Steine, Mammuts, toteislöcher

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Edition Stadtmuseum Berlin | Kleine Reihe
[ISBN 978-3-939254-25-6] 18,50 €
Steine, Mammuts, Toteislöcher
Findlinge gaben den Anstoß zur Eiszeitforschung:
Wo kamen sie her? Am Anfang standen Theorien.
Wissenschaftler meinten, Vulkane schleuderten die
Findlinge aus, andere Gelehrte dachten, sie seien auf
Eisschollen schwimmend hierhergekommen. Erst
dem schwedischen Geologen Otto Torell gelang am
3. November 1875 der entscheidende Fund und damit
die Bestätigung seiner Eiszeittheorie. Er entdeckte in
Rüdersdorf bei Berlin Jahrtausende alte Gletscherschrammen. Die Eiszeiten formten die Landschaft
über Jahrhunderttausende. Wer ihre Spuren zu lesen
versteht, findet sie in ganz Berlin: zum Beispiel beim
Baden im Müggelsee, auf dem Mountainbike im
Grunewald und auf dem Tempelhofer Feld.
Das erste Buch über die Eiszeit in Berlin für alle ab
12 Jahren – spannend und anschaulich! Ergänzt mit
einer kleinen Gesteinsbestimmung.
Beate Witzel
Steine, Mammuts,
Toteislöcher
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Auf den Spuren der Eiszeit
in Berlin
Steine, Mammuts,
Toteislöcher
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Auf den Spuren der Eiszeit
in Berlin
Verlag M
Stadtmuseum Berlin GmbH
Kleine
Reihe
Steine, Mammuts,
Toteislöcher
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Auf den Spuren der Eiszeit
in Berlin
Beate Witzel
Mit Illustrationen von
Fabian Scholtz und
Lothar Tanzyna
Inhalt
Spurensuche ...... Seite 7
Der Stein des Anstosses ...... Seite 8
Eis und heiss ...... Seite 15
Die Berliner Landschaft ...... Seite 30
Tierwelten ...... Seite 62
Die ersten Berliner ...... Seite 89
Eiszeitliches Baumaterial ...... Seite 98
Eine unbekannte Zukunft ...... Seite 106
Kleine Gesteinsbestimmung ...... Seite 108
Glossar ...... Seite 113
Havel
Tegeler See
Panke
Ahrensfelder
Berge
Havel
Spree
Spree
Havel
Spree
Großer
Wannsee
Topografische Karte von Berlin
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Teltowkanal
Großer
Dahme Müggelsee Müggelspree
Müggelberge
Langer
See
Seddiner
Spree
See
...... Spurensuche ......
Berlin ist die einzige Millionenstadt in ganz Deutschland, die
von der letzten Eiszeit geprägt wurde. Diese Eiszeit endete
erst vor rund 12.000 Jahren, und ihre Gletscher und Schmelzwasser haben die Landschaft in Berlin und Umgebung deutlich geformt. Das Gelände der Stadt, die vielen Gewässer, die
markanten Höhen und Senken sowie viele berühmte Ausflugsziele in Berlin sind eiszeitlichen Ursprungs und können
unter dem Aspekt neu entdeckt werden. Hat man einmal die
Fährte aufgenommen, begegnet einem die Eiszeit im gesamten Stadtgebiet und viele spannende Fragen drängen sich auf:
Woher kommen die Findlinge? Wie hoch war das Eis im Berliner Raum? Ist der Kreuzberg wirklich ein Berg? Jagte hier
der Höhlenlöwe? Wie lebten die Menschen in der Eiszeit? Viele
dieser Fragen lassen sich inzwischen gut beantworten, weil
Wissenschaftler in der Lage sind, die Spuren, die die Gletscher,
Tiere und Menschen hinterlassen haben, zu lesen.
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Findling aus
Gotländer Korallenkalk
auf der Domäne Dahlem,
Berlin-Zehlendorf
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S p u r e nsu ch e —
7
...... Der Stein des Anstosses ......
A
Spurensuche
Findlinge und Feldsteine finden sich
überall im Berliner Boden. Im Wald
und auf den Feldern liegen unzählige
abgerundete Steine. Besonders schöne und große Exemplare wurden in
Parkanlagen gelegt.
Volkspark Humboldthain,
Berlin-Wedding
Heutzutage haben die meisten Menschen schon von der Eiszeit gehört. Vor 200 Jahren war sie dagegen noch gänzlich
unbekannt! Zu dieser Zeit war die Geologie noch eine junge
Wissenschaft und das Verständnis von erdgeschichtlichen
Prozessen sehr unvollständig. Wir wissen heute, dass wir in
einem Eiszeitalter und innerhalb dieses Eiszeitalters in einer Warmzeit leben, im sogenannten Holozän. Eiszeitalter
sind Epochen in der Erdgeschichte, in denen die Pole mit Eis
bedeckt sind – was während der 4,5 Milliarden Jahre, die die
Erde alt ist, nur sehr selten der Fall war.
Was Naturforscher zu Beginn des 19. Jahrhunderts wunderte und wofür sie eine Erklärung suchten, war die Tatsache,
dass im Alpenvorland sowie in Norddeutschland viele Steine
zu finden sind, die ganz offensichtlich nicht aus der Region
stammen, weil es dort keine entsprechenden Gebirge gibt. Vor
allem im Norden fallen die großen Findlinge und kleineren
Feldsteine in der Landschaft auf.
Besonders bemerkenswert ist, dass alle diese Steine, vom
größten Findling bis zum kleinsten Kiesel, abgerundet sind.
Sie müssen also durch einen Transport hierhergekommen
sein, bei dem sie gleichzeitig ihre runde Form bekamen. Wie
konnte das geschehen? Über diese Frage entbrannte zwischen
1790 und 1830 ein heftiger Gelehrtenstreit.
Findling im Humboldthain
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Feuer und Wasser
Es waren zwei Gruppen von Naturwissenschaftlern, die die
Entstehung der Landschaft und der Gesteine auf unterschiedliche Prozesse zurückführten. Die Anhänger des Plutonismus
(Pluto ist in der römischen Mythologie der Gott der Unterwelt)
erklärten die Entstehung von Gesteinen und Gebirgen allein
durch vulkanische Kräfte. Die vielen abgerundeten Steine
hielten sie für sogenannte vulkanische Bomben, die in der
Erdfrühzeit von Vulkanen herausgeschleudert worden waren.
8 — D e r St ein des Anstosses
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Alexander von Humboldt, Blick
auf den Vulkan Cajambé, 1810,
kolorierter Kupferstich
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Und tatsächlich gibt es solche Steine. Sie finden sich bis heute
in Gebieten, in denen Vulkane aktiv waren. Ihre Größe reicht
von wenigen Millimetern bis zu über fünf Meter Durchmesser. Ihre gerundete Form erhielten sie nach dem Auswurf, als
sich das geschmolzene Material beim Flug um die eigene Achse drehte. Auch die Entstehung der kreisrunden Senken und
Seen in Norddeutschland erklärten die Plutonisten mit ihrer
Theorie und deuteten sie als Einschlagskrater besonders großer vulkanischer Bomben. Erst als Wissenschaftler erkannten,
dass viele der abgerundeten Steine nicht vulkanischen Ursprungs sind, wurde diese Theorie aufgegeben.
Vulkanische Bombe mit einem
Durchmesser von etwa fünf Metern
am Vulkanhaus Strohn, Eifel
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Die Kontrahenten der Plutonisten bezeichneten sich als Neptunisten (Neptun ist in der römischen Mythologie der Gott des
Meeres). Sie vertraten die Ansicht, alle Gesteine und Erdformationen seien im Meer entstanden. Zur Herkunft von runden Steinen im Tiefland entwickelten sie die Theorie der Rollsteinflut, nach der eine gewaltige Flutkatastrophe die Steine
vom Untergrund mitgerissen und weit entfernt abgelagert
hätte. Es stimmt, das Meer kann tatsächlich Steine über weite
De r St e i n de s A nstosse s —
9
Strecken transportieren, und durch die Kraft der Wellen werden sie dabei so oft gedreht, dass sich alle Kanten abschleifen und eine runde Form entsteht. Diese Steine dürfen jedoch
nur etwa so groß wie ein Kinderkopf sein, damit das Wasser
sie über weite Strecken mitführen kann. Als Forscher erkannten, dass die meisten fremden Gesteine in Norddeutschland
ursprünglich aus Skandinavien stammen, musste die Theorie
der Rollsteinflut überarbeitet werden. Der Transport großer
Steine über 1.000 Kilometer Entfernung allein durch Wasser
war nicht denkbar.
Vom Meer abgerundete
Strandsteine in Italien
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Nach der Drifttheorie
schwammen Findlinge auf
Treibeisschollen.
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10 — D e r St ein des Anstosses
Der Berliner Naturforscher Alexander von Humboldt war zunächst ein überzeugter Neptunist. Auf seinen Forschungsreisen
nach Südamerika (1799 – 1804) untersuchte er mehrere Vulkane
und entdeckte dabei den vulkanischen Ursprung von Porphyr
und Basalt, was ihn zum Umdenken bewog. Aus Loyalität zu
seinem Lehrer, dem bekannten Neptunisten Abraham Gottlob
Werner, bekannte er sich jedoch erst nach dessen Tod 1817 zum
Plutonismus.
Im 19. Jahrhundert entwickelten Geologen in England und
Deutschland die Idee der Rollsteinflut weiter und ergänzten
Draufsicht
sie. Nach
der neuen Theorie habe die Meeresflut kleine Steine nach Norddeutschland verfrachtet, große Steine seien
dagegen auf schwimmenden Eisschollen transportiert worden. Im Gebirge hatte man beobachtet, wie auf diese Weise
Steine von den Berghöhen ins Tal gelangten. Der englische
Geologe Charles Lyell verhalf der Drifttheorie (Drift bedeutet
strömungsgelenktes Treiben auf dem Wasser) zu internationaler Anerkennung. Auch andere bekannte Naturforscher wie
Johann Wolfgang von Goethe und Charles Darwin schlossen
sich ihr an. Sie wurde schnell zur führenden Lehrmeinung.
Andere Theorien konnten sich lange nicht dagegen behaupten. Die Herkunft der Findlinge war, so schien es, geklärt.
Der Markgrafenstein
In der Wissenschaft gilt eine Theorie als widerlegt, wenn genügend Fakten gefunden werden, die mit der Theorie nicht
zu erklären sind. Die Drifttheorie gelangte beim sogenannten
Großen Markgrafenstein an ihre Grenzen. Der Große Markgrafenstein war mit Abstand der größte Findling, der jemals
in Brandenburg gefunden wurde. Er hatte ein geschätztes Gewicht von 750 Tonnen und lag auf den Rauenschen Bergen bei
Fürstenwalde an der Spree. Dieser Stein war so groß, dass er
unmöglich auf einer Eisscholle geschwommen sein konnte.
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Julius Schoppe,
Der Große Markgrafenstein
in den Rauenschen Bergen,
1827, Lithografie
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Als der preußische König Friedrich Wilhelm III. dem Ingenieur
und Steinmetz Christian Gottlieb Cantian den Auftrag für die
Anfertigung einer riesigen Granitschale erteilte, wählte dieser
dazu den Großen Markgrafenstein aus. Goethe ließ sich genau
über Größe und Art des Steins informieren und verfolgte von
Weimar aus die Arbeiten. Um die Drifttheorie zu retten, beharrte er darauf, der Granit müsse aus der Region stammen,
und forderte Geologen auf, in der Umgebung von Fürsten-
De r St e i n de s A nstosse s —
11
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Johann Erdmann Hummel,
Die Granitschale im Lustgarten,
1831, Öl auf Leinwand
Die Granitschale im Lustgarten
wurde aus dem Großen Markgrafenstein gefertigt und 1831 vor dem
Alten Museum (damals hieß es
noch Neues Museum) aufgestellt.
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12 — D e r St ein des Anstosses
walde nach einem Granitvorkommen zu suchen. Andere Gelehrte brachten bereits damals vor, die Findlinge könnten
durch gewaltige Gletscher aus dem Norden hierhergeschoben
worden sein, doch Goethe wies diese Möglichkeit weit von sich.
Der Große Markgrafenstein wurde 1827 mehrfach gespalten
und die mittlere Scheibe noch vor Ort roh bearbeitet. Auf einer freigeschlagenen Trasse wurde sie zur Spree befördert
und dann auf einem Lastkahn nach Berlin gebracht. Hier
wurde sie in einem eigens errichteten Gebäude mithilfe einer
Dampfmaschine zweieinhalb Jahre lang poliert und 1831 im
Lustgarten aufgestellt, wo sie noch heute steht. Sie ist mit einem Durchmesser von 6,91 Metern weltweit die größte Schale,
die jemals aus einem einzigen Stein hergestellt wurde.
Eiszeit-Durchbruch in Berlin
Bereits 1787 hatte der Schweizer Bernhard Kuhn erkannt, dass
Steine durch Gletschereis in entfernte Gebiete geschoben
werden. In den Alpen wurden daraufhin viele Gletscherspuren entdeckt. Vor allem Kratzer, Kerben und Schleifspuren
auf Fels gelten unter Geologen als sichere Merkmale für eine
Gletscherbewegung. Verschiedene Geologen entwickelten ein
Szenario, wonach nicht nur die Alpen, sondern weite Teile Europas während einer Kälteperiode von Gletschern bedeckt gewesen seien. Der Schweizer Paläontologe Louis Agassiz nahm
diese Gedanken auf und formulierte 1837 vor einer Versammlung der Schweizer Naturforscher erstmals zusammenfassend
die Idee einer nordischen Vereisung. Obwohl danach sogar
Gletscherspuren bei Leipzig beschrieben wurden, konnte sich
die Eiszeittheorie nicht behaupten und wurde von führenden
Geologen abgelehnt.
Der Durchbruch wurde erst 1875 in Berlin erzielt. Der schwedische Geologe Otto Torell war überzeugt, dass es in Nordeuropa eine Eiszeit gegeben haben musste. Was ihm fehlte,
waren Beweise, um diese Theorie zu stärken. Während einer
geologischen Tagung in Berlin fuhr er am 3. November 1875
nach Rüdersdorf, um dort auf den Kuppen der Kalkberge
Schrammen zu studieren, und identifizierte sie als Gletscherspuren! Noch am selben Abend stellte Torell auf der Sitzung
der Deutschen Geologischen Gesellschaft in Berlin seine Thesen zur Inlandeistheorie vor. Er erklärte, mit den Gletscherspuren könne er beweisen, dass es in der jüngeren Erdgeschichte eine längere Kälteperiode gegeben habe, während
der skandinavisches Inlandeis bis nach Berlin gekommen sei.
Der Bann war gebrochen, und die Eiszeittheorie wurde international anerkannt.
A
Spurensuche
In Rüdersdorf bei Berlin tritt ein 240
Millionen Jahre alter Muschelkalkstein aus der Trias an die Oberfläche.
Ein Salzkissen im tiefen Untergrund
hat diese Schicht, die normalerweise
in rund 1.500 Meter Tiefe liegt, nach
oben gedrückt. Durch diese Besonderheit kommt hier Festgestein an
die Oberfläche, während der Boden
in Berlin und Brandenburg sonst
nur aus Lockergestein besteht. Für
das Studium von Gletscherspuren
bei Berlin war Rüdersdorf daher das
einzige geeignete Gebiet. Seit über
760 Jahren wird in Rüdersdorf Muschelkalk abgebaut, der zahlreiche
Fossilien enthält. Die Geschichte des
Muschelkalks und der Eiszeit wird
im Otto-Torell-Haus in Rüdersdorf
gezeigt.
Museumspark Rüdersdorf
Heinitzstrasse 9
15562 Rüdersdorf
Welche Spuren hinterlässt ein Gletscher? Wie ein Detektiv die
Spuren des Täters sucht, musste auch Torell „Fußabdrücke“
finden, die das Eis hinterlassen hat. Bewegen sich große Gletscher über Land, reißen sie durch ihr enormes Gewicht alles
De r St e i n de s A nstosse s —
13
E
Eiszeit ausprobiert
Wie entstehen Gletscherschrammen?
Streut man Kieselsteine auf eine (ausgediente) Tischplatte, stellt darauf
eine schwere Kiste und schiebt diese
über die Kiesel, bekommt die Tischplatte eine Reihe paralleler Riefen!
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Kalkstein mit Gletscherschrammen
aus dem Steinbruch bei Rüdersdorf,
Land Brandenburg
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14 — D e r St ein des Anstosses
Lockermaterial vom Untergrund und schleppen es mit. Durch
das Festfrieren an der Gletscherunterseite werden sogar Felsgesteine aus ihrem Verbund herausgebrochen. So bildet sich
unter dem Eis eine massive Schicht aus Sand, Lehm, Ton, Kalk
und Gesteinen, in die bei der Vorwärtsbewegung ständig weiteres Material eingearbeitet wird. Wie in einer Gesteinsmühle
wird das Lockermaterial dabei abgeschliffen oder sogar zerrieben. Die vom Eis mitgeführten Steine erhalten dadurch
alle eine abgerundete Form. Scharren Steine an der Gletscherunterseite über harten Fels, können sie Schleif- und Kratzspuren
erhalten und ihrerseits den Untergrund zerschrammen. Bis
heute geben Schleifspuren im Gestein wichtige Hinweise auf
Gletscherbewegungen und werden inzwischen mit modernster Technik vermessen.
...... Eis und heiss ......
Nachdem sich die Eiszeittheorie als führende Lehrmeinung
durchsetzen konnte, entwickelten sich neue Wissenschaftsdisziplinen, die sich seitdem mit den Ursachen, Auswirkungen und Abfolgen der Eiszeiten beschäftigen. Landschaftsformationen, Ablagerungen und Spuren können so gezielt
auf ihren eiszeitlichen Ursprung hin untersucht werden.
Auch in Gesteinen der frühen Erdgeschichte werden solche
Spuren gefunden, wodurch in der Klimageschichte der Erde
neue Kapitel hinzugekommen sind. Inzwischen hat sich die
Klimaforschung zu einer Schlüsseldisziplin entwickelt, und
viele ihrer Erkenntnisse resultieren aus dem Studium der
Vergangenheit. Dennoch sind bis heute die Prozesse, die zur
Ausbildung einer Eiszeit führen, nicht restlos aufgeklärt.
Vereiste Pole
In der Vergangenheit war die Erde meist ein warmer und eisfreier Planet. Denn nur, wenn sich größere Landmassen an
den Polen befinden, können auf ihnen Eisschilde anwachsen.
Mit der Ausbildung von polaren Eiskappen verändert sich das
Klima, und die Erde tritt in ein Eiszeitalter ein. Im Verlauf der
Erdgeschichte sind Eiszeitalter seltene Ereignisse. Das letzte
Eiszeitalter, die permokarbonische Vereisung, liegt bereits
260 Millionen Jahre zurück!
Die jüngste Eisbildung in der Erdgeschichte begann, als der
Kontinent Antarktis isoliert an den Südpol wanderte und durch
kreisende Meeresströmungen klimatisch so isoliert wurde, dass
sich der antarktische Eisschild bildete. Als sich durch die Kontinentalverschiebung die Lücke zwischen Süd- und Nordamerika
schloss, wurden Meeresströmungen umgeleitet und es kam zur
Ausbildung des Golfstroms. Er transportiert seitdem feuchte
Luft nach Norden und befördert dadurch die Schnee- und Eisbildungen in Skandinavien und auf Grönland. Schließlich vereiste auch das Nordpolarmeer, als Eurasien und Amerika so
?!
Schon gewusst
Auf der Erde ist die Verteilung von
Land und Wasser nicht starr. Die
Landmassen bestehen aus Kontinentalplatten, die auf dem Erdmantel
wandern. Diese Bewegungen werden als Kontinentalverschiebung
oder Plattentektonik bezeichnet. Der
Polarforscher Alfred Wegener (1880 –
1930) hat die Plattenverschiebung
als Erster erkannt. Akzeptiert wurde
seine Theorie jedoch erst nach 1960.
Ei s u n d H e i ss —
15
weit nach Norden vorrückten, dass sie das Polarmeer am Austausch mit warmen Strömungen hinderten.
Vor gut 2,5 Millionen Jahren begann durch diese Prozesse ein
neues Erdzeitalter, das Quartär. Es ist ein Eiszeitalter mit großen Eisschilden an den Polen. Diese wachsen während der
Eiszeiten an, bleiben aber auch in den dazwischenliegenden
Warmzeiten bestehen. Innerhalb des Quartärs werden die früheren Eis- und Warmzeiten als Pleistozän zusammengefasst und
von der heutigen Warmzeit, dem Holozän, abgegrenzt. Obwohl es also gerade ziemlich warm ist, leben wir immer noch
in einem Eiszeitalter, und sehr wahrscheinlich wird es in vielen Tausend Jahren auch wieder zu einer Eiszeit kommen.
Die Erde schwankt und wackelt
?!
Schon gewusst
Der Mathematiker Milutin Milanković
errechnete 1930 als Erster, wie sich
durch Erdbahnschwankungen die
Sonnenstrahlungsmenge am Nordpol periodisch verringert. Für die
vergangenen 900.000 Jahre stimmen die Milanković-Zyklen genau
mit dem Verlauf der Eiszeiten auf
der Erde überein.
Das Erdklima wird stark von der Menge der Sonnenstrahlung
bestimmt, die auf die Erde trifft. Vor allem die Strahlungsintensität an den Polen entscheidet über Anwachsen oder
Abschmelzen der Eisschilde. Während eines Eiszeitalters reagiert das Klima daher besonders sensibel auf die natürlichen
Schwankungen der Erdachse und der Erdbahn. Heute kreist
die Erde auf einer elliptischen Bahn um die Sonne, und die
Erdachse ist um 23,5 Grad geneigt. Das war nicht immer so.
Sowohl die Form der Erdbahn als auch die Neigung der Erdachse verändern sich, und die Erde trudelt wie ein Kreisel um
ihre eigene Achse. Jede dieser Abweichungen unterliegt einem
eigenen Zyklus von vielen Tausend Jahren. So kommt es phasenweise vor, dass die Erdachse nur wenig geneigt ist und die
Erdbahn gleichzeitig fast einen Kreis beschreibt. In diesen
Zeiten erreicht weniger Sonnenenergie die Pole und Schnee
und Eis schmelzen auch im Sommer nicht mehr ab.
Im Quartär haben Erdbahnschwankungen wiederholt zur Abkühlung der Nordhalbkugel geführt, bei der Schnee und Eis in
den nördlichen Breiten auch im Sommer nicht abschmelzen
16 — E i s u nd Heiss
Erdachse
nördlicher Polarkreis
66,5˚ Breite, 12 h pro Tag
nördlicher Wendekreis, 23,5˚ Breite
12 h pro Tag
südlicher Wendekreis, 23,5˚ Breite
12 h pro Tag
Erdachse
nördlicher Polarkreis
66,5˚ Breite, 24 h pro Tag
nördlicher Wendekreis, 23,5˚ Breite,
13,5 h pro Tag
südlicher Wendekreis, 23,5˚ Breite,
10,5 h pro Tag
Äquator
südlicher Polarkreis
66,5˚ Breite, 12 h pro Tag
Äqu
ato
r
südlicher Polarkreis,
66,5˚ Breite, 0 h pro Tag
Sonneneinstrahlung
und flächendeckende Vereisungsgebiete entstehen. Die weißen Eisflächen reflektieren das Sonnenlicht, wodurch es noch
kälter wird. Im Verlauf von Tausenden von Jahren können
dadurch kilometerhohe Eisschilde anwachsen, die sich großflächig ausbreiten: Es kommt zu einer Eiszeit.
Die Erdbahnschwankungen sind nicht allein für das Klima
verantwortlich. Vermutlich spielen Rückkopplungsprozesse,
die durch Änderungen der Strahlungsmenge ausgelöst werden, eine große Rolle. Die Wechselwirkungen mit vielen anderen Faktoren wie Meeresströmungen, Plattenbewegungen
und Treibhausgasen sind jedoch so komplex, dass sie noch
nicht in allen Einzelheiten erforscht sind.
Eis in Bewegung
Eis ist kein starres Material, sondern ein verformbarer Stoff.
Wächst der Eisschild über eine kritische Höhe, gibt das Eis daher unter dem Druck seines Eigengewichts nach und fließt an
den Rändern auseinander – ein Gletscher entsteht. An der Unterseite des Eises bildet sich durch den Druck ein Wasserfilm,
auf dem sich der Gletscher wie auf einer Gleitsohle bewegt.
Während der Eiszeiten wuchsen die Eisschilde in Skandinavien auf circa 3.300 Meter Höhe an. Solange es dort kalt blieb und
Sonneneinstrahlung
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Die Sonneneinstrahlung am
Nordpol in Abhängigkeit vom
Neigungswinkel der Erdachse
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E
Eiszeit ausprobiert
Um die Bewegung von Gletschern
nachzuvollziehen, kocht man Götterspeise und füllt verschieden große Behälter, vom Puddingförmchen
bis zum Haushaltseimer. Während
die aus den kleineren Förmchen gestürzte Speise stabil bleibt, sackt die
Masse aus großen Formen ab einer
kritischen Höhe in der Mitte zusammen und fließt an den Rändern auseinander – wie ein Gletscher.
Ei s u n d H e i ss —
17
Gletscher (Inlandeis)
Gletschertor
Gletscherspalten
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Gletscher und Schmelzwasser
hinterlassen in der Landschaft ein
charakteristisches Muster, das als
Glaziale Serie bezeichnet wird.
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Sander
Urstromtal
Grundmoräne
Endmoräne
?!
Schon gewusst
Die Glaziale Serie ist ein Modell zur
Beschreibung der Landschaftselemente, die ein Gletscher beim Vorrücken und Abschmelzen formt. Die
Grundmoräne ist der Gesteinsschutt,
den der Gletscher unter sich mitführt.
Am Eisrand wird der Schutt zu einem
Wall aufgeschoben, der Endmoräne. Am Seitenrand der Gletscherzungen liegen die Randmoränen.
Beim Abtauen des Eises durchbricht
das Schmelzwasser die Endmoräne
am Gletschertor und lagert ausgeschwemmten Kies und Sand fächerförmig vor der Durchtrittsstelle ab:
den Sander. Das Schmelzwasser sammelt sich in der nächsten Senke, dem
Urstromtal, und vereinigt sich zu einem Strom, der Richtung Meer fließt.
18 — E i s u nd Heiss
Schneefall zu weiterer Eisbildung führte, glitten die Gletscher
stetig voran und das Eis schob sich weit nach Süden vor. Die
errechnete Geschwindigkeit der skandinavischen Gletscher
der letzten Eiszeit lag bei circa 220 Meter pro Jahr.
Beim Vorrücken der Gletscher entfernt sich das Eis weit vom
Ort seiner Entstehung und erreicht Regionen, wo es zumindest in den Sommermonaten abschmilzt. Das Verhältnis zwischen Eisbildung im Nährgebiet und Abschmelzung im Zehrgebiet bestimmt, ob ein Gletscher vorstößt oder ob er sich
zurückzieht. Der heutige Rückzug der Alpengletscher, bei
denen die Neubildung das sommerliche Abschmelzen nicht
mehr kompensieren kann, ist dafür ein Beispiel.
Drei Eiszeiten in Norddeutschland
Während Otto Torell noch von einer einzigen Vereisung ausging, erkannten andere Forscher schon wenig später an sich
überkreuzenden Gletscherschrammen, dass es in Nordeuropa
mehrere Eiszeiten gegeben haben muss. Gletscher hinterlassen ihre Spuren nicht nur im Gestein. Der Geologe Albrecht
Fyn
MØn
Rügen
OStSEE
NORdSEE
Lübeck
Schwerin
Szczecin
Hamburg
Groningen
Bremen
Notec
Elbe
Havel
Ems
Aller
Amsterdam
Utrecht
Brandenburg
Leszno
Saale
Dortmund
Brussel
Elster-Eiszeit
Frankfurt (Oder)
Magdeburg
Münster
Ruhr
Maas
Warta
Berlin
Hannover
Den Haag
Oder
Weser
Mühlhausen
Elbe
Erfurt
Rhein
Elster
Saale-Eiszeit
Odra
Leipzig
Dresden
Liberec
Weichsel-Eiszeit
Penck entdeckte, dass jeder Gletscher durch sein Vorrücken
und späteres Abschmelzen ein charakteristisches Muster in die
Landschaft prägt. Unter dem Begriff Glaziale Serie definierte
er 1882 einen Merkmalskomplex, der sich aus verschiedenen
Landschaftselementen zusammensetzt und dem jeweils ein
Gletschervorstoß zugrunde liegt.
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Darstellung der maximalen
Eisvorstöße in der Elster-, Saaleund Weichsel-Eiszeit
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So gelang es Penck, für Nordeuropa drei Eiszeiten nachzuweisen, während er im Alpenraum sogar Hinweise auf vier
Vereisungsphasen fand. Die einzelnen Eiszeiten wurden
später nach Flüssen benannt, die die Ausbreitung des Eises
markieren. Die Flüsse Elster, Saale und Weichsel zeigen den
Vorstoß des skandinavischen Eises an. Im Alpenraum heißen
Ei s u n d H e i ss —
19
?!
Schon gewusst
Die Sauerstoffisotopenanalyse ist
eine der wichtigsten Methoden zur
Rekonstruktion der Klimageschichte im Quartär. Auf der Erde gibt es
schwere und leichte Sauerstoffatome, die sich nur durch die unterschiedliche Anzahl der Neutronen
im Atomkern unterscheiden. Leichter Sauerstoff verdunstet leichter
und tritt daher vermehrt in Regen
und Schnee auf. Wachsen große Eisschilde an den Polen, wird leichter
Sauerstoff darin gebunden. Im Meerwasser wird er deshalb in diesen
Phasen seltener. Das Verhältnis von
leichtem zu schwerem Sauerstoff in
Meeresablagerungen zeigt daher an,
wie viel Eis es in der Vergangenheit
auf der Erde gab.
dieselben Eiszeiten nach den Alpenflüssen Mindel, Riss und
Würm. Dort lässt sich eine noch frühere Eiszeit, die GünzEiszeit feststellen, für die es in Norddeutschland keinen Nachweis gibt.
In der Elster-Eiszeit drangen die skandinavischen Gletscher
am weitesten nach Süden vor und kamen bis zum Elbsandstein- und Zittauer Gebirge. Während der nachfolgenden SaaleEiszeit entwickelte sich auf der Nordhalbkugel ein riesiger
Eisschild, und das Inlandeis erreichte flächenhaft seine größte Ausdehnung. Die Weichsel-Eiszeit hatte dagegen den geringsten Eisvorschub, und die Gletscher kamen nur bis in den
Berliner Raum.
Der Verlauf der Weichsel-Eiszeit ist gut dokumentiert und
wird mit rund 100.000 Jahren angesetzt. Auch die früheren
Eiszeiten dauerten mindestens 100.000 Jahre. Da es in diesen
langen Zeiträumen neben Eisvorschüben auch kalte, aber eisfreie Phasen gab, sprechen Geologen lieber von „Kaltzeit“. Die
Warmzeiten waren deutlich kürzer. Die zwischen Elster- und
Saale-Eiszeit liegende Holstein-Warmzeit dauerte vermutlich
15.000 bis 17.000 Jahre. Die Eem-Warmzeit, die zwischen der
Saale- und der Weichsel-Eiszeit lag, hielt sogar nur 11.000 bis
13.000 Jahre an. Ihre Namen erhielten die Warmzeiten nach
Fundorten in Holstein und an dem niederländischen Fluss
Eem, wo anhand von Süßwasserablagerungen diese warmen
Perioden erstmals nachgewiesen werden konnten. Die heutige Warmzeit, das Holozän, begann vor 11.600 Jahren. Der
Name leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „das
völlig Neue“ (von „holo“ / ganz und „kainos“ / neu). Mit dieser
Bezeichnung wollten Geologen die Jetztzeit deutlich von den
vergangenen Erdzeitaltern absetzen.
Der modernen Wissenschaft stehen verschiedene Methoden
zur Verfügung, mit denen sich die Klimaschwankungen unseres Erdzeitalters immer genauer rekonstruieren lassen. Die
Untersuchungen konzentrieren sich vor allem auf die jahrtausendealten polaren Eiskappen und Ablagerungsschichten am
20 — E i s und H eiss
warm
kalt
1 Mio.
800.000
600.000
400.000
Meeresboden, in denen das Klima der Vergangenheit quasi
archiviert ist. Mit speziellen Tiefenbohrern werden Proben gezogen und analysiert. Jede Schicht liefert dabei Informationen
über die Klima- und Umweltbedingungen zur Zeit ihrer Ablagerung. Vor allem aus dem Verhältnis verschieden schwerer
Sauerstoffatome (Isotope) zueinander kann das Volumen der
Eisschilde in der Vergangenheit ermittelt werden.
200.000 Jahre
0
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Klimadiagramm der letzten eine
Million Jahre nach der Analyse von
schwerem Sauerstoff aus Meeressedimenten
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Über drei Kilometer tief und damit 900.000 Jahre in die Vergangenheit sind die Bohrer ins Eis vorgedrungen. Für diesen
Zeitraum lassen sich acht Eiszeiten nachweisen. Anhand von
Tiefseebohrkernen im Atlantik wurden für die letzten 2,8 Millionen Jahre sogar 55 Eiszeiten ermittelt. Dabei zeigt sich ein
immer gleicher Verlauf: Die Phasen der Abkühlung erstreckten sich über einen langen Zeitraum und wurden von starken Temperaturschwankungen begleitet. Die Eiszeiten setzten nicht plötzlich ein, sondern bauten sich langsam auf, bis
das Klima schließlich kippte. Bis zur Bildung von Gletschern
konnte es so Jahrtausende dauern. Auch innerhalb der Eiszeiten schwankte das Klima beträchtlich, sodass wärmere Phasen das Eis immer wieder zurückdrängten. Alle Eiszeiten endeten abrupt infolge eines schnellen Temperaturanstiegs. In
den früheren Warmzeiten war es im Durchschnitt zwei bis
drei Grad Celsius wärmer als heute.
Ei s u n d H e i ss —
21
Mit dem Bohrkern in die Berliner Vergangenheit
Die Eis- und Warmzeiten haben auch in der Berliner Region
ihre Spuren hinterlassen. Jeder Gletscher, der das Gebiet überfahren hat, lagerte hier eine Grundmoräne ab, die aus Sand,
Kies, Lehm, Ton und Steinen aller Größenklassen, vom kleinsten Kiesel bis zum riesigen Findling besteht. Das Material der
Grundmoräne wird als Geschiebemergel (kalkhaltig) beziehungsweise Geschiebelehm (kalkfrei) bezeichnet. Zwischen
den Grundmoränen liegen Bänke aus Sand und Ton, die durch
Schmelzwasser aufgeschüttet wurden. Die Mächtigkeit der Ablagerungen schwankt im Berliner Raum beträchtlich und be-
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Die Schalen der Süßwasserschnecke
Paludina diluviana (heutiger Name:
Viviparus diluvianus) charakterisieren im Berliner Raum die Ablagerungen der Holstein-Warmzeit.
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Periode
Beginn
Ablagerung
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Holozän
vor 11.600 Jahren
Torfe, Moore, Dünen
Übersicht über die Eis- und Warmzeiten in Norddeutschland und die
Ablagerungen im Berliner Raum
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Weichsel-Eiszeit
vor 115.000 Jahren
Geschiebemergel
Eem-Warmzeit
vor 127.000 Jahren
Torfe, Moore
Saale-Eiszeit
vor 304.000 Jahren
Geschiebemergel
Holstein-Warmzeit
vor 320.000 Jahren
Süßwasserschnecken
Elster-Eiszeit
vor 400.000 Jahren
Geschiebemergel
22 — E i s und H eiss
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Die Grundmoräne, hier eine
Detailansicht, besteht aus Sand,
Kies, Lehm, Ton und abgerundeten
Steinen aller Größenklassen.
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trägt zwischen 30 und 300 Metern. Die oberste Grundmoräne
stammt aus der Weichsel-Eiszeit. Unter ihr liegt eine Schicht
aus Torf und moorigen Sanden, die in der Eem-Warmzeit entstanden ist. Geht man weiter in die Tiefe, stößt man auf den
Geschiebemergel der Saale-Eiszeit, die sich mit drei Gletschervorstößen nach Süden ausbreitete. Darunter liegt eine Ablagerung aus der Holstein-Warmzeit, die in Berlin durch das
massenhafte Auftreten einer Süßwasserschnecke als „Berliner
Paludinenschicht“ bekannt wurde. Die tiefsten Geschiebemergel stammen aus der Elster-Eiszeit, der zwei große Eisvorstöße zugerechnet werden.
Die Grundmoränen der drei Eiszeiten, deren Gletscher auch
den Berliner Raum erreichten, können in ganz Norddeutschland nachgewiesen werden. Wie viele Eiszeiten es in Nordeuropa im Quartär tatsächlich gab, lässt sich jedoch durch die
Grundmoränen allein nicht ermitteln. Da die Gletscher ältere
Ablagerungen beim Überfahren zerstören, wurden die Grundmoränen früherer Eiszeiten wahrscheinlich teilweise ausgelöscht.
Ei s u n d H e i ss —
23
Woher kommen die Steine?
?!
Schon gewusst
Die Steine, die von den Gletschern
aus weit entfernten Gebieten hierhergeschoben wurden, bezeichnen Wissenschaftler als Geschiebe. Sie geben
Hinweise auf die Regionen der Gletscherentstehung und den Verlauf der
Gletscherbewegung. Viele der Gesteine enthalten schöne und sogar sehr
seltene Fossilien. In der Geschiebeforschung werden diese Steine untersucht.
E
Eiszeit ausprobiert
Geschiebesammeln ist in Berlin ganz
einfach. Die vielen Wälder, Gewässerufer und Ackerflächen sind reich an
eiszeitlichen Steinen. Das Sammeln
in Kiesgruben in Brandenburg ist dagegen nur für angemeldete Gruppen
möglich. Eine erste Orientierung zur
Sortierung der Steine liefert die Kleine Gesteinsbestimmung am Ende des
Buches.
Bis zu 300 Meter Tiefe besteht der Boden unter unseren Füßen
aus gebietsfremdem Material. Jeder abgerollte Stein hat einen
weiten Weg hinter sich. Er stammt aus Finnland oder dem
Baltikum, aus Schweden, Norwegen, Dänemark, vom Grund
der Ostsee oder aus Norddeutschland. Viele Gesteine zeigen
eine spezielle Zusammensetzung an Mineralien oder Fossilien, die sie unverwechselbar machen. Wenn ermittelt werden
kann, aus welchen Gebieten sie stammen, kann mit ihrer Hilfe
die Bewegungsrichtung der Gletscher rekonstruiert werden.
Über 200 solcher sogenannter Leitgeschiebe sind bisher bekannt. Je genauer der Ort ihrer Herkunft angegeben werden
kann, desto besser lassen sich die Gletscherströme zurückverfolgen (siehe Grafik Seite 25).
Im Geschiebe der Eiszeiten finden sich Steine und Fossilien
aus allen Erdzeitaltern vermischt. Nicht nur die skandinavischen Gebirge wurden vom Eis abgetragen, auch die Gesteine
am Grund der heutigen Ostsee wurden mitgerissen und hierhergeschoben. Schon beim Spaziergang im Wald oder übers
Feld lassen sich interessante Steine finden. Für Geschiebesammler sind jedoch Kiesgruben wahre Schatzkammern. Hier
haben Schmelzwässer alle Tonpartikel weggespült, sodass
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Herkunft und Verfrachtung ausgewählter Leitgeschiebe (Seite 25).
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Versteinerter Seeigel
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24 — E i s und H eiss
Bernstein
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KinnekulleDiabas
ÅlandRapakivi
KalmarsundSandstein
PåskallavikPorphyr
1
3
o
rw
eg
eN
Rhombenporphyr
N
10
2
6
5
9
8
Fleckengneis
NexøSandstein
4
7
Klapperstein
Faxekalk
StromatoporenKalk
Ei s u n d H e i ss —
25
Sande, Kies und Steine locker im Untergrund liegen. Mit etwas
Glück findet man hier seltene Fossilien und schöne Findlinge,
aber auch Bernstein oder Zähne und Knochen von Eiszeittieren. Sogar ein Goldnugget wurde schon entdeckt! Die Abbildungen auf dieser Seite zeigen Funde aus der Kiesgrube Parey
in Berlin-Spandau.
Backenzahn vom Mammut
Abb. in Originalgröße (Ausschnitt)
Gewicht: 4.500 g
Größe: 320 × 180 × 100 mm
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26 — E i s und H eiss
Goldnugget
Abb. in Originalgröße
Gewicht: > 0,1 g
Größe: 4 × 3 × 1,5 mm
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Wie hoch war das Eis in Berlin?
Einen direkten Nachweis über die Höhe der Gletscher in
Berlin gibt es nicht, aber es gibt Schätzungen. Der Eisschild
erreichte in Skandinavien eine Höhe von rund 3.300 Metern.
In den ersten beiden Eiszeiten, der Elster- und Saale-Eiszeit,
drangen die Gletscher bis an den Nordrand des Harzes vor.
Sie erstreckten sich damit über 1.000 Kilometer nach Süden,
wobei sie von Norden nach Süden, Richtung Eisrand, immer flacher wurden. In diesen Eiszeiten war die Berliner Region circa 200 Kilometer vom Eisrand entfernt, und die Höhe
der Gletscher betrug hier vermutlich noch 600 Meter. In der
Weichsel-Eiszeit lag der Gletscherrand nur 45 Kilometer südlich von Berlin, und das Eis hatte in diesem Bereich nur noch
eine geschätzte Höhe von 150 bis 200 Metern.
?!
Schon gewusst
Ein Blick auf den Fernsehturm am
Alexanderplatz – am besten aus der
Ferne – gibt einen Eindruck von der
Höhe des Eises in Berlin. Mit Antenne
ist der Turm 368 Meter hoch. Für die
ersten beiden Eiszeiten muss man in
Gedanken noch einmal mehr als die
Hälfte drauflegen. In der letzten Eiszeit hätte das Eis dagegen nur bis zur
Mitte der Kugel gereicht.
400
350
Fernsehturm
368 m
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Maximale Eishöhe im Berliner
Raum während der Weichsel-Eiszeit
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300
250
200
150
100
50
Funkturm
146,7 m
Rotes Rathaus
74 m
Siegessäule Reichstag
67 m
47 m
Brandenburger
Tor 26 m
0
Ei s u n d H e i ss —
27
Fyn
MØn
Rügen
OStSEE
NORdSEE
Lübeck
Schwerin
Szczecin
Hamburg
Groningen
Bremen
Ems
Amsterdam
Havel
Aller
Utrecht
Brandenburg
Ruhr
Feuersteinlinie
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Die Feuersteinlinie gibt die südlichste Ausbreitung des skandinavischen Eisschildes an. Sie setzt sich
aus den Eisvorstößen der Elsterund der Saale-Eiszeit zusammen.
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Feuersteine treten in allen Farben
auf. An an ihrem glasartigen Bruch
sind sie gut zu erkennen.
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28 — E i s und H eiss
Frankfurt (Oder)
Leszno
Saale
Dortmund
Rhein
Warta
Magdeburg
Münster
Maas
Oder
Berlin
Hannover
Den Haag
Brussel
Notec
Elbe
Weser
Mühlhausen
Elbe
Odra
Leipzig
Erfurt
Elster
Dresden
Liberec
Die Feuersteinlinie
Gute Anzeiger für die Ausbreitung des skandinavischen Eises
sind Feuersteine, die an ihrem glasartigen Bruch und dem
„brenzligen“ Geruch beim Anschlagen leicht zu erkennen sind.
Feuerstein entstand in der Jura- und Kreidezeit im Meer. Ablagerungen befinden sich in Deutschland heute vor allem im
Bereich der Ostsee. Erst durch die Gletscher der Eiszeit wurden Feuersteine aus dem Ostseeraum weit nach Süden verfrachtet. Die Feuersteinlinie markiert die südlichsten Fundorte für Feuerstein und zeigt so, wie weit die Gletscher während
der Elster- und der Saale-Eiszeit vorstießen. Von der Nordsee
kommend, verläuft sie nördlich des Teutoburger Waldes und
des Harzes über Gotha, Weimar, Zwickau und Chemnitz nach
Bad Schandau. In vielen Orten auf der Feuersteinlinie wurden
Markierungssteine errichtet.
?!
Schon gewuSSt
Feuerstein ist eines der häufigsten
eiszeitlichen Geschiebe. Außerhalb
des Ostseeraumes zeigt er eindeutig
an, wie weit die skandinavischen
Gletscher nach Süden vorgerückt
sind. Nicht nur in Berlin, in vielen
Regionen Deutschlands kann man
Feuersteine finden und so den Weg
der Gletscher nachverfolgen.
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Seeigel aus Feuerstein
aus Berlin-Spandau
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Vielerorts markieren Bronzetafeln
wie diese in Chemnitz die südliche
Eisgrenze.
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Ei s u n d H e i ss —
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