med tropole Nr. 24 Januar 2011 KARDIOLOGIE: Der kardiogene Schock GYNÄKOLOGIE: Brustkrebsfrüherkennung und MRT UROLOGIE: Therapie des invasiven Blasenkarzinoms Aktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte Editorial Impressum Liebe Leserinnen und Leser, Redaktion Jens Oliver Bonnet (verantw.) Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens Prof. Dr. Christian Arning PD Dr. Oliver Detsch Dr. Birger Dulz PD Dr. Siegbert Faiss Dr. Christian Frerker Dr. Annette Hager Dr. Susanne Huggett Prof. Dr. Friedrich Kallinowski Prof. Dr. Uwe Kehler Dr. Jürgen Madert Dr. Kilian Rödder Prof. Dr. Jörg Schwarz Prof. Dr. Gerd Witte Cornelia Wolf Herausgeber Asklepios Kliniken Hamburg GmbH Unternehmenskommunikation Rudi Schmidt V. i. S. d. P. Rübenkamp 226 22307 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-82 66 36 Fax (0 40) 18 18-82 66 39 E-Mail: [email protected] Auflage: 15.000 Erscheinungsweise: 4 x jährlich ISSN 1863-8341 Sie kennen die medtropole als eine fachlich hochqualifizierte, thematisch breit aufgestellte Zeitschrift, die über neueste klinische Erkenntnisse und Maßnahmen informiert, aber auch – und das ist diesmal ein besonderes Highlight – über Forschungsergebnisse von hohem wissenschaftlichen Wert berichtet. Die Behandlung des idiopathischen Parkinson-Syndroms wird nach modernen Gesichtspunkten, aber durchaus kritisch, auf wenigen Seiten vermittelt. Das Akute Abdomen im Kindesalter ist zwar selten, für die Betroffenen aber vital bedrohlich. Pro Jahr erkrankt eines von 1000 Kindern an dieser Symptomatik, die für eine angemessene Therapie eine sorgfältige Diagnostik erfordert. Die Weichteildeckung in der Plastischen Chirurgie erweist sich als ein fortgeschrittenes Verfahren, das körperliche Verstümmelungen auszugleichen imstande ist und sich in bewundernswerter Weise entwickelt hat. Der kardiogene Schock – als zentrales Thema der Intensivmedizin – wird hoch kompetent abgehandelt, wobei die Autoren zu Recht auf die Notwendigkeit möglichst kurzzeitiger Intervention hinweisen. Das Thema Brustkrebs ist immer wieder bewegend und jede Erkenntnis, die das ScreeningVerfahren verbessert, willkommen, so auch der Beitrag zur Früherkennung und MRT. Die Vorstellung der deutschen Zwillingsstudie verweist auf einen wissenschaftlichen Leckerbissen, der nach ersten Erkenntnissen nachhaltige Konsequenzen für die Therapie der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen haben kann. Möglich wurde diese Studie durch die Kooperation mit der Christian-Albrechts-Universität Kiel, an der Prof. Raedler neben seiner Funktion als leitender Arzt der Gastroenterologie im Asklepios Westklinikum einen Lehrstuhl innehat. Informativ ist der Beitrag „hypochondrische Störungen als Unterform der somatoformen Störungen“, die einen hohen Anteil von Patienten in hausärztlichen Praxen ausmachen. Besonders wichtig erscheint mir der Hinweis auf die hohe Komorbidität mit depressiven, Angst- sowie auch Persönlichkeitsstörungen. Unter dem Titel „Radikale Zystektomie“ über die aktuelle Therapie des invasiven Blasenkarzinoms wird die Notwendigkeit betont, sich auf die speziellen Krankheitsbedingungen des einzelnen Patienten einzustellen. Der abschließende Beitrag zur Geschichte der Medizin ist informativ und zugleich bewegend, der Titel „von Erbsenzählern und Erbkrankheiten“ lässt schon die schulmedizinisch-journalistische Kompetenz des Autors erahnen. Abschließend ein Wort in eigener Sache: Ende Februar werde ich meine Position als Ärztlicher Direktor des Asklepios Westklinikums aufgeben und meine Tätigkeit als Leitender Arzt der Asklepios Privatklinik Hamburg West sowie des Psychosomatischen Fachzentrums Falkenrieds fortführen. So ist dies auch mein letztes Editorial für die Zeitschrift medtropole, der ich weiterhin eine geneigte und engagierte Leserschaft wünsche – sie hat es sehr verdient! Ihr Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens Ärztlicher Direktor Asklepios Westklinikum Hamburg Inhalt 868 | NEUROLOGIE Idiopathisches Parkinsonsyndrom: Behandlungsmöglichkeiten in der Spätphase der Erkrankung S. 868 871 | KINDERCHIRURGIE Akutes Abdomen im Kindesalter – im Spiegel der Entwicklungsstadien 874 | PLASTISCHE CHIRURGIE Moderne rekonstruktive Verfahren zur Weichteildeckung in der Plastischen Chirurgie 878 | KARDIOLOGIE Der kardiogene Schock 880 | GASTROENTEROLOGIE Genetischer Hintergrund chronisch entzündlicher Darmerkrankungen – Ergebnisse der deutschen Zwillingsstudie S. 880 883 | GYNÄKOLOGIE Brustkrebsfrüherkennung und MRT 886| PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE Somatoforme Störungen und Hypochondrie Angst vor Krankheit – krank vor Angst? 890| PERSONALIA 893 | UROLOGIE Therapie des invasiven Blasenkarzinoms Radikale Zystektomie 896 | GESCHICHTE DER MEDIZIN Von Erbsenzählern und Erbkrankheiten: Meilensteine der Genforschung S. 893 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 Idiopathisches Parkinsonsyndrom Behandlungsmöglichkeiten in der Spätphase der Erkrankung Prof. Dr. Joachim Röther Die Parkinsonkrankheit betrifft in Deutschland 200.000 bis 300.000 Menschen. Etwa 20 Prozent dieser Patienten befinden sich im fortgeschrittenen Stadium, das von motorischen und nicht-motorischen Komplikationen dominiert wird. Viele Patienten im fortgeschrittenen Stadium des idiopathischen Parkinsonsyndroms (IPS) sind nicht befriedigend zu behandeln. Den Leitlinien der Deutschen Neurologischen Gesellschaft entsprechend erfolgt die Therapie im Frühstadium des IPS bei Patienten unter 70 Jahren zunächst mit einem Dopaminagonisten. Kontrollierte Studien wiesen nach, dass unter initialer Monotherapie mit Dopaminagonisten Hyperkinesen und Wirkfluktuationen später auftreten. Der transdermal applizierbare Non-Ergot-Dopaminagonist Rotigotin, der orale Non-Ergot-Dopaminagonist Piribedil, die retardierte Freisetzungsform des oralen Non-Ergot-Dopaminagonisten Ropinirol sowie der MAO-B-Hemmer Rasagilin können sowohl als Monotherapie in der Frühphase als auch zur Kombinationstherapie mit L-DOPA im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung eingesetzt werden. Seit 2005 ist der MAO-B-Hemmer Rasagilin zugelassen. Rasagilin ist das erste Parkinsonmedikament, das einen neuroprotektiven Effekt mit einer Verlangsamung der Progredienz der Erkrankung erwarten lässt. Dass sich dieser Effekt auch über einen Zeitraum von durchschnittlich 3,5 Jahren nachweisen lässt, zeigte kürzlich eine Nachbeobachtungsstudie.[1] 868 Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn nach der Diagnosestellung ist sinnvoll und hat möglicherweise einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung. Bei Patienten über 70 Jahren und wenn die Monotherapie mit Dopaminagonisten zur Symptomkontrolle nicht mehr ausreicht, ist die Gabe von Levodopa (L-DOPA) indiziert. L-DOPA ist eine sehr wirksame und zunächst nebenwirkungsarme Substanz in der Behandlung der Parkinsonerkrankung. Sie wird im Gehirn zum physiologischen Neurotransmitter Dopamin decarboxyliert. L-DOPA sollte mindestens 30 Minuten vor oder 90 Minuten nach den Mahlzeiten eingenommen werden. Der größte Nachteil von L-DOPA ist die Pharmakokinetik: Mit einer Serumhalbwertszeit von etwa 90 Minuten (in Kombination mit dem Decarboxylasehemmer Carbidopa) kommt es zu unvermeidbaren Wirkspiegelschwankungen, die in den ersten Krankheitsjahren durch eine noch erhaltene Speicherfunktion nigrostriataler Neurone kompensiert werden kann. Mit abnehmender Zahl dopaminerger Neurone in der Substantia nigra verliert sich diese „Pufferfunktion“, und es kommt zu End-of-dose-Akinesien und vermindertem Ansprechen im Sinne eines „Wearing-off“. Wearing-off Hiermit beginnt die Phase der motorischen Fluktuationen, die Ausdruck der voranschreitenden Neurodegeneration und des damit einhergehenden schlechteren Ansprechens auf die L-DOPA-Therapie sind. Die pulsatile Stimulation von Dopamin am striatalen Dopaminrezeptorsystem nach Einnahme von L-DOPA-Präparaten ist maßgeblich für die End-of-dose-Fluktuationen und choreatische Hyperkinesien verantwortlich. Es genügt dann nicht mehr, L-DOPA auf drei bis vier Einzeldosen zu verteilen. Die Verteilung erfolgt vielmehr auf mehrere Einzeldosen von 50 bis 100 mg, um eine kontinuierliche und überschwellige Stimulation zu erzielen. Das schlechtere Ansprechen auf L-DOPA ist unter anderem durch die gestörte Resorption über das Transportsystem großer neutraler Aminosäuren im Duodenum und im proximalen Jejunum bedingt. Nicht-neurologische Nebensymptome der Parkinsonerkrankung, zum Beispiel die Gastroparese, führen nach L-DOPA-Einnahme zu einem verspäteten Wirkungseintritt oder gar einem Dosisversagen, weil das Medikament nicht zum Resorptionsort im Dünndarm gelangt, sondern im Magen verbleibt, der keine Aminosäuretransporter aufweist. Das peripher Neurologie Dyskinesien Wearing-off Abb. 1: In der zweiten Phase kommt es gegen Ende der Dosis langsam zum Wirkungsverlust. Die pulsatile Stimulation von Dopamin am striatalen Dopaminrezeptorsystem führt zu motorischen Fluktuationen. (Gerlach, Reichmann, Riederer 2001 mod.) wirkende Prokinetikum Domperidon kann die Resorption verbessern. Auch die Verabreichung eines wasserlöslichen, schnell wirksamen L-DOPA-Präparats, das den Magen schneller passiert, kann helfen, die Off-Phase zu überwinden. Die Kombination von L-DOPA mit dem COMT-Hemmer Entacapon als Kombinationspräparat Stalevo® glättet die Wirkspiegelschwankungen und reduziert so das Auftreten motorischer Fluktuationen. Die FDA hat kürzlich einen Warnhinweis publiziert, da in einer Anwendungsbeobachtung eine leicht vermehrte Rate von Prostatakarzinomen bei Männern unter Stalevo-Behandlung auftrat. Dies sollte dazu führen, dass Patienten mit Stalevo regelmäßig mittels PSA-Bestimmung hinsichtlich der Entwicklung eines Prostatakarzinoms überwacht werden. Bei unzureichendem Effekt von Entacapon kann alternativ Tolcapon eingesetzt werden (cave: Leberwerterhöhung!). Eine weitere Bereicherung des therapeutischen Spektrums stellt retardiertes Ropinirol dar.[2] Neben einem gleichmäßigen Wirkstoffspiegel bedeutet die einmal tägliche Gabe eine Erleichterung für Parkinsonpatienten, die in fortgeschrittenen Krank- heitsstadien oft in kurzen Abständen L-DOPA einnehmen, um Wirkfluktuationen zu vermeiden. Auch für Patienten mit einer Dysphagie ist die retardierte Verabreichungsform eine Verbesserung. Neben der Erhöhung der DopaminagonistenDosis, Erhöhung der Zahl der L-DOPATagesdosen (eventuell Reduktion der Einzeldosis erforderlich), zusätzlicher Gabe eines COMT-Hemmers und/oder eines MAO-B-Hemmers kann auch versucht werden, einen Teil der L-DOPA-Dosis auf ein Retardpräparat umzustellen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass L-DOPA retard variabel resorbiert wird und daher oft schlecht steuerbar ist. On-off-Phasen Schwieriger zu therapieren als die Endof-dose-Akinesie ist das paroxysmale Onoff-Phänomen. Es ist nicht streng an die L-DOPA-Einnahme gebunden und tritt unvorhersehbar auf. Einige Patienten sprechen gut auf subkutane ApomorphinInjektionen an. Im Falle gehäufter On-off-Phasen ist alternativ auch die jejunale Gabe eines DOPAGels zu erwägen: Die Levodopa/Carbidopa-Suspension (Duodopa®) wird aus einer 100 ml-Kassette (20 mg/ml) von einer tragbaren, knapp 400 Gramm wiegenden Pumpe über eine perkutane, endoskopisch angelegte Gastrostomie (PEG) kontinuierlich enteral appliziert.[3] So wird das in Matrixform gebundene Levodopa über einen jejunalen Innenkatheter in den Dünndarm eingebracht und führt zu einem gleichmäßigen L-DOPA-Spiegel im Blut. Damit entfällt sowohl die pulsatile Rezeptorstimulation als auch die Abhängigkeit der Resorption von einer regelmäßigen Magenentleerung. Insgesamt wird diese Therapie bisher nur bei wenigen Patienten eingesetzt. Es ist aber bei älteren Patienten, bei denen eine tiefe Hirnstimulation nicht infrage kommt, eine Möglichkeit, die Probleme des zunehmend schlechteren Ansprechens auf die orale L-DOPA-Therapie auszugleichen. Die kritische Patientenselektion ist wie bei vielen anderen Therapien entscheidend. Dyskinesien und Dystonien Manchmal treten bereits nach wenigen Jahren Dyskinesien und Dystonien auf. Peakdose-Dyskinesien kommen oft bei zu hohen L-DOPA-Dosen vor, gelegentlich auch vor einem Wearing-off. Typisch sind die choreatiformen Dyskinesien, die eine Dosisre- 869 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 Abb. 2: Die Duodopa-Pumpe ist eine extrakorporale Pumpe, die über eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) L-DOPA ins Duodenum abgibt. Hierdurch werden störende Schwankungen des Plasmaspiegels durch die Umgehung des Magens reduziert. Indiziert ist die Duodopa-Pumpe bei L-DOPA induzierten Dyskinesien, welche auch unter Therapie mit einem COMT-Hemmer, MAO-B-Hemmer und Dopaminagonisten in ausreichender Dosierung fortbestehen. (aus Datensatz der Fa. TEVA, Lundbeck) duktion und eine möglichst kontinuierliche Stimulation erfordern. Ein COMT-Hemmer, Amantadin und ein MAO-B-Hemmer helfen, die Dyskinesien zu reduzieren. Schmerzhafte Dystonien, zum Beispiel eines Fußes, treten oft nachts oder am frühen Morgen auf. Retardiertes L-DOPA abends oder lösliches L-DOPA frühmorgens können die Symptome bessern. Tiefe Hirnstimulation Die tiefe Hirnstimulation (tHS) ist bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium mit L-DOPA-sensitiven Fluktuationen indiziert. Akinese, Rigor und Tremor lassen sich durch die tHS positiv beeinflussen. Eine randomisierte Studie des Kompetenznetzes Parkinson zeigte, dass bei medikamentös unbefriedigend einzustellenden Parkinsonpatienten mit motorischen Fluktuationen und Dyskinesien die Nucleus-subthalamicus-Stimulation der oralen medikamentösen Therapie in Hinblick auf Verbesserung der Krankheitssymptome, der Alltagsaktivitäten und der Lebensqualität signifikant überlegen ist.[4] Die tHS bleibt aber großen Zentren vorbehalten, wo die Letalität und bleibende schwere Morbidität unter 0,5 Prozent bleibt. Eine kürzlich publizierte Studie verglich die Zielpunkte Nucleus 870 subthalamicus und Globus pallidus internus und ergab hinsichtlich der motorischen Wirkung keine relevanten Unterschiede.[5] Da die Nebenwirkungen bei pallidaler Stimulation geringer sind, ergibt sich eventuell ein neues therapeutisches Zielgebiet. Kontakt Prof. Dr. Joachim Röther Neurologische Abteilung Asklepios Klinik Altona Paul-Ehrlich Straße 1 – 22763 Hamburg Fazit Tel. (0 40) 18 18-81 14 01 Fax (0 40) 18 18-81 49 06 Mit Rasagilin steht erstmals ein neuroprotektiv wirksames Parkinsonmedikament zur Verfügung. Die therapeutischen Möglichkeiten im fortgeschrittenen Stadium haben sich in den vergangenen Jahren durch die Kombination des COMT-Hemmers Entacapon mit L-DOPA, retardierte Dopaminagonisten, die kontinuierliche Applikation eines Duodopa-Gels via PEG und die Möglichkeit der tiefen Hirnstimulation verbessert. E-Mail: [email protected] Literatur [1] Lew MF, Hauser RA, Hurtig HI, Ondo WG, Wojcieszek J, Goren T, Fitzer-Attas CJ. Long-term efficacy of rasagiline in early Parkinson’s disease. Int J Neurosci 2010; 120(6): 404-8. [2] Hersh BP, Earl NL, Hauser RA, Stacy M. Early treatment benefits of ropinirole prolonged release in Parkinson’s disease patients with motor fluctuations. Mov Disord 2010; 25(7): 927-31. [3] Nyholm D, Nilsson Remahl AI, Dizdar N, et al. Duodenal levodopa infusion monotherapy vs oral polypharmacy in advanced Parkinson disease. Neurology 2005; 64(2): 216-23. [4] Deuschl G, Schade-Brittinger C, et al. A randomized trial of deep-brain stimulation for Parkinson’s disease. N Engl J Med 2006; 355: 896-908. [5] Follett KA, et al. for the CSP 468 Study Group. Pallidal versus subthalamic deep-brain stimulation for Parkinson’s disease. N Engl J Med 2010; 362(22): 2077-91. Kinderchirurgie Akutes Abdomen im Kindesalter – im Spiegel der Entwicklungsstadien Dr. Bernd Richter Das Akute Abdomen ist eine mit Bauchschmerzen und Ileussymptomatik sowie im Spätstadium mit peritonitischer Reizsymptomatik einhergehende, akute und potenziell lebensbedrohliche gastrointestinale Funktionsstörung. Im Kindesalter verweist das Akute Abdomen entwicklungsstadienabhängig auf jeweils alterstypische und so im Vorfeld eingrenzbare mögliche Diagnosen.[3,5] Epidemiologie Bei Früh- und Neugeborenen können eine gastrointestinale Fehlbildung oder eine entzündliche (fokale oder flächenhafte) Darmerkrankung mit unterschiedlicher Dynamik auftreten (Fokale Intestinale Perforation, Nekrotisierende Enterocolitis). Bei Neugeborenen und jungen Säuglingen im Alter von drei bis sechs Wochen – knabenwendig – ist eine hypertrophische Pylorusstenose häufig.[8] Bei mittelalten Säuglingen (vier bis sechs Monate), insbesondere im Zusammenhang mit Nahrungsumstellung, kann ein Morbus Hirschsprung symptomatisch erkennbar und als Akutes Abdomen zur plötzlichen Bedrohung werden. Darüber hinaus ist im Zusammenhang mit bestimmten anderen Fehlbildungen (Zwerchfellhernie, Gastroschisis, Omphalozele) oder ohne wegweisende Fehlbildung bei Malrotation an einen Dünndarm-Volvulus zu denken. Dieser kommt meist im jungen Säuglingsalter mit einem Maximum vor dem zweiten Lebensmonat und seltener jenseits des Säuglingsalters vor.[6] Der Volvulus führt bei verspäteter Operation rasch zu Dünndarmnekrose und lebensverkürzendem Kurzdarmsyndrom. Invaginationen treten vor allem im Säuglings- und Kleinkindalter auf. Das Maximum liegt zwischen vier Monaten und drei Jahren.[1] Pro Jahr erkrankt etwa eines von 1.000 Kindern.[7] Das blutende Meckel’sche Divertikel zeigt keine spezifische Altershäufung bei Kindern.[11] Auch die Appendizitis ist in buchstäblich jedem Alter möglich,[13] äußert sich jedoch erst bei Schulkindern in typischer, quasi standardisierter Weise. Bei Kindern unter sechs Jahren wird sie überproportional häufig im Zusammenhang mit einer Perforation erkannt.[9,12] Seltenere Diagnosen, wie zum Beispiel Morbus Crohn, abdominelles Lymphom, Typhus abdominalis, Porphyrie, Purpura Schoenlein Hennoch und andere, sind mit zu bedenken und zeigen ebenfalls altersspezifische Ausprägungen. Abdominelle Organverletzungen sind ab dem Kindergarten- und Schulalter unfallbedingt, bei Säuglingen und Kleinkindern hingegen häufig nicht unfallbedingt durch Fremdeinwirkung im sozialen Nahraum verursacht. Im letzteren Falle besteht Wiederholungsgefahr. Symptomatologie Die Symptomatologie ist nur durch entwicklungsstadiengerechte Herangehensweise zügig zu erschließen.[3] Die wegweisenden möglichen Symptome und Befunde selbst sind rasch aufgezählt: Schmerz, Erbrechen, Abdominelle Distension, Fieber, Resistenz und Peritonismus. Grundlegend beim Akuten Abdomen im Kindesalter ist jedoch, eine Situation herzustellen, die es uns erlaubt, jene einfachen anamnestischen Tatbestände und physikalischen Untersuchungsbefunde real zu erhalten, um sie danach vor dem Hintergrund des kindlichen Entwicklungsstadiums differential-diagnostisch zuordnen zu können.[14] Die Annäherung an das Kind wird wesentlich erleichtert, wenn man bestimmte Regeln beachtet. Charakteristisch ist bei der Behandlung von Kindern die Situation der Fremdanamnese, üblicherweise von den Eltern, während derer man Zeit hat, das Kind und die Eltern-Kind-Interaktion zu beobachten. Das Gespräch mit den Eltern ist bereits Teil der Annäherung an das Kind, wobei sich das Kind noch in einer Beobachterrolle an die Situation 871 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 Abb. 1: Dünndarmvolvulus bei einem Neugeborenen (Symptomatik: typisch ist ein plötzliches Abb. 2: Reposition einer Leistenhernie bei einem galliges Erbrechen aus Wohlbefinden heraus [„the deadly vomit“]. Die Kinder zeigen meistens eine männlichen Säugling Schocksymptomatik und evtl. blutige Stühle.) gewöhnen kann. Bei Säuglingen spielt die Art der Berührung eine Rolle, wobei man sich angenehme Reize zunutze macht, wie etwa das Zusammenhalten der Fußsohlen bei gebeugtem Knie und Hüfte, was bei Akutem Abdomen schmerzlindernd und darüber hinaus angenehm wirkt. Ferner erhält man bereits einen Eindruck von der Durchblutung der Akren. Ein unruhiger Säugling wird zum Innehalten bewegt, indem die Wange oder Nase berührt und hiermit die Suchreaktion angeregt oder ausgelöst wird. Danach kann der Schnuller eine angenehme Belohnung und Quelle weiteren Auf-sich-selbst-konzentriert-Seins darstellen, was die physikalische Untersuchung erleichtert. Kleinkinder reagieren im Allgemeinen erfreut oder entspannt, wenn man sich nach Annäherung bei sichtbarer Angstreaktion des Kindes deutlich und sehr weit zurückzieht und damit entgegen der Angst Neugier hervorruft. Ältere Kinder – jenseits von drei oder vier Jahren – werden gebeten, den Bauch bis zu einer darüber gehaltenen Hand herauszustrecken und danach einzuziehen, womit sie aktive Mitgestalter der Situation werden. Parallel dazu macht der Kinderchirurg hierbei wertvolle Beobachtungen für die Beurteilung des Bauches. Ein schwer krankes Kind wird in jedem Alter nur reduziert 872 zu kontaktieren sein. Erst nach der geschilderten Kontaktaufnahme wird perkutiert, palpiert oder sonografiert. Bei blutendem Meckel’schen Divertikel, Invagination und einigen anderen Fällen kann die rektale digitale Untersuchung mit entsprechend angepasster Untersuchungstechnik wichtige Informationen bieten. In aller Regel sollten Anamnese und physikalischer Eindruck ausreichen, um die Diagnose entscheidend einzugrenzen und als Hypothese im Zuge weiterer Untersuchungen nur noch bestätigen oder verwerfen zu müssen. Apparative Befunderhebung und Laboruntersuchungen Vor der kindgerechten Blutentnahme ist hier insbesondere die Sonografie entscheidend.[8,9] Wehrt sich das Kind, können auch relativ grobe und einfach erhältliche sonografische Befunde wertvoll und ausreichend sein: Peristaltik, freie Flüssigkeit, Füllungszustand der Harnwege, Zysten oder Invaginat. Nur bei bestimmten Fragestellungen ist zusätzlich eine Abdomen-Leeraufnahme im Stehen oder in Linksseitenlage erforderlich. Bei blutendem Meckel’schen Divertikel ist das Meckel-Szintigramm hilfreich.[10,11] Therapie Die zeitgerechte chirurgische Therapie beim Akuten Abdomen im Kindesalter führt normalerweise sehr rasch zu einem sichtbaren positiven klinischen Verlauf, sodass postoperative Folgeuntersuchungen vielfach überflüssig sind und vermieden werden können. Meist hat die Operation umgehend zu erfolgen, in ausgewählten Fällen ist aber ein Zuwarten richtiger. Dies trifft relativ häufig beim stumpfen Bauchtrauma zu. Das weitere Vorgehen hängt dann meist von den Ergebnissen der bildgebenden Untersuchungen und dem weiteren klinischen Verlauf ab, gegebenenfalls sogar von wiederholter Bildgebung (Duodenalwandblutung, Verletzungen von Milz, Leber, Nieren und Pankreas).[2] Bei der frischen Invagination ist die Therapie der Wahl primär die hydrostatische Desvagination unter sonografischer Kontrolle.[1] Eine radiologische Kontrolle ist obsolet, wenn auch immer noch weit verbreitet.[4] Bei entzündlichen Darmerkrankungen der Früh- und Neugeborenen kann je nach Dynamik des Geschehens und Stadienzuordnung eine konservative antibiotische Therapie manchmal ausreichen. Im Zweifel ist das chirurgische Eingreifen beim Akuten Abdomen der Früh- und Neugeborenen Kinderchirurgie Abb. 3: Inkarzerierte Leistenhernie bei einem weiblichen Säugling mit stabiler Kreislaufsituation zumeist weniger riskant als ein weiteres Zuwarten. Die Entscheidung fällt in neonatologischkinderchirurgischer Kooperation. Abb. 4: Darmsteifungen als Zeichen der Passagestörung bei einem Frühgeborenen Literatur [1] Waseem M, Rosenberg HK. Intussusception. Pediatr [2] Sivit CJ. Contemporary imaging in abdominal emergencies. Pediatr Radiol. 2008; 38(4): 675-8. Fazit [3] Festen C. „Acute abdomen“ in children Ned Tijdschr Geneeskd. 1999; 143(4): 182-5. Das Akute Abdomen im Kindesalter wird durch Fremdanamnese symptomatologisch und durch einfache körperliche Untersuchung diagnostisch eingegrenzt. Durch technische Untersuchungen, primär Ultraschall, und laborchemische Untersuchungen muss die Vordiagnose mit Differentialdiagnosen meist nur noch bestätigt oder verworfen werden. Die fachspezifische Leistung des Kinderchirurgen kommt hier in Kooperation mit den gleichfalls nicht organspezifisch, sondern entwicklungsspezifisch definierten Fachkollegen, den Pädiatern, und insbesondere auch den Neonatologen zur Anwendung. Die zeitgerechte kinderchirurgische Therapie beim Akuten Abdomen führt normalerweise sehr rasch zu einem sichtbaren positiven klinischen Verlauf, sodass postoperative Folgeuntersuchungen vielfach überflüssig sind und vermieden werden können. Kontakt Emerg Care. 2008; 24(11): 793-800. Dr. Bernd Richter Sektion Kinderchirurgie Asklepios Klinik Harburg Eißendorfer Pferdeweg 52 21075 Hamburg [4] AWMF online. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie [5] KidsDoc.at – Kinder- und Jugendchirurgie Wien, Tel. (0 40) 18 18-86 50 98 Fax (0 40) 18 18-86 30 09 E-Mail: [email protected] Donauspital SMZ Ost [6] www.kinderchirurgie.ch; „kinderchirurgie/pediatric surgery-online“, unabhängige Plattform zur Information und Kommunikation über das Thema Kinderchirurgie [7] www.dr-gumpert.de/html/invagination.html [8] Petit P, Pracros J. Role of ultrasound in children with emergency gastrointestinal diseases. J Radiol. 2001; 82 [13] Jancelewicz T, Kim G, Miniati D. Neonatal appendici- (6 Pt 2): 764-80. tis: a new look at an old zebra. J Pediatr Surg. 2008; 43(10): [9] Chang YJ, Kong MS, Hsia SH, et al. Usefulness of ultra- e1-5. sonography in acute appendicitis in early childhood. Pediatr [14] Franke C, Verreet P, Ohmann C, Böhner H, Röher HD. Gastroenterol Nutr. 2007; 44(5): 592-5. Clinical standardization in acute abdominal pain. Langen- [10] Ho JE, Konieczny KM. The sodium pertechnetate TC- becks Arch Chir. 1996; 381(2): 65-74. 99m scan. An aid in the evaluation of gastrointestinal bleeding. Pediatrics 1975; 56: 34. [11] Menezes M, Tareen F, Saeed A, Khan N, Puri P. Symptomatic Meckel’s diverticulum in children: a 16-year review. Pediatr Surg Int. 2008; 24(5): 575-7. [12] Nance ML, Adamson WT, Hedrick HL. Appendicitis in the young child: a continuing diagnostic challenge. Pediatr Emerg Care. 2000; 16(3): 160-2. 873 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 Moderne rekonstruktive Verfahren zur Weichteildeckung in der Plastischen Chirurgie Dr. Jörg Elsner Im Fachgebiet Plastische Chirurgie werden Eingriffe durchgeführt, um die Körperform und sichtbar gestörte Körperfunktionen wiederherzustellen und zu verbessern. Dabei werden vorwiegend Folgen von Krankheit, Trauma und angeborenen Anomalien sowie altersbedingte Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes behandelt. Als übergreifende chirurgische Disziplin beinhaltet die Plastische Chirurgie vier chirurgische Schwerpunkte: Rekonstruktive Chirurgie, Handchirurgie, Verbrennungschirurgie und Ästhetische Chirurgie. Dabei ist keiner der vier tragenden Schwerpunkte entbehrlich. Methodisch ergänzen sich die Bereiche und bilden in ihrer Einheit die Grundlage für Innovationen im Gesamtgebäude der Plastischen Chirurgie. Gerade die Rekonstruktive Plastische Chirurgie erfuhr in den vergangenen Jahrzehnten eine beeindruckende und innovative Entwicklung, die neue plastische Deckungsverfahren wie freie Lappenplastiken oder Perforatorlappen hervorbrachte. Lappenplastik Blutgefäß versorgt, sondern durch die erhaltene Basis des Lappens beziehungsweise der Lappenplastik („random pattern flap“). Diese Lappen sind meist in ihrer Anwendung begrenzt, da das Verhältnis Lappenlänge zu Lappenbasis nicht mehr als 3:1 betragen darf. Sonst besteht die Gefahr einer Nekrose vor allem an der Lappenspitze. Bei einer gefäßgestielten Lappenplastik, einem sogenannten „axial pattern flap“, wird die Blutversorgung durch einen definierten Gefäßstiel gewährleistet. Diese Lappenplastik kann auch mit dem Gefäßstiel gehoben und an einer anderen Stelle des Körpers mikrochirurgisch durch Gefäßanastomosen wieder an die Blutversorgung angeschlossen werden (freie Lappenplastik). Der Begriff Lappenplastik oder Gewebetransfer beschreibt die Gewebeverlagerung von einer Stelle des Körpers zu einer anderen. Lokale Gewebetransfers werden nach der Art ihrer Verlegung bezeichnet, dabei unterscheidet man Transpositions-, Rotations- und Schwenklappen. Alle haben eine willkürliche Blutversorgung. Das heißt, das Gewebe wird nicht von einem bestimmten Daneben werden Lappenplastiken auch nach ihrer Gewebeart unterschieden: Fasziokutane Lappen beinhalten eine Faszie mit dem Haut- und Unterhautgewebe, Myokutane Lappen bezeichnen einen Muskel mit einer Hautinsel.[1,2] Dies lässt die Lappenchirurgie sehr komplex erscheinen, erlaubt aber, auch für spezifische Probleme adäquate Lösungen zu finden (Tab. rechts). 874 Eine Lappenplastik sollte möglichst immer folgende Voraussetzungen erfüllen: ■ Dauerhafte Defektdeckung mit minimaler Schrumpfungstendenz ■ Hautqualität, Hautfarbe und Unterhautgewebe sollten den lokalen Erfordernissen angepasst sein. ■ Der Entnahme- oder Hebedefekt sollte weder funktionelle noch ästhetische Nachteile aufweisen. Prinzipien der Deckung von Weichteildefekten ■ Spalthaut, Vollhauttransplantate ■ Synthetische Deckungsverfahren (Tissue Engineering) ■ Hautlappen ohne definierte Gefäßversorgung als einseitiger oder doppelseitiger Transpositions-, Rotations- oder Schwenklappen (random pattern flap) ■ Hautlappen mit axialer Gefäßversorgung (axial pattern flap) ■ Hautlappen gemeinsam mit darunter liegender Faszie oder Muskel mit definiertem Gefäß, sogenannte fasziokutane bzw. myokutane Lappen ■ freie mikrochirurgische Lappentransplantation mit definierter Gefäßzuordnung Plastische Chirurgie a b c d e f g h i j Abb. 1: Beispiele für eine Latissimus-dorsi-Lappenplastik Beispiel 1: Bild a zeigt eine Sternumosteomyelitis mit bestehendem Hautweichteildefekt, der mit einer gestielten Latissimus-dorsi-Lappenplastik verschlossen wird. Bilder b und c zeigen den Zustand zwei Wochen postoperativ. Beispiel 2: Älterer Patient mit Osteomyelitis fast der gesamten Schädelkalotte bei Z. n. mehrmaligen Exzisionen von Spinaliomen (Bild d). Nach kompletter Exzision des erkrankten Knochens und freiliegender Dura-Versiegelung mit einer Palacos-Plombe durch die neurochirurgische Abteilung (Bild e). Präoperative Anzeichnung des Verlaufs und der Hebung des Lappens am Patienten (Bild f), Hebung des Lappens an seinem versorgenden Gefäß (A. u. V. thorakodorsalis) und mikrochirurgischer Anschluss des Gefäßes an die zuvor präparierte A. u. V. maxillaris auf Höhe der linken Wange (Bild f und g). Der Muskel wurde zusätzlich mit Spalthaut bedeckt und eine Hautmonitorinsel belassen, um die Vitalität des Lappens postoperativ beurteilen zu können. Bild j zeigt die eingeheilte Lappenplastik vier Wochen postoperativ. Bei einer komplexen Verletzung ist der Weichteildefekt entscheidend. Er ist der Schlüssel für die Herstellung aller anderen Strukturen. Die Behandlung eines Gewebedefektes muss dabei je nach Ausdehnung, Lokalisation und den darunter liegenden Strukturen abgestuft sein.[3] Anwendungsbeispiele gestielter und freier Lappenplastiken Als typisches Beispiel eines gestielten Lappens kann der Latissimus-dorsi-Lappen gelten. Er ist heute einer der am häufigsten verwendeten gestielten (= axialen) Lappen in der Plastischen Chirurgie. Es handelt sich dabei um einen Muskellappen, der von einem Gefäß (A. und V. thorakodorsalis) primär versorgt wird und der mit einer durch Muskelperforatoren versorgten Hautinsel gehoben werden kann. Mit ihm ist es möglich, große Defekte zu decken, entweder als gestielter Lappen zum Beispiel bei ausgedehnten Hautweichteildefekten nach Sternumosteomyelitiden mit Sternumresektion oder als freier Lappen bei Defekten an den Extremitäten oder an der Schädelkalotte. Die Lappenentnahmestelle kann dabei nach Mobilisation primär verschlossen werden [4] (Abb. 1). Neben gefäßgestielten Lappen werden seit einigen Jahren zunehmend Perforatorlappen eingesetzt. Ihre stetige Weiterentwick- lung erlaubt mittlerweile eine breite klinische Anwendung als gestielte und freie Lappenplastiken. Perforatorlappen sind als Angiosom zu verstehen, also als umschriebenes Gewebe, das von einem einzigen Blutgefäß versorgt wird und in der Regel aus Haut mit subkutanem Fettgewebe ohne Muskelanteil besteht. Dadurch sind Hebedefekt und Funktionsverlust gering.[5] An der oberen Extremität ist der Interosseus-Posterior-Perforator-Lappen mittlerweile eine sehr gute Alternative zu anderen gefäßgestielten Lappen wie den Arteria-Radialis-Lappen. Sein Vorteil ist, dass für die plastische Deckung keine komplette Arterie am Unterarm bei gleichzeitigem hohen Rotationsradius geopfert wird und bekannte Risiken wie Schmerzen in Ruhe und bei Belastung sowie Kälteintoleranz nach Verlust eines Gefäßes an der Hand vermindert werden (Abb. 2). Der Antero-Lateral-Thigh (ALT)-Lappen ist ein Perforatorlappen, der auf den endständigen Aufzweigungen (= Perforatoren) der A. circumflexa femoris lateralis des Oberschenkels beruht. Er kann als freier oder gestielter Lappen angewandt werden. Als gestielter Lappen kann der ALT-Lappen aufgrund seines günstigen Aktionsradius den unteren Rumpf, die Leisten- und Bauchregion oder sogar die Anogenitalregion erreichen. Er hat eine sehr natürli- a b c d Abb. 2: Großer Weichteildefekt des rechten Handrückens mit freiliegenden Strecksehnen (Bild a); intraoperative Hebung des Interosseus-Posterior-Lappens und Darstellen des Gefäßstiels und des großen Rotationsbogens (Bild b und c); Bild d zeigt den Zustand zwei Wochen postoperativ bei kompletter Bedeckung des Defektes am Handrücken und vitaler, eingeheilter Lappenplastik. Der Hebedefekt wurde mit Spalthaut gedeckt. 875 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 a b c d e Abb. 3: In beide Leisten metastasiertes Peniskarzinom und exulzerierende Leistenmetastasen (Bild a linke Leiste präoperativ). Zustand nach kompletter Tumorexzision in der rechten Leiste und Tumordebulking in der linken Leiste bei Tumorinfiltration der linken A. femoralis und bereits eingezeichnetem Lappendesign (Bild b). Plastische Deckung zunächst der linken Leiste (Bild d), dann der rechten Leiste mit kleinem verbliebenem Defekt, der mit Spalthaut gedeckt wurde (Bild e). Intraoperativ zeigt Bild c die Lappenhebung f g mit Sicht auf den filigranen Perforator. Bild f zeigt den Zustand zwei Wochen postoperativ bei komplett eingeheilten und vitalen doppelzeitigen ALT-Lappen, Bild g die geringe Spendemorbidität bei direkt verschlossenem Hebedefekt. Der Patient hat dadurch nun die Möglichkeit der palliativen Bestrahlung und Chemotherapie. che Hautfärbung, kann auch als sensibler Lappen verwendet werden, ist vielseitig als freier Lappen einsetzbar und hat nicht zuletzt eine sehr niedrige Spendemorbidität [6] (Abb. 3). struktion haben. Die Operationen der mikrochirurgischen Brustrekonstruktion sind in der Hand des geübten Plastischen Chirurgen mittlerweile sichere und komplikationsarme Verfahren.[8] Bei Brustverlust, zum Beispiel durch die Entfernung eines Mammakarzinoms, hat sich in spezialisierten Zentren der freie DIEP (Deep-Inferior-Epigastric-Perforator)Lappen als „State of the Art“ der Brustrekonstruktion etabliert. Der DIEP-Lappen ist als Eigengewebsrekonstruktion vom Unterbauch das Maß aller Dinge beim Brustaufbau bezüglich des ästhetischen Ergebnisses, der Form, Größe und Haptik sowie der Natürlichkeit der Brust. Ein positiver Nebeneffekt für viele Patientinnen ist die damit gleichzeitig durchgeführte Bauchdeckenstraffung, um den Hebedefekt zu schließen [7] (Abb. 4). Immer häufiger benötigen auch ältere Patienten einen freien Gewebetransfer. Erste Arbeiten zu den Risiken dieser aufwendigen und komplexen Eingriffe für ältere Patienten zeigen aber, dass der freie Gewebstransfer auch für diese Patientengruppe eine sichere Methode ist und ähnliche Erfolgsraten wie in der allgemeinen Bevölkerung hat. Alter als Risikofaktor oder gar Kontraindikation bestätigt sich daher nicht. Zudem ist immer zu bedenken, dass bei manchen dieser Patienten der freie Gewebstransfer die einzige Möglichkeit ist, eine Heilung zu erreichen oder eine Extremität zu erhalten.[9,10] Daneben existieren eine Reihe alternativer freier Lappen in der Brustchirurgie (S-GAP, TMG-Lappen), die bei speziellen Anforderungen individuell angewendet werden können und ebenfalls ihren festen Platz in der freien mikrochirurgischen Brustrekon- Eine Untersuchung aus dem eigenen Patientengut des Jahres 2009 zeigte zudem eine deutliche Reduzierung der Verweildauer von Patienten mit Hautweichteildefekten mit einer mittleren Verweildauer von 11,5 Tagen bei gestielten Lappenplasti- 876 ken und von 15,5 Tagen bei freien Lappenplastiken nach operativer Versorgung.[11] Sonderform Tissue Engineering Viele Defekte lassen sich mit Spalthaut oder Lappenplastiken decken. Der Gedanke, die Funktion und Anatomie der Haut nachzubilden, ist und bleibt aber faszinierend. Mit dieser Vision befasst sich das Tissue Engineering. Dabei unterscheidet man epidermalen und dermalen Hautersatz, biologische und synthetische sowie temporäre und permanente Hautersatzmaterialien. Kommerziell steht zum Beispiel für den temporären Hautersatz Suprathel® zur Verfügung. Es trägt bei oberflächlichen Verbrennungen zu einer sehr guten Regeneration und Schmerzreduktion der Haut bei und schützt zudem vor einer bakteriellen Besiedelung. Bei einem kompletten Verlust der Dermis besteht zum Beispiel die Möglichkeit, zusätzlich zur Spalthaut als dermalen Hautersatz Matriderm® aufzutragen. Dies kann zu einer verbesserten Viskoelastizität und einer damit verbundenen verminderten Wundkontraktion führen, was bei besonders beanspruchten Körper- Plastische Chirurgie a b c Abb. 4: Z. n. Ablatio Mamma re. bei Mamma-Ca. (Bild a und b). Brustaufbau mit freiem DIEP-Lappen aus dem Bauchraum. Bild c zeigt die intraoperative Hebung des durch die Gefäßendverzweigungen der A. epigastrica inferior versorgten Lappens. Bild d und e zeigen den Zustand einen Monat nach der Operation zum mikrochirurgischen Anschluss der Lappenplastik an die A. mammaria interna in Höhe der vierten rechten Rippe. Als Hebedefekt verbleibt eine quere Unterbauchnarbe bei gleich- d e zeitiger Bauchstraffung. Bild f zeigt die Komplettierung des Brustaufbaus mit Nippelrekonstruktion f und Vorhofneubildung durch Vollhaut aus der Leiste. teilen wie Gelenken von Bedeutung ist. Daneben sind einige neue vielversprechende Ansätze im Tissue Engineering in der Entwicklung, die aber in der klinischen Anwendung noch ihre Wirksamkeit beweisen müssen.[12] Literatur [1] Krupp, Rennekampff, Pallua. Plastische Chirurgie, Klinik und Praxis, Ecomed MedizinVerlag, 10/2010, II-8: 1-32. [2] Holle J. Plastische Chirurgie, Hippokrates Verlag 1994: 10-28. [3] Masquelet A, Gilbert A. Atlas der Lappenplastiken in der Chirurgie der Extremitäten, Enke Verlag 1998: 242-60. Fazit [4] Olivari N. Praktische Plastische Chirurgie, Kaden Verlag 2004: 474-550. Der Plastischen Chirurgie stehen mittlerweile eine ganze Reihe rekonstruktiver Maßnahmen und operativer Techniken zur Verfügung, die es uns erlauben, Patienten mit ihren spezifischen Problemen individuell zu behandeln. Durch die moderne Defektdeckung in der Plastischen Chirurgie ist es gelungen, die Therapiezeit zu verkürzen, die Infektionsrate zu verringern und die funktionellen wie ästhetischen Resultate deutlich zu verbessern. [5] Taylor GI. The angiosomes of the body and their supply to perforator flaps. Clin Plast Surg. 2003; 30: 331-42. (EBM IV) Kontakt Dr. Jörg Elsner Fachbereich Plastische, Rekonstruktive und Handchirurgie Chirurgisch-Traumatologisches Zentrum Asklepios Klinik St. Georg Lohmühlenstraße 5 20099 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-85 24 12 Fax (0 40) 18 18-85 34 37 E-Mail: [email protected] [6] Wie FC, Jain V, Celic N, Chen HC, Chuang DC, Lin CH. Have we found an ideal soft tissue flap? An experience of 672 anterolateral thigh flaps. Plast Reconstr Surg. 2002; 109: 2219-26. [7] Gabka C, Bohmert H. Plastische und Rekonstruktive [11] Soimaru C, Atila M, Eisenbrand A, Elsner J, Baetge J, Chirurgie der Brust, 2. Auflage, Thieme Verlag 2006, 120-97. Hebebrand D. Vergleichende Evaluation freier und gestiel- [8] Fansa H, Giunta RE. Brustrekonstruktion mit autolo- ter direkter Perforatorlappen zur Defektdeckung an den gem Gewebe: Aktuelle operative Standards und neue Ver- Extremitäten, Vortrag bei der Jahrestagung der DAM 2009 fahren, HaMiPla. 2008; 40: 217-8. Erlangen. [9] Khayal T, Heit Y, Pelzer M, Germann G. Ist Alter wirk- [12] Rennekampff HO. Tissue Engineering und Hautersatz lich ein Risikofaktor in der Mikrochirurgie? Plastische nach großflächigen Verbrennungen und Verletzungen, Chirurgie. 2009; 9(1): 27. Aesthetic Tribune. 2006; 6. [10] Moll WS, Weihrauch M, Reik M, Sauerbier M. Wie sicher sind freie Lappenplastiken beim Patienten über 60? Plastische Chirurgie. 2009; 9(1): 25. 877 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 Der kardiogene Schock Dr. Korff Krause, PD Dr. Ulrich Schäfer, Dr. Christian Frerker, Jasper von Wedel, PD Dr. Martin Bergmann, Dr. Alessandro Cuneo, Dr. Carsten Schneider, Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck Als kardiogener Schock wird eine durch Herzinsuffizienz bedingte Organ-Minderperfusion bezeichnet, die klinisch durch kühle Extremitäten, verminderte Nierenfunktion oder Bewusstseinsstörungen auffallen kann. Definitionsgemäß liegt dabei eine persistierende Hypotension (systolischer Blutdruck < 80 – 90 mmHg, Reduktion des arteriellen Mitteldrucks von 30 mmHg) bei reduziertem Cardiac Index (< 1,8 l/min/m² ohne Kreislaufunterstützung) und Erhöhung des links- oder rechtsventrikulären enddiastolischen Drucks (LVEDP > 18 mmHg, RVEDP > 10 – 15mmHg) vor. Ursachen Therapie Der kardiogene Schock tritt bei 5 – 8 Prozent der ST-Strecken-Hebungsinfarkte (STEMI) und in rund 2,5 Prozent der nicht-STEMI auf. Der ischämisch bedingte kardiogene Schock, die häufigste Erscheinungsform, kann durch mechanische Komplikationen wie Ventrikelseptum-Ruptur, Ruptur der freien Wände mit Perikardtamponade oder Papillarmuskelruptur mit freier Mitralklappeninsuffizienz verursacht sein. Andere, nicht-ischämische Ursachen wie akute Myokarditis, Takotsubo-Kardiomyopathie, Aortenklappeninsuffizienz bei Aortendissektion oder hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie sind weniger häufig, aber wichtige Differentialdiagnosen. Bei einem STEMI ist eine rasche Koronarangiographie mit Reperfusion Mittel der 1. Wahl.[1,4] Die SHOCK-Studie belegte eine absolute Risikoreduktion von 13 Prozent nach einem Jahr, also eine „number needed to treat“ von weniger als acht Patienten, um ein Leben zu retten. Mechanisch bedingte Ursachen sind entsprechend herzchirurgisch oder mit perkutanen Techniken zu versorgen. Neben intensivmedizinischem Monitoring sind weitere Therapieempfehlungen die nicht-invasive Ventilation mit PEEP oder mechanische Beatmung, Schleifendiuretike, Vasodilatoren, positiv inotrope Substanzen, BetaBlocker und mechanische Herz-KreislaufUnterstützungssysteme.[5] Diagnostik Liegt kein STEMI vor, ist die Echokardiographie die diagnostische Technik der Wahl, um die genannten Zustände zu erkennen. Ein Swan-Ganz-Katheter (PAKatheter) ist diagnostisch und auch zur Therapieeinstellung zu empfehlen. Alternative Diagnostik-Techniken wie PiccoKatheter oder Echokardiographie können zusätzlich hilfreich sein. 878 Dabei ist zu beachten, dass Katecholamine mittel- und langfristig einen ungünstigen Effekt auf die Prognose beim kardiogenen Schock haben. Dies zeigte beispielsweise die CASINO-Studie, die unter DobutaminGabe eine Erhöhung der Sechs-MonatsSterblichkeit von 42,3 Prozent gegenüber 28 Prozent in der Placebo-Gruppe verzeichnete.[6] Ursächlich hierfür können unter anderem folgende Katecholamin-Effekte sein: A) auf das Herz: Myozytennekrosen, Herunterregulierung der β-Rezeptoren, erhöhter Sauerstoffbedarf, Anstieg freier Radikale B) auf das Intestinum: Darmischämien durch Vasokonstriktion mit Verlust der Mukosabarriere und potenzieller Sepsis, Zytokinausschwemmung, Magenatonie mit der Gefahr der bakteriellen Besiedelung Andere positiv inotrop wirkende Medikamente wie Phosphodiesterasehemmer (z. B. Milrinone), Calcium-Sensitizer (Levosimendan) oder NO-Synthase-Hemmer (Tilarginin) können die hämodynamischen Parameter verbessern. Eine Mortalitätssenkung ließ sich aber bisher ebenso wenig konsistent belegen wie für den gegen das begleitende SIRS gerichteten KomplementC5-Antikörper Pexelizumab. Die Anwendung mechanischer Unterstützungssysteme beim kardiogenen Schock wird empfohlen, aber in der Praxis wird zum Beispiel die intraaortale Ballonpumpe (IABP) nur in 20 – 39 Prozent der Patienten angewendet. Die perkutan eingeführte Kardiologie Abb. 2 (rechts): Therapie- und Diagnostik-Algorithmus der zertifizierten Chest Pain Unit der Asklepios Klinik St. Georg bei kardiogenem Schock Abb. 1: Die frühe Revaskularisierung bleibt die entscheidende therapeutische Maßnahme beim kardiogenen Schock ischämischer Ursache mit signifikanter Verbesserung* der Mortalität.[1] IABP besteht aus einem in der Diastole aufgepumpten Ballon in der Aorta descendens, der zu einer diastolischen Druckerhöhung führt und so die Koronarperfusion verbessert, den Mitteldruck erhöht und die Nachlast senkt. In der Ära der Lyse-Therapie ergab sich ein deutlicher Überlebensvorteil von 18 Prozent bei kardiogenem Schock nach akutem Myokardinfarkt. Literatur [1] Hochman JS et al. Early revascularization in acute myocardial infarction complicated by cardiogenic shock. SHOCK investigators. Should we emergently revascularize Große Herzzentren halten weitere, zum Teil auch perkutan anwendbare mechanische Herzkreislauf-Unterstützungssysteme (LVAD) vor. Dazu gehören zum Beispiel die Impella®-Pumpe, eine axiale kontinuierliche Flow-Pumpe, die perkutan in den linken Ventrikel vorgebracht wird, das TandemHeart TM, eine links-atriale-femoralarterielle Flow-Pumpe, das LIFEBRIDGE®System, ein rechts-atrial-femoral-arterielles System mit Oxygenierung, die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO), biventrikuläre Systeme und andere extrakorporale Systeme bis zur Kunstherz-Therapie mit bridge-to-transplant oder bridgeto-destination Option. Ist eine Therapieeskalation nicht zu vermeiden, sollte im Zweifel im Sinne des Patienten frühzeitig ein Herzzentrum konsultiert werden. Kontakt occluded coronaries for cardiogenic shock. N Engl J Med 1999; 341: 625-34. [2] Connors AF, Jr. et al. The effectiveness of right heart catheterization in the initial care of critically ill patients. SUPPORT investigators. Jama 1996; 276: 889-97. [3] Cohen MG et al. Pulmonary artery catheterization in Dr. Korff Krause Kardiologie Asklepios Klinik St. Georg Lohmühlenstraße 5 – 20099 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-85 20 33 Fax (0 40) 18 18-85 38 69 E-Mail: [email protected] acute coronary syndromes: insights from the GUSTO IIb and GUSTO III trials. Am J Med 2005; 118: 482-8. [4] Hochman JS et al. Early revascularization and long- [6] Bayram M, De Luca L, Massie MB, Gheorghiade M. term survival in cardiogenic shock complicating acute Reassessment of dobutamine, dopamine, and milrinone in myocardial infarction. Jama 2006; 295: 2511-5. the management of acute heart failure syndromes. Am J [5] Dickstein K et al. ESC guidelines for the diagnosis and Cardiol 2005; 96: 47G-58G. treatment of acute and chronic heart failure 2008: the Task [7] Sjauw KD et al. A systematic review and meta-analysis Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic of intra-aortic balloon pump therapy in ST-elevation myo- heart failure 2008 of the European Society of Cardiology. cardial infarction: should we change the guidelines? Eur Developed in collaboration with the Heart Failure Associa- Heart J 2009; 30: 459-68. tion of the ESC (HFA) and endorsed by the European [8] Seyfarth M et al. A randomized clinical trial to evaluate Society of Intensive Care Medicine (ESICM). Eur J Heart the safety and efficacy of a percutaneous left ventricular Fail 2008; 10: 933-89. assist device versus intra-aortic balloon pumping for treatment of cardiogenic shock caused by myocardial infarction. J Am Coll Cardiol 2008; 52: 1584-8. 879 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 Genetischer Hintergrund chronisch entzündlicher Darmerkrankungen Ergebnisse der deutschen Zwillingsstudie Dr. Martina E. Spehlmann, Prof. Dr. Andreas Raedler Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) vom Typ Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind durch die Trias der Symptome abdominelle Schmerzen, Diarrhoen und peranale Blutungen gekennzeichnet. Endoskopischhistologisch findet sich eine nicht infektionsvermittelte chronische Entzündung der enteralen Kolonschleimhaut (Colitis ulcerosa) beziehungsweise der kompletten Wandschichten, potenziell des gesamten Gastrointestinaltraktes (M.Crohn). Die Ätiopathogenese der CED gilt als nicht geklärt, auch wenn sich bei Familienanalysen ein starker genetischer Einfluss demonstrieren lässt. In Zwillingskohorten zeigte sich, dass 56 Prozent monozygoter Zwillinge in Bezug auf die Manifestation eines M. Crohns konkordant, also beide Geschwister von der Erkrankung betroffen sind. Bei an Colitis ulcerosa erkrankten Zwillingen scheint der genetische Einfluss etwas geringer zu sein. Die Analyse des genetischen Hintergrundes verspricht auch bei vielen anderen Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Schlaganfall ein besseres pathophysiologisches Verständnis als Grundlage neuer therapeutischer und präventiver Strategien.[1] Eine Reihe genomweiter Analysen ließ mehr als 40 Epitope erkennen, die auf krankheitsrelevante Genabschnitte bei Patienten mit Morbus Crohn beziehungsweise Colitis ulcerosa hinweisen – aber auch solche, die sich beiden Erkrankungen zuordnen lassen. Das bisher am besten charakterisierte Gen ist das Card15, es kodiert für das NOD2-Protein.[2,3] Mutanten dieses Gens korrelieren mit dem Auftreten 880 eines Morbus Crohn im terminalen Ileum. Das NOD2-Protein hat eine große Affinität zu bakteriellen Membranstrukturen und ist Teil des angeborenen (innaten) Immunsystems. Mutanten des NOD2 sind mit einem failure of function, also einer verminderten Effektivität verbunden. Dies führt zu einer Verschiebung der antibakteriellen Reaktionen von der angeborenen zur erworbenen Immunantwort und zu einer Perpetuierung entzündlicher Prozesse in der Darmschleimhaut. Bei der Aufklärung des polygenetischen Hintergrundes einer Erkrankung und der Korrelation zum klinischen Erscheinungsbild ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten, da man große Kohorten von Patienten braucht, um mit Gewissheit sagen zu können, welcher Anteil genetischen Faktoren alternativ zu äußeren Risikofaktoren beizumessen ist.[4] Hier bieten Studien mit diskordanten monozygoten Zwillingen einzigartige Möglichkeiten, da jedem untersuchten Patienten gleichsam eine genetische Normalkontrolle zugeordnet ist. Darüber hinaus lassen sich auch extrinsische Risikofaktoren besser erarbeiten. Beobachtungen aus der deutschen Zwillingsstudie Analysen der deutschen Zwillingskohorte, die sich auf 194 Zwillingspaaren stützten, zeigen eine Reihe lebenszeitlicher Unterschiede, obwohl alle Zwillingspaare gemeinsam aufgewachsen sind.[5] Besonders überraschte die Beobachtung, dass signifikant häufiger der erstgeborene Zwilling erkrankte. Weitere Befunde dokumentierten ein erhöhtes Risiko, durch Infektionen an CED zu erkranken. Hierzu gehören insbesondere Infektionen des Gastrointestinaltrakts durch Bakterien, aber auch Infektionen der oberen Atemwege und der Harnwege. Damit einhergeht eine gehäufte Einnahme von Antibiotika durch erkrankte Zwillinge vor Ausbruch der Darmerkrankung. Diese Beobachtung kann darauf hinweisen, dass eine Infektion mit Bakterien in genetisch suszeptiblen Individuen zu einer unangemessenen Antwort des Immunsystems führen kann, die dann den Ausbruch einer Darmerkrankung fördert. Interessanterweise ließ sich auch ein gesteigerter Genuss industriell verarbeiteter Lebensmittel wie zum Beispiel Wurstwaren Gastroenterologie bei erkrankten Zwillingen nachweisen. Hieraus folgern wir, dass das Immunsystem Lebensmittelzusätze wie zum Beispiel Konservierungsstoffe fälschlich als feindlich erkennen und in der Folge überschießend aktiviert werden kann. Mikrobiologische Untersuchungen der Darmflora mit Analysen der bakteriellen Genmuster bestätigten eine Reduktion der Speziesvielfalt unter der CED, zeigten aber auch, dass monozygote Zwillinge eine wesentlich größere Ähnlichkeit aufweisen als dizygote Zwillinge oder Geschwister. Sequenzierung des kompletten Genoms Um weitere relevante Genorte zu identifizieren, ist als nächster Schritt eine vollständige Sequenzierung des Genoms diskordanter monozygoter Zwillinge (40 Geschwisterpaare) geplant. Von diesem ambitionierten Projekt, das ein hohes logistisches Design verlangt und in der klinischen Wissenschaft seinesgleichen vergeblich sucht, ist eine Fülle von komplettierenden Daten zu erwarten. Es wird zu einem neuen Verständnis der Pathophysiologie chronisch Abb. 1: Colitis ulcerosa Abb. 2: Morbus Crohn entzündlicher Darmerkrankungen und damit zur Entwicklung innovativer diagnostischer und therapeutischer Methoden führen. So sollen insbesondere Genkopiezahlvarianten (Gene copy number variants, CNV), also Abweichungen der Anzahl der Kopien eines bestimmten DNA-Abschnitts innerhalb eines Genoms, analysiert werden. mehr als 1.400 CNVs bekannt, die insgesamt 360 Millionen Basen umfassen. Das sind zwölf Prozent der drei Milliarden Basen des Genoms, wenn lediglich Abschnitte mit mehr als 1.000 Basen als CNVs gewertet werden. Entgegen der bisherigen Annahme, dass jedes Gen in zwei Kopien im Genom vorliegt, zeigen einige Gene einen Verlust oder Zugewinn von Genkopien. So kann ein Gen in nur einer, aber auch in drei, vier oder mehr Kopien vorliegen. Bisher sind Diese Variationen haben medizinische Konsequenzen: 16 Prozent der bekannten Gene, die mit Krankheiten zu tun haben, befinden sich in CNVs. Darunter sind Gene, die am Williams-Beuren- und dem Prader-Willi-Syndrom, an Schizophrenie, Muskelatrophie und Atherosklerose beteiligt sind. Ein klassisches Beispiel ist die 881 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 80 Anzahl der Zwillingspaare 70 60 50 40 30 20 10 0 MZ MC DZ MC MZ CU DZ CU Konkordante Paare Abb. 3: Konkordanzraten bei deutschen Zwillingen Diskordante Paare 80 mit CED *** Kontakt Zwillingspaare in Prozent 70 * ** 60 Prof. Dr. Andreas Raedler Innere Medizin – Gastroenterologie, Asklepios Westklinikum Hamburg Suurheid 20 – 22559 Hamburg 50 40 Tel. (0 40) 81 91 27 53 Fax (0 40) 81 91 27 99 30 E-Mail: [email protected] 20 Dr. Martina E. Spehlmann 10 0 MZ MC DZ MC Erstgeborene Zweitgeborene Unbestimmte Geburtenfolge MZ CU DZ CU * p<0,05 ** p<0,001 *** p<0,0001 ... im Vergleich zum Co-Zwilling Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Klinik für Innere Medizin 1, Lehrstuhl für spezielle Gastroenterologie, Campus Kiel Arnold-Heller-Straße 3 – 24105 Kiel Tel. (0 431) 597 23 50 Abb. 4: Geburtenfolge bei diskordanten Zwillingen mit CED – Verteilung der erst- und zweitgeborenen Geschwister Thalassämie. Sie lässt sich auf eine abweichende Kopien-Anzahl der Gene für Hämoglobin zurückführen. Durch die komplette Analyse des Erbguts diskordanter Zwillinge erhoffen wir uns die Identifizierung von CNVs, die für das Auftreten der Erkrankungen verantwortlich sein könnten. Außerdem werden grundsätzlich methodische Wege erarbeitet, die exemplarisch zur Aufklärung des genetischen Hintergrundes anderer Volkskrankheiten wie Hypertonus und Diabetes dienen können. 882 Literatur [4] Nikolaus S, Raedler A, Sifkas N, Kühbacher T, Fölsch [1] Hampe J, Franke A, Rosenstiel P, et al. A genome-wide UR, Schreiber S. Mechanisms in failure of infliximab for association scan of nonsynonymous SNPs identifies a Crohn’s disease. The Lancet. 2000; 356: 1475-9. susceptibility variant for Crohn disease in ATG16L1. Nat [5] Spehlmann ME, Begun AZ, Burghardt J, Lepage P, Genet. 2007; 39(2): 207-11. Raedler A, Schreiber S. Epidemiology of inflammatory [2] Hugot JP, Chamaillard M, Zouali H, et al. Association of bowel disease in a German twin cohort: results of a NOD2 leucine-rich repeat variants with susceptibility to nationwide study. Inflammatory bowel diseases. 2008; Crohn’s disease. Nature. 2001; 411(6837): 599-603. 14(7): 968-976. [3] Schreiber S, Rosenstiel P, Albrecht M, Hampe J, Krawczak M. Genetics of Crohn Disease, an archetypal Inflammatory barrier disease. Nature Reviews Genetics. 2005; 6: 376-88. Gynäkologie Brustkrebsfrüherkennung und MRT Dr. Dorothea Heyer Weltweit ist das Mammakarzinom die häufigste Krebserkrankung der Frau, in Deutschland geht man von 57.000 Neuerkrankungen und 18.000 Todesfällen pro Jahr aus. Die Inzidenz des Mammakarzinoms nimmt zu, wobei das Erkrankungsalter bei Erstdiagnose sinkt. Ziel der Mammadiagnostik ist die Brustkrebsfrüherkennung, da die Prognose neben vielen weiteren Faktoren von der Tumorgröße und vor allem vom Befall der lokoregionären Lymphknoten abhängt. Die Kernsäulen der bildgebenden Diagnostik sind Mammographie, Mammasonographie und Mamma-MRT. Mammographie In Deutschland wurde das MammographieScreening zur Früherkennung von 2005 bis 2009 schrittweise in den verschiedenen Regionen eingeführt. In Hamburg wird seit 2008 Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren in zweijährlichem Intervall die kostenfreie Mammographie angeboten. Der individuelle Nutzen der Screening-Mammographie überwiegt ab dem 40. Lebensjahr die sich aus der Strahlenexposition ergebenden Risiken. Das Optimum des Verhältnisses aus Nutzen und Risiko liegt zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr.[1] Im Bundesdurchschnitt treten 79 Prozent der Brustkrebserkrankungen nach dem 50. Lebensjahr auf, das mittlere Erkrankungsalter liegt in Deutschland bei 62 Jahren. Das ScreeningProjekt richtet sich an beschwerdefreie Frauen ohne anamnestische Risiken wie Brustkrebserkrankungen in der eigenen oder der Familienanamnese. Die Studienerfahrungen aus anderen Ländern, in denen das Screening langjährig etabliert ist, belegen, dass die klassische Screening-Mammographie bei konsequenter und hochqualifizierter Anwendung in der Lage ist, die Brustkrebssterblichkeit zu senken. Strittig ist aber das quantitative Ausmaß dieser Wirkung. So wurde bisher eine Mortalitätssenkung von 30 Prozent angenommen, die sich aber in Re-Analysen auf etwa 15 Prozent reduzierte. In den vergangenen Jahren wurden Stimmen laut, nicht die Mammographie allein, sondern die von der WHO vorgeschlagene Einbindung in eine qualifizierte, fachübergreifende und flächendeckende Diagnosekette lasse eine noch größere Effizienz und geringere Belastung der an dem Programm teilnehmenden Frauen erwarten. Das Mammographie-Screening-Projekt bietet derzeit den teilnehmenden Frauen lediglich die Mammographie. Nur bei auffälligem Mammographie-Befund schließt sich eine weiterführende Diagnostik mit Mammasonographie und zusätzlichen Mammographie-Aufnahmen an. Die Dichte der Drüsenparenchymstrukturen in der Mammographie wird entsprechend der Klassifizierung des American College of Radiology in vier Dichte-Stufen, ACR 1 (überwiegend lipomatös) bis 4 (extrem dicht), eingeteilt. Die Aussagekraft der Mammographie hängt entscheidend von der Gewebedichte ab. Abhängig vom jeweiligen Anteil an Fett- und Drüsengewebe schwankt deren Zuverlässigkeit für die Detektion eines Mammakarzinoms zwischen < 50 Prozent bei ACR 4 und annähernd 100 Prozent bei ACR 1. Bei Dichte ACR 3 und 4 ist die ergänzende Mammasonographie in der kurativen Mammographie obligat. Im Rahmen des Screening-Projekts erfolgt die Beurteilung der Mammographie ohne detaillierte Mitteilung des Befundes an die Patientin oder den behandelnden Arzt. Somit unterbleiben auch die Mitteilung einer Dichte-Einteilung und eine gegebenenfalls aufgrund der Parenchymdichte zu empfehlende Mammasonographie. Frauen mit einer mammographisch sehr dichten Brust (ACR 4) haben eine fünffach höhere Brustkrebswahrscheinlichkeit und sind deshalb als Gruppe mit einem erhöhten Risiko einzustufen. Speziell Intervallkarzinome sind bei sehr dichtem Brustdrüsengewebe um den Faktor 18 erhöht. Auf dem 34. Dreiländertreffen der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin wurde die bei der kurativen Mammographie obligate verbindliche Dichtebefundung auch für das Mammographie-Screening gefordert. Mehr als die Hälfte der Frauen unter 50 Jahren weisen ein heterogen dichtes oder sehr dichtes Brustdrüsenparenchym (ACR 3 oder 4) auf. Dies trifft auch auf jede dritte Frau im Screening-Alter zu, somit ist die alleinige Mammographie nicht optimal bei einer Sensitivität unter 50 Prozent.[4] Die S3-Leitlinie Brustkrebsfrüherkennung wurde 2003 in Deutschland implementiert, 2008 erstmals aktualisiert. Der Leitlinie entsprechend ist Frauen ab dem 40. Lebensjahr die Mammographie zur Brustkrebsfrüherkennung mit Untersuchungsintervallen zwischen ein und zwei Jahren anzuraten. Entsprechend der Drüsenparenchymdichte 883 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 ist sie durch eine hochauflösende Mammasonographie zu ergänzen. Bei Frauen mit brustkrebserkrankten Verwandten ersten Grades erfolgt ab dem 40. Lebensjahr eine jährliche Brustkrebsfrüherkennungsuntersuchung. Vor dem 40. Lebensjahr wird bei fehlendem Risikoprofil die Mammasonographie als primäre Methode auch aus Gründen der Strahlenexposition empfohlen. Liegt ein auf Brustkrebs hinweisendes Symptom vor, erfolgt die Mammographie obligat ab dem 35. Lebensjahr nach Durchführung der Sonographie.[1] Im Rahmen der Nachsorge bei Zustand nach BET des Mammakarzinoms erfolgt die Mammographie der operierten Seite halbjährlich über drei Jahre, die der Gegenseite jährlich. Ab dem dritten Jahr nach Therapie erfolgt die bildgebende Diagnostik in jährlichem Intervall. Eine weitere Indikation für die Mammographie besteht nach Operation bei Risikoläsionen (ADH, radiäre Narbe, CLIS), bei asymptomatischen Frauen über 70 Jahren sowie bei entzündlichen Veränderungen (Mastitis, Abszess). Die Mammographie ist die wichtigste bildgebende Untersuchung zur Früherkennung des Mammakarzinoms, da nur sie Mikrokalzifikationen zuverlässig darstellt, die bei bestimmter Morphologie auf ein duktales Carcinoma in situ hinweisen können.[3] Mammasonographie Die Sonographie der Mamma stellt neben der Mammographie derzeit das wichtigste bildgebende Verfahren bei dichten Drüsenparenchymstrukturen sowie zur weiterführenden Beurteilung und Dokumentation der Abklärung auffälliger mammographischer Befunde dar. Als alleinige Methode zur Früherkennung ist die Mammasonographie nicht geeignet.[3] 884 MR-Mammographie Bei Patientinnen mit stanzbioptisch gesichertem, lobulärem Mammakarzinom (BIRADS 6) ist das präoperative lokale MRT-Staging die wichtigste Indikation der MR-Mammographie. Die wesentlichen Aspekte betreffen den Nachweis mammographisch und sonographisch stummer Manifestationen in der näheren Umgebung des Index-Tumors (Multifokalität), den Ausschluss weiterer Karzinommanifestationen in anderen Quadranten (Multizentrizität) und die Dokumentation etwaiger kontralateraler Malignome.[1] Eine weitere Indikation ist die Differenzierung zwischen Tumorrezidiv und operationsbedingten narbigen Veränderungen nach BET bei Mammakarzinom. Die Mamma-MRT sollte als ergänzende Methode bei familiär erhöhtem Risiko (Mutationsträgerinnen des BRCA-1- oder -2-Gens) eingesetzt werden. Bei Frauen dieses Risikokollektivs wird eine Mammasonographie ab dem 25. Lebensjahr oder fünf Jahre vor dem frühesten Erkrankungsalter in der Familie lebenslang durchgeführt. Eine Mammographie erfolgt ab dem 30. Lebensjahr mit zusätzlicher halbjährlicher Mammasonographie und jährlicher MammaMRT, wenn möglich in spezialisierten Zentren des Konsortiums „Familiärer Brust- und Eierstockkrebs“. Eine Mamma-MRT wird zusätzlich bei eventuell eingeschränkten Untersuchungsbedingungen (bei Brustimplantaten zum Ausschluss eines Malignoms oder Leckage der Implantate) durchgeführt.[1] Außerhalb dieser Fragestellungen ist die MammaMRT in der Früherkennung nicht zu empfehlen.[1] Vor einer Mamma-MRT müssen die Bilder und Ergebnisse der konventionellen Mammadiagnostik und klinischen Untersuchung vorliegen, ohne vorherige konventionelle Diagnostik übernehmen die Krankenkassen die Kosten einer Mamma-MRT nicht. Voraussetzung einer Mamma-MRT ist die Möglichkeit der MRT-gestützten Intervention, falls keine Korrelation des MR-Befundes in der mammographischen oder sonographischen Diagnostik gegeben ist. Die Abklärung eines auffälligen Mamma-MRTBefundes sollte mit der die Patientin am wenigsten belastenden und ökonomisch effizientesten Interventionsmethode (sonographisch-, mammographisch- oder MRTgesteuert) erfolgen.[1] Die kontrastmittelverstärkte MR-Mammographie gehört heute zu den empfindlichsten bildgebenden Verfahren der Mammadiagnostik. Die Anwendung ist jedoch nicht unproblematisch. Voraussetzung sind adäquate Technik, korrekte Durchführung (Methodik), die Erfüllung der Anforderungen an die ärztliche Qualifikation sowie die Dokumentation. Abgesehen von den gerätetechnischen Voraussetzungen (siehe S3-Leitlinie) ist insbesondere die Beeinflussung der Befunde durch hormonelle Einflüsse oder vorherige therapeutische Maßnahmen zu berücksichtigen: ■ Terminierung der Untersuchung auf die 2. (bis 3.) Zykluswoche wegen zyklusbedingter hormoneller Einflüsse (kann bei präoperativ bedingtem Einsatz der Mamma-MRT nicht immer eingehalten werden) ■ Einfluss exogen zugeführter Hormone ■ Einfluss therapeutischer Maßnahmen (Einsatz der Mamma-MRT im Abstand von 6 – 12 Monaten nach operativer Therapie sowie im Abstand von mindestens zwölf Monaten nach Brust erhaltender Therapie mit Radiatio. Begründete Ausnahmen können bei Verdacht auf Tumorrezidiv sinnvoll sein).[1] Für die Befundung und Abrechnung der Mamma-MRT sind im ambulanten Sektor folgende Qualitätsanforderungen an die ärztliche Ausbildung und Expertise zu erfüllen: ■ Nachweis der Voraussetzung für die allgemeine Kernspintomographie im Gebiet „Diagnostische Radiologie“ ■ Erfüllung der apparativen und fachlichen Voraussetzungen zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Röntgenmammographie und Mammasonographie gemäß den Vereinbarungen zur Strahlendiagnostik sowie zur Ultraschallvereinbarung Gynäkologie Kontakt Dr. Dorothea Heyer Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Röntgendiagnostik fachgebunden (Mammadiagnostik) Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe Asklepios Klinik Wandsbek Alphonsstraße 14 – 22043 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-83 15 78 Fax (0 40) 18 18-83 16 33 E-Mail: [email protected] ■ selbstständige Durchführung und Befundung kernspintomographischer Untersuchungen der Mamma bei mindestens 200 Patientinnen mit mindestens 50 Prozent histologisch gesicherten Befunden. Die Untersuchungen haben unter Anleitung eines dafür entsprechend befähigten Arztes zu erfolgen. ■ erfolgreiche Teilnahme an einem Kolloquium der Kassenärztlichen Vereinigung Die Aufrechterhaltung dieser Expertise wird durch die Erfüllung weiterer jährlicher Auflagen legitimiert.[1] Für die ärztliche Qualifikation zur Durchführung MRTgesteuerter Markierungen im stationären Sektor gibt es bisher keine Empfehlungen, aber auch hier ist eine entsprechende Einhaltung von Qualitätsstandards zu fordern. Fazit In den vergangenen Monaten stellten die Medien forciert die Sinnhaftigkeit der Mammographie zur Brustkrebsfrüherkennung infrage und forderten den flächendeckenden Einsatz der Mamma-MRT. Die hohe Sensitivität der Mamma-MRT (> 95 Prozent) ist ein großer Vorteil der Methode. Andererseits ist die relativ niedrige Spezifität von 50 – 60 Prozent eine gewichtige Einschränkung, sodass, wie in den Leitlinien festgelegt, die Befunde der MammaMRT nur in Kenntnis der Befunde der klinischen Untersuchung, der Mammographie und der Mammasonographie bewertet werden dürfen.[2] der betreuende Arzt in der Aufklärung und Ermutigung der Frauen zur Wahrnehmung von Brustkrebsfrüherkennungsuntersuchungen berücksichtigen. Literatur [1] S3-Leitlinie Brustkrebsfrüherkennung in Deutschland; 1. Aktualisierung 2008: 23-4, 124, 128, 134, 172, 176 [2] Untch M, Sittek H (ed.). Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms, State of the Art; 5. Auflage 2008: 76. [3] Fischer U. CME Radiologie: Mammadiagnostik. In diesem Zusammenhang zitierte Studien, die eine höhere Zahl detektierter Mammakarzinome im Vergleich zur Mammographie angeben, wurden an Patientinnen mit entsprechendem Risiko-Profil (dichtes Parenchym, familiäre Belastung) durchgeführt. Eine Übertragung auf die allgemeine Situation der Brustkrebsfrüherkennung ist bis dato nicht gerechtfertigt. Daraus folgt, dass die Mamma-MRT derzeit nicht als alleinige Methode zur Brustkrebsfrüherkennung einsetzbar ist. Die Verunsicherung und Verängstigung von Frauen durch aggressive Bewerbung der alleinigen Mamma-MRT als Ersatz für eine mit Strahlenexposition vergesellschaftete Mammographie sind unzulässig und zu unterbinden. Dies sollte [4] Leinmüller R. Mammakarzinomscreening: Zusätzlicher Ultraschall bei dichter Brust gefordert. Dt. Ärzteblatt. 2010;107(46): 2287. 885 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 Somatoforme Störungen und Hypochondrie Angst vor Krankheit – krank vor Angst? Dr. Bianca Schwennen, Prof. Dr. Claas-Hinrich Lammers Ängste vor Erkrankungen gehören zu den Urängsten des Menschen. Krankheitsängste können aber Formen annehmen, bei denen Betroffene sich nicht mehr auf ihren Alltag konzentrieren und sich nur noch durch ständige ärztliche Rückversicherung vorübergehend beruhigen können. Starke und andauernde Ängste vor einer Erkrankung sind eine ernst zu nehmende psychische Erkrankung, da sie meist mit großem Leid und psychosozialen Beeinträchtigungen für den Betroffenen einhergehen. Und die Zahl der Patienten, die an einem solchen schweren und behandlungsbedürftigen psychosomatischen Störungsbild leiden, nimmt stetig zu. Zur Behandlung dieser Patienten hat die Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll die neue Station 42b mit den Schwerpunkten Somatisierungsstörungen und Hypochondrie sowie Essstörungen eröffnet. Merkmale und Definition Somatoforme Störungen galten lange Zeit als Neuland und weitgehend unerforscht, der Begriff dieses Störungsbildes wurde erst 1980 eingeführt. Bei somatoformen Beschwerden stehen medizinisch unklare körperliche Symptome im Vordergrund der klinischen Symptomatik. Die Betroffenen entwickeln eine Vielzahl unterschiedlicher und wechselnder Symptome, sodass 886 sich Aufmerksamkeit und Sorge immer wieder auf andere Körperfunktionen richten (polysymptomatische Störung). Folgende verwandte Bezeichnungen können beispielhaft auf somatoforme Störungen hinweisen: „Colon irritable“, „funktionelle Störung“, „chronic fatigue Syndrom“, „larvierte Depression“, „Reizmagen“, „psychovegetative Labilität“, „Globus hystericus“ sowie das „prämenstruelle Syndrom“. Somit stellt der Ausdruck der „somatoformen Störung“ einen Oberbegriff dar, unter dem verschiedene Störungsvarianten zusammengefasst sind. Dazu gehören die „(undifferenzierte) Somatisierungsstörung“, die „somatoforme autonome Funktionsstörung“ (zum Beispiel gastrointestinal, kardiovaskulär), die „anhaltende somatoforme Schmerzstörung“, die „hypochondrische Störung“ und die „körperdysmorphe Störung“. Die häufigsten von den Patienten als sehr quälend bezeichneten Beschwerden dieses Störungsbildes sind Bauchschmerzen, Übelkeit, Gefühle von Überblähung, eine belegte Zunge und ein schlechter Geschmack im Mund, rezidivierendes Aufstoßen, Durchfall, Atemlosigkeit, Brustschmerzen, Herzrasen oder -stolpern, Schweißausbrüche, Farbveränderungen der Haut und Taubheit oder Kribbelgefühle. Die hypochondrische Störung (als Unterform der somatoformen Störung) ist gekennzeichnet durch die anhaltende Sorge, an einer schweren körperlichen Erkrankung (insbesondere Tumore, kardiovaskuläre und neurologische Erkrankungen) zu leiden.[1] Im Vordergrund der Symptomatik steht also die Angst vor einer schweren und unheilbaren Erkrankung. Typisch sind das ständige Aufsuchen medizinischer Behandler oder die Verweigerung von Arztbesuchen. Gleichzeitig verweigert der Betroffene die ärztliche Feststellung, dass keine ausreichende körperliche Ursache für die körperlichen Symptome besteht. Als zentrale Merkmale des somatoformen Krankheitsbildes sind also persistierende körperliche Symptome ohne ausreichendes organmedizinisches Korrelat hervorzuhe- Psychiatrie und Psychotherapie ben. Dabei werden die Beschwerden als real und beeinträchtigend wahrgenommen, sind also weder eingebildet noch vorgetäuscht. In der Regel sind verschiedene Organsysteme oder Körperteile betroffen (Schmerzen, gastrointestinale Symptome, unspezifische Beschwerden) und die Symptome verursachen bei den Betroffenen ausgeprägtes Leid und Beeinträchtigungen. Charakteristisch ist eine selektive, nach innen gerichtete Aufmerksamkeit auf körperliche Vorgänge. Die Patienten entwickeln häufig eine ausgeprägte Intoleranz gegenüber ihren körperlichen Beschwerden und nehmen deshalb übermäßig oft medizinische Dienste in Anspruch. Epidemiologie und Gesundheitspolitik Somatoforme Störungen zählen zu den häufigsten psychischen Störungen. Die Abschätzung der Inzidenz ist erschwert, da eine körperliche Symptomatik oft nicht als somatoform erkannt wird. Zudem gehen viele Patienten nicht nur zu „klassischen“ Ärzten, sondern suchen auch nach alternativen Heilmethoden wie Akupunktur oder Homöopathie. Der Beginn der somatoformen Störung liegt meist vor dem 30. Lebensjahr oder in der Adoleszenz. Die Erkrankung verläuft bei den meisten Patienten chronisch, eine vollständige Remission ist selten. Kenn- zeichnend ist weniger die zeitliche Stabilität, sondern vielmehr ein Wechsel der vorherrschenden körperlichen Symptome. Die Prävalenz des Vollbildes der somatoformen Störung liegt bei 0,4 Prozent (0,03 – 8,4 %), die des multiplen Somatisierungssyndroms bei 13 Prozent (4,4 – 19 %). Die hypochondrische Erkrankung zeigt eine durchschnittliche Prävalenz von 4,8 Prozent (0,02 – 7,7 %).[5,7] Die somatoforme Erkrankung betrifft vor allem Frauen (93 % vs. 7 %), während die hypochondrische Störung bei beiden Geschlechtern etwa gleichhäufig vorkommt.[2,4] In allgemeinmedizinischen Praxen und Allgemeinkrankenhäusern leidet ein hoher Anteil der Patienten an einer somatoformen Störung, 20 – 30 Prozent aller stationären Aufnahmen in inneren Abteilungen erfolgen wegen „funktioneller Störungen“. Der Psychotherapeut ist somit meist nicht die erste Anlaufstelle, die Betroffenen werden vielmehr erst nach langem Störungsverlauf und einer langen Odyssee von Arztbesuchen zugewiesen. Bei etwa 83 Prozent der Patienten, die durchschnittlich das Neunfache der Kosten pro Kopf für medizinische Behandlungen verursachen, liegt eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit vor. Sehr hohe Komorbidität zeigt das somatoforme Störungsbild mit affektiven Störungen (komorbide depressive Störung bei 60 – 70 %), Angststörungen (vor allem Panikstörung, soziale Phobie, generalisierte Angststörung bei 20 – 50 %) und Persönlichkeitsstörungen (30 – 60 %). Am häufigsten sind dabei die Kriterien der selbstunsicheren (27 %), der paranoiden (21 %), der zwanghaften (17 %) und der histrionischen Persönlichkeit (13 %) erfüllt. Mit der hypochondrischen Erkrankung ist vor allem die Depression assoziiert (ca. 40 %). Eine weitere Komorbidität besteht zu Angststörungen, insbesondere der Panikstörung, die bei einem Drittel der Patienten vorliegt. Die somatoforme Störung ist mit einem niedrigen Bildungsniveau und schwachem sozioökonomischem Status verbunden. Häufig sind die Betroffenen unverheiratet. Auch scheint der Prozentsatz der Patienten mit somatoformen Beschwerden in städtischen Gebieten erhöht zu sein. Viele sind aufgrund der sie belastenden Symptomatik ohne feste Anstellung oder arbeitsunfähig. Es gibt Hinweise, dass auch die Struktur des medizinischen Versorgungssystems und kulturspezifische Stigmata von Bedeutung sind. So sind zum Beispiel in China emotionale Belastungen mit einem negativen sozialen Stigma behaftet und es wird eine rigide Selbstkontrolle verlangt. Durch die Präsentation somatischer Beschwerden lässt sich dann das mit psychischen Störungen verbundene negative Stigma umgehen. 887 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 Störungstheorien und -modelle An prädisponierenden beziehungsweise Risikofaktoren für die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer somatoformen Störung sind genetische Faktoren (hohe Konkordanz bei eineiigen Zwillingen, gehäuft familiäres Auftreten) zu nennen. Auch nach kritischen Lebensereignissen, schwerwiegenden Belastungen und Traumata (z. B. Vernachlässigung, körperliche Erkrankungen) in der Kindheit können somatoforme Störungen auftreten. Gehäuft lassen sich frühe Erfahrungen mit der Krankenrolle oder Modelle für Krankheitsverhalten in der Jugend (zum Beispiel chronisch kranke Eltern) finden. Vermutlich spielen gestörte Prozesse der Aufmerksamkeit und interozeptiven Wahrnehmung von Körperreizen und damit verbunden eine Beeinträchtigung des Habituationsprozesses an körperliche Veränderungen eine wichtige Rolle (somatosensorische Verstärkung). Mögliche Auslösebedingungen können schon minimale organische Dysfunktionen wie Darmträgheit, harmlose Schwellungen oder Muskelverspannungen sein. Die Patienten erleben diese „normalen“ Körperempfindungen als schädlich und beeinträchtigend, interpretieren unangenehme Empfindungen wie Herzklopfen nach Lagewechsel, Kurzatmigkeit bei Anstrengung oder Schwitzen bei Angst als pathologisch. Wichtig ist, die Beteiligung von Stress als auslösenden beziehungsweise aufrechterhaltenden Faktor bei somatoformen Beschwerden zu erklären. Dabei kann Krankheitsangst selbst eine Stressreaktion auslösen und Missempfindungen verstärken. Physiologische körperliche Reaktionen werden vom Patienten also als bedrohliche Krankheitszeichen fehlinterpretiert. 888 Bedeutsam sind auch unrealistische und dysfunktionale Erwartungen („ein gesunder Körper ist frei von Beschwerden“), falsche Zusammenhänge zu physiologischen Körperfunktionen und übertriebene Ansprüche an die Medizin („der Arzt muss immer die richtige Diagnose und Behandlung finden“). Konsequenzen und insbesondere „Vorteile“ einer somatoformen Erkrankung wie vermehrte Zuwendung des Arztes oder der Familie, Vermeidung von als unangenehm erlebten Verpflichtungen oder die Herausnahme aus der Arbeitsbelastung können die Symptomatik und das Krankheitsverhalten operant verstärken. Die somatoforme Erkrankung erlaubt dem Patienten so die Gestaltung zwischenmenschlicher Kommunikation. Typische Einstellungsmuster auf kognitiver Ebene bei somatoformen Beschwerden sind insbesondere katastrophisierende Bewertungen („Fühle ich mich körperlich schlapp, hat dies etwas Schlimmes zu bedeuten.“), erhöhte Sensibilität gegenüber körperlichen Missempfindungen und damit verbunden Intoleranz gegenüber körperlichen Beschwerden („Bei körperlichen Beschwerden hole ich sofort ärztlichen Rat ein, da ich diese nur schlecht aushalte.“). Damit verknüpft sind Verhaltensweisen wie ein wiederholtes „Checking“ des Körpers und damit verbunden ein „doctor-shopping“, also eine überhäufige Inanspruchnahme des Gesundheitssystems mit Veranlassung zahlreicher Untersuchungen und die ständige Suche nach Rückversicherung des Arztes über die Gutartigkeit der Beschwerden.[11] Ausgeprägtes Kontrollieren des Körpers, Schon- und Vermeidungsverhalten, oft verbunden mit sozialem Rückzug, reduzieren die körperliche Belastbarkeit und provozieren wiederum körperliche Missempfindungen. Patienten mit einer hypochondrischen Erkrankung vermeiden insbesondere die Konfrontation mit Krankheitsthemen (Krankenhäuser, Spielfilme, Gesundheitsreportagen). Dieser Teufelskreis beeinträch- tigt die Lebensqualität der Betroffenen am Arbeitsplatz und in der Freizeit. Therapie Eine körperliche Grunderkrankung sollte sicher ausgeschlossen sein, bei offenen Fragen eine zeitlich befristete, für den Patienten transparente Diagnostikphase erfolgen. Eine klare Haltung des Arztes unter Vermeidung von Bagatell- und Verdachtsdiagnosen („Sie haben nichts“) reduziert die Unsicherheit des Patienten. Sehr wichtig ist es, dem Betroffenen ein für ihn verständliches psychophysiologisches Krankheitsmodell zu vermitteln („Die wahrscheinlichste Ursache Ihrer Beschwerden ist keine schwere Erkrankung, sondern eine gestörte Wahrnehmung normaler Körperprozesse, wie sie oft unter Stress vorkommt.“). Dabei sollten die Beschwerden ernst genommen und die Glaubhaftigkeit der Symptome bestätigt werden, denn häufig haben die Betroffenen einen langen Leidensweg mit sehr negativen Behandlungserfahrungen hinter sich. Viele Patienten erleben ihren Körper negativ und problembehaftet. Dadurch werden nicht nur negative, sondern auch positive Körperempfindungen verändert wahrgenommen oder ignoriert. Die Behandlung sollte also ein positives Körpererleben und die Entwicklung eines positiven Selbstbildes fördern. Wahrnehmungsprozesse und Aufmerksamkeitslenkungsübungen (unter Einbeziehung von Genusstraining) [6] können deutlich machen, wie Beschwerden entweder intensiver oder weniger intensiv wahrgenommen werden. Entspannungsverfahren dienen als Basisinterventionen bei somatoformen Störungen. Sie helfen, das erhöhte psychophysiologische Aktivierungsniveau zu senken und so körperliche Missempfindungen durch Verspannungen zu reduzieren. Biofeedback demonstriert psychophysiologische Zusammenhänge zwischen externen Ein- Psychiatrie und Psychotherapie flüssen, kognitiven Prozessen und körperlichen Reaktionen.[10,12] Das starke Vermeidungs- und Schonverhalten lässt sich durch Veranschaulichung des Teufelskreises zwischen Schon-/Vermeidungsverhalten, reduzierter körperlicher Belastbarkeit und häufigen körperlichen Missempfindungen abbauen. Wichtig ist der Hinweis, dass eine Verhaltensänderung oft zunächst mit einer Symptomverschlechterung verbunden ist, um dann in einen besseren Trainingszustand zu münden. Auf ähnliche Weise ist dem Patienten bezüglich seines Kontrollverhaltens und der damit einhergehenden Suche nach Rückversicherung zu demonstrieren, dass dies nur kurzfristig beruhigend wirkt, langfristig jedoch die Missempfindungen erhöht und die Krankheitsängste steigert. Die kognitive Umstrukturierung dysfunktionaler Bewertungsprozesse (absolutistische Interpretation körperlicher Missempfindungen) lässt sich unterstützend durch Verhaltensexperimente untermauern. Somatoforme Beschwerden können als Folge von Kommunikationsproblemen entstehen, aber auch Kommunikationsschwierigkeiten mit sozialem Rückzug und Isolation erzeugen. Viele Betroffene verweisen bei Konfliktsituationen „entschuldigend“ auf ihre körperlichen Beschwerden und geringe Belastbarkeit. Beim sozialen Kompetenztraining sollten daher Übungen zur verbesserten Kommunikationsfähigkeit mit einer Motivierung zum Aufbau eines sozialen Netzwerkes einhergehen. Auch eine emotionale Hemmung kann die Entwicklung psychischer und somatoformer Symptome hervorrufen.[9] Zu den „einfachen“ Interventionen, die den emotionalen Ausdruck fördern sollen, gehört zum Beispiel, dass Patienten sowohl verbal als auch schriftlich in bestimmten Situationen die emotionale Befindlichkeit und die begleitende Kognition beschreiben.[8] Einen weiteren Ansatz beschreibt die Konkordanztherapie:[3] Dabei wird versucht, emotionales Befinden, Mimik und Gestik zu einem konkordanten Ausdruck zu bringen. Es wird vermutet, dass viele psychische Spannungszustände wie Interaktionsstörungen dadurch ausgelöst werden, dass Emotionen nicht eindeutig und klar geäußert werden können. Für die berufliche Reintegration stehen Hilfsmöglichkeiten wie sukzessive berufliche Wiedereingliederung und Belastungserprobungen innerhalb des stationären Rahmens zur Verfügung. Mit dem Arzt sollte der Patient feste, also zeitkontingente Termine vereinbaren, spontane Arztbesuche möglichst vermeiden. Kontakt Dr. Bianca Schwennen I. Fachabteilung für Affektive Erkrankungen – PSY 42B Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Langenhorner Chaussee 560, Haus 17 22419 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-87 17 26 Fax (0 40) 18 18-87 17 27 E-Mail: [email protected] Literatur [1] Bleichardt G, Hiller W. Krankheitsangst bei Patienten in ambulanter Verhaltenstherapie: Psychopathologische, medizinische Inanspruchnahme und Mediennutzung. Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin. 2006; 27: 29-41. [2] Bleichardt G, Hiller W. Hypochondria and health Die psychopharmakologische Behandlung somatoformer Störungen spricht – parallel zur Behandlung chronifizierter Schmerzstörungen – am ehesten auf Antidepressiva an. Vermutlich nehmen trizyklische Antidepressiva wie Doxepin, Amitriptylin oder Timipramin auf die körperliche Symptomatik stärker Einfluss als etwa SerotoninWiederaufnahme-Hemmer. Der Therapeut sollte dem Betroffenen helfen festzustellen, worin das Problem besteht – und nicht, worin es nicht besteht. Zur Behandlung dieser Patienten wurde an der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll die neue Station 42b mit dem Schwerpunkt Somatisierungsstörungen und Hypochondrie sowie Essstörungen eröffnet. Das Team der spezialisierten Station bietet Betroffenen die Möglichkeit, sich mit modernen verhaltenstherapeutischen Konzepten wie störungsspezifischen Gruppen, Achtsamkeitsund Emotionsregulationstraining behandeln zu lassen. anxiety in the German population. British Journal of Health Psychology. 2007; 12: 511-23. [3] Gerber WD, Miltner W, Birnbaumer N, Haag G. Konkordanztherapie, Manual. München: Röttger-Verlag. 1993. [4] Gureje O, Üstun TB, Simon GE. The syndrome of hypochondriasis: A cross-national study in a primary care. Psychological Medicine. 1997; 27: 1001-10. [5] Looper KJ, Kirmayer LJ. Hypochondriacal concerns in a community population. Psychological Medicine. 2001; 31: 577-84. [6] Lutz R. Euthyme Therapie. In: Margraf (Ed.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band I. Berlin: Springer. 1996: 335-52. [7] Noyes R, Happel RL, Yalga SJ. Correlates of hypochondriasis in a nonclinical population. Psychosomatics. 1999; 40: 461-9. [8] Pennebaker JW. Opening-up: The Healing Power of Confiding in Others. New York: William Morrow. 1990. [9] Pennebaker JW, Traue HC. Inhibition and psychosomatic process. In: Traue HC, Pennebaker JW (Eds.), Emotion, Inhibition and Health. Seattle: Hogrefe & Huber. 1993: 146-63. [10] Rief W, Heuser J, Fichter MM. Biofeedback – ein therapeutischer Ansatz zwischen Begeisterung und Ablehnung. Verhaltenstherapie. 1996; 6: 43-50. [11] Salkovskis PM, Warwick HMC. Morbid preoccupations, Health anxiety and reassurance: a cognitive-behavioural approach to hypochondriasis. Journal of Psychosomatic Research. 1986; 24: 597-602. [12] Schwartz MS. Biofeedback. A practioner’s guide. Second edition. New York: Guilford Press. 1995. 889 Medtropole | Ausgabe 19 24 | Oktober Januar 2011 2009 K O N T A K T Dr. Holger Lawall Angiologie, Diabetologie Gefäßzentrum Hamburg West Asklepios Westklinikum Hamburg Suurheid 20 22559 Hamburg Tel. (0 40) 81 91-20 00 E-Mail: [email protected] Dr. Holger Lawall Asklepios Westklinikum: Neue Abteilung für Angiologie Ab März 2011 verfügt das Asklepios Westklinikum über eine Fachabteilung für Gefäßmedizin/Angiologie und Diabetologie unter der Leitung von Dr. Holger Lawall. Lawall studierte Humanmedizin in Mainz und Homburg/Saar. 1988 promovierte er mit einer Arbeit über die spontane Thrombozytenaggregation bei Kindern mit Diabetes mellitus Typ 1 (magna cum laude), die auch seine weitere wissenschaftliche und klinische Arbeit prägte. Nach einjähriger neurologischer Assistenzarzttätigkeit in Gießen wechselte Lawall 1988 in die Medizinische Klinik Nord des Städtischen Klinikums Dortmund mit den Schwerpunkten Angiologie und Diabetologie, wo er 19882001 arbeitete – ab 1994 als Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin. In der Folge erwarb er die Schwerpunktbezeichnungen Angiologie und Diabetologie sowie die Teilgebietsbezeichnung Phlebologie. Ab 1998 baute Lawall eine Gefäß- und Gerinnungsambulanz mit KV-Ermächtigung auf und leitete sie, von 1995 an war er Beauftragter der Deutschen Hochdruckliga für Dortmund. 2001 wechselte Lawall als leitender Oberarzt für Innere Medizin und Leiter der Sektion Angiologie und Diabetologie in das SRH-Klinikum KarlsbadLangensteinbach, wo er ab 2003 eine vertragsärztliche Diabetes-, Wund- und Fußambulanz einrichtete und die Gefäßambulanz leitete. Für den Aufbau eines regionalen Wundnetzes zur Behandlung chronischer Wunden erhielt Lawall den 1. Preis Qualitätsförderpreis Gesundheit des Landes Baden-Württemberg 2009. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind diabetische Angiopathie und diabetisches Fuß-Syndrom, Gefäßkrankheiten und venöse Thromboembolie. Er ist Verfasser zahlreicher Originalarbeiten und Über- 890 K O N T A K T Priv.-Doz. Dr. Matthias Nagel Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie Asklepios Klinik Nord – Wandsbek Alphonsstraße 14 22043 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-83 0 E-Mail: [email protected] Priv.-Doz. Dr. Matthias Nagel sichtsartikel zu diesen Themenschwerpunkten und nimmt an zahlreichen nationalen und internationalen Studien zu diesen Themen teil. Zudem ist Lawall Mitglied in nationalen Gremien, Fachgesellschaften und im Beirat der Deutschen Gesellschaft für Angiologie/Gefäßmedizin sowie Mitherausgeber der nationalen S3Leitlinie PAVK (awmf/II/065-003) 2009 und Mitglied in der Steuerungsgruppe der S3-Leitlinie Carotisstenose. Im Asklepios Westklinikum möchte er, gemeinsam mit der etablierten Gefäßchirurgie und der hochmodernen interventionellen Radiologie, eine komplette patientenorientierte gefäßmedizinische und diabetologische Versorgung als Anlaufstelle für gefäßmedizinische Fragen und Probleme aufbauen. Asklepios Klinik Nord: Neue Psychiatrie in Wandsbek Priv.-Doz. Dr. Matthias Nagel leitet ab März 2011 als Chefarzt die neue Psychiatrische Abteilung am Standort Wandsbek. Sie gehört organisatorisch zur Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll, befindet sich aber auf dem Gelände der Asklepios Klinik Wandsbek. Matthias Nagel wurde 1968 in Hamburg geboren, studierte Humanmedizin an der Universität Hamburg. Das Praktische Jahr verbrachte er in Los Angeles und im AK Altona, seine AiP-Zeit an der Klinik für Neurologie und Neurochirurgie am Klinikum Nord und in der Neurologie der MU Lübeck. 2000 promovierte Nagel an der Universität Hamburg bei Prof. Zangemeister zum Thema „Beeinflussbarkeit der Synkinesie koordinierter Kopf- und Augenbewegungen durch die transkranielle Magnetstimulation des Zerebellums“. Er arbeitete als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Lübeck bei Prof. Hohagen sowie im Institut für systemische Neurowissenschaften des UKE bei Prof. Büchel. Seit 2006 ist Nagel Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, wo er die Hochschulambulanz, den Konsildienst, die Gedächtnisambulanz, die Arbeitstherapie, die psychiatrische Institutsambulanz sowie die geschlossene Station leitete. Seit 2009 leitete er ein sozialmedizinisch-epidemiologisches Forschungsprojekt der Psychiatrie Lübeck mit dem MDKNord. Nagels wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die funktionelle Bildgebung (fMRT) bei der Schizophrenie (DFG-Förderung), die Affektregulation bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen und die Forschung im Bereich Diabetes mellitus als Risikofaktor für die Alzheimer-Demenz (BMBF-Förderung). Seine klinischen Schwerpunkte sind die Akutpsychiatrie sowie die Behandlung von Patienten mit psychischen Störungen im höheren Lebensalter, Schizophrenien, Depression, störungsspezifische Therapien sowie die Supervision. Die neue Psychiatrie in Wandsbek besteht aus insgesamt fünf Stationen mit den Schwerpunkten Akutpsychiatrie, psychische Störungen im höheren Lebensalter, affektive Störungen, Allgemeinpsychiatrie einschließlich Sucht sowie Psychosen und verfügt über 110 vollstationäre Betten sowie 20 tagesklinische Plätze. Vorgesehen ist auch die Einrichtung einer Psychiatrischen Institutsambulanz. Personalia K O N T A K T Dr. Sven Nagel Asklepios Klinik Nord – Heidberg Tangstedter Landstraße 400 22417 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-87 30 86 E-Mail: [email protected] Dr. Sven Nagel Asklepios Klinik Nord: Neue Abteilung für Wirbelsäulenchirurgie Seit Januar leitet Dr. Sven Nagel die neue Abteilung für Wirbelsäulenchirurgie in der Asklepios Klinik Nord – Heidberg. Der bisherige Leitende Arzt der Wirbelsäulenchirurgie und Oberarzt der Abteilung für Unfall-, Wiederherstellungs- und orthopädische Chirurgie des St. Marien-Hospitals in Mülheim an der Ruhr wurde 1970 in Hannover geboren, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sein Studium der Humanmedizin absolvierte Nagel an der Medizinischen Hochschule Hannover, das Praktische Jahr führte ihn unter anderem an das Roger Williams Medical Center der Brown University in Providence, Rhode Island. Nach dem Studium arbeitete Nagel als Arzt im Praktikum in der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie unter Prof. Wolter am BUK Hamburg-Boberg. 1998 promovierte er mit dem Thema „Einfluss von Matrixgrößen und Akquisitionsdosen auf die diagnostische Leistungsfähigkeit der digitalen Speicherfolienradiographie“ bei Prof. Galanski in der Abteilung für radiologische Diagnostik der Medizinischen Hochschule Hannover. Seine Assistenzarztzeit verbrachte Nagel in der Orthopädie und orthopädischen Rehabilitation (CA Prof. Dufek) sowie in der Klinik für Wirbelsäulenchirurgie mit Skoliosezentrum und Zentrum für Thoraxwanddeformitäten (CA Prof. Halm) des Klinikums Neustadt/Holstein, wo er in den Jahren 2005 bis 2007 auch als Oberarzt arbeitete, bevor er 2008 als Leitender Oberarzt der Sektion Wirbelsäulenchirurgie und Oberarzt an die Abteilung für Unfall-, Wiederherstellungs- und orthopädische Chirurgie (CA Dr. Elenz) des St. Marien-Hospitals in Mülheim an der Ruhr wechselte. 2010 übernahm er hier die Leitung der Sektion Wirbelsäulenchirurgie. 2004 erhielt Dr. Sven Nagel die Anerkennung zum Fach- K O N T A K T Priv.-Doz. Dr. Aglaja Stirn Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Asklepios Westklinikum Hamburg Suurheid 20, 22559 Hamburg Tel. (0 40) 81 91-25 00 Fax (0 40) 81 91-25 99 E-Mail: [email protected] Priv.-Doz. Dr. Aglaja Stirn arzt für Orthopädie, 2006 zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Darüber hinaus führt er die Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Chirotherapie, Physikalische Therapie, Spezielle Orthopädische Chirurgie und Spezielle Unfallchirurgie. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft und der European Spine Society. In der Asklepios Klinik Nord möchte er neben den etablierten Fachdisziplinen eine umfassende Wirbelsäulenchirurgie aufbauen. Neue Chefärztin für Psychosomatik im Asklepios Westklinikum Am 1. Januar übernahm Priv.-Doz. Dr. Aglaja Valentina Stirn als Nachfolgerin von Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens die Leitung der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Asklepios Westklinikum Hamburg. Die Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin, Gruppentherapeutin, Notärztin und Sexualtherapeutin leitete zuletzt den Bereich Psychosomatik der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Aglaja Stirn wurde in Wiesbaden geboren, studierte nach einem Studium generale am Leibniz Kolleg Tübingen Humanmedizin an der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Auslandsaufenthalte führten sie in dieser Zeit an die Columbia University, New York, nach Bhetul, Indien, und Kathmandu, Nepal. Nach dem Studium arbeitete sie in der Inneren Medizin des St. Josef Hospitals Wiesbaden, anschließend leitete sie zwei Jahre die Psychotherapiestation der Landesnervenklinik Andernach. Sie arbeitete unter Prof. Otto Kernberg auf der Borderline-Station des Cornell Medical Center, New York, sowie bei Prof. Lester Luborsky an der University of Pennsylva- nia, Philadelphia. Stirns klinische Tätigkeit begann an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Johann Wolfgang Goethe-Universität unter Prof. Gerd Overbeck. 2004 absolvierte sie ein Forschungsjahr bei Prof. Singer im MaxPlanck-Institut für Hirnforschung. 2005 kehrte sie zurück und trat die Nachfolge Overbecks an. 1996 promovierte Stirn „summa cum laude“ zum Thema „Veränderung des Selbst- und Objekterlebens unter stationärer Psychotherapie – eine sprachinhaltsanalytische Untersuchung mit der ZBKT-Methode nach Luborsky an drei essgestörten Patientinnen“. 2006 folgte die Habilitation für das Fach Psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit dem Titel „Psychosoziale und psychodynamische Hintergründe von Körpermodifikationen“. Stirns wissenschaftliche Schwerpunkte umfassen Essstörungen, Körperschemastörung, selbstverletzendes Verhalten, interkulturelle Themen, Hirnforschung, Depression, sexuelle Funktionsstörungen sowie die Vernetzung von Somatik und Psychosomatik. Sie ist aktives Mitglied nationaler und internationaler Fachgesellschaften sowie Reviewerin, wissenschaftliche Beirätin und Herausgeberin internationaler Fachzeitschriften. Zudem ist sie Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Fachbeiträge und Bücher. Im Asklepios Westklinikum möchte sie das psychosomatisch-psychotherapeutische Angebot ausbauen und die Vernetzung zwischen Somatik und Psychosomatik fördern. Dazu gehören unter anderem die Themenfelder gynäkologische Psychosomatik, Psychoonkologie, Psychokardiologie, Krankheitsverarbeitung und Schmerztherapie. Weitere Schwerpunkte werden die Psychotherapie des Alters, Burn-out und reaktive Depression sein und sie wird sich weiter mit der engen KörperPsyche-Interaktion beschäftigen. 891 K O N T A K T Prof. Dr. Carolin Tonus Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie Asklepios Klinik Nord – Heidberg Tangstedter Landstraße 400 22417 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-87 36 67 Fax (0 40) 18 18-87 31 12 E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Carolin Tonus Asklepios Klinik Nord: Neue Abteilung für Allgemeinchirurgie Ab Januar verfügt die Asklepios Klinik Nord – Heidberg über eine Fachabteilung für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie unter der Leitung von Prof. Dr. Carolin Tonus. Die in Frankfurt am Main geborene Chirurgin ist verheiratet und Mutter eines achtjährigen Sohnes. Sie studierte in ihrer Geburtsstadt und absolvierte die Facharztausbildung am Klinikum Offenbach und an der BG-Unfallklinik Frankfurt. 1998 wurde Tonus Fachärztin für Allgemeinchirurgie, 2005 erhielt sie die Schwerpunktbezeichnung Viszeralchirurgie, 2008 die Zusatzbezeichnung Proktologie. Von 2002 bis 2006 etablierte sie als Oberärztin eine onkologische Spezialstation im Klinikum Offenbach. 2006 trat sie ihre erste Chefarztstelle im Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda an, seit 2008 in Funktion der stellvertretenden ärztlichen Direktorin. Nach externer Habilitation 2002 und Erhalt einer apl. Professur 2010 folgte der Wechsel nach Hamburg. Stipendien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der Vereinigung der Bayerischen Chirurgen, der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie, der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Japanischen Gesellschaft für Chirurgie ermöglichten Prof. Tonus Aufenthalte in renommierten Kliniken Europas, Amerikas, Asiens und Australiens. 2002 erhielt sie für die Innovation eines CT-gestützten Navigationssystems im Rahmen der intraoperativen Strahlentherapie den MüllerOsten-Preis. Die Willy-und-Monika-PitzerStiftung gewährte der Chirurgin 2006 und 2007 Sachmittel für die transanale Rektumchirurgie. Neben der akademischen Lehre und dem chirurgischen Alltag übernahm Tonus auch berufspolitische Ämter: Prüfungskommission des Hessischen Landesprüfungsamts für Heilberufe, Kranken- 892 hausausschuss und Prüfungskommission der Landesärztekammer Hessen, Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen in Hessen sowie die Arbeitsgruppe Kolonkarzinom der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinund Viszeralchirurgie. Wissenschaftlich beschäftigte sich die 44jährige Chirurgin seit Jahren mit gut- und bösartigen Erkrankungen des Dick- und Enddarms mit dem Schwerpunkt der fachübergreifenden Therapie von Kolon- und Rektumkarzinomen – insbesondere der Bestrahlung von Tumoren während der Operation am offenen Bauch (IORT). Gemeinsam mit Prof. Dr. Rückert und dem chirurgischen Team strebt Prof. Tonus die Zertifizierung als Darmzentrum an. Einen weiteren klinischen Schwerpunkt stellt die moderne Schilddrüsenchirurgie dar. Urologie Therapie des invasiven Blasenkarzinoms Radikale Zystektomie Dr. Holger Böhme, Prof. Dr. Andreas Gross Das Harnblasenkarzinom steht beim Mann unter allen Tumorerkrankungen an vierter, bei der Frau an sechster Stelle. Als Todesursache auf Position 6 beim Mann und bei der Frau auf Position 8. Die Erkrankung ist in den westlichen Industrieländern beim Mann etwa drei Mal so häufig wie bei der Frau. Die höhere Tumorrate bei Männern ist wahrscheinlich auf berufsbedingte Exposition mit krebsauslösenden Stoffen und stärkeren Zigarettenkonsum zurückzuführen. Die Gesamtzunahme der Erkrankung während der vergangenen zwei Jahrzehnte in der westlichen Welt geht natürlich auch auf die Maskulinisierung unserer Welt zurück: Frauen übernehmen typisch männliche Verhaltensweisen und Berufe, das führt zur Zunahme der Inzidenz bei Frauen. Die Häufigkeit der Harnblasentumoren steigt ab dem 40. Lebensjahr und erreicht ein Maximum in der sechsten und siebten Lebensdekade. Das durchschnittliche Alter der Patienten beträgt 65 Jahre. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose handelt es sich in 70 – 80 Prozent der Fälle um ein oberflächliches, nicht invasives Tumorgeschehen. Häufig sind eine asymptomatische Erythrozyturie und später eine Makrohämaturie Anzeichen für diese Tumorerkrankung. Diagnostik Das Harnblasenkarzinom wird primär cystoskopisch gesichert. Die histologische Verifizierung erfolgt durch transurethrale Resektion des Tumorbefundes. Man unterscheidet zwischen oberflächlichem und invasivem Tumorwachstum. Zur Ausbreitungsdiagnostik gehören ein i. v.-Pyelogramm und/oder ein Kontrastmittel-CT des Abdomen. Bei unklarem Ausbreitungsstadium können ein Ganzkörperknochenscan, eine Abdomensonographie und eine MRT hilfreich sein. Therapie Oberflächliche Blasentumoren lassen sich lokal mit der transurethralen Resektion und einer anschließenden Instillationstherapie mit einem Chemotherapeutikum bzw. BCG gut beherrschen. Dennoch kommt es bei 25 Prozent der Patienten zu einem Fortschreiten der Erkrankung (muskelinvasives oder infiltrierendes Blasenkarzinom). Tumoren, die die Blasenmuskelschicht erreichen, können nicht mehr Organ erhaltend therapiert werden. Will man den Patienten heilen, bleibt nur die radikale Entfernung der Harnblase. Diese Operation beinhaltet beim Mann die En-bloc-Entfernung von Harnblase, Prostata und der distalen Ureteren. Männern kann unter Einhaltung der Radikalität ein Gefäßnervenbündel – also Potenz – erhaltendes Vorgehen angeboten werden.[4] Uterus und Ovarien möglich. Um gute onkologische Ergebnisse zu erreichen, geht der Trend beim infiltrativen Blasenkarzinom derzeit hin zur frühzeitigen Zystektomie. Bereits beim pT1 high grade-Tumor und Cis ist diese anzustreben.[5] Auch beim älteren Patienten wandelt sich derzeit die Strategie, selbst beim lokal fortgeschrittenen Karzinom. Dies ist speziell bei quälender Dysurie und lokaler Schmerzsymptomatik sinnvoll, um eine Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen. Hier reduzieren neue, schonendere Operationstechniken sowie eine Revolution im postoperativen Management – das FastTrack-Verfahren – das Risiko des Eingriffs deutlich.[6] Bei der Frau werden standardmäßig Harnblase, Urethra, distale Ureteren, Uterus mit vorderem Vaginaldach, Ovarien und viszerales Peritoneum entfernt. In besonderen Fällen ist aber auch ein Erhalt von Vagina, 893 Medtropole | Ausgabe 24 | Januar 2011 Abb. 1: Separierung von 55 – 60 cm des terminalen Ileum, antimesenteriale Abb. 2: Die Neoblase ist fast komplett formiert, im Bildrand rechts sind die Inzision und Bildung einer Neoblase durch Adaptation der eröffneten Darm- vorgelegten Anastomosenfäden für den Anschluss an die Urethra zu sehen schlingen Abb. 3: Anastomosierung des linken Harnleiters an die Neoblase Abb. 4: Bei der Anlage eines Ileum-Conduits (feuchtes Stoma) werden der rechte und linke Harnleiter in der Wallace-Technik aneinandergenäht Harnableitung Bei der Harnableitung werden kontinente und inkontinente beziehungsweise feuchte Verfahren unterschieden. Bei den meisten Patienten erfolgt die Harnableitung in ein entsprechendes Darmreservoir. Dieses wird bei kontinenter Ableitung via naturalis über die Urethra oder ein katheterisierbares Stoma ausgeleitet.[2] Die inkontinente Variante erfolgt über ein Stoma im Hautniveau. Eine insbesondere unter palliativen Aspekten interessante Harnableitung ist die Ureterhautfistel.[3] 894 Onkologische und funktionelle Ergebnisse Die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei muskelinvasivem, nicht Organ überschreitendem Harnblasenkarzinom liegt im Bereich von 75 Prozent. Aufgrund der Fortentwicklung operativer Techniken und perioperativer anästhesiologischer Maßnahmen sank die perioperative Mortalität auf ein bis drei Prozent.[1] Insbesondere die postoperative Betreuung ist für den Verlauf entscheidend. Revolutionär war die Einführung des FastTrack-Konzeptes. Dabei werden die Patienten bereits am ersten postoperativen Tag mobilisiert. Der Kostaufbau beginnt ebenfalls unmittelbar postoperativ. Dadurch sind Komplikationen im Zusammenhang mit der Darmanastomose deutlich redu- ziert. Durch die Standardisierung der OPTechnik und zunehmend kürzere OP-Zeiten, eine schonendere Anästhesie sowie die Einführung des Fast-Track-Konzeptes im postoperativen Verlauf gelang es, die Morbidität des Eingriffes deutlich zu senken.[6] Fazit Der behandelnde Urologe steht heute vor der Herausforderung, gemeinsam mit dem Patienten und dessen Angehörigen eine maßgeschneiderte Lösung auszuwählen. Insbesondere die familiäre und damit die Versorgungssituation sowie mentale und körperliche Eignung sind für die Auswahl der Harnableitung von großer Bedeutung. Eine kontinente Harnableitung wie die Hautmann-Neoblase scheint auf den ersten Urologie Abb. 5: Rechter und linker Harnleiter werden beim Ileum-Conduit an einem Abb. 6: Das so entstandene Conduit wird am präoperativ gemeinsam vom 15 cm langen Abschnitt des terminalen Ileum anastomosiert Patienten und Operateur angezeichneten Punkt im Hautniveau ausgeleitet Blick Ziel aller Wünsche zu sein. Sie setzt aber neben einer sehr guten Compliance einen entsprechenden Allgemeinzustand, eine intakte Nieren- und Atemfunktion sowie eine engmaschige ambulante Verlaufskontrolle voraus. Literatur [1] Hautmann RE, de Petriconi R, Gottfried HW, Kleinschmidt K, Mattes R, Paiss T. The ileal neobladder. Compli- Dr. Holger Böhme cations and functional results in 363 patients after 11 years of follow up. J Urol. 1999; 161: 422-8. [2] Hautmann RE. The ileal neobladder. Urol Clin North Am. 2001; 9: 85-107. Dagegen ist die unpopuläre feuchte Harnableitung im Langzeitverlauf mit einer sehr guten Lebensqualität selbst bei multimorbiden Patienten verbunden. Sie ist deshalb für ältere Patienten mit Begleiterkrankungen oft die bessere Wahl – insbesondere bei einer palliativen Indikation zur Zystektomie. Kontakt [3] Hautmann RE. Urinary diversion: ileal conduit to neobladder. J Urol. 2003; 169: 834-42. Urologische Abteilung Asklepios Klinikum Barmbek Rübenkamp 220 22291 Hamburg Tel. (0 40) 18 18-82 98 21 Fax (0 40) 18 18-82 98 29 [4] Walsh PC. Foreword to DVD: Anatomical radical retropubic prostatectomy: detailed description of the surgical E-Mail: [email protected] technique. J Urol. 2004; 171: 2114. [5] Albers P, Heidenreich A. Radikale Zystoprostatektomie und pelvine Lymphadenektomie. Aktuel Urol. 2008; 39: 313-27. [6] Kehlet H. Prinzipien der Fast-Track-Chirurgie. Multimodale perioperative Therapieprogramme. Chirurg 2009; 80: 687-9. 895 ISSN 1863-8341 Geschichte der Medizin Von Erbsenzählern und Erbkrankheiten: Meilensteine der Genforschung Jens Oliver Bonnet Als der Augustinermönch Gregor Johan Mendel 1865 die Ergebnisse seiner Kreuzungsexperimente mit 28.000 Gartenerbsen veröffentlichte und seine Vererbungsgesetze formulierte, bestätigte er damit die Beobachtungen, die Charles Darwin 1859 in seinem Werk „On the Origin of Species by Means of Natural Selection“ beschrieben hatte, ohne aber die zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Anders als Darwin hatte sich Mendel auf sieben Merkmale beschränkt, die leicht zu beobachten waren und nicht von Umweltfaktoren wie Wetter oder Dünger abhingen. Die große Zahl seiner Gartenerbsen ermöglichte ihm eine statistische Auswertung der Nachkommenaufspaltung. So erkannte Mendel nicht nur, dass die Eltern an ihre Kinder für jedes Merkmal ein Allel von der Mutter und eines vom Vater weitergeben, sondern auch die Existenz dominanter und rezessiver Gene. 1907 zeigte Thomas Hunt Morgan, der „Vater der Genforschung“, an der Taufliege Drosophila melanogaster, dass paarweise auftretende Chromosomen Träger des Erbmaterials sind. 1944 entdeckte Oswald Avery anhand der Transformation von Pneumokokken die Bedeutung der DNA als Träger der Erbinformationen, 1950 fand Erwin Chargaff heraus, dass die DNA aus Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin besteht und dass immer die Menge Adenin zu Thymin und Cytosin zu Guanin gleich ist – diese Basen also paarweise vorliegen. Im gleichen Jahr erkannten Rosalind Elsie Franklin und Maurice Hugh Frederick Wilkins am Londoner King‘s College anhand von Röntgenbeugungsdiagrammen, dass die DNA in Form einer aus zwei oder drei Ketten zusammengesetzten Helix vorliegen muss.[1,2] Dies nutzten der www.medtropole.de Amerikaner James Watson und der Brite Francis Crick, nachdem sie herausfanden, dass Adenin Cytosin abstößt, aber mit Thymin zusammenpasst, und schufen am 28. Februar 1953 das bis heute gültige räumliche Modell einer Doppelhelix, in der die Basen über Wasserstoffbrücken verbunden sind.[3] 1962 wurden nur Wilkins, Watson und Crick für diese bahnbrechende Entdeckung mit dem Nobelpreis geehrt, da Rosalind Franklin bereits 1958 im Alter von 37 Jahren an Krebs gestorben war. 1955 entschlüsselte der britische Biochemiker Frederick Sanger die Aminosäuresequenz des Insulins und zeigte, dass Eiweiße aus einer definierten Abfolge von Aminosäuren bestehen.[4] 1961 erkannte Crick, dass Botenmoleküle (mRNA) nötig sind, um die Informationen der DNA aus dem Zellkern ins Zytoplasma zu transportieren. Im gleichen Jahr synthetisierte Marshall Nirenberg einen mRNA-Strang, der die Aminosäure Phenylalanin definierte. Darauf aufbauend klärten 1965 Heinrich Matthaei und Severo Ochoa den genetischen Code auf: Drei DNA-Bausteine (Triplets) definieren jede der 20 Aminosäuren. 1983 entwickelte Kary Banks Mullis die PCR und revolutionierte so die Molekularbiologie.[5] offiziell als vollständig entschlüsselt. Die Bedeutung der Gene wird seit 2003 in Folgeprojekten erforscht. Doch die Genforschung beschränkt sich nicht auf die Diagnostik: Am 14. September 1990 führte der Amerikaner French Anderson die erste Gentherapie am Menschen durch: Die vierjährige Ashanti DeSilva litt an der seltenen angeborenen Immunschwäche SCID und musste in einer sterilen Umgebung leben. Ihren Lymphozyten fehlte das Entgiftungsenzym Adenosin-Desaminase (ADA), so dass sie schnell zugrunde gingen. Selbst kleinere Infektionen waren für das Kind lebensbedrohlich. Anderson entnahm seiner kleinen Patientin Blut und schleuste im Reagenzglas ein gesundes ADA-Gen in die Lymphozyten ein. Anschließend wurden ihr die modifizierten Zellen per Infusion zurückgegeben. In der Folge konnte Ashanti DeSilva ein normales Leben führen und sogar eine öffentliche Schule besuchen.[6] Allerdings musste die Gentherapie wegen der begrenzten Lebensdauer der Lymphozyten regelmäßig wiederholt werden. Nach den sensationellen Anfangserfolgen dämpften allerdings zahlreiche Rückschläge mit schweren Nebenwirkungen und sogar Todesfällen die Euphorie der Wissenschaftler. Literatur 1988 wurde die Initiative „Human Genome Project“ in den USA und in Japan beschlossen, um das menschliche Erbgut systematisch zu entschlüsseln. Die Koordination übernahm 1990 die „Human Genome Organisation“ (HUGO). Im gleichen Jahr startete das Human Genome Project unter der Leitung von James Watson, der das Projekt aber 1992 im Streit verließ, weil er die Patentierung von Gensequenzen ablehnte. 2000 wurde die Rohfassung des menschlichen Genoms veröffentlicht, seit April 2003 gilt das menschliche Genom [1] Franklin R, Gosling RG. Molecular Configuration in Sodium Thymonucleate. Nature. 1953; 171: 740-1. [2] Wilkins MHF, Stokes AR, Wilson HR. Molecular Structure of Deoxypentose Nucleic Acids. Nature. 1953; 171: 738-40. [3] Watson JD, Crick FHC. A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid. Nature. 1953; 171: 737-8. [4] Sanger F. The early days of DNA sequences. Nat Med. 2001; 7: 267-8. [5] Mullis K. The unusual origin of the polymerase chain reaction. Scientific American. 1990; 262(4): 56-65. [6] Thompson L. Der Fall Ashanti, die Geschichte der ersten Gentherapie. Birkhäuser Verlag, Basel, 1995