Philosophische Fragen - neuro

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Neurowissenschaft und Philosophie
Referat im HS Neuronale Netze
WS 2016/17
14.11.2014 Neuronale Netze
McCulloch-Pitts-Neuronen
Logik, Gehirn, Information.
Brückner, Lauth, Zirpel
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Neurowissenschaft und Philosophie
• Die Entstehung der modernen (Neuro-)
Kognitionswissenschaften ist eine Herausforderung für die
traditionelle Philosophie
• Grund: Geist und Kognition gelten traditionell als Domäne der
Geisteswissenschaften. Dagegen operieren die modernen
Kognitionswissenschaften mit mathematischen und
naturwissenschaftlichen Methoden.
• Definition (Wikipedia): Cognitive science is the
interdisciplinary, scientific study of the mind ... It examines the
nature, the tasks, and the functions of cognition. Cognitive
scientists study intelligence and behavior, with a focus on how
nervous systems represent, process, and transform
information. Mental faculties of concern to cognitive scientists
include language, perception, memory, attention, reasoning, and
emotion.
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Kognitionswissenschaften
• Kognitionswissenschaft ist ein interdisziplinäres Projekt, an
dem vor allem die Neurobiologie, die Kognitionspsychologie, aber
auch die mathematische Logik und die Neuroinformatik beteiligt
sind.
• Daraus ergibt sich ein grundlegendes Dilemma für die
Geisteswissenschaften:
Logik, Gehirn, Information.
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Das Dilemma der Geisteswissenschaften
 Das Dilemma der Geisteswissenschaften besteht in dem
Umstand, dass die Geisteswissenschaften ausgerechnet den
Geist nicht erklären können.
• Die Geisteswissenschaften können den Geist nicht erklären, weil
wir naturwissenschaftliche Methoden benötigen, um zu
verstehen, wie das Gehirn funktioniert.
• Demgegenüber sind die Geisteswissenschaften charakterisiert
durch methodische Selbstbeschränkung auf historische und
hermeneutische Methoden.
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Das Dilemma der Geisteswissenschaften
• Diese methodische Trennung zwischen Natur- und
Geisteswissenschaften ist aber erst im 19. Jahrhundert
entstanden.
• Die mittelalterliche und frühzeitliche Universitätsausbildung
basiert auf dem Studium der sieben „freien Künste“ (= artes
liberales), die alle der philosophischen Fakultät
(„Artistenfakultät“) zugeordnet waren
• Diese zerfallen in das Trivium (Logik, Grammatik und Rhetorik)
und in die mathematischen Disziplinen des Quadrivium
(Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik)
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Die „artes liberales“
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Die „artes liberales“
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Naturwissenschaft und Philosophie
• Bis in die frühe Neuzeit hinein waren daher Naturwissenschaft
und Naturphilosophie (philosophia naturalis) synonym!
• Beispiele: Isaac Newtons „Philosophiae naturalis principia
mathematica“ (1687) begründet die moderne Mechanik
• John Daltons „New System of Chemical Philosophy“ (1808 !!)
legt wichtige Grundlagen der modernen Chemie
•  Philosophie bis ins 18. Jhdt. als Sammelbezeichnung für das
Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis (in Abgrenzung zu
den praxisorientierten Disziplinen der Theologie, Medizin und
Jurisprudenz)
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Sir Isaac Newton (1687)
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John Dalton (1808)
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Naturwissenschaft und Philosophie
• Mit Galilei und Newton beginnt die Mathematisierung der
Naturwissenschaft, während Physik vor Galilei weitgehend nur
qualitativ, ohne Bezug auf mathematische Modelle und vielfach in
Anlehnung an die Schriften des Aristoteles betrieben wurde.
• Die Mathematisierung erzwingt eine weitgehende
Spezialisierung in Bildung und Forschung. Naturwissenschaftliche
Erkenntnisse sind für viele Philosophen nicht mehr nachvollziehbar.
• Die erforderlichen mathematischen Methoden (v.a. Differentialund Integralrechnung) gehen über den traditionellen Kanon des
Quadriviums hinaus.
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Galileo Galilei (1564 – 1642)
• Naturwissenschaftliche Methodik
bei Newton und Galilei ist
gekennzeichnet durch
mathematische
Modellbildung und
experimentelle Kontrolle.
• Galilei: „Das Buch der Natur ist
in der Sprache der Mathematik
geschrieben.“
• (Opere, Edizione Nazionale Vol.
VI, S. 232)
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Beispiel: Galileis Fallgesetze
• Jeder Körper erfährt im
freien Fall eine konstante
Beschleunigung (ca. 9,8
m/sec2)
• Die Geschwindigkeit
wächst daher
proportional zur Zeit
• und der Weg, den der
Körper zurücklegt,
wächst quadratisch mit
der Zeit (siehe Weg-ZeitDiagramm)
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Galileis schiefe Ebene
• Das Modell kann empirisch
(im Experiment) überprüft
werden
• Messingkugeln rollen
unterschiedliche Weglängen
in einer Holzrinne
• Die zurückgelegten Wege
müssen sich verhalten wie
die Quadrate der Zeiten
• Indirekte Zeitmessung durch
Bestimmung der
Flüssigkeitsmenge, die bis
zum Messzeitpunkt aus dem
Behälter fließt
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Kant über Galilei
„Als Galilei seine Kugeln die schiefe
Fläche mit einer von ihm selbst
gewählten Schwere herabrollen … ließ
… so ging allen Naturforschern ein
Licht auf … Die Vernunft muß mit
ihren Prinzipien … in einer Hand und
mit dem Experiment … in der
anderen, an die Natur gehen, … um
von ihr belehrt zu werden, aber nicht
in der Qualität eines Schülers, der
sich alles vorsagen läßt, was der
Lehrer will, sondern eines bestallten
Richters, der die Zeugen nötigt, auf
die Fragen zu antworten, die er ihnen
vorlegt.“
(Vorrede zur zweiten Auflage der KrV)
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Die Rolle der Romantik
• Der Bruch zwischen Naturwissenschaft und (Natur-) Philosophie
ist erst nach Kant, im 19. Jahrhundert entstanden und hat seine
Wurzeln in der Philosophie der Romantik.
• Grund ist die Ablehnung der naturwissenschaftlichen
Methodik bei Goethe, Schelling, Hegel und anderen Vertretern
des „Deutschen Idealismus“
• und ihren Nachfolgern im 19. und 20. Jahrhundert, zum Beispiel
bei Nietzsche und Heidegger („Die Wissenschaft denkt nicht.“)
• Schelling und Hegel begreifen „Naturphilosophie“ als
Gegenprojekt zur mathematisch-empirisch orientierten
Naturwissenschaft im Sinne von Newton, Kepler und Galilei.
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F. W. J. Schelling (1775 – 1854)
• Studium der Theologie
(zusammen mit Hölderlin
und Hegel)
• Gilt als ein Hauptvertreter
des „Deutschen
Idealismus“
• 1800/01 „Zeitschrift für
spekulative Physik“
• Verzicht auf
mathematische
Modellbildung und
experimentelle Kontrolle
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F. W. J. Schelling (1775 – 1854)
„Der Antipode streitet … mit
spekulativer Physik gegen den
einfachen Induktivismus
positiver Wissenschaften, …
mit der Idee einer Zukunft der
Mythologie gegen den
theologischen und
philosophischen
Rationalismus“
(H. J. Sandkühler: F. W. J.
Schelling, Stuttgart 1998)
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Beispiel: Goethes Farbenlehre
• J. W. v. Goethe (1749 – 1832)
• Goethes Farbenlehre (1810 ff.)
als Gegenentwurf zu Newtons
Theorie des Lichts
• Haupteinwand: Das
Phänomen der Farbe kann
nicht angemessen mit
mathematischen Methoden
beschrieben und erklärt
werden.
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Beispiel: Goethes Farbenlehre
„Durch eine sonderbare
Verknüpfung von Umständen ist
die Farbenlehre in das Reich, vor
den Gerichtsstuhl des
Mathematikers gezogen worden,
wohin sie nicht gehört … Es
geschah ferner dadurch, dass ein
großer Mathematiker die
Farbenlehre bearbeitete und, da
er sich als Physiker geirrt hatte,
die ganze Kraft seines Talents
aufbot, um diesem Irrtum
Konsistenz zu verschaffen.“
(Hamburger Ausgabe, Bd. 13, S.
328)
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Beispiel: Goethes Farbenlehre
Symptomatisch ist auch Goethes
Abneigung gegen Mikroskope,
Fernrohre und andere technische
Hilfsmittel, die „den reinen
Menschensinn verwirren“, sowie
Goethes Vorbehalte gegen
Messungen:
„Die Messung eines Dings ist
eine grobe Handlung, die auf
lebendige Körper nicht anders als
höchst unvollkommen
angewendet werden kann.“
(Bd. 13, Studie nach Spinoza)
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G. W. F. Hegel (1770 – 1831)
Hegel unterstützt Goethes Kritik
an Newton und wirft diesem
„Ungeschicklichkeit und
Unrichtigkeit des … Beobachtens
und Experimentierens“ vor,
ferner eine „schlechte
Beschaffenheit des Schließens,
Folgerns und Beweisens aus …
unreinen empirischen Daten“,
attestiert ihm „Blindheit des
Vorurteils“, sowie „falsche und
einseitige Messungen“, die nicht
„den Namen der Mathematik“
verdienten. (Enzyklopädie der
philosophischen Wissenschaften
1830, § 320)
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G. W. F. Hegel (1770 – 1831)
Hegels Kritik richtet sich nicht
nur gegen Newtons Farbenlehre,
sondern ausdrücklich auch
gegen die Mechanik. In seiner
Enzyklopädie weist Hegel darauf
hin, „dass das Newtonsche
Gesetz von der so genannten
Kraft der Schwere … nur aus der
Erfahrung durch Induktion
aufgezeigt ist“ (§ 270) Hegels
„Spekulative Physik“ hat den
Anspruch, Gesetze der Natur aus
rein philosophischen
Überlegungen „a priori“, d.h.
ohne Rekurs auf die Empirie
abzuleiten bzw. zu „deduzieren“.
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Gegenreaktionen
• Die Ablehnung der naturwissenschaftlichen
Methodik durch Schelling, Hegel und Goethe
löst Gegenreaktionen bei den
zeitgenössischen Naturwissenschaftlern aus.
• Der Biologe Matthias Schleiden schreibt
in seiner „Abhandlung über Schellings und
Hegels Verhältnis zur Naturwissenschaft“
(1844):
•
„Die Naturwissenschaft darf nicht allein, sie
muss sogar, wenn sie sich nicht selbst
vernichten will, Schelling und seine
Philosophie völlig ignorieren“ (Sandkühler, S.
13)
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Justus von Liebig (1803 – 1873)
Der bekannte Chemiker Justus
von Liebig verhöhnt Schellings
Naturphilosophie als ein „totes
Gerippe von leeren
Abstraktionen“
(Sandkühler 13)
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Carl Friedrich Gauß (1777 – 1855)
Der Mathematiker C. F. Gauß
schreibt:
„Sehen Sie sich doch nur bei den
heutigen Philosophen um, bei
Schelling, Hegel … und
Konsorten, stehen Ihnen da
nicht die Haare bei ihren
Definitionen zu Berge?“
(Brief an Schumacher, hg. Von A.
Christian, F. Peters Altona 1861,
Bd. III, S. 337)
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Naturwissenschaft versus Naturphilosophie
• Der Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Philosophie führt im
19. Jahrhundert zum Auszug der Mathematik und der
Naturwissenschaften aus den philosophischen Fakultäten.
• Parallel dazu findet ein Rückzug der Geisteswissenschaften auf
historische und hermeneutische Methoden statt, der zu
einer tiefgreifenden Kommunikationsstörung zwischen Naturund Geisteswissenschaften führt.
• Die methodische Trennung wird durch die jeweiligen Curricula
zementiert: Philosophen müssen Latein und Altgriechisch
beherrschen, haben aber keine Schulung in mathematischen
Methoden und können daher naturwissenschaftliche Theorien gar
nicht verstehen.
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Ontologische Aspekte
• Die methodische Trennung zwischen Natur- und
Geisteswissenschaften setzt (implizit) eine dualistische
Ontologie des Geistes voraus,
• also eine Auffassung, die den menschlichen Geist nicht als Teil
der Natur oder der physikalischen Welt begreift, sondern als ein
eigenständiges (meta-physisches) Phänomen, das nicht mit
naturwissenschaftlichen Mitteln erklärbar und beschreibbar ist.
• Der Leib-Seele-Dualismus ist natürlich keine Erfindung der
Romantik, sondern hat tiefe Wurzeln in der europäischen
Geistesgeschichte, in der platonisch-sokratischen Philosophie und
in den orientalischen Religionen des Judentums, des
Christentums und des Islams.
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René Descartes (1596 – 1650)
• Der bekannteste Protagonist
des Leib-Seele-Dualismus in
der neuzeitlichen
Philosophie.
• Unterscheidung zwischen
materiellen und geistigen
Substanzen:
• Die Seele (res cogitans)
kann denken und fühlen,
besitzt aber kein Volumen
und kein Gewicht
• Der Körper (res extensa)
besitzt Masse und Volumen,
kann aber nicht denken
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Das Hauptproblem
• Der cartesische
Substanzendualismus war
schon unter den
Zeitgenossen umstritten:
Gassendi, Mersenne, u.a.)
• Hauptproblem: Wie können
Geist und Körper
interagieren, wenn der Geist
selbst kein Bestandteil der
physikalischen Welt ist?
• → Das Problem der
psychophysischen
Wechselwirkung
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Das Hauptproblem
• Beispiel: Prinzessin Elisabeth
von der Pfalz schreibt, dass
sie nicht begreifen könne,
„wie die Seele (die
unausgedehnt und
immateriell ist) den Körper
bewegen kann“ und dass es
ihr „leichter fallen würde, der
Seele eine Materie und eine
Ausdehnung zuzuschreiben,
als einem immateriellen
Wesen die Fähigkeit, einen
Körper zu bewegen und von
ihm bewegt zu werden.“
(Brief vom 10. Juni 1643)
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Das Hauptproblem
• Descartes selbst hatte die
Zirbeldrüse (Epiphyse) als
die Schnittstelle identifiziert,
an der Geist und Körper in
Wechselwirkung treten.
• Gründe dafür waren unter
anderem die zentrale Lage
und die Tatsache, dass die
Zirbeldrüse zu den wenigen
Strukturen im Gehirn
gehört, die nicht paarweise
auftreten.
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Das Hauptproblem
• Heute gilt Descartes´
Zirbeldrüse als einer der
prominentesten Irrtümer der
Wissenschaftsgeschichte.
• Vgl. z.B. Antonio Damasio:
„Descartes´ Error“
• Moderne Dualisten haben
Descartes´ Zirbeldrüse durch
andere Organe ersetzt (z.B.
das ´Liaison-Gehirn´bei
Popper und Eccles oder die
Mikrotubuli bei R. Penrose)
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Dualismus versus Neurowissenschaft
• Im Gegensatz zu Descartes
und seinen Nachfolgern gehen
die meisten
Neurowissenschaftler heute
davon aus, dass Gedanken und
Gefühle durch physikalische
(elektrische, biochemische etc)
Vorgänge im Gehirn zu
erklären sind.
• Das entspricht einer
physikalistischen Ontologie
des Geistes (psychophysischer
Monismus)
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Francis Crick (1916 – 2004)
• Britischer Physiker und
Biochemiker
• 1962 Nobelpreis für Medizin
zusammen mit Watson und
Wilkins für die Entdeckung der
DNA
• Seit 1990 hat sich Crick verstärkt
mit der Frage nach den
neuronalen Grundlagen des
Bewusstseins beschäftigt.
• 1994 „The Astonishing
Hypothesis“ (deutscher Untertitel:
Was die Seele wirklich ist)
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F. Crick: An Astonishing Hypothesis
“The Astonishing Hypothesis is that
‘You’, your joys and your sorrows,
your memories and your ambitions,
your sense of personal identity and
free will, are in fact no more than the
behaviour of a vast assembly of nerve
cells and their associated molecules.
As Lewis Carroll´s Alice might have
phrased: ‘You´re nothing but a pack
of neurons.’ This hypothesis is so
alien to the ideas of most people
today that it can truly be called
astonishing.”
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Physikalismus und kausale Abgeschlossenheit
• Der Physikalismus betrachtet den menschlichen Geist als
Produkt der Evolution und als Bestandteil der physikalischen Welt.
Kern der physikalistischen Ontologie ist das folgende
• Prinzip der kausalen Abgeschlossenheit (PKA): Nur
physikalische Phänomene können physikalische Effekte erzeugen.
(Keine Eingriffe in die physikalische Welt „von außen“, zum
Beispiel durch telepathische oder telekinetische Kräfte)
• Folgerung: Kognitive Phänomene (Gedanken und Gefühle)
können nur dann physikalische Effekte erzeugen, wenn es sich
bei ihnen selbst um physikalische Phänomene handelt.
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Psychophysische Wechselwirkung
Unter der Prämisse der kausalen Abgeschlossenheit kann nur
eine physikalistische Ontologie des Geistes eine
widerspruchsfreie Erklärung für die Möglichkeit von
psychophysischen Wechselwirkungen geben.
(Pfeile im Diagramm repräsentieren kausale Zusammenhänge)
Gedanken
und
Gefühle
Handlungen
und
Entscheidungen
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Physikalische
Prozesse
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Kausale Abgeschlossenheit und PPM
(1) Kausale Abgeschlossenheit: Nur physikalische Phänomene
können physikalische Effekte erzeugen
(2) Psychophysische Wechselwirkung: Menschliche Handlungen
und Entscheidungen können physikalische Effekte erzeugen
________________________________________________________
(3) Psychophysischer Monismus: Menschliche Handlungen und
Entscheidungen sind physikalische Phänomene.
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Physikalismus und kausale Abgeschlossenheit
Beachte: Das Argument bleibt gültig, wenn wir den Ausdruck
„menschliche Handlungen und Entscheidungen“ in Zeile (2) und (3)
durch „Gedanken und Gefühle“ ersetzen:
(1) Kausale Abgeschlossenheit: Nur physikalische Phänomene
können physikalische Effekte erzeugen.
(2) Psychophysische Wechselwirkung: Gedanken und Gefühle
können physikalische Effekte erzeugen.
______________________________________________________
(3) Psychophysischer Monismus: Gedanken und Gefühle sind
physikalische Phänomene
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Die Struktur des Arguments
Prinzip der
kausalen
Abgeschlossenheit
Das Phänomen der
psychophysischen
Wechselwirkung
Psychophysischer
Monismus
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Physikalismus und kausale Abgeschlossenheit
• Das Argument besteht aus zwei Prämissen (PKA + PPW) und
einer Konklusion (PPM) => Wenn man die Konklusion verwerfen
möchte, muss man mindestens eine der beiden Prämissen (PKA
oder PPW) ablehnen. Beide Optionen sind unattraktiv:
• Ablehnung von PKA impliziert die Annahme von „spirituellen“
(meta-physischen) Ursachen und Kräften, die gleichwohl
physikalische Effekte verursachen können, z.B. Nervenimpulse
auslösen oder die Ausschüttung von Neurotransmittern.
• Solche Vorstellungen führen zwangsläufig zu einem Widerspruch
mit Vorhersagen der Physik, wonach die Zustandsänderungen
von physikalischen Systemen vollständig durch physikalische
Kräfte (Hamiltonfunktion) erklärt werden können.
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Physikalismus und kausale Abgeschlossenheit
• Verwerfung der zweiten Prämisse impliziert, dass menschliche
Handlungen und Entscheidungen keinerlei physikalische Effekte
verursachen können (→ Epiphänomenalismus)
• Epiphänomenalismus widerspricht alltäglichen Erfahrungen und
dem gesunden Menschenverstand: Die meisten Handlungen und
Entscheidungen scheinen ganz offensichtlich physikalische
Effekte zu haben.
• Eine Widerlegung dieser Alltagserfahrung erfordert fragwürdige
Hypothesen, die vermutlich noch unplausibler wären als der
Epiphänomenalismus selbst (z.B. Leibniz´ Theorie der
„prästabilisierten Harmonie“).
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Rückzugsgefechte
• Der cartesische Substanzendualismus ist heute extrem
unpopulär (auch in der Philosophie)
•
An seine Stelle treten subtilere Versionen des
Eigenschaftsdualismus, z.B. Supervenienz- und
Emergenztheorien des Geistes, nicht-reduktiver Physikalismus,
anomaler Monismus, Token-Physikalismus etc.
• Gemeinsames Merkmal dieser Positionen: Gedanken und Gefühle
sind zwar de facto physikalische Prozesse, besitzen aber gewisse
Eigenschaften, die nicht physikalisch erklärbar sind.
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Rückzugsgefechte
• Beispiel: Colin McGinn, Frank Jackson, David Chalmers und
andere: „Das Rätsel des Bewusstseins“.
• These: das Phänomen des Bewusstseins kann nicht mit
naturwissenschaftlichen Mitteln erklärt werden, weil bewusste
Erfahrungen und Erlebnisse nur aus der „Ersten-PersonPerspektive“ des denkenden und handelnden Subjekts selbst
zugänglich sind, und nicht aus der „Dritten-Person-Perspektive“
der kognitiven Neurowissenschaften.
• Qualia-Problem: Qualitative Merkmale der Erfahrung (zum
Beispiel Farb-, Geschmacks- oder Klangqualitäten) können
(angeblich) nicht naturwissenschaftlich erklärt werden (Goethe!)
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Rückzugsgefechte
• Begründung dieser Thesen erfolgt typischerweise durch
Gedankenexperimente
• Beispiele: Frank Jacksons „Knowledge argument“, Thomas
Nagels Fledermaus-Argument, John Searles „Chinese-RoomArgument“, David Chalmers´ Zombie-Argument usw. Historischer
Vorläufer: Leibniz´ Mühlenargument
• Gemeinsames Merkmal: Es gibt irgendwelche Aspekte
(Eigenschaften) unseres geistigen Lebens, die nicht
naturwissenschaftlich erklärbar/beschreibbar sind (→
Eigenschaftsdualismus).
• Problem: Das Dilemma der psychophysischen Wechselwirkung
tritt (mutatis mutandis) auch beim Eigenschaftsdualismus auf
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Rückzugsgefechte
(1) Kausale Abgeschlossenheit: Nur physikalische Eigenschaften
können physikalische Effekte erzeugen.
(2) Psychophysische Wechselwirkung: Kognitive Eigenschaften
können physikalische Effekte erzeugen.
______________________________________________________
(3) Psychophysischer Monismus: Kognitive Eigenschaften sind
physikalische Eigenschaften.
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Rückzugsgefechte: „Neurophilosophie“
• In den letzten Jahrzehnten hat sich aus der traditionellen
Philosophie des Geistes die sog. Neurophilosophie entwickelt.
• Die Entstehung der Neurophilosophie kann am besten als
philosophische Abwehrreaktion auf die moderne
Neurowissenschaft gedeutet werden.
• Auslöser: Neurowissenschaftler wie F. Crick, W. Singer, G. Roth
und viele andere haben angefangen sich in Fragen einzumischen,
die traditionell dem „Kompetenzbereich“ der Philosophie
zugerechnet werden, z.B. zum Leib-Seele-Dualismus, oder dem
Problem der Willensfreiheit)
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Rückzugsgefechte: „Neurophilosophie“
• Problem: Neurophilosophen leisten keinen konstruktiven
Beitrag zur Erklärung von kognitiven Fähigkeiten wie Sprache,
Lernfähigkeit und Gedächtnis, sondern versuchen
„nachzuweisen“, dass bestimmte Phänomene (Bewusstsein,
Qualia etc.) nicht naturwissenschaftlich erklärt werden
können.
• Das Verhältnis von Neurowissenschaft und Neurophilosophie
weist zahlreiche Parallelen zu dem Verhältnis von
Naturwissenschaft und Naturphilosophie am Beginn des 19.
Jahrhunderts auf,
• insbesondere die Selbstbeschränkung der Neurophilosophie auf
historisch-hermeneutische Methoden und auf
Gedankenexperimente (keine mathematischen Modelle, keine
echte experimentelle Kontrolle)
Logik, Gehirn, Information.
Brückner, Lauth, Zirpel
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Literaturangaben
Logik, Gehirn, Information.
Brückner, Lauth, Zirpel
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Literaturangaben
• B. Lauth: Descartes im Rückspiegel.
Der Leib-Seele-Dualismus und das
naturwissenschaftliche Weltbild.
Mentis-Verlag, Paderborn 2006
• als E-Book (pdf-File) auf
https://www.buchhandel.de
• und bei Amazon
• ferner: B. Lauth: „Das Dilemma der
Geisteswissenschaften“, in: C. Lubkoll,
O. Wischmeyer (Hrsg.): Ethical Turn?
Geisteswissenschaften in neuer
Verantwortung, München 2009
Logik, Gehirn, Information.
Brückner, Lauth, Zirpel
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