Hirn VON JUDITH RAUCH Unserem Gehirn verdanken wir eine einzigartige Lernfähigkeit. Was wissen Sie über Ihr Denkorgan? Testen Sie sich mit neun Fragen rund ums Hirn 1. Egal, ob Sie einen großen oder einen kleinen Kopf haben: Ihr Gehirn enthält eine ungeheure Menge Nervenzellen. Wie viele sind es ungefähr? A. 100 Millionen B. 10 Milliarden C. 100 Milliarden 2. Gehirne von Frauen wiegen im Durchschnitt 150 Gramm weniger als die von Männern. Als der französische Anatom Paul Broca Mitte des 19. Jahrhunderts diesen kleinen Unterschied entdeckte, schloss er daraus, dass „Frauen ein bisschen dümmer sind als Männer“. Was würden seine Kollegen heute zu dieser Schlussfolgerung sagen? 62 ILLUSTRIERT VON MIKE LOOS 63 RD I MAI 2003 A. Broca hat Recht behalten. Die Natur hat es mit den Männern besser gemeint. B. Dummes Zeug. Wenn das Gehirngewicht entscheidend wäre, müssten Elefanten mit fünf Kilo Hirn klüger sein als der Mensch. C. Es lebe das Frauengehirn! Gleiche Intelligenzleistung bei weniger Gewicht – das spricht für Effektivität. 3. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen: Wie und wo werden – nach heutiger Auffassung – Erinnerungen im Gehirn gespeichert? A. In einzelnen Nervenzellen, die nur dann „funken“, wenn wir an einen bestimmten Gegenstand oder eine Person denken, etwa an unsere Großmutter. 64 HAUPTSACHE HIRN B. In einem Netzwerk von Nervenzellen, die gleichzeitig aktiv werden, wenn wir uns an etwas erinnern, beispielsweise an einen Tag am Meer. C. An einem bestimmten Ort, einer Art „Schublade“ im Gehirn: Geografiekenntnisse werden also anderswo gespeichert als Musikoder Literaturkenntnisse. 4. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass einer unserer Sinne mit unserem Gedächtnis besonders eng verbunden ist. Welcher? A. das Sehen B. das Hören C. das Riechen 5. Sie wissen noch genau, was Sie zu Ihrem zwölften Geburtstag bekommen haben? Warum können Sie – und alle anderen – sich aber kaum an Ereignisse aus der Babyzeit und frühen Kindheit erinnern? A. Weil in den ersten Jahren die Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und das Gedächtnis erst noch reifen muss. B. Weil man zunächst sprechen lernen muss, bevor man Erinnerungen speichern kann. C. Weil diese Ereignisse zwar alle in unserem Kopf gespeichert sind, aber so überlagert wurden von späteren Eindrücken, dass wir sie nicht abrufen können. 6. Kaum gelesen, schon vergessen. Mit welcher Methode bleibt neues Wissen am besten haften? A. Wenn man etwas sieht, zum Beispiel in einem Video. B. Wenn man etwas selbst ausführt. C. Wenn man etwas hört. 7. Der Traum vieler Schüler und Studenten: Buch unters Kissen, darüber schlafen, und morgens hat man alles im Kopf. Kann man tatsächlich im Schlaf lernen? A. Ja, aber nur mit speziellen Tonträgern („Memokassetten“). B. Ja, im Schlaf verfestigt das Gehirn das am Tag Gelernte. C. Nein, im Schlaf vergessen wir nur. Zum Lernen muss man notwendigerweise wach sein. 8. Die Hauptfigur des Films Der Mann ohne Vergangenheit (2002) von Aki Kaurismäki hat nach einem Schlag auf den Kopf jede Erinnerung an ihr früheres Leben verloren. Aber bestimmte Fertigkeiten wie das Schweißen hat der Mann nicht verlernt. Ist so etwas medizinisch möglich? A. Ja. Biografische Erinnerungen und Bewegungsmuster werden unabhängig gespeichert. Eine Verletzung muss deshalb nicht beide beeinträchtigen. B. Ja, aber der Schaden ist nicht organisch. Der Mann hat sein früheres Leben lediglich verdrängt. Eine Psychoanalyse könnte ihm helfen. C. Nein. Das hat der Drehbuchautor sich nur so ausgedacht. 9. Zuckerbrot und Peitsche: Was motiviert junge Menschen am stärksten zum Lernen? A. Erfolgserlebnisse nach selbstständigem Herumprobieren. B. Anerkennung von außen, wie gute Schulnoten. C. Angst vor Strafen. FUTTER FÜR IHRE GRAUEN ZELLEN „Wer rastet, der rostet.“ Das alte Sprichwort gilt nicht nur für die körperliche Fitness. Wer sein Hirn trainiert, bleibt geistig fit. Denkaufgaben finden Sie zum Beispiel in Das große Buch der Rätsel und Denkspiele Reader’s Digest – Verlag Das Beste, 39,90 Euro, Bestellungen unter Tel. 01805-61 99 81 (in Deutschland) Tel. 01-5 13 25 54 (in Österreich) noch mehr Informationen zum Thema Gehirn und Gedächtnis finden Sie in folgenden Büchern: Dem Gedächtnis auf der Spur. Vom Erinnern und Vergessen Hans J. Markowitsch, Primus Verlag, 2002, 22,90 Euro Der kleine Unterschied. Warum Frauen und Männer anders denken und fühlen Sabine Riedl und Barbara Schweder, Deuticke, 1997, 13,90 Euro Was geht da drinnen vor? Die Gehirnentwicklung in den ersten fünf Lebensjahren Lise Eliot, Berlin Verlag, 2002, 29 Euro 65 RD I MAI 2003 HAUPTSACHE HIRN Lösungen: 1. C. Das Gehirn enthält tatsächlich 100 Milliarden Nervenzellen, von denen jede einzelne Verbindung zu hunderten oder gar tausenden anderer Zellen hat. 2. B und C. Der Vergleich mit dem Elefanten zeigt anschaulich, dass es nicht auf das absolute Hirngewicht ankommt, sondern dass es in Bezug zur Körpergröße gesetzt werden muss. In Relation zum Körpergewicht haben Frauen mehr Hirn als Männer. Es gibt aber neuerdings Hinweise, dass sie nicht nur mit absolut weniger Hirnmasse, sondern sogar mit weniger Hirnzellen auskommen als der Mann – und das bei gleicher durchschnittlicher Intelligenz. Wie sie das schaffen, ist noch nicht erforscht. 3. B. Dass Erinnerungen in einem Netzwerk gleichzeitig aktiver Zellen stecken, glauben heute die meisten Experten. Die Hypothesen A („Großmutter-Nervenzelle“) und C („Hirnschublade“) gelten inzwischen als widerlegt. 4. C. Für neugeborene Babys sind Gerüche sehr wichtig, denn im Gegensatz zum Sehen und Hören ist das „Riechzentrum“ im menschlichen Hirn bei der Geburt bereits voll ausgebildet. Und es ist verbunden mit den Strukturen im menschlichen Hirn, die für die gefühlsmäßige Bewertung von Erfahrungen und ihre Speicherung im Langzeitgedächtnis sorgen. Gerüche helfen deshalb auch wirkungsvoll 66 beim Abruf aus dem Gedächtnis: Häufig verbinden wir mit bestimmten Düften Kindheitserinnerungen. 5. A. Das kindliche Gehirn reift erst allmählich zu seiner vollen Leistungsfähigkeit. Doch auch in B steckt ein Körnchen Wahrheit. Manchmal erinnern sich Dreijährige an Erlebnisse aus ihrer Babyzeit. Doch die vergessen sie wieder. Erst „die Kunst des Erzählens“, so die amerikanische Neurobiologin Lise Eliot, mache es möglich, persönliche Erinnerungen in einen Rahmen aus Zeit, Ort und logischem Zusammenhang einzubinden, um sie dann fürs Leben zu behalten. 6. B. Probieren geht über Studieren! Eine Studie ergab: Personen, die eine Reihe von Handlungsanweisungen (zum Beispiel „die Karten mischen“) tatsächlich ausführen, können sich später besser an die einzelnen Tätigkeiten erinnern als Personen, die diese Handlungen auf einem Video sehen oder die Anweisung lediglich hören. Forscher bezeichnen das als den „Tu-Effekt“. halten (wie etwa Schweißen) recht robust. Das Gedächtnis für Erlebnisse ist anfälliger, vermutlich deshalb, weil mehr verschiedene Teile des Großhirns daran beteiligt sind. Lösung B wäre aber auch denkbar. Traumatische Erlebnisse können nämlich dazu führen, dass Erinnerungen verdrängt werden. 7. B. Der Lübecker Schlafforscher Professor Jan Born beispielsweise untersucht diese Effekte. Für das Behalten von Fakten, so hat er festgestellt, ist der Tiefschlaf nach dem Lernen wichtig. Zum Erlernen neuer Bewegungsmuster hingegen (wie Ski fahren) brauchen wir den Traumschlaf. Schlafentzug schadet darum jedem Lernerfolg. Also: Nach dem Pauken ab ins Bett! 9. A. Selbst Tierversuche zeigen das: Mäuse und Affen sind wie Kinder neugierig und beziehen Lust aus der selbstständigen Lösung von Problemen. Was die Ärztin und Pädagogin Maria Montessori (1870-1952) bereits erkannte („Kinder lernen selbsttätig“), wird heute von Hirnforschern bestätigt. 8. A. Die Hirnforschung unterscheidet heute mehrere unabhängige Gedächtnis-Systeme. Nicht alle sind gleichermaßen empfindlich gegenüber Kopfverletzungen. So ist zum Beispiel das Gedächtnis für eingeübtes Ver- In diesem Sinne, und das gilt auch für Erwachsene: Jede richtige Antwort, die Sie bei diesem Quiz selbst herausgefunden haben, ist ein Erfolg. Und wenn Sie darüber hinaus etwas Neues gelernt haben, umso besser! Wie lernen Sie am besten? Nutzen Sie spezielle Techniken? Schreiben Sie uns. Ihr Weg zu uns auf Seite 8. KLEIDER MACHEN LEUTE Seit einigen Jahren bin ich nicht mehr berufstätig, sondern ganztags zu Hause und nur für unsere Kinder da. Deshalb ist meine Garderobe modisch etwas veraltet. Eines Abends sah ich meinen Kleiderschrank im Schlafzimmer durch und sagte zu meinem Mann, dass ich bald mal ein paar neue Sachen bräuchte; schon lange hätte ich nichts Neues mehr zum Anziehen bekommen. In dem Augenblick ging unser elfjähriger Sohn an der Schlafzimmertür vorbei. Er hörte, was ich gesagte hatte, und bemerkte: „Stimmt nicht, Mama. Letzte Woche hast du neue Topfhandschuhe bekommen.“ CATHY STANTON, Kanada 67