DFP-Literaturstudium state of the art AngstErkrankung 1 Obwohl Angsterkrankungen zu den häufigsten Erkrankungen gehören, suchen die Patienten oft keine professionelle Hilfe. Im medizinischen Setting werden sie auch häufig nicht als Patienten mit einer Angststörung erkannt. Von Siegfried Kasper und Angela Heiden* Aktuelle Entwicklungen Die von den Patienten geschilderten körperlichen Symptome (Tab. 1) führen oft zu einer notwendigen somatischen Abklärung zum Ausschluss einer körperlichen Erkrankung (Tab. 7), jedoch ohne entsprechende weiterführende psychiatrische Behandlung. Vom amerikanischen Begriff “disorder” abgeleitet, werden diese Erkrankungen als Angststörungen bezeichnet. Sie sollten dem Patienten gegenüber jedoch besser als Angsterkrankungen dargestellt werden. Während die spezifische Phobie (Angst vor Objekten, zum Beispiel vor Tieren oder Höhen) am häufigsten (zehn Prozent) in der Gesamtbevölkerung vorkommt, führen die Panikstörung (zwei bis sechs Prozent), die generalisierte Angststörung (sieben Prozent) und die soziale Phobie (2,5 Prozent) öfter zur Behandlung. 15 bis 20 Prozent der Patienten, die zum Hausarzt kommen, leiden an psychischen Störungen; bei mindestens einem Drittel von ihnen kann eine Angststörung diagnostiziert werden. Charakteristisch ist der Verlauf der Angsterkrankungen im Bezug auf das Lebensalter: Angsterkrankungen beginnen meist um das 20. Lebensjahr und gehen später zum Teil in Depressionen über. Angsterkrankungen und Depressionen 4 • 25. Februar 2004 DFP-Literaturstudium Körperliche Symptome bei Angststörungen Kardiovaskulär: Schmerzen und Druck auf der Brust, Herz: klopfend, stolpernd, rasend; Missbehagen, Palpitation, beklemmender, beschleunigter Herzschlag Neurologisch: Zittern oder Beben Benommenheit, Schwindel Gefühl der Unsicherheit, Ohnmachtsgefühl Taubheit, Kribbelgefühle "Weiche Knie" Gastrointestinal: Schluckbeschwerden Epigastrische Beschwerden Übelkeit Durchfall Respiratorisch: Beklemmungsgefühl Kurzatmigkeit, Erstickungsgefühl Andere Symptome: Starker Schweiß, Hitzewallungen oder Kälteschauer Tab. 1 Körperliche/toxische Ursachen von Angstsyndromen* haben eine hohe Komorbidität, in etwa 60 bis 80 Prozent der Fälle treten beide gleichzeitig auf. Krankheitsbilder Kardiovaskulär: Arrythmien, Hypertonie, Angina pectoris, Myokardinfarkt, Synkope (vielfache Ursachen), Herzklappenfehler, Hypovolämie, Kollaps (Schock) Diätetisch: Koffeinüberdosierung, Natriumglutamat ("China-Restaurant-Syndrom"), Kombination von irreversiblen Monoaminooxidase-Hemmern (MAO-Hemmer) und tyraminhaltigen Speisen, Vitaminmangelkrankheiten Medikamentös: Akathisie, Überdosierung von Anticholinergika, Überdosierung von Digitalis-Präparaten, Halluzinogene, Hypotensiva, Stimulantien (Amphetamine, Kokain und verwandte Medikamente), Entzugssyndrome (Alkohol, Sedativa-Hypnotika) Hämatologisch: Anämien Unter den in Tab. 2 aufgelisteten Angsterkrankungen sollen hier die Panikstörung (mit oder ohne Agoraphobie), die generalisierte Angststörung, die soziale Phobie und die spezifische (Isolierte) Phobie näher besprochen werden, da diese wahrscheinlich die größte praktische Bedeutung haben. Für die Panikstörung wurden früher auch die Begriffe episodische paroxysmale Angst sowie Herzphobie beziehungsweise Herzneurose verwendet. 4 • 25. Februar 2004 Immunologisch: Anaphylaxie, systemischer Lupus erythemathodes Metabolisch: Überfunktion der Nebennieren (Cushing Syndrom), Hyperkalzämie, Hyperkaliämie, Hyperthermie, Hyperthyreose, Hypokalzämie, Hypoglykämie, Hyponatriämie, Hypothyreose, klimakterische Symptome, Porphyrie (akute, intermittierende), Thyreotoxikose Neurologisch: Enzephalopathie (infektiös, metabolisch und toxisch), essentieller Tremor, Temporallappenepilepsie, intrakranielle Massenblutung, Schwindel, Syndrom nach Commotio Respiratorisch: Chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Pneumonie, Pneumothorax, Lungenödem, Lungenembolie Sezernierende Tumore: Karzinoid, Insulinom, Phäochromozytom * nach Rosenbaum 1979 Tab. 7 state of the art © CORBIS INT. Abb. 1 2 DFP-Literaturstudium Leitmerkmale sind Panikattacken (Angstanfälle), das heißt einzelne Episoden (Dauer meist zwischen einer und 60 Minuten) von intensiver Angst oder Unbehagen, die selten vollständig, aber immer mit einem Teil der in Tab. 3 beschriebenen körperlichen Symptome einhergehen. Die Panikattacken treten unerwartet und schnell anflutend auf, das heißt sie steigern sich in ihrer Intensität innerhalb von zehn Minuten, nachdem das erste Symptom bemerkt wurde. Um die Diagnose einer Panikstörung nach ICD-10 stellen zu können, müssen innerhalb eines Monats mehrere schwere Panikattacken (Angstanfälle) mit psychischen und körperlichen (vegetativen) Symptomen aufgetreten sein. Die Panikstörung geht meist mit einer Agoraphobie einher. Diese ist dadurch charakterisiert, dass Situationen gemieden werden, bei denen eine Flucht nicht oder nur schlecht möglich ist. Der lateinische Begriff Agoraphobie bezeichnet, ausgehend von der angloamerikanischen Literatur, sowohl weite Plätze als auch enge Situationen (zum Beispiel Aufzug), wofür früher der Begriff Klaustrophobie verwendet wurde. Bei einer schwereren Ausprägung einer Agoraphobie und Panikstörung besteht eine schlechtere Prognose. state of the art Wie bei anderen Angsterkrankungen besteht bei der Panikstörung eine hohe Komorbidität (bis zu 80 Prozent) mit Alkohol- und/oder Medikamentenmissbrauch, im späteren Lebensalter auch mit Depression. Die generalisierte Angststörung, früher auch als Angstneurose bezeichnet, ist nicht durch attackenartige Angstzu- 3 Diagnose* nach ICD-10 F 40 Phobische Störung F40.0 Agoraphobie .00 ohne Panikstörung .01 mit Panikstörung F40.1 Soziale Phobie F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien F41 Andere Angststörung F41.0 Panikstörung F41.1 Generalisierte Angststörung F41.2 Angst und depressive Stimmung, gemischt F42 Zwangsstörung F42.0 Vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang F42.1 Vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale) F42.2 Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen F43.0 Akute Belastungsreaktion F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung F43.2 Anpassungsstörungen .20 Angst und depressive Reaktion, gemischt * Diagnostische Klassifikation der Angststörungen, Zwangsstörung sowie der Reaktionen auf schwere Belastungen und der Anpassungsstörungen nach ICD-10. Tab. 2 stände sondern durch gleichmäßig über den Tag auftretende Angstzustände charakterisiert, die über mehrere Wochen und dabei an den meisten Tagen auftreten. Die generalisierte Angststörung sollte dann diagnostiziert werden, wenn monatelang andauernde Ängste, Sorgen und Befürchtungen bestehen, die im Zusammenhang mit körperlicher Unruhe, Schlafstörungen, der Unfähigkeit sich zu entspannen sowie weiteren vielfältigen Symptomen wie beispielsweise Schwitzen, Herzrasen, Magenbeschwerden, Übelkeit, Erstickungsgefühle und Schwindel, stehen (siehe Tab. 4). Diagnostische Leitlinien der Panikstörung nach ICD-10 Die soziale Phobie wurde früher als soziale Neurose, Anthropophobie bzw. Erythrophobie bezeichnet und findet in der neuen Literatur auch unter dem Begriff soziale Angststörung (SAS) Beachtung. Eine soziale Phobie (siehe Tab. 5) liegt dann vor, wenn sich die Symptomatik auf unangemessene Angst vor prüfender beziehungsweise potenziell negativer Betrachtung/Bewertung durch andere Menschen bezieht. Die Angst muss auf soziale Situationen beschränkt sein oder darin überwiegen. Zur Diagnosestellung ist des Weiteren wichtig, dass die phobische Situation vermieden wird und vegetative Symptome der Angst auftreten, sowie dass die Symptomatik nicht auf Wahn- oder Zwangsgedanken zurückzuführen ist. Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein: 1) Auftreten von mehreren schweren Panikattacken (Angstanfällen) mit körperlichen (vegetativen) und psychischen Symptomen. 2) Zeitkriterium: Die Panikattacken müssen innerhalb eines Zeitraums von einem Monat aufgetreten sein. 3) Die Panikattacken treten in Situationen auf, in denen keine objektive Gefahr besteht. 4) Die Panikattacken sind nicht auf bekannte oder vorhersagbare Situationen begrenzt. 5) Zwischen den Panikattacken müssen weitgehend angstfreie Zeiträume liegen (Erwartungsangst ist jedoch häufig). 6) Spezifische Ausschlussdiagnosen: Fehlen einer Phobie (insbesondere der Agoraphobie). Bei Vorliegen einer Agoraphobie hat diese die höhere diagnostische Priorität. Beim Vorliegen einer depressiven Störung sollte eine Panikstörung nicht als Hauptdiagnose erscheinen. Tab. 3 Man unterscheidet quantitativ und qualitativ zwei Subtypen: Bei der nichtgeneralisierten Form bestehen die Probleme vorwiegend in sozialen Leistungssituationen, zum Beispiel in der Öffentlichkeit reden, essen oder trinken. Die Probleme treten in höchstens zwei Situationen auf. Bei der generalisierten Form ist vorwiegend die soziale Interaktion betroffen und damit ein Großteil der Lebensführung. In der Praxis sind etwa 80 bis 90 Prozent der Patienten dem generalisierten Subtyp zu- 4 • 25. Februar 2004 DFP-Literaturstudium Diagnostische Leitlinien der Generalisierten Angststörung nach ICD-10 Wichtigste Symptome Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein: 1) Zeitkriterium: Auftreten von primären Symptomen der Angst an den meisten Tagen, mindestens mehrere Wochen lang. 2) Symptomatik: In der Regel treten folgende Einzelsymptome auf: 2.1) Befürchtungen (Sorge über zukünftiges Unglück, Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten usw.) 2.2) Motorische Spannung (körperliche Unruhe, Spannungskopfschmerz, Zittern, Unfähigkeit sich zu entspannen) 2.3) Vegetative Übererregbarkeit (Benommenheit, Schwitzen, Tachykardie oder Tachypnoe, Oberbauchbeschwerden, Schwindelgefühle, Mundtrockenheit etc.) 3) Spezifische Ausschlussdiagnosen: Es dürfen nicht die vollständigen Kriterien der depressiven Episode (F32), phobischen Störung (F40), Panikstö-rung (F41.0) oder Zwangsstörung (F42) erfüllt sein. Tab. 4 state of the art zuordnen. Bei der spezifischen (isolierten) Phobie hat der Patient anhaltende Angst vor einem bestimmten Objekt, zum Beispiel vor einem Tier oder einer bestimmten Situation, beispielsweise vor dem Fliegen. Die Angst vor einer Panikattacke sollte ausgeschlossen sein. Dann sollte im Sinn der antizipatorischen Angst die Diagnose einer Panikstörung gestellt werden. In der Literatur wird eine große Anzahl von Termini verwendet, wenn die Phobie auf verschiedene Objekte bezogen ist, zum Beispiel Kynophobie (Angst vor Hunden), Ailurophobie (Angst vor Katzen), Akrophobie (Angst vor Höhen), Aichmophobie (Angst vor spitzen Gegenständen), Brontophobie (Angst vor Donner), Aquaphobie (Angst vor Wasser). Nach ICD-10 handelt es sich dabei um eine spezifische (isolierte) Phobie. 4 Während die amerikanische Literatur die Zwangsstörung ebenso zu den Angsterkrankungen zählt, ist dies nach ICD-10 nicht der Fall. Aus Platzgründen wird in dieser Übersichtsarbeit auf die Zwangsstörung nicht eingegangen. Dabei tritt das Symptom der Angst auf, wenn rituelle Handlungen beziehungsweise zwanghafte Gedanken nicht ausgeführt oder gedacht werden können. Die posttraumatische Belastungsstörung wird sowohl von der amerikanischen Klassifikation (DSM-IV-TR) als auch von ICD-10 zu den Angststörungen gezählt. Die auftretende Situation folgt dem Trauma mit einer Latenz von Wochen bis Monaten (jedoch selten länger als sechs Monate). Das traumatisierende Ereignis muss von außergewöhnlicher Schwere und für das Individuum im Lebensplan unvor- stellbar sein. Es folgen unausweichliche Erinnerungen oder Wiederinszenierungen des Ereignisses in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen. Die Symptomatik besteht sowohl in emotionalem Rückzug, Gefühlsabstumpfung, vegetativen Störungen, Vermeidung von Reizen, die eine Wiedererinnerung an das Trauma hervorrufen können sowie in ausgeprägter Angstsymptomatik. Es besteht die Gefahr der Chronifizierung, dabei geht die Störung in eine anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung (ICD-10: F62.0) über. Hauptmerkmale der Angststörungen sind sowohl psychische als auch körperliche (siehe Tabelle 1) Manifestationen von Angstsymptomen (siehe Tabelle 6) sowie das Vermeidungsverhalten. Während bei der Panikstörung und der generalisierten Angststörung die Angst das dominierende Symptom darstellt, herrscht bei den Phobien das Vermeidungsverhalten vor, da bei phobischen Störungen die Angst bei der Konfrontation mit auslösenden Objekten beziehungsweise Situationen auftritt. Die körperlichen Symptome bei Angststörungen können unter anderem zu umfangreichen organmedizinischen Abklärungen führen, die nach der Diagnose einer Angsterkrankung zwar in einem sinnvollen Ausmaß begonnen aber nicht ausschließlich durchgeführt werden sollten. Diagnose Die Diagnose der Angsterkrankungen wird heute nach ICD-10 gestellt. In Tab. 2 und 3 sind die diagnostischen Leitlinien nach dieser internationalen Klassifikation für die Panikstörung und generalisierte Angststörung zusammengefasst. Dabei müssen die angeführten Kriterien erfüllt sein. Charakteristika der Sozialen Phobie 1. Kognitiv Unangemessene Gedanken und Vorstellungen über soziale Situationen, zum Beispiel: “Mir wird nichts einfallen, ich bin ein Versager, die anderen werden mich auslachen, etc.” 2. Verhalten “Einfrieren”, Vermeiden, zum Beispiel: Vermeiden von Blickkontakt, Schwitzen, Flucht, ungeschicktes Verhalten 3. Körperlich Tachykardie, Zittern, Kurzatmigkeit, Schwitzen, Magen-/Darm-Beschwerden; Muskelverspannungen, Mundtrockenheit, Erröten Tab. 5 Psychische Symptome bei Angststörungen Angstsymptome: Überwältigende Furcht, Schrecken, Angst schlechthin Angst, zu sterben Angst, die Kontrolle zu verlieren Angst, verrückt zu werden Depersonalisation: Gefühl, vom Körper losgelöst zu sein oder weg vom Körper zu schweben Derealisation: Alles erscheint unwirklich, verändert, wie im Traum oder wie ein Albtraum Tab. 6 4 • 25. Februar 2004 DFP-Literaturstudium Differenzialdiagnose Die psychiatrische Differenzialdiagnose der Angsterkrankungen besteht gegenüber den verschiedenen Angsterkrankungen selbst und gegenüber anderen psychiatrischen Erkrankungen. Es stellt sich dabei am häufigsten die Differenzialdiagnostik von Depression und Angst. Während bei der Depression vorwiegend die Angst vor der Zukunft im Vordergrund steht, ist bei der Panikstörung die Angstattacke beziehungsweise die Angst vor der Angst (antizipatorische Angst), bei der generalisierten Angststörung die anhaltende Angstsymptomatik und bei der speziellen Phobie die Angst vor einem speziellen Objekt von diagnostischer Bedeutung. Die in der Praxis wichtigen Fragen zur Erkennung der verschiedenen Angsterkrankungen sind in Tab. 8 angeführt. Therapie state of the art Es stehen sowohl pharmakologische als auch nicht-pharmakologische Methoden für die Behandlung der Angststörungen zur Verfügung. Bei der Panikstörung, der generalisierten Angststörung und der sozialen Phobie konnten sowohl mit pharmakologischen als auch mit nicht-pharmakologischen Methoden (sinnvollerweise in Kombination) gute Erfolge erzielt werden. Bei der Behandlung einer spezifischen Phobie haben sich vor allem nicht-pharmakologische Behandlungsmethoden bewährt. 5 Bei den nicht-pharmakologischen Therapien stehen neben der besonders wichtigen pädagogischen Aufklärung über Art und Natur der Erkrankung sowie der Beratung zum Lebensstil (zum Beispiel Verzicht auf Koffein, ausreichende körperliche Betätigung und Ein- Medikamentöse Behandlung bei Angststörungen Substanz Benzodiazepine Alprazolam Chlordiazepoxid Clonazepam Diazepam Lorazepam Oxazepam Dosierung Anfang der Therapie (mg) Tagesdosierung nach Einstellung1(mg) 0.25 - 0.5 5 0.5 - 1 2 1 10 0.75 - 10 15 - 100 1-8 4 - 40 2-6 30 - 40 Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) Escitalopram 5 - 10 Citalopram 10 - 20 Fluoxetin 10 - 20 Fluvoxamin 25 - 50 Paroxetin 10 - 20 Sertralin 25 - 50 10 - 20 20 - 40 20 100 - 150 20 - 40 50 - 100 Duale Antidepressiva Venlafaxin 100 - 300 50-100 Non-Benzodiazepin Anxiolytikum Buspiron 5 - 10 15 - 60 Trizyklische Antidepressiva Clomipramin2 Imipramin 25 - 50 25 - 50 75 - 300 75 - 300 150 300 - 600 10 10 - 40 Rima Moclobemid Betablocker Propanolol 1 ... bei einigen Patienten kann auch eine höhere Dosierung notwendig sein 2 ... Clomipramin ist auch ein potenter Serotonin-Wiederaufnahmehemmer RIMA = Reversible Hemmer der Monoaminooxidase A Tab. 9 haltung ausgewogener Ruhephasen) spezifische psychotherapeutische Verfahren zur Verfügung. Die besten Daten liegen zur Verhaltenstherapie vor. Dabei werden spezifische Verhaltensmuster im Rahmen einer strukturierten, aufgabenorientierten und normalerweise kurzzeitigen Therapie durch systematische Desensibilisierung (in sensu Konfrontation, in vivo Konfrontation und Entspannungsverfahren) angewandt. Beispielfragen zur Erkennung verschiedener Angsterkrankungen Soziale Phobie: “Fürchten oder vermeiden Sie bestimmte Situationen, in denen Sie von anderen Menschen beobachtet oder bewertet werden könnten, wie zum Beispiel öffentliches Sprechen, Zusammenkünfte, Partys oder Gespräche?” Spezifische Phobie: “Gibt es bestimmte Dinge oder Situationen, die Sie fürchten oder vermeiden, wie zum Beispiel Höhen oder manche Tiere?” Panikstörung (Agoraphobie): “Leiden Sie manchmal unter plötzlichen und unerwarteten Angstanfällen, ohne dass eine tatsächliche Bedrohung vorliegt?” Generalisierte Angststörung: “Ist die Angst den ganzen Tag über da, können Sie sich davon nicht entspannen?” Tab. 8 Der kognitiven Therapie liegt die Überlegung zugrunde, dass das Leiden der Patienten hauptsächlich auf fehlangepasste, übergeneralisierte, unstabile kognitive Muster oder Denkprozesse zurückgeführt werden kann, sodass der Therapeut dem Patienten hilft, seine unangepasste Sicht zu korrigieren und eine angemessenere Einstellung bezüglich der gefürchteten Situation aufzubauen. Bei den tiefenpsychologisch (analytisch) orientierten psychotherapeutischen Verfahren werden die Grundzüge menschlichen Verhaltens untersucht und dadurch dem Patienten Einsicht in seine Probleme ermöglicht mit dem Ziel, das Verhalten nach Lösung dieser Problematik zu verändern. Als begleitende Methode zur Verhaltenstherapie bzw. kognitiven Therapie können Entspannungsübungen, wie zum Beispiel die progressive Muskelentspannung, angewandt werden. 4 • 25. Februar 2004 DFP-Literaturstudium Da Patienten mit Angststörungen sehr sensibel auf allfällige Nebenwirkungen reagieren, sollte am Anfang einer Therapie langsam einschleichend dosiert werden. Bei einer stark ausgeprägten Angstsymptomatik kann es notwendig sein, anfangs auch das Benzodiazepin Alprazolam in der Dosierung von 2-6 mg zuzugeben. Zu einem späteren Zeitpunkt ist jedoch ein graduelles Absetzen dieser Medikation empfehlenswert. Die Behandlung von Angststörungen ist eine Langzeitbehandlung, ähnlich wie die eines Hypertonus. Die wenigen diesbezüglich durchgeführten pharmakologischen Untersuchungen lassen einen guten Effekt auch über einen längeren Zeitraum erkennen. Patienten sollten in derselben Dosierung weiterbehandelt werden, mit der die Remission erzielt wurde, mit der Ausnahme, dass Medikamente aus der Benzodiazepin-Reihe graduell und langsam reduziert werden sollten. Ein Absetzen der psychopharmakologischen Medikation ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich sowohl die Angstsymptomatik als auch die bestehende Komorbidität (meist Depression oder Medikamenten-/Alkoholabusus) und die antizipatorische Angst vollständig zurückgebildet sowie das allgemeine Befinden stabilisiert haben. Der Patient sollte über den Zeitraum von mindestens einem Jahr frei von psychischen und körperlichen Symptomen der Angst und ohne Vermeidungsverhalten gelebt haben. Wichtigste Fallgruben • Angsterkrankungen sind seltene Erkrankungen: Angsterkrankungen treten sehr häufig auf (etwa 15 Prozent Lebenszeitprävalenz der Bevölkerung). • Mit einer Angstsymptomatik muss man leben, sie ist Teil der Persönlichkeit: Die vorhandenen psychopharmakologischen und psychotherapeu- 4 • 25. Februar 2004 tischen Methoden zeigen eine gute Behandelbarkeit dieser Erkrankungen. • Depression hat eine höhere Wertigkeit als Angsterkrankungen: Sollte beim Patienten sowohl eine Depression als auch eine Angsterkrankung diagnostiziert werden, bedeutet dies, dass die Patienten eine höhere Suizidalität aufweisen können und insgesamt einen langsameren Genesungsprozess haben. • Angststörungen unterscheiden sich in demographischen Bereichen: Angststörungen lassen keine Unterschiede hinsichtlich Einkommen, Bildung, Rasse sowie ländlichem versus städtischem Lebensraum erkennen. *) O. Univ. Prof. Dr. Dr. h.c. Siegfried Kasper, Dr. Angela Heiden; Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie/Medizinische Universität Wien, Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien; Tel. 01/40 400/35 68; Fax-DW 30 99; e-mail: [email protected] Lecture Board: Univ. Prof. Dr. Hans Peter Kapfhammer, Universitätsklinik für Psychiatrie/Graz; Univ. Prof. Dr. Harald Schubert, LKH für Psychiatrie und Neurologie/Hall in Tirol; Univ. Prof. Dr. Johannes Tauscher, Universitätsklinik für Psychiatrie/Wien; Herausgeber: Österreichische Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB) Diesen Artikel finden Sie auch im Web unter www.arztakademie.at DFP - Fragebogen siehe Seite 42! state of the art Eine richtig verordnete Medikation kann in vielen Fällen eine Angstsymptomatik lindern und eine Psychotherapie oder eine andere nicht-pharmakologische Behandlung verbessern. Eine medikamentöse Behandlung (Tab. 9) sollte daher als eine mögliche Komponente im Rahmen eines umfassenden biopsychosozialen Behandlungsansatzes angesehen werden, der auch eine unterstützende Beratung hinsichtlich der Umstellung der Lebensart, Psychotherapie oder anderer entsprechender Maßnahmen beinhalten kann. 6