Angeborenes und erworbenes Immunsystem – wichtige Modulatoren der Tiergesundheit? Christa Kühn Leibniz-Institut für Nutztierbiologie (FBN), Institut für Genombiologie, Dummerstorf 26. Hülsenberger Gespräche, 07./08. Juni 2016, Postgenomische Ära: Die Renaissance des Phänotyps Überblick: Angeborenes – erworbenes Immunsystem Genetische Variabilität des Immunsystems und der Tiergesundheit Modulatoren des Immunsystems 3 Beispiele für Abwehrmechanismen der Nutztiere gegenüber potentiell pathogenen Faktoren Klima Viren Sozialer Stress Traumen Immunsystem Bakterien Gifte Parasiten Fütterung/ Wasser Metabole Überforderung Allergene 4 Immunsystem angeboren erworben erste Verteidigungslinie unspezifisch, schnelle Generalisten zweite Verteidigungslinie spezifisch, langsame Spezialisten Pathogen wenig spezifische Reaktion Physische Barriere Zellantwort Granulozyten Makrophagen HCl Antibiotika NK Zellen Schutz vor Invasoren spezifische Reaktion Abtöten von Invasoren B-Zellen Complement BakterienLyse Plasmazellen T-Zellen Memory B-Zellen Memory T Helfer T-Zellen Zytotoxisch Antikörper Inaktivierung von Invasoren Zelltod 5 Immunsystem Auch das angeborene Immunsystem hat ein Gedächtnis und ist semi-spezifisch Immunologisches Gedächtnis Challenge Gen-Rearrangement Memory-Zellpopulation CH3 Epigenetische Modifikation Ac von Immungenen Rechallenge P Rechallenge Zytokin Antigenabhängiger Schutz aufgrund von Memory-Zellen Verstärkte, antigenunabhängige Immunantwort Zeit Vertebraten nach Netea et al., 2015 http://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/biogas-bund-gegen-weitere-mais-und-rapsfelder--41393985.html https://origin.img.fotocommunity.com/biene-ganz-nah-2-b7c00c3e-7001-4134-b1c3-9c049d210b95.jpg?height=1080 Pflanzen Invertebraten Vertebraten 6 Überblick: Angeborenes – erworbenes Immunsystem Genetische Variabilität des Immunsystems und der Tiergesundheit Modulatoren des Immunsystems 7 Krankheitsresistenz - Begriffsbestimmung 3 Im engeren Sinn: „Angeborener, artspezifischer Zustand der Unempfänglichkeit eines Organismus für einen bestimmten Krankheitserreger“ (Lexikon der Veterinärmedizin, 2000) Im weiteren Sinn: “The capacity of an organism to defend itself against pathological processes or the agents of those processes (The Cochrane library, 2012) Auf der Ebene von: Art: Eigenschaft aller Individuen einer Art Rasse: Eigenschaft aller Individuen einer Rasse Population: Eigenschaft aller Individuen einer Population Individuum: Individuen-spezifische Eigenschaft nutzbar über Gentransfer nutzbar über Selektion 8 Zucht auf Krankheitsresistenz gegenüber pathogenen Organismen Viren (PRRV, Maedi/Visna, Leukose, Marek, Newcastle) umfangreiche Resistenzforschung Virusreplikation vom Wirt abhängig > Variation im Wirt potentiell mit mehr Effekt Bakterien (E. coli, S. aureus, Campylobacter, M. tuberculosis) aktuell wieder gestiegene Bedeutung der Resistenzforschung Hintergrund: Beschränkung des AB-Einsatzes (Resistenzen, Anwendungsbeschränkungen, Wartezeiten, Behandlungsverbote) Pilze (Candida, Aspergillus): bislang wenig beachtet Protozoen (Trypanosoma, Babesia): wenig erfolgreich trotz intensiver Forschung Endo-/Ektoparasiten (Helminthen, Zecken): wenig erfolgreich trotz intensiver Forschung zukünftig wieder neue Herausforderung in extensiven Haltungssystemen Andere (Scrapie, BSE): Selektion auf Prion-Proteingenotypen 9 Heritabilität der Krankheitsanfälligkeit bei Nutztieren 4 Tierart Merkmal Heritabilität (h2) Rind Mastitis-Inzidenz Leukose-Empfänglichkeit 0,05 – 0,09 0,08 Mrode et al., 2012 Virusmenge PRRS-Virus Postpartale Dysgalaktie 0,31 0,09 Boddicker et al., 2012 E.coli-Überlebensrate Coccidiose - Mortalität 0,17 0,10 Cavero et al., 2009 Eizahl im Kot (Parasitenresistenz) Vliesverschmutzung (Fliegenmadenresistenz) 0 - 0,25 0,31 - 0,37 Laurenson et al., 2012 Bacterial cold water disease (F.psychrophilum) Infektiöse hämatopoetische Nekrose 0,35 0,1 - 0,38 Silverstein et al., 2009 Schwein Huhn Schaf Forelle Abdalla et al., 2013 Preissler et al., 2012 Mathies et al., 1984 Pickering et al., 2012 Brieuc et al., 2016 10 log2 (Zellzahl /100000)+3 Genetischer Hintergrund für Somatische Zellzahl in der Milch SCS [kg] *** 3,5 35 3,0 30 2,5 25 20 2,0 15 1,5 10 1,0 5 0,5 0 0 Kühn et al., 2008 (n = 6) (n=6) BTA18 + BTA18 + (n = 5) (n=5) BTA18 BTA18 - Durchschnittl. tägl. Milchmenge Zellzahl 42. Tag Laktation Tag 35-42 derder Laktation 11 Variabilität des Immunsystems und der Immunantwort Genetische Variation des erworbenen Immunsystems – Beispiel Marek-Erkrankung - Beginn der Immunogenetics/-genomics: serologische Typisierung von Blutgruppen und Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) Marek-Erkrankung: aviäres Herpesvirus Down-Regulation von MHC Klasse I durch Herpes-Viren MHC-Klasse I Allele: Effekt auf Marek-Erkrankung erkrankt nicht erkrankt W.E. Briles R.K. Cole B19/B21 B19/B19 MHC-Klasse I Genotyp Briles et al., 1977 Quellen http://briles.net/drworthie.html http://www.aaap.info/assets/documents/Bio%20-%20Cole%20-%20Randall%20Knight.pdf http://www.poultrydisease.ir/atlases/avian-atlas/search/disease/502.html 12 Variabilität des Immunsystems und der Immunantwort Genetische Variation des erworbenen Immunsystems - Beispiel zell (CMIR) - und antikörpervermittelte (AMIR) Immunantwort - Holstein International 06/2016 13 Variabilität des Immunsystems und der Immunantwort Genetische Variation des erworbenen Immunsystems - Beispiel zell- (CMIR) und antikörper- (AMIR) vermittelte Immunantwort Thompson-Crispi et al., 2013 CMIR AMIR GWASAMIR h2=0.14-0.38 Thompson-Crispi et al., 2012 Thompson-Crispi et al., 2014 14 Variabilität des Immunsystems und der Immunantwort Genetische Variation des angeborenen Immunsystems Infektiöse Pankreasnekrose (IPN) beim Lachs QQ 80 60 qq 40 20 0 5 10 15 20 25 30 35 Testtag E-Cadherin IPN-Ausbrüche IPN-Ausbrüche 250 250 200 200 150 150 100 100 50 „IPN-QTL-Eier“ 0 50 Verkaufte IPN QQ-Eier (mill.) Überlebensrate % 100 Mateo et al., 2015 Moen et al., 2015 http://www.ed.ac.uk/research/impact/medicine-vet-medicine/removing-salmon-virus 15 Variabilität des Immunsystems und der Immunantwort Genetische Variation des angeborenen Immunsystems Porcine reproductive and respiratory syndrome (PRRS) Virus-Load Boddicker et al., 2012, 2014 SSC4 GWASVIRUS Guanylate binding protein 5 (GBP5) 110 a 108 106 b 104 Inflammasom 102 100 98 96 AA AB Koltes et al., 2015 b BB SNP WUR10000125 AA AB Boddicker et al., 2012,2014 Koltes et al., 2015 Kim et al., 2016 16 Variabilität des Immunsystems und der Immunantwort Genetische Variation des angeborenen Immunsystems Mastitis beim Schaf Suppressor of cytokine signalling 2 (SOCS2) Relat. Bindung Zellzahl Milchmenge SOCS2-Bindung an GHR-P 90 70 30 10 -10 mutiert 0 50 100 150 200 250 Zeit (s) Körpergewicht Rupp et al., 2015 (mod.) Wildtyp 50 Rico-Bautista et al., 2006 17 Selektion auf Immunantwort: CAVE! Auch überschießende Reaktion: COPD, Sommerräude, unerwünschte Impfreaktionen (MKS, BNP) Optimum-Selektion, noch wichtiger als für andere Merkmale: Kenntnis der Nebenwirkungen >> exakte Phänotypen & physiologische Mechanismen 18 Unerwünschte Nebenwirkungen starker Immunantwort Beispiel Bovine neonatale Panzytopenie (BNP) Tödlich verlaufende Kälbererkrankung Ausgelöst durch Kolostrumaufnahme BVD-geimpfter Mütter Genetische Prädisposition der Kühe für BNP-Kolostrum [cpm] IL8 25 Booster-Impfung 20 vor der Impfung nach der Impfung 15 10 day 0 Kalb mit klin. BNP Kalb ohne klin. BNP day14 5 0 S1 S2 S3 GH S4 Demasius et al., 2013, 2016 S5 S6 S7 S1 – S7: F2-Vollschwestern 19 Selektion auf Immunantwort: CAVE! Auch überschießende Reaktion: COPD, Sommerräude, unerwünschte Impfreaktionen (MKS, BNP) Optimum-Selektion, noch wichtiger als für andere Merkmale: Kenntnis der Nebenwirkungen >> exakte Phänotypen & physiologische Mechanismen Molekulare Mechanismen der variable Immunantwort/Krankheitsanfälligkeit oft noch unklar Unbekannte Genwirkungen und nicht annotierte Elemente im Genom: z.B. lncRNA, endogene dsRNA-Modulatoren der Immunantwort, neue Zytokine funktionale Annotation der Nutztiergenome noch sehr unzureichend, bislang meistens Fokus auf Mutationen in proteincodierenden Genen 20 Neue immunmodulierende funktionale Elemente im Genom Nicht-codierende RNAs mit immunmodulierender Wirkung lncRNAs dsRNAs lincRNA Neat1 Enriched edited regions Mannion et al., 2015 Blango & Bass, 2016 Heward und Lindsay, 2014 21 Selektion auf Immunantwort: CAVE! Auch überschießende Reaktion: COPD, Sommerräude, unerwünschte Impfreaktionen (MKS, BNP) Optimum-Selektion, noch wichtiger als für andere Merkmale: Kenntnis der Nebenwirkungen >> exakte Phänotypen & physiologische Mechanismen Molekulare Mechanismen der variable Immunantwort/Krankheitsanfälligkeit oft noch unklar Unbekannte Genwirkungen und nicht annotierte Elemente im Genom: z.B. lncRNA, endogene dsRNA-Modulatoren der Immunantwort, neue Zytokine funktionale Annotation der Nutztiergenome noch sehr unzureichend, bislang meistens Fokus auf Mutationen in proteincodierenden Genen Wechselwirkung Immunantwort – andere physiologische Regelkreise Wechselwirkung Immunantwort - Energiemetabolismus 22 Wechselwirkungen zwischen Immunsystem und Energiestoffwechsel „Gedächtniswirkung“ im angeborenen Immunsystem Modell „Trainierte“ Monozyte Impfresponse in Leukozyten Mitochondrium Weikard et al., 2015 Netea et al., 2015 23 Überblick: Angeborenes – erworbenes Immunsystem Genetische Variabilität des Immunsystems und der Tiergesundheit Modulatoren des Immunsystems 24 Modulatoren der Immunantwort Immunantwort: Spezifisch je nach Pathogen(subtyp) Spezifisch für Wirt-Pathogen-Interaktion 25 Spezifische Wirt-Pathogen-Interaktion Beispiel: Anfälligkeit gegenüber E.coli F18-Ödemkrankheit beim Schwein Erregereliminierung Darm Keine Erkrankung FUT1Gen Erkrankung Toxin-Bildung Darm Vermehrung der Bakterien Meijerink et al., 1997, 2000 26 Modulatoren der Immunantwort Immunantwort: Spezifisch je nach Pathogen(subtyp) Spezifisch für Wirt-Pathogen-Interaktion Spezifisch für Gewebe/Zelltyp 27 Zelltyp- und erregerspezifische Immunantwort MilchdrüsenEpithelzellen E.coli TNF IL1A IL1B IL6 IL10 S.aureus S.uberis nicht exprimiert CXCL2 CXCL8 CCL5 CCL20 NOS2A LAP MilchdrüsenFibroblasten E.coli S.aureus S.uberis Blutmakrophagen E.coli S.aureus S.uberis Expression 2 1 0 1 2 nicht exprimiert nicht exprimiert * : signifikante Induktion Günther et al., Vet. Res. 2016 (mod.) 28 Modulatoren der Immunantwort Immunantwort: Spezifisch je nach Pathogen(subtyp) Spezifisch für Wirt-Pathogen-Interaktion Spezifisch für Gewebe/Zelltyp Abhängig von: Alter Laktationsstand Stoffwechseltyp 29 Alters- und laktationsabhängige Immunantwort Alter Laktation c IL8 (pg/ml) 2000 b 1500 1000 500 0 a 5 Mo 11 Mo Blutzellresponse auf Impfung Different exprimierte Gene Fibroblastenresponse auf LPS-Challenge 16 Mo Green et al., 2011 Weikard et al., 2015 30 Modulatoren der Immunantwort Immunantwort: Spezifisch je nach Pathogen(subtyp) Spezifisch für Wirt-Pathogen-Interaktion Spezifisch für Gewebe/Zelltyp Abhängig von: Alter Laktationsstand Stoffwechseltyp Priming Prägung … 31 Priming der Immunantwort Beispiel LPS-Priming vor experimenteller E.coli-Infektion des Euters Petzl et al., 2012 32 Zusammenfassung Grenzen zwischen angeborenem und erworbenem Immunsystem verlaufen fließend Immunantwort ist tier-, zelltyp- und erregerabhängig Genetische Variation im angeborenen und erworbenen Immunsystem mit Effekten auf Tiergesundheit beschrieben Exakte physiologische und molekulare Mechanismen variabler Immunantwort bei Nutztieren in der Regel noch unklar Funktionale Elemente und deren Effekte auf Immunantwort in Nutztiergenomen unzureichend beschrieben Immunsystem eng verflochten mit anderen physiologischen Mechanismen (insbesondere Energiestoffwechsel) Detaillierte Kenntnis erforderlich über Haupt- und Nebenwirkungen von Maßnahmen zur Verbesserung der Tiergesundheit (Selektion, Prophylaxe) durch Immunmodulation 33 Leibniz-Institut für Nutztierbiologie FBN Wilhelm-Stahl-Allee 2 18196 Dummerstorf Kontakt Prof. Dr. Christa Kühn Telefon: Telefax: E-Mail: Internet: +49 38208 68 709 +49 38208 68 702 [email protected] www.fbn-dummerstorf.de Danke für die Aufmerksamkeit!