Buch 5.indb - fructose.at

Werbung
25
Kapitel 25
ERNÄHRUNG BEI KARIES UND PARODONTALEN ERKRANKUNGEN
I. Kapferer
1. Einleitung
2. Der dentale Biofilm
Karies, Gingivitis und Parodontitis sind die
häufigsten Infektionserkrankungen weltweit.
In Deutschland ist nur ca. 1 % der Erwachsenen
kariesfrei. Über die Prävalenz parodontaler Erkrankungen gibt es unterschiedliche Angaben,
was daran liegt, dass der Übergang von einer
Gingivitis zu einer Parodontitis nicht genau definiert ist. In einer groß angelegten epidemiologischen Studie in den USA (NHANES III) wurde für
die über 60-jährige Bevölkerung eine Prävalenz
der Parodontitis von 17 bis 39 Prozent angegeben
(Borrell et al., 2005). Andere Studien sprechen
von Parodontitisprävalenzen bis zu 95 Prozent,
weil in diesen Studien auch leichtere Formen
der Parodontitis inkludiert wurden (Bourgeois
et al., 2007). Rasch fortschreitende Formen der
Parodontitis im Kinder-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter (= aggressive Parodontitis) sind
relativ selten. Sie stellen aber für den Betroffenen und seinen Zahnarzt ein schwerwiegendes
Problem dar, da es hierbei häufig zu sehr frühem
Zahnverlust kommt.
Essgewohnheiten und Nahrungszusammensetzung haben einen großen Einfluss auf Erkrankungen der Mundhöhle. Zum einen spielt
die lokale Wirkung der Nahrung während des
Kauaktes eine Rolle, zum Beispiel die Härte der
Nahrung und die Verweildauer in der Mundhöhle. Zum anderen werden Nahrungsbausteine
systemisch über den Blutweg für Auf- und Umbauprozesse an Zähnen und Zahnhalteapparat
zur Verfügung gestellt.
Hauptursache von Karies und den parodontalen Erkrankungen ist der Zahnbelag, „Plaque“
oder auch „dentaler Biofilm“ genannt. Der dentale Biofilm besteht zu 60 –70 % aus bakteriellen
und nicht-bakteriellen (Pilze, Protozoen, Viren)
Mikroorganismen, sowie aus Wirtszellen, die
in eine interzelluläre Matrix eingebettet sind.
Diese Matrix besteht aus Polysacchariden und
Wasser und wird von den Mikroorganismen
selbst gebildet.
Schon wenige Minuten nach dem Zähneputzen lagert sich auf der gesäuberten Zahnoberfläche aus dem Speichel eine 1 μm dicke zellfreie
Glykogenschicht ab. Dieses Pellikel schützt die
Zähne vor dem Austrocknen. Es dient aber auch
speziellen Bakterien (Pionierkeimen) als Substrat zum Andocken an die Zahnoberfläche.
Diese Pionierkeime, vor allem Streptokokken
und Aktinomyzeten, können sich über Oberflächenmoleküle (Adhäsine) an Pellikelrezeptoren
anheften. Weitere Mikroorganismen docken
sich nun über Fimbrien, Pili und die Glykokalyx
an die Pionierkeime an, und durch Vermehrung
entstehen Mikrokolonien. Nach sieben Tagen ist
der Biofilm 100 bis 300 Bakterienzellschichten
dick. Ein Milligramm ausgereifte Plaque enthält mehr als 108 Mikroorganismen (Lang et al.,
2003). Insgesamt gibt es etwa 500 verschiedene
Bakterienspezies in der Mundhöhle. Die bakterielle Zusammensetzung des dentalen Biofilms ist
von Mensch zu Mensch verschieden, und sogar
innerhalb ein und derselben Mundhöhle variiert
Buch 5.indb 925
15.10.2009 11:37:00
Kap. 25
I. Kapferer
Abb. 1. Der dentale Biofilm
Abb. 2. Kariesschema nach König (König, 1987)
die bakterielle Zusammensetzung des Biofilms
je nach Nische. Auch die Verweildauer des Biofilms auf dem Zahn, die Qualität und Quantität
des Speichels, die Zahnstellung und die Qualität
der dentalen Restaurationen spielen eine Rolle.
Die Zusammensetzung des Biofilms ist also kein
Zufallsprodukt. Vielmehr zeigt der Biofilm einen
räumlich geordneten Aufbau. Die Bakterien bilden Kommunitäten, mit Stadtvierteln vergleichbar, und in der interzellulären Matrix besitzt der
Biofilm Wasserkanäle, die als Verbindungs- und
Transportwege für Nahrung und Stoffwechselprodukte dienen. Die verschiedenen Bakterien
bilden untereinander eine Symbiose, das heißt,
sie versorgen sich gegenseitig mit Stoffwechselprodukten.
3. Infektionserkrankung Karies
Nicht jeder Zahnbelag und nicht alle Bakterien
sind odontopathogen. Mehrere Jahrzehnte galt
die Auffassung, dass Laktobazillen die Hauptrolle in der Kariesgenese spielen. Heute gilt
Streptokokkus mutans als das Hauptkariesbakterium (Al Shukairy et al., 2006). Die Besiedelung der Mundhöhle mit Streptokokkus mutans
erfolgt mit dem Durchbruch der ersten Zähne,
und die Ansteckung erfolgt meistens durch die
Eltern, wenn diese Löffel oder Schnuller des Babys selbst in den Mund nehmen. In einer Studie
wurde gezeigt, dass bei den sechs bis neun Monate alten Kindern nur 4,5 % Streptokokkus mu-
tans positiv waren, während der Anteil bei den
18 bis 24 Monate alten schon bei 56 % lag (Mohan
et al., 1998).
Die Kariesbakterien nehmen aus der Nahrung niedermolekulare Kohlenhydrate auf,
verstoffwechseln diese, und als Endprodukt
scheiden sie unter anderem Milchsäure aus.
Diese Milchsäure senkt den pH-Wert im Mund
und in der Plaque, und löst Mineralien aus der
Zahnhartsubstanz heraus. Zahnschmelz wird
bei einem pH-Wert von 5,7 demineralisiert. Normalerweise liegt der pH-Wert des menschlichen
Mundes etwa bei pH 7. Bei jedem Abfall des
pH-Wertes unter pH 5,7 findet eine Demineralisation des Zahnschmelzes statt. Diese ist aber
meist so gering, dass bei einem Wiederanstieg
des pH-Wertes der Schmelz remineralisiert
wird, die Mineralien werden in den Schmelz
wieder eingebaut. So findet eine ständige Deund Remineralisation an der Zahnoberfläche
statt. Erst bei langer Verweildauer der Plaque
und häufiger Kohlenhydratzufuhr werden die
Demineralisationsphasen immer länger und
die Phasen der Remineralisation immer kürzer,
eine vollständige Remineralisation der entstandenen Läsion ist nicht mehr möglich – es entsteht Karies.
Zusammenfassend gibt es vier Grundvoraussetzungen für die Entstehung von Karies, die
alle erfüllt sein müssen. Fehlt nur eine, entsteht
keine Karies (siehe Abb. 2).
926
Buch 5.indb 926
15.10.2009 11:37:01
Ernährung bei Karies und parodontalen Erkrankungen
Karies ist daher keine klassische Infektionskrankheit, denn Kariesbakterien alleine machen noch keine Karies. Erst die Veränderung
der oralen „Umweltbedingungen“ führt zu einer
Erhöhung ihrer Virulenz und einer pathogenen
Wirkung. Diese Veränderungen der Umweltbedingungen werden im Wesentlichen durch eine
Ernährung verursacht, die zu reich an niedermolekularen Kohlenhydraten ist. Da Karies also das
Resultat einer Aktivität endogener Bakterien ist,
die erst aufgrund einer Veränderung der Ökologie der Mundhöhle Pathogenität erlangt haben,
ist sie als opportunistische Infektion aufzufassen. Diese Erkenntnis ist für die Vorbeugung der
Karies von großer Bedeutung (Zimmer, 2000).
3.1. Die Rolle des Speichels in der
Kariesgenese
Der Speichel hat einen hohen Stellenwert für die
Erhaltung der Integrität der Zähne, des Zahnhalteapparates und der Weichgewebe in der
Mundhöhle. Seine Glykoproteine überziehen
alle Schleimhäute und Festkörper im Mund,
und schützen sie so vor dem Austrocknen. Seine
reinigende Wirkung hängt entscheidend von der
Fließrate und Viskosität ab. Die puffernde und
remineralisierende Wirkung wird durch den
Gehalt von Bikarbonat, Phosphat, Kalzium und
Fluorid gewährleistet. Eine antimikrobielle Aktivität des Speichels kommt durch sekretorische
Immunglobuline (sIgA), Lysozym, Katalase,
Laktoperoxidase und weitere Enzyme zustande.
Der Speichel macht Speisen beim Essen weich,
Geschmacksstoffe werden so aus der Nahrung
gelöst, und schon in der Mundhöhle beginnt
die Verdauung, indem Kohlenhydrate durch die
Speichel-Amylase gespalten werden.
Der Speichel besteht zu 99 % aus Wasser.
Außerdem enthält er anorganische Ionen (Natrium, Kalzium, Kalium, Ammonium, Magnesium, Kupfer, Chlorid, Fluorid, Phosphat, Iodid
u. a.), organische Stoffe (Enzyme, Glykoproteine,
Histamin, Harnstoff u. a.), Fette, Säuren, Hormone, Vitamine, spezifische und unspezifische
Abwehrfaktoren, Medikamente, sowie toxische
Substanzen aus der Umwelt (Klimm, 1997). Produziert wird der Speichel von den großen Speicheldrüsen der Mundhöhle (Gl. sublingualis, Gl.
submandibularis, Gl. parotis) und den kleinen
Speicheldrüsen der Mundschleimhaut. Einige
produzieren wässrigen (serösen), andere eher
schleimigen (mukösen) Speichel. Je nachdem
welche Speicheldrüse den Hauptanteil zum Gesamtspeichel beisteuert, ist dieser eher wässrig
oder zäh. Die Sekretionsrate und die Qualität
des Speichels werden von gustatorischen Reizen, von der Art und Dauer der Stimulation, von
Medikamenten, Stress und von der Tageszeit
bestimmt. Während des Schlafes wird die Speichelfließrate auf 0,25 – 0,35 ml/min reduziert,
während sie nach Stimulation 1– 2 ml/min beträgt.
3.1.1. Xerostomie
Die Bedeutung des Speichels für die orale Gesundheit und Wohlbefinden wird erst begreiflich, wenn er nicht mehr in ausreichendem
Maße zur Verfügung steht. Ein trockener Mund
kann zu eingeschränkter Geschmackswahrnehmung, Schwierigkeiten beim Essen und Trinken, schmerzhaften Entzündungen des Zahnfleisches sowie rapide fortschreitenden kariösen
Zerstörungen der Zahnhartsubstanz führen
(Zimmer, 2000).
Die Reduktion der Speichelfließrate ist eine
häufige Nebenwirkung verschiedener Arzneimittel, wie Psychopharmaka, Diuretika und
Anticholinergika wie z. B. Atropin. Strahlentherapien oder die chirurgische Entfernung von
Speicheldrüsen führen oft zu starker Xerostomie. Eher seltenere Ursachen können auch Erkrankungen wie Sialadenitis, Sjögren-Syndrom
oder Heerfordt-Syndrom sein. Bei Patienten mit
Depressionen führen mehrere Faktoren zu einem erhöhten Kariesrisiko. Zum einen neigen
depressive Patienten zu einer kariogenen Diät
und zu einer mangelnden Mundhygiene. Als
zusätzlicher kariogener Faktor kommen Anti927
Buch 5.indb 927
15.10.2009 11:37:02
Kap. 25
I. Kapferer
depressiva mit der häufigen Nebenwirkung der
Mundtrockenheit hinzu. Deshalb leiden depressive Patienten häufig an rapid fortschreitender
Karies und generalisierter Parodontitis.
Zur Therapie der Xerostomie stehen verschiedenste Speichelersatzmittel zur Verfügung, die
jedoch bei einigen Patienten auf geringe Akzeptanz stoßen und nur kurzfristig Erleichterung
bringen. Wichtig ist bei den Speichelersatzmitteln auf die Zuckerfreiheit zu achten. Im Mittelpunkt der Therapie steht aber die Kariesprophylaxe mit engmaschiger professioneller Zahnreinigung, wiederholter Mundhygiene-Instruktion
und der Verwendung von antiseptischen Mundspülungen und Fluoridpräparaten.
4. Einfluss der Ernährung auf die
Kariesentstehung
4.1. Einfluss des Zuckerkonsums
Karies ist eine Zivilisationskrankheit. Seit dem
Mittelalter ist die Kariesverbreitung stark angestiegen. Dafür verantwortlich sind verschiedene
Ernährungsfaktoren (Theilade et al., 1986):
r
r
r
r
Hoher Anteil rasch vergärbarer Kohlenhydrate
Geringerer Anteil kauzwingender Kost
Häufigere Nahrungsaufnahme
Weniger karieshemmende Bestandteile in
der Nahrung.
1946 bis 1951 wurde eine groß angelegte Studie
in einem schwedischen Heim für geistig Behinderte durchgeführt (Gustafsson et al., 1954).
Den Probanden wurde zuckerarme Kost verabreicht, oder stark zuckerhaltige Nahrung in unterschiedlicher Zusammensetzung und Konsistenz zu den Hauptmahlzeiten allein, oder zu den
Haupt- und Zwischenmahlzeiten. Die Studie
zeigte, dass sich bei zuckerarmer Kost am wenigsten neue Karies bildete. Bei zuckerhaltiger
Nahrung hing der Karieszuwachs von der Konsistenz und der Häufigkeit des Zuckerkonsums
Abb. 3. Stephan-Kurve
ab. Je häufiger der Zuckerkonsum, desto stärker
der Karieszuwachs. Und: wurde der Zucker in
gelöster Form zu sich genommen, war der Karieszuwachs geringer als bei der Gruppe, wo klebrige Kaubonbons gegessen wurden. Es kommt
also nicht auf die absolute Menge des konsumierten Zuckers an, sondern auf die Häufigkeit
und die Verweildauer im Mund. Dieser Sachverhalt wird durch die Stephan-Kurve verständlich
(siehe Abb. 3). Bei jeder Aufnahme von Glukose
sinkt innerhalb von fünf Minuten der pH-Wert
des Speichels. Zur Erinnerung: Beim Abfall des
pH-Wertes unter pH 5,7 findet eine Demineralisation des Zahnsubstanz statt. Die Puffersysteme des Speichels heben den pH-Wert wieder
auf etwa pH 7 an, dies dauert 35 bis 40 Minuten.
Wird zum Beispiel alle 60 Minuten ein Stück
Schokolade konsumiert, sind die Phasen der Remineralisation kürzer als die Phasen der Demineralisation, es entsteht Karies. Für die Zahngesundheit ist es also besser, die ganze Tafel Schokolade auf einmal zu essen!
Für die Kariesprophylaxe entscheidend
sind ausreichende Pausen zwischen den
928
Buch 5.indb 928
15.10.2009 11:37:02
Ernährung bei Karies und parodontalen Erkrankungen
Mahlzeiten, damit die angegriffene Zahnsubstanz remineralisiert werden kann. Es
kommt nicht auf die absolute Menge des
konsumierten Zuckers an, sondern auf die
Häufigkeit und Dauer des Zuckerkonsums,
und auf den Grad der Gelöstheit.
4.2. Das Baby Bottle Syndrom
Beim „Baby-Bottle-Syndrom“ handelt es sich um
eine ausgeprägte Glattflächenkaries bei Kleinkindern, vor allem an den Oberkieferfrontzähnen. Ursache dafür ist das Dauernuckeln von
zucker- oder säurehaltiger Flaschennahrung
(zuckerhaltige Tees und Säfte, gesüßte Milch,
Honig auf dem Schnuller). Besonders während
dem Schlafen ist das Nuckeln von zuckerhaltigen Getränken fatal, da der schützende Speichelfluss in der Nacht stark vermindert ist.
Die von der Karies zerstörten Zähne müssen
komplett entfernt werden, was zu Problemen bei
der Nahrungsaufnahme, aber auch zu Störungen
der Sprachentwicklung führen kann. Der frühzeitige Verlust der Milchzähne führt auch oft zu
Zahnfehlstellungen bei den bleibenden Zähnen.
Zur Vermeidung des Baby-Bottle-Syndroms
werden folgende Ratschläge gegeben:
r
r
r
r
r
r
r
die Verwendung von Glasflaschen wird empfohlen, da diese schwerer sind und von den
Kindern nicht so lange gehalten werden können, wie Plastikflaschen
das Kind nicht mit der Flasche im Mund einschlafen lassen
zuckerfreie und wenig saure Getränke
Absetzen der Saugflaschen nach dem 12.
Lebensmonat
tägliche Zahnreinigung ab dem ersten
Zahn
Fluoridzufuhr ab dem ersten Zahn (siehe
Kapitel Fluoride)
Rechtzeitige Behandlung durch den/die
Zahnärzt/in beim Auftreten von Läsionen
Abb. 4. Baby-Bottle-Syndrom
4.3. Zuckeraustauschstoffe und
Zuckerersatzstoffe
Zuckeraustauschstoffe haben einen zuckerähnlichen chemischen Aufbau. Sie werden von Bakterien nur langsam oder gar nicht verstoffwechselt und sind daher gering oder nicht kariogen.
Der Zuckeraustauschstoff Xylit spielt eine besondere Rolle in der Kariesprophylaxe. Die Reduktion
der Kariesinzidenz durch regelmäßiges Kauen
(3 bis 5-mal täglich) von xylithaltigem Kaugummi („Zahnpflegekaugummis“) basiert auf
verschiedenen Wirkmechanismen (Burt, 2006):
r
r
r
r
Nach Xylitkonsum kommt es nicht zu einem
pH-Wertabfall in der Plaque, und dadurch
auch nicht zur Demineralisation der Zahnhartsubstanz
Die Proliferation von Streptokokkus mutans
wird gehemmt
Die Plaqueakkumulation auf der Zahnoberfläche wird reduziert
Die Speichelfließrate wird stimuliert und damit die Bufferwirkung des Speichels erhöht.
Zuckerersatzstoffe sind synthetische oder natürliche in Pflanzen vorkommende chemische
Verbindungen, die von Bakterien bei der extrazellulären Polysaccharidsynthese nicht in
Plaque umgewandelt werden. Sie sind daher
nicht kariogen.
929
Buch 5.indb 929
15.10.2009 11:37:03
Kap. 25
I. Kapferer
Tabelle 1. Übersicht der gängigsten Zuckeraustauschund Zuckerersatzstoffe
Zuckeraustauschstoffe
Zuckerersatzstoffe
(Süßstoffe)
Isomalt (E 953)
Lactit (E 966)
Maltit (E 965)
Mannit (E 421)
Sorbit (E 420)
Xylit (E 967)
Acesulfam (E 950)
Aspartam (E 951)
Cyclamat (E 952)
Neohesperidin DC (E 959)
Saccharin (E 954)
Thaumatin (E 957)
Zahnfreundliche Süßwaren mit Zuckeraustausch- oder Zuckerersatzstoffen erkennt man
an dem international geschützten Markenzeichen „Zahnmännchen mit Schirm“. Dieses Signet
darf nur auf Süßwaren angebracht werden, wenn
während und bis 30 Minuten nach deren Genuss
der Säuregehalt im Zahnbelag eine bestimmte
Sicherheitsschwelle nicht überschreitet.
Die gängigsten Zuckeraustausch- und Zuckerersatzstoffe sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
4.4. Versteckte Zucker
Viele Eltern wissen gar nicht, in welchen Nahrungsmitteln überall Zucker verarbeitet ist.
Man findet Zucker im Ketchup und im Senf, in
Kartoffelchips, in Wurstwaren, Fertigsaucen
und Beutelsuppen, aber auch in vermeintlich
„gesunden“ Produkten wie Müsliriegel und
Fruchtjoghurt. Vorsicht ist bei Säften, Tees und
Süßigkeiten geboten, die Aufschriften wie „ohne
Zuckerzusatz“, „nur mit natürlichem Zucker“
oder sogar „zuckerfrei“ tragen. Diese enthalten
meistens Fruchtzucker, der nach wissenschaftlichen Untersuchungen ebenfalls kariesfördernd
ist (Tanzer et al., 2006). Weil nach dem einschlägigen „Gesetz über den Verkehr mit Zucker“ nur
Rohrzucker (Saccharose) als Zucker bezeichnet
wird, sind derartige Deklarationen zulässig, für
den Verbraucher sind sie jedoch irreführend
(Zimmer, 2000).
4.5. Fluoride
Die Fluoridapplikation ist eine wichtige Säule
in der Kariesprophylaxe. Fluoride sind die Salze
der Fluorsäure. Fluorid ist ein wichtiges Spurenelement und hat eine hohe Bedeutung für die
Bildung von Knochen und Zähnen. Der Körper
eines Erwachsenen enthält insgesamt etwa 2,6 g
Fluorid (Zimmer, 2000). In zahnmedizinischen
Präparaten kommen vor allem Aminfluorid, Natriummonofluorphosphat und Zinnfluorid zur
Anwendung. Egal ob Fluorid in lokalen Präparaten (Lacke, Gele, Zahnpasta, Spülungen) oder
systemisch angewandt wird (Tabletten, Speisesalz, Trinkwasser), entscheidend für die kariespräventive Wirkung ist immer die lokale Verfügbarkeit, weniger der systemisch zugefügte Anteil (Gülzow et al., 2005). Systemisch zugeführte
Fluoride werden im Magen-Darm-Trakt resorbiert und anschließend in nur geringen Mengen
über den Speichel wieder ausgeschieden. Bei im
Wachstum befindlichen Zähnen kommt es auch
zu einem Einbau von Fluorid in die Zahnhartsubstanzen, der kariespräventive Effekt ist allerdings umstritten.
Bei der Anwendung von lokalen Fluoridpräparaten lagern sich Kalziumfluorid-Partikel auf
der Zahnoberfläche ab. Diese KalziumfluoridDeckschicht kann Fluorid an der Zahnoberfläche besonders bei kariogenen Bedingungen in
hoher Konzentration zur Verfügung stellen.
Die kariesprophylaktische Wirksamkeit von
Fluorid beruht auf folgenden Mechanismen:
r
r
r
Verbesserung der Remineralisation
Verminderung der Demineralisation
Antibakterielle Wirkung.
4.5.1. Verminderung der Demineralisation
Fluorid dringt in den Schmelz ein und führt dort
zu einer Kristallisation. Dabei entsteht stabil
in der Zahnhartsubstanz gebundenes Fluorid
(Zimmer, 2000). Hydroxylapatit, die chemische
Basis des Zahnschmelzes, wird in Fluorapatit
930
Buch 5.indb 930
15.10.2009 11:37:04
Ernährung bei Karies und parodontalen Erkrankungen
umgewandelt. Während Hydroxylapatit bei einem pH-Wert von 5,7 demineralisiert wird, wird
Fluorapatit erst bei einem pH-Wert von 4,6 demineralisiert. Man nennt diesen Prozess auch
„posteruptive Schmelzreifung“.
4.5.2. Verbesserung der Remineralisation
Die Verbesserung der Remineralisation ist der
bedeutendste Wirkmechanismus der Fluoride.
Er basiert auf der umgekehrten Reaktion als die
Hemmung der Demineralisation, wie sie oben
beschrieben wurde. Das heißt, dass bei Anwesenheit von ausreichend Fluorid im Speichel die
Zahnsubstanz bereits bei einem pH-Wert von 4,6
remineralisiert wird, während das ohne Fluorid
erst ab einem pH von 5,7 der Fall ist.
4.5.3. Antibakterielle Wirkung
Fluorid wirkt antibakteriell, indem es Stoffwechselfunktionen der Kariesbakterien behindert (Zimmer, 2000). Dadurch wird die Energiegewinnung der Bakterienzelle als auch die
Produktion von Milchsäure reduziert. Ebenso
wird die Bildung intra- und extrazellulärer Polysaccharide, und somit die Produktion der interzellulären Matrix vermindert. Wenn die interzelluläre Matrix aber nicht in ausreichendem
Maße gebildet wird, werden Plaquewachstum
und -reifung behindert.
Da eine sehr hohe Fluoridkonzentration für
diese antibakterielle Wirkung notwendig wäre,
spielt sie in der Praxis eine eher untergeordnete
Rolle.
4.5.4. Lokale Fluoridierungsmaßnahmen
Fluoridhaltige Zahnpasten
Die Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasten ist
die am weitesten verbreitete und auch eine effektive kariespräventive Maßnahme, deren Wirksamkeit durch hohe wissenschaftliche Evidenz
untermauert ist (Gülzow et al., 2005). Die übliche
Fluoridkonzentration in Zahnpasten beträgt
1000 bis 1500 ppm. Da Kinder unter sechs Jahren
einen Großteil der Zahnpasta schlucken, sollte
eine fluoridreduzierte Zahnpasta (500 ppm) zur
Anwendung kommen.
Fluoridlacke
Fluoridlacke werden im Rahmen einer professionellen Zahnreinigung oder anderen zahnärztlichen Tätigkeiten in der Praxis appliziert. Die
Anwendung erfolgt zwei- oder mehrmals jährlich und kann unabhängig von anderen Fluoridierungsmaßnahmen durchgeführt werden.
Fluoridgele
Der kariespräventive Effekt von Fluoridgel ist
wissenschaftlich nachgewiesen (Gülzow et al.,
2005), und ihre Anwendung wird besonders
bei kariesaktiven Patienten empfohlen. Es gibt
verschiedenste Präparate, die entweder in der
Zahnarztpraxis oder von den Patienten selbst
appliziert werden. Es gibt Gele zur täglichen
oder wöchentlichen Verwendung, beide Methoden sind gleich wirksam (Gülzow et al., 2005).
Das Gel wird nach der Zahnreinigung auf die
Zähne verteilt und soll einige Minuten einwirken. Da die Fluoridkonzentration in den Gelen
sehr hoch ist und Kleinkinder erhebliche Mengen schlucken könnten, werden Fluoridgele in
diesem Alter nicht empfohlen.
Fluoridhaltige Mundspüllösungen
Wird von den Patienten bereits eine fluoridhaltige Zahnpasta verwendet, scheint eine zusätzliche Fluorid-Mundspülung wenig Effekt auf die
Kariesinzidenz zu haben (Gülzow et al., 2005).
Empfohlen werden fluoridhaltige Mundspüllösungen oft bei Patienten, die homöopathische
Zahnpasten verwenden, da diese häufig kein
Fluorid enthalten.
4.5.5. Systemische Fluoridierungsmaßnahmen
Fluoridtabletten
Der kariespräventive Effekt von Fluoridtabletten
basiert vor allem auf der lokalen Wirksamkeit,
931
Buch 5.indb 931
15.10.2009 11:37:04
Kap. 25
I. Kapferer
daher sollten Fluoridtabletten gelutscht werden.
Sie gelten als Alternative zur Speisesalzfluoridierung. Ein Vorteil ist die genaue Dosierungsmöglichkeit, ein Nachteil ist die oft mangelnde Compliance der Eltern. Setzt die Fluoridierungsmaßnahme allerdings erst im Kindergarten oder in
der Volkschule ein, sind gerade bei kariesaktiven
Kindern die Milchzähne schon oft kariös zerstört. Während der Schwangerschaft macht
die Gabe von Fluoridtabletten wenig Sinn, da
dies keinen Einfluss auf die Kariesprävalenz
des ungeborenen Kindes hat.
Fluoridiertes Speisesalz
Die Verwendung von fluoridiertem Speisesalz
wird generell empfohlen (Gülzow et al., 2005),
da sie sehr breitenwirksam, kostengünstig und
effektiv ist, und auch von Patienten mit geringer
Compliance angewandt wird. Dabei ist wieder
die lokale Verfügbarkeit des Fluorids beim Kauakt für die Kariesprävention entscheidend, und
nicht der systemisch resorbierte Anteil. Um zu
hohe Fluoridkonzentrationen und damit eine
chronische Fluoridüberdosierung zu vermeiden, soll in Gegenden mit hohem Fluoridgehalt
im Trinkwasser und zusätzlicher Einnahme von
Fluoridtabletten kein fluoridiertes Speisesalz
verwendet werden.
Natürliches Trink- und Mineralwasser
Achtzugeben ist bei Mineralwässern, denn diese
haben oft einen sehr hohen Fluoridgehalt. Bei
Kindern, die viel Mineralwasser trinken, ist daher mit zusätzlichen systemischen Fluoridgaben Vorsicht geboten, da es sonst leicht zu einer
chronischen Toxizität kommen kann. Babynahrung sollte grundsätzlich mit abgekochtem
Trinkwasser zubereitet werden. Es gibt aber
Gegenden, wo auch das natürliche Trinkwasser sehr hohe Fluoridkonzentrationen aufweist.
Über den Fluoridgehalt des Trinkwassers kann
das jeweilige Gemeindeamt Auskunft geben.
Aus dem Fluoridgehalt des Trinkwasser ergeben sich bei Kindern folgende praktische Konsequenzen:
r
r
r
r
0 – 0,29 mg Fluorid/l = zusätzliche systemische Fluoridzufuhr empfohlen
0,3 – 0,69 mg Fluorid/l = systemische Fluoridzufuhr je nach Kariesaktivität empfohlen
0,7–1,50 mg Fluorid/l = keine zusätzliche
systemische Fluoridzufuhr empfohlen
Über 1,50 mg Fluorid/l = Gefahr der Fluoridüberdosierung.
4.5.6. Toxikologische Aspekte
Akute Fluoridvergiftungen sind äußerst selten
und bedürfen derart hoher Mengen, die es nahezu ausschließen, überhaupt verzehrt werden
zu können. Bei Fluorid wird eine letale Dosis erst
erreicht, wenn etwa das 100-fache der Menge
aufgenommen wird, die aus kariesprophylaktischer Sicht angezeigt ist (Zimmer, 2000). Die
minimale Dosis, die toxische Zeichen und Symptome verursachen kann und ein sofortiges therapeutisches Eingreifen erfordert, wird mit 5 mg
Fluorid pro Kilogramm Körpergewicht angegeben (Whitford, 1996). Ein 10 kg schweres Kind
müsste also 100 g Kinderzahnpasta (Fluoridkonzentration 500 ppm) schlucken, um lebensgefährlich zu erkranken.
Viel häufiger kommt es bei ein- bis sechsjährigen Kindern zu einer chronischen Fluoridüberdosierung und als Folge zu einer Dentalfluorose,
und der Bildung weißlicher Schmelzflecken. Bei
schweren Formen einer Fluorose können auch
lochartige Vertiefungen entstehen, die mit einer Karies verwechselt werden können. Für die
Entstehung einer Fluorose wird eine Grenzdosis von etwa 0,1 mg Fluorid/kg Körpergewicht
pro Tag angegeben. Um das Fluoroserisiko
zu senken wird für Kinder unter sechs Jahren
eine Zahnpasta mit reduziertem Fluoridgehalt
(< 500 ppm) empfohlen, da Kinder ja immer wieder Zahnpasta schlucken.
932
Buch 5.indb 932
15.10.2009 11:37:04
Ernährung bei Karies und parodontalen Erkrankungen
5. Infektionserkrankungen Gingivitis und
Parodontitis
5.1. Gingivitis
Die Gingivitis ist eine bakteriell verursachte Entzündung des Zahnfleisches. Klinische Zeichen
der Gingivitis sind Blutung, Rötung, Schwellung
und Ulzerationen des Zahnfleisches. Hauptursache der Gingivitis ist eine mangelnde Zahnreinigung. Ihre Ausprägung kann aber durch
Schwankungen im Hormonhaushalt (z. B. orale Kontrazeptiva, Pubertät, Schwangerschaft),
durch systemische Erkrankungen (z. B. Diabetes
mellitus Typ I und II, Depressionen, HIV) oder
durch Medikamente (z. B. Phenytoin, Dihydropyridin, Ciclosporin) moduliert werden. Mangelernährung als Ursache oder Kofaktor einer
Gingivitis wird in der nördlichen Hemisphäre
praktisch nicht beobachtet. Unter extremen Bedingungen können aber Ascorbinsäuremangel
und Eiweißmangel Auswirkungen auf die Mundschleimhaut zeigen. Sobald die Zahnreinigung
durch den Patienten optimiert wird, heilt die
Gingivitis innerhalb weniger Tage vollständig
aus. Die Gingivitis kann, aber muss sich nicht
zu einer Parodontitis entwickeln. Sie kann auch
jahrelang ohne Behandlung stabil bleiben.
5.2. Parodontitis
Bei der Parodontitis gehen die entzündlichen
Prozesse vom Zahnfleisch auf die tiefer liegenden Strukturen des Zahnhalteapparates über,
also auf den zahntragenden Knochen und das
Desmodont. Als Folge kommt es zum Knochenverlust und zur Zahntaschenbildung. Mit
zunehmendem Knochenverlust beginnen die
Zähne zu wackeln und fallen schlussendlich
aus. Es gibt eine chronische Parodontitis, die
durch einen langsamen Verlauf gekennzeichnet
ist, und eher Menschen ab 45 Jahren betrifft. Die
aggressive Parodontitis zeigt einen raschen Verlauf mit frühzeitigem Zahnverlust bei typischerweise jungen Menschen.
Die Parodontitis ist eine multifaktorielle Erkrankung. Der primäre ätiologische Faktor sind
parodontopathogene Bakterien des subgingivalen Biofilms (Wolf, 2004). Nach dem derzeitigen
Wissensstand gibt es fünf parodontopathogene
Leitkeime: Aggregatibacter actinomycetemcomitans, Porphyromonas gingivalis, Prevotella intermedia, Fusobacterium nucleatum, Tanerella forsythensis. Es gilt der Grundsatz: „ohne Bakterien
keine Parodontitis“, aber andererseits auch die
Tatsache, dass parodontopathogene Bakterien
nicht unbedingt eine Parodontitis verursachen
müssen (Wolf, 2004). Voraussetzung für die Entstehung, und maßgebend für den Verlauf einer
Parodontitis ist der empfängliche Wirt. So kann
die gleiche Bakterienmenge bei verschiedenen
Patienten ganz unterschiedliche Schweregrade
einer Parodontitis hervorrufen. Die genetisch
determinierte Immunreaktion (überschießend
oder defekt) ist ein entscheidender Faktor. Außerdem erhöhen bestimmte Lebensstile das Risiko des Patienten. Tabakrauchen zum Beispiel
erhöht das Parodontitisrisiko um ein Vielfaches,
und erschwert deutlich die Therapie derselben.
Alkohol, Drogenabusus, psychische Belastung
und Stress, sowie schlechte Mundhygiene sind
weitere häufige Risikofaktoren. Neben diesen
Faktoren gibt es noch systemische Erkrankungen, die mit einem erhöhten Parodontitisrisiko
mit teilweise dramatischem Verlauf einhergehen. Dazu zählen Diabetes mellitus Typ I und
II, HIV, Trisomie 21, Papillon-Lefèvre-Syndrom,
Chediak-Higashi-Syndrom, erworbene sowie
hereditäre und zyklische Neutropenien, Glykogenspeicherkrankheiten, Agranulozytose, Cohen-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom, Histiozytosen u. a. m.
Eine Parodontitis kann nicht geheilt sondern
nur gestoppt werden, und der einmal entstandene
Knochenverlust ist nur in Ausnahmefällen regenerierbar. Die Therapie der Parodontitis besteht
aus einer konservativen Basistherapie, während
dieser alle Zähne supra- und subgingival von
Zahnstein und Belägen befreit werden, und der
Patient durch wiederholte Instruktionen eine op933
Buch 5.indb 933
15.10.2009 11:37:04
Kap. 25
I. Kapferer
timale Mundhygiene erlernen muss. Die perfekte
häusliche Zahnreinigung ist die Voraussetzung
für jeden Behandlungserfolg. In einem zweiten
Schritt können Zahntaschen chirurgisch abgetragen werden, oder an einzelnen Zähnen der Zahnhalteapparat regeneriert werden. Bei aggressiven
Parodontitiden kommen auch systemische Antibiotika zum Einsatz, allerdings immer nur in
Kombination mit einer perfekten Zahnreinigung.
5.3. Akut nekrotisierende Gingivitis und
Parodontitis
Die Gingivitis und Parodontitis ulcerosa sind
akute, sehr schmerzhafte, ulzerierende Entzündungen des Zahnhalteapparates. Im Anfangsstadium dominieren die zerfallenden, weißen
Papillenspitzen das klinische Bild. Später geht
die Entzündung auf den Knochen über. Häufig
treten auch Abklatschgeschwüre an den benachbarten Weichgeweben auf. Als Ursache
für Parodontitis und Gingivitis ulcerosa gelten
chronische Erschöpfungszustände, psychischer
Stress (typisch sind Schubhäftlinge und Examensstudenten), Rauchen, ein stark geschwächtes Immunsystem (z. B. HIV-Patienten), und
schlechte Mundhygiene. Bakteriell dominieren
Spirochäten, fusiforme Bakterien und Prevotella
intermedia. Die Basis der Therapie bildet wieder die mechanische Zahnreinigung durch den
Zahnarzt. Da die häusliche Zahnreinigung aufgrund der starken Schmerzen fast nicht möglich
ist, werden antiseptische Spülungen empfohlen.
Unterstützend kann in schweren Fällen systemisch Metronidazol verabreicht werden.
In Entwicklungsländern bilden Gingivitis
und Parodontitis ulcerosa häufig die Vorstufe
zur Noma (destruierende gangränöse Stomatitis). Voraussetzung für eine Erkrankung mit
Noma ist ein durch starke Mangelernährung
oder Vorerkrankungen geschwächtes Immunsystem. Besonders häufig sind Eiweiß-, Vitaminund Elektrolytmangel. Meistens sind Kinder davon betroffen, seltener Erwachsene.
6. Einfluss der Ernährung auf die
Parodontalerkrankungen
Über den Einfluss der Ernährung auf den Verlauf
der Parodontalerkrankungen gibt es nur wenige
Studien. In den Jahren 1988 bis 1994 wurde in
einer groß angelegten amerikanischen Studie
bei 12 110 Probanden der Zusammenhang zwischen gesundem Lebensstil und Parodontitis
untersucht (Al-Zahrani et al., 2005). Als gesunder Lebensstil wurden drei Parameter definiert:
Normalgewicht, gesunde Ernährung, sportliche
Betätigung. „Gesunde Ernährung“ wurde mittels dem „healthy eating index“ (HEI) (National
Center for Health Statistics, 1999) erhoben, der
die Menge der konsumierten Nahrung innerhalb
von 24 Stunden und die Nahrungszusammensetzung evaluiert. Für diese Studie wurden Individuen mit HEI > 80 mit „gesunder Ernährung“
betitelt, wie es von dem „United States Department of Agriculture“ empfohlen wird. Die Untersuchung ergab, dass wenn nur einer der drei
Parameter erfüllt wird, dass Parodontitisrisiko
um 16 % reduziert wurde. Wurden zwei Parameter erfüllt, senkte sich das Parodontitisrisiko um
29 %, und bei Erfüllung aller drei Parameter um
40 %. Der positive Einfluss der gesunden Ernährung auf die Parodontitis wird von den Autoren
folgendermaßen erklärt (Al-Zahrani et al., 2005):
bei reichlichem Zuckerangebot nimmt zunächst
einmal die Plaquemasse schnell zu und bietet
auch den parodontopathogenen Mikroorganismen Lebensraum. Des Weiteren haben Nahrungsmittel mit einem natürlichen Faseranteil
(z. B. Gemüse) aufgrund ihrer Konsistenz selbst
schon eine gewisse Reinigungskraft.
Es gibt auch Studien, die Zusammenhänge
zwischen der Körperzusammensetzung und
der Parodontitis zeigen (Wood et al., 1993).
Diese Studien zeigen, dass Adipositas nicht nur
ein Risikofaktor für Diabetes, Dyslipidämie
und Bluthochdruck ist, der Fettmetabolismus
scheint auch in der Pathogenese der Parodontitis eine entscheidende Rolle zu spielen (Wood
et al., 1993). Als Grundlage für diese Annahme
934
Buch 5.indb 934
15.10.2009 11:37:05
Ernährung bei Karies und parodontalen Erkrankungen
dient die Tatsache, dass durch Fettleibigkeit die
Sekretion von proinflammatorischen Zytokinen
(IL-6, TNF-D u. a.) erhöht wird (Al-Zahrani et al.,
2005), die wiederum in der Parodontitispathogenese eine Rolle spielen.
Auch in der Komplementärmedizin wird die
Parodontitis als ein multikausales Geschehen
betrachtet. Das Zahnfleisch wird hier als „Fenster zum Darm“ gesehen, da sein Zustand dem
der Darmschleimhaut entspricht.
7. Andere Auswirkungen der Ernährung
auf die Zähne
In der heutigen Zeit sind Karies, Gingivitis und
Parodontitis die zivilisatorischen Zahnerkrankungen. In ur- und frühgeschichtlicher Zeit war
es die Zahnabrasion (Abkauung). Die Kariesfrequenz war zwar sehr gering, stattdessen führte
die grobe und mit Mineralstäuben verunreinigte
Nahrung aber zu starker Abkauung der Zähne.
Auch heute sieht man manchmal bei Ernährung
mit stark kauzwingender Kost eine vermehrte
Abnutzung der Zähne, die jedoch selten einen
pathologischen Stellenwert hat.
Drastische Auswirkungen auf die Zahnsubstanz haben Ernährungsstörungen wie Bulimie
und Anorexie. Durch das häufige Erbrechen sind
die Zähne der Magensäure ausgeliefert, und mit
der Zeit wird die Zahnsubstanz in einer ganz typischen Art und Weise weggeätzt (= Erosionen).
Davon betroffen sind vor allem die Innenseiten
der Zähne (palatinal) im Oberkiefer.
Aber nicht nur die Säuren aus dem Magen
können die Zähne anätzen. Auch der extrem
überhöhte Konsum saurer Getränke oder von
kohlensäurehaltigen Getränken, kann die Zahnsubstanz auflösen.
Liegen die Zahnhälse aufgrund von Parodontitis oder Rezessionen frei, sind sie oft überempfindlich auf heiße oder kalte Nahrung, aber
auch auf saure Getränke oder Obst, das Fruchtsäure enthält.
Abb. 5. Zahnerosionen bei Bulimie
8. Auswirkungen von Parodontitis und
Karies auf die Ernährung
Karies verursacht im Gegensatz zur Parodontitis und Gingivitis schon im Anfangsstadium
Schmerzen, daher wird die Nahrungsaufnahme
für die Patienten zur Qual. Vor allem kalte oder
süße Speisen reizen das offen liegende Dentin.
Sind die Zähne durch die Karies vollständig zerstört oder fehlen einige Zähne, beginnt der Kauapparat zu kollabieren, die Zähne beginnen zu
wandern oder zu elongieren, und behindern so
aus der Reihe stehend den Kauakt. Bei fehlender
Abstützung im Seitenzahngebiet sinkt die Bisshöhe ab, und als Folge sinkt die Kaukraft. Stark
reduziertes Parodontalgewebe hat ähnliche
Auswirkungen, die Zähne beginnen aufgrund
der reduzierten Verankerung im Knochen zu
wandern, und das Kausystem kollabiert. Wegen
der stark gelockerten Zähne ist auch die Kaukraft stark reduziert – „es fehlt der Biss“, und die
Speisen werden nicht mehr gut durchgekaut.
935
Buch 5.indb 935
15.10.2009 11:37:06
Kap. 25
I. Kapferer
Literatur
Al Shukairy H, Alamoudi N, Farsi N, Al Mushayt A, Masoud I (2006) A comparative study of Streptococcus
mutans and lactobacilli in mothers and children with
severe early childhood caries (SECC) versus a caries
free group of children and their corresponding mothers. J Clin Pediatr Dent 31(2): 80 – 5
Al-Zahrani MS, Borawski EA, Bissada NF (2005) Periodontitis and three health-enhancing behaviors: Maintaining normal weight, engaging in recommended level of
exercise, and consuming a high-quality diet. J Periodontol 76: 1362 –1366
Borrell LN, Burt BA, Taylor GW (2005) Prevalence and
trends in periodontitis in the USA: the [corrected]
NHANES, 1988 to 2000. J Dent Res 84(10): 924 – 30
Bourgeois D, Bouchard P, Mattout C (2007) Epidemiology
of periodontal status in dentate adults in France,
2002 – 2003. J Periodontal Res 42(3): 219 – 27
Burt BA (2006) The use of sorbitol- and xylitol-sweetened
chewing gum in caries control. J Am Dent Assoc
137(2): 190 – 6
Gülzow HJ, Hellwig E, Hetzer G (2005) Leitlinie Fluoridierungsmaßnahmen. In: Heideman D (Hrsg.) Check-up
und Prävention, 4. Aufl., Urban und Fischer, München,
S 201– 205
Gustafsson BE, Quensel CE, Swendander Lanke L, Lundqvist C, Grahnen H, Bonow BE, Krasse B (1954) The
Vipeholm dental caries study. The effects of different
levels of carbohydrate intake of caries activity in 436
individuals observed for five years (Sweden). Acta
Odont Scand 11: 232
Klimm W (1997) Kariologie. Hanser Verlag, München
König KG (1987) Karies und Kariesprophylaxe. Thieme,
Stuttgart
Lang NP, Mombelli A, Attsröm R (2003) Dentalm Plaque
and Calculus. In: Lindhe J, Karring T, Lang NP (Eds.)
Clinical periodontology and implant dentistry,
4th edn., Blackwell Munksgaard, UK
Mohan A, Morse DE, O‘Sullivan DM, Tinanoff N (1998) The
relationship between bottle usage/content, age, and
number of teeth with mutans streptococci colonization in 6 – 24-month-old children. Community Dent
Oral Epidemiol 26: 12 – 20
National Center for Health Statistics (1999) Third National
Health and Nutrition Examination Survey, 1988 –1994.
NHANES III Healthy Eating Index Data File (Series 11,
No. 6A). Hyattsville
Tanzer JM, Thompson A, Wen ZT, Burne RA (2006) Streptococcus mutans: fructose transport, xylitol resistance, and virulence. J Dent Res 85(4): 369 –73
Theilade E, Birkhed D (1986) Diet and dental caries. In:
Thylstrup A, Fejerskov O (Eds.) Textbook of cariology.
Munksgaard, Copenhagen
Whitford GM (1996) The metabolism and toxicity of fluoride, 2nd edn. Karger, Basel
Wolf FW (2004) Epidemiologie, Epidemiologie der Gingivitis. In: Rateitschak KH, Wolf FW (Hrsg.) Farbatlanten
der Zahnmedizin 1: Parodontologie, 3. Aufl., Thieme,
Stuttgart/New York, S 79
Wood N, Johnson RB, Streckfus CF (1993) Comparison
of body composition and periodontal disease using
nutritional assessment techniques: Third National
Health and Nutrition Examination Survey (NHANES
III). J Clin Periodontol 30: 321– 327
Zimmer S (2000) Kariesprophylaxe als multifaktorielle
Präventionsstrategie. Habilitationsschrift, HumboldtUniversität zu Berlin, Berlin
936
Buch 5.indb 936
15.10.2009 11:37:06
Herunterladen