Neurowissenschaft und Philosophie Referat im HS Neuronale Netze WS 2016/17 14.11.2014 Neuronale Netze McCulloch-Pitts-Neuronen Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 1 Neurowissenschaft und Philosophie • Die Entstehung der modernen (Neuro-) Kognitionswissenschaften ist eine Herausforderung für die traditionelle Philosophie • Grund: Geist und Kognition gelten traditionell als Domäne der Geisteswissenschaften. Dagegen operieren die modernen Kognitionswissenschaften mit mathematischen und naturwissenschaftlichen Methoden. • Definition (Wikipedia): Cognitive science is the interdisciplinary, scientific study of the mind ... It examines the nature, the tasks, and the functions of cognition. Cognitive scientists study intelligence and behavior, with a focus on how nervous systems represent, process, and transform information. Mental faculties of concern to cognitive scientists include language, perception, memory, attention, reasoning, and emotion. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 2 Kognitionswissenschaften • Kognitionswissenschaft ist ein interdisziplinäres Projekt, an dem vor allem die Neurobiologie, die Kognitionspsychologie, aber auch die mathematische Logik und die Neuroinformatik beteiligt sind. • Daraus ergibt sich ein grundlegendes Dilemma für die Geisteswissenschaften: Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 3 Das Dilemma der Geisteswissenschaften Das Dilemma der Geisteswissenschaften besteht in dem Umstand, dass die Geisteswissenschaften ausgerechnet den Geist nicht erklären können. • Die Geisteswissenschaften können den Geist nicht erklären, weil wir naturwissenschaftliche Methoden benötigen, um zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert. • Demgegenüber sind die Geisteswissenschaften charakterisiert durch methodische Selbstbeschränkung auf historische und hermeneutische Methoden. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 4 Das Dilemma der Geisteswissenschaften • Diese methodische Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ist aber erst im 19. Jahrhundert entstanden. • Die mittelalterliche und frühzeitliche Universitätsausbildung basiert auf dem Studium der sieben „freien Künste“ (= artes liberales), die alle der philosophischen Fakultät („Artistenfakultät“) zugeordnet waren • Diese zerfallen in das Trivium (Logik, Grammatik und Rhetorik) und in die mathematischen Disziplinen des Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 5 Die „artes liberales“ Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 6 Die „artes liberales“ Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 7 Naturwissenschaft und Philosophie • Bis in die frühe Neuzeit hinein waren daher Naturwissenschaft und Naturphilosophie (philosophia naturalis) synonym! • Beispiele: Isaac Newtons „Philosophiae naturalis principia mathematica“ (1687) begründet die moderne Mechanik • John Daltons „New System of Chemical Philosophy“ (1808 !!) legt wichtige Grundlagen der modernen Chemie • Philosophie bis ins 18. Jhdt. als Sammelbezeichnung für das Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis (in Abgrenzung zu den praxisorientierten Disziplinen der Theologie, Medizin und Jurisprudenz) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 8 Sir Isaac Newton (1687) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 9 John Dalton (1808) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 10 Naturwissenschaft und Philosophie • Mit Galilei und Newton beginnt die Mathematisierung der Naturwissenschaft, während Physik vor Galilei weitgehend nur qualitativ, ohne Bezug auf mathematische Modelle und vielfach in Anlehnung an die Schriften des Aristoteles betrieben wurde. • Die Mathematisierung erzwingt eine weitgehende Spezialisierung in Bildung und Forschung. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind für viele Philosophen nicht mehr nachvollziehbar. • Die erforderlichen mathematischen Methoden (v.a. Differentialund Integralrechnung) gehen über den traditionellen Kanon des Quadriviums hinaus. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 11 Galileo Galilei (1564 – 1642) • Naturwissenschaftliche Methodik bei Newton und Galilei ist gekennzeichnet durch mathematische Modellbildung und experimentelle Kontrolle. • Galilei: „Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben.“ • (Opere, Edizione Nazionale Vol. VI, S. 232) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 12 Beispiel: Galileis Fallgesetze • Jeder Körper erfährt im freien Fall eine konstante Beschleunigung (ca. 9,8 m/sec2) • Die Geschwindigkeit wächst daher proportional zur Zeit • und der Weg, den der Körper zurücklegt, wächst quadratisch mit der Zeit (siehe Weg-ZeitDiagramm) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 13 Galileis schiefe Ebene • Das Modell kann empirisch (im Experiment) überprüft werden • Messingkugeln rollen unterschiedliche Weglängen in einer Holzrinne • Die zurückgelegten Wege müssen sich verhalten wie die Quadrate der Zeiten • Indirekte Zeitmessung durch Bestimmung der Flüssigkeitsmenge, die bis zum Messzeitpunkt aus dem Behälter fließt Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 14 Kant über Galilei „Als Galilei seine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen … ließ … so ging allen Naturforschern ein Licht auf … Die Vernunft muß mit ihren Prinzipien … in einer Hand und mit dem Experiment … in der anderen, an die Natur gehen, … um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen läßt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt.“ (Vorrede zur zweiten Auflage der KrV) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 15 Die Rolle der Romantik • Der Bruch zwischen Naturwissenschaft und (Natur-) Philosophie ist erst nach Kant, im 19. Jahrhundert entstanden und hat seine Wurzeln in der Philosophie der Romantik. • Grund ist die Ablehnung der naturwissenschaftlichen Methodik bei Goethe, Schelling, Hegel und anderen Vertretern des „Deutschen Idealismus“ • und ihren Nachfolgern im 19. und 20. Jahrhundert, zum Beispiel bei Nietzsche und Heidegger („Die Wissenschaft denkt nicht.“) • Schelling und Hegel begreifen „Naturphilosophie“ als Gegenprojekt zur mathematisch-empirisch orientierten Naturwissenschaft im Sinne von Newton, Kepler und Galilei. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 16 F. W. J. Schelling (1775 – 1854) • Studium der Theologie (zusammen mit Hölderlin und Hegel) • Gilt als ein Hauptvertreter des „Deutschen Idealismus“ • 1800/01 „Zeitschrift für spekulative Physik“ • Verzicht auf mathematische Modellbildung und experimentelle Kontrolle Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 17 F. W. J. Schelling (1775 – 1854) „Der Antipode streitet … mit spekulativer Physik gegen den einfachen Induktivismus positiver Wissenschaften, … mit der Idee einer Zukunft der Mythologie gegen den theologischen und philosophischen Rationalismus“ (H. J. Sandkühler: F. W. J. Schelling, Stuttgart 1998) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 18 Beispiel: Goethes Farbenlehre • J. W. v. Goethe (1749 – 1832) • Goethes Farbenlehre (1810 ff.) als Gegenentwurf zu Newtons Theorie des Lichts • Haupteinwand: Das Phänomen der Farbe kann nicht angemessen mit mathematischen Methoden beschrieben und erklärt werden. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 19 Beispiel: Goethes Farbenlehre „Durch eine sonderbare Verknüpfung von Umständen ist die Farbenlehre in das Reich, vor den Gerichtsstuhl des Mathematikers gezogen worden, wohin sie nicht gehört … Es geschah ferner dadurch, dass ein großer Mathematiker die Farbenlehre bearbeitete und, da er sich als Physiker geirrt hatte, die ganze Kraft seines Talents aufbot, um diesem Irrtum Konsistenz zu verschaffen.“ (Hamburger Ausgabe, Bd. 13, S. 328) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 20 Beispiel: Goethes Farbenlehre Symptomatisch ist auch Goethes Abneigung gegen Mikroskope, Fernrohre und andere technische Hilfsmittel, die „den reinen Menschensinn verwirren“, sowie Goethes Vorbehalte gegen Messungen: „Die Messung eines Dings ist eine grobe Handlung, die auf lebendige Körper nicht anders als höchst unvollkommen angewendet werden kann.“ (Bd. 13, Studie nach Spinoza) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 21 G. W. F. Hegel (1770 – 1831) Hegel unterstützt Goethes Kritik an Newton und wirft diesem „Ungeschicklichkeit und Unrichtigkeit des … Beobachtens und Experimentierens“ vor, ferner eine „schlechte Beschaffenheit des Schließens, Folgerns und Beweisens aus … unreinen empirischen Daten“, attestiert ihm „Blindheit des Vorurteils“, sowie „falsche und einseitige Messungen“, die nicht „den Namen der Mathematik“ verdienten. (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften 1830, § 320) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 22 G. W. F. Hegel (1770 – 1831) Hegels Kritik richtet sich nicht nur gegen Newtons Farbenlehre, sondern ausdrücklich auch gegen die Mechanik. In seiner Enzyklopädie weist Hegel darauf hin, „dass das Newtonsche Gesetz von der so genannten Kraft der Schwere … nur aus der Erfahrung durch Induktion aufgezeigt ist“ (§ 270) Hegels „Spekulative Physik“ hat den Anspruch, Gesetze der Natur aus rein philosophischen Überlegungen „a priori“, d.h. ohne Rekurs auf die Empirie abzuleiten bzw. zu „deduzieren“. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 23 Gegenreaktionen • Die Ablehnung der naturwissenschaftlichen Methodik durch Schelling, Hegel und Goethe löst Gegenreaktionen bei den zeitgenössischen Naturwissenschaftlern aus. • Der Biologe Matthias Schleiden schreibt in seiner „Abhandlung über Schellings und Hegels Verhältnis zur Naturwissenschaft“ (1844): • „Die Naturwissenschaft darf nicht allein, sie muss sogar, wenn sie sich nicht selbst vernichten will, Schelling und seine Philosophie völlig ignorieren“ (Sandkühler, S. 13) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 24 Justus von Liebig (1803 – 1873) Der bekannte Chemiker Justus von Liebig verhöhnt Schellings Naturphilosophie als ein „totes Gerippe von leeren Abstraktionen“ (Sandkühler 13) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 25 Carl Friedrich Gauß (1777 – 1855) Der Mathematiker C. F. Gauß schreibt: „Sehen Sie sich doch nur bei den heutigen Philosophen um, bei Schelling, Hegel … und Konsorten, stehen Ihnen da nicht die Haare bei ihren Definitionen zu Berge?“ (Brief an Schumacher, hg. Von A. Christian, F. Peters Altona 1861, Bd. III, S. 337) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 26 Naturwissenschaft versus Naturphilosophie • Der Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Philosophie führt im 19. Jahrhundert zum Auszug der Mathematik und der Naturwissenschaften aus den philosophischen Fakultäten. • Parallel dazu findet ein Rückzug der Geisteswissenschaften auf historische und hermeneutische Methoden statt, der zu einer tiefgreifenden Kommunikationsstörung zwischen Naturund Geisteswissenschaften führt. • Die methodische Trennung wird durch die jeweiligen Curricula zementiert: Philosophen müssen Latein und Altgriechisch beherrschen, haben aber keine Schulung in mathematischen Methoden und können daher naturwissenschaftliche Theorien gar nicht verstehen. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 27 Ontologische Aspekte • Die methodische Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften setzt (implizit) eine dualistische Ontologie des Geistes voraus, • also eine Auffassung, die den menschlichen Geist nicht als Teil der Natur oder der physikalischen Welt begreift, sondern als ein eigenständiges (meta-physisches) Phänomen, das nicht mit naturwissenschaftlichen Mitteln erklärbar und beschreibbar ist. • Der Leib-Seele-Dualismus ist natürlich keine Erfindung der Romantik, sondern hat tiefe Wurzeln in der europäischen Geistesgeschichte, in der platonisch-sokratischen Philosophie und in den orientalischen Religionen des Judentums, des Christentums und des Islams. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 28 René Descartes (1596 – 1650) • Der bekannteste Protagonist des Leib-Seele-Dualismus in der neuzeitlichen Philosophie. • Unterscheidung zwischen materiellen und geistigen Substanzen: • Die Seele (res cogitans) kann denken und fühlen, besitzt aber kein Volumen und kein Gewicht • Der Körper (res extensa) besitzt Masse und Volumen, kann aber nicht denken Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 29 Das Hauptproblem • Der cartesische Substanzendualismus war schon unter den Zeitgenossen umstritten: Gassendi, Mersenne, u.a.) • Hauptproblem: Wie können Geist und Körper interagieren, wenn der Geist selbst kein Bestandteil der physikalischen Welt ist? • → Das Problem der psychophysischen Wechselwirkung Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 30 Das Hauptproblem • Beispiel: Prinzessin Elisabeth von der Pfalz schreibt, dass sie nicht begreifen könne, „wie die Seele (die unausgedehnt und immateriell ist) den Körper bewegen kann“ und dass es ihr „leichter fallen würde, der Seele eine Materie und eine Ausdehnung zuzuschreiben, als einem immateriellen Wesen die Fähigkeit, einen Körper zu bewegen und von ihm bewegt zu werden.“ (Brief vom 10. Juni 1643) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 31 Das Hauptproblem • Descartes selbst hatte die Zirbeldrüse (Epiphyse) als die Schnittstelle identifiziert, an der Geist und Körper in Wechselwirkung treten. • Gründe dafür waren unter anderem die zentrale Lage und die Tatsache, dass die Zirbeldrüse zu den wenigen Strukturen im Gehirn gehört, die nicht paarweise auftreten. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 32 Das Hauptproblem • Heute gilt Descartes´ Zirbeldrüse als einer der prominentesten Irrtümer der Wissenschaftsgeschichte. • Vgl. z.B. Antonio Damasio: „Descartes´ Error“ • Moderne Dualisten haben Descartes´ Zirbeldrüse durch andere Organe ersetzt (z.B. das ´Liaison-Gehirn´bei Popper und Eccles oder die Mikrotubuli bei R. Penrose) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 33 Dualismus versus Neurowissenschaft • Im Gegensatz zu Descartes und seinen Nachfolgern gehen die meisten Neurowissenschaftler heute davon aus, dass Gedanken und Gefühle durch physikalische (elektrische, biochemische etc) Vorgänge im Gehirn zu erklären sind. • Das entspricht einer physikalistischen Ontologie des Geistes (psychophysischer Monismus) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 34 Francis Crick (1916 – 2004) • Britischer Physiker und Biochemiker • 1962 Nobelpreis für Medizin zusammen mit Watson und Wilkins für die Entdeckung der DNA • Seit 1990 hat sich Crick verstärkt mit der Frage nach den neuronalen Grundlagen des Bewusstseins beschäftigt. • 1994 „The Astonishing Hypothesis“ (deutscher Untertitel: Was die Seele wirklich ist) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 35 F. Crick: An Astonishing Hypothesis “The Astonishing Hypothesis is that ‘You’, your joys and your sorrows, your memories and your ambitions, your sense of personal identity and free will, are in fact no more than the behaviour of a vast assembly of nerve cells and their associated molecules. As Lewis Carroll´s Alice might have phrased: ‘You´re nothing but a pack of neurons.’ This hypothesis is so alien to the ideas of most people today that it can truly be called astonishing.” Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 36 Physikalismus und kausale Abgeschlossenheit • Der Physikalismus betrachtet den menschlichen Geist als Produkt der Evolution und als Bestandteil der physikalischen Welt. Kern der physikalistischen Ontologie ist das folgende • Prinzip der kausalen Abgeschlossenheit (PKA): Nur physikalische Phänomene können physikalische Effekte erzeugen. (Keine Eingriffe in die physikalische Welt „von außen“, zum Beispiel durch telepathische oder telekinetische Kräfte) • Folgerung: Kognitive Phänomene (Gedanken und Gefühle) können nur dann physikalische Effekte erzeugen, wenn es sich bei ihnen selbst um physikalische Phänomene handelt. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 37 Psychophysische Wechselwirkung Unter der Prämisse der kausalen Abgeschlossenheit kann nur eine physikalistische Ontologie des Geistes eine widerspruchsfreie Erklärung für die Möglichkeit von psychophysischen Wechselwirkungen geben. (Pfeile im Diagramm repräsentieren kausale Zusammenhänge) Gedanken und Gefühle Handlungen und Entscheidungen Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel Physikalische Prozesse 38 Kausale Abgeschlossenheit und PPM (1) Kausale Abgeschlossenheit: Nur physikalische Phänomene können physikalische Effekte erzeugen (2) Psychophysische Wechselwirkung: Menschliche Handlungen und Entscheidungen können physikalische Effekte erzeugen ________________________________________________________ (3) Psychophysischer Monismus: Menschliche Handlungen und Entscheidungen sind physikalische Phänomene. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 39 Physikalismus und kausale Abgeschlossenheit Beachte: Das Argument bleibt gültig, wenn wir den Ausdruck „menschliche Handlungen und Entscheidungen“ in Zeile (2) und (3) durch „Gedanken und Gefühle“ ersetzen: (1) Kausale Abgeschlossenheit: Nur physikalische Phänomene können physikalische Effekte erzeugen. (2) Psychophysische Wechselwirkung: Gedanken und Gefühle können physikalische Effekte erzeugen. ______________________________________________________ (3) Psychophysischer Monismus: Gedanken und Gefühle sind physikalische Phänomene Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 40 Die Struktur des Arguments Prinzip der kausalen Abgeschlossenheit Das Phänomen der psychophysischen Wechselwirkung Psychophysischer Monismus Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 41 Physikalismus und kausale Abgeschlossenheit • Das Argument besteht aus zwei Prämissen (PKA + PPW) und einer Konklusion (PPM) => Wenn man die Konklusion verwerfen möchte, muss man mindestens eine der beiden Prämissen (PKA oder PPW) ablehnen. Beide Optionen sind unattraktiv: • Ablehnung von PKA impliziert die Annahme von „spirituellen“ (meta-physischen) Ursachen und Kräften, die gleichwohl physikalische Effekte verursachen können, z.B. Nervenimpulse auslösen oder die Ausschüttung von Neurotransmittern. • Solche Vorstellungen führen zwangsläufig zu einem Widerspruch mit Vorhersagen der Physik, wonach die Zustandsänderungen von physikalischen Systemen vollständig durch physikalische Kräfte (Hamiltonfunktion) erklärt werden können. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 42 Physikalismus und kausale Abgeschlossenheit • Verwerfung der zweiten Prämisse impliziert, dass menschliche Handlungen und Entscheidungen keinerlei physikalische Effekte verursachen können (→ Epiphänomenalismus) • Epiphänomenalismus widerspricht alltäglichen Erfahrungen und dem gesunden Menschenverstand: Die meisten Handlungen und Entscheidungen scheinen ganz offensichtlich physikalische Effekte zu haben. • Eine Widerlegung dieser Alltagserfahrung erfordert fragwürdige Hypothesen, die vermutlich noch unplausibler wären als der Epiphänomenalismus selbst (z.B. Leibniz´ Theorie der „prästabilisierten Harmonie“). Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 43 Rückzugsgefechte • Der cartesische Substanzendualismus ist heute extrem unpopulär (auch in der Philosophie) • An seine Stelle treten subtilere Versionen des Eigenschaftsdualismus, z.B. Supervenienz- und Emergenztheorien des Geistes, nicht-reduktiver Physikalismus, anomaler Monismus, Token-Physikalismus etc. • Gemeinsames Merkmal dieser Positionen: Gedanken und Gefühle sind zwar de facto physikalische Prozesse, besitzen aber gewisse Eigenschaften, die nicht physikalisch erklärbar sind. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 44 Rückzugsgefechte • Beispiel: Colin McGinn, Frank Jackson, David Chalmers und andere: „Das Rätsel des Bewusstseins“. • These: das Phänomen des Bewusstseins kann nicht mit naturwissenschaftlichen Mitteln erklärt werden, weil bewusste Erfahrungen und Erlebnisse nur aus der „Ersten-PersonPerspektive“ des denkenden und handelnden Subjekts selbst zugänglich sind, und nicht aus der „Dritten-Person-Perspektive“ der kognitiven Neurowissenschaften. • Qualia-Problem: Qualitative Merkmale der Erfahrung (zum Beispiel Farb-, Geschmacks- oder Klangqualitäten) können (angeblich) nicht naturwissenschaftlich erklärt werden (Goethe!) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 45 Rückzugsgefechte • Begründung dieser Thesen erfolgt typischerweise durch Gedankenexperimente • Beispiele: Frank Jacksons „Knowledge argument“, Thomas Nagels Fledermaus-Argument, John Searles „Chinese-RoomArgument“, David Chalmers´ Zombie-Argument usw. Historischer Vorläufer: Leibniz´ Mühlenargument • Gemeinsames Merkmal: Es gibt irgendwelche Aspekte (Eigenschaften) unseres geistigen Lebens, die nicht naturwissenschaftlich erklärbar/beschreibbar sind (→ Eigenschaftsdualismus). • Problem: Das Dilemma der psychophysischen Wechselwirkung tritt (mutatis mutandis) auch beim Eigenschaftsdualismus auf Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 46 Rückzugsgefechte (1) Kausale Abgeschlossenheit: Nur physikalische Eigenschaften können physikalische Effekte erzeugen. (2) Psychophysische Wechselwirkung: Kognitive Eigenschaften können physikalische Effekte erzeugen. ______________________________________________________ (3) Psychophysischer Monismus: Kognitive Eigenschaften sind physikalische Eigenschaften. Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 47 Rückzugsgefechte: „Neurophilosophie“ • In den letzten Jahrzehnten hat sich aus der traditionellen Philosophie des Geistes die sog. Neurophilosophie entwickelt. • Die Entstehung der Neurophilosophie kann am besten als philosophische Abwehrreaktion auf die moderne Neurowissenschaft gedeutet werden. • Auslöser: Neurowissenschaftler wie F. Crick, W. Singer, G. Roth und viele andere haben angefangen sich in Fragen einzumischen, die traditionell dem „Kompetenzbereich“ der Philosophie zugerechnet werden, z.B. zum Leib-Seele-Dualismus, oder dem Problem der Willensfreiheit) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 48 Rückzugsgefechte: „Neurophilosophie“ • Problem: Neurophilosophen leisten keinen konstruktiven Beitrag zur Erklärung von kognitiven Fähigkeiten wie Sprache, Lernfähigkeit und Gedächtnis, sondern versuchen „nachzuweisen“, dass bestimmte Phänomene (Bewusstsein, Qualia etc.) nicht naturwissenschaftlich erklärt werden können. • Das Verhältnis von Neurowissenschaft und Neurophilosophie weist zahlreiche Parallelen zu dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Naturphilosophie am Beginn des 19. Jahrhunderts auf, • insbesondere die Selbstbeschränkung der Neurophilosophie auf historisch-hermeneutische Methoden und auf Gedankenexperimente (keine mathematischen Modelle, keine echte experimentelle Kontrolle) Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 49 Literaturangaben Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 50 Literaturangaben • B. Lauth: Descartes im Rückspiegel. Der Leib-Seele-Dualismus und das naturwissenschaftliche Weltbild. Mentis-Verlag, Paderborn 2006 • als E-Book (pdf-File) auf https://www.buchhandel.de • und bei Amazon • ferner: B. Lauth: „Das Dilemma der Geisteswissenschaften“, in: C. Lubkoll, O. Wischmeyer (Hrsg.): Ethical Turn? Geisteswissenschaften in neuer Verantwortung, München 2009 Logik, Gehirn, Information. Brückner, Lauth, Zirpel 51