2. Traum von der Ferne Du bist mir fern und doch meinem Herzen am nächsten. ˇ Leos Janácek Theater und Philharmonisches Orchester der Stadt Heidelberg 1. Philharmonisches Konzert Programm 1. Philharmonisches Konzert Philharmonisches Orchester Miroslav Srnka Antonín Dvorák Š der Stadt Heidelberg Tak klid („Also Ruhe“) (2005) Symphonie Nr. 9 op. 95 „Aus der Neuen Welt“ (1893) Orgel * 11.10.06 Stadthalle Heidelberg, Großer Saal Martin Sander Dirigent Leoš Janácek Š I. Adagio Taras bulba (1915-1918) II. Largo Rhapsodie für Orchester III. Molto vivace Cornelius Meister IV. Allegro con fuoco I. Andrijs Tod Edition Bärenreiter, Kassel Editio Supraphon, Prag Artia Verlag, Prag KOMPONIST FÜR HEIDELBERG wird ermöglicht durch Ton- & Bildaufnahmen während des Konzertes sind nicht gestattet. II. Ostaps Tod III. Prophezeiung und Tod Taras Bulbas Pause 4 5 J lischen Abschied mit dem Titel Les Adieux. Mit seinem Werk Tak klid („Also Ruhe“) be- Zum Programm ginnen wir die Reihe der Philharmonischen Konzerte auch in dieser Spielzeit mit leisen Klängen. Im Mittelpunkt des Werks steht ein Brief des tschechischen Komponisten Leoš Janáček. Sein „Traum von der Ferne“ war eine fast 40 Jahre jüngere Dame, der Janáček an die tausend Briefe schrieb. Als seine Frau die Wahrheit über diese enge persönliche Bindung erfuhr, wurde das Verhältnis der Eheleute noch kälter als vorher. Srnka fängt Mit dem Thema Amerika beginnen wir unsere Spielzeit unter dem Motto „Traum von der diese Atmosphäre in seiner Musik genauso ein wie die Leidenschaften in Janáčeks Seele Ferne“, Neben Hans Zenders Oper Chief Joseph und Franz Kafkas Amerika im Schau- und schuf ein faszinierendes Orchesterwerk. spiel steht im Konzert Antonín Dvořáks berühmteste Symphonie „Aus der Neuen Welt“ Musik von Janáček selbst erklingt vor der Pause. Seine Tondichtung Taras Bulba cha- auf dem Programm. Drei Jahre lang unterrichtete der tschechische Komponist in New rakterisiert mit mächtigen Orgelklängen und dramatischen Effekten den russischen York und wurde bei Aufführungen im ganzen Land für seine Werke bejubelt. Kosakenhauptmann und seine beiden Söhne. Nach dem großen Erfolg mit Saint-Saëns’ Mit Dvořáks Werk beschäftigt sich unser neuer KOMPONIST FÜR HEIDELBERG Orgelsymphonie in der letzten Spielzeit können Sie erneut die faszinierende Voit-Orgel in Miroslav Srnka immer wieder. Er gab einen neuen Klavierauszug von Dvořáks Stabat der Stadthalle hören. Nach ihrer Einweihung 1903 wurde sie zum Vorbild für zahlreiche mater heraus und komponierte „für dessen drei verstorbene Kinder“ einen musika- europäische Konzertorgeln und 1993 von der Stadt Heidelberg aufwändig restauriert. 6 7 Miroslav Srnka ˇ Leoš Janacék * 1975 1854-1928 Der in Prag geborene Komponist studierte am Conservatoire National Supérieur de Der Sohn eines mährischen Dorfschullehrers trat zunächst in die Fußstapfen seines Musique et de Danse in Paris und an der Prager Akademie der Darstellenden Künste. Vaters, wurde jedoch schnell Musiklehrer und baute in Brünn eine eigene Orgelschule 1995 kam er für einen Studienaufenthalt nach Berlin. Srnka besuchte Kurse bei Peter auf. Seine Kompositionsstudien in Leipzig und Wien brach er ab, zu stark war ihm der Eötvös und am Pariser IRCAM, dem europäischen Zentrum für elektronische Musik. Einfluss der deutschen Kultur auf seine Heimat. Sein Anspruch einer musikalischen In seiner Musik bezieht sich der Komponist gerne auf frühere Musik seines Landes. In Wahrhaftigkeit führte zur intensiven Beschäftigung mit der Volksmusik und seiner Moldau Remixed stand Smetanas berühmtes Werk Pate. An der Berliner Staatsoper Muttersprache. Daraus gewann er eine ihm eigene Sprachmelodie, die seine Opern wurde 2005 seine Kammeroper Wall uraufgeführt. Seine Werke erscheinen im tradi- wie Jenůfa und Das schlaue Füchslein bis heute einzigartig machten. Dramatisch sind tionsreichen Bärenreiter-Verlag. auch seine Kammerwerke wie der Klavierzyklus Auf verwachsenen Pfade. 8 9 j Antonín Dvorák Miroslav Srnka: Tak klid („Also Ruhe“) 1841-1904 Der tschechische Komponist lernte als Bratscher in verschiedenen Prager Orchestern „Wenn ich überschwenglich war – dann Srnka 2004 den Leoš Janáček-Preis. Komponisten wie Franz Liszt und Richard Wagner auch als Dirigenten kennen und er- verzeih. Mein Leben wird unverändert Diese beiden Gefühlswelten des großen lebte so die Musik seiner Zeit aus nächster Nähe. Sie beeinflusste die Komposition sei- ‚lächelnd‘ weitergehen“, schrieb Leoš tschechischen Komponisten – über- ner ersten Orchesterwerke. Über die Beschäftigung mit der slawischen Musik fand er Janáček am Ende des Briefes an seine schwängliche Leidenschaft und nüch- seinen eigenen Stil, in den Slawischen Tänzen und den Klängen aus Mähren bezog er ferne Muse Kamila Stösslová, der für terne Resignation – fing Srnka in seinem sich direkt auf Themen seiner Heimat. Während seines USA-Aufenthaltes (1892-1895) Miroslav Srnka zum Ausgangspunkt Orchesterwerk musikalisch ein und lässt entstand die berühmte 9. Symphonie und auch das Te Deum, das wir im 1. Bachchor- seiner Komposition Tak klid wurde. Für uns so die Zerrissenheit eines liebenden Konzert aufführen werden. sein 2005 uraufgeführtes Werk erhielt Menschen spüren. 10 11 Der Brief, der mit den Worten „Tak klid“ und Demütigungen ihres Mannes trieben Janáček Kamila das nüchterne Alltagsle- ist aber jeweils ein ganz anderer, so dass („Also Ruhe“) beginnt, entstand zehn sie 1916 sogar zu einem Selbstmordver- ben, das jede Leidenschaft seiner Seele auch die Musik jeweils einen anderen Jahre, nachdem Janáček 1917 die fast such. verhinderte. Nur in seiner Liebe zu Kami- Eindruck hinterlässt. Beim ersten Mal vierzig Jahre jüngere Kamila kennen Zehn Jahre lang hielt Janáček in seinen la fand er die Wärme und das Vertrauen, folgt dieser Teil auf einen „hysterisch“ gelernt hatte. Sie wurde seine ferne leidenschaftlichen Briefen eine formale die er auch für seine Arbeit benötigte. überschriebenen Abschnitt und führt Liebe, der er sich in mehr als 700 Briefen Distanz aufrecht, indem er Kamila siezte. offenbarte, sie verewigte er als Aljeja in Nur ein einziges Mal reagierte die ferne Srnkas musikalische Annäherung an Musik ihren Halt verliert. Immer weiter seiner Oper Aus einem Totenhaus, ihre Geliebte auf sein „Du“ – das er ab 1927 diesen Brief wird eingerahmt von der vereinzeln die Instrumente, spielen ein gemeinsame Beziehung versteckte er im verwendete – und unterschrieb einen kalten Atmosphäre der Ehe, die am paar Takte lang ein Motiv, doch finden Streichquartett Intime Briefe. Brief mit „Deine Kamila“. Ausgerechnet Anfang und am Ende der Komposition nicht ihre musikalische Mitte geschweige Die Ehe mit seiner Frau Zdenka – der er diesen Brief fand Zdenka. Die Ehe wurde steht. Auch der Abschnitt, der in der denn einen Zusammenklang. in jungen Jahren ebenfalls viele Briefe noch kälter, der Komponist war aller- Partitur mit „Mit Energie und Enthusias- Erst liegende Töne in den mehrfach geschrieben hatte – war von Kälte und dings auch erleichtert über das Ende des mus“ überschrieben ist, taucht zweimal geteilten Streichern führen das Orches- Misstrauen gezeichnet. Mehrere Affären Versteckspiels. Am 21.5.1927 beschrieb auf. Der musikalische Zusammenhang ter wieder zusammen und lassen im 12 zum resignativen Mittelteil, in dem die 13 i Folgenden eine Leidenschaft entstehen, Leoš Janácek: Briefe an Kamila Stösslová in der sich die Streicher sogar für kurze Momente schwelgerisch nach oben schwingen. Nun hört sich der wiederkehrende Teil „mit Energie und Enthusiasmus“ ganz anders an, er leitet über zu einer kurzen, aufbrausenden Fröhlich- strahlen soviel Herzlichkeit aus und schauen Luhacovice, 16.07.1917 keit. Überschwänglich überspringen die die Welt mit soviel Güte an, daß man auch Hörner mehr als eine Oktave. Gnädige Frau! Ihnen nur Gutes und Angenehmes tun möchte. Doch mit harten Paukenschlägen setzt Betrachten Sie diese Rosen als ein Zeichen Sie ahnen nicht, wie froh ich bin, Sie kennen- die häusliche Realität der Leidenschaft meiner grenzenlosen Hochachtung für Sie. gelernt zu haben. Sie, die Glückliche! ein Ende, die „zartfühlende“ Ruhe des Sie sind in Ihrem Wesen und Ihrer Erschei- Um so schmerzhafter empfinde ich meine Anfangs kehrt wieder und lässt Janáčeks nung so liebenswert, daß einem in Ihrer Vereinsamung und mein bitteres Los. Gefühle zerrissen zurück. Gegenwart ganz leicht ums Herz wird. Sie Behalten Sie mich in guter Erinnerung, wie 14 15 auch Sie mir auf ewig unvergesslich bleiben Trotz allem Ruhm und dem großen Erfolg wie Kamila Stösslová & ihr Sohn Otto werden. zum Hohn empfinde ich mich als einen der 1917 Ihr Ihnen von Herzen ergebener unglücklichsten Menschen. Leoš Janáček Sie haben zu Hause ein warmes Nest, einen braven Mann, Kinder, ein wenig zum Ärger, Brünn, 15.4.1918 aber doch mehr zur Freude – aber ich hinge- Gnädigste! gen? [...] Gut sehen Sie aus; man merkt, dass es Ablenkung und Betäubung gewährt mir nur die Ihnen an nichts fehlt. Sie ahnen nicht, wie Arbeit, ich stürze mich in schwere Aufgaben, bedrückt mein Gemüt ist. So zu leben, so um den Menschen zu vergessen, der auch in vereinsamt, in sich selbst eingekapselt, ohne mir ist, der aber nicht so herzlich sein kann, jedwede Beziehung zur Welt, zur Umgebung wie er möchte. Das ist mein Los. [...] – lange halte ich das nicht aus. Ihr Ihnen freundschaftlich ergebener Leoš Janáček 16 mit – dem Hunderl!! Und auf die Nacht wieder wird? Du nimmst ihr nichts weg, denn das, was Dich weiter mit „Du“ anschreiben? Ich meine in mein Arbeitszimmer. Kann mir das genü- ich in Dir sehe, fehlt ihr. Ich bin glücklich, dass schon. Liebe Kamila! gen? Soll das Freude am Leben sein? meine Liebe zu Dir ausgebrochen ist. Es muss- Du bist mir fern und doch meinem Herzen am Also Ruhe. Ich, vom Wesen her ein leidenschaftlicher te geschehen. Du allein weißt das und kennst nächsten. Zdenka ist eine vorbildliche Hausfrau. Ich Mensch, suche und brauche naturgemäß eine mich deshalb wie sonst niemand. Sonne und „Steine“ wünscht Dir wollte Kinder haben nach dem Tod meiner bei- Seele voll warmer Gefühle und Anteilnahme. Für alle bin ich nur ein lächelnder Mensch, auf ewig der Deine den ärmsten – sie wollte nicht. Nachts bin ich Schicksalhaft hast Du meinen Weg gekreuzt doch warum soll ich irgendwem anvertrauen, in meinem Arbeitszimmer, morgens komme – und seither trage ich etwas in mir, was ich wie dieser weltweit anerkannte Janáček ei- ich, frühstücke, lese die Zeitung – und mache hege und pflege, woran ich mich freue. gentlich lebt? Verurteile mich, wenn Du willst. mich wieder an die Arbeit. Ist das etwas Böses, bin ich deshalb ein Wenn ich zu überschwenglich war – dann Ich komme von der Post, man isst zu Mittag, schlechter Mensch? verzeih. Meine einzige Kamila! ein bißchen Alltagsgerede. Ich gehe wieder in Das frage ich mich oft selbst. Soll ich wegen Mein Leben wird unverändert „lächelnd“ wei- [...] Ich schätze Zdenka wegen der Leiden, die mein Arbeitszimmer, gegen Abend gehe ich für der Härte des Charakters meiner Frau ein tergehen. Jeder Apfel reift ja nicht. Der meine ihr widerfahren sind, und wünsche ihr nichts 1 ½ Stunden spazieren, Nachtmahl, ich spiele Leben leben, das mir immer wieder vergällt ganz gewiss nicht mehr. Aber sag, darf ich Böses. Brünn, 21.5.1927 18 [Poststempel, Brünn 22.5.1927] 19 Hukvaldy, 8.6.1927 Ich habe ihr gesagt, [...] dass Du seit elf Jahren, Ich brauche aber die Freiheit meines Gefühls. Das ist ein Postmeister an der richtigen Stelle, Ich weiß, was Du für mich bist, was für eine was? Schutzherrin, davon hast Du keine Ahnung. Deswegen bitte ich Dich, versiegle jedes Schrei- Liebe Kamila! Beschützerin bist. Ich habe mein Herz an Dich gehängt, und bis ben und teile mir mit, mit welchem Siegel Du [...] Gestern habe ich Zdenka eröffnet, was Ich habe ihr gesagt, dass in meinen Kompo- an mein Lebensende wird mich nichts von das Wachs eindrückst. mich an Dich bindet. Es war eine rückhaltlose sitionen, dort, wo reines Gefühl, Ehrlichkeit, Dir trennen. Ich denke, ich werde es ihr so Dieses Verstecken halte ich nicht länger aus. Beichte: ich meine, sie wird verstehen. Sie hat Wahrheit, heiße Liebe herrschen, Du es bist, erklären, dass sie die paar Jahre, die mir noch Auch noch Sehnsucht verheimlichen, weshalb sich mehr vorgestellt, als überhaupt möglich was mich zu meinen innigen Melodien anregt, vergönnt sind, ruhig und glücklich leben kann. und wozu? Nur sie hält mich am Leben – und ist. Zwischen uns gibt es ja nur die schöne Du bist die Zigeunerin mit dem Kind aus dem In diesem Sinne werde ich ihr aus Hukvaldy Gott weiß, daß sie sich noch jahrelang nicht Welt, aber das, was darin schön ist, die Sehn- Tagebuch eines Verschollenen. schreiben, wohin ich am 6. Juni abreise. erfüllen wird. Das einzige „Deine“ ist nur ein süchte, Wünsche, dieses Deine, und alles, alles Du bist die arme Elina Makropulos, und Du Von Dir erwarte ich freilich noch Post nach lautloser Blitz, er hat aufgeleuchtet, aber nicht nur erdacht! bist in meinem letzten Werk der liebenswerte Brünn. [...] Dort gibt es aber einen Postmei- eingeschlagen. Wenn nur endlich Post von Dir Ich habe ihr gesagt, dass diese erdachte Welt Aljeja. Ich habe zu ihr gesagt, würde der ster, der mich gelehrt hat, wie man jeden da wäre. Die Karte ist heute angekommen, auch für mich so lebenswichtig ist wie Luft und Faden, der mich mit Dir verbindet, zerrissen, beliebigen Brief öffnen kann. habe ich mich gefreut, Deinen Buben zu sehen. Wasser. dann würde mein Lebensfaden zerreißen. Ich 20 ohne davon zu wissen, in jeder Hinsicht meine 21 G glaube, sie wird das alles verstehen, zumal das Rätsel unserer elf Jahre! Leoš Janácek: Taras Bulba Antwort verlange ich keine von ihr, denn anders, als ich die 11 Jahre lang gelebt habe, anders kann ich nicht leben. Und jetzt frage ich Dich ernstlich, warum schreibst Du nicht? Erst als sich 1915 die Hoffnung auf einen selbst noch auf dem Scheiterhaufen Dein auf ewig eigenständigen tschechischen Staat festhielt. Mit seiner Musik ermunterte nährte, griff Leoš Janáček auf einen zehn Janáček die Streitkräfte seines Landes, Jahre alten Plan zurück, Nikolaj Gogols denen er das Werk 1924 zueignete, weil Novelle über den Kosakenhauptmann „sich auf der ganzen Welt keine Feuer- Taras Bulba zu vertonen. Er bewunderte flammen, keine Folterqualen finden, die dessen unauslöschlichen Glauben an den imstande wären, die Kraft des russischen Sieg des russischen Volkes, woran Taras Volkes zu vernichten.“ Leoš Janácek, ˇ Portrait von F. Rubeš 23 Den eisernen Kampfeswillen Taras verraten hat. Deshalb ist der Vater im Bulbas komponierte Janáček in einer ersten Satz, der Andrejs Tod erzählt, mit mächtigen Schlussapotheose, deren seinem bedrohlichen Thema der Posau- gravitätischer Orchesterklang durch nen, Tuba und tiefen Streicher musika- lange Orgelakkorde eine zusätzliche lisch auch schon anwesend. Steigerung erfährt. Auch sonst ist diese Die Figur Taras Bulba steht im Zentrum Rhapsodie, wie der Komponist sein Werk der dreisätzigen Tondichtung, auf seine nannte, nicht frei von Effekten. Mit drei Prophezeiung und seinen Tod laufen die kurzen Schlägen wird Ostap, der ältere beiden ersten Sätze hin, die jeweils dem von Taras’ beiden Söhnen, am Ende Tod eines Sohnes gewidmet sind. Im er- des zweiten Satzes von den befeindeten sten Satz gibt Janáček der Liebe Andrejs Polen getötet. Den jüngeren Andrej tötet den größten Raum. Ein süßes Thema der Vater selbst, weil er in seinen Augen von Englischhorn und Oboe schwärmen Gerhard Frommel vom Glück der beiden Liebenden, die sein Volk durch die Liebe zu einer Polin 24 Plakat des „Taras Bulba“-Films 1962 sich mitten im Kriegsgetümmel ihrer einfallenden Licht im Altarraum über- Donners an und verstummte plötzlich. entgegen. Später taucht es in den tiefen Liebe hingeben: „Von überirdischen wältigen lässt: „Nicht ohne Bestürzung Und lange noch hallten die grollenden Streichern wieder auf und wird den Gefühlen erfüllt, küsste Andrej diese blickte Andrej aus seinem dunklen Win- Tönen zitternd in den Gewölben nach, aufgeregt suchenden Geigen entgegen- süßen Lippen, die sich an seinen Wangen kel auf das Wunder, welches das Licht und mit halbgeöffnetem Mund gab sich gesetzt. Sie durchkämmen gemeinsam geschmiegt hatten, und diese Lippen hier bewirkt hatte. In diesem Augenblick Andrej der gewaltigen Musik hin.“2 Wie mit Taras Warschau auf der Suche nach ließen ihn nicht ohne Erwiderung. Sie durchbrauste der mächtige Ton der Or- aus einer fernen Welt taucht bei Janáček dem entführten Ostap. Nach dessen Hin- gaben seine Liebkosungen zurück, und gel die ganze Kirche, er schwoll stärker im ersten Satz die Orgel im Pianissimo richtung schwört der Vater Rache und in diesem gegenseitigen, ineinander- und stärker an, wurde endlich zu einem auf und verschwindet ebenso mysteriös entfacht einen fürchterlichen Krieg, von schmelzenden Kuss empfanden beide, gewaltigen Donner und löste sich mit wieder – ganz im Gegensatz zum mäch- dem Janáček aber kaum erzählt. was den Menschen nur einmal im Leben einemmal wieder in himmlische Musik tigen Orgelklang am Ende des Werkes. Der Rachezug des Vaters wird erst nach auf und schwebte hoch bis zur Wölbung Mit einer völlig anderen Klangsprache vielen Jahren gestoppt und mit dem Tod Andrej ist bei Gogol im Gegensatz zu empor, sie mit zarten Tönen erfüllend, charakterisiert Janáček Andrejs Bruder bestraft. Seinem aus dem ersten Satz seinem kriegslustigen Bruder ein Träu- die an eine Mädchenstimme erinnerten; Ostap. Den Harfenarppegios setzt er ein bekannten Thema folgt die optimistische mer, der sich auch in einer Kirche vom dann schwoll er wieder zum Brüllen des scharfes, hackendes Motiv der Geigen Schlusswendung mit ihrem Bekenntnis zu empfinden vergönnt ist.“ 1 26 27 zur Kraft des russischen Volkes, wie es dafür konnte sich Janáček über 5000 Kro- Taras mit Moment des Todes ausruft: „Es nen für den jährlich vergebenen tsche- wird sich im russischen Lande ein Zar er- chischen Staatspreis freuen. k Antonín Dvorák: Symphonie Nr. 9 heben, und es wird auf der ganzen Welt keine Macht geben, die sich ihm nicht beugen müsste!“3 Im Konzertsaal hatte Janáčeks Werk zu- Dvořáks Symphonie „Aus der Neuen Welt“ klingt fröhlich und munter, voller energie- nächst keine große Durchsetzungskraft. geladener Aufbruchsstimmung, in der sich der tschechische Komponist in seiner neuen Nachdem er die Partitur der endgültigen Umgebung befand. Im Oktober 1892 kam er mit seiner Frau nach New York und ließ Fassung 1918 abgeschlossen hatte, kam sich von der Lebendigkeit dieser Stadt mitreißen: „New York ist eine riesige Stadt, fast es erst im Oktober 1921 in Brünn zur 1 Uraufführung, weitere drei Jahre dauerte Wien, München, Basel 1958, S. 321. über sehr bunt und lebhaft, und es scheint, dass es uns hier gut gehen wird“, schrieb er es bis zur Prager Erstaufführung. Die 2 Ebd., S. 311f. in einem Brief gleich nach der Ankunft.1 Schon wenige Wochen später entstanden die Universal Edition lehnte das Werk ab, 3 Ebd., S. 384. ersten Skizzen für die 9. Symphonie. 28 Nikolaj Gogol: Tarass Bulba, in: Ders.: Werke, wie London, das Leben auf den Straßen ist vom Morgen an und fast die ganze Nacht 29 Dvořák war als Künstlerischer Direktor des National Conservatory of Music of America Sprache. Doch der Komponist schuf seine eigenen Melodien und verzichtete auf direkte berufen worden. Entsprechend hoch waren die Erwartungen, die an den tschechischen Zitate: „Ich habe einfach originelle Themen geschrieben, ihnen das Eigenartige der Ne- Komponisten gestellt wurden, der gar als „Retter“ willkommen geheißen wurde: „Die ger- oder Indianermusik einverleibt und, indem ich diese Themen verwendete, habe ich Amerikaner erwarten große Dinge von mir, und die Hauptsache sei, dass ich ihnen sie mit allen Errungenschaften der modernen Rhythmik, Harmonisierung, des Kontra- den Weg in das gelobte Land und das Reich der neuen selbständigen Kunst weise, kurz punkts und der orchestralen Färbung zur Entwicklung gebracht.“3 gesagt, eine Nationalmusik zu schaffen!!“2 Elegant entwickelt Dvořák das schwungvolle erste Thema aus einem spannungsgela- Bei einem Kompositionswettbewerb, für den die Präsidentin des Konversatoriums denen Adagiobeginn. Die Hörner reichen ihr strahlendes Thema an die anderen Instru- opulente Preise ausgeschrieben hatte, lernte Dvořák die Musik der Einheimischen und mente weiter und verstreuen es damit über das gesamte Werk. So entwickelt sich die damit auch deren indianische Wurzeln kennen. Er beschäftigte sich zunehmend mit ganze Symphonie mit den drei Themen des ersten Satzes, die in jedem der folgenden Volksliedern und deren Verarbeitungen durch junge Komponisten und erwog sogar die Sätze kurz hereinlächeln und alle Teile der Symphonie zu einem geschlossenen Meister- Komposition einer Oper nach dem Indianer-Epos Song of Hiawatha. werk verbinden. Doch Dvořák entschied sich für eine große Symphonie, in der er seine neuen Erfah- Sicher auch wegen seines innigen zweiten Satzes, in dessen verträumtem Largo die rungen künstlerisch verarbeitete. Punktierte Rhythmen und Pentatonik – die den Oktav- Musik ganz bei sich selbst zu sein scheint, wurde Dvořáks Symphonie schon bei der raum mit fünf Stufen statt der europäischen sieben ausfüllt − sprechen eine indianische Uraufführung euphorisch bejubelt und trat einen Siegeszug durch das ganze Land an. In 30 31 einem Brief zitiert der Komponist eine New Yorker Kritik: „Warum ist dieser Dvořák nicht Dirigent schon eher hierher gekommen, wenn er hier in Amerika eine solche Musik zu schreiben vermag.“4 Davon war Dvořák auch selbst überzeugt, bezeichnete er doch diese Symphonie Cornelius Meister gemeinsam mit dem F-Dur-Quartett und dem Es-Dur-Quintett, die ebenfalls in Amerika entstanden, als seine „besten und originellsten“ Werke. Dvořák verbrachte drei Jahre in den Vereinigten Staaten und kehrte dann nach Prag zurück, um seine Kinder wieder um sich zu haben und seine kranke Großmutter zu pflegen. Mit seiner letzten Symphonie wurde sein Aufenthalt in den USA weltberühmt. Deutschlands jüngster Generalmusikdirektor wurde 1980 geboren und studierte Klavier und Dirigieren in seiner Heimatstadt Hannover bei Konrad Meister, Zvi Meniker, Martin 1 Dvořák an Antonín Rus, 01.10.1892, in: Smetana – Dvořák – Janáček. Musikerbriefe, hg. von Peter Demetz u. a., Brauß und Eiji Oue sowie in Salzburg bei Dennis Russell Davies und Karl Kamper. München 2003, S. 259. Gemeinsam mit seine Klarinettenpartner Clemens Trautmann gewann er 2000 den Preis 2 Dvořák an Josef Hlávka, 27.11.1892, in: ebd., S. 263. der Deutschen Stiftung Musikleben beim Deutschen Musikwettbewerb und den För- 3 Zit. nach: Dvořák: 9. Symphonie e-Moll. Vorwort der Partitur, Prag 1955, S. VIII. derpreis des Schleswig Holstein Musik Festivals. Als Pianist trat er u. a. im Leipziger Dvořák an Alois Göbl am 27.1.1894, in: Smetana – Dvořák – Janáček, a. a. O., S. 286. Gewandhaus, der Beethovenhalle in Bonn sowie beim Rheingau Musikfestival, dem 4 32 33 Verbier Festival und dem Ravinia Festival in Chicago auf. Neben zahlreichen Rund- Orgel Er konzertiert weltweit in vielen bedeutenden Kirchen und Sälen, darunter in funk- und CD-Einspielungen brachte er Werke von Hans Zender und Hitomi Kaneko zur Martin Sander Uraufführung. den Domen zu Passau, Wien, Helsinki und Als einziger Dirigent wurde Cornelius Meister von einer hochrangigen Jury unter der Trondheim, der Philharmonie Berlin, dem Vorsitzender Jutta Limbach als einer von Deutschlands „100 Köpfen von morgen“ ausge- Herkulessaal München, dem Dvořák-Saal wählt. Prag sowie in Moskau, Tokio und São 2001 wurde er Assistent des Generalmusikdirektors am Theater Erfurt, im darauffol- Paulo. Auf namhaften Festivals wie dem genden Jahr debütierte er an der Hamburgischen Staatsoper, wo er zahlreiche Opern- Bach-Fest Stuttgart, dem Prager Frühling, vorstellungen dirigierte. Ab 2003 war er als Kapellmeister an der Staatsoper Hannover dem Festival Toulouse-les-Orgues war er engagiert. Als Assistent von Pierre Boulez wirkte er bei der Parsifal-Neuproduktion zu erleben. Zahlreiche Werke spielte er der Bayreuther Festspiele 2004 mit. In dieser Spielzeit ist er u. a. zu Gast an den Staats- Der gebürtige Berliner studierte Orgel für den Rundfunk und auf CD ein. Er ist opern Hamburg und Stuttgart. In Heidelberg dirigiert er Hans Zenders Oper Chief und Klavier an der Hochschule für Musik Professor an der Heidelberger Hochschu- Joseph und Madama Butterfly und wird beim 3. Philharmonischen Konzert im Dezem- und Theater Hannover, zahlreiche Mei- le für Kirchenmusik und erteilte Meister- ber Franz Liszts 1. Klavierkonzert gleichzeitig spielen und dirigieren. sterkurse rundeten seine Ausbildung ab. kurse u. a. in Prag, Seoul und Sao Paulo. 34 35 Besetzung U Philharmonisches Orchester der Stadt Heidelberg 1. Violine Kazimierz Konarkowski Na-Sung Lee* Thierry Stöckel Christian Schurmann Natalia Mitscher Ernst Wolfram Winterberg Kenneth Neumann Die Philharmoniker werden seit 05_06 von Cornelius Meister geleitet und prägen seit Isabel Schneider 2. Violine über hundert Jahren mit zahlreichen Opernvorstellungen und Konzerten das Musikle- Mayumi Hasegawa Eleonora Plotkina Viola ben der Stadt. Familienkonzerte und das Schulprojekt „Musik erleben“ bringen jungen Lisa Nielsson Nicole Streichardt Andreas Bartsch Menschen die Musik nahe. Regelmäßig gastieren die Philharmoniker im In- und Aus- Joachim Groebke Lucian Derendorf Horst Düker land, zuletzt in Ravenna und beim Rheingau Musik Festival. Weltbekannte Dirigenten Mahasti Kamdar Rolf Mitschke Thomas Wolf und Solisten wie Rudolf Barschai und Gidon Kremer musizierten mit dem Orchester. Tetyuya Mogitate Lilija Kissler Christoff Schlesinger Der ehemalige Generalmusikdirektor Mario Venzago machte das Orchester mit erfolg- Caroline Korn Ludwig Dieckmann Elsabe Marquardt reichen Konzerten überregional bekannt und ist ihm bis heute verbunden. Unmittelbare Gabriele Köller Rie Tanaka Atsuko Matsuzaki* Vorgänger von Cornelius Meister waren Volker Christ, der viele Jahre als Kapellmeister Katja Schott* Janetta Grichtchouk Eva Schindel am Haus arbeitete, und Thomas Kalb, der elf Jahre lang das Orchester prägte. Philipp von Piechowski Yesol Ki* Susanne Trägner-Born 36 37 Emil Kiossev Kontrabass Oboe Fagott Trompete Pauke / Schlagzeug Naomi Ogino Michael Schneider Matthias Friederich Hitomi Wilkening Fred Frick Klaus Wissler Thomas Acker Christine Bender Gerhard Mährlein Robert Schweizer Peter Klinkenberg Violoncello Gerd Marzona Sandra Seibold Mitsuo Kodama Martin Hommel Gregory Riffel Reimund Korupp Michael Feiertag Hans Schafft Mark Beers Klarinette Horn Posaune Christian Delacroix Martin Lichtmann Sascha Stinner Heinrich Lohr Melanie Lüghausen Harfe Heribert Eckert Bernd Frelet Damian Schneider Walli Kossakowski Detlef Mitscher Ulrich Michel Marek Janicki Christoph Habicht Nicole Hartig David James Kim* Flöte Elina Palitskaya Konrad Metz Katrin Heintze Yvonne Anselment Tuba Elmar Bringezu Thomas Matt Judit Tigyi 38 39 * Praktikant/in Impressum Herausgeber: Theater und Philharmonisches Nicht namentlich gekennzeichnete Texte sind Orchester der Stadt Heidelberg Originalbeiträge von Olaf A. Schmitt. Intendant: Peter Spuhler Verwaltungsleiterin: Andrea Bopp Internet: www.heidelberger-philharmoniker.de Redaktion: Olaf A. Schmitt www.theaterheidelberg.de Gestaltung: atelier september Herstellung: abcdruck GmbH, Heidelberg Anzeigen: Greilich / Neutard Theater und Philharmonisches Orchester der Stadt Heidelberg Nachweise Abbildungen: Günter Bartoš (S. 8) Texte: Smetana – Dvorák ˇ – Janácek. ˇ Musikerbriefe, hg. von Peter Demetz u. a., München 2003. N Jetzt ein Abo sichern! Ein Abonnement ist die bei Weitem günstigste und einfachste Möglichkeit, um ins Konzert zu gehen! Und wenn Sie mal keine Zeit haben, gehen Sie mit Ihrer Abo-Karte stattdesssen in die Städtische Bühne! 06_07, Programmheft Nr. 03 Der Verkauf läuft! HeidelbergTicket 06221.5820000