanlagen umfassen, die erheblich höher und leistungsfähiger sind als
die bereits vor einigen Jahren realisierten. Deswegen
benötigen sie vergleichsweise große Meeresflächen.
Weiterhin gibt es immer wieder Pläne, im Meer künstliche Inseln aus Abfällen aufzuschütten oder schwimmende Urlaubsinseln zu verankern. Zu erwarten sind
u. U. ebenfalls Einrichtungen zur Aquakultur. Auch die
traditionellen Nutzungen, Schifffahrt und Fischerei,
nehmen teilweise quantitativ zu und verändern sich
technisch, so dass sie sich intensiver als früher auf
die Meeresumwelt auswirken. Militärische Übungen,
die Verklappung von Baggergut und weitere Beeinträchtigungsursachen kommen hinzu.2)
Diese Entwicklung legte es nahe, das „klassische“
Instrument der Steuerung von Nutzungsansprüchen an Land, die Raumordnung, auf Meeresgebiete auszuweiten. Das gilt besonders auch wegen der außerordentlich hohen Empfindlichkeit der
Meeresumwelt. Vor etwa fünf Jahren fasste die Ministerkonferenz für Raumordnung dementsprechend
folgenden Beschluss:
1)
„Die norddeutschen Küstenländer werden den Geltungsbereich ihrer Raumordnungspläne (§ 8 Abs. 1
Satz 1 ROG) auf die 12-sm-Zone des Meeres ausdehnen. Wegen der besonderen Situation auf dem
Meer sollte eine entsprechende Anpassung der Ziele
und Grundsätze der Raumordnung erfolgen.“ 3)
Die Länder konnten dieser Anforderung ohne neue
rechtliche Vorschriften nachkommen. Jenseits der
12-Seemeilen-Grenze, also in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in Nord- und Ostsee,
besitzen sie dagegen keine Planungskompetenz.
Dieser Bereich gehört nicht mehr zum deutschen
Hoheitsgebiet; der Bundesrepublik Deutschland
stehen dort aber nach dem Seerechtsübereinkommen besondere Rechte (sog. funktional beschränkte
Hoheitsrechte4)) zu. Hierfür gab es bisher keine planungsrechtlichen Regelungen. 2004 ist jedoch eine
besondere Vorschrift – § 18a – in das Raumordnungsgesetz eingefügt worden, die dem Bund die
Aufgabe zuweist, raumplanerische Vorgaben für die
ausschließliche Wirtschaftszone zu entwickeln.
2
2.1
Raumplanung im Meer
Planungsarbeiten
Als erstes Bundesland hat Mecklenburg-Vorpommern
seine Raumplanung bis zur 12-See­meilen-Grenze
ausgedehnt: Das Kapitel 7 des Landesraumentwicklungsprogramms 2005 dieses Landes5) enthält generelle Vorgaben zum Integrierten Küstenzonenmanagement und zur Raumordnung im Küstenmeer6)
sowie spezielle Festlegungen über Windenergieanlagen, Leitungen, Naturschutz, Tourismus, Erholung
und Rohstoffsicherung. Auch das Landes-Raumord-
Bisher sind im deutschen Küstenmeer und in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone 14 Offshore-Windparks mit insgesamt 1 027 Einzelanlagen auf einer Fläche von 560,6 km² mit einer Gesamtleistung von ca. 4 600 MW genehmigt worden
(www.bsh.de/de/Meeresnutzung/Wirtschaft/Windparks/index.jsp). Zahlreiche weitere Projekte sind geplant.
2)
Eine ausführliche Beschreibung der anthropogenen Nutzungen findet sich bei Janssen u. a. [2006], S. 25 ff.; s. auch Schomerus
u. a. [2006], S. 331 ff.
3)
Beschluss der MKRO vom 3. Dezember 2001.
4) Vgl. Gündling [1983], S. 119. Die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone ist mit Proklamation vom 25. November 1994 eingerichtet worden (BGBl. II S. 3769). Sie wird durch die ausschließlichen Wirtschaftszonen der Nachbarstaaten begrenzt.
5)
Landesverordnung über das Landesraumentwicklungsprogramm Mecklenburg-Vorpommern (LEP-LVO M-V) vom 30. Mai 2005
(GVOBl. M-V S. 308).
6)
Unter dem Begriff „Küstenmeer“ wird hier (und auch im folgenden Text) die 12-Seemeilen-Zone verstanden.
Marine Raumplanung und IKZM
nungsprogramm Niedersachsen legt seit Juni 2006
Ziele und Grundsätze über die Windenergienutzung
auf See und eine Kabeltrasse zur Netzanbindung von
Pilotphasen von Windparks in der ausschließlichen
Wirtschaftszone fest.7) Zusätzlich existiert hier das
Raumordnungskonzept für das niedersächsische Küstenmeer aus dem Jahre 2005, das allerdings keine
rechtliche Bindungswirkung besitzt.8) In SchleswigHolstein sind die Arbeiten zur Raum­planung in Meeresgebieten dagegen noch nicht abgeschlossen.9)
Dort gibt es inzwischen allerdings auf der Ebene der
Regionalpläne einige Vorgaben für den Bereich des
Küstenmeeres.10)
Was die ausschließliche Wirtschaftszone betrifft,
weist das Raumordnungsgesetz dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (jetzt:
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung) die Aufgabe zu,
„Ziele und Grundsätze der Raum­ordnung ... hinsichtlich der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Nutzung, hinsichtlich der Gewährleistung der Sicherheit
und Leichtigkeit der Seeschifffahrt sowie zum Schutz
der Meeresumwelt“ aufzustellen. Die Vorbereitungsarbeiten leistet das Bundesamt für Seeschifffahrt und
Hydrographie (§ 18a ROG). Zur Zeit werden solche
Planungen sowohl für die Nordsee als auch für die
Ostsee entwickelt.11)
2.2
Besonderheiten bei der Raumplanung für
Meeresgebiete
Im Vergleich zu Raumordnungsplänen für Landflächen weisen die Pläne für Meeresgebiete eine Reihe
von Besonderheiten auf. Hier bestehen ebenfalls Unterschiede zwischen dem Küstenmeer und der ausschließlichen Wirtschaftszone.
Im Küstenmeerbereich spielen selbstverständlich die
Beziehungen zwischen Meeres- und Landflächen
bei der Planung ebenfalls eine wichtige Rolle. Zudem
sind beispielsweise die ökologischen Besonderheiten
des Wattenmeers und dessen rechtlicher Schutz in
Rechnung zu stellen. Auch die Nutzung des Meeresgebiets in Küstennähe unterscheidet sich in vielen
Punkten von der der ausschließlichen Wirtschaftszone; so besitzt etwa der Tourismus eine viel größere
Bedeutung. Rechtlich gelten für die 12-SeemeilenZone dieselben Vorgaben wie für die Raumplanung
für Landflächen. Auch hier gibt es im Grundsatz die
beiden Ebenen „landesweite Raumplanung“ und „Regionalplanung“.12) Offensichtlich können allerdings
nicht alle Arten von Festlegungen getroffen werden,
die an Land möglich sind. Beispielsweise entfällt die
Ausweisung zentraler Orte. Zudem haben die Raumordnungspläne für Meeresflächen praktisch sehr
selten die Aufgabe, die gemeindliche Entwicklung
zu steuern: Die Bauleitplanung im Küstenbereich umfasst keine Meeresflächen oder allenfalls einen schmalen Streifen an der Küste, weil das Hoheitsgebiet
der Gemeinden nicht weiter reicht.
Die Pläne für die ausschließliche Wirtschaftszone sind
andererseits nicht Bestandteil eines mehrstufigen
Planungssystems, sondern beeinflussen unmittelbar
die Zulassung bestimmter Projekte.13) Da die kommunale Planungsebene hier gänzlich fehlt, müssen sie
nicht auf die gemeindlichen Planungskompetenzen
Rücksicht nehmen, so dass ihr Detaillierungsgrad allein von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten bestimmt
wird. Nach § 18a ROG können solche Pläne nur
bestimmte Inhalte im Sinne des § 7 ROG festlegen:
Ziele und Grundsätze der Raumordnung hinsichtlich
der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Nutzung, hinsichtlich der Gewährleistung der Sicherheit
7)
Verordnung zur Änderung der Verordnung über das Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen – Teil II – vom 27. Juni
2006 (GVBl. S. 244); s. dazu auch die Begründung (Landes-Raumord­nungsprogramm, Ergänzung 2006, hrsg. vom Niedersächsischen Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz).
8)
Raumordnungskonzept für das niedersächsische Küstenmeer des Niedersächsischen Ministeriums für den ländlichen Raum,
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Regierungsvertretung Oldenburg – Landesentwicklung, Raumordnung,
2005.
9)
Vgl. Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein, Hrsg. [2003], S. 17 f.
10) So schließt der Geltungsbereich der schleswig-holsteinischen Regionalpläne für die Planungsräume II, IV und V jeweils den Meeresbereich bis zur Hoheitsgrenze ein (Innenministerium Schleswig-Hol­stein, Regionalplan 2004 für den Planungsraum II, S. 6;
Regionalplan für den Planungsraum IV, Fortschreibung 2005, S. 11; Regionalplan für den Planungsraum V, Neufassung 2002, S.
10). In Mecklenburg-Vorpommern werden Festlegungen für das Küstenmeer dagegen allein im landesweiten Plan getroffen (§ 6
Abs. 3 LPlG M-V).
11) Vgl. den Beitrag von L. Molitor in diesem Band, S.45 ff.
12) In Mecklenburg-Vorpommern werden raumplanerische Festlegungen für den Meeresbereich abschließend im Landesraumentwicklungsprogramm getroffen, so dass die Regionalplanung hier insofern keine Rolle spielt (§ 6 Abs. 3 LPlG).
13) Zu den besonderen Eignungsgebieten für Windkraftanlagen nach § 3a SeeAnlV s. 4.4.4.
71
Marine Raumplanung und IKZM
72
und Leichtigkeit der Seeschifffahrt sowie zum Schutz
der Meeresumwelt. Auch Vorrang-, Vorbehalts- und
Eignungsgebiete für bestimmte raumbedeutsame
Funktionen, Nutzungen oder Maßnahmen lassen
sich ausweisen.
Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass die Raumordnungsplanung für Meeresgebiete bisher nicht mit
anderen (Fach-)Planungen verknüpft ist. Für die 12Seemeilen-Zone gilt zwar § 15 Abs. 1 BNatSchG,
der eine flächendeckende Landschaftsplanung vorschreibt. Bislang existiert jedoch in keinem der betroffenen Länder ein solcher Plan für die Meeresgebiete.
Was die ausschließliche Wirtschaftszone betrifft, fehlt
eine Vorschrift im Bundesnaturschutzgesetz, nach
der die Entwicklung der Raumordnungspläne i. S.
des § 18a ROG durch landschaftsplanerische Beiträge unterstützt werden müsste.14)
Künftig lässt sich jedoch damit rechnen, dass sowohl
für die 12-See­meilen- als auch für die ausschließliche
Wirtschaftszone anderweitige Pläne ausgearbeitet
werden müssen, die die Raumplanung beeinflussen:
Nach einem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom Oktober 200515) soll jeder Mitgliedstaat der
EG unter anderem verpflichtet sein, eine Meeresstrategie mit folgenden Schritten zu entwickeln:
• der „Anfangsbewertung“ des Umweltzustands der
Meeresgewässer und der Umweltauswirkungen
menschlichen Handelns dort (Art. 7),
• der Beschreibung der Merkmale eines „guten
Umweltzustands“ (Art. 8),
• der Festlegung eines umfassenden Satzes von
Umweltzielen einschließlich von Indikatoren (Art.
9) sowie
• der Erstellung von Maßnahmenprogrammen für
die Meeresgebiete (Art. 12 des Vorschlags). Aufgabe dieser Programme ist es, die Maßnahmen
zu beschreiben, die erforderlich sind, um in jeder
betroffenen Meeresregion einen „guten Umweltzustand“ (Art. 1, Art. 8 Abs. 1) zu erreichen.
Die Meeresstrategie soll sowohl das Küstenmeer als
auch die jeweilige ausschließliche Wirtschaftszone des
betreffenden Staates umfassen. Auf diese Weise gäbe
es künftig auch für die deutschen Areale eine zusätzliche Planung, die Umweltschutzziele verfolgte und die
Raumplanung unterstützen könnte. Zwar hat sie anders
als die Landschaftsplanung nicht die Aufgabe, den ökologischen Beitrag zur Raumplanung zu liefern. Dennoch
kommen diese Planungsarbeiten insgesamt, was ihr Ziel
betrifft, denen einer Landschaftsplanung für Meeresgebiete relativ nahe. In ihrer rechtlichen Bedeutung gehen
die Maßnahmenprogramme indessen deutlich weiter.
Die Wirkung der Aussagen der Raumordnungspläne
bestimmt sich sowohl für den Küstenbereich als auch
für die ausschließliche Wirtschaftszone – ebenso wie
bei Plänen für Landgebiete – primär nach § 4 ROG.
Hier ist wichtig, dass wohl die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten in Meeresgebieten private Träger
haben, für die die raumordnerischen Ziele nicht verbindlich sind (vgl. § 4 Abs. 1 und 3 ROG). Bindenden
Charakter besitzen solche Planaussagen in diesen
Fällen allein für Planfeststellungs- und vergleichbare
Entscheidungen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ROG). § 18a
Abs. 3 ROG statuiert deswegen, dass die Ausweisung von Vorranggebieten für die Windkraftnutzung
„im Verfahren zur Genehmigung einer Anlage nach
der Seeanlagenverordnung im Hinblick auf die Wahl
des Standortes [wenigstens] die Wirkung eines Sachverständigengutachtens“ haben soll.16)
3
Die strategische Umweltprüfung
Mit dem Begriff „strategische Umweltprüfung“ bezeichnet man im deutschen Recht17) die Prüfung der
voraussichtlichen Umweltfolgen von Plänen und Programmen, die im Rahmen des Verfahrens zur Aufstellung solcher Regelwerke abläuft (§ 2 Abs. 4 UVPG).
Dieses Instrument geht auf die EG-Richtlinie 2001/42/
EG18) zurück und ist auf Bundesebene in den Jahren
2004/2005 für ca. 15 Plan- und Programmarten ein-
14) Janssen u. a. [2006], S. 240, 322. Allerdings hat das Bundesamt für Naturschutz im Februar 2006 einen naturschutzfachlichen Planungsbeitrag zur Raumplanung in der ausschließlichen Wirtschaftszone in Nord- und Ostsee erarbeitet; vgl. dazu auch 4.4.6.
15) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen
der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt vom 24. Oktober 2005, KOM (2005) 505 endgültig, 2005/0211 (COD). S. hierzu
den Beitrag von M. Salomon in diesem Band, S. 23 ff.
16) Die Regelung beabsichtigt, raumordnerischen Vorranggebieten für die Windkraftnutzung die gleichen Wirkungen für die Standortauswahl zuzubilligen, wie sie der Festlegung von besonderen Eignungsgebieten nach der Seeanlagenverordnung zukommen
(BT-Drs. 15/2250, S. 72).
17)
Im internationalen Sprachgebrauch versteht man unter „strategic environmental assessment (SEA)“ die Umweltprüfung von Plänen, Programmen, Politikentscheidungen (policies) und Entwürfen von Rechtsvorschriften.
18) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom 27. Juni 2001 (ABl. EG Nr. L 197, S. 30).
Marine Raumplanung und IKZM
geführt worden. In seinen Anwendungsbereich fallen
auch Pläne und Programme der Raumordnung und
damit ebenfalls die hier interessierenden Planungsverfahren. Zur Zeit entwickeln die Länder die Rechtsgrundlagen für die Umweltprüfung weiterer Arten von
Plänen und Programmen.
Das neue Instrument soll in erster Linie zur Umweltvorsorge und zur nachhaltigen Entwicklung beitragen, indem es gewährleistet, dass die Umweltbelange bereits bei der Aufstellung von Plänen und
Programmen systematisch und medienübergreifend
prognostiziert und bewertet sowie im Entscheidungsprozess angemessen berücksichtigt werden. Das
geschieht in einem formalisierten Verfahren, das
unter anderem die Öffentlichkeitsbeteiligung einschließt. Ein wichtiger Vorteil der Prüfung liegt darin,
dass sie es erlaubt, die Umweltfolgen beabsichtigter
Entwicklungen frühzeitig, d. h. schon weit vor der
Realisierung konkreter Projekte (also auf „vorgelagerten“ Ebenen des Planungs- und Entscheidungsprozesses) großräumig zu untersuchen und damit
die Auswirkungen mehrerer (oder vieler) Vorhaben
gemeinsam zu betrachten. Dabei lassen sich vor
allem auch grundsätzliche (planerische) Alternativen
einbeziehen, die später bei der Zulassung der einzelnen Projekte nicht mehr in Rechnung gestellt werden
können. Auf dieser Ebene ist es ebenfalls möglich,
großflächige Kompensationsmaßnahmen zu treffen.
Inhaltlich bedeutet die Umweltprüfung zwar nichts
grundlegend Neues, weil die Umweltbelange auch
schon nach bisherigem Recht bei der Raumplanung
angemessen in Rechnung gestellt werden mussten
(vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 8 ROG). Sie trägt aber dazu bei,
dass der Planungsprozess etwas mehr strukturiert
und formalisiert wird und damit größere Transparenz
erhält. Zugleich ermöglicht sie es, später besser
nachzuvollziehen, auf welche Weise die Behörde die
Umweltauswirkungen prognostiziert und bewertet
hat und welche Rolle die Umweltbelange bei der Entscheidung über die planerischen Aussagen spielten.
Auch das Monitoring der Umweltauswirkungen der
Pläne, das bisher ansatzweise – vor allem im Rahmen der Raumbeobachtung – stattfindet, wird verbessert.
4
Die strategische Umweltprüfung bei der Raumplanung für
Meeresgebiete
4.1
Rechtsgrundlagen
Bei Raumplanungen, die Meeresgebiete betreffen,
richtet sich die strategische Umweltprüfung gegenwärtig vor allem nach § 7 Abs. 5 bis 10 ROG i. V. mit der
EG-Richtlinie 2001/42/EG (§ 22 Satz 3 ROG), ergänzend nach den §§ 14f ff. UVPG (§ 14e UVPG). Diese
Normen sind vorläufig auch für die Landesplanung in
Niedersachsen und Schleswig-Holstein maßgeblich,
da deren Landesplanungsgesetze noch nicht an die
bundesrechtlichen Vorgaben angepasst worden sind.
In Mecklenburg-Vorpommern bilden dagegen seit
Ende Juli 2006 § 4 Abs. 5 bis 7, § 7 Abs. 2 bis 4 und
§ 20a Abs. 3 LPlG M-V die Rechtsgrundlagen.19) Sie
legen allerdings ähnliche Anforderungen fest wie das
Bundesrecht.
Für die Raumplanung in der ausschließliche Wirtschaftszone in der Nord- und Ostsee gelten nach § 18a Abs.
1 Satz 2 ROG die Vorschriften des § 7 Abs. 1 und 4 bis
10 ROG entsprechend, also auch alle Bestimmungen
des Raumordnungsgesetzes über die Umweltprüfung.
Freilich richten sich diese Regelungen nicht unmittelbar an die Planer, sondern verpflichten allein die Bundesländer, ihre Landesplanungsgesetze an die dort
aufgeführten Vorgaben anzupassen. „Entsprechende
Geltung“ für die Raumordnung in der ausschließlichen
Wirtschaftszone heißt jedoch, dass die inhaltlichen Anforderungen des § 7 Abs. 1 und 4 bis 10 ROG auch
hier zu beachten sind, dass also vor allem die Pflicht
besteht, eine Umweltprüfung durchzuführen.
4.2
Anwendungsbereich
Grundsätzlich muss jedes der hier interessierenden
Planungsverfahren eine strategische Umweltprüfung
einschließen. Künftig können allerdings geringfügige
Planänderungen, die keine erheblichen Umweltfolgen erwarten lassen, von der Prüfpflicht ausgenommen werden (§ 7 Abs. 5 Satz 5 ROG). 20)
19) Art. 2 des Gesetzes zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der SUP-Richtlinie vom 14. Juli 2006
(GVOBl. M-V, S. 560, 562).
20) Solche Einschränkungen erlaubt Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2001/42/EG auch für Pläne und Programme, die die Nutzung kleiner
Gebiete auf lokaler Ebene festlegen. Diese Möglichkeit verbietet sich bei den Raumordnungsplänen für Meeresflächen indessen
schon wegen deren großer Plangebiete.
73
74
Marine Raumplanung und IKZM
Für die Raumplanung in der ausschließlichen Wirtschaftszone wirft der Verweis auf § 7 Abs. 5 Satz 5
ROG Fragen auf: Diese Norm schreibt nicht zwingend vor, auf die Umweltprüfung zu verzichten,
wenn es um geringfügige Planänderungen ohne
erhebliche Umweltauswirkungen geht. Vielmehr
räumt sie den Ländern lediglich die Befugnis ein,
Regelungen zu treffen, aufgrund deren die Landesplanungsbehörden in solchen Fällen von der Umweltprüfung absehen können. Allein der Verweis in
§ 18a Abs. 1 Satz 2 ROG erlaubt es der Planungsbehörde in der ausschließlichen Wirtschaftszone
nicht, die landesrechtlich möglichen Einschränkungen ebenfalls zu nutzen. Die Rahmenvorschrift
des § 7 Abs. 5 Satz 5 ROG lässt den Ländern nämlich Raum für eigene gesetzgeberische Entscheidungen. Auf Bundesebene besteht dieser Handlungsspielraum ebenfalls; er muss aber auch hier
durch ausdrückliche gesetzgeberische Entscheidung genutzt werden. § 18a ROG selbst statuiert
keine solche Regelung. Solange sie fehlt, gelten
für die Raumordnung in der ausschließlichen Wirtschaftszone die gesamten Anforderungen des § 7
Abs. 5 bis 10 ROG ohne die dort genannten Reduzierungsmöglichkeiten. Auch geringfügige Planänderungen müssen dort deswegen eine Umweltprüfung einschließen.
4.3
Prüfverfahren
anderweitigen Planungsmöglichkeiten für die Festlegungen des Plans entscheidungserheblich waren“ (§ 7 Abs. 8 Satz 2 ROG). – Später hat sie, wie
erwähnt, die Aufgabe, die Umweltauswirkungen
des Plans zu überwachen.
Feststellung der Pflicht zur strategischen Umweltprüfung
Bestimmung des Untersuchungsrahmens
(„Scoping“)
Erstellung des Umweltberichtes
Beteiligung der Öffentlichkeit, anderer
Behörden und ggf. anderer Staaten
Überprüfung und ggf. Änderung des
Umweltberichtes
4.3.1 Schritte
Das Prüfverfahren läuft innerhalb des Planungsprozesses in mehreren europarechtlich vorgegebenen Schritten ab (vgl. die folgende Abbildung):
Nachdem die zuständige Behörde festgestellt hat,
dass der Plan einer strategischen Umweltprüfung
unterzogen werden muss, bestimmt sie zunächst
– zusammen mit anderen fachlich betroffenen Behörden – den Untersuchungsrahmen (Scoping).
Daraufhin erstellt sie einen Umweltbericht, der vor
allem die Auswirkungen des Plans auf die Umwelt
beschreibt und bewertet. Zu diesem Bericht und
zum Planentwurf können die eben erwähnten anderen Behörden, die Öffentlichkeit und betroffene
andere Staaten Stellung nehmen. Bei der anschließenden Abwägung der Belange berücksichtigt die
zuständige Behörde den Umweltbericht und die
Stellungnahmen. Nach der Entscheidung über den
Plan stellt sie die Planbegründung fertig, die unter
anderem angeben muss, „wie Umwelterwägungen,
der Umweltbericht sowie die abgegebenen Stellungnahmen im Plan berücksichtigt wurden und
welche Gründe nach Abwägung mit den geprüften
Berücksichtigung der Ergebnisse des
Umweltberichtes bei der Entscheidung
über den Plan
Bekanntgabe des Plans, des Umweltberichtes
und der zusammenfassenden Erklärung (§ 14I
Abs. 3 UVPG);
Übersendung dieser Informationen an die beteiligten anderen Behörden und anderen Staaten
Überwachung der Umweltauswirkungen
(Monitoring)
Abb.: Verfahren der strategischen Umweltprüfung
Marine Raumplanung und IKZM
4.3.2 Zum Scoping-Abschnitt
Der Scoping-Prozess ist auf der Plan- und Programmebene noch wichtiger als bei der Umweltverträglichkeitsprüfung. Der Umfang der erforderlichen Untersuchungen steht hier nämlich noch nicht in derselben
Weise fest wie dort. Vielmehr besteht bei mehrstufigen Planungs- und Entscheidungsprozessen die
Möglichkeit, die Schwerpunkte der Arbeiten auf die
einzelnen Stufen zu verteilen. Mit anderen Worten ist
in solchen Fällen immer zu entscheiden, auf welcher
Stufe bestimmte Umweltfolgen detailliert untersucht
werden sollten und auf welcher eine eher kursorische
Prüfung genügt („Abschichtung“; vgl. dazu 4.4.4).
Auch unabhängig hiervon lassen sich in vielen Fällen
Informationen aus anderweitigen umweltbezogenen
Prüfverfahren für die jeweils aktuelle Umweltprüfung
nutzen. Die Reichweite und Intensität der Umweltprüfung müssen deswegen ebenso wie die Frage,
welche der benötigten Informationen bereits zur Verfügung stehen, zusammen mit den anderen jeweils
zuständigen Behörden geklärt werden. Hier spielt
beispielsweise die ökologische Begleitforschung zur
Offshore-Windnutzung in Nord- und Ostsee eine Rolle. Abgesehen davon dient der Scoping-Prozess vor
allem dazu, folgende Punkte zu behandeln: die zu
untersuchenden Alternativen, den Informationsbedarf, methodische Fragen, die geographische Reichweite und den Zeithorizont, die Verknüpfung mit einer
ggf. erforderlichen FFH-Verträglich­keitsprüfung und
die geplanten Monitoring-Maßnahmen.
die Behörden keine zusätzlichen Möglichkeiten wie
Pressearbeit oder Informationsveranstaltungen nutzen und die beabsichtigten Festlegungen auch nicht
politisch kontrovers sind.21) Zum anderen werden bei
der Raumplanung für Meeresgebiete individuelle
Belange der „allgemeinen“ Öffentlichkeit zumeist
wohl nur tangiert, wenn es um Areale geht, die zu
Erholungs- oder Sportzwecken genutzt werden. Ein
zusätzliches Interesse besitzen allein bestimmte
Wirtschaftsunternehmen (beispielsweise potentielle
Betreiber von Windkraftanlagen oder Sand- und
Kiesabbaufirmen) und Umweltverbände. Deswegen
kommen die Stellungnahmen der Öffentlichkeit in
den hier interessierenden Verfahren wahrscheinlich
in erster Linie von diesen beiden Gruppen. Während
die ökonomischen Belange auch ohne externe Hilfe
ausreichend vertreten sein dürften, kann man dies
bei den Umweltbelangen nicht ohne weiteres vermuten. Dann lässt sich jedoch ein wichtiger Zweck der
Öffentlichkeitsbeteiligung – dazu beizutragen, dass
die Aussagen des Umweltberichts auch unter dem
Aspekt des Umweltschutzes kritisch überprüft werden – in solchen Planungsverfahren voraussichtlich
nicht erreichen. Daher empfiehlt es sich gerade hier,
für eine ausreichende Partizipation der Umweltverbände Sorge zu tragen, etwa dadurch, dass sie über
die entsprechenden Planungsprozesse individuell
informiert werden, oder durch aktive Öffentlichkeitsarbeit der Behörden.22) Auf diese Weise ist es auch
möglich, den speziellen Sachver­stand dieser Verbände für den Umweltbericht zu nutzen.
4.3.3 Zur Öffentlichkeitsbeteiligung
4.3.4 Zur grenzüberschreitenden Beteiligung
Was die Beteiligung der Öffentlichkeit am Verfahren der Umweltprüfung betrifft, lässt sich vermuten,
dass das Interesse der Allgemeinheit an einer Partizipation gerade bei der Raumplanung im Meer sehr
gering sein wird. Das gilt vor allem für den Bereich
der ausschließlichen Wirtschaftszone, aber auch
bei der Planung im Küstenmeergebiet dürfte die
Zahl der Personen, die Stellungnahmen abgeben,
deutlich begrenzt sein. Dies liegt zum einen an dem
Umstand, dass es in allen Fällen um relativ abstrakte
Festlegungen geht; auch bei Raumplanungen in Bezug auf Landflächen beteiligen sich nach den bisherigen Erfahrungen lediglich wenige Betroffene, sofern
Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass die
Raumplanung im Meer wohl zumeist grenzüberschreitende Bedeutung hat. Die landesweite Raumplanung im Küstenmeerbereich und diejenige in
der ausschließlichen Wirtschaftszone dürften sich
fast immer auf die Umwelt im Hoheitsbereich anderer Staaten oder in deren ausschließlicher Wirtschaftszone auswirken. Auch auf regionaler Ebene
ist oftmals mit Umweltfolgen in Nachbarstaaten zu
rechnen. Etwas anderes gilt allenfalls für die Regionalpläne, deren Geltungsbereich nicht teilweise
an andere Staaten oder deren ausschließliche Wirtschaftszone grenzt.
21) Vgl. Danielzyk u. a. [2003], S. 137; s. auch die dort angegebenen praktischen Beispiele (S. 85 ff.). Für Österreich vgl. z. B. Sommer
[2005], S. 25.
22) Für die Nutzung des Internet bei der Information der Öffentlichkeit auch Schomerus u. a. [2006], S. 152.
75
76
Marine Raumplanung und IKZM
Bei der (projektbezogenen) Umweltverträglichkeitsprüfung hat sich gezeigt, dass es zweckmäßig ist,
die potentiell betroffenen Staaten schon zum Scoping-Prozess einzuladen.23) Das UVP-Gesetz schreibt
eine solche Beteiligung zwar nicht vor. Sie kann aber
dazu beitragen, dass das Verfahren problemloser und
zügiger abläuft als in dem Fall, dass diese Staaten
erst nach Erstellung der Umweltverträglichkeitsstudie
Gelegenheit erhalten, Stellungnahmen abzugeben.
Können sie bereits bei der Bestimmung des Untersuchungsrahmens mitwirken, so lassen sich voraus­­
sichtliche Umweltfolgen in den Nachbarstaaten vergleichsweise früh diskutieren, so dass mehr Zeit zur
Verfügung steht, einvernehmliche Lösungen zu entwickeln. Ebenso kann dann schon zu Beginn des Prüfprozesses geklärt werden, welche Informationen über
die Umwelt in den betroffenen Staaten zur Verfügung
stehen und welche zusätzlichen Erhebungen erforderlich werden. Auch für die Beteiligung bilateraler
Institutionen, beispielsweise der deutsch-polnischen
Grenzgewässerkommission, ist dann genügend Zeit.
Entsprechendes dürfte auf der Planungsebene gelten.
Gerade wegen der Bedeutung der Pläne für die Entwicklung der Meeresgebiete (und auch im Zusammenhang mit dem Integrierten Küstenzonenmanagement)
empfiehlt es sich mithin, die anderen Staaten bereits
bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens zu
beteiligen.
4.4
Inhalt der Umweltprüfung: Untersuchung der
Umweltfolgen
4.4.1 Gegenstand der Umweltprüfung
Den Gegenstand der Umweltprüfung bilden die Umweltfolgen aller Festlegungen des Plans, d. h. seiner normativ wirkenden Aussagen. Zu untersuchen
sind mit anderen Worten die Umweltauswirkungen
der Ziele, Grundsätze, Vorrang-, Vorbehalts- und
Eignungsgebiete. Der Begriff „normative Wirkung“
ist dabei weit zu verstehen; er schließt auch die Bedeutung als Sachverständigengutachten ein, die Vorranggebieten für Windkraftanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone im Hinblick auf die Wahl des
Standortes zukommt (vgl. § 18a Abs. 3 Satz 1 ROG).
Es geht also keinesfalls allein darum, diejenigen Planaussagen zu untersuchen, die rahmensetzenden
Charakter für UVP- oder vorprüfungspflichtige Pro-
jekte haben oder eine Verträglichkeitsprüfung nach
der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie erfordern.24) Zu
betrachten sind sowohl die negativen als auch die
positiven Umweltfolgen der Festlegungen.
Nicht zu den normativen Aussagen gehören nachrichtlich übernommene Informationen, etwa über eine
Pipeline, die in der ausschließlichen Wirtschaftszone
bereits durch Planfeststellungsbeschluss zugelassen
worden ist. Derartige Planinhalte brauchen im Rahmen der Umweltprüfung also nicht auf ihre Umweltauswirkungen hin untersucht und ggf. mit günstigeren
Alternativen verglichen zu werden. Allerdings können
ihre voraussichtlichen Umweltfolgen selbstverständlich nicht außer Acht bleiben. Vielmehr hat die Behörde diese Auswirkungen im Rahmen der Vorbelastung
des Plangebiets in Rechnung zu stellen.
Ähnlichkeit mit solchen Informationen, die nur nachrichtlichen Charakter haben, besitzt die Ausweisung
besonderer Eignungsgebiete für Windkraftanlagen
im Sinne der Seeanlagenverordnung, wenn sie bis
Ende 2005 abgeschlossen wurde. Diese Gebiete
müssen in die Raumordnungspläne nach § 18a ROG
übernommen und als Vorranggebiete nach § 7 Abs.
4 Nr. 1 ROG festgelegt werden (§ 18a Abs. 3 Satz
2 ROG). Auch sie bilden nicht selbst Gegenstände
der strategischen Umweltprüfung; ihre Auswirkungen
werden aber ebenfalls bei der Bestandsaufnahme
der Umwelt einbezogen.
Bei der Raumplanung im Binnenland diskutiert
man, ob und wieweit es möglich ist, die erforderlichen Einzeluntersuchungen in ihrer Intensität zu
beschränken. Verbreitet ist die Vorgehensweise,
lediglich jene normativen Planaussagen genau zu
betrachten, die den Rahmen für UVP- oder vorprüfungspflichtige Vorhaben setzen oder die sich auf
FFH-Gebiete auswirken, und alle anderen Aussagen
nur pauschal zu prüfen.25) Der Grund hierfür liegt in
der Vielzahl der raumordnerischen Aussagen, die
für Landgebiete zu treffen sind und die es nicht zulassen, jede von ihnen mit derselben Sorgfalt auf
Umweltauswirkungen zu untersuchen.26) In diesem
Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass
es dort unterhalb der Ebene der Raumordnung
noch die beiden Stufen der Bauleitplanung gibt, auf
denen detailliertere Prognosen und Bewertungen
möglich sind.
23) Vgl. L ambrecht u. a. [2002], S. 9 (s. auch S. 150); Richter [2002], S. 16.
24) Jacoby [2005], S. 26 ff., 28.
25) S. beispielsweise Jacoby [2005], S. 26 ff., 28; C. Schmidt [2006], S. 2.
26) C. Schmidt [2006], S. 2.
Marine Raumplanung und IKZM
Die Richtlinie lässt eine solche Differenzierung allerdings wohl nicht zu. Sie erlaubt es zwar, die Aufgaben auf einzelne Stufen des Planungs- und Entscheidungsprozesses zu verteilen, sie also „abzuschichten“
(dazu 4.3.2 und 4.4.4). Abgesehen davon dürfte es
aber nicht europarechtskonform sein, die Untersuchungen in der beschriebenen Weise in unterschiedlicher Intensität durchzuführen. Unabhängig von dieser grundsätzlichen Frage muss hier in Rechnung
gestellt werden, dass die Pläne für Meeresgebiete
ohnehin nicht dieselbe Komplexität aufweisen wie die
auf Landflächen bezogenen, obwohl bei ihnen ebenfalls zahlreiche Festlegungen aufeinander abgestimmt
werden müssen. Vor allem bei der Planung in der ausschließlichen Wirtschaftszone entfällt auch die Einteilung in mehrere Planungsebenen. Deshalb spricht
vieles für die Pflicht, im Rahmen der Umweltprüfung
von Raumordnungsplänen für Meeresgebiete jede
Festlegung in der gleichen Ausführlichkeit und Tiefe
auf ihre Umweltauswirkungen hin zu überprüfen.
4.4.2 Detaillierungsgrad
Der Detaillierungsgrad der Untersuchungen wird
durch mehrere Faktoren bestimmt. Zunächst kommt
es auf die Aussagegenauigkeit des jeweiligen Plans
an. Hier lässt sich ebenfalls ein Unterschied zwischen der 12-Seemeilen-Zone und der ausschließlichen Wirtschafts­zone feststellen: Bei der Raumplanung im Küstenmeerbereich gibt es grundsätzlich27)
zwei Stufen, so dass die landesweite Planung durch
Regionalpläne verdichtet und verfeinert werden
kann. Deswegen lassen sich die Festlegungen auf
der landesweiten Ebene – ebenso wie im Bereich
des Binnenlandes – noch relativ generell fassen. Anders ist es in der ausschließlichen Wirtschaftszone:
Hier existiert nur eine Planungsstufe. Die Möglichkeit,
die planerischen Aussagen durch weitere Pläne zu
konkretisieren, besteht nicht. Auch die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden (Art. 28 GG) spielt
hier keine Rolle. Ob und wieweit der Plan nach § 18a
ROG bereits detaillierte Festlegungen enthalten soll,
richtet sich deswegen ganz nach Zweckmäßigkeitserwägungen.
Wie intensiv die Behörde die einzelnen Auswirkungen
untersuchen muss, hängt zudem von der Genauigkeit der Informationen ab, die ihr entweder schon
zur Verfügung stehen oder die sie mit zumutbarem
Aufwand zusammentragen kann. In diesem Zusammenhang ist einerseits zu berücksichtigen, dass über
27) Anders in Mecklenburg-Vorpommern (§ 6 Abs. 3 LPlG M-V).
die bestehenden und beabsichtigten Nutzungen der
Meeresgebiete vielfältige ins Einzelne gehende Informationen existieren, etwa über Schifffahrtsrouten, die
Größe geplanter Windparks, in Aussicht genommene
Pipelinetrassen, die technischen Gegebenheiten der
geplanten Vorhaben und die voraussichtliche Weiterentwicklung dieser Technik in einem überschaubaren
Zeitraum. Dies erlaubt relativ genaue Aussagen im
Umweltbericht. Andererseits fehlen gerade für den
Meeresbereich teilweise detaillierte Angaben über
den Zustand und die Entwicklung der Umwelt. Zwar
stehen heute bei weitem mehr Informationen über
die Meeresumwelt und über mögliche Auswirkungen
von Projekten in diesen Gebieten zur Verfügung als
noch vor wenigen Jahren; dennoch gibt es erhebliche Kenntnislücken, und die benötigten Daten liegen
nicht immer vor. Die strategische Umweltprüfung verpflichtet in diesem Zusammenhang nicht zur Grundlagenforschung. Andererseits darf sich die Behörde
nicht auf die Informationen beschränken, über die sie
schon verfügt oder die sie ohne erheblichen Aufwand
von anderen Institutionen erhalten kann. Vielmehr ist
es durchaus möglich, dass sie – ebenso wie bei der
Umweltverträglichkeitsprüfung von Vorhaben – eigenständig Erhebungen durchführen muss. Das gehört
allerdings zum normalen Planungsprozess und ist
nichts Neues.
Eine wichtige Vorgabe lässt sich schließlich aus § 7
Abs. 10 ROG ableiten: Der Umweltbericht soll später
die Grundlage für die Überwachung der Umweltfolgen (Monitoring) bilden. Deswegen müssen seine
Angaben so konkret sein, dass sie sich später auch
sinnvoll überwachen lassen. Dazu sind natürlich in
erster Linie quantitative Aussagen über die erwarteten Umweltauswirkungen und die Beschreibung
von Indikatoren für solche Folgen geeignet.
4.4.3 Zur Bewertung und Berücksichtigung der Umweltfolgen
Maßstäbe für die Bewertung der Umweltfolgen und
deren Berücksichtigung bei der Abwägung sind
zunächst das generelle Ziel der Raumordnung, die
nachhaltige Raumentwicklung im Sinne des § 1 Abs.
2 ROG, und die Grundsätze des § 2 ROG; im Küstenmeerbereich kommen weitere landesrechtliche
Grundsätze hinzu. Außerdem spielen die naturschutzrechtlichen Grundsätze (§ 2 BNatSchG, für die
12-Seemeilen-Zone auch die entsprechenden Vorschriften der Landesnaturschutzgesetze) eine Rolle.
77
Marine Raumplanung und IKZM
78
Für das Küstenmeer sind ebenso die Erhaltungsziele
des § 1a WHG von Bedeutung.28) Bei klimarelevanten
Festlegungen – beispielsweise bei der Ausweisung
von Vorrangflächen für die Windenergie – müssen
weiterhin politische Beschlüsse zum Klimaschutz auf
EU- und innerstaatlicher Ebene (Verringerung der
CO2-Emissionen) berücksichtigt werden.29)
Zusätzliche Maßstäbe bilden die Umweltziele, die auf
internationaler Ebene für die betreffenden Meeresgebiete festgelegt wurden, beispielsweise im Rahmen
der Konvention über den Schutz der Meeresumwelt
des Nordostatlantiks, der Konvention über den Schutz
der Meeresumwelt des Ostseegebiets, der Konvention über die biologische Vielfalt oder der Nordseeschutzkonferenzen.30) Sie konkretisieren die Vorgaben
der nachhaltigen Raumentwicklung und die Anforderung, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen
und zu entwickeln (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 ROG).
Besondere Anforderungen gelten für die Bewertung
der Folgen raumplanerischer Festlegungen für Natura-2000-Gebiete. Hier geht es nicht lediglich darum,
die Belange des Naturschutzes in der planerischen
Abwägung angemessen zu gewichten, sondern
§ 34 BNatSchG statuiert bei möglichen erheblichen
Beeinträchtigungen eines solchen Gebiets strikte
Rechtsfolgen (dazu 4.4.5).
4.4.4 Abschichtung; Mehrfachnutzung von Daten
Soweit die Raumplanung im Meer Teil eines mehrstufigen Planungs- und Entscheidungs­prozesses ist, lassen sich die Prüfaufgaben schwerpunktartig auf die
einzelnen Stufen verteilen (Abschichtung; § 14f Abs. 3
UVPG31)). Auf diese Weise sollen Mehrfachprüfungen
vermieden werden: Eine intensive Untersuchung der
Umweltfolgen findet lediglich auf einer der Stufen statt;
auf den übrigen werden deren Ergebnisse im Grundsatz
übernommen, so dass hier eine kursorische Betrachtung
genügt. Selbstverständlich lässt sich eine solche Vereinfachung nur nutzen, wenn die Resultate der ins Einzelne
gehenden Untersuchung für die anschließende Stufe
noch aktuell und ausreichend detailliert sind.
28)
Gerade im Meeresbereich gibt es in diesem Zusammenhang mehrere unterschiedliche Kon­stellationen:
In der 12-Seemeilen-Zone können in Niedersachsen
und Schleswig-Holstein neben landesweiten Raumordnungsplänen auch Regionalpläne entwickelt
werden. Deren normative Aussagen gelten dann im
Rahmen des § 4 ROG in Zulassungsverfahren über
einzelne Vorhaben in diesem Gebiet. In MecklenburgVorpommern werden die raumplanerischen Festlegungen für das Küstenmeer dagegen abschließend
im Landesraumentwicklungsprogramm getroffen. Sie
beeinflussen also unmittelbar die betreffenden Zulassungsverfahren. Ähnlich ist es in der ausschließlichen Wirtschaftszone: Hier existieren allein die
Raumordnungspläne im Sinne des § 18a ROG. Die
Ausweisung von besonderen Eignungsgebieten für
Windkraftanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone nach § 3a SeeAnlV ist keine „Stufe“ unterhalb
der Raumplanung, sondern eine eigenständige Fachplanung. Die Pläne im Sinne des § 18a ROG machen
es nunmehr ohnehin überflüssig, solche Gebiete aufgrund der Seeanlagenverordnung auszuweisen.
Die Abschichtung im Verhältnis zwischen landesweitem Raumordnungsplan und Regionalplan (in der
12-Seemeilen-Zone) wirft keine besonderen Schwierigkeiten auf. Anders ist es bei der Frage, ob und
wieweit das Programm der strategischen Umweltprüfung zwischen Raumordnungs- oder Regionalplan
einerseits und konkreten Zulassungsverfahren andererseits aufgeteilt werden kann. Insoweit kommt es
darauf an, ob in den jeweiligen Zulassungsverfahren
selbst Umweltverträglichkeitsprüfungen stattfinden.
Die Abschichtung nach § 14f Abs. 3 UVPG setzt ja
immer voraus, dass jede einzelne Stufe des Planungsund Entscheidungsprozesses eine Umweltprüfung
oder Umweltverträglichkeitsprüfung einschließt. Was
Projekte im Meer angeht, gibt es hier Unterschiede:
Bergrechtliche Rahmenbetriebsplanverfahren über
Förderplattformen für Erdöl und Erdgas erfordern
eine solche Prüfung (§ 52 Abs. 1a BBergG, § 1 Nr. 2
Buchst. b UVP-V Bergbau), ebenso oftmals Planfeststellungen für Pipelines (§ 20 UVPG) 32) und auch Genehmigungsverfahren für Windenergie- und andere
In der ausschließlichen Wirtschaftszone gilt das Wasserhaushaltsgesetz nicht (Schomerus u. a., [2006], S. 103).
29) Vgl. Schomerus u. a. [2006], S. 100 ff.
30) Weitere einschlägige internationale Maßstäbe werden bei Schomerus u. a. ([2006], S. 30 f., 93 ff.) aufgeführt.
31) § 7 Abs. 5 Satz 8 ROG, der sich ebenfalls mit der Abschichtung befasst, bezieht sich nur auf das Verhältnis zwischen landesweiten Raumordnungs- und Regionalplänen. Für die Bundesebene hat diese Norm schon deshalb keine Bedeutung, weil es für
die ausschließliche Wirtschaftszone keine Regionalplanung gibt. § 7 Abs. 5 Satz 8 ROG verlangt außerdem nicht zwingend, die
Umweltprüfung auf Regionalebene zu beschränken, sondern erlaubt lediglich Abschichtungsregelungen auf Landesebene.
32) Die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung ergibt sich hier aus den §§ 3b oder 3c UVPG, die – in europarechtskonformer Auslegung – auch für die ausschließliche Wirtschaftszone gelten (vgl. Janssen u. a., 2006, S. 279).
Marine Raumplanung und IKZM
Anlagen im Sinne des § 1 Abs. 2 SeeAnlV (§ 2a SeeAnlV). Dagegen wird die Genehmigung für wissenschaftliche Aktivitäten im Bereich des Festlandsockels
nach § 132 BBergG ohne Umweltverträglichkeitsprüfung erteilt. Auch für Unterwasserkabel ist keine derartige Prüfung vorgeschrieben (§ 133 BBergG).
Wegen dieser Besonderheiten sind die Abschichtungsmöglichkeiten bei der Raumplanung im Meer
begrenzt. Auf die intensive Untersuchung der Umweltfolgen lässt sich hier nur insoweit verzichten, als
sichergestellt ist, dass sie auf der folgenden Stufe des
Planungs- und Entscheidungsprozesses im Rahmen
einer Umweltverträglichkeitsprüfung „nachgeholt“
wird. Die Umweltprüfungen auf allen Stufen zusammengenommen müssen immer dem vollständigen
Prüfprogramm des UVP-Gesetzes entsprechen, also
einer einheitlichen Umweltprüfung gleichwertig sein.
Auch bei der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung darf es keine Lücken geben.33) G. Janssen u. a.
haben in Einzelnen untersucht, auf welche Weise sich
die Abschichtungsmöglichkeiten bei der Planung
nach § 18a ROG nutzen lassen.34)
Unabhängig von der Zulässigkeit der Abschichtung können in den Fällen, in denen die Verfahren
der Zulassung von Vorhaben Umweltverträglichkeitsprüfungen einschließen, die dort gewonnenen
Informationen selbstverständlich ebenfalls für die
Umweltprüfung von Raumordnungsplänen genutzt
werden. Dasselbe gilt umgekehrt. Auch im Verhältnis zwischen der Raumplanung im Küstenmeer und
derjenigen in der ausschließlichen Wirtschaftszone
besteht die Möglichkeit, bestimmte Informationen
auszutauschen. Diese Planungen müssen ohnehin
aufeinander abgestimmt werden.
Das Verhältnis zwischen Raumordnungsplan und
besonderen Eignungsgebieten für Windkraftanlagen
nach der Seeanlagenverordnung wird durch spezielle
Vorschriften geregelt. Solche Eignungsgebiete sind in
die Gesamtpläne zu übernehmen, wenn sie bis 2005
festgelegt wurden (§ 18a Abs. 3 ROG). Diese Norm soll
also nicht die Umweltprüfung im Rahmen des Raumplanungsverfahrens vereinfachen, sondern sie statuiert weitergehend bestimmte inhaltliche Vorgaben für
die Raumordnungspläne. Da die Raumordnungsbehörden in Bezug auf diese Gebiete keine planerische
Entscheidungsfreiheit mehr besitzen, müssen sie im
Rahmen der Umweltprüfung nach § 7 Abs. 5 bis 10
ROG die Umweltauswirkungen der Eig­nungsgebiete
als „plangegebene Vorbelastung“ in Rechnung stellen
(vgl. 4.4.1). In diesem Zusammenhang liegt es natürlich nahe, die Ergebnisse der Untersuchungen über
die Umweltfolgen, die für die Ausweisung der Flächen
nach der Seeanlagenverordnung durchgeführt wurden, auch im Raumplanungsverfahren zu nutzen.
4.4.5 Verknüpfung mit der FFH-Verträglichkeitsprüfung
Sowohl im Küstenmeer als auch in der ausschließlichen Wirtschaftszone befinden sich Gebiete von
gemeinschaftlicher Bedeutung und Europäische
Vogelschutzgebiete. Vor allem an der Nordseeküste
gibt es viele solcher Areale.35) Für alle diese Flächen
gelten die besonderen Regelungen der §§ 34 und
35 BNatSchG.36) Die Raumplanung muss deshalb in
den meisten Fällen eine Verträglichkeitsprüfung im
Sinne des § 34 BNatSchG einschließen.37) Diese Prüfung richtet sich nach § 7 Abs. 7 ROG: Die Behörde
hat in der Abwägung auch die Erhaltungsziele oder
den Schutzzweck dieser Gebiete zu berücksichtigen;
sind erhebliche Beeinträchtigungen dieser Ziele oder
Zwecke möglich, kann der Plan nur unter den engen
Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 bis 5 BNatSchG
verabschiedet werden. Für die ausschließliche Wirtschaftszone statuiert § 38 BNatSchG wieder einige
(völkerrechtlich bedingte) Einschränkungen.38)
33) Janssen u. a. [2006], S. 281. Die Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung einer strategischen Umweltprüfung
(BT-Drs. 15/4119, S. 5, i. V. mit BT-Drs. 15/3441, S. 31) weist darauf hin, dass die verfahrensrechtlichen Anforderungen der strategischen Umweltprüfung, wie Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung, auf jeder Planungs- und Entscheidungsebene des mehrstufigen Prüfprozesses eingehalten werden müssen.
34) Janssen u. a. [2006], S. 278 ff.
35) Vgl. die Angaben auf der Internet-Seite des Bundesamtes für Naturschutz (http://www.bfn.de/0316_gebiete.html). Zur ausschließlichen Wirtschaftszone s. die Verordnung über die Festsetzung des Naturschutzgebietes „Pommersche Bucht“ vom 15. September 2005 (BGBl. I S. 2778) und die Verordnung über die Festsetzung des Naturschutzgebietes „Östliche Deutsche Bucht“ vom
15. September 2005 (BGBl. I S. 2782). Es handelt sich jeweils um Europäische Vogelschutzgebiete.
36) S. für die ausschließliche Wirtschaftszone § 38 Abs. 1 BNatSchG.
37) Vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 der beiden in Fn. 35 genannten Verordnungen. S. zur FFH-Verträglichkeits­prüfung auch Schomerus u. a.
[2006], S. 490 ff.
38) Vgl. dazu den Bericht des Bundestags-Umweltausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, BT-Drs. 14/7490, S. 30 (zu § 37a).
79
80
Marine Raumplanung und IKZM
4.4.6 Raumordnung im Meer und Landschaftsplanung
Bei allen Plan- und Programmarten, die Landflächen
betreffen, lässt sich die strategische Umweltprüfung
erheblich vereinfachen, wenn die zuständige Behörde auf Landschaftsplanungen zurückgreifen kann.
Solche Pläne enthalten zum einen eine Bestandsaufnahme von Natur und Landschaft und gehen dabei
auch auf die Schutzgüter Boden, Wasser, Luft und
Klima ein. Da sie selbst einer Umweltprüfung unterzogen werden müssen, befassen sie sich darüber hinaus mit den Schutzgütern „Menschen“ und „Kulturund Sachgüter“. Zum anderen konkretisieren sie die
Ziele des Naturschutzes und bewerten anhand dieser
Vorgaben den Zustand und die voraussichtliche Entwicklung von Natur und Landschaft. Damit stellen sie
auch Maßstäbe für die Beurteilung der Umweltfolgen
anderer Pläne und Programme zur Verfügung. Diese
lassen sich nicht allein bei der Bewertung der Umweltfolgen nach § 14g Abs. 3 UVPG nutzen, sondern
bereits bei der Feststellung der Prüfpflicht, soweit es
auf die voraussichtlichen Umweltauswirkungen des
Plans oder Programms ankommt, weiterhin beim
Scoping-Prozess und beim Monitoring nach § 14m
UVPG.
Gerade im Meeresbereich macht sich deshalb das
Fehlen der Landschaftsplanung negativ bemerkbar.
Die Raumplanungsbehörden müssen deswegen die
benötigten Informationen über die naturräumlichen
Gegebenheiten und deren Bewertung selbst zusammentragen, was den Planungsprozess verzögert.
Schon aus diesem Grund empfiehlt es sich, dass die
Naturschutzbehörden der Länder ihre Kompetenz zur
Landschaftsplanung auch für das Küstenmeergebiet
wahrnehmen. Für die ausschließliche Wirtschaftszone in Nord- und Ostsee existieren allerdings bisher,
wie erwähnt, keine Vorschriften über die Landschaftsplanung. Hier besteht offensichtlich eine Regelungslücke: Das Landschaftsplanungssystem lehnt sich
generell an das der Raumplanung und der Bauleitplanung an; soweit es um Landflächen und das Küstenmeer geht, gibt es durchweg parallele Vorschriften für
die Gesamt- und für die Landschaftsplanung, so dass
auf jeder Planungsstufe ein Gesamt- und ein naturschutzrechtlicher Plan existiert (oder existieren sollte).
Nur auf diese Weise kann die Landschaftsplanung
die Raum- und Bauleitplanung effektiv beeinflussen,
so dass diese in der Lage ist, den Umweltschutzgrundsätzen des § 2 Abs. 2 Nr. 8 ROG, den Zielen
„Beitrag zur Sicherung einer menschenwürdigen Umwelt“ und „Schutz und Entwicklung der natürlichen
Lebensgrundlagen“ in § 1 Abs. 5 Satz BauGB und
den Grundsätzen des § 2 BNatSchG (i. V. mit dem
entsprechenden Landesrecht) angemessen Rechnung zu tragen. Weshalb eine vergleichbare Norm
über die Landschaftsplanung für die ausschließliche
Wirtschaftszone fehlt, ist unklar.39) Eventuell hat man
diese Besonderheit im Gesetzgebungsverfahren
übersehen. Es empfiehlt sich deswegen, § 18a ROG
durch eine Vorschrift im Bundesnaturschutzgesetz
zu ergänzen, nach der die ökologischen Grundlagen
der Raumordnungspläne für die ausschließliche Wirtschaftszone durch eine besondere Landschaftsplanung erarbeitet werden. Für eine solche Ergänzung
sprechen vor allem Zweckmäßigkeitserwägungen und
das (im Bereich der landbezogenen Gesamtplanung
allseits akzeptierte) Erfordernis, gerade die Belange
des Naturschutzes und der Landschaftspflege mit
Hilfe eines speziellen Planungsinstruments zu untersuchen. Deswegen war es nur konsequent, dass das
Bundesamt für Naturschutz – auf „freiwilliger“ Basis
– für die laufenden Raumordnungsplanungen in der
ausschließlichen Wirtschaftszone einen solchen landschaftsplanerischen Beitrag ausgearbeitet hat.40)
4.5
Monitoring
Mit der Pflicht, die erheblichen Auswirkungen zu überwachen, die die Durchführung der Raumordnungspläne auf die Umwelt hat, schreiben § 7 Abs. 10 ROG
und § 14m UVPG einen wichtigen Schritt vor, der
die Ex-ante-Prüfung ergänzt. Diese Aufgabe („Monitoring“) ist in der Praxis für die meisten Planarten
ungewohnt. Sachlich handelt es sich allerdings um
nichts gänzlich Neues: Auch bisher schon musste ja
die Neuentwicklung oder Fortschreibung eines Plans
eine Bestandsaufnahme einschließen, zu der es der
unter anderem gehört, die tatsächlich eingetretenen
Umweltauswirkungen des bisherigen Plans festzustellen und zu bewerten.41) Das Monitoring im Zusammenhang mit der strategischen Umweltprüfung dient
dem Zweck, insbesondere unvorhergesehene Umweltfolgen des Plans festzustellen, damit die Behör-
39) Die Begründung zum Regierungsentwurf des Europarechtsanpassungsgesetzes Bau (BT-Drs. 15/2250) geht auf die Thematik nicht ein.
40) Bundesamt für Naturschutz [2006]; s. dazu das Referat von T. Wilke in diesem Band, S. 53 ff.
41) Allerdings ist es in diesem Zusammenhang nicht immer erforderlich festzustellen, ob die Umweltauswirkungen gerade auf den
bisherigen Plan zurückzuführen sind.
Marine Raumplanung und IKZM
den die Möglichkeit haben, ggf. Abhilfemaßnahmen
zu ergreifen. Zudem sind seine Ergebnisse bei einer
späteren Änderung oder Neuaufstellung des Plans
zu berücksichtigen (§ 14m Abs. 4 UVPG; diese Anforderung bestünde aufgrund der Abwägungspflicht
auch ohne eine ausdrückliche Regelung). Die Überwachung der Umweltfolgen des Plans ermöglicht es
damit ebenfalls, die Methodik der Umweltprüfung zu
verbessern.42) Die einschlägigen deutschen Regelungen sind bewusst unbestimmt formuliert worden,
um den Behörden (oder auch den Bundesländern)
Spielraum für eigene Entwicklungen zu geben.43)
Die Behörde muss sich bereits bei der Erstellung des
Umweltberichts Gedanken über das Monitoring machen und vor allem die Maßnahmen zusammenstellen,
mit denen sie beabsichtigt, später die Umweltfolgen der
Durchführung des Plans zu untersuchen. Gerade im Bereich der Raumordnung lässt sich das Instrument der
Raumbeobachtung gut für diese Aufgabe nutzen. Bisher beschränkt sich die Raumbeobachtung allerdings
auf Landflächen. Sie sollte deswegen auf die 12-Seemeilen-Zone und die ausschließliche Wirtschaftszone
ausgedehnt werden, um auch hier ein effektives Monitoring der Umweltauswirkungen (ebenso wie der anderen Folgen des Plans) zu gewährleisten.44) Die Arbeiten
nach § 7 Abs. 10 ROG lassen sich im Übrigen vereinfachen, wenn die Behörde Ergebnisse der Kontrolle von
Projekten, Resultate aus der Umweltbeobachtung (§ 12
BNatSchG und Landesnaturschutzrecht) oder Monitoring-Daten anderer Behörden nutzen kann. In diesem
Zusammenhang ist wichtig, dass die geplante Meeresstrategie-Richtlinie der EG die Mitgliedstaaten ebenfalls
zur „laufenden Beurteilung des Umweltzustands ihrer
europäischen Meeresgewässer“ verpflichtet (Art. 10
Abs. 1 des Entwurfs).
Insgesamt empfiehlt es sich, auch im Zusammenhang
mit der Raumplanung auf See ein besonderes Konzept
für diese Aufgabe zu entwickeln, das vor allem die Zeitpunkte und Zeiträume der Überwachung, die geplanten
Monitoring-Maßnahmen, die zur Verfügung stehenden
Daten und Datenquellen, die beteiligten Behörden sowie die Zusammenarbeit zwischen ihnen angibt. Die
Verknüpfung des Monitoring der Raumordnungspläne
mit ähnlichen Arbeiten, die in anderem Zusammen-
hang stattfinden (beispielsweise mit der Beobachtung
der Umweltauswirkungen von Windparks), sollte hier
ebenfalls angesprochen werden. Am günstigsten ist
es, dieses Konzept schon im Rahmen des ScopingAbschnitts festzulegen; je sorgfältiger es ausgearbeitet
wird, desto weniger Schwierigkeiten bereitet später die
Überwachung der Umweltfolgen selbst.
5
Fazit
Die Pflicht zur strategischen Umweltprüfung hat für die
Raumplanung vor allem zur Folge, dass die zuständige
Behörde nunmehr einen Umweltbericht erstellen muss,
dass das Planungsverfahren die Beteiligung der Öffentlichkeit einschließt und dass die Auswirkungen des
Plans auf die Umwelt zu überwachen sind. Das neue
Instrument kann die Qualität der Planung verbessern,
insbesondere weil es verlangt, die Umweltbelange einerseits gebündelt, andererseits aber getrennt von anderen Belangen zu untersuchen. Auch das Monitoring
hat voraussichtlich positive Wirkungen für die Umwelt.
Die Prüfung führt darüber hinaus zu größerer Transparenz des Planungsprozesses und fördert zudem gerade bei der Raumplanung im Meer die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Der zusätzliche Aufwand hält
sich dagegen in Grenzen, weil die Behörde die Umweltbelange bei der Raumplanung auch ohne strategische Umweltprüfung angemessen berücksichtigen
muss, was selbstverständlich eine Bestandsaufnahme,
die Prognose der voraussichtlichen Umweltfolgen und
deren Bewertung voraussetzt. Die für die Prüfung erforderlichen Arbeiten lassen sich erheblich vereinfachen
und inhaltlich unterstützen, wenn sie durch ökologische
Beiträge der Landschaftsplanung unterstützt werden;
bei den Plänen für die ausschließliche Wirtschaftszone
hat das Bundesamt für Naturschutz dementsprechend
bereits einen solchen Beitrag erarbeitet. Es ist nach wie
vor wichtig, die Methodik der Prognose und Bewertung
der Umweltfolgen innerhalb der Raumplanung im Meer
weiterzuentwickeln. Hierzu trägt die Umweltprüfung
ebenfalls bei, unter anderem eben durch die Pflicht zur
Überwachung der Umweltfolgen. Für das Monitoring
empfiehlt es sich auch in Bezug auf das Küstenmeer
und die ausschließliche Wirtschaftszone, insbesondere
das Instrument der Raumbeobachtung zu nutzen.
42) Vgl. näher Bunge [2005], S. 124 ff., 125.
43) Bei § 7 Abs. 10 ROG folgt dies schon aus dem Umstand, dass es sich um eine Rahmenvorschrift handelt. Zu § 14m UVPG s. die
Begründung zum Regierungsentwurf des Gesetzes zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung (BT-Drs. 15/3441, S. 35);
ähnlich auch – zu § 4c BauGB – die Begründung zum Regierungsentwurf des Europarechtsanpassungsgesetzes Bau (BT-Drs.
15/2250, S. 46).
44) Für eine solche Erweiterung auch der Kabinettsbeschluss „Integriertes Küstenzonenmanagement in Deutschland. Nationale Strategie mit Bestandsaufnahme nach der EG-Empfehlung 2002/413/EG“ vom 22. März 2006, hrsg. vom Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 2006, Nr. 4.8.1, S. 82.
81
82
Marine Raumplanung und IKZM
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Wilke, T., 2007: Naturschutz im Rahmen der Raumordnung in der AWZ. In diesem Band, S. 53 ff.
Verfasser:
Prof. Dr. Thomas Bunge
Umweltbundesamt/
Technische Universität Berlin
Postanschrift:
Umweltbundesamt
Wörlitzer Platz 1
06844 Dessau
Marine Raumplanung und IKZM
Integriertes Küstenzonenmanagement (IKZM)
in Deutschland: die nationale IKZM-Strategie
Integrated coastal zone management (ICZM) in Germany
Stefan Lütkes
Zusammenfassung
Summary
Unter Federführung des Bundesumweltministeriums
(BMU) ist die nationale Strategie für ein integriertes
Küstenzonenmanagement formuliert worden. Nach
Auffassung des BMU ist IKZM der dynamische, kontinuierliche, iterative und vom Nachhaltigkeitsprinzip
geleitete Prozess der systematischen Koordination
aller Entwicklungen im Meeres- und Küstenbereich,
stets in den durch die natürliche Dynamik und Belastbarkeit gesetzten Grenzen. Die Strategie definiert
IKZM als informellen Ansatz, der die nachhaltige und
ökologisch tragfähige Entwicklung durch gute Integration, Koordination, Kommunikation und Partizipation unterstützen will. IKZM ist danach zum einen ein
Prozess, der als Leitbild alle Planungs- und Entscheidungsbereiche durchdringen soll und zum anderen
ein Instrument der integrierten Identifikation von Entwicklungsmöglichkeiten und Konfliktpotentialen sowie
der unbürokratischen Konfliktlösung. Die Analyse der
Situation an der Küste und den vorgelagerten Meeresgebieten hat gezeigt, dass durch das aktuelle Instrumente und Initiativen bereits wesentliche Teile der
IKZM-Grundsätze realisiert bzw. aufgegriffen sind.
Die IKZM-Strategie knüpft daran an, regt u.a. eine
Reihe von weiteren Anpassungen des rechtlichen
Steuerungsinstruments an und will den IKZM-Prozess
durch Fortführung des Dialogprozesses fördern.
Under the guidance of the Federal Environment Ministry (BMU), a national strategy for integrated coastal
zone management has been formulated. According
to the BMU‘s definition, ICZM is the dynamic, continuous, iterative, sustainable process of co-ordinating
systematically all marine and coastal zone developments within the limits of natural dynamic processes
and vulnerability. The strategy defines ICZM as an
informal approach aimed at supporting a sustainable and ecologically sound development by good
integration, co-ordination, communication and participation. ICZM is considered a process that should
be implemented at all levels of project planning and
decisionmaking, and which should serve as a tool
allowing development opportunities and conflict potentials to be identified and conflicts to be solved in
an unbureaucratic way. An analysis of the situation of
the coasts and coastal waters has shown that certain
elements of ICMZ have already been implemented
or approached via available tools and initiatives. The
ICZM Strategy will expand on this basis; it proposes a
number of adjustments to the legal regulatory policy
and will promote the ICZM process by continuing the
dialogue process.
1 Hintergrund
managements (IKZM) befasst. Nach Auffassung der
Kommission soll IKZM dazu beitragen, „langfristig ein
Gleichgewicht herzustellen zwischen den Vorteilen
der wirtschaftlichen Entwicklung und der Nutzung der
Küstengebiete durch den Menschen, den Vorteilen
des Schutzes, des Erhalts und der Wiederherstellung
der Küstengebiete, den Vorteilen einer Minimierung
der Verluste an menschlichem Leben und Eigentum
sowie den Vorteilen des Zugangs der Öffentlichkeit zu
Vor dem Hintergrund der erheblichen Bedeutung, die
die europäischen Küstengebiete aus ökologischer,
wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Sicht sowie
für die Erholung besitzen, hat die Europäische Union
sich seit Anfang der 1990er Jahre kontinuierlich mit
der Entwicklung der europäischen Küstengebiete und
den Möglichkeiten eines integrierten Küstenzonen-
83
84
Marine Raumplanung und IKZM
den Küstenzonen, und zwar stets innerhalb der durch
die natürliche Dynamik und Belastbarkeit gesetzten
Grenzen“.
Mit der Empfehlung 2002/413/EG wurden die Mitgliedsstaaten zur Auseinandersetzung mit diesem
Instrument und zu einer Berichterstattung bis Februar 2006 aufgefordert.
Diese Empfehlung des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 30 Mai 2002 zur Umsetzung einer
Strategie für ein Integriertes Management der Küstengebiete in Europa (2002/413/EG) bildet den Rahmen
für die Entwicklung der deutschen IKZM-Strategie.
Aufbauend auf einer nationalen Bestandsaufnahme
werden Grundsätze für das integrierte Management
der Küstengebiete und strategische Schritte entwickelt. Bestandsaufnahme, Grundsätze und Strategie
bilden die Kernelemente des nationalen Berichts für
ein integriertes Management der deutschen Küstenund Meeresgebiete.
Diese Empfehlung ist Teil verschiedener Aktivitäten
der EU zur Meeres- und Küstenpolitik; sie ist eingebettet in die strategischen Zielsetzungen der EU,
die u.a. durch die Lissabon- und die Göteborg-Strategie formuliert sowie durch das Grünbuch zur EUMeerespolitik und die Strategie zum Schutz und zur
Erhaltung der Meeresumwelt konkretisiert werden
sollen. Aus dem Gesamtkontext dieser Aktivitäten
ergibt sich, dass die europäischen Küsten- und
Meeresgebiete in nachhaltiger und ökosystemgerechter Weise genutzt werden sollen.
2 Die Entstehung der Strategie
Auf Vorschlag von Bundesumweltminister Sigmar
Gabriel hat das Bundeskabinett am 22. März 2006
die nationale Strategie für ein Integriertes Küstenzonenmanagement (IKZM) verabschiedet. Damit hat
die Bundesregierung eine entsprechende Empfehlung der EU umgesetzt.
Zur sachgerechten Erarbeitung gab das Bundesumweltministerium im Herbst 2004 ein Forschungsvorhaben in Auftrag, das vom Umweltbundesamt (UBA)
unter Beteiligung des Bundesamtes für Naturschutz
(BFN) durchgeführt wurde. Das Forschungsvorhaben
„Nationale Umsetzungsstrategie für eine nachhaltige
Entwicklung der Küstenzonen“ - EU-Forderung nach
einem integrierten Küstenzonenmanagement (IKZM)
(FKZ 202 16 138), hatte zum Ziel, den deutschen Bericht vorzubereiten. Auftragnehmer des Forschungs-
vorhabens war das Büro BioConsult Schuchardt &
Scholle GbR, Bremen.
Die nationale Strategie wurde unter Berücksichtigung von Arbeiten anderer Ressorts, insbesondere des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und
Stadtentwicklung (BMVBS) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) vorbereitet. Die nationale Strategie ist in enger Abstimmung mit den Küstenbundesländern und unter
Beteiligung der Öffentlichkeit und Einbeziehung
aller betroffenen Akteure formuliert worden. Dazu
wurde ein Arbeitskreis „Nationale IKZM-Strategie“
initiiert, zu dem verschiedene Bundesressorts, die
Küstenbundesländer und betroffene Umwelt-, Wirtschafts- und Kommunalverbände gehörten. Er hat
am 26. April und am 25. August 2005 getagt. Durch
den Arbeitskreis konnte sichergestellt werden, dass
die bestehenden Erfahrungen und bereits vorliegenden Beiträge Eingang in die nationale Strategie
fanden. Dabei sind unterschiedliche und zum Teil
gegensätzliche Vorstellungen zu einer nationalen
IKZM-Strategie zwischen den beteiligten gesellschaftlichen Interessen deutlich geworden, die in
der Strategie ihren Ausdruck finden und gleichzeitig
die Notwendigkeit von IKZM-Prozessen unterstreichen. Der Entwicklungsprozess, die Stellungnahmen der beteiligten Akteure und das Ergebnis sind
unter www.ikzm-strategie.de dokumentiert.
Zu Beginn des Jahres 2006 wurde die Strategie zwischen den Bundesressorts und mit den Küstenländern abgestimmt und nach dem Kabinettsbeschluss
noch im März 2006 an die EU-Kommission nach
Brüssel weitergeleitet.
Am 27./28. April 2006 wurde die Strategie auf einer
vom Bundesumweltministerium mit Unterstützung
des Bundesamtes für Naturschutz und des Umweltbundesamtes veranstalteten Tagung in Bremen der
Öffentlichkeit und den betroffenen Parteien vorgestellt.
3 Die Bestandsaufnahme der Küs­
tenbereiche der Nord- und Ostsee
Die Entwicklung der nationalen IKZM-Strategie beruht
auf einer Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen,
sozialen und ökologischen Situation der deutschen
Küstenräume sowie der rechtlichen, politischen und
administrativen Strukturen und Institutionen, die die
Handlungsbedingungen in den Küsten- und Meeresgebieten prägen.
Marine Raumplanung und IKZM
Die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und
Gemeinden, die die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland widerspiegelt, und die Zusammenarbeit der Fachbehörden ist dabei in ein dichtes
Netz internationaler Abkommen eingebunden, die
vor allem die Schifffahrt und den Meeresschutz als
nationale Grenzen überschreitende Belange regeln
und die einen Rahmen für die grenzübergreifende
Zusammenarbeit bieten.
Mit Blick auf die Ziele eines integrierten Managements der menschlichen Aktivitäten sind in der
Bestandsaufnahme die wirtschaftlichen Akteure
Schifffahrt, Hafenwirtschaft, Industrie, Landverkehrsinfrastruktur, Erdöl- und Ergasförderung, erneuerbare Energien, Leitungstrassen, Sand- und
Kiesgewinnung, Fischerei und Marikultur, Landwirtschaft sowie Tourismus aufgrund ihrer Bedeutung
für den Meeres- und Küstenraum berücksichtigt. Als
weitere relevante Aktivitäten sowie relevante Akteure
und Instrumente im Küstenbereich sind der Küstenschutz, die Ordnung des Schiffsverkehrs, das Sedimentmanagement, die Abfallwirtschaft, die Verteidigung, die Siedlungs- und Regionalentwicklung,
Schutzgebiete, die Bewahrung des Kulturerbes, die
Ebenen und Instrumente der Raumordnung, Arbeiten der Nichtregierungsorganisationen, Bildung und
Wissenschaft sowie das Monitoring und die Raumbeobachtung im Küstenbereich dargestellt. Für jeden dieser Themenbereiche werden der Status Quo
sowie die Entwicklungsperspektiven und zentralen
Strategien kurz charakterisiert. Nach einer Zusammenfassung des jeweils maßgeblichen rechtlichen
Rahmens wird die ökonomische, ökologische und
soziale Relevanz der jeweiligen Themenbereiche
skizziert. Auf dieser Basis findet eine Identifizierung der zentralen Wechselwirkungen und Konflikte
unter den verschiedenen Aktivitäten und Akteuren
im Küstenbereich statt, deren Bearbeitung Gegenstand von IKZM-Prozessen sein sollte.
Anschließend wird der aktuelle Zustand von Umwelt und Natur des deutschen Küsten- und Meeresbereichs von Nord- und Ostsee beschrieben. Als
wichtigste Belastungen sind die intensive Fischerei,
Schad- und Nährstoffeinträge, Umweltrisiken und Belastungen durch die Seeschifffahrt sowie raumwirksame Eingriffe zu nennen. Hinsichtlich des Eintrags
von Nähr- und Schadstoffen werden sich verändernde
Problemlagen und unterschiedliche Gefährdungspotentiale erkennbar. Die Veränderungen der Biodiversität in Nord- und Ostsee werden differenziert
dargestellt. Durch den Klimawandel können sich
nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand Herausforderungen für den Küstenschutz ergeben.
4
Die IKZM-Grundsätze
Die nationale Strategie versteht IKZM als informellen
Ansatz, der durch gute Integration, Koordination,
Kommunikation und Partizipation die nachhaltige
Nutzung und Entwicklung der Meeres- und Küstengebiete unterstützen will. IKZM ist danach zum einen ein Prozess, der als Leitbild alle Planungs- und
Entscheidungsbereiche durchdringen soll und zum
anderen ein Instrument der integrierten Identifikation
von Entwicklungsmöglichkeiten und Konfliktpotentialen sowie der Konfliktlösung.
Die IKZM-Strategie verfolgt einen räumlich umfassenden Ansatz und betrachtet die Wechselwirkungen
zwischen der ausschließlichen Wirtschaftszone
(AWZ), dem Küstenmeer (12-sm-Zone), den Übergangsgewässern im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), den in den Ästuaren anschließenden tidebeeinflussten Abschnitten und auf dem Land den
angrenzenden Landkreisen bzw. entsprechenden
Verwaltungseinheiten. IKZM ist damit die einzige
Ebene, die diesen funktional zusammenhängenden
Raum, den Küstenbereich, in seiner Gesamtheit betrachtet (siehe Abb. 1 und 2, nächste Seite).
Die nationale Strategie beruht auf den folgenden
Grundsätzen:
1) IKZM soll eine nachhaltige Entwicklung des Küstenbereichs mit seinen spezifischen ökologischen,
ökonomischen und sozialen Eigenschaften befördern und die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung unterstützen.
2) IKZM stellt ein Leitbild für politisches und gesellschaftliches Handeln auf allen Ebenen im Küstenbereich dar und zielt darauf, die Koordination der
Entwicklung des Küstenbereichs in umfassender
Betrachtungsweise und durch Integration aller
Belange zu verwirklichen.
3) IKZM bezieht alle relevanten Politikbereiche, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Akteure,
gesellschaftlichen Gruppen und Verwaltungsebenen in den Prozess ein (Partizipation), um Entwicklungspotenziale frühzeitig zu erkennen, konsensfähige Lösungen zu identifizieren und das
Konfliktmanagement zu verbessern.
4) IKZM versteht sich als kontinuierlicher Prozess,
der die Phasen der Planung, Umsetzung und
Evaluation von Veränderungen im Küstenbereich verbindet, um so Erfahrungen bestmöglich
für die Zukunft nutzbar zu machen (Erfahrungstransfer).
85
86
Marine Raumplanung und IKZM
56°
N
Dänemark
55°
Grenzen
Festlandsockel/AWZ
Küstenmeer
Büsum
Internationale Grenze
54°
Wassertiefen
Cuxhaven
0 - 10 m
10 - 20 m
20 - 30 m
Norden
30 - 40 m
40 - 50 m
Niederlande
50 - 60 m
4°
Emden
5°
6°
7°
Wilhelmshaven
Bremerhaven
Geodätisches Datum: WGS 84
Kartenprojektion: Mercator (54°N)
8°
Abb. 1a: Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee und Küstenmeer
Quelle: BSH, CONTIS-Informationssystem
Abb. 1b: Übergangs- und Küstengewässer Nordsee im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
Quelle: BfG, Küsten- und Übergangsgewässertypen
E
9°
Marine Raumplanung und IKZM
56°
N
Schweden
Dänemark
55°
Flensburg
Schleswig
Grenzen
Grenzen
Stralsund
Kiel
Festlandsockel/AWZ
54°
Rostock
Küstenmeer
Küstenmeer
Internationale Grenze
Wassertiefen
Wassertiefen
0 - 10 m0 - 10 m
10 - 20 m10 - 20 m
20 - 40 m20 - 40 m
m
40 - 50 m40 - 50HAMBUR
50 - 60 m50 - 60 m
10°
Greifswald
Wismar
Lübeck
Geodätisches Datum: WGS 84
Kartenprojektion: Mercator (54°N)
11°
12°
Abb. 2a: Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) der Ostsee und Küstenmeer
Quelle: BSH, CONTIS-Informationssystem
Abb. 2b: Küstengewässer Ostsee im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
Quelle: BfG, Küsten- und Übergangsgewässertypen
13°
E
14°
Polen
87
88
Marine Raumplanung und IKZM
5 Analyse der Stärken und Schwächen des derzeitigen Instrumentariums
körperschaften durch regionale Kooperationen, die
Beteiligung an internationalen Foren und Projekten
sowie durch Aktivitäten im Rahmen von lokalen
Agenda-21 Projekten IKZM-Prozesse initiiert.
In den vergangenen Jahren sind in Deutschland auf
allen Ebenen bereits unterschiedliche Aktivitäten u.a.
zur Weiterentwicklung des rechtlichen Instrumentariums in den Bereichen Raumordnung, Verfahren
und Information initiiert worden, die inhaltlich für die
Verwirklichung der Ziele von IKZM von erheblicher
Bedeutung sind. Besonders der Bund, die Länder
und die kommunalen Gebietskörperschaften haben
neben der Weiterentwicklung und Anwendung des
rechtlichen Instrumentariums über Forschungs- und
andere Projekte dazu beigetragen, Kenntnisse und
Erfahrungen mit IKZM-Prozessen zu gewinnen, das
Nachhaltigkeitskonzept im Meeres- und Küstengebeit zu fördern, die Zusammenarbeit zwischen staatlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Einrichtungen und Organisationen
zu verbessern sowie die Qualität des zur Verfügung
stehenden Wissens weiter zu entwickeln. Von besonderer Bedeutung sind die folgenden Maßnahmen:
Vor dem Hintergrund der o.g. Grundsätze werden
die Ergebnisse der Bestandsaufnahme analysiert
und unter Nutzung weiterer Arbeiten ein Stärkenund Schwächenprofil der gegenwärtigen Situation
im Küstenbereich und der bestehenden rechtlichen
Instrumentarien formuliert. Das Stärken- und Schwächenprofil macht deutlich, dass wesentliche Aspekte
der IKZM-Grundsätze durch die in Deutschland auf
der entsprechenden gesetzlichen Grundlage etablierte Planungspraxis in wichtigen Bereichen verwirk­
licht sind. Es wird aber auch deutlich, dass weitere
Schritte zur Verbesserung der Zielerreichung auf der
Planungs- und insbesondere auf der Einzelentscheidungsebene unternommen werden müssen:
Der Bund hat durch die Umsetzung europäischen
Rechts - besonders der Richtlinie zur Strategischen
Umweltprüfung (SUP), der Wasserrahmenrichtlinie,
der Erweiterung der Informationsfreiheitsgesetzte und der Natura 2000-Rechtsakte - in deutsches
Recht und durch die Weiterentwicklung nationaler
Regelungen (z.B. durch das Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes, die
Ausdehnung der Raumordnung auf die AWZ, die Novellierung der Seeanlagenverordnung) das rechtliche
Instrumentarium verbessert. In Kooperation mit den
Ländern wurden und werden Programme konzipiert,
die im Küsten- und Meeresgebiet Entwicklungsziele
mit IKZM-Relevanz verfolgen. Hierzu gehören u.a. die
nationale maritime Konferenz, die Hafenkonzeption
der deutschen Seehäfen und das Havariekommando. Bedeutsam sind für das IKZM zudem die nationalen Strategien zur Nachhaltigkeit, zur biologischen
Vielfalt und die Meeresstrategie sowie die Trilaterale
Zusammenarbeit mit den Niederlanden und Dänemark zum Schutz des Wattenmeeres.
Die Länder haben neben der Implementierung der
europäischen und nationalen Rechtssetzungen in
Landesrecht in den vergangenen Jahren vielfältige
Aktivitäten in der Raumordnung, der Regionalentwicklung und der Entwicklung der Methoden des integrierten Küstenmanagements entwickelt, die eine
Basis für das IKZM in Deutschland darstellen können. Weiterhin haben auch die kommunalen Gebiets-
• Der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung wird
im Meeres- und Küstengebiet zunehmend thematisiert und findet auch in Rechtsakten zunehmende
Berücksichtigung (z.B. ROG; Förderinstrument
GAK). Er liegt auch der verstärkten Förderung
regenerativer Energien durch das EEG zugrunde. Wichtige Fortschritte sind bei der Ausweisung
von Schutzgebieten sowie der Reduzierung von
Einträgen verschiedener umweltrelevanter Stoffe
und Stoffgruppen erzielt worden. Jedoch werden
Nachhaltigkeitsziele im Meeres- und Küstengebiet nur sporadisch formuliert und langfristige
Entwicklungen zu wenig berücksichtigt. Negative
Entwicklungen verschiedener ökologischer Parameter (z. B. schleichende Degradation) sind weiterhin festzustellen.
• Das in Deutschland entwickelte abgestufte und
ineinander greifende (planungs-) rechtliche Instrumentarium stellt grundsätzlich bereits geeignete Instrumente zur horizontalen, vertikalen,
territorialen und zeitlichen Integration bei der Koordination der Entwicklung des Küstenbereichs
zur Verfügung, das gegenwärtig durch die in
Aufstellung befindliche Raumordnung in der AWZ
ergänzt wird. Jedoch stellen sich Verfahren im
Küstenbereich mitunter als zuwenig aufeinander
abgestimmt dar und berücksichtigen Wechselwirkungen zwischen betroffenen Belangen nicht
ausreichend.
Partizipation und Kommunikation bei der Nutzung
und Entwicklung des Meeres- und Küstengebiets
sind durch die breite, frühzeitige, umfassende und
gleichberechtigte Beteiligung aller relevanten Politikbereiche, wirtschaftlichen Akteure, gesellschaftlichen
Marine Raumplanung und IKZM
Gruppen und Verwaltungsebenen in den verschiedenen Prozesse und Verfahren durch das vorhandene rechtliche Instrumentarium und eine etablierte
Praxis, die zum Teil darüber hinaus geht, grundsätzlich gegeben. Jedoch besteht ein Bedarf an erweiterter Kommunikation und Konfliktlösung auch durch
informelle Beteiligungsverfahren.
Der Erfahrungstransfer wird durch kontinuierliche
Raumbeobachtung, Monitoringprogramme zur Umweltqualität und die Erfassung und Verfügbarkeit
statistischer Daten zur sozialen und wirtschaftlichen
Säule der Nachhaltigkeit gewährleistet, jedoch sind
weitere Schritte, wie die der Formulierung von IKZMIndikatoren einschließlich deren Operationalisierung
und Anwendung sowie die bessere Abstimmung von
Monitoringprogrammen sinnvoll.
schen Natur- und Umweltschutz auf der einen und
der Flächennutzung (Infrastruktur, Siedlungsentwicklung, Tourismus) auf der anderen Seite.
6 Weitere Schritte der Strategie
7 Ausblick
Anknüpfend an das vorhandene Instrumentarium
und die bestehenden Aktivitäten sieht die nationale
Strategie vier Bereiche vor, in denen weitere Schritte
verfolgt werden sollen:
Die nationale IKZM-Strategie ist vor dem Hintergrund
des entwickelten rechtlichen Instrumentariums einerseits und der Vorbehalte gegenüber weiteren
Regulierungen andererseits kleinschrittig angelegt.
Der Beitrag dieser Schritte zu einer ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Entwicklung des
Meeres- und Küstengebiets wird von der weiteren
Ausgestaltung des IKZM-Prozesses abhängen.
1) die weitere Optimierung des rechtlichen Instrumentariums entsprechend den IKZM-Grundsätzen;
2) die Schaffung der Voraussetzungen zur Fortführung des Dialogprozesses;
3) die Initiierung und Durchführung von „best practice“-Projekten und ihre Evaluation;
4) die Entwicklung und Anwendung von IKZM-Indikatoren.
Die Umsetzung der nationalen Strategie wird insbesondere bei der Optimierung des vorhandenen
Instrumentariums im Sinne der IKZM-Grundsätze
durch den Bundes- bzw. die Landesgesetzgeber als
„Top down“-Ansatz verfolgt werden müssen. Weiterhin werden Bund und Länder Ressourcen und Kommunikationsplattformen bereitstellen und Koordinierungsaufgaben übernehmen müssen. Daneben wird
ein weiterer Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit
im Sinne des „bottom up“ von staatlichen Institutionen mit örtlichen und regionalen gesellschaftlichen
Akteuren liegen.
Die Lang- und Kurzfassung der Nationalen IKZMStrategie ist im Internet verfügbar unter:
www.ikzm-strategie.de.
Hierdurch sollen jedoch keine neuen bürokratischen
Hürden aufgebaut werden. Im Gegenteil – durch Initiierung einer breit angelegten Partizipation wird eine
Beschleunigung der Problemlösung angestrebt, da
Konflikte frühzeitig erkannt, diskutiert und ausgeräumt werden können.
Aus der Bestandsaufnahme lassen sich aktuelle
Handlungsfelder ableiten, auf die sich IKZM- Aktivitäten in den nächsten Jahren z.B. im Rahmen
von „best practice“-Projekten fokussieren sollten.
Dies sind vor allem, die vertiefte Analyse von ökologischen, ökonomischen und sozialen Trends im
Meeres- und Küstengebiet vor dem Hintergrund der
angestrebten nachhaltigen Entwicklung, die Koordinierung der Offshore-Nutzungen, die Reduzierung
des Flächenbedarfs durch verträgliche Mehrfachnutzung, die Möglichkeiten vermehrter Kooperation in
der Hafenwirtschaft, die Herausforderungen im Rahmen des Küstenschutzes sowie die Zielkonflikte zwi-
Anschrift des Verfassers:
Dr. Stefan Lütkes
Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Robert-Schuman-Platz 3
53175 Bonn
89
Auswirkungen menschlicher
Aktivitäten auf marine Arten
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Histopathologische Aspekte zur akustischen
Belastung von Schweinswalen
Histopathological aspects of acoustic impacts on harbour porpoises
Susanne Prahl und Ursula Siebert
Zusammenfassung
Über den Einfluss von anthropogenem Unterwasserlärm auf die marine Fauna ist bislang wenig bekannt.
Das liegt vor allem an der Schwierigkeit, bei Säugern
pathologisch monokausale Zusammenhänge mit Unterwasserschallereignissen herzustellen. Darüber hinaus kommt erschwerend hinzu, dass diese einen dreidimensionalen Lebensraum nutzen, dessen akustische
Eigenschaften erheblich von denen landlebender Säugetiere/Menschen abweichen. Der prinzipiell ähnliche
Aufbau des Walinnen- und mittelohres sowie wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden aus der humanen HNO-Heilkunde erlauben es, daraus ableitend
Grundlagenwissen zu schaffen, welches die Voraussetzung für die Beurteilung von Veränderungen darstellt.
Dieses Basiswissen ist notwendig, will man aktuelle
Geschehnisse z.B. bezüglich der Massenstrandungen
von Walen im Zusammenhang mit Verlärmungen (Militäreinsatz von Sonar, Einsatz von “Pingern“ in der Fischerei) untersuchen.
Im Rahmen eines vom BMVEL geförderten Projekts
wurden diesbezüglich erstmals Mittel- und Innenohren von 28 Schweinswalen in Deutschland beprobt.
Von August 2002 bis Juli 2005 wurden Gehörorgane
von versehentlich beigefangenen oder gestrandeten
Schweinswalen histopathologisch analysiert. Wichtige
Grunddaten zur generellen Morphologie der Innenund Mittelohren bei Schweinswalen konnten erfasst
werden. In keinem bisher untersuchten Tier wurden
intravitale Atrophien von Sinneszellen des Corti-Organs nachgewiesen, demzufolge keine Indizien für
akustische Schäden vorlagen. Darüber hinaus wurden
verschiedene Veränderungen gefunden, z.B. parasitärer Befall, und damit vermutlich assoziierte entzündliche Reaktionen. Inwiefern der Parasitenbefall die
Hörfähigkeit einschränkt, ist noch unklar. Andere, möglicherweise lediglich als natürliche morphologische
Varianten zu betrachtende Veränderungen wie Zustandsänderungen des akustischen Fetts, reduzierter
Hörnerv, Weichgewebseinlagerungen sollten durch
weiterführende Untersuchungen eines größeren Stichprobenumfangs analysiert werden. Um den Faktor
Lärm auf marine Säuger beurteilen zu können, muss
es Anliegen bleiben, den gesamten Organismus und
verschiedene auftretende Veränderungen, wie z.B.
durch parasitären Befall hervorgerufen, zu betrachten.
Summary
Little is known about the impact of anthropogenic waterborne noise on the marine fauna. This is mainly due to
problems in finding direct pathologic correlations with
underwater noise in marine mammals. Additionally,
marine mammals inhabit a three-dimensional environment with different acoustic characteristics, compared
to the airborne habitats of terrestrial mammals/humans.
Basic knowledge can be derived from the similarity of
the cetacean inner and middle ear and from scientific
methods and findings of human otolaryngology. This
is a major requirement in order to detect and evaluate pathologies. It is also important to understand and
evaluate the possible impact of noise in the occurrence
of mass strandings or with regard to by-catches (e.g.
military use of sonar, use of pingers in fisheries).
From 2002 to 2005, for the first time, the ears of 28 harbour porpoises were examined in Germany under this
aspect. The study was funded by the BMVEL. The ears
of incidentally by-caught or stranded animals were sampled and analysed histopathologically. Important morphologic basic data of the middle and inner ear were
collected. None of the animals had intravital atrophies
of sensory cells of the organ of Corti. However, several
pre-mortem changes were found. These comprised
parasitic infestations, and, inflammatory reactions, either
of which may be the cause of the other. The pathology,
however, is still unknown. Even the effects of commonly
found parasites on hearing are still unknown. Additional
changes in the acoustic fat of the lower jaw, a reduced
8th cranial nerve and soft tissue deposits, among others, should also be investigated and analysed based on
a larger sample. However, examinations of the whole animal are essential, and some inner or middle ear conditions and their causes (infections, parasitic infestations)
are best understood in the context of an assessment
of the condition of the whole animal, which may reveal
other tissues with correlated disease or trauma.
93
94
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Wale sind zur Orientierung, zur Nahrungssuche, aber
auch zur Kommunikation mit Artgenossen unter Wasser wesentlich auf ihre auditiven Fähigkeiten angewiesen. Das Empfangen und auch Aussenden von
Lauten ist für Wale lebenswichtig. Im Laufe von ca. 50
Millionen Jahren haben sie, von landlebenden Säugern abstammend, erstaunliche Anpassungen an den
aquatischen Lebensraum entwickelt. Dazu gehört die
hochentwickelte Fähigkeit, Ultraschalllaute zu erzeugen und wahrzunehmen und diese zur Orientierung
(Echolokation) zu nutzen. Der Aufbau des Innenohres
eines Wals entspricht prinzipiell dem landlebender
Säuger. Es hat eine Kochlea, ein Corti-Organ mit inneren und äußeren Haarzellen auf einer Basilarmembran,
sowie endo- und perilymphatische Flüssigkeitskompartimente. Artspezifische morpho-metrische Unterschiede in Teilen der Strukturelemente von Innenohr
und Gehörknöchelchen werden diskutiert als Folge
einer Habitatanpassung (Ketten [1992, 2000]).
Wale sind natürlichen Lärmquellen meteorologischer
und geologischer Natur (z.B. Wind, Wellen, Sturm,
Erdbeben, Eisbewegung) ausgesetzt. Im Laufe der
kulturellen Entwicklung der Menschen und der damit
einhergehenden Nutzung der Meere sind Lärmquellen
hinzugekommen, deren Anzahl und Vielfalt seit Beginn
der industriellen Revolution vor mehr als 150 Jahren
nochmals durch erheblich gesteigerte wirtschaftliche
Nutzung der Meere gewachsen ist. Große Teile der
Weltmeere sind heute konstant verlärmt. Wachsende
Nutzung der Meere durch Schiffsverkehr, Fischerei, Militär, Seismik, Förderung von Erzen, Öl, Kies und Sand,
Forschung und freizeitlichen Aktivitäten sowie gegenwärtig der Bau und Betrieb von Offshore-Windkraftanlagen führen zwangsläufig zu noch stärkerem Hintergundlärm oder gar akuter unmittelbarer Lärmbelastung
(McDonald et al. [2006]). Langfristige Folgen für die
marine Umwelt sind bisher nur schwierig oder gar nicht
abschätzbar. Schwierig erweist sich dabei die Bewertung von hohen Schalldrücken im aquatischen Medium
für das Innenohr von Walen. Dabei kommt auch zum
Tragen, dass sich Schall unter Wasser im Vergleich zur
Luft mit erheblich größerer Geschwindigkeit ausbreitet
(Luft: 340m/s vs Wasser: 1440m/s).
Aus der humanen HNO-Heilkunde sind durch zahlreiche Studien Klassifizierungen hinsichtlich des
Schalldruckpegels und der Einwirkdauer sowie der zu
erwartenden Schäden im Innenohr möglich und nachweisbar:
• Knalltrauma: definiert durch eine Impulsdauer von
weniger als 2 ms, mit einer Schalldruckspitze von
mehr als 150 dB. Folgen: Einrisse in der Basilarmembran, Lösen der Tip-Links an den Stereozilien der
Haarzellen, Zerstörung der äußeren Haarzellen.
• Explosionstrauma: definiert durch eine Impulsdauer von mehr als 2 ms, mit einer Schalldruckspitze von mehr als 150 dB. Folgen: Zerreißung
des Trommelfells, Luxation/Fraktur der Ossikel
(Gehörknöchelchen), Einblutung in die Paukenschleimhaut, Zerstörung der Haarzellen, Basilarund Reissnermembran.
• Akutes Lärmtrauma: definiert durch eine Impulsdauer von erheblich mehr als 2 ms, mit einer
Schalldruckspitze von mehr als 150 dB. Folgen:
zunächst TTS (temporäre Hörschwellenabwanderung, d.h. zeitweilige Vertäubung), Untergang
der äußeren Haarzellen, wobei es sich hierbei um
physiologische, nicht um mechanische Schäden
der Sinnes- oder Stützzellen handelt.
• Chronisches Lärmtrauma: definiert durch eine lange Impulsdauer (Monate, Jahre), mit einer Schalldruckspitze von mehr als 85 dB. Folgen: zunächst
TTS, beginnende Schwerhörigkeit, Degeneration
zunächst der äußeren Haarzellen, dann der inneren Haarzellen. (Strutz /Mann [2001]).
Studien an Tiermodellen belegen eine Korrelation zwischen lärminduziertem TTS und strukturellen Änderungen im Corti-Organ. Dies sind im Wesentlichen eine
veränderte Anordnung der Stereozilien, Schwellungen
afferenter Nervenfasern und Verformungen der Stützzellen. Jedoch findet sich keine Konsistenz in diesen
pathologischen Veränderungen, so dass der Mechanismus für TTS unklar bleibt (Kluge et al. [2007]).
Inwieweit Korrelationen aus dem humanen HNO-Bereich zu möglichen Einwirkungen von Schall auf Wale
möglich sind, bleibt bisher völlig unklar. Die Sensitivität
für dieses Thema jedoch hat an Interesse derzeit und
in der jüngsten Vergangenheit deutlich gewonnen.
Vermehrt sind in den letzten Jahren Massenstrandungen dokumentiert worden, die in zeitlich und räumlich engem Zusammenhang mit starkem Lärmeintrag, zumeist militärischem Sonareinsatz (~235 dB
re: 1 µPa @ 1 m), vorkamen (Cox et al. [2006], Dinter
[2003]). Dabei sind nicht nur tief tauchende Schnabelwale betroffen. Massenstrandungen von flach tauchenden Arten wie dem Schweinswal sind in jüngster Vergangenheit vorgekommen. 2003 kam es im Mai nach
einer militärischen Übung der US amerikanischen USS
„Shoup“ zwischen Vancouver Island und San Juan Island unter Einsatz eines sogenannten mittelfrequenten
Sonars noch am selben Tag zu einer Strandung von 15
Schweinswalen. Auffällige Verhaltensänderungen dieser und anderer marinen Arten wurden von Augenzeugen beobachtet (Norman et al. [2004]). Was aber genau
zur Strandung führt und welche Vorgänge ursächlich
zum Tode führen, ist ebenfalls unklar. Es gab keine eindeutigen Hinweise auf Einwirkungen durch akustisches
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Trauma. Da viele der untersuchten Kadaver einen mäßigen bis schlechten Erhaltungszustand hatten, d.h. sich
in fortgeschrittener Verwesung befanden, wollten die
Autoren aber die Möglichkeit eines akustischen Traumas
durch den Einsatz des mittelfrequenten Sonars als beitragenden Faktor der Sterblichkeit nicht ausschließen.
Der oben geschilderte Fall ist typisch für die Schwierigkeiten, dieser Frage näher zu kommen. Problematisch bei der Suche nach Ursachen ist der Wettlauf
gegen die Zeit, d.h. in den weit überwiegenden Fällen sind die gestrandeten Tierkadaver zum Zeitpunkt
der Beprobung bereits in der Verwesung fortgeschritten, so dass eine systematische histopathologische
Untersuchung sämtlicher Organsysteme kaum mehr
möglich ist. Ausnahmen haben interessante neue
Befunde zu Tage befördert:
Fernández und Kollegen [2005] untersuchten 14 Schnabelwale, die vor den Kanarischen Inseln am 24. September 2002 nahe einer internationalen Marineübung
auf der „Neo Tapon“ strandeten. Die Strandungen
begannen etwa 4 Stunden nach Beginn des mittelfrequenten Sonareinsatzes. 6 Tiere waren so frisch, dass
komplette Sektionen vorgenommen werden konnten.
Diese Tiere zeigten hochgradige, diffuse Stauungen
der Gefäße und deutlich verbreitete perivaskuläre Blutungen kleinerer Gefäße, assoziiert mit Fettembolien
vitaler Organe, z.B. der Lunge. Zusätzlich waren Gasblasen in mehreren Organen zu finden. Es wurden keine entzündlichen Prozesse oder pathogener Befall von
Bakterien festgestellt, die diese Blasen hätten hervorrufen können. Wie es genau zu diesen Veränderungen
kommt, ist bisher unklar. Die Autoren vermuten aber,
dass die Blasenbildung durch zu schnelles Auftauchen
begünstigt wird (Jepson et al. [2003]). Dies sei ähnlich
den Symptomen der Taucherkrankheit, bei der gelöster
Stickstoff durch zu schnelles Auftauchen in den gasförmigen Zustand übertritt, bevor er die Lunge erreicht.
Dies kann bei Menschen sehr schmerzhaft und lebensbedrohlich werden. Hierdurch kommt es zu Schäden
in sämtlichen Körpergeweben. Nur durch erneute, und
vor allem rasche Kompression kann Stickstoff wieder
gelöst und über die Lunge abgeatmet werden und so
Linderung bringen. Bis heute ist nichts über die chemische Zusammensetzung der Gasblasen oder der
genauen Entstehung bekannt. Neuere experimentelle
Untersuchungen mit Leber- und Nierengewebe vom
Schwein deuten aber darauf hin, dass es in übersättigten Geweben und Blut zu Blasenbildung kommt, die
extensivere Formen annimmt, wird das Gewebe mit Ultraschall bestrahlt (Crum et al. [2005]).
Gezielter Einsatz von Lärm im Meer soll im Zusammenhang mit der neuen EU-Verordnung Nr. 812 den
Rückgang hoher Schweinswalbeifangzahlen bewirken. Anlass waren erschreckend hohe Zahlen vor
allem in der Grundstellnetzfischerei der dänischen
Nordsee, die für 1992 und 1993 7.000 Tiere per anno
auswiesen (Vinther [1997], Larsen [1999]). Ähnlich
hohe Zahlen wurden für 1994 bis 1998 errechnet (Vinther [1999]). Versuche mit Geräten zur akustischen
Abschreckung (Pingern) zeigten die erhoffte Wirkung,
Schweinswale blieben signifikant den Netzen fern
(Larsen [1999], Krause [1997], Laake et al. [1998], Trippel et al. [1999], L arsen et al. [2002], Barlow and Cameron [2003]). Diese Methode ist bis heute die Erfolg
versprechendste, um Schweinswalbeifänge erheblich
zu reduzieren. Fraglich sind dabei mehrere Aspekte:
werden Schweinswale nur vorübergehend vertrieben
oder bedeutet der flächendeckende Einsatz von Pingern Habitatverlust? Gibt es Gewöhnungseffekte, die
die Pinger irgendwann wirkungslos machen (Habitation)? Hat der nun gewollte, zusätzliche Einsatz von
Lärm negativen Einfluss auf die innerartliche Kommunikation (Maskierung) oder gar auf das Hörvermögen
an sich (chronische oder akute Vertäubung bzw. Hörschäden)?
Um der letztgenannten Frage nachzugehen, fanden
im Rahmen eines vom BMVEL geförderten Projekts
(514-33.29/01HS089) erstmals Untersuchungen an Innenohren von 28 Schweinswalen in Deutschland statt.
Von August 2002 bis Juli 2004 wurden Gehörorgane
von versehentlich beigefangenen oder gestrandeten
Schweinswalen aus deutschen und angrenzenden
dänischen Gewässern der Nord- und Ostsee beprobt,
sowie computertomographisch und histopathologisch
untersucht. Um das Innenohr auf Lärmschäden hin
beurteilen zu können, ist dabei von entscheidender Bedeutung, unverzüglich nach Eintritt des Todes entsprechend frische Proben zu entnehmen. Äußere Faktoren
wie Wasser und Lufttemperatur können sich dabei positiv oder negativ auf den Erhaltungszustand auswirken.
Das angepeilte Ziel, Tiere aus Netzen mit Pingern Tieren
aus Netzen ohne Pingern bzw. gestrandeten Tieren gegenüberzustellen, konnte nicht erreicht werden. Während des Zeitraums der Beprobung sind durch starke
Rückgänge des Dorschbestandes in der Nordsee
(2000 bis 2002) erheblich weniger Fischereifahrzeuge
mit Grundstellnetzen eingesetzt worden. Ein positiver
Effekt waren die erheblich reduzierten Beifangzahlen.
Damit ergaben sich jedoch weniger Möglichkeiten, entsprechende Tiere der Untersuchung zuzuführen. Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt kann also keine Einschätzung
zur Belastung der Innenohren bei Schweinswalen durch
Pinger vorgenommen werden. Die Untersuchungen
haben darüber hinaus wertvolle Hinweise zu morphologischen Aspekten geliefert, sowie pathologische Befunde, die im Folgenden beschrieben werden.
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Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Abb. 1: P.p. 1931, Normales Corti-Organ mit leichter Biegung der
Basilarmembran, hervorgerufen durch Überentkalkung,
200fache Vergrößerung
Abb. 2:P.p. 2473, Corti-Organ linkes Ohr. Nuklei der äußeren
Haarzellen unter den Stereozilien (Pfeile). 1: Tektorialmembran, 2: Innerer Tunnel, 3: Nuelscher Raum, umgeben von äußeren Pfeilerzellen, 4: Basilarmembran, 5:
Innere Haarzellen, 1000fache Vergrößerung
Abb. 3:P.p. 2364. Parasiten (Stenurus minor, Pfeile) im Mittelohr.
Tympanikum am unteren Rand, 400fache Vergrößerung
Abb. 4:P.p. 2367, Einige dichtere und möglicherweise geschrumpfte Spiralganglionzellen (Zellen), 200fache Vergrößerung
Abb. 5:P.p. 2364, Bacilli in der Scala tympani, 1000fache Vergrößerung
Abb. 6: P.p. 2364, Eingekapselte, spiralige Erstlarvenstadien von
Stenurus minor, 400fache Vergrößerung
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Die bestfixierten Innenohren hatten zumeist ein intaktes
Erscheinungsbild (Abb. 1, 2). Das Corti-Organ, Stützzellen, Basilar-, Tektorial- und Reissnermembran sowie
Stria vascularis und Spiralligament waren ohne Befund.
Ein häufiges Erscheinungsbild sind parasitisch lebende
Nematoden im Mittelohr (Abb. 3 und 6).
Im Falle der Schweinswale ist bisher lediglich eine
Art, Stenurus minor, bekannt. Über den Lebenszyklus
dieses Nematoden weiß man nur wenig. Hier konnte
neben dem adulten Habitus das spiralige Stadium der
Erstlarven dokumentiert werden. Etwa zwei Drittel der
Ohrproben (64 %) waren parasitär belastet. Welche
Bedeutung der Befall für die Orientierung oder den
Hörsinn hat, ist ebenfalls unklar. Die Beurteilung der
Spiralganglionzellen (Abb. 4) kann durch autolytische
Vorgänge dahingehend erschwert werden, dass z.B.
typische Schrumpfungen und stärkere Anfärbbarkeit
der Perikaryen lediglich Artefakte und keine pathologischen Veränderungen darstellen. Hier ist es wichtig,
das gesamte Präparat zu betrachten und den Gesamtzustand bei der Bewertung mit zu berücksichtigen.
Gegebenenfalls sind Spezialfärbungen hilfreich. Auch
der massive Befall von Stäbchenbakterien in zwei
Proben (Innen- bzw. Mittelohr; s. Abb. 5) deutet nicht
unmittelbar auf ein prämortales Geschehen hin. Sind
keine Entzündungszellen anwesend, ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass es sich dann vermutlich
um postmortale Veränderungen handelt. Keines der
untersuchten frischen Tiere zeigte Atrophien der Sinneszellen des Corti-Organs oder Zeichen neuronaler
Degeneration. In einem Tier jedoch zeigte das CortiOrgan über eine Länge von 2,2 mm einen Verlust von
inneren Haarzellen in der oberen Windung der Kochlea (Abb. 7 bis 9). Dieser Verlust kann als nekrotische
Veränderung angesehen werden, die möglicherweise
ursächlich mit Sauerstoffarmut in Verbindung zu bringen ist, d.h. mangelnder Blutzufuhr (Ischämie) oder
schlechter Sauerstoffversorgung des Blutes (Asphyxie).
Experimentelle Untersuchungen an Chinchillas haben
ergeben, dass äußere Haarzellen die ersten Sinneszellen sind, die durch Lärm geschädigt werden, während
innere Haarzellen durch Ischämie degenerieren (Bohne
[1976]). Im Falle der Schweinswale ist in Betracht zu ziehen, dass das betreffende Tier als Beifang verstarb und
dass der Verlust der inneren Haarzellen wahrscheinlich
auf den Todeskampf im Netz zurückzuführen ist. Abbildung 10 zeigt den intakten Zustand des Petro-Tympanikums mit seiner Aufhängung im peribullären Raum
mittels CT-Aufnahme. Mittelohr und Gehörknöchelchen haben ebenfalls ein normales Erscheinungsbild
Abb. 11 zeigt beispielhaft eine Weichgewebseinlagerung, die möglicherweise eine verminderte Schallweiterleitung zur Folge hat.
Fig. 7: P.p. 2367, Corti-Organ in Schnitt Nr. 371, Vergr. 1000fach,
mit äußeren Haarzellen (schwarze Pfeile) und fehlenden
inneren Haarzellen (roter Pfeil)
Fig. 8: Pp. 2367, Corti-Organ in Schnitt Nr. 381, Vergr. 1000fach,
mit äußeren Haarzellen (schwarze Pfeile) und fehlenden
inneren Haarzellen (roter Pfeil)
Fig . 9: P.p. 2367, Corti-Organ in Schnitt Nr. 391, Vergr. 1000x,
mit äußeren Haarzellen (schwarze Pfeile) und fehlenden
inneren Haarzellen (roter Pfeil)
97
98
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Untersuchungen durchzuführen. Man muss die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass diejenigen Befunde,
die jetzt zur „Gas Bubble Mechanism Theory“ geführt
haben, bereits vorher aufgetreten sind, aber eventuell
nicht im Zusammenhang mit akustischen Ursachen
gesehen wurden. Problematisch dabei ist neben der
noch unklaren Ätiologie dieses Phänomens, dass
noch weitere Fragen offen sind, z.B. über die chemische Zusammensetzung des Gases.
Fig. 10: P.p. 2431, rechtes Ohr, intakte suspensorische Ligamente
(blauer Pfeil), Stapes (pink), akustisches Fett (gelb) und
VIII. Nerv (orangefarbener Pfeil)
Fig. 11:P.p. 2428, Weichgewebe medial und hinter dem Petrotympanikum (Bulla) (eingekreistes Areal). Dies kann einen
Zustand darstellen, der das Hören beeinträchtigt, wenn
das Weichgewebe akustische Fettkörper ersetzt, die mit
der Schallwahrnehmung assoziiert sind
Schlussfolgerung
Um die pathologischen Auswirkungen von Lärm
auf marine Säuger einschätzen zu können, sind
mehrere Ansätze vonnöten. Die jüngsten Veröffentlichungen zeigen, dass es hinsichtlich organischer
Untersuchungen von enormer Bedeutung ist, nicht
nur einzelne Aspekte wie den Gehörsinn separat
zu betrachten, sondern zu versuchen, ganzheitliche
In Bezug auf die Untersuchung von Innenohren von
28 Schweinswalen in deutschen und dänischen Gewässern sind bisher keine Anzeichen für akustische
Schäden in Innenohren nachweisbar. Versehentlich
beigefangene Tiere aus mit Pingern bestückten Netzen waren bisher nicht für Untersuchungen zugänglich. Die untersuchten Schweinswale sind Wildtiere,
über deren Lärmexposition keine genauen Angaben
gemacht werden konnten. Dies ist jedoch möglich,
wenn beigefangene Schweinswale aus Netzen, die
mit Pingern versehen sind, beprobt werden können.
Alternative Lärmquellen können nicht berücksichtigt
werden. Eine bestimmte Lärmquelle kann nur dann
detektiert werden, wenn unter kontrollierten Bedingungen entsprechende Schäden im betreffenden
Frequenzbereich mit statistisch signifikanten Vorkommen nachgewiesen werden können. In diesem
Fall müssen Tiere aus Netzen mit Pingern verglichen
werden mit Tieren, die nicht pingerexponiert gewesen sind. Die neue EU-Verordnung 812 verpflichtet
zum Einsatz dieser Geräte mit genauen technischen
Vorgaben in der EU-Fischerei. Hier können Zusammenhänge hergestellt werden, da das Spektrum der
Pinger (Schalldruck, Frequenzbereich) bekannt ist.
Es ist erfreulich, dass in Deutschland Untersuchungen
in diesem Bereich begonnen werden konnten. Auch
wenn zur Zeit noch keine greifbaren Ergebnisse und
demzufolge Erkenntnisse zum Einsatz von Pingern
hinsichtlich einer Lärmbelastung vorliegen, so wurde eine wesentliche wissenschaftliche Grundlage
geschaffen, auch zum Vergleich mit noch folgenden
Daten. Eine langsam wachsende Zahl europäischer
wissenschaftlicher Einrichtungen nutzen nun die
Möglichkeit, hier ebenfalls Proben der Untersuchung
zuzuführen. Es besteht somit die Möglichkeit, größere
Datensätze zu erstellen und zu robusteren Ergebnissen zu kommen. Um Veränderungen im Innen- bzw.
Mittelohr von Schweinswalen (Parasitenbefall, Infektionen) und ihre Entstehung besser zu verstehen, sowie akustisch verursachte Beeinträchtigungen, Schäden bzw. Zusammenhänge dieser oder auch anderer
Veränderungen zu erkennen (kumulative Effekte?), ist
es darüber hinaus hilfreich, aus der humanen HNOHeilkunde entsprechende Methoden zu adaptieren.
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Es gibt derzeit Anstrengungen, das Sektionsprotokoll
international zu überarbeiten, so dass die oben genannten Aspekte im Hinblick auf lärminduzierte Veränderungen verstärkt berücksichtigt werden. Dennoch
ist es von Wichtigkeit und allgemein angestrebt, die
gesetzten Schwerpunkte in der Untersuchung nicht so
zu fokussieren, dass die Gesamtbeurteilung des Gesundheitszustands eines Individuums vernachlässigt
wird. Um den Faktor Lärm auf marine Säuger beurteilen
zu können, muss es Anliegen bleiben, den gesamten
Organismus und verschiedene auftretende Veränderungen, wie z.B. durch parasitären Befall hervorgerufen, zu betrachten.
Danksagung
Hier gilt der besondere Dank den Kollegen, die bei
der Erstellung der Ergebnisse mitgearbeitet haben:
Julie Arruda, Darlene Ketten, Eva Kuhn, Jennifer
O’Malley.
Diese Studie wurde gefördert vom Bundesministerium
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
(BMVEL) durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft
und Ernähung (BLE) unter #514-33.29/01HS029. Ihre
Ergebnisse werden vom BMELV zur Verbesserung
und Entwicklung von Schutzmaßnahmen für Kleinwale gegen akustische Einflüsse mit gefährlichem
Potential verwendet.
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Anschrift der Verfasserinnen:
Susanne Prahl
Dr. Ursula Siebert
Forschungs- und Technologiezentrum
Westküste (FTZ)
Universität Kiel
Werftstr. 6
25761 Büsum
Vinther, M., 1997: Incidental catch of harbour porpoise (Phocoena phocoena) in Danish North Sea
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1993, Ebeltoft, April 1994, Eds.: Danish Environmental Protection Agency, Ministry of Environment
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Vinther, M., 1999: By-catches of harbour porpoises
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Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Beifang von See- und Wasservögeln in Stellnetzen
der Küstenfischerei der Ostsee
Bycatch of seabirds and waterfowl in set nets of Baltic Sea
coastal fisheries
Frithjof Erdmann
Zusammenfassung
Summary
See- und Wasservögel können zum Beifang bestimmter Fischereiformen werden, in der Ostsee vor
allem bei der Stellnetzfischerei (am Grund oder pelagisch gestellt). Aus den meisten Ländern ist dazu
Material verschiedener Qualität verfügbar, hier werden Beiträge aus Deutschland, Polen, Litauen und
Schweden ausgewertet. Ergänzend wurden von
B. Schirmeister 1989–2005 gesammelte Daten (bisher teilweise unveröffentlicht) aus den Küstengewässern vor Usedom (Pommersche Bucht) analysiert.
Seabirds and waterfowl may become bycatch in certain forms of fishing, in the Baltic Sea mostly in drift
and set net fisheries using gillnets and trammel nets.
Information of different quality is available on this subject from most countries, but here we have analysed
the contributions from Germany, Poland, Lithuania,
and Sweden. Additionally, data from coastal fisheries off the island of Usedom (Pomeranian Bay, NE
Germany) collect by B. Schirmeister in 1989–2005
are analysed.
Stellnetze sind gefährlich sowohl für Fisch fressende
Vögel als auch für Entenarten, die ihre Nahrung am
Gewässergrund finden. Die meisten Opfer entlang
der südlichen Ostseeküste sind Eisenten, die hier
überwintern. Auch Samt- und Trauerente, gebietsweise auch Eider- und Bergente gehören zu den häufig
betroffenen Arten. Die spezifische Gefährdung ist
allerdings bei den nach Fischen tauchenden Arten
größer; am häufigsten gehören See- und Lappentaucherarten zu den Opfern, gebietsweise auch Kormorane, Alken und Lummen. Die Ergebnisse beziehen
sich bisher ausschließlich auf Vogelbeifänge der küstennahen Fischerei.
Gillnets and related gear are dangerous as well for
fish eating birds as for duck species feeding on
macrozoobenthos from the sea floor. Most victims
along the southern Baltic coast are wintering Longtailed Ducks. Also frequently affected are Common
and Black Scoter, in some areas Eider and Scaup.
However, the specific threat is much higher for species diving to catch fish; most victims are divers and
grebes, in some regions also cormorants and guillemots. The results actually only reflect bird bycatches
in near-coastal areas.
Seevogelkonzentrationen hängen vor allem von der
Verfügbarkeit von Nahrung ab. Die Analyse und Vorhersage potentieller Konflikte muss deshalb sowohl
die Vogelbestände als auch die ökologischen Bedingungen einschließen. Der ornithologischen Information adäquate Daten zur Fischerei werden benötigt.
Vorstellungen zu Möglichkeiten der Minderung solcher Vogelbeifänge und zur weiteren Arbeit an dem
Problem werden diskutiert.
Seabird concentration depends on food availability.
Therefore both, bird numbers and ecological conditions have to include in the analysis and prediction of
potential conflicts. Also more information on fisheries activities is needed. Possible opportunities of re­
ducing bird bycatches are discussed and proposals
for further work on the problem are given.
101
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
102
1 Hintergrund und Aufgabe
Zu Beginn der 1990er Jahre erhielt das Wissen um das
Zug-, Rast- und Überwinterungsgeschehen von Seeund Wasservögeln1) im Ostseeraum einen bedeutenden
Aufschwung. Als Ergebnis einer mehrjährigen wissenschaftlichen Zusammenarbeit von Ornithologen aller
Anrainerstaaten legten Durinck et al. [1994] erstmals
eine Übersicht der wichtigsten Überwinterungsgebiete
von See- und Wasservögeln in der Ostsee vor. Gab
es vordem in mehreren Ländern nur Zählungen von
Land, war es nunmehr möglich, überall Erfassungen
von Schiffen und Flugzeugen aus einzubeziehen.
Die neuen Daten erlaubten erstmalig nicht nur die
Identifizierung und Abgrenzung der Überwinterungsgebiete, sondern auch die Quantifizierung der dort
weilenden Vogelbestände.
Deutsche Küstengewässer sind unter den von
­Durinck et al. [1994] erkannten und nach Anzahl der
Arten und Individuen bewerteten 39 wichtigsten Gebieten fünfmal vertreten:
• Pommersche Boddenlandschaft von der DarßZingster Boddenkette bis zum Stettiner Haff (Zalew Szczeciński), einschließlich der rügenschen
Bodden (ostseeweit 1. Rang)
• Pommersche Bucht (Territorialgewässer Mecklenburg-Vorpommerns und Polens sowie Teile der
deutschen und polnischen AWZ/EEZ2)) (2. Rang)
• Kieler Bucht (einschl. der Anteile dänischer Gewässer) (8. Rang)
• Gewässer vor und in der Wismar-Bucht einschließlich des Salzhaffs (13. Rang)
• Seegewässer nördlich des Darß und des Zingst3)
bis zum Plantagenetgrund (19. Rang).
Ergebnisse späterer Forschungen (z.B. Bundesprojekte MINOS und MINOS+, Befliegungen im Auftrag
des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Gutachten
für Windparkplanungen etc.) bestätigten die ersten
Bewertungen der Überwinterungsgebiete. Zusätzlich wurden dabei Informationen zum Zugrast- und
Mausergeschehen zu anderen Jahreszeiten gewonnen. Die Bedeutung der inneren Küstengewässer
(Bodden und Haffe) als Rast- und Überwinterungsgebiet war schon lange vor den Untersuchungen von
Durinck et al. [1994] bekannt (s. IfAÖ [2005]).
1)
2)
3)
Für die Staaten der EU besteht die Verpflichtung zur
Ausweisung als Vogelschutzgebiet, sobald ein Gebiet nach rein fachlichen Kriterien als eines der „geeignetsten“ identifiziert wurde; bei der Festlegung
von Kriterien ist der Ermessensspielraum gering. Für
jene Arten, für die ein Gebiet ausgewiesen wurde, ist
ein effektiver Schutz durchzusetzen. Das bedeutet,
dass in Vogelschutzgebieten die Verpflichtung besteht, Konflikte aus Nutzungsansprüchen und ökologischen Funktionen der Arten soweit zu reduzieren,
dass sie sich nicht erheblich auf die Schutzerfordernisse für die betreffenden Vogelarten auswirken.
Es ist bekannt, dass auch in der Ostsee See- und
Wasservögel in erheblicher Anzahl in Fischereigeräten ertrinken, insbesondere in Stellnetzen. Deshalb
sollte ermittelt werden, ob sich daraus ein besonderes Konfliktpotential zwischen den Erfordernissen des Vogelschutzes und der Fischerei ableitet,
schließlich aber auch, ob bestimmte Maßnahmen
erforderlich sind.
In einem ersten Schritt sollte die Situation in der
Ostsee anhand verfügbarer Literatur und darüber
hinaus vorhandener Daten analysiert werden. Dabei waren nach Möglichkeit folgende Fragen zu beantworten:
• Welche Größenordnung erreichen die Verluste
von See- und Wasservögeln in Fischereigeräten?
• Sind daraus Bestandsgefährdungen von Vogelarten durch die Fischerei abzuleiten?
• Welche Fischereiformen sind im Hinblick auf Vogelbeifang besonders konfliktträchtig?
• Gibt es Möglichkeiten zur Reduzierung der Konflikte?
Die Studie wurde vom Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern in
Auftrag gegeben und vom I.L.N. Greifswald – Institut
für Landschaftsökologie und Naturschutz – in Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte Ökologie
in Broderstorf erarbeitet (Erdmann et al. [2005]). Im
Ergebnis konnten Grundlagen zur Beschreibung und
Bewertung des Konfliktfeldes „Seevögel und Fischerei“ vorgelegt werden. Wesentliche Inhalte der Studie
werden im Folgenden wiedergegeben.
Eine wissenschaftlich haltbare Abgrenzung zwischen Seevögeln und Wasservögeln gibt es nicht. Mit dem kombinierten Begriff
sind alle regelmäßig bzw. ständig Seegebiete nutzenden Vogelarten eingeschlossen.
AWZ: ausschließliche Wirtschaftszone = EEZ: Exclusive Economical Zone
Einschließlich der Gewässerflächen vor der Außenküste des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
2 Verfügbare Untersuchungser­geb­­­­­­­­­­­
nis­­se aus dem Ostsee-Raum
Übersicht
Aus dem Ostseeraum lagen 16 spezielle Studien bzw.
zur Einschätzung der Vogelbeifangsituation verwertbare Beiträge aus der Literatur vor, überwiegend aus
Deutschland, Polen und Schweden sowie eine Studie aus Litauen – einige werden hier kurz vorgestellt.
Auf die Beiträge aus Dänemark, Finnland, Lettland
und Russland wird hier nicht eingegangen.
Deutschland: Schleswig-Holstein
In der Kieler Bucht und den westlichen Teilen der
Mecklenburger Bucht ist die Eiderente außerhalb der
Brutzeit sowohl hinsichtlich ihrer Anzahl als auch des
Anteils ihrer europäischen Winterpopulation die bedeutendste Art. Von Trauerente, Eisente, Haubentaucher und Schellente wurden ebenfalls große Winterbestände festgestellt (Durinck et al. [1994]). Bräger
und Nehls [1987] stellten erstmals die Ergebnisse
kombinierter Zählungen (Küste, Schiff, Flugzeug)
vor und konnten so die Bedeutung dieser Gewässer
für die Überwinterung von See- und Wasservögeln
quantitativ beschreiben. Eine Aktualisierung (Daten
bis Frühjahr 1992) wurde von Bräger et al. [1995]
vorgelegt.
Bereits von Kirchhoff [1982] wurden Ergebnisse
vierjähriger Untersuchungen zu Vogel­beifängen
veröffentlicht. Erwartungsgemäß waren die Eiderente Somateria mollissima mit 64 % und die Trauerente Melanitta nigra mit 18 % der 2.839 erfassten
Stellnetzopfer (8 Arten) am stärksten betroffen.
Ebenfalls einen hohen Anteil von 8 % stellte die auf
sehr flache Gewässerteile spezialisierte Reiherente ­ Aythya fuligula. Der Autor hatte Daten von etwa
19 % der Boote und Kutter im deutschen Teil der
Kieler Bucht untersucht und schätzte daraufhin die
mittleren jährlichen Verluste auf ca. 16.000 Vögel
von mindestens 8 Arten.
Deutschland: Mecklenburg-Vorpommern
Die Küste im Westen Mecklenburg-Vor­pommerns bildet einen Übergang von der westlich anschließenden
Fördenküste über Buchten zur Bodden- bzw. Haffküste im mittleren und östlichen Teil des Landes (Pommern). Durch die unterschiedlichen Küstenformen,
Expositionen und den Salinitätsgradienten entsteht
eine Vielfalt an ökologischen Angeboten für rastende
und überwinternde Vögel, die sich sowohl in großen
Individuenzahlen als auch in einem breiten Artenspektrum widerspiegelt. Deshalb wurden insbesondere
die pommersche Boddenküste und die vorgelagerten Seegebiete der pommerschen Bucht als hoch
bedeutsame Überwinterungsgebiete für große Individuenzahlen mehrerer Arten identifiziert (Durinck et
al. [1994], Garthe und Sonntag [2004], Garthe et al.
[2004], IfAÖ [2005]). In den Boddengewässern bilden
vor allem Tauchenten1) und Säger, in der Pommerschen Bucht einschließlich der Oderbank See- und
Lappentaucher, die sogenannten Meeresenten2) sowie Alken und Lummen den größten Teil der Bestände. Das Artenspektrum der Pommerschen Bucht findet sich auch in den Seegebieten zwischen Bornholm
und Rügen (Adlergrund, Rønne-Bank) sowie nördlich
des Darß (Plantagenetgrund, Darßer Schwelle) bei
geringeren Bestandsgrößen. Das Artenspektrum der
Wismarbucht und angrenzender Küstenstreifen ähnelt
dagegen mehr dem der Kieler Bucht.
Die relativ hohen Bestände der genannten Überwinterungsgebiete widerspiegeln sich auch im Beifanggeschehen der Küstenfischerei. Schirmeister [2003]
stellte die Ergebnisse seiner Untersuchungen von
Beifang-Stichproben der Küstenfischerei3) vor der Insel Usedom aus 12 Winterhalbjahren von 1989/1990
bis 2000/2001 vor. Diese Daten umfassten zwar
überwiegend Stellnetzbeifänge von der Außenküste
(Pommersche Bucht), waren aber mit einer Anzahl
von Stellnetz- und Reusenopfern aus inneren Küstengewässern und Binnenseen vermischt. So stellte die
Eisente Clangula hyemalis mit 62 % der 10.701 erfassten Individuen (26 Arten) zwar den größten Anteil der Beifangopfer, an zweiter Stelle folgte aber mit
19 % der Kormoran Phalacrocorax carbo, der fast
nur in Reusen des Küstenhinterlandes gerät.
1)
Tauchenten erbeuten ihre Nahrung (überwiegend Mollusken und Krebstiere, auch Ringelwürmer, Laich, Pflanzenteile) durch
Tauchen, sind aber nicht an Meere gebunden (hier Tafel-, Reiher-, Berg- und Schellente).
2)
Meeresenten verbringen den größten Teil ihres Lebens auf dem Meer, brüten aber oft im Binnenland (Eisente, Trauerente),
andere überwiegend (Samtente) oder ausschließlich (Eiderente) an der Küste. Außerhalb der Brutzeit sind sie exklusiv an das
Meer gebunden, bzw. kommen nur selten auf Binnengewässern vor. Ein ähnliches Verhalten findet sich bei den sogenannten
Seetauchern und bei den meisten Lappentaucherarten.
3)
Fischerei mit kleinen Booten (Besatzung meist 2, heute oft nur 1 Mann) mit geringen Reichweiten. Die Netze werden oft einige
Hundert Meter vor der Küste gestellt, auch bis etwa 3 sm Entfernung. Gelegentlich werden gute Fanggründe vor der Greifswalder
Oie aufgesucht. Fänge von der Oderbank oder anderen zentralen Teilen der Pommerschen Bucht sind also nicht enthalten.
103
104
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
B. Schirmeister und die Verfasser der aktuellen Studie (Erdmann et al. [2005]) kamen überein, beide Datenbestände voneinander zu trennen und zugleich
die Daten von vier weiteren Winterhalbjahren einzubeziehen. Die Ergebnisse von nunmehr 16 Jahren,
ausschließlich aus küstennahen Bereichen der Pommerschen Bucht, stellen sich folgendermaßen dar:
unter den 11.263 erfassten Individuen (31 Arten) war
die Eisente Clangula hyemalis mit 74 %, Trauerente
Melanitta nigra und Sterntaucher Gavia stellata mit
jeweils 7 % vertreten. Die übrigen Arten stellen in der
Summe 12 % – mehr Information findet sich dazu im
Abschnitt 4 dieses Artikels.
Anders als vor Schleswig-Holstein, wo die meisten
Verluste in der ersten Hälfte des Winterhalbjahres
(Maximum im November) gefunden wurden (Kirchhoff [1982]), fallen in Vorpommern die meisten Verluste in die Monate Februar und März (Schirmeister
[2003]). Wir finden also nicht nur unterschiedliche
Artenspektren, sondern auch jeweils eine eigene
Phänologie des Zugrast- und Überwinterungsgeschehens.
Polen
In Polen veröffentlichten Kowalski und Manikowski
[1982] erstmals Ergebnisse von quantitativen Untersuchungen zum Ertrinken von Vögeln in Stellnetzen,
wenngleich nur aus einem Winterhalbjahr. Sie wurden
unweit der späteren Untersuchungen Schirmeisters
[2003] in der Pommerschen Bucht (Zatoka Pomorska) durchgeführt. Kowalski und Manikowski [1982]
werteten Einsammlungen von Fischern des kleinen
Hafens Dievenow (Dzivnów), im Winter 1977/1978
aus: bei 581 Individuen (9 Arten) wurden 53 % von
der Eisente, 27 % von der Samtente Melanitta fusca
und 16 % von der Trauerente gestellt. Im Mittel wurden pro Boot und Einsatztag 2,4 Vögel gefangen, allerdings mit ausgeprägtem Maximum in der 2. Märzund der 1. Aprilhälfte.
Umfangreichere Untersuchungsergebnisse über Vogelverluste durch die Stellnetzfischerei in der Danziger
Bucht (Zatoka Gdańska) wurden durch ­ Stempniewicz
[1994] vorgelegt. Kieś und Tomek [1990] werteten Daten aus der Putziger Wiek (Zatoka Puc­ka) aus, die den
nord­west­lichen Abschluss der Danziger Bucht bildet.
Stempniewicz [1994] fasste die Vogelbeifangzahlen
von 8 Zugrast- und Überwinterungs­zyklen (1972
bis1976 und 1986 bis1990) aus der westlichen Danziger Bucht zusammen. Von den 1.254 ausgewerteten Opfern (24 Arten) waren 48 % Eisenten, 23 %
Samtenten, 8 % Berg­enten Aythya marila und jeweils
ca. 6 % Trauerenten und Eiderenten. Die übrigen Arten stellten zusammen 9 %. Stempniewicz [1994] legte
auch Berechnungen zur Größenordnung der Fischereiverluste im Verhältnis zum Gesamtbestand vor
(s.u. Abschnitt 3).
Kieś und Tomek [1990] erfassten in 3 Winterhalbjahren 860 ertrunkene Vögel von mindestens 15 Arten.
Unter den Opfern dominieren ebenfalls Eisenten und
Samtenten mit 41 bzw. 22 %, doch lassen 21 % Trottellummen Uria aalge und 5 % Tordalken Alca torda
einen erhöhten Anteil von Stellnetzfischerei (teilweise
pelagischer) in tieferen Gewässern vermuten. Die Beobachtungen von Kieś und Tomek [1990] weisen auch
darauf hin, dass in leichten, oberflächennah gestellten Netzen nicht alle Vögel ertrinken, sondern teilweise noch auftauchen und atmen können. Allerdings
wurde ein recht großer Anteil dieser Tiere von Möwen
attackiert und angefressen (insgesamt ca. 30 % der
Opfer), was bei den meisten zum Tode führte.
Kieś und Tomek [1990] ermittelten für die Putziger
Wiek ca. 250 Beifangopfer für ein Boot pro Saison.
Stempniewicz [1994] fand dagegen für den Westteil
der eigentlichen Danziger Bucht jährlich nur 76 Vögel pro Fahrzeug.
Litauen
Eine kleine, doch hinsichtlich Planung, Durchführung
und Auswertung recht intensive Studie legten Dagys
und Žydelis [2002] vor. Die Stellnetzfischerei, vor der
litauischen Küste erst seit 15 Jahren verbreitet, hat in
den letzten Jahren stärker zugenommen. Nach Angaben bei Žydelis et al. [1999], Dagys und Žydelis [2002]
und Žydelis [2002] sind ent­lang der litauischen Küste
jährlich ca. 5.000 bis10.000 in Netzen gefangene Vögel zu erwarten.
An der litauischen Außenküste vor Polangen (Palanga) und Memel (Klaipéda) wurden von Dezember
2001 bis April 2002 die Seevogel-Beifänge von 6
Fischereiunternehmen ausge­wertet, insgesamt von
357.653 NMD (net meter days). Die Fischereiintensität
war im April am höchsten, im Februar am niedrigsten.
219 Vögel wurden in den Netzen gefunden. Die mittlere Beifangrate betrug 0,61 Vögel pro 1.000 NMD,
was im täglichen Mittel 1 Vogel auf 1.640 m Stellnetz
bedeutet. Mit 61 % stellte die Eis­ente den größten
Anteil, gefolgt von Samtente und Trauerente mit 11 %
und 5 %. Die Seetaucherarten (Gavidae) waren mit
zusammen 14 % der Opfer stark vertreten, also zumindest eine Art häufiger als die Trauerente (Dagys
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
und Žydelis [2002]). Mit einem Anteil von 2 % sind
die Verluste der Scheckente Polysticta stelleri ebenfalls sehr bedeutsam, da der Bestand dieser Art, der
vor der Küste des Baltikums überwintert, gefährdet
ist (s. auch Žydelis und Skeiveris [1999], Žydelis et al.
[1999]).
dischen Berufsfischerei verursachten Opfer vorgenommen, man ermittelte ca. 18 000 Vögel pro Jahr
(Lunneryd et al. [2004]). Die Fischer wurden auch zu
den Gerätetypen befragt, in denen sie ihre Vogelbeifänge feststellten. Dabei rangierten vier Stellnetzarten
vorn, die mit Grundstellnetz, Dorschnetz, Schnäpelnetz und Lachsnetz angegeben waren (Abbil­dung 1,
nach Lunneryd et al. [2004]).
Schweden
Von den aus Schweden bekannten Studien sind zwei
für die allgemeine Betrachtung der Vogelbeifänge
bedeutsam: eine Felduntersuchung auf ornithologischer Grundlage (Oldén et al. [1988]) und eine
Umfrage-Studie der Fischereibehörde (Lunneryd et
al. [2004]).
Oldén und Kollegen führten in 3 Winterhalbjahren
(1982/83 bis 1984/85) Befragungen bei Fischern in
Nordwest-Schonen (nordvästra Skåne; südöstliches
Kattegat) durch und musterten in mehreren Häfen
die Vogelbeifänge. In den drei darauf folgenden
Wintern (bis 1988) wurde diese Arbeit auf zwei Fischerhäfen konzentriert. Insgesamt wurden 25.300
Vögel erfasst. Unter den Opfern war der Anteil der
Trottellumme mit 90 bis 95 % außerordentlich hoch,
der Kormoran folgte mit einen Anteil von 3 bis 7 %
(Oldén et al. [1988]).
In Dorschnetzen fingen sich erheblich mehr Vögel als
in Heringsnetzen. Kormorane wurden allerdings ausschließlich in Heringsnetzen (monofiler Typ) gefangen
(Oldén et al. [1988]). Während Heringe der gefangenen Größe zum Nahrungsspektrum von Kormoranen
gehören und deshalb der Verdacht berechtigt ist,
dass ein Teil der Vögel durch die in den Netzen gefangenen Fische angelockt wurde, gibt es derartige
Anhaltspunkte für Trottellummen nicht – heringsgroße
Fische gehören nicht zum Nahrungsspektrum dieser
Art.
3%
8%
5%
3%
10 %
42 %
29 %
Grundstellnetz
Lachsnetz
Dorschnetz
Salmonidenfalle
Schnäpelnetz
Aalreuse
Übrige
Abb. 1: Verteilung der Seevogel-Beifänge in verschiedenen Typen von Fischerei­geräten der schwedischen Berufsfischer nach Untersuchungen von Lunneryd et al. [2004],
Anzahl der gemeldeten Vögel n = 2 650 Nach der Studie von Lunneryd et al. [2004] ergibt
sich ein anderes Bild, was bei anderer Untersuchungszeit, Methode und anderem Bezugsgebiet
nicht überrascht. In Telefoninterviews mit 191 Berufsfischern (entspricht 17 % der schwedischen Fischereiflotte) wurde der Beifang von 2.650 Vögeln gemeldet. Hier dominiert der Kormoran mit 54 %, gefolgt
von der Eiderente mit 14 % und der Trottellumme mit
11 %. Auch Säger-Arten (Mergus spec.) mit 9 % und
die Eisente mit 5 % stellten erhebliche Anteile (Lunneryd et al. [2004]).
Neben diesen Studien fanden sich aus Schweden
noch hinsichtlich des Vogelbeifangproblems verwertbare Aufsätze zur Ostseepopulation der Trottellumme (Olsson et al. [2000], Österblom et al. [2002]). Sie
beruhten bei dieser recht intensiv betreuten Art im
Wesentlichen auf der Auswertung von Ringwiederfunden. Für die ausschließlich von Fischen (Sprottengröße) lebenden Lummen sind Stellnetze ein
bedeutender Mortalitätsfaktor: etwa die Hälfte der
Ringwiederfunde stammte aus Fischereigerät, soweit
die Geräteart bekannt war, ganz überwiegend aus
Stellnetzen (Olsson et al. [2000]).
Für die 10 am häufigsten beigefangenen Arten wurde
eine Hochrechnung für die insgesamt von der schwe-
Eine knappe Literaturübersicht zum Beifang von Vögeln und Säugern gab Österblom [2002].
105
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
106
3 Kann die Anzahl der Stellnetz­
opfer für betroffene See- und
Wasservogelpopulationen be­
deut­­sam sein?
Für die Einschätzung, ob eine durch die Fischerei
abgeschöpfte Anzahl von Vögeln für die Populationsentwicklung bedeutsam oder gar gefährlich ist, sind
vor allem zwei Fragen zu klären:
• Wie groß ist der Anteil der durch die Fischerei entnommenen Tiere am Gesamtbestand der jeweiligen Art?
• Welchen Bedrohungen sind die Vogelbestände
neben den Verlusten durch die Fischerei ausgesetzt?
Art
Anteil an
ertrunkenen
Vögeln
in %*
Bereits die Beantwortung der ersten Frage ist nicht
einfach. Über repräsentative Stichproben kann wohl
der Umfang der Vogelbeifänge eines Gebietes bekannt sein, die Ermittlung der Größe der Grundgesamtheit ist jedoch ein eigenes Problem. Einige
Autoren behelfen sich deshalb mit einem Vergleich
zwischen Vogelbeifängen und den durch regelmäßige Zählungen ermittelten Höchstbeständen
ras­tender oder überwinternder Vögel. Als Beispiel
dafür stehen die von Stempniewicz [1994] in der Danziger Bucht (Zatoka Gdańska) ermittelten Zahlen
(Tabelle 1)1). Ein umfangreicher Vergleich dieser Art
findet sich in der sehr intensiven Untersuchung von
van Eerden et al. [1999] aus dem IJsselmeer-Markermeer (Niederlande).
Anteil ertrunkener Vögel Danziger Bucht
gesamt
Westteil**
Geschätzter
höchster Winterbestand***
Anteil der ertrunke­
nen Vögel am
Höchstbestand
in %
Clangula hyemalis
48,3
8.443
6.681
30.000 - 40.000 1)
16,7 - 22,3
Melanitta fusca
23,0
4.020
3.181
14.800 2)
21,5
Aythya marila
7,7
1.346
1.065
10.000
3)
10,6
Melanitta nigra
6,2
1.084
858
4.200 2)
20,4
Somateria mollissima
5,5
961
761
500
152,2
andere Arten
9,3
1.626
1.286
*
**
***
4)
Bezogen auf den gesamten polnischen Teil der Danziger Bucht
Westteil der Danziger Bucht (westlich der Weichselmündung)
Angaben nach: 1) Meissner und Maracewicz [1993], 2) Meissner [1993], 3) Michno et al. [1993], 4) Meissner und Sikora [1993] Tab. 1: Geschätzte Anzahl der in der Danziger Bucht in einem mittleren Winterhalbjahr in Netzen ertrunkenen Vögel der fünf häufigsten
Tauchentenarten im Verhältnis zu den ermittelten Höchstbeständen (Stempniewicz [1994])
Eine bessere Annäherung an den wirklich betroffenen Anteil von Vögeln erreicht man über die mittlere Anzahl der Vögel und deren Verweildauer im
Rast- bzw. Überwinterungsgebiet (Anzahl „VogelTage“). Nach diesem Prinzip verfuhren offenbar
Dagys und Žydelis [2002] bei der Ermittlung relativer Gefährdungsindizes für die Arten, ohne jedoch ihre Datengrundlagen im Einzelnen zu veröffentlichen (siehe Tabelle 2). Die Vogelbeifänge an
der litauischen Küste entsprechen etwa 5 bis 10 %
des dort anwesenden mittleren Winterbestandes
(Žydelis [2002]).
1)
2)
Bei gut untersuchten und markierten Vogelbeständen gibt es eine dritte Möglichkeit: Aus Ringfunddaten errechneten Olsson et al. [2000], dass 1.500
bis 4.500 Trottellummen2) der Ostseepopulation
jährlich in Fischereigeräten ertrinken; das entspricht
jeweils 3 bis 10 % des Bestandes. Die Wiederfunde
konzentrieren sich in jenen Bereichen der Ostsee, in
denen starke Stellnetzfischerei und Überwinterungsgebiete zusammenfallen: um Öland und Gotland, in
der Hanö-Bucht, den Gewässern um Bornholm und
Rügen sowie in der Pommerschen und der Danziger
Bucht (Olsson et al. [2000]).
Sehr hohe Anteile ertrunkener Vögel (Beispiel: Somateria mollissima) können sowohl durch Unterschätzung der Bestandsgröße
als auch durch eine starke Dynamik der Rastbestände entstehen.
Die Spanne entsteht durch den unbekannten Anteil der Meldungen an den wirklichen Funden: werden alle gemeldet, wären es
1.500, wird nur jeder dritte Vogelfund gemeldet, wären es 4.500 ertrunkene Vögel.
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Die meisten durch die Stellnetzfischerei beeinträchtigten Arten sind diesem Mortalitätsfaktor über den
größten Teil des Jahres ausgesetzt, sowohl bei Rast­
aufenthalten während des Zuges als auch in den
Überwinterungsgebieten, oft auch in Mausergebieten. Für Beeinträchtigungen während der Brutzeit
gibt es dagegen nur relativ wenige Hinweise (z.B. für
Eiderenten). Die Frage, welchen Bedrohungen die
Vogelbestände neben den Verlusten durch die Fischerei ausgesetzt sind, war nicht Gegenstand der
hier besprochenen Studie.
Species
Vogelbeifangrate
(Vögel/1.000 NMD)
Aufschlussreich ist die Ermittlung relativer Gefährdungsindizes (Tab. 2) für die verschie­denen Vogelarten (Dagys und Žydelis [2002]). Damit kann quantifiziert werden, was man nach Beobachtungen
verschiedener Bearbeiter (z.B. Stempniewicz [1994],
Schirmeister [2003]) erwarten konnte und durch van
Eerden et al. [1999] bereits auf andere Weise nachgewiesen wurde: Für die einzelnen Arten bestehen
unterschiedliche spezifische Gefährdungen. Generell sind Fisch fressende Arten erheblich stärker betroffen als Arten, die sich von Benthos ernähren (van
Eerden et al. [1999], Dagys und Žydelis [2002]).
Mittlerer Bestand*
(Anzahl der Individuen)
Relativer
Gefährdungsindex
Prachttaucher, Sterntaucher
Gavia arctica, G. stellata
0,08
60
1,33
Haubentaucher
Podiceps cristatus
0,02
500
0,04
Scheckente
Polysticta stelleri
0,02
300
0,07
Samtente
Melanitta fusca
0,15
5.600
0,03
Eisente
Clangula hyemalis
0,37
3.400
0,11
*
Mittlerer Wintervogelbestand des untersuchten Fischereigebietes, von den Autoren als „relative Abundanz“ bezeichnet.
Tab. 2: Beifangrate, relative Abundanz* und relativer Gefährdungsindex der häufigs­ten in Stellnetzen gefangenen Vogelarten
(Dagys and Žydelis [2002])
Dagys und Žydelis [2002] konnten auch nachweisen,
dass weitmaschige Netze für die meisten Vogelarten
gefährlicher als engmaschige sind. Selbstverständlich
darf dieser Umstand nicht zum Anlass für Forderungen
zur Reduzierung der vorgeschriebenen Maschenöffnungen werden, die ja ein wichtiges Instrument bei
der Durchsetzung einer nachhaltigen Fischerei sind.
4 Näher untersucht: Vogelbeifänge der Küstenfischer vor Usedom 1989 - 2005
Anzahl und Anteile der Arten
Die von B. Schirmeister, Ahlbeck, in 16 Jahren zusammengetragenen und bereits teilweise veröffentlichten Daten zu Vogelbeifängen kleiner Küstenfischereibetriebe in der Pommerschen Bucht (Schirmeister
[1993, 2003]) konnten im Rahmen dieser Studie einer
vertieften Auswertung unterzogen werden. Die Liste
umfasst nunmehr 11.263 Individuen von 31 Arten, die
häufigsten 10 werden in Tabelle 3 genannt, außerdem
solche, für die möglicherweise erhöhte Schutzanforderungen abzuleiten sind.
Vergleich der vor Usedom gefangenen Vögel mit Referenzbeständen
Dass durch bestimmte Umstände bei der Nutzung
von Land und Meer Tiere umkommen, ist bedauerlich,
aber nur bis zu einem gewissen Grad vermeidbar.
Besondere Anstrengungen sind in dieser Hinsicht
vor allem geboten, wenn durch die wirtschaftlichen
Aktivitäten der Bestand einer Art in einem Gebiet
oder das ökologische Gleichgewicht von Lebensräumen gefährdet werden kann. Soll festgestellt werden,
in welchem Maße ein Bestand einer Art betroffen ist,
sind die absoluten Anzahlen betroffener Individuen
mit den Größen von Referenzbeständen zu vergleichen (s. Tab. 4). Darüber hinaus sind weitere Parameter von Bedeutung, insbesondere solche zum Reproduktionspotential der Bestände.
107
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
108
Art
Species
Anzahl der Individuen
Anteil in %
Die häufigsten Vogelbeifänge
1
Eisente
Clangula hyemalis
8.341
74,06
2
Trauerente
Melanitta nigra
811
7,20
3
Sterntaucher
Gavia stellata
733
6,51
4
Haubentaucher
Podiceps cristatus
271
2,41
5
Rothalstaucher
Podiceps grisegena
230
2,04
6
Samtente
Melanitta fusca
181
1,61
7
Mittelsäger
Mergus serrator
181
1,61
8
Eiderente
Somateria mollissima
70
0,62
9
Bergente
Aythya marila
63
0,56
Trottellumme
Uria aalge
61
0,54
10
Weitere bedeutsame Arten
12
Prachttaucher
Gavia arctica
47
0,42
15
Tordalk
Alca torda
27
0,24
17
Gryllteiste
Cepphus grylle
18
0,16
20
Ohrentaucher
Summe (31 Arten)
Podiceps auritus
14
11.263
0,12
Art
Species
mittlere jährl. vor Usedom gefangene Anzahl Individuen*
Tab. 3: Beifang von See- und Wasservögeln durch die Küstenfischerei in Testbetrieben in der Pom­mer­schen Bucht vor Usedom
1989–2005, nach Daten von B. Schirmeister, Ahlbeck
Referenzbestände
Nordwesteuropa**
Anteile der Beifänge zu den verschiedenen Referenzbeständen
(%)
Überwinterer in der
Ostsee***
Ostsee
vor
Deutschland 
Nordwesteuropa
Überwinterer in
der Ostsee
Ostsee
vor
Deutschland
Eisente
Clangula hyemalis
521
4.700.000
4.272.400
596.000
0,011
0,012
0,087
Trauerente
Melanitta nigra
51
1.300.000
783.310
177.000
0.004
0,007
0,029
Sterntaucher
Gavia stellata
46
2,359
1.950
Seetaucher
Gavia stellata/arctica
49
110.00
56.665
4.250
0,045
Haubentaucher
Podiceps cristatus
17
100.000
11.325
9.700
0,017
0,150
0,175
Rothalstaucher
Podiceps grisegena
14
15.000
5.510
950
0.093
0,245
1,474
Samtente
Melanitta fusca
11
1.000.000
932.690
51.200
0,001
0,001
0,021
Mittelsäger
Mergus serrator
11
100.000
44.325
13.500
0,011
0,025
0,081
Eiderente
Somateria mollissima
4
3.000.000
1.048.230
242.000
0,000
0,000
0,002
Bergente
Aythya marila
4
310.000
145.700
111.000
0,001
0,003
0,004
Trottellumme
Uria aalge
4
8.300.000
45.000
700
0,000
0,009
0,571
Ohrentaucher
Podiceps auritus
1
5.000
1.830
580
0,020
0,055
0,172
*
**
***

0,086
1,153
Küstenstreifen der Pommerschen Bucht vor Usedom. Daten nach B. Schirmeister 1989 - 2005
Nach Angaben verschiedener Autoren ausgewählt und ggfs. nach neueren Erfassungen korrigiert von Durinck et al. [1994]
Errechneter Wert nach Durinck et al. [1994]
Bestandsgrößen deutsche Ostsee (Garthe et al. [2003])
Tab. 4: Vergleich der 10 im Mittel jährlich in der Pommerschen Bucht vor Usedom in Stell­netzen am häufigsten gefangenen Vogelarten
sowie des Ohrentauchers mit deren nord­westeuropäischen und Ostsee-Überwinterer-Beständen
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Zum gegenwärtigen Stand der Untersuchungen
konnten zum Vergleich nur großräumige Referenzbestände (Europa, Ostsee, Deutschland) herangezogen werden, da erstens aktuelle Beifangdaten
nur von einzelnen Plätzen verfügbar sind und zweitens die Modellbildung zum Zugrast- und Überwinterungsgeschehen noch nicht abgeschlossen ist.
Eine Bewertung im engeren Sinne ist nicht möglich,
weil das Flächenverhältnis und vor allem die Dichte der Arten im Fanggebiet im Saisonverlauf noch
nicht bekannt sind. Jedoch kann die Aufmerksamkeit bereits auf jene Arten gelenkt werden, die in
überdurchschnittlichem Maße betroffen sind. Das
sind vor allem die Fisch fressenden Arten, insbesondere Sterntaucher und Rothalstaucher. Ohne eine
gründliche Bewertung vorwegzunehmen, lässt sich
sagen: Wenn, wie im Fall des Sterntauchers, von
den unvollständig erfassten Beifängen aus einem
Seegebiet, das weit weniger als 1 % des deutschen
Küstenmeeres umfasst, mehr als 2 % der vor der
deutschen Küste lebenden Vögel betroffen sind, ist
das eine Größenordnung, die Anlass zu Bedenken
geben sollte.
Die Phänologie der Beifänge, eine Funktion aus Zug­
rast- und Überwinterungsgeschehen, Witterung,
Eisgang, Fischereiart und –intensität sowie weiteren
Einflussfaktoren, kann für die Suche nach Vermeidungsmöglichkeiten Bedeutung erlangen. Beispiele
für verschiedene Muster zeigt Abbildung 2.
Trends und Phänologie des Beifanggeschehens in
der Pommerschen Bucht
Die Unterschiede im Beifanggeschehen der einzelnen Jahre sind groß. Nach hohen Opferzahlen zu
Beginn der 1990er Jahre waren die Beifänge einige Jahre recht niedrig, um in jüngster Zeit wieder
anzusteigen (besonders 2004/2005). Die Ursachen
sind vielfältig und lassen sich nach­träglich auch
mit hohem Aufwand nur unvollständig rekonstruieren: witterungsbedingte Einschränkungen der
Fischerei, witterungsbedingte Änderungen des
Vogelverhaltens und Änderungen der Vogelbestände werden als mögliche Ursachen überlagert von
stärkeren Schwankungen im Zeitfonds des Bearbeiters B. Schirmeister, der alle Arbeiten in seiner
arbeits­be­dingt unterschiedlich verfügbaren Freizeit
durchführte.
Unter diesen Umständen sollte man bei den einzelnen Arten kaum nachweisbare Trends erwarten,
zumal ohnehin nur wenige häufig gefangenen Arten
für eine Prüfung in Frage kommen. Diese Erwartung
wird mit einer Ausnahme bestätigt: Der Sterntaucher
Gavia stellata nimmt im vorliegenden Material sowohl
nach der absoluten Zahl gefangener Individuen als
auch nach seinem Anteil an der Gesamtheit der Beifänge zu – ein weiterer Grund, die Beifangverluste
dieser Art zu verfolgen.
Abb. 2:Phänologische Typen beim Beifanggeschehen in der
Pommerschen Bucht:
a) Eisente (Überwinterer-Maximum),
b) Sterntaucher (Zugrast- und Überwinterungs-Maxima),
c)Rothalstaucher (Zugrast-Maximum, eingipflig)
109
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
110
5 Räumliches und zeitliches Konfliktpotential Seevögel und Fischerei
Der Schlüsselfaktor Nahrung
Bei der Eingrenzung des Konfliktpotentials wie bei
der Suche nach Vermeidungsmöglichkeiten ist die
Nahrung der entscheidende Faktor. Fischer wie auch
Fisch fressende Seevögel haben im Wesentlichen das
gleiche Ziel: den Fang von Fischen einer bestimmten
Größe1) und nutzen dabei möglichst fischreiche Seegebiete. Viele Fische und die Benthos fressenden
Enten bevorzugen ebenfalls ähnliche Habitate, artenreiche und produktive Flachwassergebiete, in denen
sie mit relativ geringem Energieeinsatz ihre Nahrung
finden. So ergeben sich generell enge räumliche Beziehungen mit Konfliktpotential. Mit Ausnahme einer
relativ geringen Zeit vom späteren Frühjahr bis zum
Sommer (Brutzeit der meisten Vögel) gibt es aber
auch zeitlich eine relativ starke Überlappung von fischereilichen Aktivitäten und Vogelkonzentrationen in
nahrungsreichen und deshalb auch für die Fischer
interessanten Gebieten.
Für die nähere Untersuchung des Konfliktpotentials
sind deshalb die nahrungsökologischen Ansprüche
der Arten zu differenzieren. Es lassen sich vier Gruppen mit verschiedenen Habitat­ansprüchen unterscheiden:
• Tauchenten als Konsumenten von Makrophytenteilen (z.B. Samen), Krebstieren, Insekten, Schnecken und Muscheln: Tafelente Aythya ferina,
Schellente Bucephala clanga
küstennahe Flachgründe, makrophytenreiche
Flachwasserzonen innerer Küsten­gewässer
• Tauchenten als Muschelfresser: Bergente Aythya
marila, Reiherente Aythya fuligula
innere Küstengewässer, überwiegend mit Tiefen
bis 6 m
• Meeresenten als Muschelfresser: Eiderente Somateria mollissima, Eisente Clangula hyemalis,
Trauerente Melanitta nigra, Samtente Melanitta
fusca
Flachgründe in den äußeren Küstengewässern
mit dichtem Vorkommen von kleinen Muscheln bis
ca. 20 m Wassertiefe (Beispiel s. Abbildung 3)
1)
• Fisch fressende See- und Wasservögel: Seetaucher Gavia spec., Lappentaucher Podiceps spec.,
Kormoran Phalacrocorax carbo, Alken (Gattungen
Alca, Uria, Cepphus, Alle), Säger Mergus spec.
Gewässer unterschiedlicher, auch größerer Tiefen, mit einer gewissen Bevorzugung von Bänken
und submarinen Terrassen (daher häufiger über
10 bis 30 m Tiefe).
Abb. 3:Tiefenabhängige Verteilung von Eisenten am Plantagenetgrund 2002–2004
(Vögel pro km eines 397,3 m breiten Transsekts, 9 Flugzeugzählungen des IfAÖ) Jahreszeitliche Verteilung der fischereilichen Aktivitäten, besonders der Stellnetzfischerei
Bei einer Anzahl von Befliegungen und Befahrungen
zur Erfassung von Meeresvögeln wurden auch Fischereigeräte (Netzmarkierungen) und arbeitende Fischereifahrzeuge registriert. Es zeigte sich eine hohe
Koinzidenz zu Konzentrationen bestimmter Vogelarten. Allerdings erfüllt diese Art der Erfassung nicht
alle Ansprüche hinsichtlich weiterer Auswertungen.
Aber auch die offizielle Fischereistatistik bietet kein
besseres Material, da die räumliche Einteilung (sog.
ICES-Quadrate) weit hinter der erforderlichen Auflösung für die gemeinsame Verarbeitung mit ornithologischen Daten zurückbleibt. Auch die zeitliche Auflösung (Monate) lässt Wünsche offen.
In den meisten Fällen sind sie dabei keine unmittelbaren Konkurrenten, da es bei den bevorzugten Größen nur eine relativ
geringe Überlappung gibt.
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
6 Strategische Ansätze zur Minderung der Vogelverluste durch
die Fischerei
Grundsätzliche Möglichkeiten
Generell sind zur Minderung von Vogelverlusten zwei
Wege möglich:
1) Modifikationen am Fanggerät, die den Vogelbeifang vermeiden oder vermindern und
2) Beschränkungen für vogelgefährdende Fischereimethoden in bestimmten Räumen für bestimmte
Zeiten (s. auch Melvin and Parrish [2001]).
Mit dem ersten Lösungsweg ist man – zumindest in
Ländern, die solche Methoden für verbindlich erklärt
haben – bei der Reduktion der Vogelbeifänge in der
Langleinenfischerei sehr erfolgreich. Gleichwertige
technische Möglichkeiten gibt es für die Stellnetzfischerei (noch) nicht, dazu ist eher festzustellen:
• Technische Lösungen für Meeressäuger sind bei
Vögeln weitgehend wirkungslos.
• Eine bessere Sichtbarkeit von Stellnetzen (z.B.
durch farbige Warnleinen) vermindert in der Regel
deren Fangleistung.
• Die Einschränkung der Netzhöhen auf den optimalen Fangtiefenbereich kann Vogel-Beifang
mindern (wird bereits öfter angewandt; s. auch
Mentjes und Gabriel [1999]).
• Langleinen könnten in Gebieten mit stärkeren Vogelbeständen ein Ersatz für Stellnetze sein, z.B.
um die Verwendung von Netzen mit großen Maschenweiten einzuschränken.
Sollen Effekte über Beschränkungen bestimmter für
Vögel gefährliche Fischereimethoden in bestimmten
Räumen für bestimmte Zeiten erreicht werden, gibt
es folgende Möglichkeiten:
• Die Fischer können bei starkem Vogel-Beifang
selbständig auf Fangplätze mit geringeren Problemen ausweichen.
• Die Fischerei könnte in bestimmten Gebieten unter Berücksichtigung der Bestandsdichte der Vögel behördlicherseits geöffnet bzw. geschlossen
werden.
• Für bestimmte Jahreszeiten und Räume könnten
tageszeitabhängige Fischereirestrik­tionen erlassen werden.
• Für bestimmte Räume könnten jahreszeitliche
Einschränkungen bestimmter Fischerei­arten (vor
allem mit Stellnetzen) erlassen werden.
Einschränkungen der Fischerei, ob freiwillig oder vorgeschrieben, führen in der Regel zu erhöhtem Aufwand
oder geringerem Ertrag der Fischereibetriebe. Deshalb
sollten bei Entscheidungen für die Anwendung solcher
Maßnahmen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
1) Die Maßnahmen müssen – wissenschaftlich begründet – für den Schutz bestimmter Arten erforderlich sein, um nicht unbegründete Beeinträchtigungen der Küstenfischerei hervorzurufen.
2) Entsprechend der wirtschaftlichen Auswirkungen
durch die einschränkenden Maßnahmen muss
eine adäquate finanzielle Förderung der Fischereibetriebe sowie die Unterstützung bei Maßnahmen zur Verbesserung der Marktsituation (z.B.
Zertifizierungen) gesichert sein (s. auch Döring et
al. [2005]).
Begrenzte Restriktionen müssen im Übrigen nicht
zwangsläufig mit Nachteilen für die heimi­sche Küs­
tenfischerei verbunden sein, z.B. wenn es gelänge,
herausragende Vogelrast- und Fischreproduktionsgebiete ebenso vor dem Zugriff der internationalen
Fischerei zu bewahren.
Schritte zur Verbesserung der Kenntnislage
Im Interesse einer räumlich und zeitlich differenzierten Quantifizierung und Bewertung der Vogelbeifänge und der Suche nach fischereiverträglichen
Lösungen wird zur Verbesserung der Kenntnislage
vorgeschlagen:
• Vorhandene räumlich und zeitlich differenzierte
Information zur Dichte und Verteilung der Vögel
(Überwinterungs- und Zugrastphänologie der
Seegebiete) sollte im Interesse der Entwicklung
von Lösungsmodellen weiter ergänzt und aufbereitet werden.
• In verschiedenen Fischereigebieten sollten Erfassungen von Vogel-Beifängen durchgeführt werden, einschl. bestimmter fischereilicher Parameter.
• Zur Entwicklung einfacher, aber zur ornithologischen Information kompatibler Modelle der vorherrschenden Fischereiaktivitäten sollten Daten
zur Art und Intensität bestimmter Fischereiformen
gesammelt werden.
Um in den nächsten Jahren befriedigende Lösungen zu
erzielen, wurden Kontakte zwischen Naturschutzbehörden, Fischereiverbänden in Mecklenburg-Vorpommern
und Schleswig-Holstein sowie im Meeres-Naturschutz
engagierten Verbänden hergestellt und gegenseitig der
Wille zu sachlicher Zusammenarbeit bekundet.
111
112
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
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Anschrift des Verfassers:
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17489 Greifswald
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113
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Globale Erwärmung und Zooplankton
Global warming and zooplankton
Wulf Greve
Zusammenfassung
Summary
Auf der Basis 32-jähriger Meßreihen zur Häufigkeitsverteilung von 250 Zooplanktonpopulationen an der
Position Helgoland Reede (54°11´3´´ N, 7°54´0´´ O)
wurde untersucht, welchen Einfluss die beobachtete globale Erwärmung in diesem Zeitraum auf die
wechselwarmen Organismen hatte. Dazu wurden
die Trends in der für Zooplankton charakteristischen
Saisonalität der Einzelpopulationen verglichen. Festgestellt wurden sehr unterschiedliche artspezifische
Trends in der Terminierung von Saisonbeginn, Saisonmitte und Saisonende. Die Erwärmung um 1,4°C
im Zeitraum von 30 Jahren führte zu Verschiebungen
von bis zu 20 Wochen. Die Varianz der Nordatlantischen Oszillation (NAO) erlaubte die Berechnung
der phänologischen Funktionalität der Zooplanktonarten. Auf dieser Basis wurde die operative phänologische Prognose entwickelt, die seit 2004 unter www.
senckenberg.de/dzmb/plankton online verfügbar ist.
Die Phänologie einiger Nutzfische der Nordsee wird
erläutert. Die mit der globalen Erwärmung einhergehende Lateralverschiebung von Populationen wird
am Beispiel von Einzelarten diskutiert. Die Konsequenzen für das Messprogramm der EU werden dargestellt.
Based on 32 years of measurements of the abundance distribution of 250 zooplankton populations
at the position Helgoland Roads (54°11´3´´ N,
7°54`0´´ E) the influence of global warming on
poikilothermal organisms during this period was
investigated. For this purpose, trends in the characteristic seasonality of individual populations
were compared. Very diverse species-specific
trends were found in the timing of start of season, middle of season and end of season. The
observed temperature increase of 1.4° C led to
deviations of up to 20 weeks. The variance of
the North Atlantic Oscillation (NAO) allowed the
phenological functionality of the zooplankton species to be calculated. On this basis an operative
phenological prognosis was developed which has
been available online since 2004 at www.senckenberg.de/dzmb/plankton. The phenology of several commercial fish species of the North Sea is
discussed. The lateral displacement of populations accompanying global warming is discussed
on example species. The consequences of the
impact of global warming to the EU monitoring
programmes are described.
Klimaeinwirkungen auf Ökosysteme können nur
durch langfristige vergleichbare Beobachtungen
gemessen werden. Seit April 1974 wird an jedem
Montag, Mittwoch und Freitag auf der Reede Helgolands 54°11´3´´ N 7°54´0´´ O mit zwei Schräghols
das Mesozooplankton (> 150 µm) und das Makrozooplankton (> 500 µm) als Netzplankton gefangen,
bestimmt und gezählt. Diese Langzeitreihen wurden in der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH)
begonnen und seit 1998 in der Zusammenarbeit
von Forschungsinstitut Senckenberg (FIS), Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) und
BAH jetzt in der Stiftung Alfred Wegener Institut fortgesetzt.
In diesem Zeitraum von 32 Jahren wurden globale
Änderungen der Meeresoberflächentemperatur festgestellt. Nach den Analysen des Goddard Institute for
Space Studies variiert der Anstieg je nach Breitengrad
und Jahreszeit (Abb. 1). Nach den Messungen der
Biologischen Anstalt Helgoland stieg die Meerwassertemperatur in diesem Zeitraum um über 1°C an
(Wiltshire and Manly [2004]).
Insbesondere in den Winter- und Frühlingsmonaten
der gemäßigten bis polaren Regionen weicht die
Temperatur um bis zu 1,8 °C von den früheren Werten ab. Das sind über 10 % des jährlichen Tempera­
turumfangs in der südöstlichen Nordsee.
115
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
116
Entsprechend vielfältig sind die beteiligten Prozesse
und damit der Einfluß der Temperaturänderungen.
Viele dieser Reaktionen sind an der zeitlichen Verschiebung des Vorkommens der einzelnen Arten
abzulesen. Zooplankter haben ein saisonales Vorkommen. Obwohl Holoplankter ganzjährig im Pelagial überleben müssen, beschränkt sich ihr Abundanzmaximum auf wenige Wochen oder Monate (Abb.3).
So haben auch die einzelnen Copepodenarten ihr
Vorkommensmaximum zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Das entspricht ihrer spezifischen Lebensweise.
Abb. 1:Temperaturabweichung (°C) nach Breitengrad und Jahreszeit (nach GISS, NASA)
20
200
18
180
16
160
14
140
12
120
min
10
100
max
8
6
mean
80
%
60
4
40
2
20
0
%
°C (SST)
Bezogen auf die Wintersaison mit einer Mitteltemperatur von 3 °C und einer Temperaturvarianz von
6 °C bei Helgoland ist die Abweichung um etwa
1,5 °C entsprechend gewichtig (Abb 2). Die Geschwindigkeit aller physiologischen Prozesse wird
von der herrschenden Temperatur bestimmt. Bei
wechselwarmen Orgasmismen – und dazu gehören die meisten Meerestiere – steuert die Meerwassertemperatur die Prozessgeschwindigkeit ausschließlich.
0
0
5
10
15
20
25
30
W oche
week
35
40
45
Jede Art hat ein besonderes Anforderungspektrum,
was z.B. Temperatur, Salzgehalt, Nahrung und Schutz
vor Feinden angeht. Dieses Spektrum wird als „ökologische Nische“ bezeichnet. Für Noctiluca scintillans,
einen häufigen Zooplankter der Deutschen Bucht,
wurde dieses Anforderungsprofil als Funktion der
Reproduktionsintensität vermessen (Uhlig and Sahling [1995]). Als erste Näherung sind solche Spektren aus der Korrelation von Vorkommen und Umgebungstemperatur abzulesen. Das Auftreten einer Art
ist dabei nicht nur von der Temperatur zum Zeitpunkt
des Vorkommens abhängig. Davor liegen andere
temperaturabhängige Prozesse. Das kann die Generationsdauer während des Populationsaufbaus, die
Keimung von Dauerstadien, die Knospung der Medusen von Polypen oder die langfristige Gonadenentwicklung der Elterntiere sein (Greve [2003]). Das
betrifft sowohl das Zoobenthos als auch die Fische,
deren Larven Teil des Merozooplanktons sind. Neben dem Einfluß auf die Prozeßgeschwindigkeit sind
Steuerungsmechanismen durch Temperaturschwellenwerte beobachtet worden.
50
Abb. 2:Der mittlere Jahresgang der Temperatur bei Helgoland
1974 bis 2004 und die jeweilige relative Varianz der Temperatur
Das marine Zooplankton besteht aus dem zeitlebens im Pelagial lebenden Holoplankton und dem
Meroplankton, das nur in bestimmten Lebensstadien, als Larve, als vertikal wandernder Benthos­
organismus oder im Generationswechsel in der
planktonischen Generation (z.B. als Meduse) im
freien Wasser lebt.
Die Definition der Saison, des Hauptvorkommens einer Art, wurde aus der Abundanzverteilung errechnet. Dabei musste für den interannuellen Vergleich
die sehr unterschiedliche jährliche Abundanz auf die
jeweilige relative Abundanz umgeformt werden. Aus
Mengenangaben werden Zeitangaben. Die kumulative Abundanzsumme wurde als Standard für die
Berechnung der Zeitpunkte gesetzt, an denen die
Grenzwerte von 15 % = SOS (start of season), 50 %
= MOS (middle of season) und 85 % = EOS (end of
season) überschritten wurden. Aus der Differenz EOS
- SOS ergibt sich LOS (length of season) (Abb. 4).
Mit den Definitonen zur Saison ist gleichzeitig ein Kriterium für die phänologische Beschreibung und die
Biodiversität der Zooplanktonarten gegeben. Die
Phänologie befasst sich mit der Terminierung zyklisch
wiederholter Ereignisse, der Phänophasen. Als solche
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
sind die Blühtermine von Frühlingspflanzen ebenso
bekannt wie das Austreiben der Baumarten und der
Laubfall im Herbst. Der Deutsche Wetterdienst (DWD)
unterhält ein Netz von etwa 800 Beobachtern, die nach
einer Checkliste in Deutschland in jeder Woche ihre
Beobachtungen dokumentieren und an den DWD melden. Der DWD nutzt diese Informationen u.a. für die
agrameteorologische Beratung. Das dichte Beobachtungsnetz läßt z.B. am Beginn der Apfelblüte erkennen,
wie sich warme und kalte Jahre, das regionale Klima
und die Höhenlage des Beobachtungsgebietes auf
die Terminierung der Blüte auswirken. Die terrestrische
Phänologie ist heute auch in der Ornithologie und in
anderen Feldern wohl etabliert (Schwartz [2003]).
Abb. 3:Mittlere Häufigkeitsverteilung (1975 bis 2005) der pelagischen Copepoden der Deutschen Bucht als Farbwertverteilung
(rot: Abundanzmaxima)
Oikopleura dioica
25.000
19
Individuen/m3
15
EOS
15.000
13
11
MOS
10.000
9
7
5.000
mittlere Temperatur in °C
17
20.000
5
SOS
3
0
0
5
10
15
20
25 30
Woche
35
40
45
50
Abb. 4:Saisondefinition bei Oikopleura dioica (siehe Text) und
mittlerer Jahresgang der Temperatur (blau)
Obwohl die marinen Bedingungen durch die höhere
spezifische Wärme des Wassers sehr viel stabiler
und damit von kurzfristigen Wetterschwankungen
unabhängiger sind als das wetterabhängige terrestrische System und obwohl auch die Fische als
Hauptnutztiere des Meeres wechselwarm und damit
den Temperatureinflüssen besonders ausgesetzt
sind, hat sich die Biometeorologie erst seit etwa 10
Jahren in der Meeresökologie etabliert (Beaugrand et
al. [2002], Greve [2003], Greve et al. [2001], Greve et
al. [1996], Heyen et al. [1998]).
Fast alle Ökosysteme der Erde reagieren auf die
globale Erwärmung (Walther et al. [2002]). Neben
der Vorverlagerung des Frühjahrs wurden Verspä-
117
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
tungen des Herbstes und Verschiebungen der Verbreitungsgrenzen zu den höheren Breitengraden
festgestellt. Diese Reaktionsweisen sind über die
match/mismatch-Gesetzmäßigkeit miteinander verknüpft (Cushing [1990]). Wenn der Nachwuchs des
Räubers erscheint, bevor die Beute heranwächst,
wird die nächste Generation kaum überleben. Die
Entwicklung des Räubers kann nicht erst durch das
Vorhandensein des Futters ausgelöst werden, da
Gonadenentwicklung, Embryonalentwicklung und
Schlupf der Larven Zeit benötigen. Wenige Wochen
können dabei entscheidend sein. Die Algenentwicklung in der Deutschen Bucht zeigt eine Tendenz
zur zeitlichen Verspätung im Frühjahr (Wiltshire and
Manly [2004]). Das Zooplankton reagiert seinerseits
auf die Erwärmung.
Die Rippenqualle Pleurobrachia pileus verfrüht sich
im Saisonbeginn um 17 Wochen und verspätet sich
im Saisonende um 6 Wochen. Die Saisonlänge
wächst von etwa 6 auf 20 Wochen an. Bei der Familie der Eutimidae schrumpft die Saisonlänge dagegen von 14 auf 6 Wochen. Die Reaktion auf die Änderungen des Ökosystems unter dem Einfluss einer
Erwärmung um etwa 1,4 °C ist also nicht einheitlich,
sondern artspezifisch unterschiedlich (Abb. 5).
44
40
1997
1995
1993
2
30
R = 0,014
2
1989
1987
1985
1983
1981
1979
1977
18
1991
R = 0,0137
1975
2005
2003
2001
1999
1997
1995
1993
1991
1989
1987
1985
1983
1981
1979
1977
1975
1991
34
22
10
6
2
R = 0,1811
26
R = 0,6776
14
2005
R = 0,6269
2
2003
2
2005
22
2001
26
Woche
30
2003
38
1999
42
2
R = 0,0452
34
1997
38
18
Eutimidae
46
1995
Pleurobrachia pileus
42
1993
2005
2003
2001
1999
1997
1995
1993
1991
1989
1987
1985
1983
1981
1979
1977
1975
16
1989
2
R = 0,4417
2
R = 0,0569
1987
20
1985
11
1983
24
1981
15
7
2
R = 0,3235
28
1979
19
32
2001
2
R = 0,4634
2
R = 0,3087
36
1977
23
Woche
27
1999
2
R = 0,3975
31
Bougainvillia spp.
48
1975
35
Woche
Die Entwicklung einiger Quallen und Rippenquallen
zeigt die Spannweite der Reaktionen. Die Hydromeduse ­Eutonina indicans verfrüht sich mit einem hohen Bestimmtheits-Koeffizienten in allen Saisonstadien von 1975
bis 2005 um etwa 15 Wochen. Die Gattung Bougainvillia
verspätet sich im gleichen Zeitraum um 12 Wochen.
Eutonina indicans
39
Woche
118
Abb. 5:Zeitliche Veränderung der Phänophasen (∆: SOS, •: MOS, : EOS) einiger Coelenteratenpopulationen von 1975 bis 2006
(siehe Text)
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
Die globale Erwärmung ist eingebettet in saisonale und
regionale Temperaturänderungen, von denen insbesondere die Nordatlanische Oszillation (NAO) in ihrem
Einfluss auf die Windverteilung und damit die Temperaturen in den Wintermonaten untersucht wurde (Marshall et al. [2001]). Durch diese Temperaturwechsel
wurde von der Natur in den vergangenen 30 Jahren
ein variables Fall-Spektrum für die Ermittlung des Einflusses der Temperatur auf die Phänologie geboten. Bei
der Analyse der Phänologie wurden insbesondere bei
den Fischlarven selektiv die extrem kalten (z.B. 1996)
und warmen (z.B. 1990) Jahre ausgewertet, um das natürlich gebotene Spektrum möglichst gut auszunutzen.
Die Appendicularie Oikopleura dioica ist ein Nanoplankton (5-20 µm) fressender Holoplankter mit
Generationszeiten von etwa 14 Tagen. Sie ist vom
Mittelmeer bis Nordnorwegen verbreitet. In der
Deutschen Bucht kommt sie in jedem Jahr vor.
119
ringeren Steigung der Regressionsgrade bei steigenden Wintertemperaturen zu (Abb.6). Der Bestimmtheitsgrad von R² = 0,49 zum Saisonbeginn
nimmt zu den späteren Phänophasen ab. Die Populationsdynamik der Appendicularien ist für Helgoland, wo Nahrungsmangel nicht zu erwarten ist,
ausschließlich auf der Basis der Temperaturabhängigkeit zu simulieren (Greve [2004]).
Der hohe Bestimmtheitsgrad bei der Definion der
funktionalen Relationen der zeitlichen Abhängigkeit
der Phänophasen von den Wintertemperaturen führte
zur Entwicklung einer operativen Online-Prognose
des Zooplanktons der Deutschen Bucht, die seit April
2004 unter www.senckenberg.de/dzmb/plankton abgerufen werden kann (Greve et al. [2004]).
20
18
16
0
1
2
3
4
5
6
7
0
1
2
R = 0,4995
2
3
4
°C
6
7
2
R = 0,298
5
6
7
19
93
19
99
18
19
20 98
02
16
14
12
19
79
19 1
817 9 9
19 9 8 6
86 5
Wochen Saisonlänge
19
81
19
77 20
119
119
03 9 89419 9 87901
4 79 6
83
19
19 83
19 99
20
01 19 922109 0
98 90
20
5
02
19
1
1
889
9
7
891
99 5
0
19
97
Woche Saisonende
19
79
19 1
8 9
1
19 9 8 7 96
86 5
1
5
OIKOPLEURA DIOICA
10
8
6
4
0
4
°C
OIKOPLEURA DIOICA
40
39
38
37
36
35
34
33
32
31
30
29
28
3
2
°C
19
90
22
1
19 1290 7179 119
849 703 8109 991
6 9 74
19 8
8
20 19 3
01 20 9129
00 9
5
1
19 9 8 19
75 8 89
24
1
19 9 97
81
19
19 119 19
20 771
19 039 94 19 849 791 80
78 6
93
19
19
83
99129
0 901
19
20
219
98
95
20 00
02
19
19 8
19
8
75
19 89
90
26
19
81
28
35
34
33
32
31
30
29
28
27
26
25
24
23
19
97
30
Woche Saisonmitte
Woche Saisonanfang
32
19
79
1 19
19 1 9 96 87
859 8
6
OIKOPLEURA DIOICA
1
19 9 97
81
19
77 210 19 19 1
9 091 9 8 9
19
349 1 04 76
7
93
19 8
19
83
129
99
19
190 902120
98
20 95 00
02
1
19 9 8
19
8
75
19 89
90
OIKOPLEURA DIOICA
19
79
1 19
119 9 96 87
9 885
6
In allen Phänophasen ist Oikopleura dioica negativ mit der mittleren Wintertemperatur (Woche 1-10)
korreliert. Die Saisonlänge nimmt aufgrund der ge-
Mit den übrigen 250 Zooplanktonarten des Mesound Makrozooplanktons, für die der Temperatureinfluss auf die Phänologie bei Helgoland gemessen
wurde, konnte für die Larven der Fischarten der
Nordsee bestimmt werden, wie sie phänologisch
auf die wechselnden Wintertemperaturen reagieren.
0
1
2
R = 0,2317
Abb. 6:Abhängigkeit der Phänophasen von Oikopleura dioica von der Wintertemperatur
2
3
4
°C
5
6
2
7
R = 0,2465
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
120
Die Phänophase MOS (middle of season) ist für 7
Nutzfischarten in Abbildung 7 dargestellt. Alle Arten sind mit unterschiedlichen Steigungen der Regressionsgraden negativ mit den Wintertemperaturen korreliert. Das entspricht der Erwartung aus
physiologischen Untersuchungen (L ange and Greve
[1997]). Für die Ökologie dieser Fischpopulationen
ist der Zeitpunkt des Auftretens der Larven von großer Bedeutung. Die Primärproduktion ist primär von
der Tageslichtlänge bestimmt. Die Futterorganismen
der Fischlarven sind in der Regel davon abhängig.
Mit der Entfernung von der Frühjahrsblüte bis in den
Februar hinein sinkt so z. B. die Überlebensmöglichkeit für Kabeljaularven in einem wärmeren Meer.
Das entspricht den Beobachtungen über den Rückgang dieser Art in der Nordsee.
Penilia avirostris
100000
10000
1000
341
323
100
305
Tag
287
10
269
251
1
233
215
1990
1993
1994
1998
1999
2001
2002
2003
2004
Jahr
Abb. 8:Penilia avirostris: Dokumentation der Populationsgeschichte der Einwanderung eines Neozons (Individuen/m3)
35
Durch die langfristige engmaschige Beobachtung der
natürlichen Zooplanktondynamik konnte unter Ausnutzung der „Naturexperimente“ globale Erwärmung
und Varianz der Nordatlantischen Oszillation festgestellt werden, dass die Phänologie der Zooplanktonarten sich artspezifisch ändert (Greve et al. [2004]).
Dazu wurde jeweils die langfristige Veränderung und
die funktionale Reaktion auf die Wintertemperatur
gemessen. Temperaturgesteuerte Faunenveränderungen wurden registriert und die operative Prognose zur Phänologie des Zooplanktons auf dieser Basis
entwickelt und online zur Verfügung gestellt (Greve et
al. [2004]).
30
25
Woche
20
15
10
5
0
2,0
2,5
3,0
3,5
4,0
4,5
5,0
5,5
6,0
6,5
mittlere Wassertemperatur im Winter (Woche 1 - 10) in °C
Abb. 7:Vorkommen von Fischlarven in der Nordsee in Abhängigkeit von den Wintertemperaturen
Dieser Verdrängung einer Population nach Norden
steht das Auftreten der Arten gegenüber, die aus
den wärmeren Gebieten im Süden in die Nordsee
einwandern.
Ein Vertreter dieser Neozoen ist die Cladocere Penilia avirostris. Seit ihrem ersten beobachteten Auftreten 1990 bei Helgoland nahm diese Art zunächst im
Spätherbst von Jahr zu Jahr zu. Inzwischen tritt die
Population schon im August in Mengen auf, die für
das übrige Ökosystem von Bedeutung sind (Abb. 8).
In der Meeresforschungsstrategie der EU gilt die Aufmerksamkeit nicht nur den einzelnen Arten, sondern
auch der saisonalen und regionalen Verteilung der
Populationen. Diese Indices werden die zukünftige
Wirkungsweise der Klimaänderung erkennen lassen.
Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf marine Arten
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Anschrift des Verfassers:
Dr. W. Greve
Forschungsinstitut Senckenberg
c/o DESY, Gebäude 3
Notkestr. 85
22607 Hamburg
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121
Ballastwassermanagement
Ballastwassermanagement
Internationales Übereinkommen von 2004 zur
Überwachung und Behandlung von Ballastwasser
und Sedimenten von Schiffen
Petra Bethge und Rolf von Ostrowski
Im Februar 2004 hat die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) das Ballastwasserübereinkommen verabschiedet. Die einheitliche Ausführung
des Übereinkommens soll durch 14 ergänzende Richt­­
linien gewährleistet werden.
Das Übereinkommen dient dazu, das Einschleppen
nicht heimischer Arten zu verhindern, die das Gleichgewicht eines Ökosystems empfindlich stören und zu
erheblichen wirtschaftlichen Schäden führen können.
Schiffe führen aus Stabilitätsgründen Ballastwasser
mit sich, das je nach Beladungszustand beim Beund Entladen aufgenommen oder abgelassen wird.
Große Massengutschiffe und Tanker nehmen auf diese Weise bis zu 100.000 Tonnen Wasser an Bord.
In die Deutsche Bucht und die Häfen an Nord- und
Ostsee fließen ca. 20 Millionen Tonnen Ballastwasser
pro Jahr.
Muscheln, Krebse und Fische sowie insbesondere
Viren, Bakterien, Pilze, Algen und Plankton gehen mit
auf die Reise. Treffen diese Arten auf für sie günstige
Lebensbedingungen, können sie heimische Arten
verdrängen und so das ökologische Gleichgewicht
bedrohen. So verdrängt der Nordpazifische Seestern
vor der australischen Küste heimische Bestände
von Krebsen, Muscheln und Garnelen. Neben ökologischen Schäden entstehen auch ökonomische
Nachteile. Die chinesische Wollhandkrabbe ist etwa
in die Nordsee eingewandert und räubert in Fischteichen, zerbeißt Fischernetze und unterhöhlt Deiche.
Ein prominentes Beispiel ist auch die Zebramuschel,
die an den großen Seen der USA dank ihrer extremen Vermehrung Zuflussrohre von Wasserkraftwerken und industriellen Kühlsystemen zuwuchert, die
unter erheblichen Kosten zum Teil mehrmals jährlich
gesäubert werden müssen. Die Vereinten Nationen
haben die Einschleppung fremder Arten in nicht heimische Gewässer als eine der vier größten Bedrohungen der Meeresumwelt eingestuft.
Das Ballastwasserübereinkommen schreibt für
Schiffe ab 2009 bis spätestens 2016, je nach Ballastwasserkapazität und Baujahr ein Ballastwassermanagement vor. Für eine Übergangszeit kann der
Ballastwasseraustausch praktiziert werden, bei dem
unter bestimmten Vorgaben die Ballasttanks in geeigneten Gebieten insgesamt dreimal während der
Fahrt umgepumpt werden müssen. Dabei macht man
sich zu Nutze, dass viele Arten, die in küstennahen
Gewässern aufgenommen werden, etwa wegen des
unterschiedlichen Salzgehaltes oder anderer Temperaturen auf hoher See nicht überleben können und
umgekehrt. Letztlich sollen jedoch alle Schiffe eine
Qualität des Ballastwassers aufweisen, die nur durch
eine Behandlung erzielt werden kann.
Ob die dafür erforderliche Technologie auf dem Markt
rechtzeitig verfügbar sein wird, soll im Rahmen des
zweiten sogenannten „Reviews“ auf der kommenden
Sitzung des Umweltausschusses (MEPC) der IMO
abgeschätzt werden. Mit dem Ballastwasserübereinkommen hat die IMO einen ehrgeizigen Standard
festgesetzt, der zum Zeitpunkt der Verabschiedung
noch nicht erfüllbar war und zu Innovation anregt.
Nur bei positivem Ergebnis kann an den bislang vorgesehen Daten festgehalten werden. Auch die aufwendigen Zulassungsverfahren stellen dabei eine
Herausforderung dar. Bereits im vergangenen Jahr
wurde im MEPC eine Übersicht über die sich entwickelnde Technologie erstellt, bei der von 14 vorgestellten Verfahren allein vier Erfolg versprechende aus
Deutschland stammen. Entwickelt werden physikalische Methoden wie UV-Strahlung, Sauerstoffentzug
oder Erhitzen sowie kombinierte Verfahren, bei denen
Ozon, Chlordioxid oder Biozide zum Einsatz kommen
sollen. Auf Empfehlung eines eigens zum Zweck der
Bewertung von zur Ballastwasserbehandlung vorgesehenen aktiven Substanzen eingerichteten UN-Experten Gremiums (GESAMP Ballastwasser Technical Group) erteilte der Umweltausschuss zu Beginn
dieses Jahres die weltweit ersten Teil­zulassungen für
125
126
Ballastwassermanagement
ein deutsches sowie ein koreanisches Produkt. Unter
Einhaltung bestimmter Auflagen können nun Testfahrten unternommen werden.
Deutschland hat mit vorbereitenden Arbeiten im Hinblick auf die Umsetzung des Übereinkommens be-
gonnen. Das BSH soll zukünftig als zentrale Behörde die einheitliche und koordinierte Umsetzung des
Ballastwasserübereinkommens sicherstellen. In die
dazu erforderlichen Verfahren sind weitere Behörden, Klassifikationsgesellschaften und Sachverständige einzubinden.
Beteiligte Institutionen im Zulassungsverfahren
BMVBS
Klassifikationsgesellschaft
Bundesinstitut für
Risikobewertung
BSH
Seeberufsgenossenschaft
Umweltbundesamt
Bundesamt für Arbeitsschutz
und Arbeitssicherheit
Anschrift der Vortragenden:
Petra Bethge
Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung
Robert-Schuman-Platz 1
53175 Bonn
Rolf von Ostrowski
Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie
Bernhard-Nocht-Straße 78
20359 Hamburg
Ballastwassermanagement
Ballast Water Management – from the Perspective of
the Environment
Anne-Beth Skrede
The threat from ships’ ballast water
Most marine species have planctonic stages in their
lifecycle, which means that most marine species are
potential stowaways through ships’ ballast water intakes and pumps. Unwanted species may also be
bacteria, microbes, invertebrates and the spores,
eggs and larvae of larger species.
At any given time, seven thousand different species
are under way in ships’ ballast tanks around the globe. Most of these species do not survive their voyage, - but some do. The survivors may become alien
intruders in a new environment, and every nine weeks
there is a “successful” invasion of species introduced by ships’ ballast water. IMO estimates that somewhere between 3 and 10 billion tonnes of ballast
water is carried around the world annually.
Norwegian coastal areas alone receive between 25
and 35 million tonnes of ballast water annually, most
of which is released in harbours and by oil refineries.
A few years ago a study at the Sture Refinery showed
living organisms in 29 out of 30 ballast tanks.
2. The European Zebra Mussel
Introduced to the North American Great Lakes. It
has spread to infest more than 40 % of US waterways, fouls the cooling water intakes of industry
and control measures have reached more than
USD 750 million.
Consequences
Once introduced and established, alien species are
often impossible to eliminate, and impacts are usually irreversible. Impacts are both ecological and
economical, and human health can be jeopardized
when toxic organisms, diseases and pathogens are
introduced to new territories. There are many scary
examples of devastating consequences for the native
environment after being invaded by a new species. I
will mention three examples:
1. The North American Comb Jellyfish
Introduced to the Black Sea in the early 1980ies.
Arrived in the Caspian Sea 10 -15 years later. Has
literally wiped out local fish stocks. Extreme reproduction rate. No natural enemies in its’ new environment. Causing fish death and poverty.
3. The Golden Mussel
Originates from Chinese Rivers. Introduced to Argentina Inland Waters by ships’ ballast water in
the late nineties. Rapidly taking over inland water-
127
128
Ballastwassermanagement
ways in South America, suppressing local natural
species, destroying water supply systems and
water intake - causing enormous costs and poverty among the population dependant on fishing
in the rivers. Expected to reach the Amazon Delta
by 2008. Consequences for the biodiversity in this
pristine area is unknown, but feared to be fatal for
several species.
Mitigation and management
There are no good solutions to repair the damage
caused by alien species. This means that precaution
and regulation are the most effective tools to prevent
ecological disasters caused by introduced species.
Regulations are the driving force behind investments
and innovation. We have seen a boom in research
and development of ballast water treatment technologies the past two years, after the adoption of the
IMO Convention for the Control and Management
of Ships’ Ballast Water and Sediments in February
2004. Apart from the ballast water treatment technology itself, the Ballast Water Convention also creates
markets for other products and services related to
equipment certification, sampling equipment analysis material, etc.
Recommendations
WWF strongly urges all shipping and coastal states
to ratify the IMO Convention on ballast water. Ballast
water exchange should be regarded as a temporary
mean, and not a solution in itself, as exchange just
minimizes, but do not eliminate risks. WWF calls for
special requirements in sensitive areas, strict rules on
permissions for non-treatment of ballast water, and
protection for vulnerable parts of the high seas. In
addition, coastal states should ensure reception facilities for on-land treatment of ballast water.
Address of lecturer:
Anne-Beth Skrede
WWF Norway
Advisor Petroleum and Shipping
PO Box 6784
St. Olavs plass
0130 Oslo
Norway
Ballastwassermanagement
Technische Entwicklungen zur Behandlung
von Ballastwasser
Technical developments in ballast water treatment
Matthias Voigt
Zusammenfassung
Im Februar 2004 hat die IMO eine neue Konvention zum Thema Ballastwasser verabschiedet. Ziel
der neuen Konvention ist die Reduzierung des Einschleppungsrisikos von Fremdarten, das durch die
Abgabe von Ballastwasser und Feststoffen aus Ballastwassertanks entstehen kann. Die BallastwasserKonvention gestattet dabei zwei unterschiedliche
Arten des Ballastwasser­managements:
1. einen Ballastwasserwechsel auf offener See, bei
dem mindestens 95 % des Ballastwassers ausgetauscht werden, oder
2. eine Behandlung des Ballastwassers gemäß Bestimmung D2 der Konvention.
Dieser Vortrag gibt einen Überblick zu den neuen
Anforderungen der Ballastwasser-Konvention aus
technischer Sicht und gibt Beispiele für technische
Lösungen zur Behandlung von Ballastwasser an
Bord von Schiffen.
Die Problematik von Einschleppungen fremder
Organismen mit dem Ballastwasser von Schiffen
hat eine globale Bedeutung. Es sind bereits heute
zahlreiche Einschleppungen bekannt, die zum Teil
gravierende ökologische und auch ökonomische
Schäden verursacht haben. An dieser Stelle sei nur
auf das bekannte Beispiel der Einschleppung der
Zebramuschel aus Europa in die Großen Seen verwiesen.
Um das Risiko von Einschleppungen fremder Organismen durch Ballastwasser zu reduzieren, hat die
IMO eine Konvention zum Thema Ballastwasser verabschiedet. Bisher unterzeichneten 6 Staaten (August
2006) die Konvention (Malediven, Saint Kitts und Nevis, Syrien, Spanien, Nigeria und Tuvalu). Gültigkeit
Summary
In February 2004, IMO adopted a new Ballast Water
Convention. The Convention is aimed at reducing the
risk of foreign species invasions due to discharges of
ballast water and solids from ballast water tanks. Under the Ballast Water Convention, two different types
of ballast water management are allowed:
1. exchange of ballast water in the open sea, with
replacement of at least 95% of the ballast water,
or
2. treatment of ballast water in accordance with Art.
D2 of the Convention.
This contribution deals with the technical implementation of the amended provisions of the Ballast Water
Convention and gives examples of practical solutions
for shipboard ballast water treatment.
erlangt die Konvention jedoch erst 12 Monate später,
nachdem 30 Staaten, die mindestens 35% der Welthandelsflotte repräsentieren, ratifiziert haben.
In dieser Konvention sind unterschiedliche Methoden
des Ballastwassermanagements aufgezeigt. So kann
das Ballastwasser auf hoher See vollständig ausgetauscht werden, oder aber mittels spezieller Verfahren
derart aufbereitet werden, dass nur 10 Organismen
größer als 50 µm/m³ sowie 10 Organismen mit einer
Größe zwischen 10 µm und 50 µm pro Milliliter mit
dem Ballastwasser abgegeben werden. Ferner sind
die Anzahlen von Krankheitserregern, die mit dem
Ballastwasser abgegeben werden dürfen, streng begrenzt: (Vibrio cholerae 1 cfu/100 ml, E. Coli, 250
cfu/100 ml, Enterococcus, 100 cfu/100 ml).
129
130
Ballastwassermanagement
Außer der IMO-Konvention gibt es außerdem bereits zahlreiche regionale und/oder nationale Bestimmungen (z.B. USA, Australien), die ein Management
des Ballastwassers fordern. Bereits im Jahr 2009
soll die IMO-Ballastwasser­konvention verbindlich für
Schiffe gelten, deren Ballastwasservolumen 5000 m³
nicht übersteigt. Diese sehr engen Zeitvorgaben der
Konvention erfordern schnell praktikable Lösungsansätze.
Zwingende Voraussetzung für die Umsetzung der
IMO-Ballastwasser­konvention ist die Verfügbarkeit
von geeigneten Behandlungsanlagen. Um den aktuellen Stand der Entwicklungen weltweit besser beurteilen zu können, hat die IMO einen „Review process“
in die Konvention integriert. Im Rahmen dieses Pro-
zesses wurde während der 53. Sitzung des MEPC
(Marine Environmental Protection Committee) der
Entwicklungsstand aller bekannten Verfahren/Systeme bewertet (Ref: MEPC 53/24 und MEPC 53/
WP.9). Es wurden 16 Systeme von 6 Flaggenstaaten
einge­reicht. Teilweise handelte es sich dabei um
Doppelnennungen (siehe Tabelle 1).
Die Bewertung der vorgelegten Informationen zeigte,
dass lediglich die beiden in der Tabelle fett gedruckten Systeme die vollständige Erreichung des D-2Standards in Landtests nachweisen konnten. Auf das
in Deutschland entwickelte SEDNA® System der Hamann AG soll hier näher eingegangen werden, da es
ein gutes Beispiel für ein mehrstufiges Behandlungsverfahren darstellt.
Flaggenstaat
System
Australien MEPC 53/2/15
Hitzeverfahren
Filtration + Chlordioxid
Deutschland MEPC 53/2/11
Mechanische Abscheidung + Desinfektion
Filtration + UV
Physikalische Abscheidung + Desinfektion
Filtration + Desinfektion
Norwegen MEPC 53/2/16
Filtration/Separation + UV
Filtration + Stickstoffübersättigung + Kavitation
Korea MEPC 53/2/31
Elektrochemische Desinfektion
Schweden MEPC 53/2/6
Filtration + AOT
USA MEPC 53/2/14
Chlordioxyd
Tab. 1: Auswahl der bei der IMO eingereichten Behandlungsverfahren zum Review Prozess während der 53. Sitzung
Technische Beschreibung
Zweistufige physikalische
Behandlung
Das SEDNA® System arbeitet ausschließlich während der Aufnahme von Ballastwasser. Es basiert
auf einem modularen Konzept, das aus einer zweistufigen physikalischen Abscheidung und aus einer
Nachbehandlung mit einem chlorfreien Oxidationsmittel besteht. Die Anlage ist für den Einsatz auf unterschiedlichsten Schiffstypen ausgelegt. Das modulare Konzept kann für Ballastwasserpumpen mit einer
Kapazität von 200 m³/h bis 1.000 m³/h maßgeschneidert werden. Es ist ebenfalls möglich, für Ballastwasserpumpen über 1.000 m³/h modulare Bauteile zu
kombinieren.
1. Stufe
Die erste Stufe der physikalischen Behandlung erfolgt mittels eigens neu entwickelter Hydrozyklone,
die speziell für die Behandlung von Ballastwasser
entwickelt wurden. Mit diesen wird die Sedimentmenge im Ballastwasser erheblich reduziert. Gleichzeitig
werden zahlreiche Organismen entfernt. Die geringen Abmessungen der Hydrozyklone erlauben eine
Installation innerhalb eines Decks. Die Anzahl der
benötigten Hydrozyklone hängt von der maximalen
Kapazität der Ballastwasserpumpen ab.
Ballastwassermanagement
2. Stufe
Tests
Die zweite Stufe der physikalischen Behandlung besteht aus einem selbst reinigenden 50-µm-Filter. Die
automatische Reinigung des Filters wird über den
Differenzdruck gesteuert. Während der Rückspülung
werden die Filterelemente einzeln mit Seewasser
ohne Zusatz von Reinigungsmitteln gesäubert. Die
Ballastwasserbehandlung wird während der kurzen
Reinigungsphase mit einer leicht reduzierten Durchflussrate fortgesetzt.
Zwei „full-scale“ SEDNA® Anlagen wurden während der letzten drei Jahre an verschiedenen Orten über einen Zeitraum von mehr als 3500 Betriebsstunden umfangreich getestet. Die beiden
Pilotanlagen hatten jeweils eine Kapazität von 200
m³/h bzw. 500 m³/h. Alle Versuche wurden bei
voller Leistung oder nahe der kalkulierten Nennleistungen durchgeführt. Während der Tests liefen
die Anlagen durchschnittlich 8 bis 10 Stunden ununterbrochen.
Die Kombination von zwei physikalischen Behandlungsschritten gewährleistet, dass die Anlage selbst
in Gewässern mit hoher Sedimentmenge, dichter Algenblüte - oder einer Kombination von beiden – absolut wirksam funktioniert und eine hohe Betriebssicherheit gewährleistet. Dieses ist besonders in
Hafenbecken ein entscheidender Faktor. Ein weiterer
Vorteil dieses Systems ist es, dass sämtliche Feststoffe bereits während der Ballastwasseraufnahme
entfernt werden. Eine Behandlung der Sedimente
entfällt somit. Mit zu den Hauptfunktionen der physikalischen Trennung gehören:
- erhebliche Reduzierung der Sedimente bei der
Ballastwasseraufnahme und gleichzeitige Entfernung nahezu aller Organismen, die größer als
­5 0­ µm sind.
- Schädigung eines großen Teils der Organismen
durch mechanische Belastung während der zweistufigen physikalischen Behandlung und somit
erhöhte Empfindlichkeit der Organismen gegenüber PERACLEAN® Ocean d.h. gegenüber der
Nachbehandlung.
Zweite Behandlung oder auch Nachbehandlung
Die Nachbehandlung besteht aus einer biologisch
voll abbaubaren, chlorfreien Desinfektion mit dem
Oxidationsmittel PERACLEAN® Ocean. Die wirksamen Substanzen in PERACLEAN® Ocean sind
Peressigsäure und H2O2. Beide Substanzen sind vollständig biologisch abbaubar. PERACLEAN® Ocean
wird nach der physikalischen Trennung automatisch
zum Ballastwasser dosiert. Dieses Produkt ist umweltfreundlich und stellt bei sachgemäßer Anwendung
keinerlei Sicherheits- oder Gesundheitsrisiken dar.
So ist PERACLEAN® Ocean gut verträglich mit handelsüblichen Tankbeschichtungen, d.h. es tritt keine
verstärke Korrosion an Oberflächen auf. Auf der 54.
Sitzung des MEPC erhielt PERACLEAN® Ocean die
erste Zulassung (Basic Approval) durch die IMO.
Die Teststandorte wurden nach den dort vorherrschenden und entsprechend variierenden Wasserqualitäten ausgesucht, zum Beispiel nach Salzgehalt und Trübung des Wassers. Versuche wurden
gefahren in:
-
-
-
-
Brunsbüttel, Unterelbe
Kiel, Ostsee
Hamburger Hafen
Insel Texel im Wattenmeer bei
„Royal NIOZ Institute“.
Während der Versuche wurde die biologische Wirksamkeit der SEDNA® Anlage anhand einer Vielzahl
von verschiedenen Ballastszenarien geprüft. Unter
anderem wurden wechselnde Durchflussraten, sowie
unterschiedliche Drücke und Gegendrücke, die z.B.
verschiedene Tankfüllmengen simulieren, ausgiebig
getestet. Die biologische Wirksamkeit wurde mittels
natürlich vorkommender Planktonorganismen und
einem Surrogat d.h. ATS (Artemia Testing System)
beurteilt.
In speziellen Versuchen wurden außerdem die Abscheideraten, also die Effizienz der Hamann Hydrozyklone untersucht. Die Berechnung der Abscheideraten basiert auf der Veränderung der Menge
aller Schwebstoffe im Testwasser, gemessen in
Absolutwerten (TSS mg/l) als auch in Anteilen (%)
von unterschiedlichen Partikelgrößen. Alle Versuche
wurden nach wissenschaftlichen Methoden durchgeführt. Sie sind damit aussagekräftig und statistisch verwertbar.
Ferner wurde eine SEDNA®-Anlage mit einer Gesamtkapazität von 500 m³/h auf einem ContainerFeeder installiert. Der Vorratstank für PERACLEAN®
Ocean ist integriert. Die Anlage ist für den Bordbetrieb GL-zugelassen und wie PERACLEAN® Ocean
hat auch die SEDNA® Anlage die erste Zulassung
(Basic Approval) für Schiffs- und Landversuche von
der IMO erhalten.
131
Ballastwassermanagement
132
Testergebnisse biologische Wirksamkeit
Darüber hinaus wurden Versuche vom Royal NIOZ
Institute in Den Burg auf Texel, Niederlande, durchgeführt. Die niederländischen Tests zeigten keine
Neubildung von Algen (Abb. 1) oder Bakterien im behandelten Wasser innerhalb von 5 Tagen. Natürliche
Bakterien, die dem bereits behandelten Wasser zugeführt wurden, zeigten jedoch ein normales Wachstum. Das beweist, dass es zu keinen Umweltschäden
kommt, wenn das behandelte Wasser im Zielhafen
gelöscht wird. Die biologische Wirksamkeit wird in
Abb. 2 verdeutlicht.
Beide Landtestanlagen haben an den Standorten
bewiesen, dass sie den D2-Standard der IMO Ballastwasser Konvention für Organismen > 50 µm und
Organismen zwischen 10 µm und 50 µm als kleinste
Körperabmessung erreichen, oder sogar übertroffen
haben. Weder Änderungen des Salzgehaltes noch
überhöhte Schwebstoffmengen zeigten irgendeinen
Effekt auf die Leistungsfähigkeit der SEDNA® Anlage.
Wiederaufwuchs-Experiment A
Inkubation Kulturraum
7e+7
450x103
5e+7
400x103
4e+7
3e+7
Bakterien (Anzahl/ml)
Phaeocystis (Zellen/l)
6e+7
Feld
Pumpe
2e+7
Hydrozyklon
Filter [50µm]
Peraclean
1e+7
0
350x103
300x103
250x103
200x103
150x103
100x103
50x103
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
2.5
3.0
0
2.8e+6
5.0e+6
Filter
Marsdiep [Kontrolle]
2.6e+6
2.4e+6
4.0e+6
Hydrozyklon
Peraclean-Wasser mit
Marsdiep-Bakterien
2.2e+6
2.0e+6
A
3.0e+6
15
18
21
24
27
30
2.0e+6
D
1.0e+6
0.0
0
3
6
9
12
15
18
21
24
27
Peraclean
Abb. 2a: Anzahl von DNA-Fragmenten als Indikatoren für abgetötete Bakterienzellen nach den einzelnen Behandlungsstufen des SEDNA®-Systems
Abb. 1: Abtötungsraten und Wiederaufwuchs einer Alge (Phaeocystis sp.) nach den einzelnen Behandlungsstufen des
SEDNA®-Systems
Bakterien (Anzahl/ml)
Pumpe
Feld
Tage
30
33
36
39
Zeit [d]
Abb. 2b:Abtötungsraten und Wiederaufwuchs von Bakterien im Behandlungstank (Langzeitversuch über 14 Tage)
Ballastwassermanagement
Versuchsergebnisse Sediment­ab­
scheidung
Die Leistungsfähigkeit der kompletten SEDNA®
Anlage, Sedimente abzutrennen, wurde während
des normalen Betriebes im Hamburger Hafen unter Beweis gestellt. Zusätzliche Tests wurden unter
kontrollierten Bedingungen nur mit den speziellen
Hydrozyklonen gefahren. Die Testergebnisse zeigen deutlich, dass die Hydrozyklone bereits bis zu
40% der Partikel >10 µm und > 95% der Partikel
> 30 µm abscheiden. Das führt zu einer wesentlichen Reduzierung der gesamten Sedimentmenge,
die in die Ballastwassertank gelangt. Die Versuchsergebnisse der Sedimentabscheidung sind in Abb.
3 dargestellt.
Abscheiderate (%)
Partikelabscheidung mit Sedna-Hydrozyklonen bei verschiedenen Durchflussraten
Partikelgröße (μm)
Abb. 3:Versuchsergebnisse der Sedimentabscheidung mit Hydrozyklonen des SEDNA®-Systems
Fazit
Die neue IMO Konvention zum Thema Ballastwasser
stellt hohe Anforderungen an die Schifffahrt, aber
auch an die Schiffsausrüster. Es sind zahlreiche Behandlungsanlagen in der Entwicklung, jedoch sind
nur wenige auf einem geeigneten Stand der Industrialisierung. Damit ein reibungsloser Einstieg in die
Ballastwasserkonvention für die Schifffahrt ermöglicht
werden kann, ist pro-aktives Handeln gefragt. Nur ein
rechtzeitiges Planen bei Werften und Reedern kann
helfen, teure Nachrüstungen zu vermeiden.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Matthias Voigt
Hamann AG
Bei der Lehmkuhle 4
21279 Hollenstedt
133
Offshore-Windparks
Offshore-Windparks
Ökologische Begleitforschung auf den Forschungsplattformen FINO I – III
Ecological accompanying research at the FINO I - III research platforms
Antje Finger
Zusammenfassung
Summary
Strom aus Offshore-Windenergie wird in Zukunft einen
wichtigen Beitrag zur Energiepolitik leisten. Um die für
den Ausbau der Offshore-Windenergie in Deutschland erforderlichen Erkenntnisse zu sammeln, wurde
der Bau von drei Forschungsplattformen beschlossen. Aufgabe der Plattformprojekte ist es, die Kenntnisse über die meteorologischen und hydrologischen
Bedingungen auf See zu verbessern und konkrete
Auswirkungen von Offshore-Windenergieanlagen auf
die marine Natur und Umwelt zu ermitteln.
Electricity from offshore wind turbines will make an
important contribution to tomorrow‘s energy policy.
In order to gather the information needed for the expansion of offshore wind power in Germany, it was
decided to erect three offshore research platforms.
The purpose of the platform projects is to improve
knowledge on the meteorological and hydrological
conditions at sea, and to investigate the impacts of
offshore wind turbines on marine life.
Entsprechend der Offshore-Strategie der Bundesregierung wurde im Sommer 2003 die erste Forschungsplattform – FINO 1 – in der Nordsee ca. 45
km nördlich von Borkum errichtet.
Auf der Forschungsplattform werden umfangreiche
physikalische, hydrologische, chemische und biologische Messungen durchgeführt. Die Ergebnisse
sollen wichtige Erkenntnisse liefern, die für die technische und umweltbeeinflussende Bewertung der
Technologie benötigt werden.
In the summer of 2003, the first offshore research
platform – FINO 1 - was erected in the North Sea, approx. 45 km off the island of Borkum, within the framework of the German government‘s offshore strategy.
Comprehensive physical, hydrological, chemical and
biological measurements are being performed at the
research platform. The results are expected to yield
findings of great importance for the technical and environmental assessment of wind technology.
A further measuring platform – FINO 2 – is due to be
installed in the Baltic Sea in spring 2007. FINO 3 will
be erected in the North Sea in 2008.
Die Errichtung einer weiteren Forschungsplattform
– der FINO 2 – ist für das Frühjahr 2007 in der Ostsee vorgesehen. Anfang 2008 soll die dritte Plattform
– FINO 3 – in der Nordsee errichtet werden.
1 Hintergrund
Die Nutzung der Offshore-Windenergie bietet mittelfristig das größte Potenzial unter den erneuerbaren
Energien, die Klimaschutzziele und die Ziele zum
Ausbau des Anteils der erneuerbaren Energien an
der Stromversorgung in Deutschland zu erreichen.
Für die Realisierung vom Offshore-Windparks mit
Standorten in großen Wassertiefen und in weiten
Entfernungen zur Küste liegen weltweit noch keine
Erfahrungen vor. Zur Vorbereitung der OffshoreWindenergienutzung sollen daher entsprechend der
„Strategie der Bundesregierung zur Windenergie auf
See“ (Bundesregierung [2002]) insgesamt drei Forschungsplattformen in Nord- und Ostsee (FINO) errichtet werden.
137
138
Offshore-Windparks
Die Untersuchungen auf den Forschungsplattformen haben zum Ziel, die bestehenden Risiken
zu verkleinern und den Ausbau der geplanten Offshore-Windparks zu beschleunigen. Auf den Plattformen sowie baubegleitend werden umfangreiche
Messungen und Untersuchungen durchgeführt, die
u.a. technische, metrologische, hydrologische und
biologische Fragestellungen betrachten. Ein Schwerpunkt liegt dabei auch in der Ermittlung von möglichen Auswirkungen von Offshore-Windenergieanlagen auf die Meeresumwelt sowie in der Entwicklung
von Möglichkeiten zur Vermeidung und Verminderung von Beeinträchtigungen. So sollen auf den Forschungsplattformen im Rahmen der ökologischen
Begleitforschung z.B. der Vogelzug, das Risiko von
Vogelkollisionen mit WEAs sowie die Besiedlung von
benthischen Organismen und mögliche Anziehungseffekte auf Fische untersucht werden.
Das Fundament der Plattform ist eine Jacketkonstruktion, die mit vier Rammrohrpfählen (Durchmesser je
1,5 m, Länge 38 m) im Meeresboden verankert ist.
Das 16 X 16 m große Plattformdeck befindet sich 20
m über dem Meeresspiegel (SKN). In den fünf Containern sind die Messgeräte, Computer, Arbeitsräume, Notunterkunft und der Dieselgenerator untergebracht. Auf dem Plattformdeck ist ein Windmessmast
installiert, der bis in eine Höhe von 101 m (über SKN)
ragt. Die Plattform ist weiterhin mit einem OffshoreKran und einer kleinen Krananlage für die Entnahme
von Bodenproben ausgerüstet.
Während des Baus der Plattformen werden Messungen zu den Schallimmissionen vorgenommen sowie verschiedene Maßnahmen zur Verminderung von
Bauschall erprobt. Diese Maßnahmen sollen insbesondere dem Schutz von Meeressäugetieren dienen.
Die Ergebnisse der Plattformforschungen sind für die
Bewertung der Offshore-Windkraft aus technischer
und ökologischer Sicht von großer Bedeutung.
2 Forschungsplattform FINO 1
Bereits seit September 2003 ist die Forschungsplattform FINO 1 in Betrieb und liefert seitdem systematisch Daten.
FINO 1 befindet sich in der Nordsee etwa 45 km
nördlich von der Insel Borkum. Die Wassertiefe beträgt am Standort ca. 28 m. Mit dem Schiff erreicht
man die Plattform in 3 bis 4 Stunden, der Hubschrauber benötigt nur ca. 35 Minuten.
Die Forschungsplattform liegt im mittleren Cluster
des besonderen Eignungsgebiets für Windenergieanlagen „Nördlich Borkum“. In unmittelbarer Nähe
zur FINO 1 befindet sich der Standort des geplanten
Offshore-Testfelds. Nur ca. 400 m östlich der Plattform soll ab 2008 mit der Errichtung von 12 Anlagen
der 5-MW-Klasse begonnen werden.
2.1
Projektdaten
Mit der Projektkoordination beim Bau und Betrieb der
FINO 1 wurde die Germanischer Lloyd WindEnergie
GmbH beauftragt.
Abb.1: Die Forschungsplattform FINO 1 in der Nordsee
(Quelle: BMU/ Christoph Edelhoff)
2.2
Mess- und Forschungsprogramm
Auf der Forschungsplattform werden eine Vielzahl
von Messungen und Untersuchungen durchgeführt,
mit denen die Umweltverhältnisse (Meteorologie, Hydrologie etc.) und die Auswirkungen auf die Natur und
Umwelt ermittelt werden, die im Folgenden exemplarisch aufgelistet werden. Die Messungen auf FINO 1
Offshore-Windparks
erfolgen automatisch und können z.T. auch von Land
aus ferngesteuert werden. Per Richtfunk werden die
Daten an Land gesendet und von den beteiligten
wissenschaftlichen Institutionen ausgewertet. Nur
ein bis zwei Mal pro Monat kommen Wissenschaftler
und Wartungspersonal mit dem Hubschrauber auf
die FINO 1.
serstruktur der Plattform durch Meeresorganismen
(Benthos). Des Weiteren werden Veränderungen der
Sedimentzusammensetzung im Nahbereich um die
Plattform und damit einhergehende Veränderungen
der benthischen Gemeinschaft sowie deren Reichweite erfasst. Gegenstand der Untersuchungen ist
auch die Dokumentation von Anlockeffekten auf die
Fischfauna.
2.2.1 Meteorologische Messungen
Die Messungen an der Plattform und in deren Umfeld
sollen als Grundlage für die Modellierung der räumlichen Effekte von Offshore-Windparks dienen.
Mit Hilfe entsprechender Sensoren werden eine Reihe von meteorologischen Parametern auf der FINO 1
gemessen, wie zum Beispiel:
• Windgeschwindigkeit und –richtung, Turbulenzen,
• Regen,
• Blitze,
• Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck,
• Globalstrahlung, UV-A, Sichtweite.
Aus diesen Langzeitmessungen können beispielsweise mögliche Energieerträge errechnet und Rückschlüsse auf die optimale technische Auslegung von
Windenergieanlagen gezogen werden.
Im Rahmen des Projektes kommen u.a. die folgenden
Untersuchungsmethoden zum Einsatz:
•
•
•
•
•
Probennahmen mit van Veen-Greifer
Aufwuchskratzproben durch Tauchereinsätze
Abhängen von Platten
fahrbare Unterwasserkamera
Planktonbeprobung mit Nasennetz und Planktonpumpe
• Fischecholot.
Die technischen Messungen und die Aufbereitung der
Daten werden vom Deutschen Windenergie Institut
(DEWI) in Kooperation mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) durchgeführt.
2.2.2 Ozeanographische Messungen
Das BSH führt eine Reihe von Messungen zur Erfassung verschiedener ozeanographischer Parameter
durch. Untersucht werden zum Beispiel:
• Seegang (Wellenhöhe, -periode und -richtung)
• Strömungsgeschwindigkeit und -richtung, Wasserstand
• Wasserschichtung, Wassertemperatur, Salzgehalt, Sauerstoffgehalt.
Die Messungen liefern u.a. wichtige Eingangsdaten
zur Berechnung der Bauwerksbelastungen und zur
Optimierung des Gründungsdesigns von OffshoreWindenergieanlagen.
2.2.3 Ökologische Messungen
Prozesse im Nahbereich
Das Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven (AWI) untersucht im Rahmen der Forschungsprojekte BeoFINO und BeoFINO II die Besiedlung der Unterwas-
Abb. 2:Entnahme von Sedimentproben vom Meeresgrund
Quelle: BMU/ Christoph Edelhoff
139
Offshore-Windparks
140
über den Vogelzug über See erheblich verbessert und
erste Einschätzungen zu möglichen Auswirkungen
von Offshore-Windparks abgegeben werden.
2.2.4 Weitere Untersuchungen
Neben den oben vorgestellten Untersuchungen werden noch eine Reihe weiterer Forschungsprojekte
auf FINO 1 durchgeführt. Hierzu gehören:
• Messungen zu Schallemissionen und zur
Schallausbreitung während des Rammens der
Gründungspfähle (Curt-Risch-Institut Uni Hannover, Deutsches Windenergie Institut, Institut für
technische und angewandte Physik)
• Untersuchungen zur Beanspruchungen der
Gründungsstruktur / Lastmessungen (Deutsches
Windenergie Institut)
• Erfassung von Schiffsbewegungen (Wasser- und
Schifffahrtsdirektionen Nord und Nordwest)
• Test eines LiDAR („Light Detection And Ranging“)-Messsystem (WINDTEST)
• Untersuchung bodenphysikalischer Parameter
(DFG-Projekt).
Zukünftig könnte die Forschungsplattform FINO 1
auch als Basis für bau- und betriebsbegleitende Forschungen zum Offshore-Testfeld dienen.
Abb. 3: Muschelprobe
Quelle: BMU/ Christoph Edelhoff
Vogelzugerfassungen
Das Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ führt im Rahmen der Forschungsprojekte
BeoFINO und FinoBird umfangreiche Untersuchungen zum Vogelzug über der deutschen Nordsee
durch. Hierfür wurden auch verschiedene Erfassungsmethoden und technische Gerät entwickelt
und getestet:
•
•
•
•
Vertikal- und Horizontalradar
Wärmebild- und Videokamerasysteme
Audiosystem zur Vogelruferfassung
Fledermaus-Detektorsystem.
Die Langzeituntersuchungen auf FINO 1 liefern wichtige Informationen zur räumlichen und zeitlichen Verteilung des Vogelzugs über der Nordsee im Hinblick
auf potenzielle Standorte für Offshore-Windparks. Mittels kombinierter Technik können u.a. Artenspektrum,
Zughöhen, -richtung und -zeiten sowie die Reaktion
der Tiere auf Offshore-Bauwerke erfasst werden. Mit
Hilfe dieser Untersuchungen können die Kenntnisse
3 Forschungsplattform FINO 2
Die Errichtung und Inbetriebnahme der Forschungsplattform FINO 2 soll im Frühjahr 2007 erfolgen. Die
Plattform wird ca. 40 km nördlich von Rügen in einer
Wassertiefe von ca. 20 m aufgestellt. FINO 2 liegt somit im nördlichen Bereich des besonderen Eignungsgebiets für Windenergieanlagen „Kriegers Flak“ und
des gleichnamigen geplanten Offshore-Windparks.
3.1
Projektdaten
Der Bau der FINO 2 wird vom BMU mit 3,5 Mio. Euro
gefördert. Weitere 1,3 Mio. Euro steuert das Land Meck­
lenburg-Vorpommern bei. Die Projektleitung hat das
Schifffahrtsinstitut Warnemünde übernommen.
Die Monopilegründung der Plattform wurde bereits
im Oktober 2006 eingebracht. Hierfür wurde ein 50,5
m langes, 270 t schweres Stahlrohr ca. 25 m tief in
den Meeresboden gerammt.
Die Plattform wird mit einem Windmessmast und
Containern für Messtechnik ausgerüstet.
Offshore-Windparks
3.2
Mess- und Forschungsprogramm
Ähnlich wie bereits auf FINO 1 sollen auch auf der
Forschungsplattform in der Ostsee meteorologische
Langzeitmessungen vor allem zu verschiedenen
Windparametern vorgenommen werden.
Das ökologische Messprogramm umfasst zum einen
Untersuchungen zur Besiedlung von Hartsubstraten
mit Hilfe von abgehängten Platten. Zum anderen soll
der Vogelzug über der Ostsee und das Vogelschlagrisiko mit Radar- und Kamerasystemen erfasst werden.
Während der Rammarbeit zur Gründung der Plattform
wurden vom Institut für Statik und Dynamik der Universität Hannover und dem Institut für technische und
angewandte Physik bereits erfolgreiche Versuche zur
Lärmminimierung durchgeführt. Zudem wurden Messungen zur Ausbreitung des Unterwasserschalls vorgenommen.
4 Forschungsplattform FINO 3
Eine weitere Plattform – FINO 3 – soll Anfang 2008 in
der Nordsee ca. 80 km westlich von Sylt in einer Wassertiefe von 23 m errichtet werden. Die Plattform befindet sich in der Nähe zu den geplanten Offshore-Windparks DanTysk, Nördlicher Grund und Sandbank 24.
4.1
Projektdaten
Das Projekt FINO 3 wird vom Bundesumweltministerium mit 3,6 Mio. Euro und vom Land Schleswig-Holstein
mit 4,3 Mio. Euro gefördert. Die Projektleitung und Koordination hat die Forschungs- und Entwicklungszentrum GmbH Fachhochschule Kiel übernommen.
Nach derzeitigem Planungsstand wird die Plattform
auf einer Monopilegründung errichtet. Das Plattformdeck soll in ca. 22 m über der Wasseroberfläche installiert werden. Hierauf soll neben zwei Containern
für die Energieversorgung und die Messtechnik ein
85 m hoher Windmessmast errichtet werden.
Um eine gute Erreichbarkeit zu gewährleisten, wird
die Plattform mit einem Helikopterdeck ausgestattet.
4.2
Mess- und Forschungsprogramm
Das Projekt FINO 3 umfasst neben dem Bau und der
Errichtung der Plattform ein physikalisch-technisches
Untersuchungsprogramm. Folgende Forschungspro-
jekte befinden sich derzeit in der Vorbereitung:
• Messung und Analyse hochfrequenter (< 10 kHz)
Turbulenzanteile im Offshore-Wind zur Optimierung von aerodynamischen Blattprofilen (Fachhochschule Kiel)
• Messung von Blitz-Häufigkeiten und BlitzstromParametern auf dem Meer (Fachhochschule Kiel)
• Technologie für Vor- und Nacherkundung des
Baugrunds von Offshore-Bauwerken mit 3D-Reflexionsseismik, Scher- und Kompressions-WellenTomographie zur Quantifizierung des Gefahrenpotentials infolge von Strukturveränderungen im
Boden (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)
• Geotechnische In-situ-Messungen und ergänzende Modellversuche zu Grenzzustandsbetrachtungen für die Gründung von Offshore-Windenergieanlagen (Technische Universität Carolo
Wilhelmina zu Braunschweig)
• Seegang- und Brechererfassung mittels Doppler
Messung (FINO 3/ SEEDOM) zur Untersuchung
der raum-zeitlichen Veränderlichkeit im Seegangsfeld im Einflussbereich von Offshore-Bauwerken
(GKSS Forschungszentrum Geesthacht GmbH)
• Meteorologische Messungen am Windmessmast
der Offshore-Forschungsplattform FINO3: Beschaffung und Installation des Messsystems, Betrieb, Überwachung, Auswertung der Messgrößen
und Instandhaltung (WINDTEST Kaiser-WilhelmKoog GmbH)
• Ozeanographische Messungen an der OffshoreForschungsplattform FINO 3: Installation und Betrieb des Messsystems, Erfassung, Archivierung
und Bewertung der ozeanographischen Daten
(Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrograhie).
Im Rahmen der ökologischen Begleitforschungen sollen zudem weitere Untersuchungen zum Vogelzug über
der Nordsee durchgeführt werden. Geplant ist auch
der Test weiterer Schallminimierungsmaßnahmen und
Messungen zur Ausbreitung des Unterwasserschalls
während der Rammarbeiten zur Fundamentgründung.
4.3
Weitere Informationen
Weiterführende Informationen zu den Forschungsplattformen sowie die Kontaktdaten der jeweiligen
Ansprechpartner können auf folgenden Internetseiten abgerufen werden:
http://www.fino-offshore.de
http://www.bine.info/pdf/publikation/projekt0905internetx.pdf
http://www.fino2.de
http://www.fino3.de
141
142
Offshore-Windparks
Literatur
Bundesregierung, 2002: Strategie der Bundes­
regierung zur Windenergienutzung auf See im
Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. http://www.thema-energie.de/media/article005841/windenergie_strategie_br_
020100.pdf
Anschrift der Verfasserin:
Antje Finger
Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Alexanderplatz 6
10178 Berlin
Offshore-Windparks
Auswirkungen von Offshore-Windenergieanlagen
auf Seevögel - Ergebnisse der skandinavischen
Begleitforschung
Impacts of Offshore Wind Farms on Seabirds - Results of the
Scandinavian Monitoring
Thomas Merck
Zusammenfassung
Die Bundesregierung hat sich weitreichende Ziele
für die Nutzung von Windenergie in den deutschen
Meeren gesteckt und den Willen bekräftigt, diese
­Energieform umwelt- und naturverträglich zu gestalten. Inzwischen sind in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord- und Ostsee 15 Projekte mit zusammen über 1.000 Windenergieanlagen
(WEA) genehmigt worden.
Im Rahmen der Prüfung der Natur- bzw. Umweltverträglichkeit der einzelnen Projekte spielte die Frage
nach den Auswirkungen auf Seevögel eine wichtige
und oft entscheidende Rolle. In den deutschen Meeresbereichen kommen regelmäßig eine Vielzahl von
Seevogelarten vor, die die Offshore-Bereiche zur
Nahrungssuche oder als Rast-, Mauser- und Überwinterungsgebiet nutzen. Das Monitoring an skandinavischen Offshore-Windparks erbrachte inzwischen
erste Erkenntnisse über die Reaktion einzelner Seevogelarten auf die WEA. Diese Erkenntnisse ermöglichen quantitative Prognosen der Auswirkungen auf
Seevögel.
Die betriebsbegleitenden Untersuchungen in Skandinavien zeigen, dass die einzelnen Seevogelarten
sehr unterschiedlich auf Offshore-WEA reagieren.
Während einige Möwenarten offenbar von den Anlagen angezogen werden und innerhalb des Windparks häufiger anzutreffen sind als vor dem Bau,
meiden Nahrung suchende Seeschwalben den
Windpark komplett, konzentrieren sich aber in den
unmittelbar angrenzenden Randbereichen. Die ersten Ergebnisse zu den Meeresenten zeigen zwar
Meideverhalten mit reduzierten Bestandsdichten,
eine vollständige Meidung des bebauten Bereichs
und seiner Umgebung konnte aber nicht festgestellt
werden.
Die als besonders störempfindlich geltenden Seetaucher meiden ebenfalls komplett den bebauten
Bereich, fehlen aber auch fast vollständig in der den
Windpark umgebenden 2-km-Zone. Selbst in der anschließenden 2- bis 4-km-Zone sind die Dichten der
Seetaucher deutlich reduziert. Auch Alkenvögel meiden den bebauten Bereich komplett und erreichen in
der 2-km-Zone weniger als die Hälfte der ursprünglichen Bestandsdichten, zeigen aber keine Veränderungen in der 2- bis 4-km-Zone.
Diejenigen Arten, die Meideverhalten gegenüber
Offshore-WEAs zeigen, werden so aus ihren angestammten Rast- und Nahrungsgebieten verscheucht
und sind von Lebensraumverlust betroffen. Das
Verdrängen in andere Meeresgebiete kann u.a. zu
schlechteren Nahrungsbedingungen oder verstärk­
ter innerartlicher Konkurrenz führen. Insbesondere
kumulative Lebensraumverluste werden das Ausmaß
solcher Beeinträchtigungen erhöhen.
Durch geeignete Geometrie des Windparks lassen
sich solche Lebensraumverluste bei Seevögeln vermindern. Die wirksamste und damit entscheidende
Maßnahme zur Vermeidung negativer Auswirkungen
liegt in der Wahl konfliktarmer Standorte mit nur geringen Vorkommen empfindlicher Arten bzw. dem
Ausschluss von Standorten innerhalb von Rastgebieten solcher Seevogelarten.
Summary
The German government has formulated a large range
of objectives regarding the use of wind energy at sea
and has underlined its intention to use this type of energy in an environmentally sound manner. To date, 15
projects comprising more than 1 000 wind turbines
have been permitted in the German Exclusive Economic Zone of the North Sea and Baltic Sea.
143
144
Offshore-Windparks
In the environmental impact assessments, the impacts on seabirds play an important and often crucial role. In German waters, numerous seabird species regularly use the offshore area as feeding and/or
resting, moulting and wintering areas. Monitoring at
the Scandinavian offshore wind farms for the first time
has provided data on the reactions of seabirds to offshore wind farms. These findings allow quantitative
predictions of the impacts on seabirds.
Different species- specific reactions to wind farms
were observed. Several gull species are obviously attracted to the wind turbines and are more abundant
in the area of the wind farm than before the construction. Feeding terns, on the other hand, avoid entering
the wind farm area completely, but aggregate in the
surrounding areas. With respect to sea ducks, initial
results show avoidance behaviour leading to reduced
densities of these species but complete avoidance of
the construction area and its vicinity has not been observed.
Red- and Black-throated Divers appear to be especially sensitive to disturbance, avoid the wind farm
Einleitung
Die Bundesregierung hat im Januar 2002 mit ihrer Strategie zur Nutzung der Windenergie auf See
konkrete Ziele für eine stufenweise Entwicklung der
Windkraftnutzung im Offshore-Bereich der deutschen Meere benannt (Bundesregierung [2002]).
Zeitraum
area completely, and are mostly absent within the
surrounding 2 km zone. Even in the adjacent 2-4 km
zone the number of divers is substantially reduced.
Similarly, alcids avoid the wind farm completely and
occur in the 2 km zone at less than 50 % of the original density. In the adjacent 2-4 km zone no change
was observed.
The species showing avoidance reactions to the wind
farm were displaced from their natural resting and
feeding areas and thus suffered habitat losses. Displacement of seabird species into other marine areas
may lead to negative impacts, such as a lessened or
lower quality food supply, or to increased intraspecific competition. Cumulative displacement can only
increase the likelihood of such negative impacts.
Such losses of seabird habitats can be reduced by
proper wind farm location and configuration. The
most efficient and direct way to avoid negative impacts to seabirds is the selection of areas of least
conflict, i.e. areas outside the regular resting, feeding, and moulting areas of seabirds that are sensitive
to offshore wind farms.
Diese Ziele wurden inzwischen über den „Wegweiser
Nachhaltigkeit 2005“ (Bundesregierung [2005]), in
dem bis 2020 ein Aufbau von 10.000 MW vorgesehen sind, und über die „Roadmap Windenergienutzung“ (BMU [2006]) mit einem Aufbau von 1.000 MW
bis 2010 und 15.000 MW bis 2020 fortgeschrieben
(vgl. Tab. 1).
Bundesregierung 2002
Bundesreg. 2005
(Leistung in MW)
2001 - 2003 1. Vorbereitungsphase:
mind. 500
2.000 bis 3.000
bis 2020
2011 - 2030 4. Weitere Ausbauphasen
BMU 2006
(Leistung in MW)
-
2003/4 - 2006 2. Startphase
(Erste Baustufen)
2007 - 2010 3. Erste Ausbauphase
(Leistung in MW)
1.000
10.000
15.000
20.000 bis 25.000
Tab. 1: Ziele der Bundesregierung für die Offshore-Windkraft
Bis November 2006 wurden in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee
13 Projekte mit zusammen über 900 Windenergieanlagen genehmigt. Bei Realisierung dieser
Projekte wären allein in der deutschen Nordsee
bis zu 4.500 MW installierter Leistung möglich.
Zusätzlich sind in der deutschen AWZ der Ostsee
bisher zwei Projekte mit zusammen 160 Einzelanlagen und einer möglichen Leistung von 800 MW
genehmigt worden, so dass bereits über 1.000
Einzelanlagen in den deutschen Meeren genehmigt sind.
Offshore-Windparks
Ein wesentlicher strategischer Eckpunkt dieser Strategie ist der Wille, diese Energieform umwelt- und naturverträglich zu gestalten (Bundesregierung [2002]).
Im Rahmen der Prüfung der Umwelt- bzw. Naturverträglichkeit der einzelnen Projekte spielte die Frage
nach den Auswirkungen auf Seevögel eine wichtige
und oft entscheidende Rolle. So wurde in der Ostsee
zwei Projekten vor allem wegen der prognostizierten
Auswirkungen auf Meeresenten die Genehmigung
versagt. Quantitative Vorhersagen der Auswirkungen
eines Projektes erfordern sowohl Kenntnisse über das
Vorkommen der verschiedenen Arten in dem Gebiet
des beantragten Windkraftprojektes als auch Kenntnisse über die spezifischen Reaktionen der einzelnen
Arten auf Offshore-Windenergieanlagen.
In den deutschen Meeresbereichen kommt eine Vielzahl von Seevogelarten regelmäßig vor, die teils als
Brutvögel der Küste die Offshore-Bereiche zur Nahrungssuche nutzen oder hier als Zugvögel ihre Rast-,
Mauser- oder Überwinterungsgebiete finden. Kenntnisse über ihre Verbreitung liegen vor allem aus großflächigen Erhebungen des Bundes (Garthe [2003],
Garthe et al. [2005]), aber auch aus den Umweltverträglichkeitsuntersuchungen der Antragsteller vor.
Einige der in unseren Meeren vorkommenden Arten
(Seetaucher, Seeschwalben und Zwergmöwe) sind
im Anhang 1 der europäischen Vogelschutzrichtlinie
aufgeführt und Deutschland ist verpflichtet, zu ihrem
Schutz besondere Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere durch die Ausweisung entsprechender
Schutzgebiete. Dieser Verpflichtung ist Deutschland
im Mai 2004 durch die Meldung der Vogelschutzgebiete „Östliche Deutsche Bucht“ sowie „Pommersche
Bucht“ an die EU-Kommission nachgekommen. Die
Gebiete wurden im Oktober 2005 zum Naturschutzgebiet erklärt (siehe auch www.habitatmarenatura2000.de).
Während bisher in den deutschen Meeresgebieten
von Nord- und Ostsee keine Windkraftanlagen gebaut worden sind, befinden sich in den Gewässern
Dänemarks, Schwedens aber auch Großbritanniens
Offshore-Windenergieanlagen z.T. bereits seit den
90er Jahren im Betrieb (www.offshorewindenergy.
org/). Die seit 2002 bzw. 2003 im Betrieb befindlichen dänischen Projekte Horns Rev in der Nordsee
sowie Nysted in der Ostsee entsprechen mit ihren 80
bzw. 72 Einzelanlagen in ihrer Dimensionierung am
ehesten den Größenordnungen der in Deutschland
geplanten Windparks. Die bau- und betriebbegleitenden Untersuchungen an diesen beiden OffshoreWindparks erbrachten inzwischen Erkenntnisse über
die artspezifischen Reaktionen einzelner Seevogelarten auf die Anlagen. Die Untersuchungen ermög-
lichen so erste quantitative Prognosen der Auswirkungen auf Seevögel, die auch auf die Projekte in
den deutschen Meeresgebieten übertragbar sind.
Die Begleituntersuchungen an den
Windparks Horns Rev und Nysted
Im Mittelpunkt der bau- und betriebsbegleitenden
Seevogeluntersuchungen an den beiden dänischen
Offshore-Windparks (OWP) stand die Frage, ob die
Verteilung rastender und Nahrung suchender Tiere
durch Bau und Betrieb der Windenergieanlagen verändert wird und ob die Seevögel hierdurch aus ihrem
angestammten Lebensraum vertrieben werden. Vor,
während und nach dem Bau wurde die Verteilung der
Seevögel mehrfach durch großflächige Befliegungen
entlang von Transekten ermittelt (u.a. Kahlert et al.
[2005], Petersen [2004, 2005]). Das untersuchte Gebiet
betrug dabei z.B. in Horns Rev ca. 1.700 km2, in seinem
Zentrum lag das etwa 20 km2 große Baugebiet.
Für die Beschreibung möglicher Verlagerungen von
Seevögeln wurde von den dänischen Wissenschaftlern der Jakobs-Index herangezogen. Mit seiner Hilfe
lässt sich analysieren, ob in einem festgelegten Teilbereich einer größeren untersuchten Fläche die Zahl
festgestellter Tiere größer oder kleiner ausfällt als sie
bei einer gleichmäßigen Verteilung zu erwarten wäre.
Der Jakobs-Index berechnet sich nach folgender Formel und kann Werte zwischen –1 und + 1 annehmen:
D=
(r - p)
(r + p - 2rp)
wobei r = Anteil der Vögel und p = Anteil der Transektlänge im Betrachtungsraum im Vergleich zum
Vogelbestand bzw. zur Transektlänge in der Gesamtuntersuchungsfläche.
Bei einem Jakobs-Index von +1 befinden sich alle im
Untersuchungsgebiet festgestellten Tiere innerhalb
des betrachteten Teilbereichs, bei –1 kein einziges
(vollständige Meidung). Ein Jakobs-Index von 0 besagt, dass der Betrachtungsraum genauso intensiv
von den Seevögeln genutzt wird wie das übrige Untersuchungsgebiet.
Für die verschiedenen Seevogelarten wurde der
Jakobs-Index jeweils für das eigentliche Baugebiet
(OWP), das Baugebiet einschließlich einer 2 km breiten Pufferzone sowie einschließlich einer 4 km breiten
Pufferzone ermittelt (Abb. 1). Ob eine dabei festgestellte Abweichung von 0 (gleichmäßige Verteilung)
signifikant ist, wurde jeweils statistisch geprüft.
145
Offshore-Windparks
EK R 35
Transektlinien
Militärisches Sperrgebiet
Horns Rev
Windpark
Windpark + 2 km
Windpark + 4 km
EK D 81
EK R 34
EK R 33
13
12
EK D 80
11
EK R 32
19
18
16
17
14
15
9
10
8
7
6
5
4
3
2
1
23
22
21
20
25
24
26
0
5
10 km
Abb 1: Gebiet der Seevogeluntersuchungen bei Horns Rev. Angegeben ist die Lage der Transekte, des Baugebietes sowie der 2-kmund der 2- bis 4-km-Zone (Quelle: nach Christensen et al. [2003])
Die für die Berechnung des Indexes jeweils notwendigen Zahlenwerte von r und p sind in den entsprechenden Berichten wiedergegeben (K ahlert et al.
[2005], Petersen [2004, 2005]). Für die folgenden
Betrachtungen wurde aus diesen Werten eine etwaige Veränderung der Seevogeldichten im eigentlichen
Windparkgebiet, in der den Windpark umschließenden 2-km-Zone sowie einer sich anschließenden
2- bis 4-km-Zone quantifiziert. Dabei wurde die Verteilung vor dem Bau jeweils als Basislinie bzw. als Erwartungswert genommen.
Zu den Ergebnissen
Die beiden regelmäßig in größeren Anzahlen in unseren Gewässern überwinternden Seetaucherarten
Stern- und Prachttaucher nutzten vor der Errichtung
der Turbinen das Baugebiet des OWP Horns Rev
sowie die 2-km-Zone genauso intensiv, wie bei einer
gleichmäßigen Nutzung des Gesamtuntersuchungsgebietes zu erwarten gewesen wäre (Petersen
[2005]). Der relative Bestand betrug entsprechend
100 % (Abb. 2). Lediglich die 2- bis 4-km-Zone wurde
mit nur etwas mehr als 40 % deutlich weniger intensiv
genutzt. In den ersten beiden Betriebsjahren wurden
innerhalb des OWP überhaupt keine Seetaucher festgestellt. In der 2-km-Zone lag der relative Bestand
unter 5 % und in der anschließenden 2- bis 4-kmZone nunmehr nur noch bei ca. 20 % (Abb. 2).
Seetaucher (n=1106, m=1611)
120
relativer Bestand vor/nach Bau [%]
146
100
80
60
40
20
0
W indpark
0
2
4
Abstand [km]
Abb. 2:Nutzung des Windparkgebietes sowie der umge­
benden 2-km- und 2- bis 4-km-Zone durch Seetaucher vor (blau) und nach dem Bau (rot)
(n, m: Anzahl Seetaucher im Gesamtuntersuchungsgebiet vor bzw. nach Bau)
Offshore-Windparks
Im Vergleich zur Situation vor dem Bau sank der
anteilige Bestand der Seetaucher im OWP um 100
%, in der 2-km-Zone um 96,2 % und in der 2- bis ­­­­
4-km-Zone um 55,4 % (Tabelle 2). Diese beiden
fischfressenden Seevogelarten werden offenbar
durch die Offshore-Windenergieanlagen großflächig aus ihren angestammten Rast- und Nahrungsgebieten verscheucht und sind von Lebensraumverlust betroffen, der über das eigentlich bebaute
Gebiet weit hinausgeht.
OWP
2-km-Zone
2-4-km-Zone
Seetaucher
(n = 1.106, m = 1.611)
- 100,0 %
- 96,2 %
- 55,4 %
Eisente (Nystedt)
(n = 5.966, m = 4.474)
- 74,4 %
- 65,0 %
- 41,6 %
Zwergmöwe
(n = 127, m = 822)
+ 427 %
+ 178 %
+ 79 %
Küsten-/Flussseeschwalbe
(n = 586, m = 575)
- 100 %
+ 351 %
+ 126 %
Trottellumme/Tordalk
(n = 219, m = 309)
- 100 %
- 61,8 %
+ 12,6 %
Tab. 2: Betriebsbedingte Änderungen der Vogelbestände (s. Text)
(n, m: Anzahl der Vögel im Gesamtuntersuchungsgebiet vor bzw. nach dem Bau)
Zu den benthophagen Meeresenten, die sich vor
allem von Muscheln ernähren, gehört die Eisente,
deren Reaktion am Windpark Nysted untersucht worden ist. Eisenten wurden hier nach dem Bau auch innerhalb des Windparks festgestellt, aber der Bestand
sank um fast drei Viertel (Petersen [2004]; Tab. 2).
Auch die Nutzung der angrenzenden Zonen nahm
gegenüber der Situation vor dem Bau deutlich ab.
Die Untersuchungen an den schwedischen Windturbinen im Kalmar Sund unterstützen diese Ergebnisse
(Petterssen [2005]). - Nach den Untersuchungen bei
Horns Rev zeigen Trauerenten, ebenfalls eine benthophage Entenart, mit einer Abnahme der Nutzung
des Gebietes des OWP und seiner Umgebung ähnliche Reaktionen (Petersen [2005]).
Windparkes, traten aber in den angrenzenden Bereichen in deutlich höheren Beständen auf (Tab. 2;
Petersen [2005]).
Bei den Möwen wurde eine deutliche Zunahme der
Nutzung des Meeres im Bereich der OWP festgestellt.
Beispielsweise stieg der Bestand der Zwergmöwe im
1. Betriebsjahr innerhalb des OWP um mehr als das
Vierfache an und auch in den umgebenden Zonen
wurden deutlich mehr Tiere angetroffen als vor dem
Bau (Tab. 2; Petersen et al. [2004]). Offenbar üben
die Offshore-Anlagen und/oder der mit dem Betrieb
verbundene Schiffsverkehr eine anziehende Wirkung
auf die Möwen aus und führen zu einer Ausweitung
ihres Lebensraumes.
Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen des dänischen Monitorings
Seeschwalben (Küsten-/Flussseeschwalben) wiederum, sich stoßtauchend von Fischen ernährende
Seevögel, zeigten zwar eine komplette Meidung des
Die negativen Auswirkungen auf diejenigen Seevogelarten, die gegenüber Offshore-WEAs ein Meideverhalten zeigen und den Windpark sowie seine
Trottellummen und Tordalken, zwei Alkenvogelarten,
die sich wie Seetaucher tauchend von Fischen ernähren, zeigten ebenfalls eine komplette Meidung
des OWP (Tab. 2). In der 2-km-Zone erreichten diese Arten nach dem Bau weniger als die Hälfte der
ursprünglichen Bestände, es zeigten sich aber keine Veränderungen in der 2- bis 4-km-Zone. Die von
den Anlagen ausgehende Scheuchwirkung und der
damit verbundene Lebensraumverlust fällt entsprechend geringer aus als bei den Seetauchern.
Es ist davon auszugehen, dass die an den beiden
dänischen Windparks untersuchten Seevogelarten
bei entsprechenden Projekten in anderen Seegebieten keine grundsätzlich anderen Reaktionen gegenüber Windenergieanlagen im Meer zeigen. Allerdings
besteht die Möglichkeit, dass die Arten in anderen
Phasen ihres Lebenszyklus, z.B. während der Mauser, sensibler auf menschliche Aktivitäten reagieren.
147
Offshore-Windparks
148
Umgebung gar nicht oder nur noch in geringerem Maß
zu Rast und Nahrungssuche nutzen, lassen sich durch
geeignete Geometrie des Windparks reduzieren. Wenn
z.B. 100 Anlagen nicht in 4 Reihen zu 25 WEAs sondern
in einem Quadrat mit je 10 Reihen aufgestellt werden,
erhöht sich zwar die eigentliche Baufläche rechnerisch1)
um 9 km2 (Abb. 3). Dem gegenüber steht aber eine Verminderung der 2-km-Zone und der 2- bis 4-km-Zone
um jeweils 36 km2 bzw. fast ein Drittel bzw. ein Viertel.
Die entscheidende Möglichkeit, negative Auswirkungen auf Seevögel bei dem Aufbau der Offshore-Nutzung von Windenergie zu vermeiden bzw.
zu vermindern liegt in der Wahl eines geeigneten
Standortes. In Gebieten, die für sensible oder besonders zu schützende Seevogelarten nur geringe
Bedeutung als Rast,- Mauser- oder Nahrungsgebiet
haben, sind entsprechend geringere Auswirkungen
zu befürchten.
R echteck (4 • 25)
W EA
100 W E A
W EA
72 km ²
2 km -Z one
121 km ²
2-4 km -Z one
146 km ²
Q uadrat(10 • 10)
100 W E A
81 km ²
85 km ²
110 km ²
+ 13 %
- 30 %
- 25 %
Abb. 3:Flächengröße von Windparks und der umgebenen 2-km- und 2- bis 4-km-Zone bei unterschiedlichen Aufstellungskonstellationen
Dierschke et al. [2006] haben für die in der deutschen
Nordsee bis dahin 26 geplanten bzw. 9 genehmigten
Offshore-Windparks für verschiedene Seevogelarten
die zu erwartenden Lebensraumverluste berechnet.
Die Berechnungen erfolgten auf Basis der Ergebnisse der Begleitforschung in Dänemark sowie der
mittleren Seevogeldichten, die für verschiedene
Teilbereiche (Cluster) der deutschen Nordsee von
Dierschke et al. [2006] aus eigenen Erhebungen
(Schiffserfassungen, bzw. bei Seetauchern Flugzeugerfassungen) ermittelt wurden (Abb. 4).
Dierschke et al. [2006] sind bei ihren Berechnungen
davon ausgegangen, dass der Windpark sowie die
entsprechende 2-km-Zone2) von den Tieren gänzlich gemiedenen werden. Zur Bewertung der kumu-
1)
2)
lativen Flächenverluste setzten die Autoren die errechnete Anzahl von Flächenverlust betroffenen Seevögel
ins Verhältnis zum Rastbestand im deutschen Teil der
Nordsee (national population size). Inzwischen wurden
weitere vier OWP in der deutschen AWZ der Nordsee
genehmigt; in die folgenden Berechnungen sind diese
Projekte auf Grundlage der von Dierschke et al. verwendeten Dichteangaben eingerechnet worden.
In den deutschen Nordseebereichen, in denen bereits OWPs genehmigt wurden, kommen von den
empfindlichen Arten vor allem Seetaucher und Alkenvögel in relevanten Dichten vor. Die Vorkommen von
z.B. Seeschwalben und Meeresenten in diesen Bereichen sind so gering, dass hier keine signifikanten
Auswirkungen zu erwarten sind.
Bei der Berechnung der Baufläche wurden die Standorte der äußeren WEAs ohne Berücksichtigung der Durchmesser ihrer
Rotoren zu Grunde gelegt.
Überschneiden sich die 2-km-Zonen zweier OWP, wurde bei der kumulativen Betrachtung nur die durch den später genehmigten Windpark hinzukommende Fläche eingerechnet.
Offshore-Windparks
Abb. 4:Geplante und genehmigte OWP in der deutschen Nordsee mit ihren 2-km- und 2- bis 4-km-Zonen (Stand: November 2006). Die
Rechtecke geben die 4 Cluster (nördlich Helgoland, nördlich Borkum, nördlich Verkehrstrennungsgebiet, westlich Sylt) wieder,
für die Dichteberechnungen durchgeführt wurden (s. Text)
Aus Abbildung 5 lässt sich darüber hinaus ablesen,
dass die einzelnen Windparks in sehr unterschiedlichem Umfang zur Gesamtmenge beeinträchtigter
Sterntaucher beitragen. Eine genauere Analyse zeigt,
dass mehr als 75 % des Vertreibungseffektes auf die
vier OWP im Bereich der deutsch-dänischen Grenze
zurückzuführen sind (Abb. 6 a). Auf die verbleibenden
9 Projekte zusammen entfällt das restliche Viertel.
1,600
R ed-throated D iver
spring
national population size: 12,000
12
11
10
1,400
1,200
9
1,000
8
7
800
6
600
5
4
400
3
2
number of birds affected
13
% of national population
Der Großteil der in unseren Nordseegewässern überwinternden Seetaucher sind Sterntaucher, deren
Bestände in den Frühlingsmonaten vor dem Heimzug in die Brutgebiete 12.000 Individuen erreichen
(Dierschke et al. [2006]). Bei Realisierung aller 13
bisher genehmigten Windkraftprojekte würden ca.
800 Sterntaucher aus ihren angestammten Rastgebieten vertrieben werden, entsprechend mehr als
6,6 % des nationalen Frühjahresrastbestandes
(Abb. 5). Legt man den Berechnungen die in Tab. 2
angegeben Werte für die Scheuchwirkung aus den
dänischen Untersuchungen zu Grunde, erhöht sich
die Anzahl vertriebener Sterntaucher auf 1.100 bzw.
auf mehr als 9 % des nationalen Bestandes.
200
1
0
0
1
3
5
7
9
11
13
15
17
19
21
23
25
number of wind farms
Abb. 5:Kumulativer Anteil an den nationalen Frühlingsrast­be­
ständen bzw. Anzahl der von Flächenverlust betroffenen
Sterntaucher (Dierschke et al. [2006], verändert)
149
150
Offshore-Windparks
Sterntaucher – und entsprechendes gilt für die nah
verwandten Prachttaucher – geben somit ein Beispiel
dafür, dass je nach Standort auch vergleichbar große
Windkraftprojekte in sehr unterschiedlichem Umfang
zu Lebensraumverlusten führen können bzw. dass
durch die Wahl des Standortes die negativen Effekte
auf sensible Seevögel reduziert werden können. Ursächlich hierfür ist, dass diese Art auf den Meeren
sehr ungleichmäßig verteilt ist und deutliche Vorkommensschwerpunkte zeigt.
Auf Grundlage der Berechnungen von Dierschke et
al. [2006] ergäben sich bei Bau aller 13 OWP in der
deutschen Nordsee eine Anzahl von 1.024 Trottellummen, entsprechend 3,2 % des nationalen Win-
terrastbestands von 33.000 Tieren, die aus ihrem
Lebensraum vertrieben werden würden. Nach Tab. 2
ist eine komplette Meidung der 2-km-Zone aber nicht
zu erwarten, so dass hier auf Basis der Erkenntnisse
aus Dänemark mit 644 Individuen nur ein geringerer
Vertreibungseffekt anzunehmen ist.
Im Falle der Trottellumme haben die verschiedenen
Windparkprojekte annähernd gleichgroße Anteile
an der Gesamtzahl der von Lebensraumverlust betroffenen Individuen (Abb. 6 b). Eine nennenswerte
Reduktion der Zahl beeinträchtigter Lummen durch
die Wahl geeigneter Standorte ist wegen des Fehlens
deutlicher Verbreitungsschwerpunkte bei dieser Art
kaum möglich.
1,3 %
1,2 %
1,4 %
3,1 %
16,3 %
7,2 %
5,0 %
5,3 %
2,7 %
2,0 %
3,0 %
9,9 %
5,5 %
4,8 %
11,9 %
5,0 %
22,5 %
13,7 %
10,2 %
6,0 %
10,3 %
4,6 %
4,5 %
7,8 %
23,2 %
a)
11,7 %
b)
Abb. 6:Anteil einzelner in der deutschen Nordsee genehmigter Windparkprojekte an dem prognostizierten Lebensraumverlust für:
(a) Sterntaucher und (b) Trottellummen
Cluster nördlich Helgoland: grün; nördlich Borkum: rot; nördlich Verkehrstrennungsgebiet: gelb; westlich Sylt: blau
Fazit
Die Reaktionen der Seevögel auf Offshore-Wind­
energieanlagen sind artspezifisch und reichen von
großflächiger Meidung (z.B. Seetaucher) über moderate Abnahme (z.B. Eisenten) bis hin zu starken Attraktionswirkungen (z.B. Möwen). Bei empfindlichen
Seevogelarten hängt das Ausmaß der Vertreibung
bzw. des Lebensraumverlustes von der Anordnung
der Windenergieanlagen ab.
Seevogelarten, die mit Meideverhalten auf die Anlagen reagieren, werden aus ihren angestammten
Rast- und Nahrungsgebieten verscheucht und sind
von Lebensraumverlust betroffen. Das Verdrängen
in andere Meeresgebiete kann u.a. zu schlechteren
Nahrungsbedingungen oder zu verstärkter innerartlicher Konkurrenz führen. Insbesondere kumulative
Lebensraumverluste werden das Ausmaß solcher
Beeinträchtigungen erhöhen.
Bei der Bewertung der Eignung von Standorten für
Windkraftnutzung muss das lokale Arteninventar berücksichtigt werden. Die entscheidende Maßnahme
zur Vermeidung negativer Auswirkungen auf Seevögel ist die Wahl konfliktarmer Standorte mit nur geringen Vorkommen empfindlicher Arten bzw. dem Ausschluss von Rastgebieten dieser Arten.
Offshore-Windparks
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Sweden. A final report based on studies 1999
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Anschrift des Verfassers:
Thomas Merck
Bundesamt für Naturschutz
AS Insel Vilm
18581 Putbus
151
Offshore-Windparks
Problem Kabelwärme? – Vorstellung der Ergebnisse
von Feldmessungen der Meeresbodentemperatur im
Bereich der elektrischen Kabel im Offshore-Windpark
Nysted Havmøllepark (Dänemark)
Heat emission from subsea power cables – a problem? Seabed temperature measurements near submarine power cables in the offshore
wind farm Nysted Havmøllepark (Denmark)
K arin Meißner, Jens Bockhold, Holmer Sordyl
Zusammenfassung
Summary
Vom Institut für Angewandte Ökologie GmbH wurden
im Rahmen eines vom BMU geförderten Forschungsprojektes Messungen der Meeresbodentemperatur
im Offshore-Windpark Nysted Havmøllepark (Dänemark) durchgeführt. Messungen wurden am 33-kVKabel und am 132-kV-Kabel in definiertem Abstand
zu den Kabeln vorgenommen. Generell war die Meeresbodentemperatur am 132-kV-Kabel höher als am
33-kV-Kabel. Die höchste im Zeitraum März bis September 2005 gemessene Temperatur in größter Nähe
zum Kabel (Sensor T32) betrug 17,7 °C (132-kV-Kabel, 16 Juli 2005). Von September 2005 bis März
2006 wurden vergleichende Messungen zwischen
dem 132-kV-Kabel und einem von der Wärmeemission unbeeinflussten Referenzstandort durchgeführt.
Zu jedem Zeitpunkt während dieser Messperiode
waren die Temperaturen im Meeresboden in der Umgebung des Kabels höher als am Referenzstandort.
Die maximale Temperaturdifferenz zwischen dem
Sensor T32 und der Referenz, gemessen in adäquater Sedimenttiefe, betrug 2,5 K, im Mittel jedoch
weniger als 1 K. Die Schwankungen der Seebodentemperatur waren im Bereich der Kabel häufig und
deutlich, während am Referenzstandort eher allmähliche Temperaturänderungen zu beobachten waren.
Die Temperaturen im Meeresboden wurden beeinflusst durch die Produktionsleistung des Windparks
und die Wassertemperaturen. Die Ergebnisse der
Feldmessungen werden verglichen mit Prognosen
der Meeresboden­erwärmung basierend auf Modellierungen. Die potentiellen Auswirkungen der Wärme­
emission auf die marine Umwelt werden diskutiert
und auf den dringenden Forschungsbedarf zu dieser Fragestellung hingewiesen.
The results of field measurements of seabed temperatures at Nysted offshore windfarm (Denmark, Baltic
Sea) conducted by the Institute of Applied Ecology
Ltd (IfAÖ Ltd) are presented. Seabed temperature
was measured in the vicinity of the 33 kV and 132 kV
power cables at defined distances from the cable.
It was found that seabed temperature was generally
higher at the 132 kV cable than at the 33 kV cable.
The highest temperature recorded close to the cable
(sensor T32) between March and September 2005
was 17.7 °C (132 kV cable, 16 July 2005). From September 2005 to March 2006 seabed temperature at
the 132 kV cable was compared with seabed temperature at a control site (unaffected by heat emission).
At any time during this period seabed temperature
at the cable was higher than at the control site. The
maximum difference between sensor T32 and the
control site was 2.5 K (26.10.2006, measured at an
adequate depth below seabed), the mean difference
was less than 1 K (0.8 K).
Temperatures varied signifi­cantly close to the cable
whereas seabed temperatures at the unaffected site
changed more smoothly. Seabed temperature was
positively correlated with power production and water temperature. Results from the field studies were
compared to predictions for temperature rise in the
vicinity of power cables based on mathematical models. Potential effects of heat emission on the marine
environment are discussed and the need for studies
investigating such effects is emphasized.
153
154
Offshore-Windparks
Einleitung
Dem Institut für Angewandte Ökologie GmbH, Neu
Broderstorf (IfAÖ) wurde im Rahmen eines vom
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit geförderten Forschungsprojektes
mit dem Titel „Einsatz von Biomarkern für die Erfassung möglicher Wirkungen von elektromagnetischen
Feldern und Temperaturen auf marine Organismen
unter Laborbedingungen“ (BMU FKZ 0329954) die
Möglichkeit gegeben, Feldmessungen der Meeresbodentemperatur im Bereich der elektrischen Kabel
im Offshore-Windpark Nysted (Dänemark, Ostsee)
durchzuführen (Abb.1). Die dänischen Kooperationspartner für dieses Vorhaben waren SEAS Transmission A/S und DONG Energy A/S (früher ENERGI E2
A/S).
20 cm unter der Sediment­ober­fläche im Bereich der
AWZ für tolerabel ausweist. Nach den Angaben der
Antragsteller für Offshore-Windpark-Projekte lässt
sich dieses Kriterium bei Kabelverlegetiefen von etwa
1 m in der Regel einhalten. Allerdings werden in größerer Nähe zum Kabel deutlich größere Temperatur­
änderungen von weit mehr als 10 K erwartet. Diese
könnten nach Befürchtungen von Ökologen Änderungen der physiko­chemischen Eigenschaften des
Sedimentes, einen Anstieg der mikrobiellen (heterotrophen) Produktion und der Primärproduktion sowie eine Verschiebung des Artenspektrums angefangen von der Bakterienfauna über das Mikro- und
Makrophyto­benthos bis hin zum Meio- und Makrozoobenthos nach sich ziehen.
Ziel der Messungen im Offshore-Windpark Nysted
Havmøllepark war es, erstmals die tatsächlich vorliegenden Seebodentemperaturen im Bereich der elektrischen Kabel in einem Offshore-Windpark zu ermitteln und die Ergebnisse dieser Messungen mit den
Voraussagen zur Meeresbodenerwärmung auf Grundlage theoretischer Modellierungen zu vergleichen.
Material und Methoden
Abb. 1: Lage des Offshore-Windparks Nystedt in der südlichen
Ostsee
Die mathematische Modellierung der Seebodenerwärmung in der Umgebung von Strom­kabeln wurde
häufig im Rahmen von Genehmigungsverfahren für
Windparks in der deutschen AWZ unternommen.
Offensichtlich gibt es keinen einheitlichen Standard
für solche Modellierungen, denn die betrachteten
Variablen und Methoden bei der Berechnung waren
recht unterschiedlich. Aus diesen Gutachten konnte jedoch postuliert werden, dass für das Ausmaß
des Temperatur­anstieges im Seeboden Faktoren
wie die Kabeleigen­schaften (Kabeltyp), die Über­
tragungs­leistung (Last), die Seeboden­eigen­schaften
(Wärmewider­stand / Wärmedurchlass­koeffizient
des Sedimentes) und die Umgebungs­bedingungen
entscheidend sind. In der Regel waren die Modellierungen orientiert an einer Vorgabe des Bundesamtes für Naturschutz, dem sogenannten 2-K-Kriterium, welches eine Temperaturerhöhung von ∆T<2 K
Im Offshore-Windpark Nysted vor der Küste Lollands
sind in einer Wassertiefe von 6 - 9,5 m 72 Turbinen
mit einer maximalen Leistungskapazität von 2,3 MW
installiert. Das ergibt eine maximale Gesamtleistung
von rund 166 MW für den Windpark. Je neun Windenergieanlagen sind in acht Nord-Süd-orientierten
Reihen über 33-kV-Kabel (18/30 kV AC, 3 x 185
mm2, Cu, Aluminium, XLPE) miteinander und mit der
Trans­for­mator­plattform verbunden. Die Anbindung
von der Transformatorplattform zum Land erfolgt
über ein 132-kV-Kabel (132 kV AC, 3 x 760 mm2,
Cu, XLPE) (Abb. 2). Die Kabelverlegetiefe wurde von
den Betreibern des Windparks mit 0,5 m - 1 m angegeben. Der im Gebiet vorliegende Substrattyp wurde
als Geschiebemergel, der mit unterschiedlich starken
Schichten von Sand überlagert ist, charakterisiert.
Für die Messungen der Seebodentemperaturen standen zwei Messsysteme zur Verfügung. Zu jedem
Messsystem gehörten zwei Titanrohre, die mit je 16
Sensoren (PT100) bestückt waren (Abb.3, links). Der
Abstand zwischen den Sensoren betrug 10 cm. Jeder
Sensor war einzeln thermisch isoliert, um die Temperaturleitung durch das Rohr zu minimieren. Da die
PT100-Sensoren in 4-Draht-Technik betrieben wurden,
wurden pro Messstab 64 analoge Eingänge benötigt.
Zur Reduzierung dieser Zahl kam ein Multiplexer
Offshore-Windparks
zum Einsatz. Die Daten wurden in einem Datenlogger
(Typ Campbell CR10X) mit 1 MB Speicher zwischen­
gespeichert. Die Datenfernübertragung wurde über
das vorhandene IP-Netzwerk der Windparkbetreiber
vor Ort (SEAS und DONG Energy) realisiert. Diese Variante des Datentransportes konnte gewählt werden,
da alle Temperaturmessungen in der näheren Umgebung der Transformator­plattform durchgeführt wurden.
Hierzu wurde ein Daten- und Versorgungskabel durch
vorhandene Kabelkanäle in der Transformatorplattform
gelegt und von hier mittels eines Com-Port-Servers
die Verbindung zum Netzwerk hergestellt. Der Abruf
der Daten erfolgte wöchentlich via VPN-Client direkt
zur Firma JeBo-Elektronik und von dort zum IfAÖ.
33 kV Kabel
Transformatorplattform
132 kV Kabel
Windgenerator
Abb. 2:Schema des Kabelnetzes vom Offshore-Windpark Nysted
Die Temperaturmessungen wurden am 33-kV-Kabel, am 132-kV-Kabel und außerdem an einer Referenzstation durchgeführt. Da nur zwei Messsysteme zur Verfügung standen, wurde am 22.3.2005
zunächst mit Messungen am 33-kV-Kabel und am
132-kV-Kabel begonnen. Die Mess­stationen lagen
in einer Entfernung von etwa 18 m (33-kV-Kabel)
bzw. 25 m (132-kV-Kabel) von der Trans­for­ma­tor­­
plattform. Die Messstation am 33-kV-Kabel wurde
dann am 20.09.2005 zugunsten einer Referenzmessstation aufgegeben. Diese Station befand sich
unweit der Transformatorplattform abseits der Kabel. Seeboden­tempe­raturen wurden für den Bereich
direkt senkrecht über den stromführenden Kabeln
und 30 cm seitlich versetzt davon ermittelt (Abb. 3,
rechts). Die Messsysteme wurden durch Taucher
der dänischen Firma COMDIVE APS in den Meeresboden eingespült. Dabei wurde zunächst das Kabel
vollständig freigespült, um seine exakte Lage zu bestimmen. Anschließend wurden die Messsysteme in
die gewünschte Position gebracht und das Spülloch
durch die Taucher mit Strandsand aufgefüllt (Korngrößenmedian d50 310 – 390 µm, entspricht Mittelsand). Zwischen Kabel und Messstange musste ein
Sicherheitsabstand von mindestens 10 cm eingehalten werden. Es kann davon ausgegangen werden,
dass die erste Messung der Seebodentemperatur
25 cm über dem Kabel stattfand. Die Verlegetiefe
der Kabel lag deutlich unter 1 m (etwa 65 cm am
33-kV-Kabel bzw. 80 cm am 132-kV-Kabel), so dass
nur fünf bis sechs der Sensoren einer Messstange
Temperaturen des Meeresbodens dokumentierten.
Die übrigen zeichneten Temperaturen des Wasserkörpers auf.
Für die Dauer von insgesamt etwa einem Jahr, bis
zum 27.3.2006, wurden die Temperaturen im Minutentakt für alle 2x32-Sensoren (entspricht 92160
Einzelwerten pro Tag) aufgezeichnet. Ein Datenverlust trat für eines der Messsysteme für wenige Tage
im Juli/August 2005 auf. Alle Daten wurden in einer
Datenbank des IfAÖ GmbH gesammelt und analysiert.
Ergebnisse
Abb. 3:Teile des Messsystems: Titanrohr mit Bohrungen für Anordnung der Sensoren, unterer Teil des Titanrohres mit
thermisch isolierten Sensoren, Schema der Anordnung
des Messsystems bestehend aus zwei Messstäben über
den Kabeln (von links nach rechts)
Die Seebodentemperaturen waren im Untersuchungszeitraum 22.3.-20.9.05 im Offshore-Windpark Nysted an der Messstation am 132-kV-Kabel
stets höher als an der Messstation am 33-kV-Kabel
(Abb. 4). Die höchste Temperatur im Meeresboden
wurde am 16. Juli 2005 am Temperatursensor T32
in größter Nähe zum 132-kV-Kabel gemessen. Sie
betrug zu diesem Zeitpunkt 17,7 °C. Die Wasser-
155
Offshore-Windparks
temperatur lag zum selben Zeitpunkt bei 19,4 °C. Die
größten Unterschiede zwischen den Seebodentemperaturen am 33-kV- und am 132-kV-Kabel traten am
6. Juli 2005 auf, als der Temperatursensor T32 am
132-kV-Kabel eine um 0.9 K höhere Temperatur als
Sensor T32 am 33-kV-Kabel aufzeich­nete.
Die Sedimenttemperaturen senkrecht über dem Kabel
waren höher als 30 cm seitlich vom Kabel (Abb. 5). Die
maximale Temperaturdifferenz zwischen den Sensoren
T32 (senkrecht) und T16 (seitlich, siehe Abb. 3) am 132kV-Kabel betrug 0,5 K (12. August 2005), für das 33kV-Kabel lag dieser Wert bei 0,2 K (24. März 2005).
Vergleich der Meeresbodentemperatur über dem 33 kV- und dem 132 kV-Stromkabel
(Werte der Temperatursensoren mit größter Nähe zum Kabel - T32)
20,0
17,5
Temperatur [°C]
15,0
12,5
132 kV
10,0
33 kV
7,5
5,0
2,5
20 Sep 05
13 Sep 05
6 Sep 05
30 Aug 05
23 Aug 05
9 Aug 05
16 Aug 05
2 Aug 05
26 Jul 05
19 Jul 05
5 Jul 05
12 Jul 05
28 Jun 05
21 Jun 05
14 Jun 05
7 Jun 05
31 Mai 05
24 Mai 05
17 Mai 05
10 Mai 05
3 Mai 05
26 Apr 05
19 Apr 05
12 Apr 05
5 Apr 05
29 Mrz 05
22 Mrz 05
0,0
Abb. 4:Vergleich der Meeresbodentemperatur über dem 33-Kv- und dem 132-kV-Stromkabel
In größter Nähe zu den Kabeln durch die Sensoren T32 gemessene Temperaturen im Zeitraum 22.03.-20.09.05
132 kV- Kabel
17
16
T32 (senkrecht)
15
T16 (seitlich)
14
Wasser
13
Referenz
12
11
Temperatur [°C]
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
22. Mrz 06
16. Mrz 06
4. Mrz 06
10. Mrz 06
26. Feb 06
20. Feb 06
14. Feb 06
8. Feb 06
2. Feb 06
27. Jan 06
21. Jan 06
9. Jan 06
15. Jan 06
3. Jan 06
28. Dez 05
22. Dez 05
16. Dez 05
4. Dez 05
10. Dez 05
28. Nov 05
22. Nov 05
16. Nov 05
10. Nov 05
4. Nov 05
29. Okt 05
23. Okt 05
17. Okt 05
11. Okt 05
5. Okt 05
29. Sep 05
-1
23. Sep 05
156
Abb. 5:Temperaturen aufgezeichnet durch die Sensoren T32 und T16 an der Messstelle 132-kV-Kabel, Temperaturen des Wasserkörpers und Temperaturen an der Referenzmessstelle in vergleichbaren Sedimenttiefen im Zeitraum 23.09.05 bis 27.03.06
Offshore-Windparks
Generell war zu beobachten, dass die Seebodentemperaturen im Einflussbereich der Kabel im Frühjahr und
Herbst meist höher waren als die Temperaturen im Wasserkörper. Im Sommer hingegen über­stiegen die Wassertemperaturen in der Regel die Temperaturen im Substrat.
Phasen mit Ausbildung eines Temperaturgradienten im
Sediment wechselten mit Phasen fast homogener Temperaturbedingungen im Meeresboden (Abb. 6).
dem fällt auf, dass durch die Wärmeabgabe vom Kabel viel häufiger und deutlichere Schwankungen der
Temperatur im Meeresboden auftreten. Die maximale
Temperatur­differenz zwischen unbeeinflusstem Meeresboden und dem Substrat im Bereich des Kabels
wurde am 26. Oktober 2005 verzeichnet. Die an diesem Tag gemessenen Temperaturen sind in der Tab.
1 aufgeführt. Die höchsten Temperaturen im Meeresboden wurden an diesem Tag wieder in größter Nähe
zum Kabel, also durch Sensor T32 etwa 50 cm unter
der Sedimentoberfläche, gemessen. Die Differenz
zur Referenzmessstation in vergleichbarer Messtiefe
betrug 2,5 K. Mit abnehmender Messtiefe sank die
Temperatur im Substrat über dem Kabel und erreichte
knapp unter der Sedimentoberfläche die Temperatur des Wasserkörpers. Die Temperaturdifferenz zur
Referenzmessstation verringerte sich erst bei etwa
20 – 30 cm unter der Sedimentoberfläche deutlich.
Nach Veränderung der Messanordnung im Feld (Verschiebung des Messsystems am 33-kV-Kabel in einen von der Wärmeemission unbeeinflussten Bereich)
konnte ein Vergleich der Seebodentemperaturen
am 132-kV-Kabel mit denen unter natürlichen Bedingungen erfolgen. Aus Abb. 5 wird deutlich, dass
das Sediment im Bereich des Kabels erwärmt wird,
also eine stetige Erhöhung der Seebodentemperatur
gegenüber den natürlichen Verhältnissen auftritt. Zu-
132 kV Kabel - Messungen senkrecht über dem Kabel
Wasserkörper
22
T28
T29
20
T30
Temperatur [°C]
T31
18
T32
keine Daten
16
14
12
4 Okt 05
27 Sep 05
20 Sep 05
13 Sep 05
6 Sep 05
30 Aug 05
23 Aug 05
16 Aug 05
9 Aug 05
2 Aug 05
26 Jul 05
19 Jul 05
12 Jul 05
5 Jul 05
28 Jun 05
21 Jun 05
14 Jun 05
10
Abb. 6:Temperaturmessdaten für die senkrecht über dem 132-kV-Kabel installierte Messstange mit den Temperatursensoren T17 bis
T32 für den Zeitraum 14. Juni bis 16. Oktober 2005, Temperatur-Wasserkörper-Sensoren T17 bis T27 (Mittelwert)
im
Seeboden
Temperatur am 132-kV-Kabel (°C)
30 cm seitlich
Temperatur (°C)
Referenzstation
∆ T max
14,8
14,6
14,4
13,5
12,5
12,1
13,6
13,2
12,9
12,6
12,4
12,2
12,3
12,3
12,2
12,1
12,2
12,3
2,5
2,3
2,2
1,4
0,3
-0,2
12,1
12,2
12,4
Tiefe
senkrecht über
dem Kabel
50 cm
40 cm
30 cm
20 cm
10 cm
0 cm
Wasserkörper
Tab. 1: Temperaturmessdaten für den 26. Oktober 2005, aufgezeichnet im Offshore-Windpark Nysted
157
Offshore-Windparks
Einen Eindruck vom Einfluss der Produktionsleistung des Windparks auf die beobachteten Temperaturveränderungen im Seeboden gibt Abb. 7. Die
Leistung des Windparks konnte aufgrund von Auflagen der Windparkbetreiber nur für einen begrenzten
Zeitraum und unskaliert dargestellt werden. Es lässt
sich jedoch deutlich aus der Darstellung ablesen,
dass jeder Peak in der Produktionsleistung, ein Maß
für den Lastfaktor oder die Übertragungs­leistung
der Kabel, einen Anstieg der Temperaturen im See-
boden nach sich zog. Im gleichen Zeitraum fiel
hingegen die Temperatur am Referenzstandort stetig ab, offensichtlich bedingt durch den Abfall der
Wassertemperaturen. Die Temperaturen des Wasserkörpers spielen natürlich auch für die Temperaturbedingungen des Seebodens im Bereich der
Kabel eine Rolle. Sie können den primären Effekt
der Beeinflussung der Seebodentemperatur durch
die Übertragungsleistung der Kabel sekundär verstärken oder abschwächen.
132 kV- Kabel
17
160,00
T32 (senkrecht)
16
140,00
15
T16 (seitlich)
Wasserkörper
14
120,00
13
Temperatur [°C]
100,00
12
Referenz
Leistung Windpark
(relative Angabe)
11
80,00
10
9
60,00
8
40,00
7
6
20,00
5
4
16. Dez 05
13. Dez 05
7. Dez 05
10. Dez 05
4. Dez 05
1. Dez 05
28. Nov 05
25. Nov 05
22. Nov 05
19. Nov 05
16. Nov 05
13. Nov 05
7. Nov 05
10. Nov 05
4. Nov 05
1. Nov 05
29. Okt 05
26. Okt 05
23. Okt 05
20. Okt 05
17. Okt 05
14. Okt 05
8. Okt 05
11. Okt 05
0,00
5. Okt 05
158
Abb. 7:Temperaturen aufgezeichnet durch die Sensoren T32 und T16 an der Messstelle 132-kV-Kabel, Temperaturen des Wasserkörpers und Temperaturen an der Referenzmessstelle in vergleichbaren Sedimenttiefen ergänzt durch Angaben zur Stromproduktion des Offshore-Windparks Nysted (nicht skaliert) im Zeitraum 05.10.-16.12.06
Diskussion
Die Messungen der Seebodentemperatur im Offshore-Windpark Nysted Havmøllepark sollten einen
Beitrag zur Diskussion der Kabelwärme-Problematik
liefern. Diese Diskussion war in Deutschland im Zusammenhang mit der Förderung des Ausbaus der
Nutzung der Windenergie, verbunden mit der Errichtung von Windparks auf dem Meer, entstanden. Im
Rahmen der Genehmigungs­verfahren für die einzelnen Windpark-Projekte in Nord- und Ostsee wurden
Studien vorgelegt, in denen die voraussichtliche Erwärmung des Meeresbodens, verursacht durch eine
Wärmeemission der elektrischen Kabel, untersucht
wurde. Ein Beispiel für das Ergebnis einer solchen
Studie ist in Abb. 8 dargestellt. Für den Nahbereich
des Kabels (20 cm Distanz, also 80 cm unter der
Sedimentoberfläche) wird hier eine Temperaturerhöhung von etwa 17 K prognostiziert, 40 cm unter der
Sedimentoberfläche könnte der Temperaturanstieg
bei 5 K liegen und bei 20 cm Sedimenttiefe werden
noch etwa 2 K Temperaturdifferenz vorausgesagt.
Dieses Ergebnis deckt sich in der Grundaussage mit
Berechnungen anderer Autoren: in Kabelnähe können hohe Temperaturen auftreten, in größerer Nähe
zur Sedimentoberfläche überschreitet der Temperaturanstieg einen Wert von 2 K nicht (z.B. Eos
Offshore AG [2003], Worzyk und Böngeler [2003],
Offshore Wind Technology GmbH [2004]). Brakelmann [2006] argumentiert, dass die Ergebnisse der
Offshore-Windparks
Modellierungen als sehr konservative Schätzungen
anzusehen sind, da in den meisten Fällen von mehrtägigen Volllastphasen ausgegangen wurde. Solche
Phasen traten nach Quellen Brakelmanns (Geo mbH)
nicht häufig auf. So zitiert Brakelmann [2006], dass
zwei aufeinander folgende Volllasttage in den Jahren 1994 bis 2003 an einem Offshore-Standort vor
Sylt maximal 10mal pro Jahr auftraten (im betrachten Zeitraum nur im Jahr 2002), im Durchschnitt rund
7mal. Drei aufeinander folgende Volllasttage traten
im betrachteten Zeitraum im Mittel zweimal im Jahr
auf, im Jahr 1994 allerdings 7mal. Vier, fünf oder
sechs aufeinander folgende Volllasttage sind seltene
Ereignisse und konnten maximal einmal pro Jahr beobachtet werden. Somit sollte in der Konsequenz die
Meeresbodentemperatur an der großen Mehrzahl
der Tage im Jahr unter denen in den Berechnungen
ermittelten Werten liegen.
Abb. 8:Beispiel für eine Modellierung der Temperatur im Seeboden für die parkinterne Verkabelung (Mittelspannung, Wechselstrom)
eines Offshore-Windparks mit grosser Leistung (nach Pöhler [2006])
Die Ergebnisse der Messungen in Nysted scheinen die Aussagen Brakelmanns zu bestätigen. Die
mittels Modellierung vorausgesagten Sedimenttemperaturen für verschiedene Windpark­projekte in
Nord- und Ostsee wurden im Havmøllepark Nysted
im Untersuchungs­zeitraum nicht im vergleichbaren
Rahmen erreicht. Allerdings muss für diesen Standort auf potentiell begünstigende Momente für eine
geringe Sedimenterwärmung hingewiesen werden.
Zum einen wurden die Messungen in recht grobem
Substrat durchgeführt (Mittelsand, siehe Material
und Methoden), welches die Wärme vergleichsweise
schnell in den überstehenden Wasserkörper ableiten
kann. Zum anderen war die die Kabel überdeckende
Sedimentschicht mit 65 - 80 cm recht gering, so dass
die Temperatur des Wasserkörpers auch für kabelnahe Seebodenbereiche eine wichtige Einflussgröße
darstellte. Außerdem muss die vergleichbar geringe
Kapazität des Windparks für die Stromproduktion
(166 MW) berücksichtigt werden. Offshore-Projekte
im deutschen Küstenmeer und in der deutschen AWZ
planen Kapazitäten zwischen 500 und 600 MW. Die
Abführung der Leistung aus Offshore-Parks dieser
Größenordnung wird neue technische Lösungen erfordern. Dies könnten neue leistungsfähigere Kabel
sein, die höhere Übertragungsleistungen garantie-
159
160
Offshore-Windparks
ren. Auch werden Überlegungen diskutiert, die Kabel
verschiedener Windparks in gemeinsamen Trassen
zusammenzuführen. Möglicherweise entstehen dadurch Bedingungen, die eine stärkere Erwärmung
des Meeresbodens fördern. Nach Kenntnis der Autoren sind die in Nysted durchgeführten Messungen
bisher die einzigen ihrer Art. Die Ergebnisse lassen
sich nicht ohne weiteres auf andere Standorte übertragen. Deshalb sind weitere Untersuchungen an anderen Standorten dringend erforderlich, um eine fundierte Diskussion der Problematik führen zu können.
Eine Entwarnung für das „Problem Kabelwärme“ kann
nach dem heutigen Kenntnisstand noch nicht gegeben werden. Es gibt bisher nahezu keine publizierten
Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien, die Auswirkungen des Wärmeeintrags in den Meeresboden
auf die lokale Flora und Fauna oder auf biogeochemische Prozesse im Seeboden untersucht hätten. In
einer vom IfAÖ und der Universität Rostock betreuten
Diplomarbeit wurden erste Vorarbeiten zu dieser Fragestellung durchgeführt (Borrmann [2006]). In Laborexperimenten wurde die Veränderung der Besiedlung
von zwei Arten des Makrozoobenthos bei Anlegen
eines Temperaturgradienten im Sediment untersucht.
Im Ergebnis wurde festgestellt, dass Marenzelleria viridis, ein röhrenbauender Polychaet, erwärmte Bereiche
mied und aus ihnen abwanderte, während für den
Schlickkrebs Corophium volutator, der hauptsächlich
im Gezeitenbereich flache Röhren unter der Sedimentoberfläche baut und auch häufig außerhalb dieser
anzutreffen ist, keine signifikanten Veränderungen der
Besiedlung dokumentiert werden konnten. Ebenfalls
an der Universität Rostock wird derzeit eine Diplomarbeit abgeschlossen, die sich der möglichen Beeinflussung biogeochemischer Stoffkreisläufe in marinen Sedimenten durch Temperaturanstieg widmete (Dr. Selig,
FB Biowissenschaften, Institut für Aquatische Ökologie
[persönliche Mitteilung]). Erste Mitteilungen zu diesen
Laborarbeiten waren, dass schon bei geringsten Temperaturerhöhungen (∆T > 0,5 K) Auswirkungen auf
die Stoffkreisläufe in den inkubierten Sedimentkernen
beobachtet werden konnten. Die mikrobielle Aktivität
und Ammonium-Konzentrationen stiegen schon nach
wenigen Tagen Inkubation an. Durch die Erwärmung
tieferer Sedimentschichten könnten also dort bereits
festgelegte Nährstoffe wieder remineralisiert und freigesetzt werden, was bei stetiger Erwärmung zur allmählichen Ausbildung eines Gradienten im Substrat
und schließlich zur Rückführung in den Wasserkörper
führen könnte. Die Diplomarbeit wird jedoch letztlich
nur erste Anhaltspunkte zu möglichen Effekten liefern
können. Um Bilanzierungen für bestimmte Standorte
vorzunehmen, muss der Untersuchungsrahmen erweitert werden.
Weitere Erkenntnisse zu Auswirkungen von Temperaturerhöhung auf tierische Organismen auf zellulärer
Ebene sind nach Abschluss der Laborarbeiten des
vom BMU geförderten Projektes „Einsatz von Biomarkern für die Erfassung möglicher Wirkungen von elektromagnetischen Feldern und Temperaturen auf marine Organismen unter Laborbedingungen“, in deren
Rahmen auch die Feldmessungen in Nysted durchgeführt wurden, im nächsten Jahr zu erwarten.
Insgesamt muss festgestellt werden, dass aus der
Sicht des Ökologen eine Abschätzung des „Problems
Kabelwärme“ derzeit nicht möglich ist. Auch das momentan als allgemeine Richtlinie dienende 2 K-Kriteriums des BfN sollte auf wissenschaftlicher Grundlage
verifiziert werden.
Literatur
Borrmann, C. B., 2006: Wärmeemission von Stromkabeln in Windparks – Laborunter­suchungen zum
Einfluss auf die benthische Fauna. Diplomarbeit,
eingereicht an der Universität Rostock, 82 pp.
Brakelmann, H., 2005: Kabelverbindung der Offshore-Windfarmen Kriegers Flak und Baltic I zum
Netzanschlußpunkt. Studie im Auftrag der Offshore Ostsee Wind AG, 71 pp.
Brakelmann, H., 2006: Meeresbodenerwärmung
durch Hoch- und Höchstspannungskabel zur
Netzanbindung von Offshore-Windparks. Vortrag beim Fachgespräch der dena „Verlegung
von Seekabeln zum Netzanschluss von Offshore
Windparks in Schutzgebieten im Meer“, 20. 21.06.2006 in Bremen;
www.offshore-wind.de/show_article.cfm?cid=1623
EOS Offshore AG, 2003: Parkinterne Verkabelung Berechnung der Temperatur­vertei­lung im Meeresboden. Studie EOS Offshore AG, Varel, 10 pp.
Offshore Wind Technologie GmbH, 2004: Wärmeausbreitung im Meeresboden infolge Verlustwärme
der Netzanbindung des Windparks „Borkum
West“ (Windnet I). Studie im Auftrag der PROKON
Nord Energiesysteme GmbH.
Pöhler, S., 2006: Übertragungstechnik für Offshore
Windparks - Stand der Technik und Ausblick auf
zukünftige Entwicklungen. Vortrag beim Fachgespräch der dena „Verlegung von Seekabeln zum
Netzanschluss von Offshore Windparks in Schutzgebieten im Meer“, 20. - 21. 06. 2006 in Bremen.
http://www.offshore-wind.de/show_article.cfm?cid=1623
Offshore-Windparks
Worzyk, T. und R. Böngeler, 2003: Abschätzung
der Sedimenterwärmung durch das parkinterne
Kabelnetz im Offshore-Windpark GlobalTech1.
Studie der ABB Power Technology Products AB,
Anschriften der Verfasser:
Dr. Karin Meißner
Prof. Dr. Holmer Sordyl
Institut für Angewandte Ökologie GmbH
Alte Dorfstraße 11
18184 Neu Broderstorf
Jens Bockhold
JeBo-Elektronik
Stützpunktstr. 35
19258 Bickhusen
Karlskrona (Schweden) und Enveco GmbH, Münster, im Auftrag der Nordsee Windpower GmbH &
Co. KG, Sulingen, 28 pp.
161
Offshore-Windparks
Mögliche Auswirkungen von Offshore-Windenergie­
anlagen auf den Wasseraustausch der Ostsee
(„QuantAS-Off“)
Hans Burchard
Im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der Nord- und Ostsee ist die
Errichtung einiger Offshore-Windparks geplant, da
die Standorte an Land begrenzt sind. Während in
den Küstenbereichen der Nordsee die Gezeitenaktivität eine weitgehende vertikale Vermischung der
Wassersäule bewirkt, sind die Wassermassen der
Ostsee typischerweise stark geschichtet. Die­se vor
allem auf starken Salzgehaltsunterschieden beruhende Schichtung wird sowohl durch die Frischwasserzufuhr aus den Flüssen in die Ostsee (z.B. Oder,
Weichsel, Neva) bedingt, als auch durch Salzwassereinbrüche aus der Nordsee, die über den Skagerrak und das Kattegat über die dänischen Belte
und den Öresund in die Arkonasee gelangen. Es
schiebt sich dabei das schwere salzhaltige Nord­
seewasser unter das ausströmende weniger salzige
Ostseewasser. Sobald das einströmende Nordseewasser die flachen Schwellen im Öresund (die nur
7 m flache Drogdenschwelle) und zwischen dem
Darß und der dänischen Insel Falster (die 20 m tiefe
Darßer Schwelle) überwunden hat, taucht es ab und
sucht sich seinen Weg entlang des Meeresbodens
der Arkonasee, angetrieben durch die Neigung des
Bodens, gebremst durch die Reibung am Boden
und durch die Erdrotation in Strömungsrichtung
nach rechts abgelenkt. Auf seinem Weg durch die
Arkonasee verdünnt sich dieser Salzwasserstrom
durch Einmischung von salzarmen Oberflächenwasser und fließt schließlich über das Bornholmsgatt zwischen der dänischen Insel Bornholm und
dem schwedischen Festland ins Bornholmbecken
ab. Dort schichtet sich das verdünnte Nordseewasser in Tiefen zwischen 60 und 80 m so ein, dass
das darunterliegende Wasser schwerer und das
darüberliegende Wasser leichter ist, siehe Abb. 1.
Kattegatt
Ostsee
Frischwasser
Salzwasser
Salzwasserstrom
nach Stigebrandt 2003
Abb. 1:Schematische Darstellung des Wasseraustausches zwischen Nordsee und Ostsee (nach Stigebrand [2003])
Was ist nun die ökologische Bedeutung dieser Einschichtung in das Bornholmbecken? Dort sinkt vor
allem nach massiver Vermehrung von Phyto- und
Zooplankton (Algenblüten) totes organisches Material ab und verottet auf dem Weg zum Meeresboden, ein Prozess, bei dem im Wasser gelöster Sauerstoff verbraucht wird. Die Sauerstoffzufuhr vom
gut durchlüftetem Oberflächenwasser ist durch die
stabile salzgehaltsbedingte Schichtung stark eingeschränkt, so dass sich schnell ein Sauerstoffmangel
in Tiefen unter 60 m einstellt. Dadurch ist zum Beispiel
die Entwicklung von Dorscheiern, die typischerweise
in diesen Tiefen im Wasser schweben, akut gefährdet. Die einzige Möglichkeit, den Tiefenbereich unter
60 m mit Sauerstoff zu belüften, ergibt sich durch die
oben dargestellten Einströme von salzreichem Nordseewasser, dass vor allem im Winterhalbjahr einen
hohen Sauerstoffgehalt aufweist, siehe Abb. 2. Damit
werden die Salzwassereinbrüche zur Lebensader der
Bornholmsee. Je stärker die Verdünnung des Nordseewassers auf dem Weg durch die Arkonasee ist,
163
164
Offshore-Windparks
desto leichter wird das Wasser, und desto weniger tief
kann es sich in das stabil geschichtete Bornholmbecken einschichten, mit der Folge, dass bei starker Verdünnung ein größerer Bereich des Bornholmbeckens
unbelüftet bleibt. Abgesehen von der Verstärkung der
Algenblüten infolge von einer landwirtschaftlich bedingten Überdüngung des Meeres und der damit gesteigerten Sauerstoffzehrung in den tieferen Schichten
der Bornholmsee handelt es sich bei den beschriebenen Vorgängen um einen natürlichen Prozess.
Oktober 2002
(vor Einstrom)
Juni 2003
(nach Einstrom)
Abb. 2:Sauerstoffkonzentration in der Ostsee vor und nach dem großen Einstromereignis im Januar 2003, dargestellt entlang des
Monitoring-Schnittes von der Westlichen (links) bis in die Zentrale Ostsee (rechts)
Quelle: Institut für Ostseeforschung Warnemünde, siehe auch: http://www.io-warnemuende.de/research/salzwassereinbruch2003.html
Die Frage ist nun, ob die Errichtung von OffshoreWindparks im Bereich der Arkonasee die natürliche
Verdünnung des Nordseewassers spürbar verstärken
kann und somit die Sauerstoffversorgung der Bornholmsee negativ beeinflussen kann. Um diese Frage
mit einiger Sicherheit beantworten zu können, müssen sowohl die natürlichen Vermischungs- und Verdünnungsprozesse besser verstanden werden, als
auch die Einflüsse der Fundamente von Windkraftanlagen untersucht werden. Dieser Problematik widmen
sich seit Beginn des Jahres 2005 zwei Projekte, die
am Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW)
koordiniert werden. Die sogenannten QuantAS-Projekte (Quantifizierung von Wassermassentransformationsprozessen in der Arkonasee) untersuchen die
natürliche (QuantAS-Nat) und die durch OffshoreWindparks (QuantAS-Off) bedingte Vermischung
in der Arkonasee. Im QuantAS-Konsortium arbeiten neben deutschen auch polnische, schwedische
und dänische Meeresforscher zusammen. Während
insgesamt fünf QuantAS-Schiffsexpeditionen in die
Arkonasee, an denen auch deutsche Marineforschungsschiffe und ein polnisches Forschungsschiff
teilnahmen, wurden die Salzwasserströme durch die
Offshore-Windparks
Arkonasee mit Hilfe verschiedenster Messinstrumente
unter die Lupe genommen. Dabei wurde festgestellt,
dass der Hauptstrom durch den Öresund nach Passieren der Drogdenschwelle nach Osten abbiegt, um
dann entlang der Nordflanke der Untiefe Kriegers Flak
ins breite Arkonabecken einzuströmen. Dabei wurden
überraschend hohe Strömungsgeschwindigkeiten
von bis zu 1 m/s gemessen, wobei der Salzwasser-
56oN
01−Feb−2004 00:00:00
strom eine Dicke von bis zu 10 m aufwies, und bis zu
10 kg/m3 schwerer war, als das darüberliegende
Oberflächenwasser. Am IOW durchgeführte Computersimulationen für den gesamten Bereich vom Kattegat über die Arkonasee bis ins Bornholmbecken
konnten diesen Salzwasserstrom simulieren und damit helfen, seine Dynamik besser zu verstehen, siehe
Abb. 3.
10−Feb−2004 00:00:00
56oN
22
18
o
o
55 N
55 N
16
S/psu
latitude/degrees north
20
14
12
10
o
o
54 N
12oE
54 N
13oE
14oE
longitude/degrees east
o
12 E
o
o
13 E
14 E
longitude/degrees east
Abb. 3:Mit dem General Estuarine Transport Model (www.getm.eu) simulierter Bodensalzgehalt in der Arkonasee vor und nach einem
mittleren Einstromereignis durch den Öresund. Sehr gut ist zu erkennen, wie die Untiefe Kriegers Flak (13° E, 55° N) durch die
dichte Bodenströmung umflossen wird
Wie sich nun Fundamente von Windkraftanlagen
auf diese Strömungen auswirken, untersuchen Projektpartner an den Universitäten von Hannover und
Rostock. Die Rostocker Kollegen vom Institut für Strömungsmechanik haben sich einen Strömungskanal
bauen lassen, in dem Salzwasserströme im Maßstab
1:100 ein zylindrisches Fundament umströmen. Die
Hannoveraner Kollegen führen hochaufgelöste Computersimulationen der geschichteten Zylinderumströmung durch. Durch Vergleich dieser beiden Methoden soll untersucht werden, wie ein Fundament die
Strömung beeinflussen kann. Davon soll abgeleitet
werden, wie ein ganzer Windpark (bestehend aus
etwa 80 Einzelanlagen) die Strömung verändert. Die
vermischende Wirkung eines oder mehrerer Windparks soll dann in das Arkonasee-Computermodell
des IOW eingebaut werden, so dass die Auswirkungen der Windparks auf die Strömung abgeschätzt
werden können. Mit verlässlichen Ergebnissen wird
nicht vor Ende des Jahres 2007 gerechnet.
Erste generelle Aussagen über das Vermischungspotential von Windparks in der Arkonasee sind jedoch schon jetzt möglich. Windkraftanlagen, die in
Wassertiefen geringer als 25 m errichtet werden,
können die Salzwassereinströme kaum behindern,
da diese sich den Talweg durch das Arkonabecken
suchen, der sich unterhalb dieser Tiefe befindet.
Die zur Zeit in der Arkonasee geplanten Windparks
(Kriegers Flak und Adlergrund) decken einen Tiefenbereich von 20 m bis 40 m ab, so dass einzelne
Fundamente in die Salzwasserströme hereinreichen
können. Diese sind jedoch von der Anzahl her so
gering, dass eine spürbare zusätzliche Verdünnung
unwahrscheinlich ist. Diese Windparks stehen auch
etwas abseits des wichtigsten Salzwasserstromes,
der nördlich von Kriegers Flak entlangfließt. Es sind
jedoch auf polnischer, schwedischer und dänischer
Seite Windparks geplant, die in der Gesamtheit für
eine spürbare zusätzliche Verdünnung des einströmenden Nordseewassers sorgen könnten. Das IOW
165
166
Offshore-Windparks
hat sich mit seinen QuantAS-Projekten zur Aufgabe
gemacht, Empfehlungen für die langfristige Standortplanung von Offshore-Windparks zu geben, sowie
die Kapazitätsgrenzen für die Errichtung von Windparks in der gesamten Arkonasee aufzuzeigen.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Hans Burchard
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde
Seestraße 15
18119 Rostock-Warnemünde
Weitere Informationen zu den QuantAS-Projekten
sind unter http://www.io-warnemuende.de/quantas/
index.php zu finden.
Offshore-Windparks
Marikultur als Co-Nutzung in Offshore-Windparks:
Status Quo, Probleme und Perspektiven
Co-use of offshore wind farms for mariculture:
status quo, problems, and prospects
Bela Hieronymus Buck
Zusammenfassung
Summary
Ziel der Aquakultur-Studien im AWI ist die Anfertigung eines wissenschaftlichen und technischen
Fundaments für die Zucht von marinen Organismen
in der Deutschen Bucht unter dem Aspekt nachhaltiger und multifunktionaler Nutzung von Offshore-Gebieten und deren natürlicher Ressourcen.
The purpose of the aquaculture studies conducted
by AWI is to obtain a scientific and technical basis for cultivating marine organisms in the German
Bight in order to achieve a sustainable and multifunctional use of offshore areas and their natural
resources.
Die bisher hauptsächlich an Land und in Küstennähe gelegenen Nutzflächen für Windenergieanlagen
sollen in den nächsten Jahren auf Offshore-Gebiete
in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftzone
(AWZ) ausgedehnt werden. Da die geplanten Anlagen in den Windparks Verankerungsmöglichkeiten
bieten werden, könnte hier die Möglichkeit für eine
multifunktionale Nutzung durch Kombination mit
Aquakultursystemen gegeben sein. Um dieses Konzept auf Machbarkeit und wirtschaftliches Potential
hin zu prüfen, werden die aus biologischer und technischer Sicht nötigen Vorraussetzungen sowie das
bei der Durchführung erforderliche Management untersucht.
In the next few years, offshore wind farms are
planned to be built in the waters of the German Exclusive Economic Zone (EEZ). As the structures of
the projected wind farms might be suitable for establishing commercial aquaculture systems, multifunctional use of wind farms could be an option.
To study the feasibility and commercial potential of
this concept, its prerequisites and management requirements both from a biological and engineering
point of view have been reviewed.
Einleitung
Floß- und Laternensysteme für die Zucht von Muscheln und Makroalgen betrieben (Beveridge [2004],
Hickman [1992]). In vielen Gebieten sind dabei nicht
nur die Eingriffe in das umliegende Ökosystem, z.B.
durch Verschmutzung durch nicht verwertete Futterpellets oder andere Stoffe sowie die Veränderung der Biodiversität, von großer Brisanz. Auch die
sehr starke Nutzung des Küstenmeeres (z.B. durch
Schifffahrt, militärische Nutzung, Tourismus, Fischerei, Naturschutzgebiete und andere schützenswerte
Flächen, Besatzmuschelfischerei, Kiesabbau) führt
zu wachsenden Raumnutzungskonflikten (z. B. Wirtz
et al. [2003], Buck et al. [2004], siehe auch CONTISInformationssystem, BSH).
Die kommerzielle Zucht von Meeresorganismen wird
weltweit überwiegend in Küstenländern betrieben.
Diese marine Aquakultur oder Marikultur konzentriert sich meist auf küstennahe Bereiche oder landgestützte Durchfluss- oder Kreislaufanlagen (Abb. 1
a-d), in denen insbesondere für letztgenannte Systeme versucht wird, Optimalbedingungen für die
gezüchteten Organismen zu schaffen. Die Kulturanlagen im Meer beschränken sich auf geschützte Gebiete unmittelbar vor der Küste sowie den gesamten
Inshore-Bereich (Fjorde, Buchten, Rias). Hier werden Käfiganlagen für Fische und Langleinen-, Pfahl-,
167
168
Offshore-Windparks
a)
b)
c)
d)
Abb. 1:Aquakultursysteme an Land und in geschützten Gebieten
a) Kreislaufanlage für Steinbutt (Psetta maxima) im AWI Bremerhaven (Deutschland),
b) Durchflussanlage für Garnelen (Penaeus monodon) bei Honolulu, Oahu/Hawaii (USA),
c) Netzkäfiganlage für Seebrassen (Pagrus major) bei Sanyang (Süd-Korea) und
d) untergetauchtes Langleinensystem für Miesmuscheln (Mytilus edulis) bei Trondheim (Norwegen)
Fotos: B. H. Buck (AWI)
Der globale Bedarf an aquatischen Lebensmitteln ist
in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen. Nach
Daten der Welternährungsorganisation (FAO [2006])
stehen einer Gesamtproduktion aus Fischerei und
Aquakultur zu Beginn der 1950er Jahre von etwa 21
Mio. Tonnen etwa 160 Mio. Tonnen im Jahre 2004
gegenüber (Abb. 2). Während die Produktionszahlen
aus der Fischerei zunächst bis 1988/89 stetig anstiegen, stagnieren sie seit dieser Zeit oder konnten nur
kurzzeitig erhöht werden. Dieses ist neben der Überfischung vieler Meeresgebiete auch auf den Einsatz
moderner Fangflotten und -techniken zurückzuführen,
auf den Fang von Organismen aus niedrigeren Trophiestufen sowie auf ein nicht nachhaltiges Management (Pauly et al. [2002]). Im Gegensatz dazu steigen
die Produktionsmengen aus der Aquakultur bis heute
dauerhaft an. Sie erleben gerade in den letzten drei
Jahrzehnten einen auffallend starken Zuwachs. Die
Gesamtproduktion wurde innerhalb von 25 Jahren
verachtfacht. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass
der Eindruck, Produkte aus der Aquakultur seien ein
guter Ersatz für die stagnierenden Mengen aus der
Fischerei, äußerst kritisch zu betrachten ist. Während
Naylor und Kollegen [2000] der Auffassung sind, bei
der stark gewachsenen Aquakultur stamme ein Großteil der in der Fisch- und Shrimpkultur verwendeten
Futterpellets aus Fischmehl und -öl und diese seien
somit von den Anlandungen aus der Fischerei abhängig, argumentieren Roth und Co-Autoren [2002], dass
der Anstieg in der Aquakulturproduktion hauptsächlich auf herbivore Organismen zurückzuführen sei und
somit kein zusätzlicher Fischereidruck entstehe.
Offshore-Windparks
Abb. 2:Produktion aus der Fischerei und der Aquakultur nach Daten der FAO (Buck [2007a])
Die Entwicklungen in der Fischerei sowie der steigende Bedarf an aquatischen Produkten führten
weltweit zu einer starken Zunahme von Forschungsaktivitäten im Bereich der Aquakultur (Gace [2006],
siehe auch WAS). Der Grund dafür ist, dass viele
Meeresgebiete, die noch vor Jahren im Rahmen von
Fischereiaktivitäten als produktiv galten, heute überfischt sind und dadurch keine ausreichende Menge
an Meeresprodukten zur Verfügung steht.
In Deutschland konnte sich eine Meeresmassenzucht aus vielerlei Gründen bisher nicht etablieren.
Dazu zählen neben den bereits beschriebenen Nutzerkonflikten in den Küstenmeeren und in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) auch andere
Probleme: die allgemein rauen Umweltbedingungen
(starke Strömungsgeschwindigkeiten und hohe Wellen), die geographische und topographische Lage
(geringe Wassertiefe, keine geschützten Buchten)
und die kommerziellen Potentiale (hoher Personalaufwand) stehen einer konventionellen und kostengünstigen Aquakulturentwicklung entgegen. Ferner
fehlt es in Deutschland im Gegensatz zu anderen
Ländern an einem aquakulturspezifischen Reglement, klaren Richtlinien und definierten Standards, so
dass beispielsweise für die deutsche AWZ keine auf
die Zucht von aquatischen Organismen abzielenden
rechtlichen Rahmenbedingungen existieren (Buck et
al. [2003]).
Ein Ausweg aus einigen der oben genannten Problematiken bietet eine räumliche Verlagerung in den Offshore-Bereich. Die erwähnten Interessenskonflikte
und Problemzonen des Küstenraumes werden reduziert und die Wasserqualität verbessert sich mit dem
Abstand zur Küste und den Flussmündungsgebieten.
Durch die Verlegung entstehen jedoch neue, andere
Probleme, die sich sowohl in der Bereitstellung geeigneter Kulturorganismen, die harte Stürme und starke
Strömungen aushalten, und stabilen, sicheren Techniken in einem moderneren und angepassten Design
darstellen, als auch in der Erreichbarkeit solch ferner
Areale und einem ausgeklügelten Management liegen. Offshore-Kulturen sind in den USA, Kanada und
einigen europäischen Ländern zu einer neuen Richtung der Marikultur geworden. Die Schlagwörter, die
diese neue Art der Kultivierung von Organismen umschreiben, sind: Offshore, Open Ocean, Far out und
Farming the Deep Blue (Buck [2002], Ryan [2005]).
Bislang haben sich mit diesem Open Ocean Bereich
169
Offshore-Windparks
170
weltweit unterschiedlichste Fachrichtungen beschäftigt, die aus der Biologie, der Geologie, der Aquaristik, der Aquakultur, dem Ingenieurwesen, dem
Management, der Logistik und der Sozio-Ökonomie
stammen. Vorreiter dieser Technologie sind Projekte
aus den USA, wie das so genannte „New Hampshire
Open Ocean Aquaculture Demonstration Project“
(Ward et al. [2001]).
biete ausgewiesen werden sollen. Gleichzeitig bringt
dieser Flächenkonflikt auch eine mögliche Lösung,
die der traditionellen Fischerei Vorteile verschaffen
kann, nämlich die multifunktionale Nutzung solcher
Flächen mit geeigneten Aquakulturtechniken, die die
Bewirtschaftung fern der Küste auch für letzteren
Wirtschaftszweig rentabel machen und Fischern ein
alternatives Einkommen sichern können.
In Deutschland ist diese Art der Kultivierung noch
neu und wird kommerziell nicht betrieben, sondern
eher als „Offshore Vision“ angesehen. Der Begriff
„Offshore“ wird hierzulande vorrangig mit den geplanten Offshore-Windparks im Nord- und Ostseeraum in Verbindung gebracht. In der Realität wird der
Offshore-Bereich durch verschiedene Interessensgruppen schon jetzt vermehrt beansprucht. Durch
die rasche Entwicklung der geplanten Windparks entstehen auch in diesem Bereich Probleme in der Nutzung der Nordsee. Aus Sicht der Fischerei werden
die befischbaren Gebiete verkleinert, da die Windparkareale, je nach Anzahl und Größe, als Sperrge-
Die Integration dieser beiden Parteien (Abb. 3) in der
Deutschen Bucht wird zurzeit am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI)1) in Bremerhaven und in der Biologischen Anstalt Helgoland
erforscht. Ziel der Aquakultur-Studien ist die Anfertigung eines wissenschaftlichen Fundaments für die
Zucht von marinen Organismen in der Deutschen
Bucht unter dem Aspekt nachhaltiger und multifunktionaler Nutzung von Offshore-Gebieten und deren
natürlichen Ressourcen. Unterstützt wird das AWI
dabei von etwa 30 Partnern aus der Industrie sowie
anderen Forschungsinstituten und universitären Einrichtungen.
Abb. 3:Beispiel einer multifunktionalen Nutzung: Aquakulturinstallationen (Langleinen, Ringsysteme) untergetaucht in Verbindung mit
den Pylonen und Gründungsstrukturen von Windenergieanlagen (Abb. aus Buck et al. [2004]).
1)
Siehe hierzu auch die Homepage der AWI-Arbeitsgruppe „Marine Aquaculture, Maritime Technologies and ICZM“:
http://www.awi.de/en/go/aquaculture
Offshore-Windparks
Untersuchungsreihen zur multifunktionalen Nutzung am AWI
Die bisher hauptsächlich an Land und in Küstennähe
gelegenen Nutzungsflächen für Windenergieanlagen
sollen in den nächsten Jahren auf Offshore-Gebiete in
der deutschen ausschließlichen Wirtschaftzone ausgedehnt werden (Abb. 4 a-b). Eben dort und in Küstennähe befinden sich die Untersuchungsgebiete für
mögliche Offshore-Aquakulturen. Testgebiete in der
Deutschen Bucht sind Orte, in denen Windparks geplant sind, und Gebiete im Weserästuar, Bereiche um
Helgoland und Areale im Rückseitenwatt der Insel Sylt.
Abb. 4: Karten der deutschen Bucht mit den Testgebieten für marine Aquakulturen:
(a) nördlich Niedersachsens und (b) westlich Schleswig-Holsteins (modifiziert nach Koch [2006]).
171
172
Offshore-Windparks
Um das Konzept der Kombination von Aquakultursystemen und Windenergieanlagen auf die Machbarkeit und ihr wirtschaftliches Potential zu überprüfen führt das AWI vernetzte Projekte zu biologischen
und technischen Voraussetzungen sowie zu dem bei
der Durchführung erforderlichen integrierten Küstenzonen Management (IKZM) durch (Tab. 1, Abb. 5).
Projekt
Roter Sand
(1)
OffshoreAquakultur
(1)
Coastal Futures
MytiMoney
(2)
(2)
AquaInno
1
Inhalt
AWI
Offshore-Technologie und
System-Design
Senator für Bau, Umwelt
und Verkehr (SBUV) der
Stadt Bremen, AWI
Bundesministerium für
Bildung und Forschung
(BMBF), AWI
Bundesministerium für
Bildung und Forschung
(BMBF), AWI
Senator für Bau, Umwelt
und Verkehr (SBUV) der
Stadt Bremen, AWI
Senator für Bau, Umwelt
und Verkehr (SBUV) der
Stadt Bremen, AWI
(2)
Bundesministerium für
Wirtschaft und
Technologie (BMWI),
AWI
(3)
2
abgeschlossen, laufend,
Projektenvorhaben.
3
Startphase,
4
Netzwerk
AQ-Potential von Muscheln
und Algen
Integriertes
Küstenzonenmanagement
(IKZM)
Wirtschaftlichkeit
Fitness & Gesundheit von
Offshore-Muscheln, SiteSelection-Criteria
Lasten und Kräfte durch
Aquakulturkonstruktionen auf
Windenergieanlagen,
Zertifizierung, Modifizierung
Entwicklung eines NearshoreKultursystems mit
Wasseraufbereitung (Pond-inPond)
Einordnung z. Zt. nicht möglich,
5
(5)
AquaLast
Förderer
alle
MytiFit (2)
Ob diese neue Wirtschaftsform von den Fischern
als Alternative für die Aufgabe des zuvor genutzten
Fanggebietes angenommen wird, soll in enger Zusammenarbeit mit den Beteiligten geprüft werden.
Dieses stellt einen weiteren entscheidenden Schwerpunkt eines Projektes - Coastal Futures - dar (K annen
[2004]).
neu
(4)
transdisziplinär zu allen
Tab. 1: Liste der Projekte und bearbeitete Themenfelder
Offshore
Aquaculture
Projekt
MytiFit
Projekt
Roter Sand
Projekt
AuqaLast
Projekt
Abb. 5:AWI-Projekte zur Co-Nutzung von Offshore-Windparks für Marikulturen
(modifiziert nach Fisch und Buck [2006], Buck et al. [2006])
Coastal
Futures
Projekt
MytiMoney
Projekt
AquaInno
Projekt
Offshore-Windparks
Als Aquakulturkomponente für die potentielle multifunktionale Nutzung der Offshore-Windparks wurde
eine extensive Muschel- und Seetangzucht (Mytilus
edulis und Laminaria saccharina) auf ihre Eignung
geprüft und mit folgenden Schwerpunkten untersucht:
1. Einfluss der biotischen und abiotischen Faktoren
auf das Wachstum von heimischen Algen und Muscheln an exponierten Standorten:
a) Wirkung hydrodynamischer Effekte auf die Kulturorganismen,
b) Wachstumsparameter,
c) verschiedene Kulturtechniken,
d) Unversehrtheit,
e) Brutfall,
f) Parasitierungsgrad und Fitness sowie
g) Resonanz auf harsche Kulturbedingungen an verschiedenen Standorten.
2. Resistenz von Offshore-Techniken in Gebieten der
deutschen Nordsee, die das Potential für marine
Aquakultur aufweisen, sowie Kräfte, die auf Gründungsstrukturen einwirken.
3. Gesetzgebung im Sinne einer multifunktionalen
Nutzung sowie Aufstellung einer Managementstrategie.
4. Sozioökonomische und rechtliche Konsequen­
zen von Offshore-Muschelzucht mit traditioneller
Besatzmuschelfischerei sowie deren Interaktionen.
In den laufenden Projekten wird somit die extensive
Zucht von Miesmuscheln und Zuckertang (Mytilus
edulis und Laminaria saccharina) hinsichtlich der
oben genannten Schwerpunkte untersucht.
Beide Arten kommen ganzjährig in der Nordsee vor,
sie sind heimisch und gefährden daher nicht die Nordsee-Fauna und -Flora. Ein weiterer Vorteil dieser Organismen ist, dass sie nicht gefüttert werden müssen und
so der Einsatz von umweltbelastenden zusätzlichen
Nährstoffen und vor allem Antibiotika und Impfstoffen
von vornherein ausgeschlossen ist. Algen entnehmen
ihre Nährstoffe aus der Wassersäule. Sie werden somit
oft zur Abwasserklärung z. B. in der Aquakultur (Chopin et al. [2001], Neori et al. [2004]) und der Industrie
(Stirk and Staden [2000]) genutzt. Muscheln filtrieren
Plankton und andere Schwebstoffe aus dem Wasser.
Beide Kandidaten könnten der bei den regionalen Umweltbehörden durch intensive Fischzucht in Misskredit
geratenen Marikultur eine neue Chance geben, indem
durch die umweltfreundliche Erzeugung qualitativ hochwertiger Meeresprodukte eine größere Akzeptanz entgegengebracht wird. Grundsätzlich sollten keine nichtheimischen Arten in Erwägung gezogen werden, da
dringend von einer möglichen Gefahr der Floren- und
Faunenverfälschung gewarnt werden muss. Dieses
betrifft ebenso diejenigen Organismen, die nicht das
ganze Jahr über in der Nordsee vorkommen. Auch für
Folgeprojekte sollten nur Kandidaten vorgeschlagen
werden, die nicht gefüttert, geimpft oder anderwärtig
medizinisch behandelt werden müssen. Nur so kann
der Einfluss auf das Ökosystem Wattenmeer und die
angrenzende Nordsee dezimiert werden.
Die praktische Durchführung der Studien umfasst
monatliche Probennahmen an verschiedenen Kultursystemen, an denen Miesmuscheln oder Zuckertang
wachsen sowie Probennahmen in der Wassersäule.
Die Proben werden bei Ausfahrten mit Forschungsschiffen (Heincke, Uthörn, Mya, Aade, Diker) und
durch den Einsatz von Tauchern genommen.
Probennahme/Inhalt
Parameter
Biologie I: Miesmuscheln
Wachstum: Länge, Breite, Dicke, Gewicht
Kultur: Ansiedlungerfolg, Abundanz von Miesmuschellarven in der Wassersäule
Fitness: Konditionsindex, Fleischgehalt, Parasitierungsgrad (makro/mikro)
Biologie II: Zuckertang
Wachstum: Länge, Breite, Fläche
Resistenz: Haftungskraft von Haptopheren, Bruchlast von Kauloiden
Biochemie
Nahrungsverfügbarkeit und -qualität durch Nährstoff-, Chlorophyll-, POC- und
TON-Konzentrationen und C/N-Verhältnis
Ozeanographie
Strömungen, Wellen, Salinität, Temperatur, Licht
Technik
Langleinen, Offshore-Ringsysteme, Brutsammler, Lasten, Kollektoren
IKZM
Managementoptionen und - ansätze, Rechtssprechung
Tab. 2: Probennahmen und Parameter
173
Offshore-Windparks
An den Proben werden folgende Parameter untersucht: Morphologie (Länge, Breite, Dicke) und Gewicht von Muscheln und Algen, Konditionsindex,
Fleischgehalt und Parasitierungsgrad von Miesmuscheln, die Abundanz von Miesmuschellarven in der
Wassersäule und der Ansiedlungserfolg der Post-Larven an unterschiedlichen Kollektoren, die Haftungskraft von Haptopheren, die Bruchlast von Kauloiden
und die Widerstandskraft des gesamten Thallus von
L. saccharina gegenüber physikalischen Kräften. Zusätzlich werden biochemische Parameter (Nährstoff-,
Chlorophyll-, POC- und TON-Konzentrationen sowie POC/TON Verhältnisse in der Wassersäule) bestimmt, um die Nahrungsverfügbarkeit und -qualität
für Muscheln und die Nährstoffzusammensetzung für
das Algenwachstum zu ermitteln (s. Tab.2).
Die Kandidaten und Ihre Einsatzmöglichkeiten in der Aquakultur
Die Konzentration von Miesmuschellarven verringert
sich bei zunehmender Entfernung von der Küste und
sorgt daher für einen geringen Ansiedlungserfolg im
Offshore-Bereich (Buck [2004], Walter et al. [2007]).
Dieses kann an den zahlreich im Offshore-Bereich
verankerten Brutsammlern festgestellt werden. Das
Wachstum wiederum erfolgt sehr schnell, was u.
a. daran liegt, dass weniger Konkurrenz um Raum
und Nahrung an den Brutsammlern stattfand (Buck
[2007b]). Bei den Parasitierungsuntersuchungen
zeigt sich des Weiteren, dass Muscheln an Brutsammlern im Offshore-Bereich nicht von Makroparasiten befallen und somit gesünder als ihre Artgenossen an küstennahen Standorten sind (Buck et al.
[2005]) (Abb. 6). Die Untersuchungsergebnisse der
Mikroparasiten stehen noch aus.
Prevalence
174
100
%
75
Trematoda
Mytilicola
Polydora
50
25
0
inshore
benthic
intertidal
inshore
benthic
subtidal
inshore
suspended
offshore
suspended
Abb. 6:Parasitierungsgrad von Miesmuscheln in unterschiedlichen Habitaten (Buck et al. [2005])
Laminaria saccharina zeigte unterschiedlichen Längenzuwachs an untergetauchten Systemen im OffshoreBereich (Buck and Buchholz [2004]). Belastungs- und
Zugkraftuntersuchungen an Haftkrallen, Kauloiden und
Thalli ergaben, dass diese Algen den in exponierten
Habitaten der Nordsee herrschenden Kräften gut widerstehen (Buck and Buchholz [2005]), wenn sie früh
als Jungalge ins Meer gebracht werden. Positiv zeigte
sich auch der Nährstoffgehalt in diesen Gebieten.
Design der Kultursysteme und technische Machbarkeit
Neben den Parametern, die direkt den zu kultivierenden Organismus betreffen, wurden auch technische Untersuchungen an unterschiedlichen Orten
(küstennah und küstenfern) durchgeführt, um ein geeignetes Design für die Kultur von Muscheln und Algen zu finden. So wurden eine horizontal verspannte
Langleine (Abb. 7) und ein freischwimmender Offshore-Ring (Abb. 8) in zwei Zuständen, schwimmend
und untergetaucht, gestestet. Eine weitere Langleine
und die daran hängenden Kollektoren wurden mit
Unterwasser-Zuglastsensoren ausgestattet (Abb. 9),
um Rückschlüsse auf die zu erwartenden Kräfte von
voll besiedelten und erntereifen Muschelkollektoren
auf die Gründungsstrukturen der Windenergieanlagen zu testen (Buck et al. [2006]). Im Hinblick auf
eine mögliche Verknüpfung mit Marikulturinstallationen dienen die Ergebnisse aus dieser Studie der
weiteren Entwicklung von Gründungsstrukturen, auf
denen später die Windenergieanlagen gebaut werden. Mögliche Anknüpfungspunkte von Aquakulturkonstruktionen an den Pylonen bzw. Tripods der
Offshore-Windmühlen werden modelliert und die nötigen Materialdicken berechnet (Abb. 10 a-b). Ferner
wird ein drittes System, der Offshore-Brutsammler,
getestet. Dieser sollte Aussagen über den Ansiedlungserfolg von Muschellarven im Offshore-Bereich
zulassen. Zusätzlich werden verschiedene Kollektoren (Hartsubstrate) gestestet, die den rauen Bedingungen standhalten und gleichzeitig ein ausreichend
gutes Substrat zur Ansiedlung der Larven zu bieten
(Abb. 11 a-c).
Der Erfolg der drei Offshore-Kultursysteme gestaltet
sich unterschiedlich. Der Brutsammler und der Offshore-Ring konnten den Offshore-Kräften standhalten. Die Langleine hingegen wies einige Nachteile
auf, die sich insbesondere auf die Materialeigenschaften, das Design und das Verfahren selbst bezogen. Die Kräftemessungen an der untergetauchten
Langleine sind noch nicht abgeschlossen.
Offshore-Windparks
Abb. 7:Technik zur Kultivierung von Miesmuscheln (Mytilus edulis) und Zuckertang (Laminaria saccharina): untergetauchte Langleine
aus unterschiedlichen Materialien wie (a) Leinenmaterial aus Polypropylen, (b) Leinenmaterial aus Stahl sowie segmentierte
Bauweise, (c) Kupplungsstück, (d) eingespleisste Bojen-Kollektoren-Verbindung und (e) Bojen-Kollektoren-Verbindung über
angeschraubte Plattenelemente (Buck [2007b])
Abb. 8:Offshore-Ring-Konstruktion zur Zucht
von Zuckertang (Laminaria saccharina) und anderen Makroorganismen
(Buck and Buchholz [2004], Foto: C.
M. Buchholz)
175
Offshore-Windparks
176
Abb. 9:Untergetauchte Langleine mit Lastsensoren zur Messung der Kräfte, die aus Wellen und Strömung resultieren
(Buck et al. [2006])
a)
b)
Abb. 10: Konstruktion eines statischen Modells eines Tripods
(Windenergieanlage) mit möglichen Aufhängungspunkten einer Langleine
(Buck et al. [2006]) und Assheuer [2007] (TKB)
a)
Abb. 11:
b)
Weitere Techniken und Konstruktionsdesign für Offshore-Kultivierungen von Miesmuscheln (Mytilus edulis):
a) Offshore-Verankerung zum Test unterschiedlicher Brutsammler (Brenner et al. [2006]),
b) Offshore-Brutkollektor zur Ansiedlung von Miesmuschellarven (Walter et al. [2007]) und
c) Kollektoren aus unterschiedlichen Materialien für den Offshore-Test (Foto: D. Voss, AWI)
c)
Offshore-Windparks
IKZM: Akzeptanz und Co-Management
Um mögliche Folgen
Rechtsprechung sowie
Nutzern abschätzen zu
dien zum Integrierten
(IKZM) durchgeführt.
der momentan geltenden
die Interaktion mit anderen
können, werden zudem StuKüstenzonen Management
Die bisherige Gesetzgebung ist im Bereich der deutschen AWZ nicht direkt auf die Aquakultur anwendbar
(Buck et al. [2003]) und stellt ein Schlüsselproblem
für die Umsetzung einer multifunktionalen Nutzung
dar. Bei grundsätzlicher Beteiligung aller potentiellen
Nutzer der AWZ bietet sich jedoch genügend Spielraum, um dieses Defizit in der Rechtsprechung zu
entkräften und ein Offshore-Co-Management aufzubauen (Buck et al. [2004]).
Ob Offshore-Marikulturaktivitäten gewinnbringend
sein können, kann hier nicht ausführlich beantwortet
werden, da zunächst der Bau der Offshore-Windparks abgewartet werden muss. Die Vorstudie einer
Firma für Unternehmensberatung zeigt jedoch auch
hier ein wirtschaftliches Potential. Ein weiterer Folgeschritt ist die Prüfung, ob die Bereitstellung von
größeren Mengen an marinen Nahrungsmitteln aus
der Nordsee den vorhandenen Bedarf und die wachsenden Nachfrage decken kann. Für die Zucht von
Miesmuscheln scheint neben einer großen Anzahl
von Parametern nur die Besiedlungsdichte und der
momentane Marktpreis die Kalkulation des BreakEvens zu bestimmen.
Zukunft der Offshore Aquakultur in
Deutschland
Bevor private Investoren für den Bau und Betrieb einer Anlage gesucht werden, müssen neben den biologischen, technischen und wirtschaftlichen auch
die sozialen Bedingungen geklärt werden. Dafür
sollen weit reichende Voruntersuchungen nicht nur
auf biologische und technische Aspekte beschränkt
bleiben, sondern auch die lokalen Akteure und Interessensgruppen in ein solches Projektvorhaben aktiv
mit einbezogen werden. Es sollen Partnerschaften
zwischen den ansässigen Fischern, den Käfig- und
Netzherstellern, den Aquakulturbauern, den Wissenschaftlern, den Ingenieuren und anderen Interessensgruppen aufgebaut werden. Dieses garantiert, dass
sich Offshore-Technologien von Windenergie- und
Aquakulturanlagen nicht unabhängig voneinander
entwickeln. Ferner sollen in regelmäßigen Abstän-
den Treffen und Workshops durchgeführt werden,
um den aktuellen Wissensstand und die Erfahrungen
auszutauschen. Eine aktive Partizipation der beteiligten Akteure schon in der Planungsphase garantiert
eine langfristige Perspektive für eine kommerzielle
und wissenschaftliche Nutzung. Gleichzeitig wird so
schon im Vorfeld Konfliktpotential reduziert: z. B. zwischen Fischergruppen und Aquakulturbetreibern.
Ausblick
Die abgeschlossenen und laufenden Untersuchungen
zur Aquakultur im Offshore-Bereich der Nordsee als
Integration in Windparks zeigen das große Potential
dieser neuen Branche. Probleme, angeführt durch
die momentanen rechtlichen Rahmenbedingungen
und die technische Realisierung, können in naher
Zukunft gelöst werden. Im diesem Jahr ist mit dem
Offshore-Windpark „North Hoyle“ an der Küste von
Wales (UK) ein erster Versuch für eine Pilotfarm geplant. Erste Kontakte bestehen bereits und es ist ein
gemeinsamer Entwurf für eine Förderung seitens der
EU formuliert worden.
Literatur
Assheuer, J., 2007: Statische Modelle eines Tripods
für Offshore-Windenergieanlagen und mögliche
Lastfälle. Technologiekontor Bremerhaven (TKB),
F & E Gesellschaft für die Nutzung regenerativer
Energien mbH.
Beveridge, M., 2004: Cage Aquaculture. Oxford:
Blackwell Publishing, 376 pp.
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die multifunktionale Nutzung von Offshore-Windparks und Offshore-Marikultur im Raum Nordsee
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farms: A feasibility study on the multifunctional
use of offshore wind farms and open ocean aquaculture in the North Sea). Reports on Polar and
Marine Research, 412, 252 pp. Alfred Wegener
Institute for Polar and Marine Research, Bremerhaven.
177
178
Offshore-Windparks
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Buck, B.H., 2007a: Muschel- und Algenzucht in Offshore-Windparks: Potentiale für eine nachhaltige
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Buck, B.H., 2007b: Experimental trials on the feasibility of offshore seed production of the mussel
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Anschrift des Verfassers:
Dr. Bela Hieronymus Buck
Stiftung Alfred-Wegener-Institut für
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in der Helmholtz-Gemeinschaft (AWI)
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27570 Bremerhaven
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