"Rosch Pina, ein säkular-jüdisches Lehrmittel" (Bar

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Tagung „Säkulares Judentum?“ Religionswissenschaftliches Seminar Protokoll zum Workshop Rosch Pina, ein säkular-­jüdisches Lehrmittel Universität Zürich Rabbiner Reuven Bar Ephraim, Sylvia Dym Jill Mühlemann Workshop mit Rabbiner Reuven Bar Ephraim und Sylvia Dym zum Thema jüdischer Unterricht Die Referierenden des Workshops waren Reuven Bar Ephraim, der Rabbiner der jüdisch-­‐liberalen Gemeinde Or Chadasch in Zürich und seine Frau Sylvia Dym, die Autorin des Lehrmittels Rosch Pina. Der Grund, ein jüdisches Lehrmittel zu schreiben, sieht Sylvia Dym in der Geschichte des Judentums. Das Judentum sei nicht nur eine Religion sondern eine eigen-­‐ und vollständige Zivilisation. Eine Bedingung um überhaupt eine Zivilisation aufbauen und halten zu können, sei der Unterricht. Die Aufgabe zu unterrichten sei den Menschen von JHWH1 gegeben worden, denn er sei der einzige unter den altorientalischen Göttern, der zusätzlich zu den Aufgabenbereichen Schöpfung, Fruchtbarkeit, Schutz, Rettung, Krieg und Frieden auch Auftraggeber war: Er forderte die Menschen auf zu unterrichten und zu lernen. Dies sei in der Heiligen Schrift an verschiedenen Orten zu lesen: „Und der Herr sprach zu Mose: Steig herauf zu mir auf den Berg und bleibe hier! Ich aber will dir die Steintafeln geben, die Weisung und das Gebot, die ich aufgeschrieben habe, um sie zu unterweisen.“2 „Und nun höre, Israel, die Satzungen und Rechte die ich euch lehre, damit ihr danach handelt und am Leben bleibt.“3 Die wichtigste Stelle sei aber jene im Schma Israel. Dieses Gebet wird zweimal täglich gesprochene und ist ein zentrales Gebet im Judentum und welches, wie Frau Dym sagt, das Entscheidende im Judentum vermittle: „Höre, Israel: Der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen bleiben, und du sollst sie deinen Kindern einschärfen […]“4 1 Ich übernehme hier den von Frau Dym verwendeten Terminus JHWH. 2 Zürcher Bibel, Zür̈ich: Verlag der Zürcher Bibel beim Theologischen Verlag Zür̈ich, 2007. Exodus 24,12. 3 Zürcher Bibel, 2007. Deuteronomium 4,1. 4 Zürcher Bibel, 2007. Deuteronomium 6,4-­‐7. 1 Tagung „Säkulares Judentum?“ Religionswissenschaftliches Seminar Protokoll zum Workshop Rosch Pina, ein säkular-­jüdisches Lehrmittel Universität Zürich Rabbiner Reuven Bar Ephraim, Sylvia Dym Jill Mühlemann Darum seien Lernen und Unterrichten aus dem jüdischen Leben nicht wegzudenken, zum einen sei es religiös begründet durch die Zuschreibung JHWHs als einen Lehrer und zum anderen ist es in der jüdischen Tradition sehr zentral. Das was JHWH den Menschen sagt, soll an die Kinder weitergegeben werden. Das Alltagsleben und das Lernen seien so nah beieinander, dass jüdische Feiertage immer auch Unterricht seien, denn dort sind die Bräuche und Traditionen am sichtbarsten und sehr einfach zu erklären. Passend ist deshalb auch der Titel: Rosch Pina übersetzt Frau Dym mit Eckstein und es geht darum, den Kindern das Wissen über die jüdische Tradition zu vermitteln, als Ecksteine im Leben. Die Schüler und Schülerinnen sollen eine liberale Sichtweise vermittelt bekommen und die Art und Weise wie ihnen das Judentum unterrichtet und gelernt wird soll nicht der Lebensweise orthodoxer Juden gegenübergesetzt werden. Dass man Judentum auf viele verschiedene Arten leben und lernen kann soll den Kindern beigebracht werden ohne dabei wertend zu sein. Das Lehrmittel richtet sich an Schüler und Schülerinnen von 6 bis 13 Jahren und ist in drei Bücher unterteilt: Rachel (6-­‐8 Jahre), Ophir (8-­‐10 Jahre) und Schai (10-­‐13 Jahre). Rosch Pina orientiert sich, wie schon erwähnt, an den Ecksteinen, den Meilensteinen in einem jüdischen Leben: Rachel behandelt die Themen Schabbat, Jüdischer Kalender und Feiertage. In Ophir geht es um Von der Geburt bis zum Tod, Werte und Mizwot und Biblische Erzählungen und Schai behandelt Liturgie, Jüdische Lehre und Israel. Aus allen drei Büchern präsentierte Frau Dym jeweils ein Beispiel. In Rachel schreibt sie zum Schabat: „Am Schabat machen wir es uns bequem. Wir sollen nicht arbeiten […]. Wir können spazieren gehen […] oder einfach zusammen sein […]. Der Schabat kann eine Insel in der Zeit sein.“5 Man soll an Schabat das tun, was man gerne macht und wofür man sonst keine Zeit findet. Frau Dym meinte, wenn jemand sehr gerne im Garten arbeite aber selten Zeit dafür findet, soll er das am Schabat machen, denn es ist etwas besonderes, wie eine Insel 5 Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch Zürich/ Union progressiver Juden in Deutschland (Hg.): Rosch Pina. Jüdisches Lehrmittel, Band I – Rachel, Zürich, 2012: 20. 2 Tagung „Säkulares Judentum?“ Religionswissenschaftliches Seminar Protokoll zum Workshop Rosch Pina, ein säkular-­jüdisches Lehrmittel Universität Zürich Rabbiner Reuven Bar Ephraim, Sylvia Dym Jill Mühlemann in der Zeit. Wenn man das Gärtnern aber als Pflicht sieht, soll man es nicht am Schabat tun. Transparenz sei bedeutend, die Schüler und Schülerinnen müssten verstehen, sollen keine Unsicherheiten sondern volles Wissen über die Bräuche des Judentums haben. Darum sind im Kapitel Brit Mila im Buch Ophir alle benötigten Instrumente der Beschneidung abgebildet.6 Nur so sei eine genaue, tabulose Erklärung der Brit Mila möglich. Israel ist im Buch Schai ein grosses Kapitel. Frau Dym sagt, hier sei das einzige Tabu im ganzen Lehrmittel zu finden: Die Kinder seien zu jung um über Krieg und Politik zu lesen und darum werden beide Themen nicht behandelt oder unterrichtet. Ausserdem könnte es durch eine Positionierung des Lehrmittels womöglich Schwierigkeiten im Elternhaus geben und dies sei unbedingt zu vermeiden. Israel wird entsprechend behandelt als antikes Israel, hier werden die biblischen Erzählungen und die Verbindung des religiösen Judentums mit dem Staat aufgezeigt. Wenn es um das moderne Israel geht, so ist es ein Kapitel über Landeskunde, die wirtschaftliche Bedeutung des Staates weltweit und Informationen über die Einwohner des Landes. Es gibt viele Illustrationen und Fotos. Frau Dym lässt die Schüler und Schülerinnen aber nicht völlig im Dunkeln, was die weltpolitische Position Israels betrifft, den sie schreibt: „Die Situation in Israel ist sehr kompliziert. Das Verhältnis mit einigen Nachbarländern ist schwierig und die beabsichtigte Gleichberechtigung unter den Staatsbürgern und mit den Palästinensern noch nicht erreicht.“7 Tradition können nur durch Wahrung, Erneuerung und Weiterentwicklung überleben. Mit diesem Lehrmittel erhalten Schüler und Schülerinnen eine fundierte Bildung über viele verschiedene Aspekte des Judentums. Die Absicht, nicht im Gegensatz zu orthodoxem Lernen stehen zu wollen, ist erreicht. Bei Beendigung der Arbeit mit Rosch Pina kennt das Kind Fakten, Bräuche und Rituale des Judentums, die auf verschiedene Weisen angewandt werden können-­‐ oder eben nicht. Die Erziehung der Schüler und 6 Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch Zürich/ Union progressiver Juden in Deutschland (Hg.): Rosch Pina. Jüdisches Lehrmittel, Band II – Ophir, Zürich, 2013: 8-­‐9. 7 Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch Zürich/ Union progressiver Juden in Deutschland (Hg.): Rosch Pina. Jüdisches Lehrmittel, Band III – Schai, Zürich, 2013: 197. 3 Tagung „Säkulares Judentum?“ Religionswissenschaftliches Seminar Protokoll zum Workshop Rosch Pina, ein säkular-­jüdisches Lehrmittel Universität Zürich Rabbiner Reuven Bar Ephraim, Sylvia Dym Jill Mühlemann Schülerinnen zu gebildeten, reflektierten und selbstständig denkenden Menschen scheint das Ziel von Rosch Pina zu sein. Quellenverzeichnis: Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch Zürich/ Union progressiver Juden in Deutschland (Hg.): Rosch Pina. Jüdisches Lehrmittel, Band I – Rachel, Zürich, 2012. Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch Zürich/ Union progressiver Juden in Deutschland (Hg.): Rosch Pina. Jüdisches Lehrmittel, Band II – Ophir, Zürich, 2013. Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch Zürich/ Union progressiver Juden in Deutschland (Hg.): Rosch Pina. Jüdisches Lehrmittel, Band III – Schai, Zürich, 2013. Zürcher Bibel, Zürich: Verlag der Zürcher Bibel beim Theologischen Verlag Zürich, 2007. Wenn nicht anders bezeichnet, sind alle Quellen aus meinen persönlichen Notizen, die ich während des Workshops angefertigt habe. 4 
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