Einführung in die Zahlentheorie Jörn Steuding Uni Wü, SoSe 2015 I Zahlen II Modulare Arithmetik III Quadratische Reste IV Diophantische Gleichungen V Quadratische Formen Wir behandeln die ’wesentliche Zahlentheorie’ bis einschließlich 1801 (Erscheinungsjahr der ’Disquistiones Arithmeticae’ von Gauß). Die Kapitel I, II und III sind relevant für das gymnasiale Lehramt. §0. Was ist Zahlentheorie? Fragen, denen wir teilweise nachgehen werden... • Wie viele Primzahlen gibt es (unterhalb einer vorgegebenen Schranke)? Wie sind diese innerhalb N verteilt? • Wie findet man die besten rationalen Approximationen an π = 3, 14159 . . .? • Lässt sich n4 für jedes n ≥ 5 als Summe von drei Stammbrüchen darstellen, existieren also natürliche Zahlen x, y , z mit 4 1 1 1 n = x + y + z ? Erdös-Straus–Vermutung • Für welche n ∈ N ist die Gleichung X n + Y n = Z n in natürlichen Zahlen lösbar? Fermatsche Vermutung Zahlentheoretische Fragestellungen sind oft einfach zu verstehen, aber mitunter schwierig zu lösen! §0. Was ist Zahlentheorie? Literaturempfehlungen • A. Baker, A concise introduction to the theory of numbers, Cambridge University Press 1984 • G.H. Hardy, E.M. Wright, An introduction to the theory of numbers, Clarendon Press 1979, 5th ed. • N. Oswald, J. Steuding, Elementare Zahlentheorie, Springer 2014 • W. Scharlau, H. Opolka, Von Fermat bis Minkowski, Springer 1980 • J. Wolfart, Einführung in die Zahlentheorie und Algebra, Vieweg 1996 ’... daß man selbst studiert und nicht studiert wird.’ (Hel Braun) §0. Was ist Zahlentheorie? Zahlbereiche Unser Zahlenuniversum: Die Mengen der • natürlichen Zahlen: N = {1, 2, 3, . . .} (Halbgruppe) • ganzen Zahlen: Z = {0, ±1, ±2, ±3, . . .} (Ring) • rationalen Zahlen: Q = {a/b : a ∈ Z, b ∈ N} (Körper) sowie algebraische und transzendente Körpererweiterungen in den Mengen der reellen bzw. der komplexen Zahlen wie z.B. √ √ • Q( 2) = {α + β 2 : α, β ∈ Q} ⊂ R (reell) • Q(i) = {α + iβ : α, β ∈ Q} ⊂ C (komplex) √ mit der imaginären Einheit i = −1, also einer Wurzel aus −1 (d.h. i 2 = −1). Alle diese Mengen sind multiplikativ abgeschlossen! I. Zahlen Eine erste befriedigende Begründung der Zahlbereiche wurde erst durch die Arbeiten von u.a. Giuseppe Peano, Richard Dedekind und Georg Cantor in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geleistet. Konzepte wie ’Primzahlen’ oder ’Irrationalität’ oder ’Kettenbrüche’ sind viel älter. 1. Der euklidische Algorithmus 2. Rationale vs. irrationale Zahlen 3. Kettenbrüche 4. Algebraische vs. transzendente Zahlen 5. Primzahlen §1. Der euklidische Algorithmus Welche Werte für die Unbekannten sind in der Reaktionsgleichung für Fermentation (Glucose Ethanol + Kohlendioxid) X · C6 H12 O6 −→ möglich? Wozu ist Ethanol gut? Y · C2 H5 OH + Z · CO2 . §1. Der euklidische Algorithmus Teilbarkeitseigenschaften Konvention: Lateinische Buchstaben stehen für ganze Zahlen und griechische für reelle Zahlen (bis auf weiteres). Eine Zahl n heißt teilbar durch d , falls n = bd für eine Zahl b; wir sagen auch ’d teilt n’ und notieren dies als d | n. In dem Fall ist d ein Teiler von n, und n ist ein Vielfaches von d . Andernfalls schreiben wir d ∤ n. Rechenregeln: i) d | d , 1 | d , d | 0, ii) 0 | d =⇒ d = 0, d | 1 =⇒ d = ±1, iii) d | n, n | m =⇒ d | m, iv) d | a, d | b =⇒ d | (ax + by ) für alle x, y , v) bd | bn, b 6= 0 =⇒ d | n (Kürzen), vi) d | n, n 6= 0 =⇒ |d | ≤ |n|, vii) d | n, n | d =⇒ d = ±n. §1. Der euklidische Algorithmus Division mit Rest Nach vi) besitzt eine ganze Zahl 6= 0 nur endlich viele Teiler, also besitzen a, b ∈ Z, nicht beide null, einen größten gemeinsamen Teiler, in Zeichen ggT(a, b); ferner sei ggT(0, 0) := 0. Im Falle ggT(a, b) = 1 heißen a und b teilerfremd. Satz 1.1 (Division mit Rest) i) Zu ganzen Zahlen a und b 6= 0 existieren eindeutig bestimmte ganze Zahlen q und r , so dass a = qb + r mit 0 ≤ r < |b|. ii) Für a, b ∈ Z gilt ggT(a, b)Z := {m·ggT(a, b) : m ∈ Z} = {ax+by : x, y ∈ Z} =: aZ+bZ. Der ggT von a und b ist die kleinste nicht-negative Zahl, die sich als ganzzahlige Linearkombination von a und b darstellen lässt. Insbesondere ist Z ein Hauptidealring. §1. Der euklidische Algorithmus größter gemeinsamer Teiler Rechenregeln: viii) ggT(a, b) = ggT(b, a) (symmetrisch), ix) ggT(a, ggT(b, c)) = ggT(ggT(a, b), c) (assoziativ), x) ggT(ac, bc) = |c| · ggT(a, b) (distributiv). Insbesondere induziert Teilbarkeit eine Teilordnung auf N mit dem ggT als maximalem Element unter den gemeinsamen Teilern. Den größten gemeinsamen Teiler von mehr als zwei ganzen Zahlen erklärt man induktiv vermöge ix) durch ggT(a, b, c) := ggT(a, ggT(b, c)). Ganze Zahlen a, b, . . . , c heißen teilerfremd, wenn ggT(a, b, . . . , c) = 1 gilt, und sie sind paarweise teilerfremd, wenn je zwei verschiedene der Zahlen a, b, . . . , c teilerfremd sind. Letzteres impliziert Teilerfremdheit. Die Umkehrung gilt i.A. nicht! §1. Der euklidische Algorithmus Der euklidische Algorithmus Satz 1.2 (Euklidischer Algorithmus) Zu gegebenen a, b ∈ N mit a > b seien r−1 := a, r0 := b sowie a b rj−2 rn−2 rn−1 = q1 b = q2 r1 ... = qj rj−1 ... = qn rn−1 = qn+1 rn + r1 , + r2 , + rj , + rn , mit jeweils qj , rj ∈ Z und 0 ≤ rj < rj−1 . Dann gilt für den letzten nicht verschwindenden Rest rn = ggT(a, b). Damit ist Z ein euklidischer Ring. §1. Der euklidische Algorithmus Der Satz von Bézout Korollar 1.3 (Satz von Bézout [Aryabhata, Bhramagupta]) Gegeben a, b, c ∈ Z, so ist die lineare Gleichung aX − bY = c genau dann in ganzen Zahlen lösbar, wenn ggT(a, b) | c. Gilt ax0 − by0 = c, so ist die Menge aller ganzzahligen Lösungen gegeben durch x b x0 m + = für m ∈ Z. ggT(a, b) a y y0 Geometrisch interpretiert geht es hier um die ganzzahligen Punkte auf einer Geraden. Dank des euklidischen Algorithmus besteht ein konstruktives Verfahren im Falle der Lösbarkeit! §1. Der euklidische Algorithmus Ein antikes Beispiel Wenn es gilt Gleichungen in ganzen oder rationalen Zahlen zu lösen, spricht man Diophantos von Alexandria (ca. 3. Jhd.)) zu Ehren von diophantischen Gleichungen. Chang Ch’iu-Chien stellte vor ca. 1500 Jahren folgende Aufgabe: Für 100 Drachmen (Dr) sollen 100 Enten, Sperlinge und Hühner gekauft werden. Eine Ente kostet 5 Dr, drei Sperlinge 1 Dr und ein Huhn 3 Dr. Wie viele Tiere welcher Art können gekauft werden? Hier liegen zwei lineare diophantische Gleichungen in drei Variablen vor; durch Substitution ergibt sich eine einzige in zwei Variablen. Eine lineare diophantische Gleichung in mehr als zwei Variablen kann man durch geschickte Substituionen dadurch lösen, indem man sukzessive diophantische Gleichungen in zwei Variablen behandelt! §1. Der euklidische Algorithmus Endliche Kettenbrüche Mit dem euklidischen Algorithmus für zwei ganze Zahlen lässt sich deren Quotient in einen so genannten Kettenbruch entwickeln, z.B. 1730 = 419 = ... liefert den Kettenbruch 1730 =4+ 419 4 · 419 + 54, 7 · 54 + 41, 1 . 1 7+ 1 1+ 3+ 1 6+ 1 2 Dieser Entwicklung kann man den Julianischen und den aktuellen Gregorianischen Kalender ablesen! §1. Der euklidische Algorithmus Knobeleien • Das kleinste gemeinsame Vielfache von a und b ist definiert als das Minimum aller m ∈ N mit a | m und b | m, kurz: kgV[a, b]. Zeige ab = ggT(a, b) · kgV[a, b] und finde eine entsprechende Formel für das Produkt von drei ganzen Zahlen! • Für welche Zahlen a > b ist der euklidische Algorithmus besonders langsam? Gib eine Abschätzung der Schrittanzahl in Abhängigkeit von b an! • Das Briefmarkenproblem (Frobenius): Gegeben teilerfremde a1 , . . . , am ∈ N, welches ist die größte natürliche Zahl n, für die keine Linearkombination n = x1 a1 + . . . + xm am mit nicht-negativen Zahlen x1 , . . . , xm existiert? §2. Rationale vs. irrationale Zahlen Der Pythagoras-Schüler Hipasos entdeckte (vor ca. 2500 Jahren) die Inkommensurabilität von Diagonale und Seite √ eines Quadrates; modern ausgedrückt ist das die Irrationalität von 2. §2. Rationale vs. irrationale Zahlen Beispiele √ Satz 2.1 Für k, n ∈ N gilt genau dann k n ∈ wenn alle QQ, ν(n;p) Exponenten in der Primfaktorzerlegung n = p p ein Vielfaches von k sind. Satz 2.2 (Euler 1737; Lambert 1761) Die eulersche Zahl e = exp(1) = 2, 71828 . . . und die Kreiszahl π = 3, 14159 . . . sind irrational. Ist die Zahl log 10 irrational? Und was ist mit 0, 1 4 9 16 25 36 49 64 81 100 . . . ? §2. Rationale vs. irrationale Zahlen Dezimalbrruchentwicklung und Diagonalargument Jede reelle Zahl besitzt eine im Wesentlichen eindeutige Dezimalbruchentwicklung X am 10−m mit a0 ∈ Z, am ∈ {0, 1, . . . , 9}. α= m≥0 Satz 2.3 Eine reelle Zahl ist genau dann rational, wenn ihre Dezimalbruchentwicklung abbricht oder schließlich periodisch ist. Eine unendliche Menge M heißt abzählbar, wenn eine Bijektion N → M existiert; ansonsten ist M überabzählbar. Satz 2.4 (Cantor 1873) Q ist abzählbar, R \ Q ist überabzählbar. Cantors ursprüngliches Argument ist sogar konstruktiv! §2. Rationale vs. irrationale Zahlen Der Calkin-Wilf–Baum Der Calkin-Wilf-Baum wird gebildet vermöge der Iteration a b a , a+b 7→ a+b b aus der Wurzel 11 . Hier die ersten Generationen: 1 3 1 4 ✞✞✞ ✉✉ ✉✉ ✉ ✉ ✼✼✼ 4 3 1 2 ❥❥❥ ❥❥❥❥ ❥ ❥ ❥ ❥❥❥❥ ■■ ■■ ■■ 3 2 3 5 ✞✞✞ 1 1 ❚❚❚❚ ❚❚❚❚ ❚❚❚❚ ❚❚ 2 3 ✼✼✼ 5 2 2 5 ✞✞✞ ✉✉ ✉✉ ✉ ✉ ✼✼✼ 5 3 2 1 ■■ ■■ ■■ 3 4 ✞✞✞ 3 1 ✼✼✼ 4 1 In diesem binären Baum tritt jede positive rationale Zahl genau einmal auf, und zwar als gekürzter Bruch. §2. Rationale vs. irrationale Zahlen Farey-Folge Die Farey-Folge der Mengen Fn ist für n = 0, 1, 2, . . . erklärt durch Fn = {a/b : ggT(a, b) = 1, 0 ≤ a ≤ b ≤ n}, so dass also Fn ⊂ Fn+1 und dies Q modulo Z liefert. Aufeinanderfolgende Elemente in Fn heißen benachbart. Satz 2.5 i) Sind ba < dc benachbart in Fn , so gilt bc − ad = 1. ii) Die Elemente aus Fn+1 \ Fn entstehen als Mediante a+c b+d der Nachbarn ba , dc in Fn . §2. Rationale vs. irrationale Zahlen Ford-Kreise 32 85 53 21 G Der Ford-Kreis zu ba ∈ Fn ist erklärt als die Menge aller komplexen z mit |z − ( ba + 2bi 2 )| = 2b12 . Mit der daraus resultierenden Kreispackung lassen sich visuell die sukzessive besten rationalen rationalen Näherungen einer vorgegebenen reellen Zahl finden! Im obigen Beispiel ergeben sich für den goldenen Schnitt √ 5+1 G := 2 die immer besseren Näherungen 12 , 32 , 53 usw. §2. Rationale vs. irrationale Zahlen Dirichletscher Approximationssatz Satz 2.6 (Dirichletscher Approximationssatz, 1842) i) Zu gegebenen α ∈ R und beliebigem Q ≥ 3 existieren p, q ∈ Z mit q < Q, so dass p α − ≤ 1 . q qQ ii) Genau dann, wenn α irrational ist, existieren unendlich viele gekürzte qp mit α − p ≤ 1 . q q2 Ein alternativer Beweis gelingt mit dem Schubfachprinzip: Verteilt man n + 1 Objekte in n Schubfächer, so enthält mindestens ein Schubfach mindestens zwei Objekte. §2. Rationale vs. irrationale Zahlen Knobeleien - Mathematisches Billard • Spielt man Billiard auf einem quadratischen Tisch (ohne Reibung), so ist, wie König & Szüsc (1913) zeigten, der Verlauf der Bahn der Billiardkugel genau dann periodisch, wenn der Tangens des Winkels zwischen der Bahn und der Bande rational ist. Beweise die Periodizität im Falle eines rationalen Tangens. Und was gilt beim Billiard auf einem kreisrunden Tisch? §2. Rationale vs. irrationale Zahlen Knobeleien - Beatty-Folgen • Für eine reelle Zahl α > 1 ist die Beatty-Folge erklärt durch B(α) := {⌊nα⌋ : n ∈ N}, wobei ⌊x⌋ := max{z ∈ Z : z ≤ x} der Ganzteil von x sei. Ein Satz von Rayleigh besagt, dass für irrationale α > 1 und β durch 1 1 α + β = 1 festgelegt, die Beatty-Folgen B(α) und B(β) disjunkt sind und ihre Vereinigung eine Partition der natürlichen Zahlen bildet. Beweise dies! §3. Kettenbrüche Irrationalzahlen sind im Gegensatz zu rationalen Zahlen in Anwendungen oftmals unpraktikabel. Die rationalen Zahlen liegen dicht in der Menge der reellen Zahlen. Aber wie findet man gute rationale Approximationen an gegebene reelle Zahlen? Was liegt näher an π: die Zahl 3, 14 oder 355 113 ? Eine entsprechende Antwort gab im 17. Jahrhundert Christiaan Huygens mit seiner systematischen Theorie. §3. Kettenbrüche Notation Ein Kettenbruch ist ein Ausdruck der Form 1 [a0 , a1 , a2 , . . . , an , αn+1 ] := a0 + a1 + , 1 a2 + ... 1 + 1 am−1 + an + 1 αn+1 wobei die Teilnenner a0 ∈ Z und an ∈ N für n ∈ N sowie αn+1 > 1 genügen. Die abgeschnittenen Ausdrücke [a0 , a1 , . . . , an ] heißen Näherungsbrüche. §3. Kettenbrüche Rekursion Gegeben a0 , a1 , . . ., seien Folgen pn , qn rekursiv definiert durch pn = an pn−1 + pn−2 , p−1 = 1, p0 = a0 und q−1 = 0, q0 = 1 und qn = an qn−1 + qn−2 . bzw. alternativ mittels Matrizenkalkül durch a0 1 p0 p−1 = q0 q−1 1 0 und pn pn−1 qn qn−1 = pn−1 pn−2 qn−1 qn−2 an 1 1 0 . §3. Kettenbrüche Berechnung der Näherungsbrüche Per Induktion folgt a0 1 pn pn−1 a1 1 an 1 = · ... · . qn qn−1 1 0 1 0 1 0 Satz 3.1 Gegeben a0 , a1 , . . . mit zugehörigen Folgen der pn , qn , gelten i) pn = [a0 , a1 , . . . , an ] qn und ii) pn qn−1 − pn−1 qn = (−1)n+1 . §3. Kettenbrüche Fibonacci-Zahlen und der goldene Schnitt Die Fibonacci-Zahlen Fn sind rekursiv definiert durch F0 = 0, F1 = 1 und Fn+1 = Fn + Fn−1 für n ∈ N. Die Formel von Binet liefert die explizite Darstellung 1 Fn = √ (G n − (−G )−n ) für n ∈ N, 5 √ wobei G = 12 ( 5 + 1) der goldene Schnitt ist. Es gelten Fn+1 = [1, 1, . . . , 1] | {z } Fn n Einsen und Fn+1 = [1, 1, . . .] n→∞ Fn G = lim sowie Fn2 − Fn+1 Fn−1 = (−1)n und ggT(Fn+1 , Fn ) = 1. §3. Kettenbrüche Kettenbruchalgorithmus Gegeben α ∈ R, bilde α0 := α sowie sukzessive αn = ⌊αn ⌋ + 1 αn+1 und an := ⌊αn ⌋ für n = 0, 1, . . . solange αn+1 6= 0. Es entstehen so α = α0 = a0 + = a0 + 1 a1 + 1 = [a0 , α1 ] α1 1 α2 = [a0 , a1 , α2 ] usw. Für rationale α ist dies der verkleidete euklidische Algorithmus und es entsteht ein i.W. eindeutiger endlicher Kettenbruch: [a0 , a1 , . . . , am ] = [a0 , a1 , . . . , am − 1, 1] für am ≥ 2. §3. Kettenbrüche Unendliche Kettenbrüche Satz 3.2 Für α ∈ R \ Q mit Näherungsbrüchen α− pn qn gilt (−1)n pn ; = qn qn (αn+1 qn + qn−1 ) insbesondere ist 1 p n α − < qn an+1 qn2 und [a0 , a1 , . . .] = limn→∞ qpnn = α. Dies liefert insbesondere eine Verschärfung des Dirichletschen Approximationssatz: Nach dem Hurwitzschen Approximationssatz besitzt die Ungleichung α − p < √ 1 q 5q 2 √ für irrationale α unendlich viele Lösungen pq und die Konstante 5 ist bestmöglich. §3. Kettenbrüche Das Gesetz der besten Näherung Satz 3.3 (Gesetz der besten Näherung, Lagrange 1770) Sei α ∈ R \ Q mit Näherungsbrüchen qpnn . Ist n ≥ 3 und p, q ∈ Z mit 0 < q ≤ qn und pq 6= pqn−1 , pn , so gelten n−1 qn |qn α − pn | < |qn−1 α − pn−1 | < . . . und |qn α − pn | < |qn−1 α − pn−1 | < |qα − p|. Insbesondere folgt α − pn < α − p . qn q Irrationalzahlen lassen sich nicht besser rational approximieren als mit den Näherungsbrüchen! Die besten Näherungen an π = [3, 7, 15, 1, 292, . . .] sind der Reihe 333 355 nach 3, 22 7 = [3, 7], 106 = [3, 7, 15], 113 = [3, 7, 16] = 3, 1415929.... §3. Kettenbrüche Papierformat √ Der fünfte Näherungsbruch an 2 liefert das in der Praxis realisierte Länge-Breite–Verhältnis beim Din A-Format. §3. Kettenbrüche Knobeleien • Bestimme die Kettenbruchentwicklung für √ n2 + 1 mit n ∈ N. • Finde Charakteristika für die Kettenbruchentwicklungen im Calkin-Wilf–Baum! • Entwickle einen euklidischen Algorithmus nach dem nächsten Ganzen im folgenden Sinne: Die herkömmliche Division mit Rest a = qb + r mit r ∈ [0, q) ist dahingehend zu variieren, dass für den Rest r ∈ [− q2 , q2 ) gelte. Entwickle hieraus einen Kettenbruch nach dem nächsten Ganzen und analysiere Vor- und Nachteile! §4. Algebraische vs. transzendente Zahlen 3 , 14159 26535 89793 23846 26433 . . . ’Dieses Buch [Transzendente Zahlen] (...) Man sollte es keine Theorie der transzendenten Zahlen nennen, da unsere Kenntnis über transzendente Zahlen sehr lückenhaft ist.’ (Carl Ludwig Siegel) §4. Algebraische vs. transzendente Zahlen Definitionen und Beispiele Eine komplexe Zahl α heißt algebraisch, wenn es ein vom Nullpolynom verschiedenes P ∈ Q[X ] gibt mit P(α) = 0; das zugehörige normierte Polynom minimalen Grades d ist das Minimalpolynom von α und dieses minimale d ist der Grad von α. Andernfalls nennt man α transzendent. √ √ p Beispiele algebraischer Zahlen: 42, − 35 , 2, 2 − 3, die Nullstellen von X 5 − 6X + 2. Satz 4.1 Die Menge Q aller algebraischen Zahlen ist ein Körper. Eine algebraische Zahl α heißt ganzalgebraisch, wenn es ein normiertes annulierendes Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten gibt. Die Menge der ganzalgebraischen Zahlen bildet einen Ring. Satz 4.2 (Cantor, 1873) Die Menge Q aller algebraischen Zahlen ist abzählbar, die Menge aller transzendenten Zahlen überabzählbar. §4. Algebraische vs. transzendente Zahlen Satz von Liouville Insbesondere existieren transzendente Zahlen. Im Allgemeinen ist es jedoch schwierig, eine gegebene Zahl auf Transzendenz zu untersuchen. Satz 4.3 (Liouville, 1844) Zu jeder algebraischen Zahl α ∈ R vom Grad d ≥ 1 existiert eine nur von α abhängige, positive Konstante C (α), so dass α − p > C (α) q qd für alle p q ∈ Q verschieden von α mit q ≥ 1. Algebraische Zahlen lassen sich also nicht ’zu gut’ rational approximieren! Zahlen, die sich hingegen sehr gut approximieren lassen, müssen also transzendent sein. Beispiele P transzendenter Zahlen: so genannte Liouville-Zahlen wie etwa n≥1 10−n! = 0, 11000 100 . . . §4. Algebraische vs. transzendente Zahlen Transzendente Zahlen Satz 4.4 (Hermite, 1873; Lindemann 1882) Die Zahlen e und π sind transzendent. Insbesondere ist das klassische Konstruktionsproblem der Quadratur des Kreises unter Verwendung von ausschließlich Zirkel und Lineal unlösbar. Bereits Euler wusste ζ(2) := X 1 1 1 π2 = 1 + + + . . . = n2 4 9 6 n≥1 und alsoP ist ζ(2) transzendent; der Nachweis der Irrationalität von ζ(3) := n≥1 n−3 gelang Apéry 1979. Es ist unbekannt, ob ζ(3) P transzendent ist, und auch, ob ζ(5) := n≥1 n−5 ∈ R \ Q. Ebenfalls unklar ist der Status der Euler-Mascheroni-Konstante: ! N X 1 − log N = 0, 57721 . . . . . . γ := lim N→∞ n n=1 §5. Primzahlen Primzahlen sind die atomaren Bestandteile der rationalen Zahlen. Einer Idee Ulams folgend die ersten natürlichen Zahlen spiralförmig angeordnet und die Primzahlen eingefärbt: §5. Primzahlen Das Lemma von Euklid Eine natürliche Zahl n > 1 heißt Primzahl (bzw. prim), wenn 1 und n ihre einzigen positiven Teiler sind; andernfalls ist n > 1 zusammengesetzt. Satz 5.1 (Lemma von Euklid). Teilt eine Primzahl ein Produkt, so teilt sie mindestens einen der Faktoren: Ist p prim, so gilt p | ab =⇒ p | a oder p | b. Die Aussage ist i.A. falsch für zusammengesetzte Zahlen. In der Algebra werden auf diese Weise Primelemente definiert. §5. Primzahlen Eindeutige Primfaktorzerlegung Die Primzahlen sind die multiplikativen Bestandteile der ganzen und damit auch der rationalen Zahlen: Satz 5.2 (Fundamentalsatz der Zahlentheorie; Gauß 1801). Jede natürliche Zahl n > 1 besitzt eine (bis auf Reihenfolge der Faktoren) eindeutige Primfaktorzerlegung, d.h. es gibt eindeutig bestimmte ν(n; p) ∈ N0 mit Y n= pν(n;p) , p wobei das Produkt über alle Primzahlen p erhoben ist. Damit ist Z ein faktorieller Ring. √ Die Eindeutigkeit ist nicht selbstverständlich: Im Ring Z[ −5] sind √ √ 6 = 2 · 3 = (1 + −5) · (1 − −5) zwei verschiedene Faktorisierungen in irreduzible Elemente. §5. Primzahlen Sieb des Eratosthenes Streicht man sukzessive die echten Vielfachen nicht gestrichener Elemente aus der Liste der ihrer Größe nach geordneten natürlichen Zahlen n ≥ 2, so verbleiben genau die Primzahlen: 2 3 — 4 5 — 6/ 7 — 8 /9 — 10 \ 11 12 — / 13 — 14 x 15 \/ 16 — 17 18 — / 19 20 — \ 21 x/ 22 — 23 24 — / 25 \ 26 — 27 / 28 — x 29 30 — \/ 31 32 — 33 / 34 — x 35 \ 36 — / 37 38 — 39 / 40 — \ 41 42 — x/ 43 — 44 45 \/ 46 — 47 48 — / 49 x 50 — \ 51 / 52 — 53 54 — / 55 \ 56 — x 57 / 58 — 59 60 — \/ 61 62 — 63 x/ 64 — 65 \ 66 — / 67 68 — 69 / — 70 x\ 71 72 — / 73 — 74 75 \/ 76 — 77 x 78 — / 79 80 — \ 81 / 82 — 83 84 — x/ 85 \ 86 — 87 / 88 — 89 90 — \/ 91 x 92 — 93 / 94 — 95 \ 96 — / 97 98 — 99 / ... Als Primzahltest ist das Sieb ungeeignet: Es liefert mit den (fast) kompletten Primfaktorisierungen zu viele irrelevante Informationen. §5. Primzahlen Unendlich viele Primzahlen Satz 5.3 (Euklid). Es gibt unendlich viele Primzahlen. Euklid zeigte: Es gibt mehr Primzahlen als jede vorgelegte Anzahl von Primzahlen. Neben seinem Beweis gibt es eine Vielzahl an Beweisen. Mehr Information liefert der Primzahlsatz (bewiesen 1896 von Hadamard und de La Vallée-Poussin unabhängig voneinander) lim π(x) · x→∞ log x =1 x für die Primzahlzählfunktion π(x) := ♯{p ≤ x : p prim}. Hier und im Folgenden überall bezeichnet log den natürlichen Logarithmus. §5. Primzahlen Bertrandsches Postulat Satz 5.4. (Bertrandsches Postulat; formuliert 1845, bewiesen durch Tschebyscheff 1850) Für alle x ≥ 1 existiert stets mindestens eine Primzahl p ∈ (x, 2x]. Die Quadrate bilden eine sehr dünne Teilmenge von N. Trotzdem ungelöst ist, ob zwischen zwei Quadratzahlen stets mindestens eine Primzahl liegt? Kaum vorstellbar: 1 , 2, 3, 4 , 5, 6, 7, 8, 9 , 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16 , 17, . . . §5. Primzahlen Eulers analytischer Ansatz Satz 5.5. (Euler, 1737) Für x ≥ 2 gilt X1 ≥ log log x − log 2. p p≤x Bei Euler liest sich dies so: 1 1 1 1 + + + + . . . = log log ∞. 2 3 5 7 Noch einen Schritt weiter mit analytischen Methoden geht es mit der Riemannschen Zetafunktion X Y ζ(s) := n−s = (1 − p−s )−1 (Re s > 1). n≥1 p §5. Primzahlen Primzahlen mit speziellen Resten Wie sind die Primzahlen bzgl. ihrer Reste bei Division durch 4 verteilt? 4Z + 1 4Z + 2 4Z + 3 4Z + 0 : : : : ... ... ... ... 1 2 3 4 5 9 6 10 7 11 8 12 13 14 15 16 17 18 19 20 ... . . . ← einzige Primzahl 2 ... . . . ← keine Primzahl Satz 5.6. Es gibt unendlich viele Primzahlen der Form p = 4n + 3. Die Menge der Zahlen der Form 4n + 1 bildet eine multiplikative Halbgruppe! Das entsprechende Argument für Primzahlen der Form 4n + 1 versagt ohne weitere Zutat. §5. Primzahlen Probleme... • Wie sind die Primzahlen in arithmetischen Progressionen verteilt? • Gibt es unendlich viele Primzahlzwillinge, d.h. Paare von Primzahlen p, p + 2 wie z.B. 11 und 13? Primzahlzwillingsvermutung • Lässt sich jede gerade Zahl ≥ 4 als Summe von zwei Primzahlen darstellen? Z.B.: 100 = 13 + 87 Und jede ungerade Zahl ≥ 9 als Summe von drei Primzahlen? Goldbach-Vermutungen • Gibt es Formeln zur Erzeugung von Primzahlen? Kombinationen additiver und multiplikativer Struktur sind oft unangenehm!