Montessori - meier

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THEMEN SCHWERPUNKT
Auszug
aus
Montessori-Pädagogik
und
MONTESSORI
Gerhard Klein
Zeitschrift rur Montessori-Pädagogik
Vorbemerkung zum Thema
Montessori-Vereinigung Deutschland e.V., Sitz Aachen
43. Jahrgang (2005) - Heft 3
Autor:
Professor Dr. Gerhard Klein,
Schlossgartenstr. 105, 72793 Pfullingen
Gehirnforschung*
Das Thema dieses Vortrags gehört nicht zum Kanon der Vorträge von
Montessori-Diplomkursen. Warum haben wir dann dieses Thema aufgenommen?
Zwischen den Aussagen Montessoris zur kindlichen Entwicklung und den
Ergebnissen der modernen Gehirnforschung gibt es Ähnlichkeiten und
Parallelen, die zum Teil erstaunlich sind, die als Bestätigung der Erkenntnisse Montessoris gewertet werden können und die sie z.T. auch ergänzen.
Man könnte auch sagen, die Gehirnforschung hat nun auch gefunden, was
Montessori schon erkannt hatte.
Die Methoden
Die Methoden, wie die Erkenntnisse von Montessori bzw. den Gehirnforschern gewonnen wurden, sind allerdings völlig unterschiedlich. Ehe wir
uns mit den inhaltlichen Gemeinsamkeiten befassen, werde ich daher
zunächst etwas zu den Methoden der Erkenntnisgewinnung sagen.
Von Montessori wissen wir, dass sie nicht nur die Erzieher aufgefordert hat,
die Kinder zu beobachten, sondern dass sie selbst eine sehr gute
Beobachterin war und dass sie die beobachteten Phänomene genial interpretierte. Natürlich hat sie auch viel von dem gelesen, was an pädagogischer, psychologischer und medizinischer Literatur zur Verfügung stand. In
ihren Schriften und Vorträgen ist allerdings nicht immer genau zu erkennen,
welche Erkenntnisse sie übernommen hat und welche nur durch eigene
Beobachtungen gewonnen wurden.
Die Gehirnforschung dagegen versteht sich als Naturwissenschaft, die alle
modernen Möglichkeiten der Neurobiologie und Neurophysiologie nutzt,
um die Entwicklung und die Reaktionen des menschlichen Gehirns zu
* Vortrag beim Montessori-Diplomkurs.
Pädagogische Akademie Comburg am 21.1. 2005
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untersuchen (mikroskopisch und elektronisch), und diese Erkenntnisse mit
dem Verhalten des Kindes in Verbindung setzt.
Zwei Begriffe gilt es noch zu klären, damit die Aussagen der Gehirnforschung zum Lernen besser verständlich sind.
Die ältere Gehirnforschung stützte sich hauptsächlich auf Beobachtungen
bei Menschen mit Hirnverletzungen, aus denen man erkennen konnte, weIche Areale des menschlichen Gehirns für welche Funktionen zuständig
sind. Man konnte so z.B. das motorische oder sensorische Sprachzentrum,
das Sehzentrum oder die Region der willkürlichen Bewegungen lokalisieren. Mit dem Fortschritt der mikroskopischen Untersuchungen konnte z. B.
die Entwicklung der Gehirnzellen und des Fasernetzes der Verbindungen
zwischen den Neuronen dargestellt werden, wie sie Frederic Vester (1978,
S.32) in seinem Buch "Denken, Lernen, Vergessen" aufgenommen hat.
1. In der Gehirnforschung ist von Neuronaler Repräsentation die Rede. Was
ist damit gemeint?
Eindrücke, die wir von der Außenwelt in uns aufnehmen, werden in den
Nervenzellen (Neuronen) repräsentiert, hinterlassen dort Spuren. Die neuen
Eindrücke verändern die Neuronen und sind damit im Gehirn präsent.
Nervenzellen speichern so Informationen. Der Ulmer Psychiater und
Hirnforscher, Manfred Spitzer (2002, S.12), auf den ich mich hauptsächlich
beziehen werde, beschreibt dies wie folgt:
"Nervenzellen stehen für bestimmte Aspekte der Umgebung, für Ecken
und Kanten, Gerüche und Klänge, für die Mutter und den Vater, für
Gesichter und vertraute Plätze, für Wörter und Bedeutungen, für Pläne,
Wünsche und Werte
"Man sagt das Neuron repräsentiert etwas,
wenn es aktiviert wird, indem dieses Etwas im Gehirn verarbeitet wird."
2. Synapsen
Zur Veranschaulichung des Begriffs "Synapse" mögen folgende
Darstellungen aus dem Buch von Spitzer dienen:
Schnitt durch eine Partieder menschlichenGroßhirnrindezum Zeitpunktder Geburt (links),danebenim Alter
von drei Monaten. Man erkennt deutlich, dass sich die entscheidenden
Veränderungen
im Gehirn innerhalb
der ersten drei Lebensmonate abspielen (nach Conel).
Die neueren Methoden der Gehirnforschung wurden vor allem durch die
Computertomografie möglich, durch die Positronenemissionstomografie
(PET)und die Magnetresonanztomografie(MRT).
Durch einen Vergleich der Bilder des Gehirns in Ruhestellung und bei
bestimmten geistigen Leistungen konnte man sichtbar machen, bei weichen geistigen Leistungen welche Areale des Gehirns aktiv sind. Dieses
Erzeugen von Bildern des Gehirns, auf denen seine Funktionenzu sehen
sind (als funktionelles Neuroimaging bezeichnet), hat viele Forschungsmöglichkeiten eröffnet.
.
98
3.1 Lichtmikroskopische
(links) und elektronenmikroskopische
Zellkörper. nicht aber die Dendriten) sowie schematische
Aufnahme (oben rechts; zu sehen ist nur der
Darstellung eines Neurons (unten rechts). Es erhält
über dünne Fasern Impulse von anderen Neuronen, verarbeitet diese und schickt dann über sein Axon (nur
eines pro Neuron) entweder selbst einen Impuls weg oder nicht (vql. Spitzer 1996).
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"Das Können steckt in der Vernetzung der Neuronen und insbesondere
in den Stärken der synaptischen Verbindungen" (a.a.O., S. 55).
So viel in aller Kürze zu den Methoden und Voraussetzungen der
Hirnforschung. Nun zu den ähnlichen oder vergleichbaren Ergebnissen,
Interpretationen und ihren pädagogischen Folgerungen bei Montessori und
in der Gehirnforschung.
3.2 Die Übertragung von Nervenimpulsen findet an Synapsen statt. Dies geschieht dadurch. dass beim
Eintreffen des Impulses (links) kleine Bläschen in der Synapse. die einen Überträgerstoff (Neurotransmitter)
enthalten, mit der Wand der Synapse verschmelzen (Mitte).wodurch der Neurotransmitter freigesetzt wird untl
seinerseits die nachfolgende Zelle erregt (rechts).
Aus: Spitzer (2002): lernen, Gehirnforschung und die Schule des lebens, S. 42, 43
"Die Übertragung von einem Neuron zu einem anderen geschieht an
einer Synapse. Von der Stärke dieser Verbindung, dieser Synapse,
hängt es ab, ob ein Impuls einen großen oder kleinen Effekt auf die
Erregung der nächsten Nervenzelle ausübt"
"Der gleiche Impuls kann
also an verschiedenen Synapsen ganz unterschiedlich wirken: Ist die
synaptische Verbindung stark, so wird das nachfolgende Neuron stark
erregt, ist die Verbindung schwach, geschieht am nachfolgenden
Neuron wenig." (a.a.O., S. 42, 43)
Man könnte vielleicht auch sagen, bei einem Wackelkontakt oder einem
"verstopften" Schalter passiert nichts.
Die Synapsen entscheiden also darüber, ob und mit welcher Stärke eingehende Impulse weitergegeben werden.
"Die eingehenden Impulse werden an den Synapsen gewichtet (bewertet) und mehr oder weniger stark übertragen
Je nach Stärke der
Übertragung kann der gleiche Input das eine Neuron erregen, das
andere jedoch nicht." (a.a.O., S.44)
Die Synapsenstärke bildet sich durch Wiederholung, durch Übung. Sollen
also Impulse an einer bestimmten Synapse weitergegeben werden, so
bedarf es der Übung. Je öfter der Vorgang sich wiederholt, umso schneller,
leichter und intensiver verläuft der Prozess und umgekehrt.
100
1. Eigenaktivität
An erster Stelle ist hier die Erkenntnis zu nennen, dass die Entwicklung
eines Kindes und die Lernprozesse von seiner Eigenaktivität getragen werden. Dass Lernen kein passiver Vorgang ist, betont die Gehirnforschung
genauso wie Montessori.
"Lernen erfolgt nicht passiv, sondern ist ein aktiver Vorgang, in dessen
Verlauf sich Veränderungen im Gehirn des Lernenden abspielen"
(Spitzer, 2002, S.4).
Das Bild des Nürnberger Trichters wird von beiden Seiten als untauglich
abgewiesen. Zwar bedient sich heute kein Mensch mehr des Bildes vom
Nürnberger Trichter, wenn Lernvorgänge beschrieben werden sollen, doch
hat sich in unserer Sprache bis heute der Begriff des "Eintrichterns" erhalten. In der Praxis finden wir oft Formen des Eintrichterns unter der
Bezeichnung "gezieltes Training".
"Das Kind ist nicht ein leeres Gefäß, das wir mit unserem Wissen angefüllt haben und das uns so alles verdankt. Nein, das Kind ist der Baumeister des Menschen, und es gibt niemand, der nicht von dem Kind,
das er selbst einmal war, gebildet wurde"(Montessori, 1978, S. 13).
Entsprechend heißt es bei Spitzer (2002, S. 4):
"Wer Lernen für einen passiven Vorgang hält, der sucht nach dem richtigen Trichter. Wer aber Lernen als eine Aktivität versteht,... der sucht
keinen Trichter, sondern denkt über die Rahmenbedingungen nach,
unter denen diese Aktivität am besten stattfinden kann. Wer im Käfig
hockt, der kann nicht laufen und wer einen leeren Teller vor sich hat, der
kann nichts essen":
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Darin finden wir einen Hinweis auf die "vorbereitete Umgebung" und auf die
das Lernen hemmende Wirkung
(1) einer anregungsarmen Umgebung oder
(2) der Unterdrückung der Aktivität eines Kindes.
Beide Faktoren, die anregungsarme Umgebung, vor allem aber die Unterdrückung oder Lähmung der Eigenaktivität eines Kindes, können zu
wesentlichen Ursachen für Lernbehinderungen werden (Klein, 2002).
2. Sensible Phasen
Was Montessori unter sensiblen Phasen versteht, setze ich als bekannt voraus.
Die Entwicklungsbiologie
spricht von "Zeitfenstern" oder "kritischen
Perioden", innerhalb deren ein bestimmtes Verhalten erlernt werden muss.
Ist diese Zeit verstrichen, so wird es danach schwer oder fast unmöglich,
dieses Verhalten noch zu erwerben.
Am Beispiel einer Untersuchung bei Sumpfmeisen erläutert Spitzer (2002,
S. 207 f.) die Wirkungen einer sensiblen Phase. Sumpfmeisen überleben
den Winter nur, weil sie an bis zu 10 000 verschiedenen Orten Nüsse,
Bucheckern u. a. versteGkt haben. Diese Orte wieder zu finden, gelingt
ihnen nur, weil sie" im Laufe ihrer Entwicklung in ihrem Gehirn einen
besonders großen Speicherplatz (Hippokampus) ausgebildet haben.
Zwischen dem 30. und etwa 50. Lebenstag beginnen diese Vögel mit dem
Verstecken von Nüssen u. a. und in dieser Zeit wächst im Gehirn der
Hippokampus besonders stark. Jungvögel, denen man in dieser kritischen
Periode nur gemahlene Nüsse als Futter gab, konnten das Versteckverhalten nicht ausüben, da gemahlene Nüsse sich nicht verstecken lassen. Es
zeigte sich, dass der Hippokampus in dieser Zeit nicht wuchs und auch
später so klein blieb wie bei anderen Vögeln. Auch wenn diese Tiere später
normale Nüsse bekamen, blieb der Speicherplatz für räumliche Merkpunkte
im Gehirn klein und das Steckverhalten blieb rudimentär.
Entsprechendekritische Periodenfür die Ausbildung von Fähigkeiten und
Fertigkeiten gibt es auch beim Menschen. Spitzer (2002, S. 210) weist auf
die Ahnlichkeit mit dem begrenzten Zeitraum der "Prägung" hin, wie sie
Konrad Lorenz an seinem berühmten Beispiel mit den Graugänsen
beschrieben hat.
102
"Wählt man das Kriterium etwas weicher, so gibt es sehr viel mehr kritische Perioden, die man vielleicht besser als sensible Perioden...
bezeichnen sollte. Während solcher Phasen ist das Erlernen bestimmter Sachverhalte oder Fähigkeiten besonders leicht und erschließt
gleichsam einen bestimmten Raum für weiteres Lernen."
Die Parallelität der Begriffe und Gedanken zu Montessori ist offensichtlich.
Ein anderer bekannter Hirnforscher, Wolf Singer (2003, S. 74), führt dazu
aus:
"Die Existenz zeitlich gestaffelter sensibler Phasen für die Ausbildung
verschiedener Hirnfunktionen führt zu dem Postulat, dass das Rechte
zur rechten Zeit verfügbar sein oder angeboten werden muss. Es ist
nutzlos oder womöglich sogar kontraproduktiv, Inhalte anzubieten, die
nicht adäquat verarbeitet werden können, weil die entsprechenden
Entwicklungsfenster nicht offen sind. Da bislang nur wenige Daten darüber vorliegen, wann das menschliche Gehirn welche Informationen
benötigt, ist wohl die beste Strategie, sorgfältig zu beobachten, wonach
Kinder fragen".
Auch Singer wiederholt, was Montessori zu den sensiblen Phasen schon
ausgeführt hat. Von besonderem Interesse ist der Hinweis, dass wir bislang
wenig darüber wissen, "wann das menschliche Gehirn welche Informationen benötigt". Den genauen Zeitpunkt für das Auftreten sensibler Phasen
wissen wir also nicht. Auch Singer hält darum, wie Montessori, das sorgfältige Beobachten für die beste Strategie, um sensible Phasen zu erkennen.
Ähnlich beschreibt der Psychologe und Familienforscher Hartmut Kasten
vom Staatsinstitut für Frühpädagogik in München das Phänomen.
"Die Kinder suchen dann von sich aus 'passende' neue Gegenstände
aus und beginnen damit, sich konzentriert und ausdauernd mit diesen
zu beschäftigen
Die orientierenden Hinwendungen des Kleinkindes
zu neuen (und/oder vertrauten) Gegenständen sollten aufmerksam
beobachtet werden
Das Kind wird von sich aus signalisieren, mit weichen Dingen es sich intensiver befassen möchte" (Kasten, 2003, S. 64).
103
3. Absorbierender Geist / psychischer Embryo
Montessori (1978) bezeichnet die Art und Weise, wie Kleinkinder im Alter
zwischen 0 und 6 Jahren die Wirklichkeit in sich aufnehmen und dabei lernen, als "absorbieren". Das Kleinkind sauge die Welt in sich ein wie ein
Schwamm. Weil sie aber das Kind vom ersten Tag seines Lebens an als
Geistwesen versteht, als werdende Person, darum sagt sie, in dieser Phase
sei der "absorbierende Geist" im Kind wirksam. Dieses Absorbieren der
Welt, dieses Lernen des Kleinkindes geschehe unbewusst, mit Leichtigkeit
und sei von nachhaltiger Wirkung.
Die von Montessori gebrauchte Metapher des "Saugens" finden wir auch
bei verschiedenenHirnforschern.
Spitzer (2002, S. 10) nennt das menschliche Gehirn einen effektiven
"Informationsstaubsauger" , das gar nicht anders könne. als alles Wichtige
um es herum aufzunehmen und effektiv zu verarbeiten. Roth spricht davon,
dass das Gehirn sich mit Gesellschaft voll sauge.
,,(Unser) Gehirn als körperliches Organ ist zugleich ein gesellschaftliches Organ: Schon im Mutterleibe und in den ersten Lebensabschnitten
nach der Geburt saugt es sich
... mit
Gesellschaft
voll" (Gerhard Roth in
Tagesspiegel 10. 6. 99, Artikel "Den Hirngespinsten auf der Spur", zit.
nach Kasten, 2003, S. 58)
Entsprechend heißfes bei Montessori (1978, S. 24): "Es macht sich alles
aus seiner Umgebung zu Eigen: Gewohnheiten, Sitten, Religion prägen
sich fest in seinen Verstand ein". Beide, sowohl Montessori als auch Spitzer
leiten daraus die Verantwortung der Erwachsenen für die Gestaltung der
Umwelt, in der die Kinder aufwachsen, ab.
"Unsere Verantwortung bezieht sich aber vor allem auch auf unsere
Kinder, denn für deren Erfahrungen sind nicht sie selbst verantwortlich,
sondern zum größten Teil wir Erwachsene" (Spitzer, 2002, S. 447).
Weil die Umgebung für den Werdeprozess des Kleinkindes eine so grundlegende Rolle spielt, sieht Montessori (1978, S. 90) ihren Wert und ihre
Bedeutung ins Vielfache gesteigert, ebenso auch die Gefahren, die in ihr
liegen. Darum soll die Umgebung eine bewusst "vorbereitete Umgebung"
sein
104
...
Bei dieser nachdrücklichen Betonung der Umwelteinflüsse auf die
Entwicklung des Kindes stellt sich immer wieder die Frage:Was ist angeboren (ererbt)und was muss erst gelernt werden?
Montessori sieht das Kind mit Potenzialitätenausgestattet (nebula), mit
grundsätzlichen Möglichkeiten z. B. das Sprechen, das Gehen, das
Rechnen zu erlernen, doch können diese Potenzialitäten sich nur
entwickeln,wenn sie auf eine anregende Umwelttreffen.
Spitzer (2002, S. 205 f.) greift diese Frage ebenfalls auf und geht am
Beispiel des Laufenlernens darauf ein.
"Allein durch Wachstum und Reifung kommt Laufen nicht zustande. Es
bedarf auch der Erfahrung, weswegen man zurecht vom Laufenlernen
spricht. Die Möglichkeit, laufen zu lernen, ist angeboren. Sie wird dann
zur Wirklichkeit des Laufenkönnens, wenn das Kind zur richtigen Zeit
die richtigen Erfahrungen macht. Derjenige, der dafür sorgt, dass dies
geschieht, ist vor allem das Kind selbst. Was wir tun können, beschränkt
sich im Wesentlichen auf das Bereitstellen der geeigneten Randbedingungen" .
Welche ungeheure Arbeit das Gehirn des Kindes dabei leisten muss, macht
Spitzer mit dem Hinweis deutlich, dass die Aussteuerung von etwa 600
Muskeln zum Zwecke von weichen, fließenden und effizienten Bewegungen
die schnellsten Elektronenrechner unserer Tage an den Rand ihrer
Leistungsfähigkeit bringen würde.
Montessori spricht in diesem Zusammenhang von Inkarnation und von dem
Respekt vor der Arbeit des Kindes. Was sich in den frühen Monaten und
Jahren im Gehirn des Kleinkindes vollzieht, erscheint uns unvorstellbar. Mit
verschiedenen Bildern und Metaphern versuchen Gehirnforscher und
Montessori das Geschehen verständlich zu machen.
Frederic Vester, dessen Buch "Denken, Lernen, Vergessen" (1978, S. 31)
ich die Schnitte durch die Großhirnrinde von Säuglingen entnommen habe,
beschreibt diese Vorgänge so:
"Natürlich können wir uns an diese früheste Zeit nicht mehr erinnern.
Doch diese frühen Informationen durch unser erstes Tasten, Riechen,
Schmecken, Fühlen sind ganz ähnlich wie die Erbinformationen fest
gespeichert, ... Damitdas Gehirn aber überhaupt beginnen konnte,das
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erste Wort, den ersten Eindruck der äußeren Welt zu speichern, zu
behalten, irgendwo im Gehirn einzuordnen und wieder zu finden, musste zunächst einmal ein Grundgerüst, ein Netz aus fest verbundenen
Fasern gebildet werden, in dem sich die späteren Informationen befestigen".
Spitzer (2002, S. 210) gebraucht zur Erläuterung desselben Sachverhaltes
ein Bild aus der Computertechnik.
"Lernen erweitertweniger den Horizont des Säuglings, als dass es vielmehr überhaupt erst einmal für einen Horizont sorgt ...Klar ist nur dass
... man
verzeihe
mir diese
Metapher
... eine
Festplatte
...".
Dieses Grundgerüst oder diese Formatierung der Festplatte kann nicht
gelöscht werden. Montessori betont aus ihrer Sicht die Dauerhaftigkeit oder
Nachhaltigkeit der Erfahrungen eines Kindes, die im absorbierenden Geist
der frühen Jahre verankert sind.
"Keine spätere Erziehung kann auslöschen, was in der konstruktiven
Epoche der Kindheit inkarniert wurde" (Montessori, 1978, S.161).
Der Vergleich des Gehirns mit einem Fotopapier findet sich zuerst bei
Montessori, aber auch bei Spitzer. Das Absorbieren der Sprache vergleicht
Montessori mit dem"Vorgang beim Fotografieren.
"Das fotografische Bild prägt sich im Dunkeln auf den Film ein, und
immer im Dunkeln findet der Entwicklungsvorgang statt. Im Dunkeln
wird fixiert, und dann kann das Bild endlich ans Licht kommen und ist
unveränderlich" (a.a.O.,1978,S. 104).
Ähnlich liest es sich bei Spitzer (2002,S. 217):
"Es könnte sich also beim Kortex (Gehirn rinde) ähnlich wie beim
Fotopapier verhalten
Der Entwicklung des Fotopapiers entsprechen
biochemische Vorgänge der Stabilisierung von Synapsenstärken. Der
Fixierung des Bildes schließlich entsprechen Prozesse, die dafür sorgen, dass sich diese Synapsenstärken in Zukunft gar nicht mehr ... oder
nur noch sehr langsam ändern".
106
"Vielleicht sollten wir darauf achten, dass unsere Kinder bereits früh mit
vielen interessanten Dingen Kontakt haben, sodass sich eine größtmögliche Menge synaptischer Verbindungen in der Kindheit ausbilden
kann".
So trifft sich das genau mit Montessoris Forderung, "das Wissen im absorbierenden Geist zu verwurzeln" (1978, S. 166) und schon im Kinderhaus so
interessante Dinge wie die Schrift oder mathematische Grundbegriffe, geometrische Formen und Inhalte aus der kosmischen Erziehung anzubieten.
vor Gebrauch
formatiert werden muss. Genau damit ist der Säugling stark
beschäftigt
Ein letzter Punkt zu diesem Abschnitt: Wenn Spitzer (2002, S. 223) schreibt:
4. Aufmerksamkeit und Polarisation der Aufmerksamkeit
Die Polarisation der Aufmerksamkeit spielt in der Montessori-Pädagogik
eine zentrale Rolle. Beim Vergleich mit der Gehirnforschung ist nun interessant, dass auch dort die Aufmerksamkeit eine besondere Beachtung
erfährt.
"Wer aufmerksam ist, der lernt auch mehr" (Spitzer, 2002, S.146).
In der Gehirnforschung werden zwei Arten von Aufmerksamkeit unterschieden.
(1) Eine allgemeine Wachheit, die auch als Vigilanz bezeichnet wird und
mit der ein quantitativ messbarer Zustand des Organismus gemeint ist,
der von hellwach bis zum Dämmerzustand reicht.
(2) Ganz anders die selektive Aufmerksamkeit, die nur einem bestimmten Ausschnitt aus der Wirklichkeit gilt. Ihre Funktion wird mit einem
Scheinwerfer verglichen, der im Feld des Bewusstseins bestimmte
Dinge heller macht, wobei gleichzeitig andere Sachverhalte ausgeblendet werden.
Schon Montessori
gebrauchte
das Bild des Scheinwerfers
zur
Beschreibung der Aufmerksamkeit in einer sensiblen Phase und nicht erst
Posner 1996, wie Spitzer schreibt. "Das Kind macht seine Erwerbungen in
seinen Empfänglichkeitsperioden.
Diese sind einem Scheinwerfer vergleichbar, der einen bestimmten Bezirk des Inneren taghell erleuchtet .....
(Montessori, 1985, S. 64).
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Die Vigilanz ist ein zeitlicher Prozess, der im Laufe der Zeit zu- oder abnehmen kann.
Selektive Aufmerksamkeit dagegen ist ein räumlicher Prozess, der einen
Ausschnitt aus der Wirklichkeit ins Auge fasst und das Umfeld ausblendet.
Die Vigilanz betrifft die Aktivierung des Gehirns im Ganzen.
Die selektive Aufmerksamkeit bewirkt die Aktivierung spezieller Gehirnareale und zwar immer derjenigen Areale, welche die Informationen verarbeiten, denen die spezielle Aufmerksamkeit gilt (Farben, Gesichter, Sprache
usw.). Diese Aufmerksamkeit kann sich allerdings nur auf eine Stelle, ein-e
Sache richten. Zwar kann selektive Aufmerksamkeit rasch von einem
Gegenstand zum andern wechseln, aber sie kann nicht zwei Dingen gleichzeitig gelten. Selektive Aufmerksamkeit ist also an ein Objekt gebunden.
Die Lehrerin bemerkt, ob sich das Kind für den Gegenstand interessiert
oder nicht
Sie wird sich davor hüten, dem Kind etwas aufzudrängen,
wenn es sich für das Gebotene nicht interessiert" ... (Montessori 1980,
S.120f.).
Die Gehirnforschung belegt den engen Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeit und Behalten. Denn im Gehirn werden genau diejenigen
Areale aktiviert, auf die sich die Aufmerksamkeit richtet. Und "Je aufmerksamer ein Mensch ist, desto besser wird er bestimmte Inhalte behalten".
Aber: "Ohne die Hinwendung der Aufmerksamkeit zu den zu lernenden
Reizen geschieht nichts" (Spitzer, 2002, S. 155).
5. Motivation
Diese Überlegungen führen Spitzer (a.a.O., S. 156). Zu der Frage:
Dieser Sachverhalt ist im Hinblick auf die Art, wie Lektionen in der
Montessori-Pädagogik erteilt werden sollen, von Interesse. Wie Sie wissen,
soll bei der Demonstration einer Lektion z.B. der "Übungen des täglichen
Lebens" möglichst wenig oder gar nicht gesprochen werden. Diese
Empfehlung stößt bei Kursteilnehmern oft auf Unverständnis.
Untersuchungen der Gehirnforschung zeigten, dass die Aktivierung der
motorischen Areale im Gehirn dann am größten war, wenn nicht gleichzeitig sprachliche Anforden{ngen verarbeitet werden mussten, und umgekehrt
war die Aktivierung der sprachlichen Areale dann am größten, wenn nicht
zugleich auf motorische Leistungen geachtet werden musste (Spitzer, 2002,
S.144).
Montessoris Empfehlung oder Anweisung, bei Lektionen möglichst wenig
zu sprechen, könnte damit begründet werden.
Eine weitere Anweisung Montessoris zur Erteilung einer Lektion findet
ebenfalls eine Bestätigung durch die Gehirnforschung. Bekanntlich soll
eine Lektion erst dann und nur dann erteilt werden, wenn das Kind seine
Aufmerksamkeit auf die Sache richtet, die ihm gezeigt werden soll.
"Die Lektion ist ein Appell an die Aufmerksamkeit. Falls der Gegenstand
den innersten Wünschen des Kindes entspricht ... regt es das Kind zu
einer Tätigkeit von längerer Dauer an. Worte sind nicht immer
nötig...
108
"Wie schaffen wir es, die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was gelernt
werden soll?"
Auch diese Frage erinnert sehr an das leidenschaftliche Bemühen
Montessoris, für Kinder die Bedingungen zu schaffen, die eine Polarisation
der Aufmerksamkeit möglich machen. Alles ist darauf ausgerichtet, die vorbereitete Umgebung, die freie Wahl, das Beobachten, die sensiblen
Phasen, die Zurückhaltung der Erzieher. Montessori fragt jedoch nicht: "Wie
motiviere ich Kinder?", sie setzt vielmehr auf das ursprüngliche Interesse
von Kindern am Neuen.
Die Frage Spitzers scheint auf die Motivation zu zielen. Wie kann ich Kinder
für das motivieren, was sie lernen sollen? Eine ständige Frage aller Lehrenden.
Die Antwort der Gehirnforschung lautet ähnlich wie die Montessoris:
"Menschen sind von Natur aus motiviert, sie können gar nicht anders,
denn sie haben ein äußersteffektivesSystem hierfür im Gehirn eingebaut" (a.a.O.S. 192)
D.h., sie brauchen gar nicht von anderen motiviert werden. Spitzer begründet diese These mit dem Hinweis auf die Funktion des Dopaminsystems im
Gehirn. Dieses System ist für die Bewertung der Reize zuständig, die auf
uns einprasseln.
109
Begegnung mit Neuem setzt Dopamin frei, weckt Neugier, erzeugt
Explorationsverhalten.
"Dieses System verleiht den Dingen und Ereignissen um uns herum ihre
Bedeutung für uns. Bedeutsam ist, was neu ist, was für uns gut ist und
vor allem, was für uns besser ist, als wir es zuvor erwartet
Dieses System treibt uns um, motiviert
bestimmt, was wir lernen" (a.a.O., S. 195).
hatten
unsere Handlungen
....
und
Das sind natürlich sehr weitgehende, vielleicht auch sehr gewagte
Aussagen, denn die Entscheidung über das "Was" beim Lernen hängt
doch auch ganz wesentlich von der jeweiligen Umgebung ab, aus welcher
der Lernende auswählt. Doch soviel können wir festhalten: Neue Eindrücke,
neue Erfahrungen erregen das Interesse des Menschen, motivieren ihn,
das Neue kennen zu lernen, zu explorieren, damit neue Erfahrungen zu
machen. Dafür muss ein Kind nicht erst motiviert werden.
Warum aber fragen wir dennoch immer wieder, wie wir Schüler motivieren
können, etwas zu lernen? Spitzer sieht den Grund dafür in den Problemen,
die jemand hat, wenn ein anderer nicht das tun will, was er selbst will, dass
es der andere tut. Wenn jemand einen anderen motivieren wolle, dann sei
das, wie wenn man jemand Hunger beibringen wolle. - Die Konsequenz
daraus wäre die "freie Wahl", wie sie Montessori fordert.
Bei der Frage nach tier Motivation in der Schule kritisiert Spitzer auch, wieder ganz ähnlich wie Montessori, das Loben (a.a.O., S.193). Dadurch, dass
die Besten herausgehoben und gelobt werden, sorgen wir dafür, dass sich
die anderen mies fühlen. Gleichwohl hält Spitzer es für wichtig, dass jeder
Schüler gelobt wird. Allerdings dürfe nicht "über den grünen Klee" gelobt
werden. Wenn Lob, dann müsse es zeitnah und spezifisch sein, sodass
jeder erkennen könne, wofür er gelobt wird.
Noch einmal zur Motivation. Wenn neue Eindrücke, Sachverhalte oder
Erfahrungen motivierend wirken und Kinder ständig nach Neuem fragen,
dann komme es darauf an, wie die Erwachsenen solche Fragen beantworten. Wenn dies mit Begeisterung geschehe, dann werde sich die
Begeisterung auch auf die Fragenden übertragen.
"Nur wer von seinem Fach wirklich begeistert ist, wird es auch unterrichten können
Ein Lehrer muss in der Lage sein, über Sachverhalte
seines Faches interessante Geschichten zu erzählen" (a.a.O., S.194).
110
Nun, so neu ist das alles nicht. Es gehört schon fast zu den pädagogischen
Allgemeinplätzen. In unserem Zusammenhang ist allerdings wieder die
Parallelität zu Montessori von Interesse. Man könnte manchmal meinen,
Spitzer habe seine Thesen eher bei Montessori gefunden als aus den
Ergebnissen der Gehirnforschung
abgeleitet. Sie erinnern sich an
Montessoris Forderung, die Lehrerin müsse mit Begeisterung eine Lektion
erteilen und in der kosmischen Erziehung müsse sie "interessante
Geschichten erzählen". Im formalen Aufbau von Märchen sieht sie ein
Muster, wie interessante Erzählungen gestaltet werden sollten.
5. Das Üben
Materialien zur Freiarbeit sollen in der Montessori-Pädagogik so beschaffen
sein, dass sie zu Wiederholungen herausfordern und beliebig viele
Wiederholungen ermöglichen. Dieses Wiederholen oder Üben darf nicht
unterbrochen werden, ja es muss geschützt werden. Montessori misst dem
Üben eine zentrale Funktion für die Entwicklung des Kindes bei.
Die Gehirnforschung sieht, wie wir eingangs gesehen haben, eine ihrer
wesentlichen Erkenntnisse darin, dass das Wissen und Können durch die
Synapsenstärken repräsentiert wird. Je häufiger eine SynapsenvE!!bindung
aktiviert wird, umso stärker wird sie. Dies geschieht beim Uben. Im
Netzwerk der Nervenfasernverbindungen geschieht die Informationsverarbeitung, das Wahrnehmen, Lernen und Denken. Dieses Netzwerk
beherrscht die richtige Zuordnung von Reizen. Wie gut das gelingt, hängt
von den Stärken der Synapsenverbindungen zwischen den Neuronen ab.
Auch das Können, der "output", die Fertigkeiten, das reproduzierbare
Wissen werden von den Synapsenstärken bestimmt. Darum spielt das
Üben eine so große Rolle. Spitzer weist darauf hin, dass z.B. ein ProfiGeiger mit 20 Jahren 10 000 Stunden geübt hat.
6. Sinnesmaterialien als materialisierte Abstraktion
Montessori bezeichnet die Sinnesmaterialien als materialisierte Abstraktion.
D.h. allgemeine Merkmale oder Eigenschaften der Dinge wie Form,
Gewicht, Farbe, Oberfläche werden von den einzelnen Gegenständen
abstrahiert, abgezogen und in den Sinnesmaterialien isoliert dargestellt. So
werden sie als Kategorien der Wahrnehmung bewusst gemacht. Im zweiten
Schritt der Dreistufenlektion wird das jeweilige Merkmal an möglichst vie-
111
Dinge vorzustellen, die er nicht vor sich sieht, sondern auch die
Fähigkeit,Synthesenzu machen,das heißtaus den unzähligenDingen
der Umgebung ein Alphabet herauszuziehen.Diese Fähigkeit ist die
natürlicheFähigkeitzur Abstraktion".
len, sehr unterschiedlichenGegenständen der jeweiligen Umgebung aufgesucht und wieder erkannt.
Wenn nun in der Gehirnforschung festgestellt wird, dass das Gehirn auf das
Lernen von Allgemeinem aus ist, auf allgemeine Eigenschaften und
Strukturmerkmale, und wenn Spitzer (2002, S. 75) die Gehirne sogar als
"Regelextraktionsmaschinen" bezeichnet, dann kämen ja'die Sinnesmaterialien Montessoris genau dieser Tendenz menschlicher Gehirne entgegen.
Am Beispiel von Tomaten erläutert er (a.a.O., S. 77) diesen Sachverhalt so:
Spitzer (2002, S.76) formuliert diesen Gedanken so:
"Unser Gehirn ... ist auf das Lernen von Allgemeinem aus. Das
Allgemeine wird aber nicht dadurch gelernt, dass wir allgemeine Regeln
lernen. - Nein! Es wird dadurch gelernt, dass wir Beispiele verarbeiten
(z.B. viele Wörter in der Vergangenheit) und aus diesen Beispielen die
Regeln selbst produzieren."
"Sie haben sicher in ihrem Leben schon Tausende von Tomaten gese-,
hen bzw. gegessen, können sich jedoch keineswegs an jede einzelne
Tomate erinnern. Warum sollten Sie auch? Ihr Gehirn wäre voller
Tomaten. Dies wäre zudem völlig nutzlos, denn wenn Sie der nächsten
Tomate begegnen, dann nützt Ihnen nur das, was Sie über Tomaten im
Allgemeinen wissen, um mit dieser Tomate richtig umzugehen. Man
kann sie essen, sie schmecken gut, ... All dies wissen Sie, gerade weil
Sie schon sehr vielen Tomaten begegnet sind, von denen nichts hängen
blieb als deren allgemeine Eigenschaften bzw. Strukturmerkmale".
Der Gedanke, dass allgemeine Regeln nicht gelernt werden, sondern aus
den Dingen der Umgebung aus Beispielen selbst gebildet werden, ist also
beiden gemeinsam.
Montessori spricht von der Fähigkeit, aus den unzähligen Dingen der
Umgebung ein Alphabet herauszuziehen, wobei sie mit Alphabet die
abstrahierte Regel meint. Bei Spitzer wird das Allgemeine oder Abstrakte
dadurch gelernt, "dass wir aus Beispielen die Regeln erkennen."
Allerdings sehe ich hier auch ein Problem und einen grundlegenden
Unterschied zur Funktion der Sinnesmaterialien
in der MontessoriPädagogik.
Kein Mensch muss 'zuvor Tausende von Tomaten gesehen und berührt
haben, um eine Tomate als solche zu erkennen. Kein Kind muss tausend
Schneeglöckchen oder tausend Bananen gesehen haben, um diese wieder
zu erkennen. Bei der Arbeit mit den Sinnesmaterialien zielen wir auch darauf ab, den Kindern allgemeine Merkmale zu geben, mit deren Hilfe sie die
Einzelheiten ordnen und strukturieren können nach rund und glatt und rau
und eckig usw., doch werden diese Merkmale nicht durch tausendfache
Erfahrungen aus der Wirklichkeit gewonnen, sondern an einem Exemplar
werden sie gezeigt und dann in der Umgebung vielfach wiederentdeckt.
(Die zweite Stufe der Dreistufenlektion dient dem Einüben an möglichst vielen Gegenständen.)
Die Parallelität des Grundgedankens zwischen Montessori und Spitzer, wie
Regeln gelernt werden, besteht dennoch, wie folgende Zitate zeigen:
Montessori (1978, S. 164):
"Der menschliche Geist hat von Natur aus nicht nur die Fähigkeit, sich
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Verdeutlichen lässt sich dieser Gedanke auch am Spracherwerb (vgl. Largo
1993). Das Kind lernt nicht durch die Nachahmung aller Wörter, Sätze,
Wendungen und Flexionen, sondern es entnimmt der gehörten Sprache
Regeln und wendet diese an. Dass diese Anwendung kleinen Kindern nicht
immer auf Anhieb gelingt, zeigen Beispiele wie "Peter esset Brot" oder
"Peter Brot essen" oder "Ich haben Wasser getrinkt" oder "Opa, gell ich bin
gebräuchlich" .
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7. Struktur, Ordnung und vorbereitete
Umgebung
Nach Montessori sollen die Materialien der vorbereiteten Umgebung an
den Interessen der Kinder orientiert sein und wohlgeordnet, gut strukturiert
präsentiert werden.
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Bei Spitzer" (2002, S. 452 f.) lesen wir:
"Wir sollten uns daher bei Diskussionen um Inhalte weniger an den
Forderungen der Interessengruppen orientieren als vielmehr an den
Interessen und Bedürfnissen der jungen Menschen ....
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Literatur:
Mit das Schlimmste, was einem jungen Menschen passieren kann, ist
das Fehlen von Struktur. Wenn Repräsentationendurch Strukturen in
der Erfahrung entstehen, dann folgt, dass bei wenig äußerer Struktur
eine innere gar nicht entstehen kann. Dies mag ein Grund dafür sein,
dasskleineKinder...nach Struktur geradezu schreien."
Largo, R. H. (1993): Babyjahre. Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. Das andere Erziehungsbuch. Hamburg (Carlsen).
Montessori (1985, S. 77) setzt die sensible Phase für Ordnung beim kleinen
Kind sehr früh an.
"Kleine Kinder zeigen eine charakteristische Liebe für Ordnung. Im Alter
von anderthalb bis zwei Jahren bringen sie bereits deutlich, wenn auch
in verworrener Form, das Bedürfnis nach Ordnung in ihrer Umwelt zum
Ausdruck ......
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Kasten, H. (2003): Die Bedeutung der ersten Lebensjahre: Ein Blick über
den entwicklungspsychologischen Tellerrand hinaus. In: Fthenakis,
W.E. (Hrsg.): Elementarpädagogik nach PISA. Wie aus Kindertagesstätten Bildungseinrichtungen
werden können. Freiburg
(Herder), S.57 - 66.
Klein, G. (2002): Frühförderung für Kinder mit psychosozialen Risiken.
Stuttgart
(Kohlhammer)
.
.,.
Zum Schluss bleibt mir nur noch festzustellen, dass ich bei der Lektüre
immer wieder erstaunt war über die Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen
den Ergebnissen der Gehirnforschung und Montessoris Erkenntnissen.
Montessori muss eine geniale Interpretin kindlichen Verhaltens gewesen
sein, da sie ohne all die Hilfsmittel moderner Gehirnforschung zu den
Erkenntnissen über die kindliche Entwicklung kam, die wir heute bei der
Gehirnforschung wieder finden. Leider fand ich noch keine Gelegenheit
Herrn Spitzer zu fragen, ob er die Schriften Montessoris kenne. In seinem
Literaturverzeichnis kommt der Name "Montessori" nicht vor.
Montessori, M. (1978): Das kreative Kind. Der absorbierende Geist.
Freiburg (Herder) 4. Auf!..
Montessori, M. (1980): Die Entdeckung des Kindes. Freiburg (Herder).
Montessori, M. (1985): Kinder sind anders. Stuttgart (Klett-Cotta).
Singer, W. (2003): Was kann ein Mensch wann lernen? In : W. Fthenakis
(Hrsg.): Elementarpädagogik nach PISA. Freiburg (Herder).
Spitzer, M. (2002).: Lernen, Gehirnforschung und Schule des Lebens.
Heidelberg, Berlin (Spektrum).
Vester, F. (1978): Denken, Lernen, Vergessen. München (DTV).
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