Die Inhibition der Auflösung von Eisen(lll)(hydr)oxiden und

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Diss. ETH Nr. 9893
Die Inhibition der Auflösung von
Eisen(lll)(hydr)oxiden
und ihre Beziehung zur Passivität von Eisen
ABHANDLUNG
zur Erlangung des Titels
DOKTOR DER NATURWISSENSCHAFTEN
der
SCHEN HOCHSCHULE
TECHNI
EIDGENÖSSISCHEN
ZÜRICH
vorgelegt von
JÜRG SINNIGER
dipl. Chem. ETH
geboren am 10. Mai 1961
von Niedererlinsbach SO
angenommen auf Antrag von
Prof. Dr. W. Stumm, Referent
Prof. Dr. W. Schneider, Korreferent
Zürich 1992
!I'
I1'/'
!
For every man in the world
functions to the best of his ability,
and no one does less than his best,
no matter what he may think about it.
John Steinheck
Dan k
. Seine GrosszüMein erster Dank gilt meinem Doktorvater Prof. W. Stumm
r aufs neue. Ich
wiede
gigkeit und sein Vertrauen überraschten mich immer
in schwierigen Zeiten
wusste mich in allen Belangen von ihm unterstützt, und
den Sorgen und Növerriet mir sein schelmischer Blick, dass er nicht nur mit
, dass diese keine
ten eines Doktoranden vertraut war, sondern auch wusste
uns mit all seivon
jeden
er
Dass
unüberwindbaren Hindernisse darstellten.
e, in der ich
Grupp
eine
nen Stärken und Schwächen akzeptierte, ermöglichte
mich geborgen und aufgehoben fühlte.
die spontane BereitHerrn Prof. W. Schneider möchte ich ganz herzlich für
schaft danken, das Korreferat zu übernehmen.
, vielen Menschen
Während der Jahre meines Doktorates hatte ich das Glück
Arbeit nicht mögdiese
g
zu begegnen, ohne deren Rückhalt und Aufmunterun
An erster Stelle
fühle.
lich gewesen wäre und denen ich mich tief verbunden
nd langer Zeit viestehen hier ganz bestimmt Gianluca und Michael, die währe
cas Humor hat mir
les mit mir teilten: Büro, Labor, Freud und Leid. Gianlu
ewegung von ihm
über manchen Misserfolg hinweg geholfen, und eine Handb
ieren.
reichte oft aus, vieles wieder zu relativ
und lebhaftes GeDie Stummsche Grossfamilie war überhaupt ein lebendiges
fröhlicher Feste. Sie
bilde, Ursprung spannender Auseinandersetzungen und
ter Charaktere,
war ein sich ständig veränderndes Kaleidoskop verschiedens
ragen hat:
beiget
phäre
Atmos
en
farbig
wobei jeder und jede viel zur guten und
oph,
Christ
y,
Barne
,
Dieter
Laura , Barba ra, Annet te, Elke, Yael, Katja,
...
,
Daniel, Slavi, Paul, Yiwei, Tina, Made/eine, Elke, Adrian
cs aus der ganzen
Viel frischen Wind aus fernen Ländern brachten die Postdo
oder so unheimliche
Welt, die fremde Sitten wie z.B. das Chinesische Neujahr
Tolle an all diesen
Bräuche wie Halloweenpartys bei uns einführten. Das
den kulinarischen
passen
dazu
den
Neuerungen war, dass wir dabei immer mit
Genüssen verwöhnt wurden. Ihnen sei für ihre Offenheit, ihre Gastfreundschaft und häufig nicht ganz schmerzlose Kritik an der schweizerischen Mentalität gedankt: Patrick, Paul, Janet, Litza, Carrick, Philippe, Maria, Natasha,
Georgios, ...
Ein sicherer Hafen in stürmischen Zeiten war der Raum mit der Bezeichnung
Pav 11, in dem Dieter und Jörg immer ein offenes Ohr für kleine und grosse
Anliegen hatten.
Vielen Mitarbeiterlnnen der EAWAG bin ich zu grossem Dank verpflichtet;
immer sind sie mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden: Sonja Rex, Gerda
Thieme, Elisabeth Stüssi, Maria Huber, Ursula Mohlberg, Hansulrich Laubseher, Claude Jaques, David Kistler, Michael Berg, Werner Roth, ... An dieser
Stelle sei auch allen anderen gedankt, welche die EAWAG mit Leben füllen
und einen manchmal vergessen lassen, dass man ja eigentlich zum Arbeiten
hier ist.
Ein ganz besonderer Dank geht an Beat und Vreni; sie beide haben mich während der vergangenen Jahre begleitet. Bei ihnen erfuhr ich Anteilnahme, die
weit über meine Arbeit hinausging und mich nie alleine fühlen liess. Ihre
Freundschaft bedeutet mir sehr viel.
Zum Schluss möchte ich noch die Menschen erwähnen, die ganz am Anfang
standen: meine Eltern und Geschwister. Ich bin dankbar für die uneingeschränkte Zuneigung, die ich zu jeder Zeit durch meine Familie erfahren durfte.
Zusammenfassung
vorkommenEisen ist nicht nur ein in unserer natürlichen Umwelt häufig
es als Werkdass
he,
Tatsac
die
des Element, sondern es erhält auch durch
ung. In
Bedeut
e
stoff weiteste Verbreitung erfahren hat, eine herausragend
ionsOxidat
der Natur liegt Eisen dank seiner Reaktivität meistens in den
Vielzahl
stufen II und III vor. Es bildet mit natürlichen Substanzen eine
nd ihrer revon Verbindungen, von denen die Oxide und Hydroxide aufgru
Auflösung
und
g
Bildun
Die
sind.
sten
aktiven Oberflächen mit die wichtig
r Elemenandere
ufen
Kreislä
dieser Oxide, die durch die Kopplung mit den
Technik
der
in
auch
te in der Geochemie eine wichtige Rolle spielen, sind
smeuktion
bedeutend. Die natürliche Korrosionsbeständigkeit von Konstr
gieruntallen wie Aluminium, Nickel, Stahl und anderen rostfreien Eisenle
welche die
gen beruht oft auf einer sehr dünnen oxidischen Deckschicht,
Die Gedert.
verhin
hend
weitge
es
Metall
weitere aktive Auflösung des
von der
elbar
unmitt
also
kann
iert,
schwindigkeit, mit der ein Metall korrod
en. Die
abhäng
hicht
Auflösungsgeschwindigkeit dieser schützenden Oxidsc
rIIl)hyd
Eisen(
Aufklärung der Mechanismen, welche die Auflösung von
natürli
dem
oxiden kontrollieren, ist also nicht nur im Zusammenhang mit
die
en,
chen Eisenkreislauf von Interesse, sondern kann auch dazu beitrag
en.
versteh
zu
besser
ung
Hemm
Korrosion von Metallen sowie deren
oder auch
Zur Beurteilung von Zusätzen, welche die Korrosion inhibieren
ationsPolaris
beschleunigen, wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit
ommen.
kurven einer Eisenelektrode in verschiedenen Elektrolyten aufgen
trom ein
Diesem Vorgehen liegt die Hypothese zugrunde, dass der Passivs
ElekAls
ist.
Films
n
passive
des
Mass für die Auflösungsgeschwindigkeit
ungen
oratlös
Perchl
sowie
trolyte kamen ein Borat-Puffer, Acetat-Puffer
ationskurve
zum Einsatz. Es zeigte sich deutlich, dass die Form der Polaris
zung des
stark abhängig ist von sowohl der Art als auch der Zusammenset
konnElektrolyten. Anhand der in Perchloratlösung aufgenommen Kurven
ichleun
ngsbes
auflösu
die
und
at
Benzo
von
te die inhibierende Wirkung
.
werden
gende Wirkung von Oxalat nachgewiesen
die aus der
In Experimenten mit Partikeln konnte gezeigt werden, dass
enbeproton
die
HCr04
und
cr3+
Korrosionschemie bekannten Inhibitoren
Das
en.
vermög
ren
inhibie
schleunigte Auflösung von Goethit effizient zu
ent,
Instrum
hes
Speziierungsprogramm MICROQL erwies sich als nützlic
ein
an
oren
um die pH-Abhängigkeit der Adsorption dieser beiden Inhibit
ische
Eisen(III)oxid zu modellieren. Röntgenphotoelektronspektroskop
(STM)
kop
mikros
Tunnel
dem
mit
men
(XPS) Untersuchungen und Aufnah
ten eines
schliesslich gaben Aufschluss über die Struktur und das Verhal
3
läche.
)-0berf
Oberflächenkomplexes von Cr + an einer Hämatit-(001
der AuflöNeben einer allgemeinen Darstellung über die Mechanismen
oordinasung von Eisen(Ill)(hydr)oxiden aus der Sicht des Oberflächenk
meine
über
sion
Diskus
rliche
ausfüh
tionsmodells enthält diese Arbeit eine
ibiionsinh
Korros
der
bei
nismen
Vorstellungen bezüglich einzelner Mecha
tion sowie bei der Passivierung von Eisen.
Abstract
also a very
Iron is not only a ubiquitous element in our environment, but is
iron in
ity,
common material for construction. Because of its high reactiv
natural
nature is usually present in the oxidation states II and III. With
oxides and
substances it forms a wide variety of compounds, of which the
are most
that
ones
the
are
s,
hydroxides, due to their reactive surface
coupled
are
which
,
oxides
important. Formation and dissolution of these
in the
role
ant
import
an
with the transformations of other elements, play
Tue
logy.
techno
geochemical cycles and are also of great significance in
, including
useful natural corrosion resistance of many structural metals
thin oxide
aluminium, nickel, and the stainless steels, is often based on a
rate of
Tue
tion.
dissolu
active
further
layer covering the metal, preventing
of this
tion
dissolu
of
rate
the
to
corrosion of a metal may thus be related
which
nisms
mecha
of
protective oxide layer. Therefore, the investigation
with
t
interes
control the dissolution of iron(hydr)oxides is not only of
tanding of
regard to the iron cycle in nature, but can contribute to an unders
the corrosion processes of metals and their inhibition.
used to
Cyclic voltammetry as well as potentiostatic methods have been
passive
of
s
kinetic
tion
evaluate effects of solution composition on dissolu
d by
reflecte
layers on a pure iron electrode, the rate of dissolution being
borate
in
the passive current density. Polarisation curves were recorded
curve
the
of
form
Tue
ns.
solutio
orate
perchl
buffer, acetate buffer and
the
of
sition
compo
and
type
both
on
proved to be strongly depending
borate
ut
(witho
media
solution. lt could be shown that in perchlorate
x former
buffer) in nearly neutral solution, the bidentate surface comple
ligand
entate
oxalate tends to increase the passive current while the monod
passive
benzoate tends to reduce it. An attempt was made to relate
complex
phenomena to surface chemical processes, such as surface
of pH,
effects
,
ligands
organic
te
formation with monodentate and bidenta
results
with
red
compa
were
metal ions, and dissolved oxygen. Tue results
ced
influen
as
ides
from investigations on the dissolution kinetics of ironox
by the same solutes interacting with the oxide surface.
In experiments with particles it could be shown that the corrosion
inhibitors Cr3+ and HCrO;j were able to inhibit effectively the proton promoted dissolution of goethite. Tue program MICROQL proved to be a useful tool to calculate the pH dependence of adsorption of the forementioned
inhibitors. X-ray photoelectron spectroscopy (XPS) and scanning tunneling
microscopy (STM) provided insight in the structure and behaviour of a
3
surface complex of Cr + on a hematite-(001)-surface.
In addition to a representatio n of the mechanisms of dissolution of
iron(III)(hydr)oxides from a point of view of the surface complex model,
this work contains a thorough discussion of the inhibitors of corrosion and
their specific mode of action.
Inhalt
Zusam menfas sung
Abstra ct
1.
2.
Synopsis
1.1. Einleitung
1.2. Bedeutung der Grenzflächenchemie bezüglich
der Korrosion und Passivität von Metallen
1.3. Fragestellung und Zielsetzung
1.4. Wichtige Resultate
Ueberb lick
2.1. Das Metall
2.2. Wichtige Reaktionen des Eisens
2.2.1. Die Hydrolyse
2.2.2. Die Komplexbildung
2.2.3. Die Redoxreaktionen
2.3. Die Oxide
2.4. Die Auflösung der Oxide
2.4.1. Oberflächenreaktionen
2.4.2. Kinetische Betrachtungen
2.4.3. Säureauflösung
2.4.4. Ligandkontrollierte Auflösung:
Beschleunigung und Inhibition
2.4.5. Reduktive Auflösung
2.5. Bedeutung der Eisenoxide bezüglich der Passivität von
Eisen
2.5.1. Aufbau und Zusammensetzung der passiven
Schicht
2.5.2. Inhibition der Auflösung von passiven Schichten
2.5.3. Zusammenbruch der Passivität
1
1
3
4
5
11
11
13
13
14
15
17
20
20
21
22
23
24
25
25
26
27
3.
Korrosion und Passivität
3.1. Kurze Einführung in die Korrosion
3.2. Die Entdeckung der Passivität
3.3. Spekulationen und Theorien
3.4. Definitionen der Passivität
3.5. Heutige Modelle der passiven Schicht
3.6. Der Passivfilm im Boratpuffer
28
4.
Inhibition der Korrosion
4.1. Einführung
4.2. Inhibition in sauren Lösungen
4.3. Inhibition in neutralen Lösungen
4.3.1. Oxidierende Inhibitoren
4.3.2. Anionen, welche Eisen nur in Gegenwart von
Sauerstoff passivieren können
4.3.3. Chelatbildner
48
Das Koordinationsm odell
5.1. Die Koordinationschemie an der
Grenzfläche Oxid/ Wasser
5.2. Der Ligandaustausch
5.3. Die oberflächenkontrollierte Auflösung
5.4. Inhibition der Auflösung
5.5. Berechnungen mit MICROQL
5.5.1. Adsorption von Cr(III) an Goethit
5.5.2. Adsorption von Cr(VI) an Goethit
66
5.
6.
Postulierung einer oberflächenche mischen Theorie der
Passivität von Eisenoxiden
7.
Instrumentatio n und experimentelle Bedingungen für die
Aufnahme der Polarisationsku rven
7 .1. Einführung: Die elektrochemische Z'.elle
7 .2. Messzelle und Elektroden
7.2.1. Messzelle
7.2.2. Referenzelektrode
7.2.3. Arbeitselektroden und deren Vorbehandlung
7.3. Instrumentierung und Messanordnung
28
33
35
38
39
47
48
51
53
54
58
65
66
68
70
71
74
75
77
79
84
84
87
87
88
88
88
8.
9.
7.4. Aufnahme der Strom-Spannungs-Kurven
7 .5. Die Eisenanalyse
7.6. Versuchslösungen und Inertgase
89
91
91
Ergebnisse und Diskussion
8.1. Passivität im Borat-Puffer
8.1.1. Bildung der passiven Schicht im Borat-Puffer
8.1.2. Aufnahme der Polarisationskurve mit der
drehenden Scheibenelektrode
8.1.3. Einfluss von Sauerstoff
8.1.4. Zusammenbruch der Passivität in
chloridhaltiger Lösung
8.2. Passivität im Acetat-Puffer
8.2.1. Polarisationskurven im Acetat-Puffer
8.2.2. Einfluss von Sauerstoff
8.2.3. Polarisationskurve in Gegenwart von Benzoat
8.2.4. Einfluss von Benzoe- und Phthalsäure auf die
Passivstromdichte bei 1.1 V/NHE
8.2.5. Vergleich von Benzoe- und Salicylsäure
8.2.6. Einfluss von Oxalsäure
8.2.7. Einfluss von Phosphat
8.3. Passivität in Perchloratlösungen
8.3.1. Polarisationskurven in Perchloratlösungen
8.3.2. Einfluss von Oxalat und Benzoat auf die
Polarisationskurven
8.3.3. log Passivstromdichte vs log Zeit bei kurzen
Zeiten
93
93
93
Experimen te mit Partikeln
9.1. Die Durchführung der Auflösungsexperimente
9.2. Inhibition der Auflösung von Goethit durch
Cr(III) und Cr(VI)
9.3. XPS- und STM-Untersuchungen der
Adsorption von cr3+ an Hämatit
Literaturv erzeichnis
Lebenslau f
98
101
103
105
105
108
108
109
109
110
111
112
112
115
116
119
119
120
121
124
1
1.
Synopsis
1.1. Einleitung
Eisen(III)(hydr)oxide sind wesentliche und wichtige Bestandteile der Erdkruste; ihre Löslichkeit und die Kinetik ihrer Auflösung spielen deshalb in
der Natur eine eminent wichtige Rolle. Aber auch in der Technik kommen
den Reaktionen der Eisenoxide grosse Bedeutung zu: Das Schicksal metallischer Eisenkonstruktionen hängt nur zu oft ab von der Geschwindigkeit,
mit der sie korrodieren. Die Korrosionsgeschwindigkeit ihrerseits kann in
vielen Fällen in Verbindung gebracht werden mit der Stabilität und der
Auflösungsrate der oxidischen Schichten, welche das Eisen bedecken. Die
Aufklärung der Mechanismen, welche die Auflösung von Eisen(III)(hydr)oxiden bestimmen, ist also nicht nur im Zusammenhang mit dem natürlichen Eisenkreislauf von Interesse, sondern kann auch dazu dienen, die
Korrosion von Metallen sowie deren Hemmung besser zu verstehen und zu
kontrollieren.
Als Grundlage für die Untersuchung der Reaktionen an der Grenzfläche
Oxid/Wasser erwies sich das Oberflächenkoordinationsmodell als äusserst
erfolgreich. Im Rahmen dieses Modells kann die Auflösung von Mineralien in wässriger Lösung in folgende drei Gruppen aufgeteilt werden:
Protonenbeschleunigte Auflösung
Ligandenbeschleunigte Auflösung
Reduktive Auflösung
Die Auflösungsrate hängt ab sowohl von der Konzentration als auch der
Struktur der durch die Liganden in der Lösung und den funktionellen
Gruppen an der Oberfläche gebildeten Komplexe. Hinsichtlich der koordinativen Anordnung dieser Komplexe können folgende Fälle unterschieden
werden:
monodentat
bidentat
mononuklear
binuklear
2
Ob ein Ligand die Auflösung einer Festphase beschleunigt oder inhibiert,
steht also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Speziierung an der
Oberfläche. Zu den auflösungsfördemden Anordnungen gehören z.B. folgende mono- oder bidentate, mononuklearen Oberflächenkomplexe:
>FeOH + HL = >FeL + H10
wobei L z. B. Citrat, Salicylat oder Fluorid sein kann. Ist Lein Reduktionsmittel, kann eine reduktive Auflösung stattfinden.
Es besteht die Hypothese, dass die Bildung von binuklearen Komplexen oft
eine Inhibierung der durch Protonen oder Liganden beschleunigten Auflösung bewirkt:
-2H20
Um gleichzeitig zwei oder mehr Fe(III)-Zentren aus der Gitteroberfläche
herauszulösen, muss viel mehr Energie aufgewendet werden, als für die
Loslösung eines einzelnen Zentrums notwendig ist. So wird die Auflösung
einer passiven Oxidschicht erschwert, wenn deren oberflächenständigen
funktionellen Gruppen mit Liganden reagiert haben, welche bi- oder multinukleare Komplexe bilden können. Im Falle der rostfreien Stähle enthält
das Oxid bereits aus der Legierung selbst stammende Komponenten (z.B.
Cr(III)), welche durch ihre Fähigkeit, multinukleare Komplexe zu bilden,
die Schutzschicht stabilisieren und ihre Auflösungsgeschwindigkeit drastisch reduzieren.
Die Resultate der Untersuchung dieser Prozesse sind nicht nur von praktischer Bedeutung, sondern sie liefern auch Hinweise auf die relevanten
Strukturen an der Grenzfläche Mineral/Wasser und gestatten damit Einsichten in die Mechanismen, welche die Auflösung von Festphasen bestimmen.
3
1.2. Bedeutung der Grenzflächenchemie bezüglich der
Korrosion und Passivität von Metallen
Wie bereits erwähnt, sind die oben kurz und nur sehr schematisch dargestellten Reaktionen auch wichtig in Bezug auf die Korrosion von Metallen
und dem damit verbundenen Phänomen der Passivität. Während sich der
Begriff der Korrosion ganz generell auf die Zerstörung von Festkörpern
durch in der Umwelt vorhandene Substanzen bezieht, beschreibt derjenige
der Passivität die Herabsetzung der Korrosionsgeschwindigkeit von Metallen durch deren Bedeckung mit einem schützenden, meist oxidischen Film.
Als eine der vielen Modellvorstellungen über den Aufbau der passiven
Schicht sei an dieser Stelle das Bild eines polymerischen Oxidfilmes, der
durch eingebautes Wasser amorph gehalten wird, wiedergegeben.
0
0
0
\
\
\
--0-Fe-O-Fe-O--Fe-OH
~
~ / H, „H
~ /
/
O H, „H O H, „H o
,„o
\
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\
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\
--o-F:-o-F:-o--F:-oH
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--O-Fe-0-Fe-O--Fe-OH
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1\:
--O-Fe-0-Fe-o-Fe-OH
0
EisenElektrode
Fig.1.1:
/
0
/
0
/
Passiver Film
Schematische Darstellung des hydratisierten Filmes; nach
Pou (1984).
4
Neben dem Redoxpotential und dem pH-Wert des Elektrolyten beeinflusst
dessen Zusammensetzung in entscheidender Art und Weise Aufbau und
Struktur des Oxides, welches im Zuge der Passivierung gebildet wird. So
können Liganden, welche binukleare Oberflächenkomplexe bilden, zu einer Vernetzung der Oxidoktaeder führen und dadurch die Entstehung eines
dichten und porenfreien Oxides fördern. Auch Metallkationen, wie z. B.
Cr(III), bilden durch spezifische Adsorption selbst bei tiefen pH-Werten
bi- oder multinukleare Komplexe mit den funktionellen Gruppen der Oxidoberfläche. Bei Cr(III) ist ausserdem noch wichtig, dass durch dessen
Einbau in die passive Schicht spezielle Kristallstrukturen (Spinels) ermöglicht werden, und dass das eingebaute Cr(III) aufgrund seiner inerten Eigenschaften den Ligandaustausch an der Oxidoberfläche erheblich verlangsamt. Oxidierende Liganden (z. B. HCr04, NOi, etc.), welche ebenfalls
Oberflächenkomplexe bilden, erhöhen lokal die zur Entstehung und Erhaltung von Eisen(III)oxiden notwendige Redoxintensität, und verhindern
gleichzeitig die Reduktion der Eisen(III)zentren durch allfällig vorhandene
Reduktionsmittel. Die Gegenwart von aggressiven Anionen wie Cr und F
kann zum Zusammenbruch einer bereits bestehenden passiven Schicht führen, da bei deren Koordination mit den oberflächenständigen >FeOHGruppen wasserlösliche Komplexe entstehen.
1.3. Fragestellung und Zielsetzung
Im Vordergrund dieser Arbeit steht die Frage, inwiefern die koordinationschemischen Einsichten über die Oberflächenreaktivität der Oxide, wie sie
aus der Oberflächenstruktur und ihrer Speziierung folgt, und vor allem unsere Vorstellungen über die auflösungsbestimmenden Faktoren (H+, Liganden etc.), auf die Korrosion und die Interpretation der Passivität übertragen
werden können. Um diese Frage zu untersuchen, wurden elektrochemische
Polarisationskurven aufgenommen, welche Aufschluss über das Auflösungsverhalten von passiven Eisen(IIl)oxidfilmen geben sollten.
Eine Eisenelektrode, welche anodisch polarisiert wird, tritt in den passiven
Zustand über und ist somit von einer dünnen Schicht mehr oder weniger
definierter Eisenoxide bedeckt. Der anodische Strom, welcher nach der
Passivierung noch durch die Elektrode fliesst, entspricht der Korrosionsge-
5
schwindigkeit der Elektrode und kann als Mass für die Auflösungsgeschwindigkeit der passivierenden Oxidschicht betrachtet werden.
Werden nun dem Elektrolyten geeignete Zusätze beigegeben, welche die
Auflösung dieser Oxidschicht inhibieren, so sollte dies durch ein Absinken
des Passivstromes verifiziert werden können. Andererseits sollte sich eine
beschleunigte Auflösung des passiven Filmes durch ein Ansteigen des Passivstromes bemerkbar machen.
Die Beurteilung des Einflusses von Zusätzen erfolgte bei einem ersten Teil
von Experimenten durch die Aufnahme von Polarisationskurven in Elektrolyten verschiedener Zusammensetzung. Dabei wurde der durch eine Eisenelektrode fliessende Strom als Funktion eines sich linear mit der Zeit
ändernden Potentials aufgezeichnet. Bei anderen Experimenten wurde die
Elektrode durch Anlegen eines positiven Potentials direkt in den passiven
Zustand gebracht, um dann den Passivstrom als Funktion der Zeit zu verfolgen.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden ausserdem Versuche mit Partikeln durchgeführt. Untersucht wurde der Einfluss der aus der Korrosionschemie bekannten Inhibitoren Cr(III) und Cr(VI) auf die protonenbeschleunigte Auflösung von Goethit. Die pH-Abhängigkeit der Adsorption dieser Liganden
an der Oxidoberfläche wurde mit dem Speziierungsprogramm MICROQL
modelliert. Röntgenphotoelektronenspektroskopie und Tunnelmikroskopie
boten ferner die Gelegenheit, die Struktur und das Verhalten des an einer
3
Hämatit-Oberfläche gebildeten Cr +-Komplexes genauer zu analysieren.
1.4. Wichtige Resultate
Die Form der Polarisationskurve ist stark abhängig vom Elektrolyten, in
dem sie aufgenommen wurde. In Fig. 1.2 ist eine Polarisationskurve abgebildet, wie sie im Borat-Puffer (pH 8.4) und unter Stickstoff erhalten wurde.
6
200
c
Boratpuffer (pH 8.4)
Potentialänderungsgeschw. 5mV/s
....~
e
<
~
~
-
100
4
Q;
-5
~0
5
D
0
....
i'5
-+----- ....---- --..---- --.....- ----.--- --'
-100
-0.8
0.2
1.2
Potential [V/NHE]
Fif:. 1.2:
Typisches Voltammogramm im Borat-Puffer bei pH 8.4
5
6
Auflösung von Eisen: Bildung eines Monolayers
3
2
Umwandlung Fe + ~ Fe +
Rasches Wachsen der Eisen(hydr)oxid-Schicht
Passive Schicht wächst langsamer, ohne Zusammensetzung oder
Struktur gross zu ändern
Sauerstoff-Entwicklung
Reduktion des passiven Filmes und Entwicklung von Wasserstoff
A
B
C
D
Open-Circuit-Potential
Passivierungs-Potential
kritischer Strom
Passivstrom
1
2
3
4
Das Passivierungsverhalten einer Eisenelektrode in einem bestimmte n
Elektrolyte n kann am besten beschriebe n werden durch die kritische
Stromdichte, die benötigt wird, um die Elektrode zu passivieren, sowie das
Potential, bei dem die Passivierung einsetzt. Die Passivstromdichte gibt
7
des passiven Filmes. In der
Eigenschaften
die
über
Aufschluss
ausserdem
untenstehenden Tabelle 1.1 sind diese charakteristischen Werte für die Passivierung in einem Borat-Puffer, in einem Acetat-Puffer sowie in einer Perchloratlösung zusammengestellt.
Passivierungspotential
[V/NHE]
kritische
Stromdichte
[mA/cm 2]
Passivstromdichte
[gA/cm2]
Borat-Puffer, pH 8.4
-0.3
0.060 - 0.165
17 - 19
Acetat-Puffer, pH 4.6
0.7
23
162
0.05
7.2
22
Elektrolyt
Perchlorat, pH 7
Tab.1.1:
Charakteristische Werte für die mit 5 mV!s aufgenommenen
Polarisationskurven in verschiedenen Elektrolyten
Der kleine Wert für die kritische Stromdichte der im Borat-Puffer passivierten Eisenelektrode ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das BoratAnion ein sehr effizienter Inhibitor ist und die Passivierung ganz erheblich
erleichtert. Wird die Strom-Spannungskurve in Gegenwart von gelöstem
Sauerstoff aufgenommen, nimmt die kritische Stromdichte sogar noch kleinere Werte an.
Es wird angenommen, dass Borat dank seiner Fähigkeit, bidentate und binukleare Oberflächenkomplexe zu bilden, die Entstehung eines dichten und
porenfreien Oxids begünstigt und zugleich dessen Auflösung inhibiert.
Diesen Umständen ist es wahrscheinlich auch zuzuschreiben, dass die Passivstromdichte sehr kleine und nicht mehr reproduzierbare Werte annimmt,
wenn das Potential während einer längeren Zeit im passiven Bereich gehalten wird.
Die Aufnahmen der Polarisationskurven mit einer rotierenden Scheibenelektrode zeigten, dass die kritische Stromdichte eine Funktion der Rotationsgeschwindigkeit ist, während sich die Passivstromdichte als unabhängig von der Drehzahl der Elektrode erwies. Dieses Resultat bestätigt die
Vermutung, dass im Gegensatz zu den transportkontrollierten Reaktionen
bei der Passivierung die Vorgänge im passiven Zustand durch chemische
8
Reaktionen an der Grenzfläche Oxid/Wasser und/oder durch Festkörperdiffusionen bestimmt werden.
Der Einfluss des aggressiven Anions Chlorid konnte ebenfalls anhand von
Polarisationskurven nachgewiesen werden. Mit steigenden Konzentrationen an er verschob sich das Potential, bei dem die passive Schicht zusammenbrach und Lochfrass einsetzte, zu negativeren Werten.
Wie aus Tab. 1.1 ersichtlich wird, ist für die Passivierung im Acetat-Puffer
eine wesentlich höhere kritische Stromdichte erforderlich als für diejenige
im Borat-Puffer; das nach anodischeren Werten verschobene Passivierungspotential weist ebenfalls auf eine erschwerte Passivierung im AcetatPuffer hin. Während sich aber die kritischen Stromdichten um rund einen
Faktor 250 unterscheiden, ist die Passivstromdichte im Acetat-Puffer nur
etwa zehnmal grösser als diejenige im Borat-Puffer.
Bei den untersuchten Anionen erwies sich Oxalat als dasjenige mit dem
grössten Einfluss auf die Form der Polarisationskurve. Während in seiner
Gegenwart die kritische Stromdichte sogar leicht sank, wurde die Passivstromdichte um ein Vielfaches erhöht. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf
die Wirkung des Oxalatanions, die Auflösung von Eisenoxiden zu beschleunigen.
Wurde das Potential der Elektrode im passiven Bereich gehalten, so zeigte
der Passivstromverlauf hohe Schwankungen, welche die Reproduzierbarkeit der Experimente über längere Zeiträume verhinderte.
Auch bei den in Perchloratlösungen aufgenommenen Polarisationskurven
zeigte Oxalat eine konzentrationsabhängige Beschleunigung der Auflösung
der passiven Schicht, die sich in einer Erhöhung der Passivstromdichte äusserte. Wurde dem Elektrolyten hingegen Benzoat zugegeben, führte dies zu
einer Reduzierung des passiven Stromes, welche die postulierte auflösungsinhibierende Wirkung dieses Anions bestätigte.
Die Auflösungsexperimente mit Partikeln demonstrierten die effiziente Inhibierung der protonenbeschleunigten Auflösung von Goethit durch Cr(III)
und Cr(VI), wie dies aus Fig. 1.3 deutlich wird:
9
8
pH= 3.0
6
~
~
ro..
~
4
l'ol
=
~
0.1 mM Cr(III)
oder Cr(VI)
2
0
0
20
40
60
80
Zeit [h]
Fig.1.3:
Die protonenbeschleunigte Auflösung von Goethit bei pH 3
und deren Inhibierung durch Cr(Ill) und Cr (VI). Goethit5
konz. 1 g!l, entsprechend 1.35 x 10- M Oberflächen-OH
Mit Hilfe des Speziierungsprogramms MICROQL, welches auch Oberflächenspezies berücksichtigt, konnte die pH-Abhängigkeit der Adsorption
dieser beiden Inhibitoren modelliert werden. Dabei konnte gezeigt werden,
dass das Kation Cr 3+ vor allem oberhalb pH 4 adsorbiert, während das Anion HCr04 vorzugsweise an die positiv geladene Oxidoberfläche bei neutralen oder tieferen pH-Werten gebunden wird.
Röntgenphotoelektronspektroskopische Untersuchungen (XPS) sowie Tunnelmikroskopaufnahmen (STM) von an einer Hämatit-(001)-0berfläche
adsorbiertem Cr(III) lieferten Aufschluss über die molekularen Verhältnisse an der Grenzfläche Oxid/Wasser. Aufgrund der mit diesen Analysetechniken erhaltenen Resultate kann angenommen werden, dass sich das adsorbierte Chrom im formalen Cr(IIl)-Zustand befindet und zumindest teilweise hydratisiert ist. Ausserdem scheint es bevorzugt Stellen zu besetzen, die
eine trinukleare Bindung ermöglichen. Die geeigneten Stellen für die Ad3
sorption von Chrom sind möglicherweise Fe +-Vakanzen in der Oberflä-
10
ehe des Hämatits; wahrscheinlich ist ebenfalls der Ersatz eines Fe 3+, welches sich über einer Leerstelle der darunterliegenden Schicht befindet. Mit
der Tunnelmikroskopie konnte ferner gezeigt werden, dass die Oberflächendiffusion von adsorbiertem Cr(III) extrem langsam ist, wie dies aufgrund der inerten Eigenschaften seiner Komplexe auch zu erwarten ist.
Entsprechend kann angenommen werden, dass sich die Inertheit des Cr(III)
(Wasseraustauschrate = 10·5·6 sec· 1) extrem retardierend auf die Auflösungsrate von des passiven Oxides auswirkt, da die Cr-H20 und Cr-0
Bindungen in der Gitteroberfläche sehr robust sind.
Ebenfalls sichtbar wurden oligomerische Komplexe.
Neben einer allgemeinen Darstellung über die Mechanismen der Auflösung von Fe(IIl)(hydr)oxiden, die meines Erachtens wichtig sind für das
Verständnis der Passivität und der Inhibition der Korrosion, versuchte ich
in dieser Arbeit, einige grundsätzliche Ideen über die oberflächenchemische Wirkung von H+, Off, Metallionen und organischen Liganden bei der
Passivierung von Metallen sowie bei der Inhibition der Auflösung von passiven Filmen zu diskutieren.
11
2.
Ueberblick
2.1. Das Metall
Eisen ist wahrscheinlich das häufigste Element der Gesamterde; der Eisenanteil beim ganzen Erdball wird wegen des an Eisen reichen Erdkernes auf
"' 37 % geschätzt. Demgegenüber ist Eisen am Aufbau der zugänglichen
Erdkruste nur mit etwa fünf Gewichtsprozent beteiligt und steht damit hinter Sauerstoff (46.6), Silicium (27.7) und Aluminium (8.1) an vierter Stelle.
Das Auftreten von vielen Eisenmeteoriten spricht dafür, dass dieses Metall
auch im gesamten Sonnensystem häufig vorkommt.
Seine besondere Stellung innerhalb des Periodensystems erhält das Eisen
nicht zuletzt auch dank der Tatsache, dass es als Werkstoff bereits seit
mehr als dreitausend Jahren zur Anwendung kommt und seither weiteste
Verbreitung erfahren hat. Eisen trat verhältnismässig spät in den Bereich
der von Menschen verwendeten Materalien. Erst nachdem Bronze bereits
bekannt war, wurde Eisen während der nach ihm benannten Eisenzeit, die
ihre älteste Ausprägung auf europäischem Boden etwa zwischen 1100 700 v. Chr. hatte, gewonnen und verarbeitet.
Die im täglichen Leben von heute verwendeten Eisen- und Stahlsorten sind
stets Legierungen von Eisen mit kleineren oder grösseren Anteilen von
Kohlenstoff, Silicium, Mangan usw.; bei den legierten Edelstählen werden
die technischen Eigenschaften des Eisens ausserdem noch durch besondere
Zusätze von Aluminium, Chrom usw. verbessert. So erhöht z. B. Cr neben
der Härte, Zug- und Verschleissfestigkeit die Korrosionsbeständigkeit des
Eisens, bis es oberhalb eines Cr-Anteils von 12.5 % rostfrei ist. In der Metallurgie werden unterdessen Tausende von Eisenlegierungen für die verschiedensten Zwecke hergestellt. Kein anderes Metall kann seine Eigenschaften wie Zugfestigkeit, Härte, elektrische Leitfähigkeit, magnetische
Sättigung oder Korrosionsbeständigkeit durch Zugabe von anderen Legierungsbestandteilen über einen so grossen Bereich verändern.
Reines Eisen ist ein silberweisses, glänzendes und zähes Metall, das nicht
besonders hart und recht reaktionsfreudig ist. An feuchter Luft und in be-
12
lüfteter wässriger Lösung wird es ziemlich schnell unter Bildung von Eisen(IIl)(hydr)oxidenl oxidiert, die jedoch keine Schutzschicht ausbilden,
da sie in Schuppen abspringen und dabei frische Metalloberfläche freilegen. In verdünnten Mineralsäuren ist das Metall leicht löslich. Man erhält
dabei mit nichtoxidierenden Säuren und bei Abwesenheit von Luftsauerstoff Eisen(II). An der Luft oder bei Verwendung von warmer, verdünnter
Salpetersäure geht ein Teil des Eisens in Fern über. Sehr starke Oxidationsmittel, wie konzentrierte Salpetersäure oder Dichromat enthaltende Lösungen, vermögen Eisen zu passivieren; der passive Zustand ist dadurch charakterisiert, dass das Eisen von einer dichten, schützenden Oxidschicht bedeckt ist. Eisen wird ferner von luftfreiem Wasser und verdünnten luftfreien Hydroxiden nur wenig angegriffen, wohl aber von heissem, konzentriertem Natriumhydroxid (Cotton 1980).
In der Natur findet man Eisen fast ausschliesslich chemisch gebunden. Es
liegt meistens in den Oxidationsstufen II und III vor und bildet mit unzähligen natürlichen Stoffen eine Vielfalt von Verbindungen. In Böden, Sedimenten und in Gewässern kommt es hauptsächlich in der Form verschiedener Oxide und Hydroxide vor, deren Bildung und Auflösung entscheidend
von den chemischen Bedingungen der Umgebung abhängen. Da diese
Transformationsvorgänge mit den Kreisläufen anderer wichtiger Substanzen gekoppelt sind, spielen sie im Rahmen der Geochemie eine eminent
wichtige Rolle.
In Lebewesen spielt Eisen bei den verschiedensten Stoffwechselreaktionen
eine wichtige Rolle; es stellt das am weitesten verbreitete und wichtigste
Uebergangsmetall mit einer Funktion im lebenden Organismus dar. Da die
beiden häufigsten Oxidationszustände des Eisens, Fe11 und Fern, durch Redoxreaktionen leicht ineinander überführt werden können und beide Redoxzustände in einer geeigneten Umgebung relativ stabil sind, dient es bei
vielen biologischen Redoxreaktionen als Zwischenspeicher für Elektronen
oder als Redoxkatalysator. Eisenhaltige Proteine beteiligen sich neben den
Prozessen der Elektronenübertragung auch am grundlegenden Prozess des
Sauerstofftransportes.
1 Unter dem Sammelbegriff der Eisen(IIl)(hydr)oxide werden hier die Eisen(III)oxide, -oxyhydroxide und -hydroxide bezeichnet.
13
(In Klammem sei an dieser Stelle noch eine weitere Merk-würdigkeit des
5
Elementes Eisen vermerkt: Der Eisenkern 6Pe ist der stabilste von allen
Atomkernen. Mit anderen Worten: Es wird immer nur dann Energie frei,
wenn Kerne, die leichter als Eisen sind, zu Elementen in der Nähe des Eisens verschmelzen oder wenn schwerere Kerne wie Uran durch Spaltung
leichtere Elemente in der Nähe des Eisens produzieren. Dickerson 1983)
2.2. Wichtige Reaktionen des Eisens
Um zu einem besseren Verständnis des Mechanismus der Korrosion zu gelangen, ist es unabdingbar, die Reaktionen des Eisens in all seinen Oxidationszuständen zu kennen. Der erste Schritt in der Korrosion von Eisen besteht im wesentlichen aus einem Uebertritt von Metallatomen aus ihrem
Gitter in einen Elektrolyten unter gleichzeitiger Abgabe von Elektronen.
Nachstehend seien die Reaktionen, welche diesen Uebertritt begleiten oder
auf ihn folgen, nämlich die Hydrolyse der Eisenionen, die Komplexbildung
und die Redoxreaktionen, kurz dargestellt. Alle genannten Reaktionen,
welche zu einem breiten Spektrum von Verbindungen mit den verschiedensten Eigenschaften führen, sind nicht nur im Zusammenhang mit dem
Werkstoff Eisen und seinen Legierungen und deren technischen Anwendung von grösster Bedeutung, sondern spielen auch in natürlichen Systemen und lebenden Organismen eine wichtige Rolle.
2.2.1.
Die Hydrolyse
Der Begriff der Hydrolyse bezieht sich definitionsgemäss auf chemische
Reaktionen, bei denen eine Substanz durch Wasser zersetzt oder gespalten
wird. Im Rahmen der anorganischen Chemie findet dieser Begriff Verwendung bei wässrigen Lösungen von metallischen Salzen und den Reaktionen, welche sie in neue ionische Spezies oder Festphasen umwandelt. Die
Hydrolyse von Salzen hat ihren Ursprung meist im Verlust von Protonen
des aquotisierten Metallkations, und sie endet oft in der Fällung der entsprechenden Metall(hydr)oxide (Schneider 1988).
In wässrigen Lösungen von Eisen(II), die keine anderen Komplexbildner
2
enthalten, liegt das blassblaugrüne Hexaquoeisen(Il)ion, [Fe(H20)6] +,
14
vor. Erst bei höheren pH-Werten spalten sich Protonen vom koordinierten
Wasser ab; weil das Hexaquoeisen-(11)-ion ab etwa pH 8 der Hydrolyse unterliegt, kann es als eine schwache Säure betrachtet werden (Baes 1976):
[Fe(H20)6] 2+
= [Fe(H20)5(0H)]+
+ H+
log Ku = -9.5
(1 M NaCl04, 25°C)
Eisen(III)-Salze hingegen hydrolysieren im pH-Bereich 5 < pH < 9, welcher sowohl in biologischer wie auch in natürlicher aquatischer Umgebung
vorherrscht, rasch. Selbst bei pH-Werten von 2 - 3 ist das Ausmass der
Hydrolyse, deren erster Schritt äquivalent der Säuredissoziation des Aquoions ist, sehr gross (Cotton1980):
[Fe(H20)6] 3+ = [Fe(H20)5(0H)] 2+ + H+
log K
= -3.05
Der nächste Hydrolyseschritt ist durch folgende Gleichgewichtskonstante
bestimmt:
[Fe(H20)5(0H)] 2+ = [Fe(H20)4(0H)2]+ + H+ log K = -3.26
Die bei der Hydrolyse entstehenden Hydroxoionen können auch zwei oder
mehr Eisenzentren verbrücken:
2 [Fe(H20)6] 3+
= [Fe(H20)4(0H)2Fe(H20)4] 4+
+ 2 H+
log K = -2.91
Um Lösungen zu erhalten, die Fem hauptsächlich in Form des Hexaquoions enthalten, muss also ein pH-Wert von etwa Null eingehalten werden.
Steigt der pH-Wert über 2 - 3, so werden noch höher kondensierte Einheiten als der oben erwähnte zweikemige Komplex gebildet, und es entstehen
kolloidale Gele. Schliesslich fällt amorphes Eisen(IIl)hydroxid in Formeiner rotbraunen, gallertartigen Masse aus.
2.2.2.
Die Komplexbildung
Die Stabilität der Eisenkomplexe hängt sehr stark von der Oxidationszahl
des Eisenions ab. Komplexe von Eisen(II) sind meist oktaedrisch und in
der Regel schwächer als die entsprechenden Eisen(IIl)komplexe. Komple-
15
xe von Fell mit Chelatliganden wie ortho-Phenanthrolin oder Bipyridil
können jedoch eine beachtliche Stabilität aufweisen.
Auch Eisen(III) bildet eine grosse Anzahl meist oktaedrischer Komplexe,
so dass das Oktaeder als sein charakteristisches Koordinationspolyeder angesehen werden kann. Allerdings sind auch einige tetraedrische Komplexe
bekannt, von denen [FeCl4r der wichtigste ist. Eisen(III) hat seine grösste
Affinität zu Liganden, die über Sauerstoff koordinieren, insbesondere zu
Monophosphationen, Polyphosphaten und Polyalkoholen. Mit Oxalat entsteht der Trisoxalatokomplex. Nur wenige stickstoffhaltige Liganden wie
die chelatbildenden EDTA, NTA oder ortho-Phenanthrolin bilden relativ
starke, über Stickstoff gebundene Komplexe. Das Eisen-(IIl)-ion bildet
auch mit Halogenidionen Komplexe. Wie sich aus den Gleichgewichtskonstanten ergibt, ist besonders seine Affinität zu F recht hoch:
Fe3+ + F = FeF2+
Die Gleichgewichtskonstante des entsprechenden Chlorokomplexes ist nur
.,. 30. Diese Konstanten sind insofern von Bedeutung, als Fluorid und besonders Chlorid neben dem Sulfat die am häufigsten anzutreffenden aggressiven Anionen sind.
Durch Komplexbildung kann die gesamte Löslichkeit von Eisen(III), die
ohne Liganden bei höheren pH-Werten sehr gering ist, erheblich erhöht
werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang ferner, dass die Komplexe
von Eisen (II) und Eisen (III) relativ labil sind, so dass in Systemen mit
verschiedenen Komplexformern Ligandaustauschreaktionen eine wichtige
Rolle spielen können.
2.2.3.
Die Redoxreaktionen
Korrodiert Eisen, so geschieht dies in einem ersten Schritt immer unter Ab2
gabe von zwei Elektronen; das Potential2 Fe/Fe + beträgt dabei 0.44 V.
Im Jahre 1953 wurde anlässlich einer IUPAC-Konferenz beschlossen,
dass das Standard-Reduktionspotential einer beliebigen Halbzelle "das
Potential" genannt werden würde.
2
16
Die entstandene Fe11-Spezie kann dann in einer Folgereaktion zu Fem wei-
teroxidiert werden. Auch in der Natur kommt Eisen fast ausschliesslich als
Eisen(II) und Eisen(III) vor. In einigen wenigen Verbindungen treten auch
2
3
die höheren Oxidationsstufen IV und VI auf. Das Potential Fe +/Fe + von
0.771 V liegt so, dass molekularer Sauerstoff in saurer Lösung Eisen(II)- in
Eisen(III)-ionen überführen kann:
2 Fe2+ + 1/2 02 + 2 H+ = 2 Fe3+ + H20
E0 =0.46 V
In basischer Lösung liegt das Oxidationspotential noch günstiger:
E0
= -0.56 V
Neutrale und saure Lösungen von Eisen(II)ionen oxidieren mit zunehmender Acidität weniger rasch (obwohl das Potential der Oxidationsreaktion
stärker positiv wird). Dies ist der Fall, weil FeIII in Wirklichkeit, ausser in
extrem sauren Lösungen, in Form von Hydroxokomplexen vorliegt; da die
Stabilität der hydrolysierten Ionen von derjenigen der Hexaquoionen verschieden ist, hängt das Redoxpotential einer Eisenlösung stark von deren
pH-Wert ab:
Fe3\aq) + e- = Fe 2+(aq)
Fe(OH)3 + e- = Fe(OH)2 + Off
E 0 =+0.77 V
E 0 = -0.75 V
Das Redoxpotential wird auch durch Komplexbildung mit anderen Liganden als Hydroxid stark beeinflusst. In der Regel lassen sich Eisen(II)-komplexe gut zu Eisen(III)komplexen oxidieren; das System Ferr/Felll in wässriger Umgebung ist deshalb ein gutes Beispiel für den Einfluss von Komplexliganden auf die relativen Stabilitäten von Oxidationsstufen:
[Fe(CN)6] 3- + e- = [Fe(CN)6] 4[Fe(H20)6]3+ + e- = [Fe(H20)6] 2+
E 0 =+0.36 V
E 0 =+0.77 V
Liganden, welche die Ionen der einen Oxidationsstufe stabilisieren, verschieben das Redoxgleichgewicht zu deren Gunsten. Im Falle des Eisens
stabilisieren die meisten Komplexformer Eisen(III) stärker als Eisen(II),
ausser wenn ein Ligand sehr starr ist und seine Geometrie besser zur Komplexierung von Eisen(II) geeignet ist, wie das z. B. für Phenanthrolin der
Fall ist. Genauso können komplexierende Reagenzien, wie EDTA, Cyanide
und starke Basen, dazu tendieren, die Korrosionsrate von vielen Metallen
17
zu erhöhen, weil sie die Metallionenaktivität in der Lösung reduzieren und
dadurch das Metallpotential deutlich in die aktive Region verschieben
(Uhlig 1985).
Eisen(III) wird durch viele Reduktionsmittel wie etwa r in wässriger Lösung recht leicht reduziert. Es oxidiert auch das Sulfidion, so dass das bei
Zugabe von Schwefelwasserstoff oder eines Sulfids zu Fem-Lösung entstehende Fe(III)-Sulfid rasch in Eisen(Il)-sulfid und kolloidalen Schwefel
übergeht.
Auch feste Eisen(hydr)oxide - seien sie Bestandteile einer passiven Schicht
oder Partikel in einem natürlichen Gewässer - können Redoxreaktionen
eingehen. Solche spielen bei der reduktiven Auflösung von Eisen(III)(hydr)oxiden eine entscheidende Rolle. Die Löslichkeit des dreiwertigen
Eisens in natürlichen Wässern wird im wesentlichen durch die Löslichkeit
seiner Hydroxide und Oxy-hydroxide begrenzt, die Löslichkeit des zweiwertigen Eisens durch die Löslichkeit von FeC03. Bei fast neutralen pHWerten ist Fell um einige Zehnerpotenzen löslicher als Fem. Die Erhöhung
der Eisenlöslichkeit in einem natürlichen aquatischen System erfolgt daher
am wirkungsvollsten durch reduktive Auflösung von Eisen(III)oxiden
(Sulzberger 1988).
Neben der Auflösung können Redoxreaktionen von Festkörpern auch zu
Phasenumwandlungen führen. So führt eine teilweise Reduktion von Eisen(III)(hydr)oxiden zur Bildung von Magnetit (Fe304).
2.3. Die Oxide
Da metallisches Eisen sowohl an der Luft als auch in belüfteter wässriger
Lösung mit einer Oxidschicht bedeckt ist, kommen der Bildung, Struktur
und vor allem auch der Auflösung der Eisen(hydr)oxide im Zusammenhang mit der Korrosionschemie eine entscheidende Rolle zu. Um Klarheit
bezüglich der Mechanismen zu erhalten, wird im Labor sehr oft mit Modelloxiden gearbeitet, deren Stöchiometrie klar definiert und Kristallstruktur bekannt ist. Da Zusammensetzung und Aufbau der passiven Schichteinerseits von den Bedingungen bei deren Bildung abhängen und andererseits der experimentellen Untersuchung nur sehr schwer zugänglich sind,
18
befasst sich die Korrosionschemie mit verschiedenen Oxiden, von denen
die wichtigsten Magnetit, Maghemit, Goethit, Lepidokrokit, Wüstit und
"Grüner Rost" sind (Schwertmann 1991).
Der Ausdruck "Eisen(hydr)oxid" wird gebraucht für jedes Produkt, welches aus einer Hydrolyse eines Eisensalzes in wässriger Lösung hervorgeht
(Schneider 1988). Ausgebend von gelöstem Eisen in einer wässrigen Lösung können sich je nach Bedingungen eine grosse Anzahl verschiedener
Oxide und Oxyhydroxide bilden. Sie unterscheiden sich bezüglich ihrer
chemischen Zusammensetzung, Struktur, Partikelgrösse, Form der Partikel
und Oberflächeneigenschaften. Auch (Hydr)oxide mit derselben Stöchiometrie können bezüglich ihrer Morphologie stark unterschiedlich sein;
nicht nur die Partikelgrösse, sonder auch die äussere Form der Kristalle
kann je nach Herstellungsbedingungen sehr verschieden sein. Welches Produkt sich bildet, hängt ab von verschiedenen Parametern wie dem pHWert, Temperatur, Redoxpotential und der Art der vorliegenden organischen und anorganischen Liganden.
Alle Eisenoxide und -hydroxide bestehen aus Fe, 0 und/oder OH. Sie unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung, in der Valenz von Fe und vor
allem in ihrer Kristallstruktur. Man kennt drei stöchiometrisch verschiedene Eisenoxide; sie alle neigen aber zur Ausbildung nichtstöchiometrischer
Phasen. Die ideale Zusammensetzungen der Phasen sind FeO, Fe203 und
Fe304.
Kristallines FeO besitzt NaCl-Struktur und ist nur zugänglich, indem man
es bei recht hohen Temperaturen unter Gleichgewichtsbedingungen herstellt und das Reaktionssystem abschreckt, da es bei tieferen Temperaturen
gegenüber Fe und Fe304 instabil ist (Cotton 1980).
Das rotbraune a-Fe203, Hämatit, weist Korund-Struktu r auf, und die
Oxidionen bilden eine hexagonal dichteste Anordnung, deren oktaedrischen Hohlräume von Fem-Ionen besetzt werden. Die Struktur von yFe203, Maghemit, kann als kubisch dichteste Anordnung von Oxidionen
betrachtet werden, in der die Fem-Ionen willkürlich über die oktaedrischen
und tetraedrischen Zwischenräume verteilt werden.
Fe304 schliesslich ist ein gemischtes Fen-Fem-Oxid, das in der Natur in
Form der schwarzen, oktaedrischen Kristalle des Minerals Magnetit vorkommt. Es besitzt eine inverse Spinell-Struktur; die Fell-Ionen liegen daher alle auf oktaedrischen Plätzen, während sich die Fem-Ionen zur Hälfte
19
in tetraedrischen und zur anderen Hälfte in oktaedrischen Zwischenräumen
einer kubisch dichtesten Anordnung von Oxidionen befinden.
"Grüner Rost" ist nicht ein Oxid oder Hydroxid im strikten Sinne. Die unter diesem Namen zusammengefassten (Hydr)oxide enthalten Anionen als
eine wesentliche Komponente. Sie bestehen aus hexagonal dichtest ge2
3
packten Schichten aus OH und 0 des Fe(OH)2-Typs mit Fe + und Fe + in
3
den Zwischenräumen. Fe + gibt den Schichten eine positive Ladung, welche durch Einschluss von Anionen zwischen den Schichten ausgeglichen
wird. Formen mit Chlorid, Sulfat und Carbonat zwischen den Schichten
sind bekannt. Die ersten beiden Formen können ein Verhältnis von
Fe2+/Fe 3+ bis zu 4 haben, je nach Grad der Oxidation, während die Carbonatform ein Verhältnis von 2 oder 3 zu haben scheint. Der Name "Grüner
Rost" ist abgeleitet von der bläulich-grünen Farbe der Verbindungen und
ihrem Vorkommen als anaerobe Oxidationsprodukte von Stahl.
In allen Oxiden kann das Fe 3+ in der oktaedralen Position teilweise ersetzt
werden durch andere dreiwertige Metallkationen mit ähnlicher Grösse, wie
z. B. Al 3+, Mn 3+ und Cr3+, ohne dass die Struktur des Oxides verändert
würde (isomorphe Substitution). Auf diesem Wege können feste Lösungen
gebildet werden. Andere Kationen, z. B. Ni, Ti, Co, Cu und Zi können
ebenfalls in Eisenoxidstrukturen inkorporiert werden.
Auch Umwandlungen zwischen den verschiedenen Oxiden sind möglich
und gehen oft leicht vonstatten. Besonders die Hydroxy-oxide dehydrieren
zu ihren Anhydriden und durch Erhitzen schlussendlich zu Hämatit. Bei
tieferen Temperaturen und in Lösung geschehen Umwandlungen oft über
den Umweg der Auflösung, gefolgt von einer Wiederausfällung einer
neuen Phase. Ebenfalls möglich sind die bereits erwähnten Oxidationsoder Reduktionsreaktionen.
Eisenoxide sind in der Natur weit verbreitet. Sie kommen in Böden und
Gesteinen, Seen und Flüssen, in Sedimenten und sogar in der Luft vor. Eisenoxide sind von grosser Bedeutung für viele der Prozesse, welche in
Oekosystemen ablaufen. Wegen ihrer Allgegenwärtigkeit in Böden und Sedimenten und ihrer reaktiven Oberflächen sind sie wichtige Regulatoren
der Konzentration und Verteilung von Nährstoffen (z. B. Phosphat) und
Spurenmetallen (z.B. Pb). Eisenoxide spielen aber nicht nur in der Bodenund Umweltchemie eine wichtige Rolle, sondern sie sind auch in anderen
Disziplinen wie der Medizin und der industriellen Chemie von Bedeutung.
20
2.4. Die Auflösung der Oxide
2.4.1.
Oberflächenreaktionen
Wenn ein Eisenoxid mit Wasser in Berührung kommt, wird dessen Oberfläche hydratisiert. Die Hydroxogruppen an der Oberfläche von Oxiden
und Hydroxiden sind amphoter und können deprotoniert oder durch Protonen aus der Lösung protoniert werden. Dementsprechend besitzen diese
Hydroxogruppen charakteristische pK-Werte:
>FeOH2 = >FeOH + H+
>FeOH = >FeO- + H+
pK:1 = 6.4
pK:i = 9.3
Ein Proton einer Hydroxogruppe an der Oberfläche eines Metall(hydr)oxides kann bei geeigneten Bedingungen auch durch ein Metallion ausgetauscht werden:
>FeOH + Mz+
= >FeOM(z-l)+
+ H+
Diese Reaktion ist stark vom pH-Wert der Lösung abhängig. Die Adsorption der Metallionen beginnt ungefähr beim gleichen pH-Wert wie die Hydrolyse des adsorbierten Metallions.
Die Hydroxoionen an der Oberfläche des Oxides können durch andere Liganden ersetzt werden:
Die Stabilitätskonstanten dieser Oberflächenkomplexe sind proportional
den Stabilitätskonstanten Kt der entsprechenden mononuklearen Komplexe in homogener Lösung. Die Komplexbildung ist stark pH-abhängig, da
zur Entfernung des Hydroxidions vom Metallzentrum ein Proton benötigt
wird, welches aus der Lösung oder von einem protonierten Liganden stammen kann. Adsorbierte Metallionen können mit Liganden aus der Lösung
auch ternäre Komplexe bilden:
>FeOM(z-I)+ + L
= >FeOML(z-2)+
Die Bildung solcher ternärer Komplexe beeinflusst nicht nur die Stabilität
des Oberflächenkomplexes, sondern auch dessen Redoxpotential. Liganden
können entweder die Oberflächenkomplexe oder die Lösungskomplexe sta-
21
bilisieren und dadurch entweder zu einer erhöhten oder erniedrigten Adsorption führen.
2.4.2.
Kinetische Betrachtungen
Löst sich ein Mineral auf, können verschiedene Schritte daran beteiligt
sein, wovon jeder der geschwindigkeitsbestimmende sein kann:
1) Massentransport von gelösten Reaktanden von der Lösung zur Oberfläche des Minerals
2) Adsorption von gelösten Bestandteilen
3) Festkörperdiffusion von reagierenden Spezies
4) Chemische Reaktionen
5) Ablösung von Reaktanden von der Oberfläche, und
6) Massentransport weg von der Oberfläche in die Lösung
Bei der Auflösung von Mineralien können anhand der Kinetik im wesentlichen zwei Typen von Reaktionen unterschieden werden. Im ersten Fall ist
der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ein Transport-Schritt, z. B. der
Transport eines Eduktes durch eine Schicht an der Oberfläche eines Minerals oder die Diffusion von Produkten bei der Auflösung von sehr leicht
löslichen Feststoffen. Im zweiten Fall wird der Prozess der Auflösung kontrolliert durch eine Reaktion, welche an der Oberfläche stattfindet. Im Gegensatz zur diffusionskontrollierten Auflösung des ersten Falles spricht
man hier von einem oberflächenkontrollierten Prozess (Stumm 1992).
Unter natürlichen Bedingungen ist die Geschwindigkeit der Auflösung der
meisten Mineralien zu langsam, um vom Massentranspor t von Edukten
oder Produkten abhängig zu sein. Die Diskussion beschränkt sich deshalb
sehr oft auf die Fälle, bei denen der geschwindigkeitsbestimmende Schritt
entweder ein Massentransport von Reaktanden innerhalb eines Festkörpers
oder eine Reaktion an der Oberfläche ist. Der kinetisch limitierende Schritt
könnte somit die Adsorption des auflösungsbeschleunigenden Liganden,
eine allfällige Reduktion des oberflächenständigen Metallzentrums oder
die Loslösung eines oberflächenstän digen Ions sein. Da Adsorption und
auch allfällige Reduktionen relativ schnell sind, nimmt man an, dass in der
Regel die Loslösung geschwindigkeitsbestimmend ist. Die Auflösungsreaktion kann schematisch in zwei Sequenzen aufgeteilt werden:
22
Obetflächenständige Gruppe + Reaktanden
(Protonen, Hydroxidionen, Liganden)
schnell
-----•.-
Obetflächenspezies
Obetflächenspezies
langsam
Me(aq)
Die Ablösung des
Metalles ist der
geschwindigkeitsbestimmende Schritt
Viele heterogene Prozesse wie die Bildung und Auflösung der festen Phase, Redoxreaktionen und photochemische Prozesse an der Grenzfläche
Festkörper/Wasser sind kinetisch durch einen Reaktionsschritt an der
Oberfläche und nicht durch einen Transportschritt kontrolliert.
Da die Reaktionen an der Oberfläche langsam sind im Vergleich mit der
Diffusion, folgt die Auflösungskinetik einer Reaktionsordnung 0-ter Ordnung. Voraussetzung ist allerdings, dass an der Obetfläche steady-state Bedingungen vorherrschen. Die Auflösungsgeschwindigkeit wird durch die
Konzentration der adsorbierten auflösungsbeschleunigenden Lösungskomponenten bestimmt. Auflösungsbeschleunigende Lösungskomponenten
können Protonen, Komplexbildner oder Reduktionsmittel oder auch eine
Kombination derselben sein (Furrer 1983).
2.4.3.
Säureauflösung
Bei der Auflösung eines Oxides oder Hydroxides in Säure werden die
oberflächenständigen Hydroxidionen protoniert. Die zu diesen Gruppen
unmittelbar benachbarten Metallzentren bilden günstige Abgangseinheiten:
>Fem-OH + H+ = >FeIII-OHi
>Fem-OH2 + nH20 = >„. + Femaq
An der Oberflächenstelle, wo ein Fem abgelöst worden ist (mit >„. bezeichnet) lagern sich sofort wieder Wassermoleküle und Protonen an, so
dass wieder eine Obetflächenstelle der ursprünglichen Art generiert wird.
23
Wie oben bereits erwähnt, ist die Rate der Säureauflösung von Oxiden direkt proportional der Konzentration der Protonen an der Oberfläche.
2.4.4.
Ligandkontrollierte Auflösung: Beschleunigung
und Inhibition
Wird ein Komplexbildner an der Oberfläche des Festkörpers adsorbiert,
kann er entweder mit dem koordinierten oberflächenständigen Metallion
eine günstige Abgangsgruppe bilden und dadurch die Auflösungsgeschwindigkeit gegenüber der protonenbeschleunigten Auflösung erhöhen
oder aber die Auflösung inhibieren.
Zur Loslösung eines Metallions von der Oberfläche eignen sich Chelate
besonders gut, wobei ein von Ligand und Metallzentrum gebildeter Fünfring eine optimale Abgangsgruppe zu sein scheint. Ein solcher bidentater,
mononuklearer Oberflächenkomplex sei hier am Beispiel des Oxalats dargestellt:
"
/
Fe-o-
+ HOYO
HOAu
"10=\
/ 'o
0
Fe
0
Auflösungsfördemde Liganden für Eisen(III)(hydr)oxide sind neben dem
Oxalat z. B. ebenfalls Citrat, Salicylat oder Fluorid. Zu den geeigneten
Komplexbildnern gehören auch EDTA und NTA. Viele auflösungsfördemde Liganden erhöhen die Löslichkeit der Oxidfestphasen. Als Folge davon
wird der Aktivitätsgradient an der Grenzfläche Oxid/Wasser erhöht, was
die Untersuchung der Auflösungskinetik erleichtert. Letztere wird aber
durch die höhere Löslichkeit nicht beeinflusst, da die Auflösungsrate in
den von uns untersuchten Systemen oberflächenkontrollie rt und nicht
transportkontrolliert sind (Bondietti 1992). Monodentate Liganden sind
weniger auflösungsaktiv, und zwar auch dann, wenn sie stark adsorbiert
werden.
Bildet ein Ligand vorzugsweise bidentate, binukleare Komplexe, dann
kann Inhibition stattfinden. Die Inhibition folgt aus der Tatsache, dass die
gleichzeitige Loslösung zweier Metallzentren aus dem Oxid wegen der ho-
24
hen Aktivierungsenergie sehr unwahrscheinlich ist. Phosphat ist ein prominenter Vertreter eines binukleare Komplexe bildenden, auflösungsinhibierenden Liganden:
-2Hi0
Die Vorstellung, dass auch Benzoat binukleare Oberflächenkomplexe bilden kann, wurde durch kürzlich publizierte Daten, welche aufgrund von
CIR-FfIR gewonnen wurden, unterstützt (Tejedor-Tejedor 1990). Folgende Struktur für einen Komplex an einer Goethitoberfläche wurde vorgeschlagen:
Die Tendenz zur Bildung von Oberflächenkomplexen ist proportional der
Tendenz zur Bildung von Komplexen mit dem selben Metall in Lösung.
Da die Adsorption der Liganden vom pH-Wert abhängt, wird auch die
Auflösungsrate durch den pH-Wert beeinflusst, indem die maximale Rate
mit verschiedenen Komplexformem bei unterschiedlichen pH-Werten erreicht wird.
2.4.5.
Reduktive Auflösung
Wenn ein Reduktionsmittel wie z.B. Ascorbat an der Oberfläche eines reduzierbaren Metalloxides adsorbiert wird, so kann zwischen dem Liganden
und dem Metallzentrum ein Elektronenübergang stattfinden. Das reduzierte
Metallion passt dann wegen seiner vergrösserten Elektronenhülle nicht
mehr in den ursprünglichen Gitterverband des Oxides, so dass seine Loslösung von der Oberfläche im Vergleich zur nichtreduktiven Auflösung stark
beschleunigt werden kann.
25
2.5.
Bedeutung der Eisenoxide bezüglich der Passivität von
Eisen
Eisen, das sich im passiven Zustand befindet, ist von einer Eisen(hydr)oxidschicht bedeckt, welche das darunterliegende Metall weitgehend vor
weiterer Auflösung schützt. Die Wirksamkeit dieses Schutzes hängt sowohl von der Stabilität dieser Oxidschicht als auch von der Geschwindigkeit ihrer Auflösung ab. Im Zusammenhang mit der Korrosionschemie
kommen deshalb den Reaktionen an der Grenzfläche Oxid/Elektrolyt eine
entscheidende Bedeutung zu. Die mechanistischen Einsichten, die bei der
Untersuchung der Oberflächenreaktionen von partikulären Eisen(hydr)oxiden gewonnen wurden, und die daraus entwickelten Modellvorstellungen
der Oberflächen sind somit für das Verständnis von Korrosionsprozessen
äusserst nützlich (Stumm 1990).
2.5.1.
Aufbau und Zusammensetzung der passiven
Schicht
Eisen kann passiviert werden, indem es entweder einer passivierenden Umgebung (z.B. einer Chromat- oder Nitritlösung) oder anodischer Polarisation mit genügend hoher Stromdichte ausgesetzt wird. Aufbau und Zusammensetzung der dabei gebildeten passiven Schicht hängen stark von der jeweiligen chemischen Umgebung und den experimentellen Bedingungen
ab, so dass keine allgemein gültige Aussage über ihre Zusammensetzung
gemacht werden kann. Ausserdem ist die Untersuchung der meist nur wenige Angström dicken Schicht sehr schwierig. Den wenigen, kaum zugänglichen und aufwendigen in-situ Techniken stehen die ex-situ Analysemethoden gegenüber, welche alle den offensichtlichen Nachteil aufweisen,
dass sie eine Schicht untersuchen, die bei der Entfernung aus dem Elektrolyten signifikant verändert wurde. Aus diesen Gründen besteht bis heute
weder bezüglich der Stöchiometrie noch der Struktur der passiven Schichten Uebereinstimmung.
Als Annäherung an den Aufbau des in einem Borat-Puffer erzeugten Filmes bedient man sich oft der Darstellung der passiven Schicht als einen
dünnen Film von Fe203, amorph oder kristallin in seiner Struktur, und mit
26
unterschiedlichem Wassergehalt (Jovancicevic 1987). Andere Autoren
schlugen eine Doppelschicht vor, welche innen aus Fe304 und aussen aus
Fe203 besteht (Nagayama 1962). Pou (1984) zeichnete das Modell eines
polymerischen Oxides, wobei eingeschlossenes Wasser die Funktion hat,
den Film amorph zu halten.
2.5.2.
Inhibition der Auflösung von passiven Schichten
In bestimmten Fällen kann die Korrosionsgeschwindigkeit von passivem
Eisen der Auflösungsrate der oxidischen Oberflächenschichten entsprechen (Grauer 1982). Bei durch anodische Polarisation passiviertem Eisen,
welches sich bei konstantem Elektrodenpotential und konstanter Schichtdicke in einem stationären Zustand befindet, entspricht die Auflösungsgeschwindigkeit der oxidischen Schicht dem anodischen Strom (Heusler
1968). Der selbe Sachverhalt wurde bei anderen Metallen beobachtet. Zutic
(1984) konnte zeigen, dass die Auflösungsgeschwindigkeit der passiven
Schicht an einer rotierenden Aluminiumelektrode durch eine chemische
Reaktion an der Grenzfläche Oxid/Elektrolyt bestimmt wird und nicht
durch die Oxidation an der Grenzfläche Metall/Oxid oder durch die Festkörperdiffusion durch die Schicht. Wiedmer ( 197 4) untersuchte mit der
drehenden Scheibenelektrode die anodische Auflösung von Reinstaluminium in fluoridhaltiger Lösung und kam ebenfalls zum Schluss, dass die
Korrosionsgeschwindigkeit durch die Auflösungskinetik der Oxidschicht
gegeben ist.
Die Hemmung der Korrosion kann deshalb u. U. mit denselben Mitteln erreicht werden, mit denen die Auflösungsgeschwindigkeit von Eisen(hydr)oxiden herabgesetzt werden kann. Wichtig im Hinblick auf die Inhibition
der Korrosion ist vor allem die Adsorption von Liganden an die Grenzfläche Oxid/Elektrolyt sowie die Art der gebildeten Oberflächenkomplexe.
Eisen ist hauptsächlich in neutraler, belüfteter Lösung mit einer Oxidschicht bedeckt. Zu den am häufigsten verwendeten Inhibitoren in diesem
Medium gehören u. a. o-Phosphat, Silicat und Benzoat. Ihre inhibierende
Wirkung, die anerkanntermassen auf der Stabilisierung der oxidischen
Deckschicht beruht, kann in direkten Zusammenhang mit ihrer Tendenz, an
oxidischen Oberflächen binukleare Komplexe zu bilden, gebracht werden.
Ein weiterer Aspekt ihrer schützenden Wirkung beruht darauf, dass sie mit
27
allfälligen aggressiven Anionen in Konkurrenz um die Adsorptionsplätze
an der Oberfläche stehen und letztere von dort verdrängen.
2.5.3.
Zusammenbruch der Passivität
Aggressive Anionen können zu einem Zusammenbruch der Passivität führen oder die Bildung einer passiven Schicht zum vornherein verhindern. Zu
den bekanntesten Vertretern dieser Gruppe von Anionen gehören neben
dem Chlorid das Sulfat und das Fluorid.
Der erste Schritt, welcher zum Zusammenbruch der Passivität und somit zu
einer erhöhten Auflösung des Metalls führt, besteht in der Adsorption des
aggressiven Anions am passiven Film. Dort kann das Anion die eingeschlossenen Wassermoleküle oder die Hydroxidionen des Oxidgitters ersetzen und Eisenkomplexe bilden, welche eine viel höhere Löslichkeit als
die entsprechenden Hydroxokomplexe aufweisen. Ebenfalls möglich ist,
dass das aggressive Anion durch die Schicht hindurch diffundiert und die
löslichen Komplexe direkt an der Grenzfläche Metall/Oxid bildet.
So wie die Auflösung von Oxidpartikel durch eine erhöhte Konzentration
an Protonen beschleunigt wird, führt die Senkung des pH-Wertes zu einer
verstärkten Korrosion. Auch reduktive Substanzen können die passive
Schicht angreifen und den Zusammenbruch der Passivität zur Folgen haben.
28
Korrosion und Passivität
3.
Kurze Einführung in die Korrosion
3.1.
Thermodynamische Aspekte
Ganz allgemein kann man Korrosion als die Verwitterung von Substanzen
unter Umwelteinflüssen bezeichnen; Beispiele dafür wären etwa die Verwitterung einer Kalksteinfassade oder das Rosten metallischer Gegenstände.
Korrosionsprozesse beinhalten somit die Umwandlung von Metallen oder
Legierungen in ihre Verbindungen - Carbonate, Sulfide, Sulfate oder
(Hydr)oxide. Alle Metalle ausser Gold sind bezüglich ihrer Oxide nicht
stabil und bilden eine Oxidschicht, wenn sie bei Raumtemperatur der Luft
ausgesetzt werden. Die Tendenz der reinen Metalle, in ihre thermodynamisch stabileren Oxide überzugehen, widerspiegelt sich in den freien Bildungsenergien der Oxide: das negative Vorzeichen von ~Gf bedeutet, dass
die Reaktion
xM + y/2 02
(3.1)
MxOy
~
spontan abläuft.
(kcaVmol)
Oxid
~G~
Fe 20 3
Al2 03
Cr2 0 3
MgO
-177.4
-378.2
-252.9
-136.1
Oxid
~G~
CuO
NiO
ZnO
Sn0 2
-31.0
-50.6
-76.1
-124.2
(kcal/mol)
29
Für Gold gilt:
Au + 3/2 H20 (1) + 3/4 02 (g)
AG~ = + 15.7 kcal
~
Au(OH)3
Elektrochemische Aspekte
Gemäss Reaktion (3.2) kann Eisen in einem direkten chemischen Prozess
von Wasser angegriffen werden (Walker 1982):
(3.2)
Reaktion (3.2) beschreibt eine Redox-Reaktion: das Eisen wird oxidiert,
während der Wasserstoff reduziert wird. Korrosion kann also, neben dem
direkten Angriff von Wasser auf Eisen, grundsätzlich als ein elektrochemischer Prozess ablaufen. Da Reaktion (3.2) im Vergleich zu den elektrochemischen Reaktionen sehr langsam ist, sind letztere sogar ausschlaggebend.
Wie alle Prozesse dieser Art kann nun auch die elektrochemische Korrosion von Eisen in Wasser in Form von Halbreaktionen notiert werden. Die
fundamentale Reaktion der Korrosion ist dabei die oxidative Auflösung des
Eisens:
Fe ~ Fe2+ + 2e-
(3.3)
Die Elektronen, welche in (3.3) freigesetzt werden, müssen in einer entsprechenden Reduktion konsumiert werden. In Wässern, die Sauerstoff gelöst haben, wird zuerst der Sauerstoff reduziert:
(3.4)
Steht kein Sauerstoff zur Verfügung, finden folgende Reduktionen statt:
2H+ + 2e- ~ H2
2H20 + 2e- ~ 20H' + H2
(3.5)
(3.6)
Im Hinblick auf den elektrochemischen Mechanismus der Korrosion kann
die Tendenz eines Metalles, zu korrodieren, auch mittels der Elektromotorischen Kraft (EMK) der Korrosionszellen ausgedrückt werden. Die Bezie-
30
hung zwischen L\G (in Joules) und der EMK E (in Volts) ist gegeben durch
L\G =-EnF, wobei n die Anzahl der übertragenen Elektronen und F die Faradaykonstante ist. Je grösser der Wert E für eine beliebige Zelle, desto
grösser ist die Tendenz der Reaktion, abzulaufen.
Standard-Reduktionspotentiale: (in Volt)
Reduktion
Zn2+ + 2e- -7 Zn
Fe2+ + 2e- -7 Fe
2H+ + 2e- -7 H,
02+4e-+ 2H20 -7 4(0H)Au3+ + 3e- -7 Au
-0.76
-0.44
0.00
+0.40
+1.5
Oxidation und Reduktion können räumlich getrennt voneinander ablaufen.
Korrosion als elektrochemischer Prozess umfasst also:
1) anodische Gebiete, wo das Eisen oxidiert wird und Elektronen produziert werden.
2) kathodische Gebiete, wo die Reduktion vonstatten geht und Elektronen konsumiert werden.
3) ein metallischer Leiter zwischen kathodischem und anodischem Bereich, durch den die Elektronen fliessen können.
4) Ein ionischer Leiter (Elektrolyt), der mit sowohl anodischem als auch
kathodischem Bereich in Kontakt steht.
Auf der folgenden Seite ist in Figur 3.1 eine lokale Korrosions-Zelle dargestellt. Die Anode ist dabei der Ort der elektrochemischen Oxidation des Eisens; findet diese Reaktion in sauerstoffreicher Umgebung statt, wird
Fe(II) schnell zu Fe(III) weiter oxidiert. Für den kathodischen Bereich ist
mit der Reduktion des Sauerstoffes eine der möglichen Elektronen konsumierenden Reaktionen dargestellt.
31
oä
Kathode
2+
Fe___.. Fe
Fjg. 3.1:
+ 2e-
Der Mechanismus der Korrosion von Eisen in neutraler, belüfteter Lösung.
Anode und Kathode können verschiedene Metalle, verschiedene Bestandteile einer Legierung oder verschiedene Bereiche desselben Eisenstückes
sein; finden beide Halbreaktionen am gleichen Stück Metall statt, spricht
man von lokalen Anoden (Oxidation) und lokalen Kathoden (Reduktion).
Das Metall selbst ist in diesem Falle der elektrische Leiter, während das die
Metalloberfläche bedeckende Wasser die Funktion der Salzbrücke in der
galvanischen Zelle hat und Ionenleitfähigkeit garantiert.
~+~~
(-~-~
Fig. 3.2:
Schematische Anordnung von lokalen Zellen auf einer vergrösserten Metalloberfläche; nach Uhlig (1985).
32
Die obenstehende Figur 3.2 zeigt, dass jede Metalloberfläche zusammengesetzt ist durch das Metall selbst kurzgeschlossene, mit einem Elektrolyten in Kontakt stehenden Elektroden. Solange das Metall trocken bleibt,
werden weder lokale Ströme noch Korrosion beobachtet. Wird das Metall
aber Wasser oder einer wässerigen Lösung ausgesetzt, beginnen die lokalen galvanischen Zellen zu arbeiten, und das Metall wird in seine Korrosionsprodukte umgewandelt.
Die anodischen Gebiete sind die reaktiveren und können Spalten in einer
Oxidschicht, Korngrenzen oder Verunreinigungen sein. Die kathodischen
Gebiete können das Oxid, edlere Verunreinigungen oder Verbindungen
wie Sulfide oder Phosphide sein (Walters 1982). Die Elektronen, welche
an der Anode produziert werden, fliessen durch den metallischen Leiter zur
Kathode, um dort aufgebraucht zu werden. Die Intensität der Korrosion in
den anodischen Bereichen ist verbunden mit der lokalen anodischen Stromdichte.
Die Geschwindigkeit, mit der Elektronen an der Anode produziert werden,
muss genau gleich gross sein wie diejenige, mit der sie an der Kathode
konsumiert werden. Deshalb kann sowohl die Rate der anodischen als auch
der kathodischen reduziert werden, um die Geschwindigkeit der Korrosion
zu reduzieren. (Das Ausmass der Korrosion kann ebenfalls vermindert
werden, indem der Widerstand im Metall und/oder im ionischen Leiter erhöht wird).
Der passive Zustand
Der Begriff des passiven Zustand eines Metalles kann vielleicht am besten
am Beispiel des Aluminiums eingeführt werden. Dieses an und für sich unedle Metall mit einem Standard-Reduktionspotential von - 1.66 V dürfte eigentlich gar nicht für den Bau von Flugzeugen eingesetzt werden, da beim
ersten Regen deren Auflösung zu befürchten wäre. Das dies nicht der Fall
ist, ist darauf zurückzuführen, dass reines Aluminium an der Luftsoforteine kompakte, adherente und harte Oxidschicht bildet, die das darunterliegende Metall schützt. Diese Schicht hebt das Elektrodenpotential des Aluminiums auf+ 0.6 V, wobei es zwischen Kupfer und Silber in die Nähe der
Edelmetalle rückt (Slabaugh 1974).
33
Auch Eisen ist im passiven Zustand von einer dünnen Oxidschicht bedeckt.
Das bei der Auflösung von Eisen entstehende Fe(II) wird in der Regel weiter oxidiert, was zu einer Bedeckung der Eisenoberfläche mit einer schützenden Eisen(III)(hydr)oxidschicht führt. Im folgenden Kapitel 3.2. soll
nun kurz auf die Geschichte der Entdeckung der Passivität eingegangen
werden.
3.2. Die Entdeckung der Passivität
Keir (1790)
Bereits M. Lomonosov (1738) und C. Wenzel (1782) stellten fest, dass Eisen in konzentrierter Salpetersäure keine kontinuierliche Reaktion zeigt,
ganz im Gegensatz zu seiner heftigen Reaktion in verdünnter Salpetersäure
(Uhlig 1979). Sie konnten damals aber noch keine Erklärung für diese
merkwürdige Tatsache geben; gemäss W. Ostwald wurde die Passivität
von Eisen zum erstenmal von J. Keir im Jahre 1790 erwähnt. Keir löste Silber in konzentrierter Salpetersäure auf, um dann ein Stück Eisendraht in
diese Lösung einzutauchen. Zuerst bildete sich sofort ein aus metallischem
Silber bestehender Niederschlag auf dem Draht, doch dann stoppte die Reaktion mit dem Eisen. Der Silberüberzug löste sich wieder auf, den blanken
Eisendraht zurücklassend.
Keir stellte fest, dass sich das mit konzentrierter Salpetersäure behandelte
Eisen verändert haben musste: er zeigte, dass sich Kupfer, Blei und Quecksilber aus den entsprechenden Nitrat-Lösungen auf "frischem" Eisen niederschlugen, während dieselben Reaktionen mit "verändertem" Eisen ausblieben.
Dass dieses Phänomen ein Oberflächeneffekt war, konnte er demonstrieren, indem er das in konzentrierte Salpetersäure eingetauchte Eisen ankratzte, was eine sichtbare Reaktion zur Folge hatte. Die chemische Resistenz konnte ebenfalls aufgehoben werden, wenn das "veränderte" Eisen
mit "frischem" Eisen in Berührung kam.
34
Schönbein (1836)
Einer der ersten Berichte, gemäss denen Passivität von Eisen mit Hilfe von
anodischer Polarisation erreicht werden konnte, stammt von C. Schönbein
aus dem Jahre 1836. Er hielt fest, dass anodische Passivierung von Eisen in
verdünnter Salpeter-, Schwefel- oder Phosphorsäure möglich war, sofern
keine Halogenide vorhanden waren. Zur selben Zeit beobachteten andere,
dass der Kontakt von Eisen mit edlen Metallen, wie z. Bspl. Platin, die Passivierung von Eisen in Salpetersäure begünstigte, während der Kontakt mit
unedlen Metallen, wie z. Bspl. Zink, die Aktivierung und Verlust der Passivität bedeuteten. Diese Effekte waren natürlich im wesentlichen nichts anderes als die Resultate von anodischer sowie kathodischer Polarisation.
Eisen, welches galvanisch mit Eisenoxid (Fe304) verbunden war, konnte
in konzentrierter Salpetersäure (mit einer spezifischen Dichte von 1.35)
passiviert werden. Ohne diesen Kontakt blieb das Eisen aktiv: die Passivierung erfolgte erst in einer konzentrierteren Säure.
Um 1828 wurde festgestellt, dass passives Eisen ein edles Potential aufwies, und plazierte dieses oberhalb des Potentials von Silber.
Eisendraht
Salpeters. sp. D. 1.35
mit Eisenoxid
bedeckter Eisendraht
Fig. 3.3:
Schönbein's Experiment: Eisen, welches in Salpetersäure mit
spezifischer Dichte von 1.35 aktiv war, konnte durch Verbindung mit Eisenoxid im selben Medium passiviert werden.
35
Faraday (1836)
Faraday führte die Passivität von Eisen auf einen Film zurück, der im Zuge
der Passivierung auf der Oberfläche des Metalls entstand, und konnte 1836
demonstrieren, dass dieser Film kein Isolator sein konnte.
Boutmy und Chateau werden als diejenigen angegeben, welche 1861 die
Passivierung von Eisen in Chromatlösungen entdeckt hatten.
3.3. Spekulationen und Theorien
Die mannigfachen Theorien, die seit den ersten Beobachtungen des Phänomens der Passivität aufgestellt wurden, lassen sich in vier Kategorien einteilen:
1)
2)
3)
4)
Modifikation des Metalls
Reaktionsgeschwindigkeit
Oxidschicht
Adsorption
Die Erklärungsvorschläge sind ebenso vielfältig und fantasievoll wie ihre
Vertreter und vermögen den allgemeinen Erkenntnisstand ihrer Zeit zu
spiegeln:
Modifikation des Metalls
Schönbein vertrat 1838 die Hypothese, dass der passive und aktive Zustand
von Eisen allotrophischen Modifikationen des Metalls (unterschiedliche
Kristallstrukturen bei gleicher Summenformel) entsprächen, so wie Phosphor sowohl in einer weissen als auch in einer roten Modifikation auftreten
kann. Hüttdorf schlug 1898 vor, dass passives Chrom einen "gespannten"
Zustand des Metalls darstellt. Finkelstein unterstützte 1902 die Theorien
der Metall-Modifikation, indem er die sogenannte Valenztheorie der Passivität erarbeitete: Er betrachtete metallisches Eisen als eine Mischung von
3
Fe2+ und Fe 3+, wobei passives Eisen vorwiegend als Fe + und aktives als
2
Fe + vorliegen sollte. Auch Byers und Langdon sahen 1913 die Gründe für
36
Passivität in einem veränderten Zustand des Metalles selbst. Dean spekulierte 1919, dass unter dem Einfluss eines Oxidationsmittels die Konzentration an Elektronen an der Oberfläche kleiner ist als innerhalb des Metalls,
was zu einem unüblichen Voltapotential und somit zu einer verminderten
Reaktivität oder eben Passivität führen könnte. Russen führte 1925 eine
elektronische Interpretation ein, indem er den aktiven Zustand eines Uebergangmetalles als das Vorhandensein von zwei Elektronen im 4. Orbital beschrieb, und den passiven Zustand auf die Entfernung eines dieser Elektronen in das 3. Orbital zurückführte. Swinne vermutete 1925 ebenfalls, dass
die passiven Eigenschaften der Uebergangsmetalle ihre Ursache in deren
elektronischer Struktur hätten. Uhlig und Wulff schlugen 1939 eine Elektronen-Konfigurations-Theorie vor, mit deren Hilfe versucht wurde, die zur
Erreichung von Passivität kritische Zusammensetzung von Legierungen
quantitativ zu bestimmen. Dabei war wiederum die Reaktivität des Metalles oder der Legierung selbst das entscheidende Kriterium.
Die Metall-Modifikations-Theorien haben in neuerer Zeit an Bedeutung
verloren, ausser dass sie vielleicht noch dazu gebraucht werden, Hinweise
auf die Art und Struktur des gebildeten Oberflächenfilmes zu liefern. Die
passiven Eigenschaften von> 12 % Cr-Fe Legierungen z.B. resultieren aus
einer elektronischen Modifikation des Metalls durch das beigemischte
Chrom, was einen Oberflächenfilm begünstigt, welcher dem auf reinem
Chrom gebildeten sehr ähnlich ist.
Reaktionsgeschwindigkeit
Die Hypothese von LeBlanc (1900) schrieb den passiven Zustand einer
langsamen Auflösung des Metalles zu, welche unabhängig von der Anwesenheit eines Oberflächenfilmes war. Für die kleine Reaktionsgeschwindigkeit wurde eine langsame Hydratation der Ionen im Metallgitter verantwortlich gemacht. Schmidt und Rathert (1913) schlugen vor, dass Metalle
üblicherweise in einem passiven Zustand sind, dass sie aber aktiv werden,
wenn Wasserstoff im Metallgitter vorliegt.
37
Oxidfilm
Der erste Vorschlag für ein Modell eines Oxidfilmes als Grund für Passivität wird üblicherweise Faraday zugeschrieben (ca. 1830): "My strong impression is that the surface of the iron is oxidised ... "
Mit anderen hielt Flade einen Oxidfilm auf der Metalloberfläche für einen
möglichen Grund für Passivität. Bennett und Burnham (1916) kamen zur
Schlussfolgerung, dass die Passivität des Eisens durch ein höherwertiges
Eisenoxid, nämlich Fe03, verursacht wird. Stabilisiert würde dieses Oxid
durch Adsorption auf der Eisenoberfläche.
Die Interpretation der Resultate moderner Analysetechniken von Oberflächen schreibt die Passivität des Eisens in den weitaus meisten Fällen dem
Vorhandensein einer Schutzschicht zu, die sich aus den üblichen und bekannten Eisenoxiden wie Fe304 oder Fe203 zusammensetzt.
Adsorption
Faraday war der erste, der die These vertrat, dass der passive Film des Eisens aus Sauerstoff besteht. Dem adsorbierten Sauerstoff wurde die Rolle
zugeschrieben, die Affinitäten oberflächenständiger Metallatome abzusättigen, ohne dass dabei Metallatome aus ihrem Gitter entfernt würden. Auf
diesem Wege wurde Passivität nicht durch eine Oxidschicht erklärt, sondern durch eine variable Schicht an der Metalloberfläche adsorbierten Sauerstoffes. Der Schutzmechanismus beruht dabei nicht auf einer Diffusionsbarriere, sondern auf einer verminderten Reaktionsgeschwindigkeit, wobei
der Sauerstoff die Auflösungskinetik beeinflusst.
38
3.4. Definitionen der Passivität
Uhlig und Mears (1948)
Die frühen Forscher, welche sich mit passivem Eisen befassten, definierten
Passivität in Bezug auf eine unerwartet kleine Reaktionsgeschwindigkeit;
als Beispiel diene hier die Auflösungsrate von Eisen in konzentrierter Salpetersäure, die klein ist verglichen mit derjenigen in verdünnter Salpetersäure. Später richtete sich das Augenmerk auf die Tatsache, dass passives
Eisen ein im Vergleich zu aktivem Eisen positives Potential aufweist.
Diese Beobachtungen veranlassten die oben genannten Autoren zu folgenden Definitionen:
Def. 1:
Ein Metall ist passiv, wenn in einem gegebenen Medium die
Korrosionsgeschwindigkeit als Folge einer ausgeprägten anodischen Polarisation deutlich herabgesetzt ist.
Def. 2:
Ein Metall ist passiv, wenn in einem gegebenen Medium die
Korrosionsgeschwindigkeit deutlich herabgesetzt ist, trotz einer ausgeprägten thermodynamischen Tendenz zu reagieren.
Blei in Schwefelsäure, z. Bspl., wäre somit passiv im Sinne der Definition
2. Es korrodiert mit einer kleinen Geschwindigkeit, trotz seiner unedlen
Position innerhalb der galvanischen Reihe. Dieses Verhalten wird bedingt
durch eine relativ dicke Diffusionsbarriere, einem schützenden Film bestehend aus Bleisulfat, welche das Metall bedeckt. Die Nichtübergangsmetalle, wie z. Bspl. Zn, Cd, Cu, Pb, Mg, Sn, etc. und einige ihrer Legierungen,
sind - wenn überhaupt - im Sinne der Definition 2 passiv.
Die Uebergangsmetalle, wie z. Bspl. Fe, Cr, Co, Ni, Ti, Mo, etc. und ihre
Legierungen tendieren dazu, gemäss Definition 1 passiv zu sein.
39
Wagner (1965)
In seiner Publikation von 1965 gab C. Wagner zuerst zwei Beispiele von
Passivität:
Wird das Potential einer Eisenelektrode in 1 N Schwefelsäure konti(1)
nuierlich erh<:iht, so löst sich die Elektrode zuerst mit zunehmender Geschwindigkeit anodisch auf. Bei 0.47 V/NHE verringert sich die Auflösungsgeschwindigkeit jedoch um etwa vier Grössenordnungen und wird
dann über einen weiten Bereich praktisch unabhängig vom Elektrodenpotential.
(2) Eisen löst sich in 0.1 M Salpetersäure spontan auf, wird aber durch
konzentrierte Salpetersäure nicht angegriffen.
In beiden Fällen wird die kleinere Auflösungsgeschwindigkeit bei stärker
oxidierenden Bedingungen der Bildung eines Eisenoxidfilmes zugeschrieben; dieser Film wirkt als eine sehr effiziente Barriere, die den Transport
von Eisenionen vom Metall zur Lösung verhindert.
Wird Passivität als ein rein phänomenologischer Term gebraucht, dann ist
ein Metall dann passiv, wenn
a)
b)
die Geschwindigkeit der anodischen Auflösung eines Metalles
in einem bestimmten Medium bei einem positiven Potential
kleiner ist als bei einem negativen
durch Erhöhung der Konzentration einer oxidierenden Substanz die Auflösungsgeschwindigkeit eines Metalles kleiner
wird.
3.5. Heutige Modelle der passiven Schicht
Die Auflösung von Metallen kann in drei verschiedenen Zuständen des
Metalls geschehen: dem aktiven, dem passiven und dem transpassiven Zustand. Die anodische Auflösung des Eisens im aktiven Zustand, welche
sich bei Potentialen unterhalb des Passivierungspotentials abspielt, findet
an der unbedeckten Metalloberfläche statt. Im passiven Zustand ist die
Auflösungsrate des Metalls sehr klein; die Oberfläche ist dabei mit der so-
40
genannten passiven Schicht bedeckt, welche in den meisten Fällen aus einem Eisenoxid besteht.
Wie aus den vorhergehenden Kapiteln hervorgeht, kann Eisen passiviert
werden, indem es z. Bspl. in konzentrierte Salpetersäure getaucht wird; dabei verschiebt sich das Potential des Eisens um mehrere hundert Millivolt
in positiver Richtung. Passivität tritt aber ebenfalls auf, wenn eine Eisenelektrode direkt anodisch polarisiert wird. Zu diesem Zweck kann sowohl
ein konstantes Potential als auch ein konstanter Strom angewendet werden.
Bedingung ist aber in beiden Fällen, dass entweder ein gewisses minimales
Potential oder ein minimaler Strom überschritten werden, um die Elektrode
zu passivieren. Dieser Sachverhalt wird aus der in Fig. 3.4 dargestellten
schematischen Polarisationskurve ersichtlich: bleibt das Potential unterhalb
des Passivierungspotentials oder der Strom unterhalb der kritischen Stromdichte, bleibt die Elektrode im Bereiche der aktiven Auflösung:
41
j Passivstrom-
E
1
dichte
1
Entstehung von
Sauerstoff
1
1
Transpassive Region
Passive Region
Bildung der
passiven Schicht
Passivierungspotential
Aktive
Region
kathodischer
Strom
Eie, 3.4;
0
anodischer
Strom
Anodische Auflösungsbereiche eines Uebergangmetalles
42
Die folgenden Faktoren beeinflussen die Form der Polarisationskurve:
1) Zusammensetzung und Struktur des Filmes, wie er im Bereich der aktiven Auflösung gebildet wird.
2) Die Löslichkeit der an der Metalloberfläche gebildeten Verbindungen.
Die passivierende Wirkung verschiedener Anionen kann verglichen werden, in dem anodische Polarisationskurven aufgenommen werden. So
hängt zum Beispiel die kritische Stromdichte für die Passivierung von Eisen von der Zusammensetzung des Elektrolyten ab.
In beiden Fällen wird das Eisen also anodisch passiviert. Wie bereits angedeutet, besteht heute weitgehend Uebereinstimmung darin, dass anodische
Passivierung zur Bedeckung des Eisens mit einer vor weiterer Auflösung
schützenden, dreidimensionalen Eisenoxidschicht führt. Im vorliegenden
Abschnitt sollen nun die heute gängigen Vorstellungen über den Aufbau
dieses oxidischen Filmes diskutiert werden.
Die Geschwindigkeit der anodischen Auflösung einer Eisenelektrode im
aktiven Zustand hängt nicht nur vom Potential der Elektrode ab, sondern
auch von der Konzentration der Hydroxidionen. Deshalb zeigt sowohl reines Eisen als auch dessen Legierungen in wässrigen Lösungen eine starke
pH-Abhängigkeit des Passivierungsverhaltens. Die kritische, zur Passivierung notwendige Stromdichte sinkt mit steigendem pH-Wert der Lösung
und das Passivierungspotential verschiebt sich zu negativeren Werten eine höhere Hydroxidionenkonzentration erleichtert also die Passivierung
(Elsener 1983).
Der im folgenden dargestellte, stark vereinfachende Mechanismus betont
die wichtige Rolle der Adsorption von Wassermolekülen und Anionen an
der Metalloberfäche (Sato 1989):
M + H20 = (MOH)ad + H+ + e(MOH)ad = MOH+ + eMOH+ = M2+·aq + Off
Dieser Typ von Reaktionsmechanismus, der mit adsorbierten Hydroxidionen formuliert ist, führt zur Passivierung von den meisten Uebergangsmetallen, wenn sie erhöhter anodischer Polarisation ausgesetzt werden.
43
Nagayama (1962) gibt im Bereiche der aktiven Auflösung des Eisens in einem Borat-Puffer bei pH 8.4 folgende mögliche Reaktionen an:
Fe = Fe 2+ + 2e3Fe + 4H20 = Fe304 + SH+ + SeBei positiveren anodischen Potentialen, d.h. oxidierenderen elektrochemischen Bedingungen, wird die äussere Schicht des Fe304 umgewandelt zu
y-Fe203:
2Fe + 3 H20 = y-Fe203 + 6H+ + 6e2Fe304 + H20 = 3y-Fe203 + 6H+ + 6eNagayama (1962) zeichnete aufgrund dieser Mechanismen folgendes Bild
der passiven Schicht:
Metall
-
Fe304
y- Fe203
Innere
Schicht
Aeussere
Schicht
43
40
-
Elektrolyt
'
--------'
~ -~--1:
'
'
Distan2
Fig. 3.5:
Aenderung der Zusammensetzung des passiven Filmes als
Funktion der Distanz von der Metall-Oxid-Grenzfläche;
nach Nagayama (1963 ).
44
Der Aufbau der passiven Schicht ist auch heute noch Gegenstand von Kontroversen. Pou (1984) unterscheidet bezüglich der in einem Borat-Puffer
bei pH 8.4 entstandenen Schicht zwei Modelle, das des kristallinen Oxides
und dasjenige des hydratisierten, polymerischen Oxides. Im Rahmen des
Modells des kristallinen Oxides wird der passivierende Film als eine Duplex-Schicht aufgefasst, bestehend aus einer inneren Schicht Fe304 und einer äusseren Schicht Fe203, ganz im Sinne des in Fig. 3.5 dargestellten
Aufbaus des passiven Filmes. Das Modell des hydratisierten polymerischen Oxides beruht auf der Idee, dass in den Film eingebautes Wasser die
Schicht amorph hält:
0
0
0
\
\
\
--O-Fe-0-Fe-o--Fe-OH
/
O
~1
H, ..,..HO
\ /o
'•/ H, ..,..H~
\ _,.o
H, ..,..H O
\ /o
--o-F:-o-F:-o--F:-oH
1\ 1\ 1\
\/
\/
\/
--0-Fe-O-Fe-o--Fe-OH
0
/
\
',,
H ..... o,H 0
/
,•\
'·\.
H ..... o,H 0
/
'\\
H ..... o,H
1\:
--O-Fc-0-Fe-O--Fe-OH
0
EisenElektrode
Fie. 3.6:
/
/
0
0
/
Passiver Film
Schematische Darstellung des hydratisierten Filmes; nach
Pou (1984).
Jovancicevic (1987) beschreibt die in einem Borat-Puffer entstandene passive Schicht als einen dünnen Film Fe203, kristallin oder amorph bezüglich dessen Struktur, sowie mit einem variierenden Wassergehalt. Biwer
(1988) kommt durch Untersuchung der in alkalischer Lösung (0.1 M
45
NaOH) erzeugten Schicht zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Er betrachtete
den Film ganz allgemein als Eisen im dreiwertigen Oxidationszustand:
Fei0 3, FeOOH oder Fe(OHh. Beide Autoren sehen dieses Modell durch
die Tatsache bestätigt, dass die elektrochemische Reduktion der passiven
Schicht zwei Wellen ergibt, welche entweder als die Reduktion zweier verschiedener Schichten, Fe20 3 und Fe30 4 , oder als sukzessive Reduktion von
Fe20 3 zu metallischem Eisen interpretiert werden können.
O'Grady (1980) schliesslich kam durch in situ Mössbauer Spektroskopie
zur Schlussfolgerung, dass der Film in keiner bekannten, gut definierten
Form eines kristallinen, stöchiometrischen Oxides oder Hydroxides vorliegt. Er erzeugte den passiven Film ebenfalls in einem Borat-Puffer bei pH
8.4 durch Anlegen eines Potentials von 0.6 V/NHE. Die MössbauerSpektren zeigten grosse Unterschie de zu denjenigen der kristallinen
(Hydr)oxide, waren aber charakteristisch für ein amorphes, polymerisches
Eisenoxid. Die Daten deuteten auf verkettete Fe06-0ktae der, welche miteinander über di-oxy und di-hydroxy-Brücken verbunden sind. Jedes dieser
Oktaeder unterscheidet sich vom anderen in seinem lokalen Bindungscharakter, da sowohl die Anzahl der benachbarten Oktaeder als auch der Umstand, ob die Bindung über eine Fläche, eine Kante oder nur über eine Ecke
erfolgt, ändern kann. Weiter konnte O'Grady mit Hilfe der Mössbauerspektroskopie zeigen, dass der Film erst dann die Struktur eines y-Fe203 aufwies, wenn durch Dehydratisierung irreversible Aenderungen eingetreten
waren.
46
Fie, 3.7:
Mögliche Verteilung der Sauerstoffatome, Hydroxylgruppen
und Wassermoleküle um die Eisenzentren; nach O'Grady
(1980).
In seiner Publikation von 1978 stellte Cohen im Rahmen einer Literaturübersicht eine ganze Reihe von Vorstellungen über den Aufbau der passiven Schicht zusammen:
Fig. 3.8:
Verschiedene Strukturvorschläge für den passiven Film;
nach Cohen (1978).
47
3.6. Der Passivfilm im Boratpuffer
Eisen zeigt im Borat-Puffer bei fast neutralen pHs ideales passives Verhalten. Allerdings haben die Parameter der Filmbildung einen grossen Einfluss auf die Struktur des passiven Filmes. So sind auch die Polarisationskurven, deren schematischer Verlauf in Fig. 3.4 dargestellt ist, stark abhängig von der Vorbehandlung der Proben und den experimentellen Details
(Haupt 1987).
Pou et al (1984) erzeugten den Film bei einem konstanten Potential von 0.3
V/NHE während 50 Min. Die Stromdichte sank während der Passivierung
kontinuierlich und erreichte schliesslich Werte in der Grössenordnung von
1 µA/cm2. Die Integration der Strom/Zeit Kurve zeigte, dass die totale Ladung, die während den 50 Min. durch die Elektrode floss, ungefähr 6
mC/cm2 entsprach, was unter Annahme der Bildung von Fe203 eine Filmdicke von 26 Ä zur Folge hätte. Aufgrund von XPS-Spektren konnte gezeigt werden, dass der passive Film ausschliesslich Fe(III) und kein Fe(II)
enthielt.
In einem von Nagayama (1962) beschriebenen Experiment fiel der Strom
nach einer zehnstündigen Polarisation bei einem im passiven Bereich liegenden Potential unter 0.01 µA/cm 2 und sank sogar dann noch weiter.
Auch gemäss Cohen (1962) bildet sich im Borat-Puffer eine Oxidschicht
an der Oberfläche der Eisenelektrode. Die Dicke des Films beträgt 10 - 30
Ä, wobei die Dicke von dem Potential, bei dem die passive Schicht erzeugt
wurde, abhängt. Die passive Schicht selbst beschrieben sie als zweiteilig,
wobei Fe 3 0 4 an der Metalloberfläche und y-Fe 0 an der Grenzfläche
2 3
Oxid/Elektrolyt vorherrschen. Sato (1976) gab als Dicke für den Film 9 50 Ä an (wobei die Dicke wiederum vom Potential abhängt) und beschrieb
die passive Schicht als ein Oxid mit inhomogener Hydradation.
Gemäss Nagayama (1962/63) ist Eisen, das in einem Borat-Puffer von pH
8.4 anodisch passiviert wurde, bedeckt mit einem Oxidfilm (10-30 Ä), bestehend aus einer inneren Fe30 4 - und einer äusseren y-Fe 0 -Schicht. Der
2 3
äusserste Anteil der passiven Schicht hat eine kationen-defiziente Struktur
der Form Fe 6tFe:f_~,Ax·0 3 • Sowohl die Dicke der Schicht als auch die Konzentration der Defekte sind abhängig vom angelegten Potential.
48
4.
Inhibition der Korrosion
4.1. Einführung
Unter der Inhibition von Korrosionsprozessen versteht man ganz allgemein
vorbeugende Massnahmen, um den korrosiven Angriff auf metallische Materalien auf ein Minimum zu beschränken (Trabanelli 1987). Diese Massnahmen bestehen meist in dem Gebrauch chemischer Verbindungen, welche, in kleinen Konzentrationen zum aggressiven Medium gegeben, die
Geschwindigkeit der Korrosion substantiell herabsetzen. In der Regel adsorbieren diese als Inhibitoren bezeichneten Verbindungen an der Oberfläche des zu schützenden Gegenstandes und verlangsamen dadurch eine oder
mehrere der Reaktionen, welche zur Korrosion beitragen (Thomas 1980).
Die Korrosionsprozesse von Metallen, welche sich unter Beteiligung eines
Elektrolyten abspielen, sind in den weitaus meisten Fällen elektrochemischer Natur (vgl. Kap. 3.1.). Die Geschwindigkeit der Korrosion hängt somit ab von zwei gleichzeitig an der Oberfläche des Metalls stattfindenden
Teilreaktionen: der anodischen Reaktion, welche aus dem Uebertritt eines
Metallatoms aus dem Gitter in die Lösung unter Abgabe von Elektronen
besteht; und der kathodischen, bestehend aus der Aufnahme der bei der
Oxidation des Metalls freigewordenen Elektronen durch einen Depolarisator.
anodische Teilreaktion
kathodische Teilreaktion
ne-M 0 + = Mn+ + nene- + Ox = Red
Da Korrosionshemmung immer dann stattfindet, wenn die Geschwindigkeit einer oder beider der Teilreaktionen gesenkt wird, können Inhibitoren
als anodische, kathodische oder gemischte Inhibitoren 1 bezeichnet werden,
1 Die anodischen Inhibitoren werden manchmal als Passivatoren bezeichnet; gemäss dieser Definition kann ein Inhibitor Passivator sein oder nicht
49
je nachdem, ob nun eine Substanz die Geschwindigkeit der anodischen
Oxidation und/oder der kathodischen Reduktion verringert.
Inhibitoren können aber nicht nur gemäss diesem elektrochemischen Verständnis eingeteilt werden. Eine bequeme und gebräuchliche Klassifizierung, die hier z.T. übernommen werden soll, teilt sie in anorganische und
organische ein. Diese vereinfachende Zuordnung erfährt ihre Berechtigung
dadurch, dass anorganische Inhibitoren vornehmlich in neutralen Elektrolyten gebraucht werden, während organische in sauren zur Anwendung
kommen (Rozenfeld 1981).
Dies erklärt sich aus der starken Abhängigkeit der korrosiven Situation
vom pH-Wert des Elektrolyten. Daher müssen je nachdem, ob Inhibitoren
in saurer oder neutraler Umgebung eingesetzt werden, auch unterschiedliche Inhibitionsmechanismen in Betracht gezogen werden. Da bei neutralem pH die Löslichkeit von Oxiden sehr kleine Werte annimmt, beruht die
Inhibition in den entsprechenden Elektrolyten auf einer dreidimensionalen,
oxidischen Schicht zwischen dem korrosiven Medium und dem Metall.
Anorganische Inhibitoren beeinflussen nun u.a. die Stabilität dieser passiven Schicht. Organische Inhibitoren, welche vorwiegend in sauren Lösungen eingesetzt werden, wirken nach einem anderen Mechanismus. Bei tiefem pH des korrosiven Mediums steht im Bereiche der aktiven Metallauflösung eine nackte Metalloberfläche in unmittelbarem Kontakt mit dem
Elektrolyten. In dem Falle ist Adsorption des Inhibitors am Metall und die
damit einhergehende Beeinflussung der Kinetik der kathodischen Reaktion
von grosser Bedeutung. Somit wird in saurem Medium die Kinetik der
Auflösung des Metalles verändert, indem die Geschwindigkeit der Reduktion von H+ oder eines anderen Depolarisators gesenkt wird.
Die folgende Seite zeigt ein vereinfachendes Schema der Inhibitoren der
unter aussenstromlosen Bedingungen stattfindenden Eisenkorrosion:
(je nach dem, welche Teilreaktion er beeinflusst), aber alle Passivatoren
sind Inhibitoren (Rozenfeld 1981).
50
Schematische Uebersicht der lnhibitioren der Korrosion von Eisen
unter aussenstromlosen Bedingungen
1 basischer
Elektrolyq
Inhibitor:
Olf -ionen vermögen Eisen
bei pH 12 in Abwesenheit von
Sauerstoff zu passivieren.
Inhib.mech.: kathodisch
Salzfilmbildung
Inhib.mech.: anodisch
Stabilisierung der
passiven Schicht
Inhibitoren:
anorg. Kationen
z.B. Ca2+, zn2+
1
Sauerstofffreier Elektrolyt
Inhibition kann nur
in Anwesenheit von
Sauerstoff erlolgen
Inhibitoren:
oxidierende Anionen
z.B. Nitrit, Chromat
Inhibitoren:
schwach oder nichtoxidierende Anionen
z.B. Molybdat, Borat
saurer Elektrolyt
1
Inhib.mech.: kathodisch
z.B. Bildung von
Diffusionsbarrieren
Inhibitoren:
organische Moleküle
51
4.2. Inhibition in sauren Lösungen
Ganz allgemein zeigen die anorganischen Inhibitoren, welche in neutralen
wässrigen Lösungen effizient sind, keinen oder nur einen sehr geringen Effekt in sauren Lösungen. Hingegen können viele organische Substanzen
den korrosiven Angriff in saurem Milieu verhindern. Zu diesen Inhibitoren
gehören ungesättigte Kohlenwasserstoffe mit Dreifachbindungen, Alkohole, Sulfoxide, Sulfide und Mercaptane, sowie aliphatische, aromatische
oder heterozyklische Verbindungen, welche häufig Stickstoff enthalten
(Trabanelli 1987).
Der Umstand, dass in saurer Umgebung vor allem organische Verbindungen in der Lage sind, die Korrosion zu inhibieren, ist bedingt durch die mechanistischen Eigenheiten des Korrosionsprozesses bei tiefem pH. In einem sauren Elektrolyten ist der hauptsächliche kathodische Prozess die
Wasserstoffentwicklung; die Wirkung des Inhibitors basiert daher auf dem
Ausmass der Adsorption an die oxidfreie Metalloberfläche.
Diese Art der Inhibition setzt eine starke Wechselwirkung zwischen der
Oberfläche des korrodierenden Materials und des Inhibitors voraus. Die
Faktoren, welche die Adsorption von Inhibitoren an der oxidfreien Metalloberfläche beeinflussen, sind vor allem die Oberflächenladung des Metalles, welche die elektrostatische Anziehung der adsorbierten Spezies bestimmt, sowie die funktionellen Gruppen und die elektronische Struktur
des Inhibitors, welche die Stärke der koordinativen Bindung mit dem Metall beeinflussen (Thomas 1980).
Wie oben bereits erwähnt, enthalten die meisten organischen Inhibitoren
mindestens eine polare Gruppe mit N, S, 0 oder P. Die molekulare Struktur des Inhibitors ist insofern von Bedeutung, als die Elektronendichte des
Atomes der funktionellen Gruppe, welche ein Reaktionszentrum bildet, die
Stärke der Bindung zum Metall beeinflusst (Rozenfeld 1981). Mit einer Erhöhung der Elektronendichte am Zentrum wird auch die Bindung der Chemisorption zwischen Inhibitor und Metall verstärkt. So stellte Hackerman
fest, dass die Fähigkeit von Pyridinderivaten, die Korrosionsgeschwindigkeit zu reduzieren, mit zunehmender Elektronendichte um das Stickstoffatom verbessert wird. Die Effizienz der Derivate nimmt in der Reihenfolge
Pyridin < 3-Picolin < 2-Picolin < 4-Picolin zu. Dasselbe Muster wird bei
aliphatischen und zyklischen Aminen beobachtet: je höher die Elektronen-
52
dichte am Stickstoffatom ist, desto besser sind die schützenden Eigenschaften. Daher sind zyklische Amine bessere Inhibitoren als aliphatische, weil
bei den letzteren die Elektronendichte am Stickstoffatom beträchtlich kleiner ist als bei den ersteren.
Die im Rahmen dieser Wechselwirkung gebildete zweidimensionale Adsorbat-Schicht kann die grundlegenden Korrosionsprozesse folgendermassen beeinflussen:
1) Bildung einer Diffusionsbarriere an der Elektrodenoberfläche durch
ein indifferentes adsorbiertes Substrat.
2) Blockierung der auflösungsaktiven Oberflächenstellen durch ein indifferentes adsorbiertes Substrat bei einem vergleichsweise geringen
Grad der Oberflächenbedeckung.
3) Durch Adsorption von Kationen wird die elektrische Doppelschicht an
der Grenzfläche Metall-Elektrolyt verändert. Dies führt zu einer Verlangsamung der Reduktion der Wasserstoffionen.
4) Das Substrat ist nicht indifferent, sondern reaktiv:
Das Adsorbat seinerseits nimmt an einer Redoxreaktion teil. In diesem
Falle kann es zur primären und/oder sekundären Inhibition kommen,
je nachdem, ob das ursprüngliche Adsorbat oder seine Reaktionsprodukte den Retardationsprozess beeinflussen.
Die meisten Inhibitoren der Säurekorrosion zeigen oberhalb einer sog. kritischen Mindestkonzentration Proportionalität zwischen Konzentration und
Inhibitionseffekt. Da aber ihre Wirksamkeit durch Chemisorption an der
Metalloberfläche bedingt ist, bedarf es in der Säure höchstens einer solchen
Inhibitorkonzentration, wie sie für die Ausbildung einer vollständigen Besetzung der elektrochemisch aktiven Oberflächenzentren erforderlich ist.
Erhöht man die Inhibitorkonzentration über den für einen gewöhnlich monomolekularen Oberflächenfilm notwendigen Wert, dann hat das keinen
Einfluss auf mehr auf die Wirksamkeit der Inhibition (Reinhard 1981).
53
4.3. Inhibition in neutralen Lösungen
Der Korrosionsprozess von Metallen in Kontakt mit fast neutralen wässrigen Lösungen resultiert in der Bildung von schwerlöslichen Produkten an
der Metalloberfläche. Weil die kathodische Reaktion in der Regel aus der
Reduktion von Sauerstoff besteht, sind diese dreidimensionalen Schichten
im allgemeinen aus oxidischen Korrosionsprodukten und/oder Inhibitoren
aufgebaut. Dadurch, dass eine oxidische Oberflächenschicht anstelle der
nackten Metalloberfläche vorliegt, verlieren viele der in Kapitel 4.2. aufgeführten Grenzflächeninhibitoren ihre Effizienz in Korrosionssystemen,
welche die Bildung von dreidimensionalen Schichten bevorzugen. Dies hat
seinen Grund in der schwachen Wechselwirkung zwischen dem organischen Inhibitor und dem Oxid. Die daraus resultierende geringere Adsorption hat eine kleinere Effizienz des Inhibitors zur Folge.
In neutralen Lösungen kann eine Senkung der Korrosionsgeschwindigkeit
erreicht werden durch Zugabe von Verbindungen, welche die schützenden
Oxid-, Hydroxid- und Salzfilme bilden oder stabilisieren können.
Als den fundamentalen Schritt der Inhibition betrachtet man üblicherweise
das Verdrängen der adsorbierten Wassermoleküle durch den Inhibitor.
Dass die minimale Konzentration des Inhibitors, um schützend zu wirken,
von der Konzentration von aggressiven Anionen wie Chlorid und Sulfat
abhängt, stützt die Hypothese, dass eine Form von Konkurrenz in der Adsorption zwischen aggressiven und inhibierenden Anionen besteht (Rozenfeld 1981). So nimmt die Wirkung des schützenden Anions dann überhand,
wenn die Oberflächenkonzentration des aggressiven so weit reduziert werden kann, dass sie unterhalb eines bestimmten kritischen Wertes zu liegen
kommt.
Die Aufnahme des Inhibitors kann u.U. aber auch durch Ionentausch oder
durch Ausfüllung einer unlöslichen Metallverbindung geschehen.
Als Resultat der Adsorption eines Inhibitors an der oxidbedeckten Oberfläche oder dessen Einbau in den passiven Film können verschiedene Inhibitionsmechanismen auftreten. Thomas (1976) unterschied folgende mögliche Wirkungsweisen:
54
1) Stabilisierung des passiven Oxid-Filmes durch Reduktion seiner Auf-
lösungsrate.
2) Repassivierung der Oberfläche. Der Film wird repariert durch Neubildung des Oxides.
3) Flicken des Oxidfilmes durch Bildung unlöslicher Oberflächenverbindungen und Verstopfen der Poren.
4) Verhindern der Adsorption von aggressiven Anionen durch Besetzen
der reaktiven Oberflächenplätze des Oxides.
Wie in der Einleitung zu diesem Kapitel bereits erwähnt wurde, sind die in
neutraler Lösung wirksamen Inhibitoren meist anorganische Anionen.
Szklarska-Smialowska (1978) teilte die Anionen, welche die Korrosionsgeschwindigkeit in neutraler Lösung auf irgendeine Art und Weise beeinflussen, in folgende drei Gruppen ein:
1) Aggressive Anionen: z.Bspl. Cr, soi2) Anionen, welche Eisen nur in Gegenwart von Sauerstoff passivieren
können: z.Bspl. HPo1-. Pot N03, Bo~3) Anionen, welche Eisen in Abwesenheit von Sauerstoff passivieren
können, u.a. oxidierende Anionen: z.Bspl. NOi, cr01-, und Off
4.3.1.
Oxidierende Inhibitoren
Der passivierende Oxidfilm ist üblicherweise nur über einen beschränkten
Potentialbereich stabil. Unter aussenstromlosen Bedingungen hängt das
Potential des korrodierenden Metalles ab von der Gegenwart oxidierender
Substanzen in der Lösung; meist übernimmt Luftsauerstoff die Funktion
des Elektronenakzeptors der anodischen Bruttoreaktion. Die Inhibition der
Korrosion durch Anionen verlangt deshalb eine geeignete Kombination
von Anionen, pH, und oxidierenden Reagenzien in der Lösung, so dass das
Potential in dem Bereich liegt, in dem der Film stabil ist. Inhibitoren mit
relativ ausgeprägten oxidativen Eigenschaften wie Natriumchromat und
Nitrit vermögen Eisen sowohl in Gegenwart von gelöstem Sauerstoff als
auch in sauerstofffreier Umgebung zu passivieren. Viel schwächere Oxidationsmittel wie Natriumwolframat oder -molybdat verhalten sich in luftgesättigten Lösungen ähnlich wie Chromat und Nitrit, können die Korrosion
in entlüfteten Lösungen aber nicht verhindern (Pryor 1953). Die Wirkung
55
dieser oxidierenden Inhibitoren besteht darin, dass sie durch ihr Oxidationspotential die Selbstpassivierung des metallischen Materials fördern.
Die Mechanismen der Inhibition durch oxidierende Substanzen und die dabei erzeugten passiven Schichten sollen im folgenden anhand von Nitrit,
Chromat und Permanganat beschrieben werden.
Nitrit
Nitrit kann die Korrosionsgeschwindigkeit von Metallen und Legierungen
reduzieren, welche gemäss der in Fig. 3.4 dargestellten schematischen Kurve einen aktiv-passiv Uebergang haben. Wird dieser Inhibitor zu einem
Elektrolyten gegeben, so verschiebt sich das Potential der diesem Elektrolyten ausgesetzten Elektrode zu positiveren Werten, wobei das Metall in
den passiven Zustand versetzt werden kann. Sowohl das Ausmass dieser
Verschiebung bei schon geringen Konzentrationen an Nitrit als auch die
Aenderung des Potentials über einen grösseren Zeitraum deuten darauf hin,
dass die Bindung zwischen Metall und Inhibitor chemischer Natur ist und
nicht nur auf physikalischer Adsorption beruht (Rozenfeld 1981 ).
Wird ein Metall mit Hilfe eines oxidierenden Inhibitors in den passiven
Zustand gebracht, könnte dies entweder eine Konsequenz von einer Beschleunigung des kathodischen Prozesses oder einer Hemmung des anodischen sein. Kinetische Studien des kathodischen Prozesses legen den
Schluss nahe, dass im Falle von Nitrit die Inhibierung des anodischen Prozesses - also der Metallauflösung - und nicht die Beschleunigung der kathodischen Reduktion für das Erreichen der Passivität verantwortlich ist.
Die inhibierende Wirkung des Nitritions wird durch dessen Adsorption an
der Metalloberfläche und anschliessender Oxidation erklärt. Der Aufbau
und die Zusammensetzung der passivierenden Schicht selbst scheint durch
das Nitrit nicht wesentlich verändert zu werden; es besteht weitgehende
Uebereinstimmung, dass der schützende Oxidfilm hauptsächlich aus Fe304
- y-Fe203 besteht und sehr dünn ist (2xI0- 9m) (Al-Bomo 1989). Dass die
Adsorption im Inhibitionsprozess eine wesentliche Rolle spielt, wird bestätigt durch die Tatsache, dass die passivierenden Eigenschaften des Nitrits abhängig sind von der Gegenwart aggressiver Anionen wie z.B. er,
SO~- oder N03, die mit dem Nitrit in Konkurrenz um die Adsorptionsplätze
56
stehen. Ob Inhibition stattfindet oder nicht, entscheidet in vielen Fällen das
Verhältnis Inhibitor zu aggressivem Anion.
Findet Korrosion in einem sauren Elektrolyten statt, so ist der Mechanismus ein anderer. Bei tiefem pH ist die Reduktion des Nitrits erleichtert
durch die Bildung von Salpeteriger Säure. Diese Säure zerfällt zu Wasser
und NO, das an verschiedenen Metallen reduziert werden kann:
3HN02 = 2NO + N03 + H+ + H20
NO + Se-+ 6H+ = NH; + H20
Die Summe der Reaktionen zur Bildung der erwähnten Oxide könnte folgendermassen aussehen (Al-Bomo 1989):
4 Fe + 3N02, + 3 H+ = 2 y-Fe203 + NH3 + N1
3 Fe(OH)2 + 2N02 = Fe304 + 2 Off + 2 H20 + 2 NO
In saurem Medium kann das Nitrition also als kathodischer Depolarisator
wirken und zu einer vermehrten Korrosion führen; deshalb kann der korrosive Angriff auf metallische Werkstoffe beschleunigt werden, falls in mit
Nitrit geschützten Systemen der pH sinkt. Ist die Konzentration an Nitrit
aber genügend hoch, so dass der kathodische Strom die zur Passivierung
notwendige kritische Stromdichte überschreitet, kann Eisen auch in saurem
Medium passiviert werden.
Dass Nitrit die anodische Passivierung durch eine drastische Senkung der
kritischen Stromdichte ganz erheblich erleichtert, kann anhand von Polarisationskurven leicht festgestellt werden.
Chromat
Zu den klassischen Passivatoren, welche in neutralen Elektrolyten die anodische Reaktion verhindern, gehören auch die Chromate. Wie Nitrit erhöhen Chromate und Bichromate die Geschwindigkeit der kathodischen Reaktion trotz ihrer oxidierenden Eigenschaften nicht. Aber im Gegensatz zu
Nitrit wird bei den Chromaten bis zu einem gewissen Grade auch die kathodische Reaktion verhindert, so dass letztere als gemischte Inhibitoren
bezeichnet werden können.
57
In neutraler Lösung und in Gegenwart von Chromaten ist die Oxidation
von Eisen begleitet von der Fällung von Eisen(II)hydroxiden und ihrer
weiteren Oxidation zu Eisen(IIl)hydroxiden. Dies führt zur Bildung einer
genügend kompakten Schicht, um das Potential zu Werten ansteigen zu
lassen, bei denen dann Passivierung erreicht wird. Gleichzeitig mit den
Eisen(hydr)oxidfällungen wird durch die Reduktion von Cr(VI)-ionen
Chrom(III)hydroxid gebildet, welches bei höheren anodischen Potentialen
in das Oxid umgewandelt wird.
Das schwerlösliche Chrom(III)oxid wird in den auf der Elektrodenoberfläche wachsenden Film eingebaut. Die passiven Schichten, welche in Chromatlösungen entstehen, werden als ein Gemisch von Cr203 und Fei03 dargestellt oder als ein Spineloxid interpretiert, welches Fe und Cr inkorporiert hat (Szklarska-Smialowska 1978 und 1988). Das Spineloxid weist eine Zusammensetzung von
3
+)04 bis Fe 3+cr3+03
Fe 2+(F,,.;?+cr
"V.5 1.5
auf.
Die inhibierenden Eigenschaften von Chromaten bestehen also nicht so
sehr aus der Retardation der Reduktion von Sauerstoff als in ihrer Fähigkeit, durch die Bildung einer undurchlässigen Schicht die Geschwindigkeit
der anodischen Reaktion in hohem Masse zu verringern.
Eine wesentliche Rolle in der Passivierung von Metallen durch Chromate
spielt die Konkurrenz um Adsorptionsplätze. Wenn zu einer 0.1 M so!-Lösung Na2Cr207 zugefügt wird, so dass eine 0.1 M Chromat-Lösung resultiert, verschiebt sich das Potential einer eingetauchten Elektrode zu positiveren Werten. Wird die Reihenfolge der Zugabe der Anionen vertauscht
und Sulfat zu einer Chromatlösung gegeben, dann findet entgegen den Erwartungen keine Depassivierung statt, selbst wenn das aggressive Anion
Sulfat in einem 10-fachen Ueberschuss zugegeben wird. Diese Resultate
lassen die Schlussfolgerung zu, dass in Abwesenheit von aktivierenden
Anionen Chromationen schnell an der Oberfläche der Elektrode adsorbiert
werden. Die dabei gebildete starke chemische Bindung kann durch aggressive Anionen nicht ohne weiteres zerstört werden. Die Chromationen ihrerseits können die Sulfationen von der Metalloberfläche verdrängen und so
die Ionisierung des Metalles verhindern (Rozenfeld 1981).
58
Permanganat
In ungepufferten Lösungen wirkt Permanganat bei Konzentrationen von <
10- 2 M nicht mehr als Passivator, sondern stimuliert die Korrosion des Eisens, indem es als Elektronenakzeptor der anodischen Auflösungsreaktion
Fe = Fe 2+ + 2efungiert.
Für den in konzentrierten, reinen Permanganatlösungen aussenstromlos erzeugten Passivzustand des Eisens sind die gleichen Deckschichtkomponenten verantwortlich wie bei der anodischen Passivierung. Erfolgt die Passivierung des Eisens durch Permanganat jedoch in Gegenwart eines Puffersystems, dann entstehen Deckschichten, deren Eigenschaften offensichtlich
auch durch eingebaute Reduktionsprodukte des Passivators bestimmt werden. Auf der Grundlage von Ergebnissen aus spektroskopischen und elektrochemischen Untersuchungen kann angenommen werden, dass die auf
Eisen in 0.1 M KMn04-Lösung in Gegenwart eines Puffers bei pH 5.8 gebildete Deckschicht elektrolytseitig ausschliesslich aus Mn02 besteht.
Reinhard (1982) schlägt für die Oberflächendeckschicht folgenden qualitativen Schichtaufbau vor:
4.3.2.
Anionen, welche Eisen nur in Gegenwart von
Sauerstoff passivieren können
Lösungen von Natriumacetat, Benzoat, Carbonat, Hydroxid, ortho-Phosphat und Silicat, welche keine oxidierenden Anionen enthalten, passivieren
Eisen nur in Gegenwart von gelöstem Sauerstoff. Werden diese Lösungen
entlüftet, können diese Anionen Eisen sogar angreifen und dadurch die
Korrosion fördern (Pryor 1953).
Bei der Passivierung laufen bekanntlich zunächst aktive Metallauflösung,
Schichtbildung und -auflösung als konkurrierende Reaktionen ab. Die
Funktion der nichtoxidierenden Zusätze kann also in der Hemmung der aktiven Metallauflösung, in der Hemmung der Auflösung der bereits entstan-
59
denen Schicht bzw. in der Begünstigung der Schichtbildung bestehen. Die
Anionen treten mit der Schicht durch Sorption bzw. Ionenaustausch in
Wechselwirkung, wobei die Sorption als potentialabhängiger Vorgang verläuft. Je nach den Eigenschaften des vorliegenden Systems kann es in der
Folge auch zum Ionenaustausch von OH-Gruppen gegen die Anionen kommen, jedoch sind die Anionen der nichtoxidierenden Zusätze meist nur in
äusserst geringen Mengen in der Schicht enthalten. Die Hemmung der aktiven Eisenauflösung durch direkte Beteiligung der Anionen an diesem Vorgang kann nicht ausgeschlossen werden. Ihr Einfluss auf die Passivierung
wird aber als geringer eingeschätzt als die stabilisierende Wirkung gegenüber der Schicht und ihrer Zwischen- und Vorprodukte, da Wasser der eigentliche Reaktionspartner für die Passivierung ist und die OH-Ionen bei
steigendem pH-Wert an der Phasengrenze als Reaktionspartner des Eisens
und seiner Ionen dominieren sollten (Fischer 1979).
In den Lösungen dieser Substanzen besteht die anodische Reaktion in der
Bildung von Fe2+ und die kathodische in der Reduktion von Sauerstoff. In
Abwesenheit von passivierenden Anionen reicht die Stromdichte, welche
der Reduktion von Sauerstoff entspricht, nicht aus, um die Oberfläche des
Eisens zu passivieren. D.h., die Korrosionsprodukte werden nicht in genügendem Masse gebildet, um die Oberfläche des Eisens zu desaktivieren,
damit die kritische Stromdichte überschritten werden kann. Der in neutralen, luftgesättigten Lösungen enthaltene Sauerstoff stellt sicher, dass die
Lösung in genügend grossem Ausmasse oxidierend wirkt. Steigt die Konzentration an gelöstem Sauerstoff, können sowohl pH als auch die kritische
Konzentration des Inhibitors gesenkt werden, ohne dass der Film zusammenbricht. Wird Eisen, welches mit einer an der Luft gebildeten Oxidschicht bedeckt ist, einer belüfteten Inhibitorlösung ausgesetzt, so beschränkt sich die Korrosion auf ein paar aktive Stellen. An diesen unbedeckten Stellen erhöht sich das Potential zu Werten, bei denen die passivierende Schicht gebildet wird. Der ursprüngliche Film wird dicker und schützender, und die Korrosionsrate nimmt sehr kleine Werte an. Der selbe Mechanismus gilt auch für Inhibitoren, welche in neutralen Lösung unlösliche
Salze bilden.
60
Kathodische Inhibitoren
Die Inhibitoren für neutrale, belüftete Lösungen können ihrerseits wieder
in kathodische und anodische eingeteilt werden. Kathodische Inhibitoren,
welche die weitaus kleinere Gruppe bilden, reduzieren die Korrosionsrate,
indem sie durch Bildung eines schützenden Salzfilmes die Geschwindigkeit der Reduktion von gelöstem Sauerstoff herabsetzen. Diese Salzfilme
verhindern die Diffusion von Sauerstoff zur Metalloberfläche; ausserdem
besitzen diese in der Regel dicken Oberflächenschichten eine schlechte
elektrische Leitfähigkeit, so dass der Sauerstoff auf der Oberfläche nicht
reduziert werden kann. Diese Art von Inhibition wird durch Kationen gefördert, welche zu den kathodischen Bereichen diffundieren und mit den
dort entstandenen Hydroxidionen schwerlösliche Niederschläge bilden. Zu
den wichtigsten Vertretern gehören die in natürlichen Wässern vorkommenden Ca2+ und Mg2+, sowie Zn2+ und Ni 2+. Grosse kolloidale Kationen
wie Polyphosphate (Na5CaP601s)0'1; können auch zur Kathode migrieren
und Oberflächenfilme bilden (Walters 1982).
Beispiel: Phosphate
Die zur Inhibition gebrauchten anorganischen Phosphate umfassen orthoPhosphat, poly-Phosphate und meta-Phosphate; sehr oft gelangen sie kombiniert miteinander zum Einsatz. Bei den meta- und poly-Phosphaten ist
die Inhibition der Korrosion üblicherweise mit der Bildung einer dicken
Schicht verbunden, welche die kathodische Reaktion hemmt. Ortho-Phosphat kann bei tiefen Konzentrationen von 3 - 7 ppm als kathodischer, bei
höheren von 12 - 20 ppm als anodischer Inhibitor auftreten. Bei Konzentrationen unterhalb eines kritischen Wertes können Phosphate die Korrosion
beschleunigen.
Insbesondere Poly-Phosphate können nur in Gegenwart von zweiwertigen
Anionen, z.B. Ca2+, effektive Korrosionsinhibitoren sein. Die auf der Basis von Phosphaten beruhende Behandlung von mit Leitungswasser in
Kontakt stehendem Eisen oder Stahl beruht daher sehr oft auf der Bildung
einer Kalziumphosphat-Schicht, die das Metall vom wässrigen Medium
trennt (Al-Borno 1989).
61
Anodische Inhibitoren
Additive, welche dünne passive Filme bilden, verhindern die Metallauflösungsreaktion und gehören in die Klasse der anodischen Inhibitoren. Solche Inhibitoren sind meist Anionen von schwachen Säuren, z.B. Chromat,
Nitrit, Benzoat, Silicat, Phosphat oder Borat. Ihre Wirkung beruht vor allem auf einer Stabilisierung des schützenden Oxidfilmes. Die dadurch begünstigten dünnen Passivschichten sind schlechte ionische Leiter und bieten der Diffusion der Metallionen vom Metall in die Lösung hohen Widerstand. Anionen von starken Säuren hingegen können die Wirkung von Inhibitoren aufheben und zum Zusammenbruch der passiven Schicht führen.
Als Beispiele für solche aggressive Anionen gelten Halogenide, Sulphat,
Nitrat usw.
Die Verteilung der Anionen zwischen der Lösung und der sich passivierenden bzw. passiven Metalloberfläche wird aber nicht allein vom Potential
der Metalloberfläche bestimmt, sondern hängt natürlich auch von der Molekülgrösse des Inhibitors ab. Die niedermolekularen, hydrophilen Zusätze,
z.B. Acetat und Malonat, sind deshalb weniger effektive nicht-oxidierende
Zusätze als die höhermolekularen Vertreter wie z.B. Valeriansäure. Die
Untersuchung homologer organischer Verbindungen erlaubt das Aufzeigen
der Zusammenhänge zwischen charakteristischen molekularen Strukturen
und Ausmass der Inhibition. Anhand der folgenden Sulfide und Mercaptane erwies sich die Länge der Kohlenstoffkette als bedeutungsvoll (Trabanelli 1991). In 1 N H2S04 erwies sich Ethyloctylsulfid als ein wirkungsvollerer Inhibitor als Ethylpentylsulfid, das selbst wiederum wirkungsvoller war als Diethylsulfid. Die Effizienz der Inhibition von Mercaptanen
nahm in der Reihenfolge n-Butylmercaptan < n-Hexylmercaptan < n-Octylmercaptan zu.
Das Ausbleiben der passivierenden Wirkung von bestimmten Anionen
kann aber auch auf deren Fähigkeit zurückgeführt werden, mit Eisenionen
stabile, wasserlösliche Komplexe zu bilden. So erschweren Komplexbildner wie Rhodanid oder Komplexon die anodische Passivierung von Eisen,
da sie die kritischen Passivierungsstromdichten erhöhen. Inwieweit bei den
hydrophilen Vertretern der nichtoxidierenden Zusätze nicht nur die ungünstige Lage des Sorptionsgleichgewichtes, sondern die Fähigkeit dieser Anionen zur Bildung wasserlöslicher, stabiler Komplexe mit Eisenionen die
Effektivität bei der chemischen Passivierung beeinträchtigt, kann nicht mit
62
Bestimmtheit gesagt werden. Die Kenntnisse über die Bildung von Oberflächenkomlexen der betreffenden Anionen und den jeweils an der Metalloberfläche herrschenden pH-Werten und Konzentrationen sind dazu zu ungenügend (Fischer 1979).
Die Effizienz der Inhibition hängt auch ganz entscheidend ab von der mechanischen, strukturellen und chemischen Beschaffenheit der dreidimensionalen Schicht. Ein wichtiger Faktor ist dabei die Porosität der Schicht.
Poröse 3-D-Schichten werden in neutralen Medien sowohl unter Ausschluss als auch in Anwesenheit von Sauerstoff gebildet, während nichtporöse Schichten im passiven Zustand des Metalles entstehen (Siehe Fig.
3.4). Die Effizienz der Korrosion kann korreliert werden mit der Geschwindigkeit der transportkontrollierten kathodischen Korrosionsreaktion,
welche in den Poren der dreidimensionalen Schicht stattfindet. Gute Inhibitoren sollten nicht nur an der Oxid/Elektrolyt-Grenzfläche adsorbieren,
sondern sie sollten auch in die 3-D-Schicht eingebaut werden, um auf diesem Wege zu homogeneren und dichter gepackten Gittern mit wenig Poren
und hoher Stabilität zu führen.
Eine effektive Korrosionsinhibition in neutralem Medium in der Gegenwart von Sauerstoff ist nur möglich bei Retardation der transportkontrollierten Sauerstoffreduktion, welche in den Poren der oxidischen 3-DSchicht stattfindet. Ein effektiver Inhibitor muss die Porendichte der
Schicht vermindern und ihre mechanische Stabilität erhöhen.
Faktoren, welche das Ausmass der Inhibition bestimmen:
Konzentration des Inhibitors muss höher sein als eine bestimmte kritische Konzentration
Inhibitoren können nur bei einem pH, der höher als ein bestimmter
kritischer Wert liegt, effektiv werden. Dieser kritische pH hängt auch
von der Konzentration des Anions ab. Für eine 0.1 M Benzoat-Lösung
z.B. liegt dieser Weit bei 6.0.
Die Inhibition verlangt ein Minimum an oxidativem Potential der
Lösung. Normalerweise wird dies durch den in der Lösung vorhandenen Sauerstoff erreicht. So muss eine 0.1 M Benzoat-Lösung bei pH 7
mindestens 0.3 ppm Sauerstoff enthalten, damit Passivierung erreicht
wird. (Eine mit Luft gesättigte Lösung weist 8 ppm Sauerstoff auf.)
63
Molybdat
Molybdat, ein schwach oxidierender Inhibitor, kann die Filmbildung fördern, den passiven Bereich ausweiten und die Passivstromdichte verringern. Es ist wahrscheinlich, dass die frühe Bildung eines unlöslichen Eisen(III)molybdats, welches die notwendige Polarisierung der Elektrode unterstützt, die Förderung des aktiv-passiv Ueberganges verursacht. Molybdat adsorbiert auch an der Oxidschicht und bildet dadurch einen Film, der
für aggressive Anionen wie Cr und Sül undurchlässig ist (Al-Borno
1989).
Die lonenselektivität von Oxidschichten wurde durch Experimente mit Eisen(IIl)(hydr)oxidmembranen bestätigt. Die Membranen waren in neutralen Chloridlösungen anionenselektiv, wurden aber in der selben Lösung
kationenselektiv, wenn Molybdat an ihnen adsorbiert war (Sato 1989).
Benzoat
Die korrosionsverhindernden Eigenschaften von Natriumbenzoat wurden
angeblich 1919 zum erstenmal erwähnt (Brasher 1968). Als Inhibitor wurde es vor allem in Wärmetauschern und Frostschutzmitteln eingesetzt,
manchmal noch unter Zugabe von Nitrit (Wormwell 1952). Wie Nitrit und
Chromat gehört auch Benzoat zu der Gruppe der anodischen, passivierenden Inhibitoren. Aber während Nitrit und Chromat oxidierende Anionen
anorganischer Säuren sind, ist das Benzoat ein nicht-oxidierendes Anion
einer Carboxylsäure. Davies (1971) untersuchte den Einfluss der Inhibitorkonzentration auf den kritischen pH-Wert der Passivierung von Eisen in
!ungesättigten Natriumbenzoatlösungen. Die Ergebnisse zeigten, dass eine
Erhöhung der Konzentration des Natriumbenzoats einen höheren kritischen
pH-Wert für die Passivierung zur Folge hatten. Die Abhängigkeit des
pHkrit von der Inhibitorkonzentration liess sich für eine luftgesättigte Lösung durch eine Gleichung der folgenden Form darstellen:
pHkrit = Alncs + B
A= 0.46, B = 7 .22, ca = Benzoatkonzentration [M]
Die obenstehende Gleichung könnte dahingehend gedeutet werden, dass
Benzoat gegenüber Eisen aggressiv ist. Aber folgende Tatsachen sprechen
64
gegen diese Vermutung: a) ein an der Luft gebildeter Film wird in einer 0.1
M Benzoatlöung dicker als in einer 0.01 M Lösung, und b) die Toleranz
gegenüber dem aggressiven Chloridion wächst mit zunehmender Benzoatkonzentration.
Ferner fand Davies, dass bei pH-Werten oberhalb des pHkrit das Elektrodenpotential mit zunehmendem pH-Wert wieder leicht sinkt. Dieses Ergebnis bestätigt die von Wagner 1935 erhaltenen Resultate, dass passive Potentiale gemischte Potentiale sind; die Reduktion des Sauerstoffes ist dabei
gemäss der folgenden Gleichung vom pH-Wert abhängig:
E
= 1.23
+ 0.015log[02] - 0.059 pH
[V]
Eist das Gleichgewichtspotential bei einem beliebigen pH-Wert, und [02]
ist der Sauerstoffpartialdruck. Da in luftgesättigten Lösungen der zweite
Term konstant ist, hängt das Elektrodenpotential vom dritten Tem1 ab. Eine Erhöhung des pH-Wertes verschiebt daher die kathodische Polarisationskurve in negative Richtung, und das passive Potential stabilisert sich
bei einem leicht unedleren Potential.
Auch die Konzentration an Benzoat hatte bei sonst gleichbleibenden Bedingungen eine Auswirkung auf das Elektrodenpotential. Solange die Konzentration an Benzoat noch über der kritischen Konzentration lag, führte
eine Verdünnung des Inhibitors zu einem Anstieg des Potentials.
In einer weiteren Studie, die in der obengenannten Publikation erwähnt
wurde, konnte Davies zeigen, dass für eine bestimmte Benzoatkonzentration der für die Inhibition notwendige Sauerstoffpartialdruck eine Funktion
des pH-Wertes ist. Die Ergebnisse wurden dahingehend interpretiert, dass
eine erhöhte Benzoatkonzentration die Sauerstoffdiffusion zur Elektrodenoberfläche behindert. In selbem Masse, wie die Konzentration des Inhibitors erhöht wird, verringert sich der Diffusionskoeffizient des Sauerstoffes
und damit die Geschwindigkeit der Sauerstoffdiffusion zur Metalloberfläche. Um bei erhöhter Benzoatkonzentration Inhibition zu erlangen, muss
das kritische Verhältnis von 02-Diffusion zu H+-Diffusion überschritten
werden, was nur durch eine Verringerung der H+-Konzentration, also eine
Erhöhung des pH-Wertes, erreicht werden kann.
65
4.3.3.
Chelatbildner
Chelate sind bevorzugte Inhibitoren, weil sie stabile Ringstrukturen bilden
können. Oberflächenchelate sind effiziente Korrosionsinhibitoren, wenn
sie schwerlösliche Oberflächenchelate bilden können. Die Bildung von löslichen Chelaten hingegen provoziert Stimulierung des Korrosionsprozesses.
66
5.
Das Koordinationsmodell
Oxide, besonders diejenigen des Si, Al und Fe, sind häufige und weitverbreitete Bestandteile der Erdkruste. Auch unter den Partikeln, welche in
natürlichen Gewässern, Sedimenten und Böden anzutreffen sind, stellen
die Oxide und Hydroxide der erwähnten Elemente einen grossen Anteil
(Stumm 1991).
Partikel erhalten ihre herausragende Bedeutung nicht zuletzt aufgrund ihrer
Eigenschaft, dass sie bezüglich ihres Volumens eine sehr grosse Oberfläche aufweisen. Da an diesen Grenzflächen gerade in der aquatischen Umgebung wichtige Prozesse von grosser Tragweite ablaufen, ist es zu derem
besseren Verständnis unabdingbar, brauchbare Modelle der Grenzfläche
Oxid / Wasser zu entwicklen.
5.1. Die Koordinationschemie an der Grenzfläche Oxid I
Wasser
Eines dieser Modelle geht von der Annahme aus, dass die Oberfläche von
Oxiden in der Gegenwart von Wasser mit Hydroxylgruppen bedeckt sind.
Der Ursprung dieser oberflächenständigen Hydroxylgruppen kann folgendermassen dargestellt werden (Schindler 1987):
67
a)
b)
O•O•O•O
•O•O•O•
O•O•O•O
.:.:.:
O•O•O•O
•O•O•O•
O•O•O•o
•••
H
c)
H
H
o·o•o•o
•O•O•O•
.
O•O•O•O
Fif:. 5.1;
Querschnitt einer Obeifläche eines Metalloxides.
Die kleinen, schwarzen Kreise stellen Metallionen dar, während die grossen die Sauerstoffionen symbolisieren.
Die Oberfläche des trockenen Oxides ist charakterisiert durch niedrig koordinierte Metallionen, die durch ihre Elektronen-Akzeptoreigenschaften
dem Oxid Lewis-Acidität verleihen (Fig. 5.1 a). Die Zugabe von Wasser
führt in einem ersten Schritt zur Koordination von Wassermolekülen an die
koordinativ untersättigten Metallzentren der Oberfläche (b). In einem weiteren Schritt erfolgt die Bildung einer kovalenten Bindung zwischen dem
Metallzentrum und dem 0-Donoratom (c).
Diese funktionellen Gruppen enthalten diesselben Donoratome wie auch
andere gelöste Liganden. So weisen die Hydroxylgruppen an einer Oxidoberfläche ähnliche Eigenschaften auf wie die entsprechenden funktionellen Gruppen eines gelösten Liganden. Dies gilt auch für den amphoteren
68
Charakter der Oberflächenhydroxylgruppen: je nach pH der Lösung können sie Protonen aufnelunen oder abgeben. Auch die quantitative Beschreibung dieser Reaktionen geschieht entsprechend analogen Reaktionen in
homogener Lösung. Die Oxidoberfläche kann dabei wie eine polyfunktionelle Säure oder Base behandelt werden (Fig. 5.2) (Stumm 1980, Kummert
1980).
Oxid
Fig. 5.2:
Die Oxidoberfläche als polyfunktionelle Säure oder Base
5.2. Der Ligandaustausch
Der hauptsächliche Mechanismus der Adsorption von Liganden ist der Ligandaustausch: die oberflächenständige Hydroxylgruppe wird gegen einen
anderen Liganden ausgetauscht (Stumm 1983). Das Ausmass der Bildung
von oberflächenständigen Komplexen ist aufgrund der in Fig.5.2 dargestellten Gleichgewichte stark pH-abhängig.
So können z. Bspl. organische Säuren spezifisch an Oxiden adsorbieren.
Unter spezifischer Adsorption verstehen wir dabei die nicht nur durch elektrostatische Anziehungskräfte bewirkte Adsorption. Um das Adsorptionsverhalten von organischen Säuren oder Basen mit einer oder mehreren
funktionellen Gruppen an Oxiden zu beschreiben, kann im Ralunen des
Koordinationsmodelles das Prinzip des Ligandenaustauschs angewendet
werden. Die Adsorption geschieht durch Bildung von Koordinationsverbindungen des Adsorbates mit den Oberflächenhydroxylgruppen. Diese
69
Reaktionen sind oft genügend reversibel, um als Gleichgewichte betrachtet
werden zu können.
Säuren können mit den Oberflächenhydroxylgruppen des Oxides ungeladenen Oberflächenkomplexen bilden:
1-°H OH~
tOH
+
H 20
OH
Fig. 5.3 a:
Bildung eines ungeladenen Oberflächenkomplexes
Falls die adsorbierte Säure weitere saure Gruppen besitzt, können diese,
ihrem jeweiligen pK-Wert entsprechend, noch deprotoniert werden, wodurch die Oberflächen eine negative Ladung erhält (Kummert 1979):
Ks
Fig. 5.3 b:
o~
l
+
OH
Entstehung einer negativ geladenen Oberfläche
Auch Kationen können an Oxidoberflächen spezifisch adsorbiert werden.
So wird z. B. in verdünnten Lösungen die Adsorption von Pb(II) an yA!i03 auch an die positiv geladene Oberfläche des Oxides beobachtet.
Dies zeigt, dass die Adsorption nicht auf bloss elektrostatischen Wechsel-
70
wirkungen beruht, sondern spezifische Oberflächenkomplexe mit kovalenten Bindungen gebildet werden.
Die Adsorption von Pb(II) an oxidische Oberflächen ist stark pH-abhängig,
weil sowohl die Oxidoberfläche als auch die Zusammensetzung der Lösung eine Funktion des pH-Wertes ist. Die Bildung der Oberflächenkomplexe findet demnach in pH-abhängigen Reaktionen gemäss dem folgenden Schema statt (Hohl 1976):
>AlOH + Pb2+
2>AlOH + Pb 2+
=
=
>Al-OPb+ + H+
(>Al-OPb)z + 2H+
wobei >AlOH eine Oberflächengruppe des Aluminiumoxides darstellt. Die
quantitative Beschreibung dieser Reaktionen geschieht gleich wie für die
analogen Komplexreaktionen in homogener Lösung.
Mit bidentaten Liganden können Oberflächenchelate gebildet werden:
10--c~
Fe
1
b.---C::::::,,O
Fe-OH
1
Fe-OH
+ :HiP04
Fe-0-......._
/o-
Je-0/P~
5.3. Die oberflächenkontrollierte Auflösung
Die Art der gebildeten Oberflächenspezies bestimmt die Reaktivität einer
Oberfläche, wie sie sich z. B. in ihrer Tendenz, sich aufzulösen, manifestiert. So können innersphärische Komplexe mit Liganden wie Oxalat, dessen Struktur oben dargestellt ist, die Ablösung des Metallzentrums aus dem
Verband begünstigen und die Auflösung erheblich beschleunigen. Der adsorbierte Ligand verschiebt die Elektronendichte zum oberflächenständigen Metallzentrum und erhöht dadurch die negative Ladung in der Koordinationssphäre des Zentrums der Lewis-Säure. Die Metall-Sauerstoff-Bindungen im Oxid-Gitter werden geschwächt und die Loslösung des Metallions erleichtert.
71
Ganz entsprechend kann die Protonierung der Oberfläche die Geschwindigkeit der Auflösung beschleunigen. Adsorbierte Protonen führen zu stark
polarisierten Bindungen in der unmittelbaren Nachbarschaft der oberflächenständigen Metallzentren und erleichtern so die Ablösung einer kationischen Gruppe von der Oberfläche in die Lösung (Stumm 1992).
Eine oft nicht genügend beachtete Tatsache ist, dass die Adsorption eines
Liganden bei einem beliebigen (konstanten) pH eine erhöhte Protonierung
der Oberfläche zur Folge hat. Die Bindung eines Liganden an eine Oxidoberfläche verringert zwar die Oberflächenladung, bewirkt aber durch die
Verschiebung der Elektronendichte zum Metallzentrum hin eine erhöhte
Protonierung der Umgebung des Zentrums. Weil Protonen, welche an die
0- und OH-Gruppen des Oxidgitters gebunden sind, die Geschwindigkeit
der Auflösung erhöhen, kann ein Teil der Beschleunigung der Auflösung
durch Liganden erklärt werden, indem die Wirkung der durch die Adsorption eines Liganden verursachte Protonierung der Oberfläche mit in Betracht gezogen wird.
5.4. Inhibition der Auflösung
Ebenso wichtig, wie die Gründe der Beschleunigung der Auflösung zu verstehen, ist es, die Faktoren zu kennen, welche zu deren Hemmung führen.
Ganz offensichtlich wird die Auflösung durch Substanzen inhibiert, welche
die oberflächenständigen funktionellen Gruppen blockieren oder deren Besetzung durch auflösungsfördernde Liganden verhindern. So können Metallionen - besonders diejenigen, welche unterhalb pH 7 spezifisch adsorbieren - die protonenbeschleunigte Auflösung von Oxiden inhibieren. Diese Art der Inhibition kann als direkte Folge der Konkurrenz zwischen Protonen und Metallionen angesehen werden. Schon sehr kleine Konzentrationen von Inhibitoren können effektiv sein, weil es unter Umständen ausreicht, nur die auflösungsaktiven Stellen an der Oberfläche zu besetzen.
72
Auf der folgenden Seite (Fig 5.4) sind in schematischer Art und Weise sowohl die Beschleunigung als auch die Inhibition der Auflösung dargestellt.
Es bedeuten:
A Protonierung der Oberfläche
Deprotonierung der Oberfläche
B Oberflächenkomplexbildung mit bidentaten (mononuklearen) Liganden, z.B. Oxalat, Salicylat, Citrat, Diphenolen usw.
C Bildung von bi- oder multinuklearen Oberflächenkomplexen oder
Oberflächenfilmen; Blockierung von oberflächenständigen Gruppen
durch Metallkationen, z.B. Cr(III).
D Blockierung der Oberfläche durch hydrophile funktionelle Gruppen
von Fettsäuren, Huminsäuren oder Makromolekülen.
~ /H"-. /OHz
M
M
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Beschleunigung
der Auflösung
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M
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M
M
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/H"-. ?Hz
M
M
M
/V
A
B
1
/V~ /H"oH
M
M
/V
~ /H"-. JJCr+
M
M
>::.
COOH
~ OH ?Hz
/~M'oo (5)
.
P
'
~ /H"-. JJ/~ ~/"-.?CH
~
/V
;::
;:,..
t
Inhibition
der Auflösung
M
(IQ
~
"oH
c
"oH
D
"oH
3
-.l
w
74
5.5. Berechnungen mit MICROQL
Das Speziierungsprogramm MICROQL, bei welchem auch Oberflächenspezies miteinbezogen werden können, basiert im wesentlichen auf dem im
vorliegenden Kapitel skizzierten Oberflächenkoordinationsmodell. Dieses
Modell beschreibt die Sorption von gelösten Spezies an Oxidoberflächen
als eine chemische Reaktion dieser Spezies mit spezifischen Oberflächenstellen. Diese Reaktionen umfassen Protonenaustausch sowie Bindung von
Kationen oder Anionen durch Ligandenaustausch mit oberflächenständigen
Hydroxylgruppen. Sind die Sorptionsreaktionen im Gleichgewicht, gelten
für alle beteiligten Spezies die bekannten Massenwirkungsgesetze. Die
Gleichgewichtskonstanten setzen sich aus den folgenden zwei Beiträgen
zusammen: ein konstanter intrinsischer Term, welcher der Freien Bindungsenergie an einer spezifischen Oberflächenstelle entspricht, und ein
variabler Coulomb'scher Term, welcher von der elektrostatischen Ladung
an der Oberfläche herrührt. Die Oberflächenladung wird verursacht durch
Ionisierung der funktionellen Gruppen an der Oberfläche. Der Coulomb'sche Term, welcher eigentlich ein Oberflächenaktivitätskoeffizient
ist, wird aufgrund der Gouy-Chapman Theorie berechnet; die Gouy-Chapman Theorie beschreibt die elektrische Doppelschicht als eine planare
Schicht von Oberflächenladungen und einer diffusen Schicht von Gegenionen in der Lösung.
Die fundamentalen Konzepte dieses Oberflächenkomplexmodelles können
wie folgt zusammengefasst werden (Dzombak 1990):
Die Sorption an Oxiden findet an spezifischen oberflächenständigen Koordinationsstellen statt.
Diese Sorptionsreaktionen können quantitativ durch Massenwirkungsgesetze beschrieben werden.
Die Ladung an der Oberfläche entsteht durch die Sorptionsreaktionen selbst.
Der Effekt der Oberflächenladung kann berücksichtigt werden, indem ein aus der EDL-Theorie hergeleiteter Korrekturfaktor auf die
Gleichgewichtskonstanten der Oberflächenreaktionen angewandt
wird.
75
Dieses verallge meinerte Doppels chichtm odell wurde im Comput erprogramm MICRO QL von J. Westall (1979) verwend et. B. Müller (1989)
übersetz te es nach Pascal und passte es mit einigen Erweiter ungen an die
Mac-Int osh-Um gebung an.
Die compute rgerecht e Eingabe der relevanten chemisc hen Gleichgewichte
erlolgt in Matrixform. Man wählt zur Beschreibung der in Betracht gezogenen Spezies die minimal e Anzahl geeignet er Kompon enten aus, mit denen die Bildung aller Spezies beschrie ben werden können. Dabei werden
die stöchiom etrische n Koeffizi enten der Kompon enten, welche in den
Gleichu ngen für die Spezies als Exponenten erscheinen, in der Matrix aufgeführt. Die Kompon enten stehen dabei in den Kolonne n, die Spezies in
den Zeilen der Matrix. Bei der Berechn ung der Adsorpt ion an geladene
Partikelo berfläch en müssen die funktion ellen Oberfläc hengrup pen sowie
die Ladung der Oberflächenspezies ebenfalls als Komponenten genomm en
werden.
Für die Adsorpt ion von Chrom(I ll) und Chroma t an Goethit wurden folgende Paramet er im Modell eingesetzt:
Oberfläche:
Anzahl Oberflächenstellen:
Konzent ration Festkörper:
Ionenstärke:
Kapazität der Doppelschicht:
5.5.1.
14.7 m 2/g
1.35 x 10-4 moVg
1 g/l
0.01 M
3 F/m2
Adsorption von Cr(lll) an Goethit
Trivalen tes Chrom wird schnell, stark und spezifisch an Eisenox iden adsorbiert (Richard 1991). Wie aus Fig. 5.5 ersichtlich wird, zeigt Cr(III) ein
Sorptionsverhalten, welches typisch ist für Kationen. D. h., dass das Ausmass seiner Adsorption mit steigendem pH zunimmt.
Die Matrix für die Adsorption von Chrom(III) an Goethit sieht folgendermassen aus (Tab. 5.1):
76
FeOOH Ladun2
1
1
1
1
0
0
FeOOH
FeOOFeoom
FeOCrOH+
cr3+
H+
Tab. 5.1:
0
-1
1
-1
0
0
cr3+
H+
102 K
0
0
0
1
1
0
0
-1
1
0
0
1
0.00
-9.00
6.70
4.35
0.00
0.00
Eingabematrixfiir die Adsorption von Cr(l/I) an Goethit
Die mit Hilfe der obenstehenden Matrix und für Chrom(III)-Konzentrationen von 10-6 und 10- 4 M gerechnete pH-Abhängigkeit der Adsorption ist
in Fig. 5.5 dargestellt:
100
80
t:
:S...
~i:o
!§
..=...
60
*
40
*
4
3
TOT Cr + = 10 M
u
~
20
* ...:.----
*•
• ••
*
0
0
2
4
3
5
6
7
pH
Fie. 5.5:
Ausmass der Adsorption als Funktion des pH-Wertes für
Cr(III) an Goethit. Die Sternchen stellen experimentell erhaltene Daten dar.
77
5.5.2.
Adsorption von Cr(VI) an Goethit:
Hexavalentes Chrom tritt bei Bedingungen, wie sie auch in natürlichen
Wässern anzutreffen sind, vor allem in Form der Anionen HCr04 • und
cr01· auf. Cr(VI) weist deshalb auch ein typisches anionisches Sorptionsverhalten auf, d. h., das Ausmass seiner Adsorption nimmt ab mit steigendem pH (Fig. 5.6).
Die Matrix für die Adsorption von Chrom(VI) an Goethit sieht folgendermassen aus (Tab. 5.2):
FeOOH Ladung
FeOOH
FeOOFeoom
FeCr0.1
HCr0.1
H2Cr04
cr01HCr207
cf2o~-
H+
Tab. 5.2:
1
1
1
1
0
0
0
0
0
0
0
-1
1
-1
0
0
0
0
0
0
HCrO.i
H+
logK
0
0
0
1
1
1
1
2
2
0
0
-1
1
0
0
0.00
-9.00
6.70
4.35
0.00
-0.80
-6.50
1.59
1.52
0.00
1
-1
1
0
1
Eingabematrix für die Adsorption von Cr(Vl) an Goethit
TOT Fe= 11.3 mM
0'-1---.-~.---.---...~..---.---.~~""""~~....__,.
4
5
6
7
8
9
10
pH
Fie. 5.6:
Ausmass der Adsorption als Funktion des pH-Wertes für
Cr(Vl) an Goethit
79
6.
Postulierung einer oberflächenchemischen
Theorie der Passivität von Eisenoxiden
Aufgrund der in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen Zusammenhänge würde man erwarten, dass sich aus der Erkenntnis über die Abhängigkeit der Oberflächenreaktivität von der Oberflächenstruktur von Eisen(Ill)(hydr)oxide eine oberflächenchemische Theorie der Bildung und Auflösung von passiven Schichten ableiten liesse. Obwohl die Korrosionsliteratur zahlreiche phänomenologische Hinweise über Einflussfaktoren enthält, gibt es bei den Korrosionsfachleuten keine umfassende oberflächenchemische Theorie.
Die nachfolgenden Ausführungen sind etwas spekulativ, sie möchten aber
versuchen, aufgrund unserer Einsichten über Oberflächenreaktivität an der
Grenzfläche Oxid/Wasser einzelne Zusammenhänge in Bezug auf die Korrosion und Passivität als Hypothesen vorauszusagen.
Protonen und Liganden
Ohne Zweifel haben Säuren eine grosse Wirkung in der Beschleunigung
der Auflösung von passiven Schichten. Die Oberflächenladung eines Oxides ist ein wichtiger Faktor in der Polarisierung der Bindungen an der
Oberfläche des Oxidgitters. Es kann verallgemeinert werden, dass die Auflösungsrate verknüpft ist mit der durch H+ und/oder Off verursachten
Oberflächenladung; die Geschwindigkeit der Auflösung wird erhöht durch
sowohl eine hohe positive Oberflächenladung bei tiefen pH-Werten als
auch durch eine hohe negative Oberflächenladung bei hohen pH-Werten.
Ausserdem wurde schon früh erkannt, dass Säuren in Verbindung mit
komplexbildenden Basen wie HCl, H2S04, H3P04 oder Oxalsäure eine
grössere Auflösungsrate bewirken als Säuren mit nicht komplexbildenden
konjugierten Anionen (z. B. HN03, HCl04). Dieser Effekt kann durch die
koordinationschemischen Auflösungskonzepte jederzeit erklärt und quantifiziert werden. Die Rate der Auflösung ist gegeben durch:
80
Chlorid und Fluorid
Diese beiden besonders nukleophilen Anionen sind in der Lage, in das Kristallgitter einzudringen. Die Bildung des passiven Eisenoxidfilmes wird
durch die Gegenwart von er und F nachhaltig beeinflusst. Wie Schneider
und Schwyn 1987 gezeigt haben, wird die Hydrolyse des Fe(III) und die
nachfolgende Polymerisation durch er beschleunigt und die Bildung von
ß-FeOOH-Strukturen werden durch diese Anionen gefördert. Ein "passiver" Film, der ß-FeOOH-Strukturen mindestens teilweise einschliesst, bietet wahrscheinlich wenig Schutz bei der Auflösung durch Säuren.
Bidentate organische Liganden
Bidentate organische Liganden wie Oxalat, Salicylat, Citrat, Brenzcatechin
sind dank zwei oder mehr Donoratomen in der Lage, mononukleare Oberflächenkomplexe mit Chelatstruktur zu bilden. Diese Komplexe bewirken
eine Verschiebung der Elektronendichte in Richtung der zentralen Eisen(IIl)ionen in der Oxidoberfläche und schwächen dadurch die Fe-0-Bindungen im Oberflächengitter. Der schwächende Effekt eines Liganden auf die
Bindungen in der Oberfläche einer festen Oxidphase kann auch im Sinne
des sog. Trans-Effektes interpretiert werden. Durch Wechselwirkung mit
den Orbitalen des zentralen Metallions übt ein adsorbierter Ligand einen
schwächenden Einfluss aus auf die 0- oder OH-Bindungen, welche trans
zu ihm liegen.
Um auflösungsaktiv zu sein, müssen diese Liganden an der Oberfläche
durch Ligandaustausch koordinativ gebunden werden. Das Ausmass der
Adsorption und ihre Abhängigkeit von pH und Lösungsvariablen kann mit
Hilfe der Gleichgewichtskonstanten vorausgesagt werden. Leider sind nur
wenige solcher Konstanten bekannt. Fig. 6.1 (Stumm, persönliche Mitteilung) gibt eine Uebersicht der Tendenzen verschiedener Liganden, Komplexe an der Oberfläche und die entsprechenden innersphärischen Komplexe in Lösung zu bilden. Solche Darstellungen gestatten es, Komplexbildungskonstanten entweder an der Oberfläche oder in Lösung vorauszusa-
81
gen. Um die relative Bedeutung dieser Konstanten zu illustrieren, enthält
Fig. 6.2 einen Vergeich relativer Beladungsdichten (>FeX/>FeOHTOT) als
6
Funktion des pH-Wertes für die Bedingung XTOT = FeOHTOT = 10- M
2
und 1 = 10- M. Die Korrektur für die elektrostatische Wechselwirkung erfolgte nach dem diffusen Doppelschichtmodell von Gouy-Chapman.
Reduktive Liganden
Liganden, welche durch Fe(III) oxidiert werden, bewirken eine reduktive
Auflösung, indem der schnellen Oberflächenkomplexbildung mit dem reduzierenden Liganden ein Elektronentransfer folgt. Ascorbat, gewisse Phenole und insbesondere S(-II)-Verbindungen beschleunigen die reduktive
Auflösung. In Uebereinstimmung damit verursachen solche reduktive Liganden, insbesondere H1S, einen Zusammenbruch der Passivität. Auch bei
kleinen Partialdrucken von H1S kann ein Eisenoxid wie z. B. Hämatit in
Minuten aufgelöst werden.
Oxidationsmittel
Oxidationsmittel erleichtern die Bildung des passiven Oxides und schützen
die passiven Filme vor Angriff durch reduktive Verbindunge n. Um
wirkungsvol l zu sein, sollten die Oxidationsm ittel spezifisch an der
Eisenoxidoberfläche adsorbieren. Dies ist der Fall bei cr01- und NOi.
Anorganische Oxoanionen
Die Korrosionsliteratur zeigt, dass Phosphat, Arsenat, Borat, Molybdat,
Chromat, Vanadat, Wolframat etc. als Inhibitoren bekannt sind und zum
Teil weite Verbreitung finden. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei
Fragen:
1)
2)
Werden diese Anionen spezifisch adsorbiert?
Wenn ja, warum verhindern sie - im Gegensatz etwa zu Oxalat - die
Auflösung?
82
Bezüglich der ersten Frage kann argumentiert werden, dass anorganische
Oxoanionen sehr stark adsorbiert werden, wie das auch aus Fig. 6.2 ersichtlich wird. Viele dieser Oxoanionen sind in der Lage, bidentate Oberflächenkomplexe zu bilden. Man muss aber postulieren, dass sie in der Regel bi- oder multinukleare Oberflächenkomplexe bilden. Aus der Lösungschemie ist bekannt, dass diese Oxoanionen ebenfalls wie organische
Liganden bidentate Komplexe mit Fe(IIl)aq bilden. Ein Vergleich der Ki
(zur Bildung von FeL1) zeigt, dass die Ki-Werte eine ähnliche Grössenordnung haben wie die K 1-Werte der organischen Liganden - andererseits
werden keine FeL2 und FeL3 Komplexe gebildet. Dementsprechend bilden
anorganische Oxoanionen bei höheren Konzentrationen Bi- oder Multioxoanionen (Crio~- P20], B10], etc.). Entsprechend kann man postulieren,
dass Oxoanionen bi- oder polynukleare Oberflächenkomplexe bilden. Viele dieser Oxoanionen sind in der Lage, die Polyederecken des Fe(III)oxides
zu vernetzen. Aus der Tatsache, dass die simultane Loslösung zweier Metallzentren aus dem Oxidverband wegen der hohen Aktivierungsenergie
unwahrscheinlich ist, folgt die inhibierende Wirkung der oben erwähnten
Oxoanionen.
Rostfreier Stahl
Sogenannt rostfreier Stahl enthält in seiner Legierung häufig die Elemente
Cr, Mo, Ni, Co, V. Diese Elemente werden bei der Bildung des passiven
Filmes in das Fe-Oxid eingebaut, z. T. als isomorphe Substitution. Das
Cr(III) und z. T. auch Co und Ni bringen kinetische Robustheit in die
Struktur der passiven Schicht. (Cr tw = 1o-5·6 s·1).
83
-------- - ------- -- - 1 0
--<D 1-
- 5
Tl
J,
Q)
n
~
-,
~
'---'-_L__'-~-'-'----'--'---"1-'--'---'-'-~-
Fi~.
1s
10
0
25
20
log K aq
Vergleich der Tendenzen, Oberflächenkomplexe zu bilden
oder die entsprechenden Komplexe in Lösung.
6.1:
Q)
.{l
!!
IQ
>
0.1
IQ
t/)
Q)
....
~
'O
Q)
a.
::i
0
0
0.001
0
...
t/)
Q)
(/)
1 o"
5
4
Fie, 6.2:
5
6
7
pH
8
9
10
Relative Beladungsdichte verschiedener Liganden als
Funktion des pH-Wertes.
0
84
7.
Instrumentation und experimentelle
Bedingungen für die Aufnahme der
Polarisationskurven
7.1. Einführung: Die elektrochemische Zelle
Wann immer zwei verschiedene Phasen miteinander in Kontakt gebracht
werden, stellt sich zwischen ihnen eine Potentialdifferenz ein. Dies kann z.
Bspl. durch einen Fluss von Ladung geschehen, der solange anhält, bis die
Potentialdifferenz A<I> der Differenz der chemischen Potentiale Aµi der verschiedenen Spezies i in den zwei Phasen entspricht.
Die Schwierigkeit ist nun, dass wir den numerischen Wert dieser Potentialdifferenz zwischen Metall und Lösung nicht bestimmen können. Sobald
nämlich eine absolute Potentialdifferenz gemessen werden sollte, führen
wir notgedrungen eine weitere ein, welche ebenfalls unbekannt ist. Diesen
Sachverhalt versucht die untenstehende Figur 7.1 darzustellen: Während
ein Anschluss des Voltmeters mit der Elektrode Ml verbunden ist, muss
der zweite in Kontakt mit dem Elektrolyten gebracht werden. Das Eintauchen des Drahtes M2 erzeugt eine zweite Phasengrenze, deren Potentialdifferenz in der Messung mit einbezogen wird (Bard 1980, Bockris 1974,
1970 - 1973).
Was wir messen können, ist also immer nur die algebraische Summe der
Potentialdifferenzen zweier Grenzflächen, und nie den Wert der Potentialdifferenz an einer der Grenzflächen alleine. So müssen wir uns damit begnügen, nur das Potential einer elektrochemischen Zelle, der Summe von
wenigstens zwei Potentialdifferenzen, bestimmen zu können. Die an den
Elektroden auftretende Zellspannung wird auch elektromotorische Kraft
(EMK) genannt. Das ganze System besteht jetzt also aus der Elektrolytlösung als chemischem Teil und dem äusseren elektrischen Stromkreis.
85
Ml
Potential
yo
1
Ml
Ml/E
f11>nM1/R ~ E/M2
_;.?'
V =PD Ml/E + PD E/M2
Fig. 7.1:
Messung einer Potentialdifferenz
Da die zweite Phasengrenze, die durch das Eintauchen des zweiten Anschlusses des Voltmeters in den Elektrolyten entsteht, ein zufälliges und
schlecht reproduzierbares Potential aufweisen würde, muss das Potential
einer Arbeitselektrode in Bezug auf eine Referenzelektrode, die ein stabiles
und gut reproduzierbares Potential hat, gemessen werden.
Referenzelektroden sind zum Beispiel die NHE (Normal Hydrogen Electrode ), die SCE (Saturated Calomel Electrode) oder die SSE (Saturated
Mercury Sulfate Electrode). Das Potential der NHE wird nur durch die
Konzentration der Wasserstoffionen in Lösung und des Partialdruckes von
Wasserstoff bestimmt; wird beides konstant gehalten, ändert sich auch das
Potential der Elektrode nicht. Nach internationaler Uebereinkunft ordnet
man der Elektrodenreaktion der NHE (2H+ + 2e- = H2) unter Standardbedingungen bei allen Temperaturen das Standardpotential 0 mV zu; bei
25°C weist die SCE demgegenüber ein Potential von 242 mV/NHE, die
SSE eines von 656 mV/NHE auf.
86
Die Metall-Lösung-Grenzfläche der Referenzelektrode weist also ein Potential auf, welches unabhängig ist von den Aenderungen, welche wir an
der Arbeitselektrode vornehmen. Für die Messung der EMK einer Zelle ist
es erforderlich, dass sie stromlos durchgeführt wird. Wird der Zelle Strom
entnommen, laufen Reaktionen ab und das System gerät aus dem Gleichgewicht. Deshalb wird ein Voltmeter mit einer sehr hohen Impedanz zwischen Referenz- und Arbeitselektrode geschaltet, so dass bei der Messung
der Potentialdifferenz so wenig Strom wie möglich fliesst (Fig. 7 .2).
Voltmeter mit
hoher Impedanz
Spannungsquelle
Arbeitselektrode
Fie. 7.2:
Aufbau einer elektrochemischen Zelle: Elektrolytlösung mit
Elektroden
Die obenstehende Figur zeigt eine Arbeitselektrode in einem Stromkreis
mit zwei anderen Elektroden. Eine davon, die Hilfs- oder Gegenelektrode,
wird gebraucht, um Ladung in die Lösung zu bringen oder aus ihr zu entfernen. Die Ladung fliesst also zwischen der Spannungsquelle, der Arbeitsund der Gegenelektrode. Relativ zum konstanten, bekannten Potential der
Referenzelektrode kann das Potential der Arbeitselektrode gemessen werden; wichtig ist, dass diese Messung praktisch stromlos erfolgt.
87
7.2. Messzelle und Elektroden
Stickstoff
~
Luggin-Kapillare +
Referenzelektrode
/
Arbeitselektrode
Fig. 7.3:
7.2.1.
Gegenelektrode
Messzelle und Elektroden
Messzelle
Die obenstehende Figur zeigt die Zelle, in welcher die Experimente durchgeführt wurden. Der zylindrische Messraum wies ein Fassungsvermögen
von ungefähr 150 ml auf und wurde mit jeweils 100 ml Elektrolytlösung
gefüllt. In zwei symmetrisch angeordneten, durch keramische Fritten abgetrennten Seitenarmen befanden sich die Platingegenelektroden. Der Messraum war mit einem Deckel abgeschlossen, der mit Halterungen für die Arbeits- und Referenzelektrode sowie für die Inertgasleitungen versehen war.
Sämtliche Apparateteile bestanden aus Glas und Teflon.
88
7 .2.2.
Referenzelektrode
Als Referenzelektrode wurde die gesättigte Quecksilbersulfatelektrode (Saturated Mercury Sulfate Electrode, SSE) gebraucht. Die Kalomelelektrode
wurde vermieden, um zu verhindern, dass der Elektrolyt mit Chlorid kontaminiert wurde. Das Bezugselektrodensystem bestand aus einer Haber-Luggin Kapillare mit Versuchsflüssigkeit, in welche die Referenzelektrode eingesetzt wurde. Alle angegebenen Potentiale beziehen sich auf die Normalwasserstoffelektrode; das Potential der SSE gegenüber der NHE beträgt bei
25°C +656 mV.
7.2.3.
Arbeitselektroden und deren Vorbehandlung
Als Arbeitselektrode diente ein ungefähr 1 cm langes, zylindrisches Stück
reinstes Eisen (Durchmesser 6.35 mm, 99.99% Reinheit, Aldrich Chemical Company, Inc.). Mit Hilfe eines langen Gewindes wurde diese Elektro··
de gegen den Probenhalter, einen 10 cm langen Teflonzylinder mit 1.5 cm
Durchmesser, gezogen; dieses Anschrauben gewährleistete einen guten
elektrischen Kontakt. Um die Elektrode zu reinigen, wurde sie vor jedem
Versuch mit 8-Alz03 poliert; die Frontfläche wurde mit einer Teflonkappe
abgedeckt.
Vor dem anodischen Sweep wurde die Elektrode jeweils 30 Minuten lang
bei -0.74 V kathodisch belastet, um das Oxid an der Oberfläche der Elektrode vollständig zu reduzieren. Der Elektrolyt wurde dabei sowohl gerührt
als auch mit dem jeweiligen Gas gespült. Wurden mehrere Sweeps hintereinander ausgeführt, so wurde die Elektrode zwischen den Sweeps für 30
Minuten bei -0.74 V/NHE belassen, wobei der Elektrolyt während dieser
Zeit sowohl gerührt als auch begast wurde.
7.3. Instrumentierung und Messanordnung
Die Experimente wurden mit einem AMEL Potentiostaten Model 583, einem AMEL Function Generator Model 657 und einem AMEL Digital X-Y
Recorder Model 563 durchgeführt.
89
Funktionen
Generator
Schreiber
X
Fig. 7.4:
Y
i------1
Potentiostat i - - - - - t - - -
1-----1
StromSpannungs
Wandler
1 - - - -.....
Apparatur für die zyklische Voltammetrie
Bezeichnung der
Elektroden:
W = Arbeitselektrode
A = Gegenelektrode
R = Referenzelektrode
(Working Elektrode)
(Auxiliary Elektrode)
(Reference Elektrode)
7.4. Aufnahme der Strom-Spannungs-Kurven
Durch Applizieren einer "Dreiecksspannung" wurde die Spannung an der
Arbeitselektrode linear mit der Zeit verändert. Das Durchfahren des Spannungsbereiches mit einer konstanten Spannungsänderungsgeschwindigkeit
v erfolgte dabei in beiden Polaritätsrichtungen. Zuerst wurde die Spannung
an der Arbeitselektrode von Ul in der einen Richtung (kathodisch oder
anodisch) bis zu einem definierten Wert U2 verändert und von da mit gleicher Geschwindigkeit wieder zum Ausgangspotential zurückgeführt (Fig.
7.5).
90
2
U2
t;!
•J:l
c:
!!
~
0
Ul
-1
0
2
3
4
Zeit
Fi~
7.5;
Potentialverlauf bei der cyclischen Voltammetrie
(Ordinate und Abszisse in relativen Einheiten)
Der durch die Arbeitselektrode fliessende Strom wurde als Funktion der
kontinuierlichen Aenderungen der Spannung an der Arbeitselektrode registriert und in Form einer Strom-Spannungs-Kurve aufgezeichnet. Die yAchse des resultierenden Graphen stellt dabei den Strom dar; da das Potential linear mit der Zeit ändert, kann die x-Achse auch als Zeit-Achse betrachtet werden.
In den meisten Experimenten zeigte die Variation des Potentials den in der
obenstehenden Figur dargestellten Verlauf; die Geschwindigkeit der Potentialänderung betrug, wenn nicht anders vermerkt, 5 m V/s. Ebenfalls zur
Anwendung kamen Programme, bei denen das Potential für eine bestimmte
Zeit beim Potential U2 gehalten wurde. Bei diesem trapezförmigen Verlauf
des Potentials wurden manchmal sehr hohe Spannungsänderungsgeschwindigkeiten (1000 mV/s) eingesetzt, um einen Potentialsprung von Ul nach
U2 zu erhalten.
91
7 .5. Die Eisenanalyse
Bei den Korrosionsexperimenten wurde Eisen (II) spektrophotometrisch
mittels der Ferrocin-Methode gemessen. Ferrocin reagiert mit divalentem
Eisen zu einem stabilen, magenta-farbenen Komplex, welcher sehr gut
wasserlöslich ist. Das Absorptionsspektrum des Eisen(Il)-Ferrocin-Komplexes zeigt im sichtbaren Bereich eine einzelne scharfe Bande mit dem
Absorptionsmaximum bei 562 nm. Bei dieser Wellenlänge beträgt der molare Extinktionskoeffizient 27900; das Beer-Lambertsche Gesetz ist bis ca.
4 mg/l Fe (~ 70 µM) erfüllt. Der ideale pH-Bereich für die Bildung des
Komplexes liegt zwischen 4 und 9 (Stookey 1970). Da in den meisten Fällen das totale gelöste Eisen bestimmt werden sollte, wurde die filtrierte
Probe mit einer Hydroxylammomiumchloridlösung versetzt, um allfällig
vorhandenes Eisen(Ill) zu Eisen(II) zu reduzieren.
In einem 25 ml Messkolben wurden 1 ml Eisen(II)-Standardlösung 1 oder
Probe zuerst mit 1 ml Hydroxylammoniumchlorid-Reagenz2, dann mit 4
ml Ferrocin-Reagenz3 und anschliessend mit 5 ml Ammoniumacetat-Puffer4 versetzt; dann wurde mit destilliertem Wasser auf 25 ml aufgefüllt und
die Absorption nach 10 Minuten in 2 cm Küvetten bei 562 nm gemessen.
7.6. Versuchslösungen und lnertgase
Alle Versuchslösungen wurden mit vollentsalztem Wasser und mit Chemikalien in p.a. Qualität hergestellt. Der Elektrolyt wurde vor Beginn der
Versuche jeweils während mindestens einer Stunde mit dem Gas, unter
dem das Experiment stattfinden sollte, gespült; falls nicht anders erwähnt,
handelte es sich dabei um Stickstoff.
Um sicher zu stellen, dass der zur Verdrängung des Sauerstoffs in die Reaktionsgefässe eingeleitete Stickstoff frei von Sauerstoff war, wurde er
1 Ammoniumeisen(Il)-sulfat-Hexahydrat in leicht saurer Lösung
2 3 M Hydroxylammoniumchlorid in 13% HCl
3 0.25 g Ferrocin in 100 ml Wasser
4 200 g Ammoniumacetat und 48 ml Essigsäure in 1 L
92
durch eine Vanadium(II)lösung geleitet, welche allfällige Spuren von Sauerstoff quantitativ reduzieren sollte. Eine detaillierte Beschreibung der Herstellung dieses sogenannten "Jones-Reductors" findet sich bei Suter (1989).
93
8. Ergebnisse und Diskussion der
elektrochemischen Experimente
8.1. Passivität im Borat-Puffer
8.1.1.
Bildung der passiven Schicht im Borat-Puffer
Um die passive Schicht zu bilden und anschliessend wieder zu reduzieren,
wurde die im Kapitel 4.4. beschriebene "Dreiecksspannung" angewandt.
Während des Potentialdurchlaufes, welcher mit 5 mV/s durchgeführt wurde, wurde der Elektrolyt nicht gerührt und nur der dem Elektrolyten überstehende Raum mit Stickstoff gespült. Als Puffer wurde eine 0.3 M Boratlösung eingesetzt; der pH-Wert des Elektrolyten betrug 8.4.
Typisches Voltammogramm:
200....----------------------.
c
Boratpuffer (pH 8.4)
Potentialänderungsgeschw. SmV/s
100
4
5
D
-100 .+-----~---~---------~---'
-0.8
0.2
1.2
Potential [V/NHE]
Fig. 8.1:
Typisches Voltammogramm im Borat-Puffer bei pH 8.4
1
2
3
4
5
6
94
Auflösung von Eisen: Bildung eines Monolayers
Umwandlung Fe 2+ ~ Fe 3+
Rasches Wachsen der Eisen(hydr)oxid-Schicht
Passive Schicht wächst langsamer, ohne Zusammensetzung oder
Struktur gross zu ändern
Sauerstoff-Entwicklung
Reduktion des passiven Filmes und Entwicklung von Wasserstoff
A Open-Circuit-Potential
B Passivierungs-Potential
C kritischer Strom
D Passivstrom
Im Borat-Puff er bewegten sich die Grössen A - D typischerw eise zwischen:
Open-Circuit-Potential:
Passivierungspotential:
krit. Stromdichte:
Passivstromdichte:
Tab. 8.1:
-0.56 -0.34 60
17
-0.58 V/NHE
-0.39 V/NHE
165 µA/cm2
19 µA/cm2
Werte für die Grössen A - D in Borat-Piif.fer bei pH 8.4
Der aufsteigende Ast des anodischen Peaks bei --0.4 V/NHE zeigt die simultane Auflösung von Eisen und die Bildung einer Eisenhydroxidschicht
an. Das Erreichen der maximalen Stromdichte und ihr anschliessendes Abnehmen bedeuten, dass eine Monoschicht des passiven Filmes gebildet
wurde. Der zur anodischen Passivierung des Metalles benötigte Strom entspricht also demjenigen, der gebraucht wird, um eine schützende Schicht
von Korrosionsprodukten zu bilden, welche eine weitere Auflösung verhindert.
Dem Eisenauflö sungspeak folgt die passive Region. Zwischen -0.3 und
-0.2 V/NHE erfolgt im Film eine Änderung zu höheren Valenzzuständen,
d.h„ dass Fe(II) zu Fe(III) oxidiert wird. Die Dicke des Filmes ändert sich
dabei nicht gross. XPS-Studien zeigten, dass ein bei 0.3 V/NHE gebildeter
Film ausschliesslich Fe(III) und kein Fe(II) enthielt (Jovancicevic 1987).
Bei Potentialen oberhalb -0.2 V/NHE findet eine rasche Zunahme der Dikke der Eisen(IIl)o xidschicht statt. Ausserdem nimmt wegen des höheren
Oxidationszustandes des Eisens das Ausmass der Hydratation um ein Viel-
95
faches zu. Bei Potentialen oberhalb +0.2 V/NHE bleibt die Stromdichte
nahezu konstant. Auch die passive Schicht wächst in diesem Teil des passiven Bereiches kaum noch, und ihre Zusammensetzung oder Struktur erfährt keine wesentliche Aenderung mehr. Eine Schwierigkeit entsteht daraus, dass die Messung des anodischen Stromes an passiven Metallen zwar
in jedem Falle die Oxidationsgeschwindigkeit des Metalles ergibt, die Aufteilung in die Teilströme des Schichtwachstums und der Schichtauflösung
aber nicht erlaubt. Wird jedoch bei konstantem Elektrodenpotential und bei
konstanter Schichtdicke ein stationärer Zustand erreicht, ist der anodische
Strom gleich der Auflösungsgeschwindigkeit der passiven Schicht (Heusler
1968).
Die Reduktion der passiven Schicht ergibt zwei Wellen, welche entweder
als die Reduktion zweier verschiedener Layer, Fe20 3 und Fe30 4 , oder als
sukzessive Reduktion von Fe20 3 zu metallischem Eisen interpretiert werden können. Die höhere Stromdichte bei kathodischeren Potentialen wird
verursacht durch das gleichzeitige Auftreten sowohl der Entwicklung von
Wasserstoff als auch der Reduktion der passiven Schicht.
Der Verlauf der anodischen Polarisationskurve hängt ab von der Zusammensetzung, Dicke und physikalischen Eigenschaften der während der aktiven Auflösung gebildeten Schicht. Je nach Elektrolyt werden während
dieser Phase verschiedene Verbindungen gebildet, zum Beispiel Hydroxide, Phosphate, Sulfate, Chloride etc.
Um den Einfluss des pH-Wertes des Elektrolyten auf den Verlauf der Polarisationskurve zu untersuchen, wurde das Experiment in einem Borat-Puffer mit pH 7 .3 wiederholt.
Open-Circuit-Potential:
Passivierungspotential:
krit. Stromdichte:
Passivstromdichte:
Tab. 8.2:
-0.SOV/NHE
-0.19 V/NHE
403 µA/cm2
24 µA/cm2
Werte für die Grössen A - D in Borat-Puffer bei pH 7.3
96
Im Vergleich zu der Kurve, welche bei pH 8.4 aufgenommen wurde, sind
das Open-Circuit-Potential sowie das Passivierungspotential zu anodischeren Werten verschoben. Auch die kritische Stromdichte und die Passivstromdichte sind höher. Diese Ergebnisse bestätigen, dass die Passivierung
mit sinkendem pH-Wert zunehmend schwieriger wird. Die leicht erhöhte
Passivstromdichte der bei pH 7.3 aufgenommenen Polarisationskurve deutet darauf hin, dass der tiefere pH-Wert zu einer erhöhten Auflösung der
passiven Schicht führt. Die protonenbeschleunigte, oberflächenkontrollierte Auflösung eines beliebigen Oxids kann gemäss der folgenden Gleichung
formuliert werden, welche die Abhängigkeit der Auflösungsrate von der
Oberflächenkonzentration an adsorbierten Protonen zeigt:
Rn= kn(cW
RB
kn
(c~)
j
Gesschwindigkeit der protonenbeschleunigten Auflösung
Geschwindigkeitskonstante
Oberflächenkonzentration an adsorbierten Protonen
Exponent
Die Passivstromdichte zeigte eine lineare Abhängigkeit von der Potentialänderungsgeschwindigkeit, die in der untenstehenden Figur 8.2 dargestellt
ist. Das bedeutet, dass im passiven Bereich pro Zeiteinheit immer gleich
viel Ladung übertragen wird, unabhängig von der Geschwindigkeit der Potentialänderung. Mit anderen Worten ausgedrückt: die Oxidationsgeschwindigkeit der passivierten Eisenelektrode ist unabhängig von der Geschwindigkeit, mit der das Potential verändert wurde.
97
..r
iCll
...
.c
:a
200
100
~
]
i:i...
0
0
10
20
30
40
50
60
Pot.änd.geschw. [mV/s)
Fig. 8.2:
Abhängigkeit der Passivstromdichte von der Potentialänderungsgeschwindigkeit
Passivstrom nach langen Zeiten
Wurde das Potential bei 1.1 V/NHE angehalten, dann sank der Passivstrom noch während längerer Zeit. Nach einer Stunde betrugen die Passiv2
stromdichten jeweils noch zwischen 0.6 und 1.28 µA/cm . Nach noch längereren Zeiten war der Passivstrom kaum noch messbar und daher auch
schlecht reproduzierbar (vgl. Nagayama 1962). Dieses Ergebnis weist erneut darauf hin, dass das Boratanion die Bildung eines dichten und porenfreien Oxides begünstigt. Ausserdem zeigt das stetige Absinken des Passivstromes über lange Zeiträume, dass sich der passive Film verändert: das
ursprünglich amorphe, nicht-stöchiometrische Oxid wandelt sich im Zug
der Alterung zu einem stöchiometrischen Oxid.
98
8.1.2.
Aufnahme der Polarisationskurve mit der
drehenden Scheibenelektrode
Die drehende Scheibenelektrode (engl. Rotating Disc Electrode, RDE),
welche zu den sogenannten hydrodynamischen Elektroden gehört, erlaubt
Messungen unter Bedingungen von definiertem Massentransport und gestattet dadurch die Unterscheidung zwischen oberflächenkontrollierten und
transportkontrollierten Prozessen (Swayer 1974). Im vorliegenden Versuch
wurde die Abhängigkeit des Verlaufs der Polarisationskurve von der Rotationsgeschwindigkeit der Elektrode untersucht. Die Versuche wurden entsprechend dem auf den vorhergehenden Seiten beschriebenen Verfahren
durchgeführt.
800
2000U/Min .
..r
lSOOU/Min.
s
i
~
:ä
s
lOOOU/Min.
400
-
SOOU/Min.
e
C:l:l
0
-0.5
-0.3
-0.1
Potential [V/NHE]
Fig. 8.3:
Einfluss der Rotationsgeschwindigkeit auf die Polarisationskurve im Borat-Puffer bei pH 8.4. Die Passivstromdichte
zeigte keine Abhängigkeit von der Rotationsgeschwindigkeit.
99
Bei einer Rotationsgeschwindigkeit von 500 U/Min. betrugen die charakteristischen Grössen:
-0.30V/NHE
298 µA/cm2
64 µNcm2
Passivierungspotential:
krit. Stromdichte:
Passivstromdichte:
Tab. 8.3:
Werte für die Grössen A - D in Borat-Puffer bei pH 8.4 und
einer Rotationsgeschwindigkeit von 500 U!Min.
Die kritische Stromdichte zeigte folgende Abhängigkeit von der Rotationsgeschwindigkeit:
l
1000
~
~
~s
-"'
·c
0
v :i
....:
~
800
600
400
200+--+-~..---.-~~..--.....---..~..---.----1
0
500
1000
1500
2000
2500
Rotationsgeschwindigkeit [U/Min.]
Fig. 8.4:
Abhängigkeit der kritischen Stromdichte von der Rotationsgeschwindigkeit
Der Verlauf der Passivstromdichte zeigte keinerlei Abhängigkeit von der
Rotationsgeschwindigkeit der Elektrode. Das deutet darauf hin, dass die
Vorgänge an der passiven Schicht - im Gegensatz zur Bildung des passiven
Filmes bei -0.3 V/NHE - nicht diffusionskontrolliert sind. Dieses Resultat
ist in Einklang mit der Vorstellung, dass die Auflösungsgeschwindigkeit
100
eines Oxids zu langsam ist, um vom Massentransport von Edukten oder
Produkten abhängig zu sein. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt in
der Auflösung der passivierten Eisenelektrode ist somit entweder ein Massentransport von Reaktanden innerhalb der passiven Schicht oder eine
Reaktion - die Loslösung eines oberflächenständigen Metallions - an der
Oberfläche des Oxidfilmes.
Der kathodische Durchlauf verlief bei allen Kurven gleich.
101
Einfluss von Sauerstoff
8.1.3.
Fig 8.5 zeigt den Einfluss von Sauerstoff auf den Verlauf der in Borat-Puffer bei pH 8.4 aufgenommen Polarisationskurve. Nachdem die mit "ohne
Sauerstoff ' bezeichnete Kurve im mit Stickstoff begasten Elektrolyten aufgezeichnet worden war, wurde der Elektrolyt mit 20% 02/ 80% N1 gespült
und die zweite Kurve aufgezeichnet.
600
ohne Sauerstoff
400
l
e
200
0
mit Sauerstoff
0"'0"
0
-200
-0.8
1.2
0.2
Potential (V/NHE]
Fjg. 8.5:
Einfluss von Sauerstoff auf die Polarisationskurve im BoratPuffer bei pH 8.4
ohne Sauerstoff
Open-Circuit-Potential:
Passivierungspotential:
krit. Stromdichte:
Passivstromdichte:
Tab. 8.4:
-0.59V/NH E
-0.36 V/NHE
221 µA/cm2
16 µA/cm2
mit Sauerstoff
-0.4 V/NHE
-0.34 V/NHE
106 µA/cm2
16 µA/cm2
Werte für die Grössen A - D in Borat-Puffer bei pH 8.4
unter dem Einfluss von Sauerstoff
102
In Gegenwart von Sauerstoff ist die kritische Stromdichte, die zur Erzeugung von Passivität aufgewendet werden muss, bedeutend kleiner als in der
reinen Stickstoffatmosphäre . Die beobachtete Reduktion der kritischen
Stromdichte kann mit Hilfe der in Kap. 3.3 dargestellten Adsorptionstheorie der Passivität erklärt werden. Gemäss dieser Theorie führt der an der
Oberfläche eines Uebergangsmetalles chemisorbierte Sauerstoff zu Passivität, indem er die adsorbierten Wassermoleküle ersetzt. (Uebergangsmetalle besitzen ungepaarte Elektronen oder Elektronenleerstellen in den dOrbitalen ihrer Atome, wodurch eine starke kovalente Bindung mit Sauerstoff, welcher ebenfalls ungepaarte Elektronen besitzt, ermöglicht wird.)
Dies führt zu einer Verminderung der anodischen Auflösungsrate des
Metalles, welche Hydratisierung der das Gitter verlassenden Metallionen
beinhaltet.
Fig. 8.6 zeigt die auflösungshemmende Wirkung von Borat auf die reduktive Auflösung von Goethit durch H2S im Vergleich mit der Auflösung ohne
Liganden und derjenigen, welche durch Phosphat inhibiert wurde (Biber
1992).
2e-4~-----------------.
0.1 M Borat
1 mM Phosphat
Oe+o..i..-..=-===r=====::!::::::;::=======$::::::::::=:a:::=1
0
100
200
Zeit [Min.]
Fig. 8.6.·
Inhibition der reduktiven Auflösung von Goethit durch Borat
3
und Phosphat. Goethitkonz. 0.03 g/l, 10- atm H2S, pH 5,
0.01 M NaC/04; mod. nach Biber (1992).
103
8.1.4.
Zusammenbruch der Passivität in chloridhaltiger
Lösung
Die Polarisationskurven wurden in der beschriebenen Art und Weise in
Borat-Puffer bei Konzentrationen von 0, 0.5 mM und 1 mM Chlorid aufgenommen.
In der 0.5 mM Chlorid-Lösung stieg der Passivstrom bei Potentia len> 0.7
V/NHE leicht an, während in der 1 mM Lösung der Passivstrom zwischen
0.4 und 0.5 V/NHE steil anstieg und so den eigentlichen Zusammenbruch
der Passivität anzeigte.
-0.8
-0.4
0.0
0.4
0.8
1.2
Potential (V/NHE]
Fie. 8.7:
Zusammenbruch der Passivität in chloridhaltiger Lösung
ohne Zugabe von Chlorid
A:
0.5 mM Chlorid
B:
1 mM Chlorid
C:
104
in der Technik, die an lokal
Korrosionsart
gefürchtete
Lochfrass ist eine
die übrige Oberfläche
während
sehr scharf begrenzten Stellen stattfindet,
nahezu unangegriffen bleibt. Die in Figur 8.7 abgebildeten Polarisationskurven zeigen deutlich, dass Lochfrass erst oberhalb eines bestimmten kritischen Lochfrasspotentials auftritt. Ausserdem verschiebt sich dieses kritische Potential mit zunehmender Chloridkonzentration nach kathodischeren
Werten. Der steile Anstieg des anodischen Stromes zeigt eine Auflösung
von Fe(II) an, welche die Fe(IIl)-Auflösung der intakten passiven Schicht
um mehr als sechs Grössenordnungen übertreffen kann (Heusler 1976, Kesten 1976). Das chemisorbierte Chlorid ersetzt Sauerstoff- oder Hydroxidionen an der Oxidoberfläche und führt so zu einer verstärkten Auflösung
des passiven Filmes, bis an dessen dünnsten Stellen die nackte Metalloberfläche mit dem Elektrolyten in Kontakt tritt. Hingegen konnte mittels Auger-Elektronenspektroskopie (AES) kein Eintritt von Chloriden in die Passivschicht nachgewiesen werden (Janik-Czachor 1982).
105
8.2. Passivität im Acetat-Puffer
Polarisationskurven im Acetat-Puffer
8.2.1.
Der Puffer setzte sich aus gleichen Teilen 0.15 M Essigsäure und 0.15 M
Natriumacetat zusammen; der pH betrug 4.63. Der Elektrolyt wurde jeweils vor Beginn des Versuches während mindestens einer Stunde mit
Stickstoff gespült. Vor dem Potentialdurchlauf wurde die Elektrode 15 - 30
Minuten bei - 0.74 V/NHE kathodisch belastet; der Elektrolyt wurde dabei
gerührt und begast. Der Potentialdurchlauf selbst fand mit 5 mV/s im
ungerührten und unbegasten Elektrolyten statt.
25
.....
8
~
-
§
Q;
•
20
15
.:,;-;:;-.....•••
10
xlOO ~;
.c
:ä
!§...
00
5
••
0
-5
-0.8
-0.4
0.0
0.4
0.8
1.2
Potential [V/NHEJ
Fig. 8.8:
Polarisationskurve in Acetat-Puffer bei pH 4.63
Die gepunktete Linie ist bezüglich der ausgezogenen 100fach überhöht.
106
Passivierungspotential:
max. Stromdichte:
Passivstromdichte:
Tab. 8.6:
0.15 V/NHE
19mNcm2
68 µA/cm2
Charakteristische Werte der Polarisationskurve im 1 :1 Acetat-Puffer (pH 4.63)
Die maximalen Stromdichten von ersten Voltammogrammen betrugen je
2
nach Versuch 14 bis 41 mA/cm (0.15 - 0.4 V/NHE). Der Bereich, in dem
Passivität einsetzte, lag zwischen 0.4 und 0.7 V/NHE, und die Passiv2
stromdichten bewegten sich zwischen 25 und 336 µA/cm .
Die Komponenten des Puffers, 0.15 M HAc und 0.15 M NaAc, wurden in
verschiedenen Verhältnissen gemischt, um die pH-Abhängigkeit des Verlaufes der Polarisationskurven zu studieren. Die Aufnahme aller Kurven
erfolgte ohne Rühren und Begasen des Elektrolyten bei einer Potentialänderungsgeschwindigkeit von 5 mV/s. In der untenst.ehenden Tabelle wird
neben der maximalen Stromdichte auch noch das Potential angegeben, bei
welcher sie auftrat. Der Ausdruck "Einsetzen der Passivität" bezeichnet das
Potential, bei welchem das plötzliche Fallen des Stromes das Auftreten der
Passivität anzeigte.
HAc/Ac
pH
1: 20
1: 10
1: 7
1: 2
1:1
6.00
5.63
5.46
4.93
4.63
Tab. 8.7:
maximale
Stromdichte
[mA/cm21
[V/NHEl
- 0.1
0.0
0.0
0.2
0.4
11
16
18
23
23
Einsetzen der Passivstromd.
Passivität
[uNcm2]
[V/NHE]
0
0.1
0.25
0.45
0.7
78
62
70
92
162
Charakteristische Werte der Polarisationskurven im AcetatPuffer unterschiedlicher Zusammensetzung
107
Bestimmung des in Lösung gegangenen Eisens
Das folgende Experiment versuchte die Frage zu beantworten, in welcher
Form und wieviel Eisen während der anodischen Passivierung der Eisenelektrode im 1:1 Acetat-Puffer in Lösung geht. Der Potentialdurchlauf,
welcher mit 5 m V/s durchgeführt wurde, fand unter Rühren und Begasen
des Elektrolyten mit Stickstoff statt.
max. Stromdichte:
Passivstromdichte:
2
30 mA/cm (o.45 V/NHE)
2
93 µA/cm
Gleich vor und nach dem anodischen Durchlauf wurden dem Elektrolyten
1 ml Proben entnommen und mit der Ferrocin-Methode auf Fetot untersucht. Nach dem anodischen Durchlauf betrug die Konzentration an gelöstem Eisen 0.17 mM. Nimmt man an, dass die unter der Polarisationskurve
2
liegende Ladung in Lösung gegangenem Fe + entspricht, so ergibt sich
ebenfalls eine Konzentration von 0.17 mM. Dieses Resultat bes tätigt die
Vermutung, dass korrodierendes Eisen in sauren, sauerstofffreien Elektrolyten als Fe2+ in Lösung geht.
Passivstrom nach langen Zeiten
Um den Verlauf des passiven Stromes als Funktion der Zeit zu untersuchen, wurde bei mehreren Experimenten das Potential nach dem anodischen Durchlau f bei 1.1 V/NHE angehalten und der Strom als eine
Funktion der Zeit aufgezeichnet. Die Passivstromdichte variierte dabei von
Versuch zu Versuch zwischen:
anod. Potentialänderungsgeschwindigkeit:
Passivstromdichte nach einer Stunde:
SmV/s
2
10 - 80 µA/cm
1000 mV/s
anod. Potentialänderungs geschwindigkeit:
µA/cm2
22
2.8
Stunde:
einer
nach
Passivstromdichte
Zu bemerken ist an dieser Stelle allerdings, dass der Passivstrom in keinem der Experimente einen konstanten Verlauf zeigte, sondern vielmehr
zum Teil grossen Schwankungen unterworfen war.
108
8.2.2.
Einfluss von Sauerstoff
Gleich wie in dem entsprechenden Experiment im Borat-Puffer, wurde der
1 : 1 Elektrolyt mit 20% 02 / 80% N1 begast; die Potentialänderungsgeschwindigkeit betrug 5 m V/s.
max. Stromdichte:
Passivstromdichte:
Tab. 8.8;
18 m.A/cm2 (0.2 V/NHE)
61 µA/cm2
Charakteristische Grössen der im Acetat-Puffer und unter
Sauerstoff aufgenommen Polarisationskurve.
Wie aus den in Tabelle 8.8 aufgeführten Werten hervorgeht, sind zu der
unter Stickstoff aufgenommen Kurve keine markanten Unterschiede feststellbar. Dies kann damit erklärt werden, dass Acetat weder in belüfteten
noch in sauerstofffreien Elektrolyten zu den Anionen mit inhibierender
Wirkung gezählt werden kann.
8.2.3.
Polarisationskurve in Gegenwart von Benzoat
Die erste Polarisationskurve wurde im 1 : 1 Acetat-Puffer aufgenommen,
die zweite in Acetat-Puffer, welcher eine Benzoat Konzentration von 0.02
M aufwies. Das Experiment fand unter Stickstoff statt; die Potentialänderungsgeschwindigkeit betrug 5 m V/s.
ohne Benzoat:
max. Stromdichte:
Passivstromdichte:
13.8 m.A/cm2 (0.1 V/NHE)
32.6 µA/cm2
mit Benzoat:
max. Stromdichte:
Passivstromdichte:
8.4 m.A/cm2 (0.2 V/NHE)
32.6 µA/cm2
Bei der Aufnahme der Polarisationskurven schien Benzoat mit einer Konzentration von 0.02 M keinen Einfluss auf die Passivstromdichte zu haben.
109
Die maximale Stromdichte hingegen könnte durch die Gegenwart von
Benzoat leicht gesenkt worden sein.
8.2.4.
Einfluss von Benzoesäure und Phthalsäure auf die
Passivstromdichte bei 1.1 V/NHE
Zuerst wurde im 1:1 Acetat-Puffer ein anodischer Durchlauf durchgeführt
und anschliessend das Potential bei 1.1 V/NHE gehalten. Nach einer Stunde wurde bei eingeschalteter Zelle und unter Stickstoff der Acetat-Puffer
durch denselben Puffer, in dem Benzoe- oder Phthalsäure gelöst war, ersetzt. Eine Stunde nach Austauschen des Elektrolyten wurde erneut der
Passivstrom abgelesen.
Passivstromdichte Acetat-Puffer
Passivstromdichte Acetat-Puffer, 0.01 M Benzoes.:
83 µA/cm2
24 µA/cm2
Passivstromdichte Acetat-Puffer
Passivstromdichte Acetat-Puffer, 0.05 M Benzoes.:
60 µA/cm
2
6µA/cm
Passivstromdichte Acetat-Puffer
Passivstromdichte Acetat-Puffer, 0.01 M Phthals.:
10 µA/cm2
2
1.8 µA/cm
2
Sowohl Benzoesäure als auch Phthalsäure vermögen die Passivstromdichte
signifikant gegenüber derjenigen zu verringern, welche in einem reinen
Acetatpuffer gemessen wurde. Dies kann dahingehend interpretiert werden,
dass diese beiden Anionen in der Lage sind, die Auflösung der passivierenden Oxidschicht durch die Bildung bidentater, binuklearer Oberflächenkomplexe zu inhibieren.
8.2.5.
Vergleich von Benzoe- und Salicylsäure
Der anodische Potentialdurchlauf fand mit 1000 m V/s im ungerührten und
unbegasten Acetat-Puffer statt. Anschliessend wurde das Potential für 80
Minuten bei 1.1 V/NHE gehalten; die Passivstromdichte betrug nach die-
110
2
ser Zeit 6.4 µA/cm . Danach wurde soviel Benzoesäure zum Elektrolyten
gegeben, dass eine Benzoatkonzentration von 0.01 M resultierte. Die
2
Passivstromdichte stieg in der Folge leicht auf 8.6 µA/cm an. Nach einer
Stunde wurde erneut Natriumbe nzoat zum Elektrolyten gegeben; die
resultierende Konzentration an Benzoat betrug 0.05 M. Die Passivstrom2
dichte sank hierauf auf 5.1 µA/cm .
Der anodische Potentialdurchlauf fand mit 1000 mV/s im ungerührten und
unbegasten Elektrolyten statt. Anschliessend wurde das Potential für 76
Minuten bei 1.1 V/NHE gehalten; nach dieser Zeit betrug die Passivstrom2
dichte noch 9.1 µA/cm . Danach wurde Salicylsäure zum Elektrolyten gegeben; die resultierende Konzentration an Salicylat war 0.01 M. Nach anfänglich unruhigem Verlauf sank der Passivstrom stetig. Die Passivstrom2
dichte betrug nach 90 Minuten 5 µA/cm .
8.2.6.
Einfluss von Oxalsäure
Der anodische Potentialdurchlauf fand mit 1000 mV/s im ungerühra)
ten und unbegasten 1:1 Acetat-Puffer statt. Nach 76 Minuten bei 1.1
2
V/NHE betrug die Passivstromdichte 2.8 µA/cm . Anschliessend wurde
soviel Oxalsäure zum Elektrolyten gegeben, dass die Konzentration an
Oxalat in der Zelle 0.01 M betrug. Die Passivstromdichte veränderte sich
in der Folge über einen Zeitraum von 90 Minuten nicht. Nach einer
weiteren Zugabe von Oxalsäure, welche die Oxalsäurekonzentration auf
2
0.02 M verdoppelte, sank die Passivstromdichte leicht auf 2.7 µA/cm .
Der anodische Potentialdurchlauffand mit 1000 mV/s im ungerührb)
ten und unbegasten Elektrolyten statt. Nach 56 Minuten bei 1.1 V/NHE
2
betrug die Passivstromdichte 22 µA/cm . Nach Zugabe von Oxalsäure (resultierende Konzentration in der Zelle: 0.1 M) sank die Passivstromdichte
2
auf 11 µA/cm .
Entgegen den Erwartungen, gemäss denen Oxalat die Auflösung eines
Oxids beschleunigen sollte, zeigte bei den oben beschriebenen Versuchen
die Passivstromdichte keine erhöhte Auflösungsrate des passiven Filmes
an.
111
c)
Vergleich der Polarisationskurven
Acetat-Puffer
max. Stromdichte
Passivstromdichte
19 mA/cm2 (0.2 V/NHE)
68µNcm2
Acetat-Puffer, 0.05 M Oxalsäure
max. Stromdichte
Passivstromdichte
6.9 mA/cm2 (-0.1 V/NHE)
449µNcm2
Acetat-Puffer, 0.1 M Oxalsäure
max. Stromdichte
Passivstromdichte
5.7 mA/cm2 (-0.1 V/NHE)
573 µA/cm2
Werden die Polarisationskurven, welche bei verschiedenen Oxalatkonzentrationen aufgenommen wurden, miteinander verglichen, so zeigt Oxalat
einen von seiner Konzentration abhängigen, beschleunigenden Einfluss auf
die Auflösung des passiven Filmes, der sich in einer erhöhten Passivstromdichte äussert.
8.2.7.
Einfluss von Phosphat
Der anodische Potentialdurchlauf fand mit 1000 m V/s im ungerührten und
unbegasten 1:1 Acetat-Puffer statt. Anschliessend wurde das Potential für
75 Minuten bei 1.1 V/NHE gehalten; die Passivstromdichte betrug nach
dieser Zeit 5 µNcm2. Dann wurde Natriumhydrogenphosphat zugegeben,
so dass eine Phosphatkonzentration von 0.05 M resultierte. Der Passivstrom zeigte in der Folge einen sehr unruhigen Verlauf; die Passivstrom2
dichte betrug im Mittel ungefähr 4.2 µNcm .
112
8.3. Passivität in Perchloratlösungen
8.3.1.
Polarisationskurven in Perchloratlösungen
Der Elektrolyt bestand aus einer 0.1 M Natriumperchloratlösung; der pH
betrug 7 .0. Der Elektrolyt wurde vor der Aufnahme der Kurve während
einer Stunde mit Stickstoff gespült. Vor dem Potentialdurchlauf wurde die
Elektrode 15 - 30 Minuten bei - 0.74 V/NHE kathodisch belastet; der
Elektrolyt wurde dabei gerührt und begast. Der Potentialdurchlauf selbst
fand mit 5 mV/s im ungerührten und unbegasten Elektrolyten statt.
8
..r
i
.l!l
.c
(,1
:a
e
~
00
0.08
6
0.06
0.1 M Natriumperchlorat
4
0.04
••
•• ••••••••• •• t
2
1
0
-2
-0.8
••••
-0.4
0.02
............... u -
•• ••
0.0
N"'
0.4
0.8
0.00
1.2
-0.02
Potential [V/NHE]
Fiz, 8.9:
Polarisationskurve in 0.1 M Natriumperchloratlösung
Die gepunktete Linie ist bezüglich der ausgezogenen 100fach überhöht.
e
~
§
Qj
......
.c
:ä
§
....
......
00
113
0.05 V/NHE
7.2mAfcm 2
22 µNcm2
Passivierungspotential:
max. Stromdichte:
Passivstromdichte:
Charakteristische Werte der in 0.1 M Natriumperchloratlösung aufgenommenen Polaristionskurve.
Potentialänderungsgeschwindigkeit: 5 mV!s.
Tab. 8.6:
Wurde das Potential nach dem Potentialdurchlaufbei 1.1 V/NHE gehalten,
so zeigte der Passivstrom folgendes Verhalten:
....
~
1.0
0.8
~
Q;
l:<J
0.6
:a
~.....
0.4
·~
0.2
...
~
~
0.0
0
50
100
150
Zeit [Min.)
Fie. 8.10:
Zeitlicher Verlauf der Passivstromdichte in 0.1 M Natriumperchloratlösung bei 1.1 V!NHE.
In einem zweiten Experiment wurde die Zelle nach der 30-minütigen kathodischen Belastung der Elektrode bei -0.74 V/NHE ausgeschaltet. Nach
einer vierminütigen Wartezeit betrug das Ruhepotential -0.54 V/NHE. Danach wurde der Potentiostat wieder eingeschaltet, wobei nun ein Potential
von 0.7 V/NHE angelegt wurde.
114
Nach dem Einschalten des Potentiostaten wurde die Aufzeichnung des
Passivstromes als Funktion des Z.eit gestartet. Nach zwei Stunden stieg der
Passivstrom allerdings wieder an, so dass kein Wert für einen stationären
Strom nach langen Z.eiten angegeben werden kann.
Das oben beschriebene Verhalten war charakteristisch für den Passivstrom
in Perchloratlösungen: nach anfänglichem Absinken stieg der Passivstrom
wieder an, wobei er oft starke Schwankungen aufwies. Diese Schwankungen deuteten zum Teil recht deutlich auf Lochfrass.
Die Polarisationskurve wurde auch in einer 1 M Natriumperchloratlösung
aufgenommen. Die Kurve wies dabei folgende charakteristische Werte auf:
Passivierungspotential:
max. Stromdichte:
Passivstromdichte:
Tab. 8.6:
-0.12 V/NHE
8.2mA/cm2
18.5 µA/cm2
Charakteristische Werte der in 1 M Natriumperchloratlösung aufgenommenen Polarisationskurve.
Potentialänderungsgeschwindigkeit: 5 mV!s.
Werden die in 0.1 Mund die in 1 M Natriumperchloratlösung aufgenommenen Kurven miteinander verglichen, so kann festgestellt werden, dass
das Passivierungspotential im höher konzentrierten Elektrolyten zu negativeren Werten verschoben ist; sowohl die kritische Strom- als auch die Passivstromdichte sind in beiden Elektrolyten praktisch gleich.
Die in einer mit Perchlorsäure auf pH 3 eingestellten Natriumperchloratlösung aufgenommene Kurve zeigte folgende Charakteristika:
Passivierungspotential:
max. Stromdichte:
Passivstromdichte:
Tab. 8.7:
0.1 V/NHE
64mA/cm2
18.8 µA/cm2
Charakteristische Werte der in 1 M Natriumperchloratlösung bei pH 3 aufgenommenen Polarisationskurve.
Potentialänderungsgeschwindigkeit: 5 mV!s.
Das nach anodischeren Werten verschobene Passivierungspotential sowie
die um fast das achtfach höhere kritische Stromdichte der bei pH 3 aufge-
115
nommenen Polarisationskurve weist auf erschwerte Passivierung bei tiefem
pHWert hin.
Einfluss von Oxalat und Benzoat auf die
Polarisationskurven
8.3.2.
Die Polarisationskurven wurden in 1 M Natriumperchloratlösungen, welche 0.05 und 0.01 Min Oxalat oder 0.01 Min Benzoat waren, aufgenommen. Der pH wurde bei allen Lösungen auf 9 eingestellt; die Geschwindigkeit der Potentialänderung betrug 5 m V/s.
0.5
1 M Natriumperchlorat
0.05 M Oxalsäure
pH9
0.4
,q-'
0.3
0.2
'·········?'
0.1
U+.±+~+.!_.+~ -
-0.8
-0.4
0.0
0.4
0.8
0.0
1.2
Ei
~
g
.&
..c
y
:a
eEi
[J':J
-0.1
Potential [V/NHE]
Fie, 8.11:
Einfluss von 0.05 M Oxalat auf die in 1 M Natriumperchloratlösung aufgenommene Polarisationskurve.
Die gepunktete Linie ist bezüglich der ausgezogenen 100fach überhöht.
116
0.05 M Oxalsäure
Passivierungspotential:
kritische Stromdichte:
Passivstromdichte:
-0.03 V/NHE
4.3 rnA/cm2
68.1 µA/cm2
0.01 M Oxalsäure
Passivierungspotential:
kritische Stromdichte:
Passivstromdichte:
-0.08 V/NHE
17.0mNcm2
35.0 µA/cm2
0.01 M Benzoesäure
Passivierungspotential:
kritische Stromdichte:
Passivstromdichte:
8.3.3.
-0.18 V/NHE
4.4mNcm2
15.4 µA/cm2
log Passivstromdichte vs log Zeit bei kurzen Zeiten
Bei den folgenden Experimenten wurde nach der Einstellung des Ruhepotentials der Potentiostat wieder eingeschaltet, wobei dann ein Potential von
0.7 V/NHE vorgelegt wurde; gemessen wurde der Strom als Funktion der
Zeit. Trägt man nun log Stromdichte gegen die Zeit auf, so kann durch den
ersten Teil der Kurve eine für die Entstehung der passiven Schicht charakteristische Gerade gelegt werden.
Dieses Verfahren wurde in 1 M Natriumperchloratlösungen mit Zusätzen
von Perchlorsäure, Benzoesäure, Oxalsäure sowie EDTA bei verschiedenen pH-Werten durchgeführt. Die Geraden zeigten aber sowohl in Steigung wie y-Achsenabschnitt nur unwesentliche Unterschiede. Alle Kurven
stiegen auch nach längeren Zeiten wieder an und wiesen Schwankungen
auf, welche für Lochfrass typisch sind.
117
80
...
e
~
i
60
Minimum:
2
239 s / 4.325 µNcm
40
20000
10000
0
Zeit [s]
2.0
~
~
cr.i
~
1.5
1.0
5
4
3
2
0
log Zeit
2.0
j
1.6
~
1.4
.$
1.2
cr.i
y = 2.48 - 0.86x
1.8
....
l.0-1--~-------- ~
0.6
0.8
1.0
1.2
1.4
1.6
1.8
log Zeit
Fit:. 8.12 a: Verlauf des Passivstromes nach kurzen Zeiten
118
25
20
15
10
1 M Natriumperchlorat
1 mM Oxalsäure
5
pH6.08
0-+-~.---...~-.-~...---.~-.-~....---,..---.---,~
10000
12000
14000
16000
18000
Zeit [Sek.]
Fir:. 8.12 b: Verlauf des Passivstromes nach langer Zeit
20000
119
9.
Experimente mit Partikeln
9.1. Die Durchführung der Auflösungsexperimente
Die Auflösungsexperimente wurden in einem mit schwarzer Folie bedeckten Metrohm Reaktionsgefäss durchgeführt; das Reaktionsvolumen betrug
100 ml. Zuerst wurde eine bestimmte Menge destilliertes Wasser vorgelegt, dann wurden als Inertelektrolyt 10 ml einer 0.1 M Kaliumnitratlösung
zugegeben, so dass schlussendlich eine Konzentration von 0.01 M Kaliumnitrat vorlag. Anschliessend wurden 10 m1 einer Goethit-Suspension, welche 5 g/l Goethit enthielt, zugegeben; die resultierende Konzentration an
Goethit betrug somit 0.5 g/l. Um den in der Suspension gelösten Sauerstoff
zu verdrängen, wurde Stickstoff eingeleitet, welcher mit Hilfe eines "Jones-Reductors" von allfälligen Resten von Sauerstof f gereinigt worden
war.
Nachdem der pH-Wert der Suspension mit 0.01 M Salpetersäure auf den
gewünschten Wert eingestellt worden war, wurde bei den Inhibitionsexperimenten der Inhibitior (Cr(III) oder Cr(VI)) zugegeben. Während allen
Experime nten wurde der pH-Wert mit einem Metrohm pH-Stat konstant
gehalten.
In geeigneten Zeitintervallen wurde anschliessend die totale Konzentration
an gelöstem Eisen bestimmt. Dazu wurde eine Probe von einigen Millilitern aus dem Reaktionsgefäss entnomm en und mit Hilfe einer Spritze
durch einen Zellulosenitratfilter von Sartorius mit einer Porengrösse von
0.1 µm gepresst. Die Konzentration an gelöstem Eisen im Filtrat wurde
dann mittels AAS mit einem Flammen -Atomab sorptions spektrom eter
(PERKIN-ELMER 5000) bei A. = 248.3 nm gemessen.
120
9.2. Inhibition der Auflösung von Goethit durch Cr(lll)
und Cr(VI)
Sowohl Cr(III) als auch Chromat bilden an der Oberfläche von Eisenoxiden starke Komplexe. Wie im Kapitel 4.5. mit Hilfe von MICROQL-Be3
rechnungen gezeigt wurde, adsorbiert das Kation Cr + vor allem oberhalb
pH-Werten von 4, während das Anion HCr0,4 vorzugsweise an die positiv
geladene Oxidoberfläche bei neutralen und tieferen pH-Werten adsorbiert.
Bei einem pH-Wert von 3 sind in einer Goethit-Suspension mit einer Kon4
zentration von 1 g/l etwa 15% einer 10- M Cr(IIl)-Lösung an der Oberfläche der Partikel adsorbiert. Diese 10% scheinen aber zu genügen, um die
protonenbeschle unigte Auflösung von Goethit effektiv zu inhibieren, da
wahrscheinlich die auflösungsaktiven Stellen zuerst besetzt werden.
8
pH=3.0
6
~
„
~
c
~
4
0.1 mM Cr(III)
oderCr(VI)
2
o+---..---.-~-.-~....---.~-r~-.---1
0
20
40
60
80
Zeit [h]
Fif. 9.1:
Die protonenbeschleunigte Auflösung von Goethit bei pH 3
und deren Inhibierung durch Cr(lll) und Cr (VI). Goethit5
konz. 1 g!l, entsprechend 1.35 x 10- M Oberflächen-OH
121
9.3. XPS- und STM-Untersuchungen der Adsorption von
cr3 + an Hämatit
6
Eine frisch gespaltene a-Fe203 -(00l)-O berfläch e wurde einer 10- M
Cr(III)-Lösung ausgesetzt und anschliessend mittels XPS im Hochvakuum
untersucht. Fig. 9.2 zeigt das dabei erhaltene Spektrum. Die Cr 2p-Bande
weist darauf hin, dass sich das an der Oberfläche gebundene Cr im formalen Cr(III)-Zustand befindet und zumindest teilweise hydratisiert ist (Eggleston 1992). Das Oberflächen Cr/Fe-Verhältnis von 0.2 entspricht ungefähr 100% eines Monolayers. Andere XPS-Aufnahmen zeigten deutlich,
dass die a-Fe203 -(00l)-O berfläch e sogar im Hochvakuum einige Monolayer von adsorbierten Wassermolekülen zurückbehält.
XPS hat wie viele andere Oberflächenanalysetechniken den Nachteil, dass
sie im Hochvakuum durchgeführt werden muss und damit für die Untersuchung der Strukturen an der Grenzfläche Oxid/Wasser nur bedingt geeignet ist. Mit der "Scanning Tunneling Microscopy" (STM) hingegen sind
Untersuchungen bei Normaldruck möglich; die mehrere Monolayer dicke
Schicht Wasser, welche die Oxidoberfläche bedeckt, lässt für die STM sogar die Bezeichnung semi-in situ Technik zu (Casey 1992).
3
Das STM-Bild einer a-Fe203 -(001)-0 berfläch e, an der Cr + adsorbiert
wurde, ist in Fig. 9.3 dargestellt. Es konnte mit Hilfe dieser Technik gezeigt werden, dass Cr(III) innersphärische Komplexe bildet, wobei bevorzugt diejenigen Stellen an der a-Fe203 -(00l)-O berfläch e besetzt werden,
welche eine tridentale Bindung ermöglichen. Hämatit besteht aus Schichten von Fe06-0k taedem, welche Kanten und Flächen miteinander teilen
und senkrecht zur C-Richtung gestapelt sind. Zweidrittel der oktaedralen
3
Zwischenräume sind mit Fe + gefüllt, ein Drittel ist leer. Die bevorzugten
3
Stellen für die Adsorption von Chrom sind möglicherweise solche Fe +Vakanzen an der Oberfläche; wahrscheinlich ist ebenfalls der Ersatz eines
Fe3+, welches sich über einer Leerstelle der darunterliegenden Schicht befindet. Die Distanz zwischen zwei Leerstellen auf der Hämatitoberfläche
beträgt 0.5 nm; in der Fig. können zwei adsorbierte Cr ausgemacht werden, welche sich in genau diesem Abstand voneinander befinden.
Mit der STM konnte ferner durch Aufnahmen, welche in bestimmten Zeitabständen hintereinander aufgenommen wurden, gezeigt werden, dass die
Oberflächendiffusion von Cr(III) extrem langsam ist, wie das aufgrund der
122
langsamen Ligandaustauschreaktionen erwartet wurde. Ausserdem kann in
der unteren Bildhälfte der Fig. 9.3 ist ein oligomerischer Cr-Komplex ausgemacht werden.
l!ICA 111.TJF\EX 111/U/lt B.'°'t IEI t ANllE- G dog AC11 TDE-1.02 lln
Fll.f: crJt er. 11111111-c
ICM.E PMmll- 2.1!111 k c/1, llfl'ET• 0.111111 k c/1 Pol&& SEllY- 36.7&0 aV Mil «IG 1
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9
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7
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lil
•
8
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3
2
il
Fig. 9.2:
. JI.
605
600
5115
510
515
590
IJIDDlll!IERl'I, IV
0
XPS-Aufnahmen von Cr(Ill) und cr
1) Cr(Ill) an Fe203 mit einer Bindungsenergie, wie sie für
Cr(l/l) erwartet wurde.
0
2), 3) Cr-Metall mit Cr -Bande bei 574 eV und Cr(lll)Bande einer oxidierten Oberfläche bei 577 eV.
123
5.00
2.50
0
5.00
nM
2.50
0
-- 360.5 pA
Nanoscop e III
STH Scan ParaMete rs:
180.2 pA
0.0 pA
Fig. 9.3:
Z range
Scan size
NuMher or saMples
Scan rate
Setpoint
Bias
Data type
360.5 pA
5.0 nM
512
61.0 Hz
1.1 nA
-319.5 MU
Current
STM-Aufna hme einer a-Fe203-( 001)-0berf läche, an der
Cr(Il/) adsorbiert wurde. Die weissen Flecken stellen adsorbiertes Cr(III) dar.
124
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Lebenslauf
10. Mai 1961
geboren in Zürich
1968 - 1974
Primarschulen in Oberrieden (ZH), Griechenland und
Männ edorf (ZH)
1974 - 1976
Sekundarschule in Männedorf (ZH)
1976 - 1980
Mathematisch-Naturwissenschaftliches Gymnasium
Rärnibühl, Zürich, Matura Typus C
1980 - 1985
Chemiestudium Abt. IV der ETH Zürich, Diplom
1985 - 1988
Anstellung als Sachbearbeiter in der Elektrowatt
Ingenieur Unternehmung, Zürich; Auslandaufenthalt
1988 - 1992
Dissertation an der EAW AG Dübendorf unter der
Leitung von Prof. Werne r Stumm, Assistententätigkeit an der Abteilung für Umweltnaturwissenschaften
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