Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins

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Inhalt
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
Hannah Weyhe
Fakten
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Verschiedene Arten des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Unser Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M4
Lerntipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 4 a Wie lernt unser Gehirn am besten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 4 b Lernen will gelernt sein: Wie Schüler und Studenten richtig pauken . . . . . .
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M 4 c Mnemotechniken: Loci-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 4 d Mnemotechniken: Zahl-Form-System und Ersatzwortmethode . . . . . . . . . .
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Fallbeispiele zum Lehren und Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 5 a Frau Klarwein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 5 b Nina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 5 c David und Simon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 5 d Herr Maler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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M 5 e Michael . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Lösungsvorschläge
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Materialien und Arbeitsaufträge
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Kompetenzprofil
I Niveaustufe: ab der 10. Jahrgangsstufe
I Kompetenzen: Texte erfassen und analysieren, Erkenntnisse grafisch darstellen, Theorien
reflektieren und hinterfragen, Lernprozesse selbst steuern
I Methoden: Textarbeit, Einzel-, Partner und Gruppenarbeit, Experiment
I Medien: Texte, Bilder, Grafiken, Farbfolie
I Inhalt in Stichworten: grundlegende Definition des Begriffs „Lernen“, Darstellung des
Mehrspeichermodells, Auseinandersetzung mit verschiedenen Lern- und Merktechniken
I fachübergreifend: Biologie
Bildnachweis:
S. 4: Kind mit Holzpuzzle: Dave King © Dorling Kindersley, Mädchen vor Laptop: wavebreakmedia/ Shutterstock,
Vater/Kind mit Fahrrad: Peter Bernik/ Shutterstock, Mutter/Kind mit Buch: Marina Dyakonova/ Shutterstock,
Lehrer vor Klasse: bikeriderlondon/ Shutterstock, Mutter/Kind mit Klavier: Monkey Business Images/ Shutterstock,
schreibender Junge: Pete Panham/ Shutterstock
694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag
Lernen
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
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Fakten
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
Der Mensch ist anthropologisch gesehen ein Mängelwesen – zum Glück ist er lernfähig
und kann seine Defizite aktiv ausgleichen. Den Schülerinnen und Schülern begegnet
das Thema „Lernen“ täglich, gleichzeitig gewinnt es in der gegenwärtigen Phase ihrer
Schullaufbahn zunehmend an Bedeutung: Unterrichtsinhalte werden komplexer, Klausuren werden anspruchsvoller und gelernte Theorien müssen auf die Praxis angewendet werden. An Referate werden in allen Fächern bestimmte Ansprüche gestellt: Beiträge und Folien sollen anschaulich gestaltet werden, es sollen interaktive Zwischenphasen der Anwendung eingebaut werden etc. Jedes Fach, jede Lehrkraft versucht, den
Schülern Methoden beizubringen, mit denen nicht nur sie selbst lernen können, sondern Wissen auch so vermitteln können, dass es bei allen lange „im Kopf“ bleibt und
anwendbar sowie übertagbar ist. Doch warum sind solche Lernstrategien überhaupt
notwendig?
Die folgende Unterrichtseinheit widmet sich dieser und anderen Fragen: Was heißt
eigentlich Lernen und wie wird es definiert? Warum hat jeder einen Bezug zum Lernen
und weiß, was es ist? Welche neurobiologischen Erkenntnisse zeigen uns, wie Lernen
funktioniert, und welche pädagogischen Konsequenzen können wir daraus ziehen? Bei
der Beantwortung dieser Fragen durch die Unterrichtsinhalte bietet es sich an, Lernstrategien im Unterricht selbst sichtbar zu machen, beispielsweise durch das Verfassen
eines Protokolls. Die Schüler lernen so, Unterrichtsinhalte komprimiert zusammenzufassen und diese für ihre Mitschüler zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig wird ihnen
so eine Lernhilfe an die Hand gegeben. Durch das Ritual des wiederholenden Unterrichtseinstiegs durch den Protokollanten wird die Gelenkstelle zwischen den einzelnen
Unterrichtsstunden transparent gemacht und es lassen sich schnell Bezüge zwischen
den Einzelthemen herstellen und Verknüpfungen aufbauen. Zudem ist das Protokoll
eine Methode der Dokumentation, mit der die Lernenden im Laufe ihrer Schullaufbahn
und ihres Lebens immer wieder in Kontakt kommen, sei es im Studium oder bei Besprechungen in unterschiedlichsten Berufen – Erfahrung im Protokollieren zu erwerben ist damit auch eine Vorbereitung auf die berufliche Zukunft.
Die vorliegenden Materialien knüpfen an die Vorkenntnisse und biografischen Erfahrungen der Schüler an. Hierbei wird festgestellt, dass alle Lernenden einen Bezug zum
Thema haben und sich an Situationen ihres Lebens erinnern können, in denen sie a) etwas Wichtiges gelernt haben, b) besondere Hilfe beim Lernen hatten, c) sich beim Lernen gestört fühlten bzw. mit der Methode des Lernens negative Emotionen verbinden.
Als Hilfestellung erhalten die Schüler ein Bilderbuffet, aus dem sie sich eine oder mehrere Situationen aussuchen können, die sie mit Lernen in Verbindung bringen. Anschließend stellen die Schüler ihre Assoziationen im Kurs vor und sammeln Stichworte
an der Tafel. Zum Abschluss dieser Sequenz kann zudem nach Lernbegleitern gefragt
werden – hierzu zählen nicht nur Personen aus dem Umfeld der Schüler, sondern auch
herangezogene Hilfen wie der Computer, Bücher, Wissenssendungen im Fernsehen
oder Lernkarteien.
Im nächsten Materialteil soll der Begriff „Lernen“ definiert werden; hierzu dienen
verschiedene wissenschaftlich fundierte Begriffsdefinitionen, die das Lernen aus unterschiedlichen Sichtweisen betrachten. Die Schüler erkennen hierbei, dass sich viele
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Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
ihrer ersten Vermutungen wiederfinden lassen und zudem eine neurobiologische Betrachtung der Prozesse im Gehirn unabdingbar ist.
Aus neurobiologischer Sicht sollen sich die Schüler mit der heute gängigen GeM3
dächtnistheorie auseinandersetzen. Dies geschieht anhand eines ausführlichen Textes
über die Funktionen von sensorischem Register sowie Arbeits- und Langzeitgedächtnis. Alternativ kann hier auch ein Lehrervortrag erfolgen, der z. B. auf den Stichpunkten zum Gedächtnismodell basieren könnte, die in den Lösungsvorschlägen auf den
Seiten 18 und 19 zu finden sind.
Im Anschluss an die Bearbeitung des Textes bietet es sich an, mit den Schülern ein
Experiment zu machen, das die Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses aufzeigt. Hierfür
können vier freiwillige Schüler als Testpersonen dienen – zwei Probanden, ein Versuchsleiter und ein Protokollant. Es ist sinnvoll, den Test mit zwei Probanden durchzuführen, um ihre Leistungen vergleichen zu können. Den Probanden werden vom Versuchsleiter in drei Durchgängen verschiedene Begriffe vorgelesen, von denen sie sich
möglichst viele merken sollen, um sie dann zu wiederholen. Beim ersten Durchgang
sollen die Begriffe sofort wiederholt werden, beim zweiten Durchgang zählen die Probanden erst von 10 bis 1 runter und nennen dann die gemerkten Begriffe, beim dritten
Durchgang wird von 30 bis 1 runter gezählt. An diesem Test können u. a. der Primacy
Effect und der Recency Effect aufgezeigt werden.
Im Anschluss an diese Stunde sollten die Schüler reflektieren, inwieweit in dieser
Stunde Lernen sichtbar gemacht wurde: Was haben wir gelernt, wie haben wir gelernt?
Um nach dem neurobiologischen Exkurs die pädagogische Perspektive aufzugreiM4
fen, sollen nun pädagogische Konsequenzen aus den neurobiologischen Einsichten gezogen werden. Die Schüler lesen hierfür arbeitsteilig zwei sich ergänzende Texte mit
Lerntipps. Im Anschluss tauschen sie sich über die Inhalte aus und erstellen auf Basis
ihrer Kenntnisse gemeinsam die „Top 5 der Lernstrategien zum Vokabellernen“, die sie
anhand einer kurzen Präsentation vorstellen und erläutern sollen. Als Präsentationsmedium kann hier sowohl eine Folie als auch ein Plakat dienen.
Zwei weitere Texte stellen einige Mnemotechniken vor, die die Schüler selbst ausprobieren können. Die Auseinandersetzung mit diesen Lerntechniken und -strategien
soll die Schüler dazu motivieren, sich mit ihren eigenen Gewohnheiten beim Lernen
auseinanderzusetzen und diese gegebenenfalls effektiver zu gestalten.
Auf der Grundlage der bisher besprochenen Inhalte sollen sich die Schüler nun mit
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Fallbeispielen aus dem Schulalltag auseinandersetzen. Zunächst lesen sie alle Beispiele
durch und entscheiden sich schließlich für eines. Nun werden für jedes Fallbeispiel
Gruppen zusammengestellt, die die jeweiligen Arbeitsaufträge bearbeiten und ihre Ergebnisse schließlich den Mitschülern im Kurs vorstellen. Auch hier sollte am Ende der
Stunde eine Reflexionsphase stattfinden.
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Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
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Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
Verschiedene Arten des Lernens
Kind mit Holzpuzzle: Dave King © Dorling Kindersley, Mädchen vor Laptop: wavebreakmedia/ Shutterstock, Vater/Kind mit Fahrrad: Peter Bernik/ Shutterstock, Mutter/Kind mit Buch:
Marina Dyakonova/ Shutterstock, Lehrer vor Klasse: bikeriderlondon/ Shutterstock, Mutter/Kind mit Klavier: Monkey Business Images/ Shutterstock, schreibender Junge: Pete Panham/
Shutterstock
ARBEITSAUFTRAG
Womit verbinden Sie „Lernen“? Erinnern Sie sich an Situationen, in denen Sie
a etwas Wichtiges gelernt haben,
b besondere Hilfe beim Lernen hatten,
c sich beim Lernen gestört fühlten bzw. mit der Methode des Lernens negative
Emotionen verbinden.
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Definitionen
Lernen: Ein erfahrungsbasierter Prozess, der in einer relativ überdauernden Veränderung des Verhaltens oder des Verhaltenspotenzials resultiert.
Aus: Richard J. Gerrig/Philip G. Zimbardo: Psychologie, übersetzt von Ralf Graf, München: Pearson Studium 2008, S. 738
Lernen: Allgemeine, umfassende Bezeichnung für Veränderungen des individuellen
Verhaltens auf bestimmte Reize, Signale, Objekte oder Situationen. Sie haben ihre
Grundlage in (wiederholten) Erfahrungen, die automatisch registriert und/oder bewusst verarbeitet werden. Lernen ist nur dann gegeben, wenn ausgeschlossen werden
kann, dass dieselben Veränderungen des Verhaltens auf (a) angeborene Reaktionstendenzen (z. B. Reflexe, Instinkte), (b) Reifungsprozesse oder (c) vorübergehende Veränderungen des Organismuszustandes (z. B. durch Ermüdung, Drogen, Pharmaka,
biologische Bedürfnisse, Erkrankungen) zurückgehen […].
Aus: Werner D. Fröhlich: Wörterbuch Psychologie, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1997, S. 262
Lernen: In der Alltagssprache bezeichnet man als L. den Erwerb von Wissen sowie
von motorischen und sprachlichen Fertigkeiten. In der Psychologie versteht man unter Lernen die durch Erfahrung entstandenen, relativ überdauernden Verhaltensänderungen. L. kann somit als Prozess verstanden werden, der bestimmte Organismen, jedoch auch technische Anlagen (z. B. Automaten) befähigt, aufgrund früherer Erfahrungen und durch organische Eingliederung weiterer Erfahrungen situationsangemessen zu reagieren […].
Aus: Humboldt-Psychologie-Lexikon, hrsg. von der Redaktion Naturwissenschaft und Medizin des Bibliographischen Instituts,
München: Humboldt-Taschenbuchverlag Jacobi KG 1990, S. 205
Lernen ist das Aufnehmen, Verarbeiten und Umsetzen von Informationen. Lernen ist
ein lebenslanger Prozess.
Aus: Johannes Schilling: Soziale Arbeit, Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand 1997, S. 159
ARBEITSAUFTRÄGE
1 Markieren Sie zunächst in Einzelarbeit Passagen, die Sie für eine Definition von Lernen
wichtig finden.
2 Formulieren Sie auf dieser Basis in Partnerarbeit Ihre eigene Definition des Begriffs
Lernen.
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Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
Unser Gedächtnis
Grundfunktionen des Gedächtnisses
Der Wissensspeicher hat nur eine nachgeordnete Funktion im Gehirn, am wichtigsten sind
das Gedächtnis und das Verhalten. Durch unser Gedächtnis erinnern wir uns an Orte, Situationen und soziale Kontakte; das Verhalten
wiederum wird durch unser Gedächtnis gesteuert.
Es werden drei Grundfunktionen des Gedächtnisses unterschieden:
• Einspeichern (Enkodieren): Sinneseindrücke werden zu Erfahrungen transformiert
• Speichern (Behalten): Erfahrungen werden
gespeichert
• Abrufen und/oder Vergessen
Atkinson und Shiffrin entwickelten 1968 das
sogenannte Mehrspeichermodell. Es geht
davon aus, dass das menschliche Gedächtnis
aus drei Teilsystemen zusammengesetzt ist:
sensorisches Register, Kurzzeitgedächtnis und
Langzeitgedächtnis.
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Das sensorische Register
Das sensorische Register ist das System, das
als Erstes Informationen aufnimmt und diese
für eine kurze Zeitspanne (ca. 100 bis 500 Millisekunden) behält. Es ist modalitätsspezifisch,
das heißt, es werden verschiedene Subsysteme für verschiedene Sinnesmodalitäten angenommen – jeder Sinn hat sein eigenes Register. Am besten untersucht sind dabei das visuelle System (ikonisches Gedächtnis) und das
auditive System (echoisches Gedächtnis).
Das echoische Gedächtnis zeigt sich z. B.,
wenn man in ein Buch vertieft ist und währenddessen eine Frage gestellt bekommt. Oft
fragt man zurück „Was hast du gesagt?“ und
meist erinnert man sich noch währenddessen
an die Frage und kann sie beantworten. Das
lautliche Abbild der Frage ist nämlich vom
sensorischen Register registriert worden. Die
Speicherung erfolgt im Übrigen zweikanalig,
d. h. für jedes Ohr getrennt.
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Als Illustration des ikonischen Gedächtnisses dient oft das Phänomen der Beobachtung eines Blitzes in der Nacht: Was wir als
einen einzigen Blitz wahrnehmen, besteht im
Grunde aus drei oder vier einzelnen kurzen
Blitzen von je etwa 50 Millisekunden. Die
Gesamtdauer beträgt also etwa 200 Millisekunden. Der Mensch nimmt diese Einzelphänomene jedoch als zusammenhängendes Ganzes wahr. Überdies schätzen wir die Dauer
eines Blitzes auf etwas mehr als 500 Millisekunden und haben oft das Gefühl, der visuelle
Stimulus würde langsam ausgeblendet, statt
plötzlich abgeschaltet (Letzteres würde der
physikalischen Realität entsprechen). Da der
Begriff Gedächtnis dadurch definiert wird,
dass eine bestimmte Information ihre physikalische Präsentation überdauert, muss man annehmen, dass bei unserer Wahrnehmung eines Blitzes eine Art „Gedächtnis“ im Spiel ist.
Man geht deshalb davon aus, dass visuelle
Reize in einem temporären visuellen Puffer
gespeichert werden. Dieser Puffer wird als visuelles sensorisches Register oder eben ikonisches Gedächtnis bezeichnet.
Der Psychologe George Sperling untersuchte das ikonische Gedächtnis 1960 in einem Experiment: Dabei wurde Testpersonen
eine Buchstabenmatrix für wenige Sekunden
dargeboten, wobei sich die Probanden an alle
Buchstaben erinnern sollten (Ganzreport). Ergebnis: Probanden erinnerten sich an maximal
4 bis 7 Buchstaben. In einem zweiten Durchgang wurde nach dem Einblenden der Buchstabenmatrix ein Ton von hoher, mittlerer
oder tiefer Tonhöhe vorgegeben, der jeweils
bestimmt, welche Zeile der Matrix wiedergegeben werden sollte (Teilreport). Ergebnis:
Eine einzelne Zeile wird meistens vollständig
erinnert, bis zum Ton jedoch muss also jede
Reihe präsent gewesen sein: Dies ist die Leistung des ikonischen Gedächtnisses.
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Die Tatsache, dass Sinneseindrücke im sensorischen Register nur kurz behalten werden, ist
überlebenswichtig, sonst wären wir im alltäglichen Leben schlichtweg überfordert. Unser
Verhalten wird oft von Automatismen gesteuert – würden wir beim Laufen über jede
einzelne Bewegungseinheit, den Untergrund,
unser Schuhwerk etc. nachdenken, wäre jeder
Schritt eine große Herausforderung für unser
Gedächtnis – würden wir jeden Geruch oder
jedes Geräusch aktiv registrieren, wäre ein
Gang vor die Haustür nahezu undenkbar, geschweige denn die Konzentration auf andere
Dinge.
Beispiel: In Heidi Klums Casting-Show „Germany’s next Topmodel“ müssen die Kandidatinnen plötzlich nicht mehr „nur“ geradeaus
laufen, sondern sollen „High Fashion“, „Edgy“,
„Sporty“ laufen, dazu in Kleidern und Schuhen,
die ein normales Laufen schon kaum möglich
machen, und mit choreographierten Armbewegungen („Die Handtasche muss lebendig sein!“).
Sie werden fotografiert, Fotografen rufen ihren
Namen, sie sollen nach dem Takt der Musik
laufen, die Jury im Blick behalten, die entgegenkommenden Models auf dem schmalen Laufsteg … Jeder Zuschauer fragt sich, wie sie beim
einfachen Hin- und Herlaufen stolpern oder
plötzlich in eine aliengleiche Gangart verfallen
können. Die Antwort findet sich, wenn man die
Funktionsweise des sensorischen Registers bedenkt: Die Kandidatinnen sind durch zu viele
Sinneseindrücke und das Nachdenken über Automatismen überfordert.
Wie gelangen dann aber Informationen ins
Arbeitsgedächtnis? Dies geschieht durch Auf-
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merksamkeitsprozesse, die motivational gesteuert sind.
Beispiel: Viele Gerüche würde man nicht
wahrnehmen, wenn man jedoch Hunger hat
und jemand mit etwas Essbarem in der Hand
vorbeikommt, dann wird man diesen Geruch
aktiv wahrnehmen.
Das Kurzzeitgedächtnis/Arbeitsgedächtnis
Im Zentrum der bewussten Informationsverarbeitung steht das Arbeitsgedächtnis (in älteren Modellen Kurzzeitgedächtnis). Dieser
Speicher hält eine kleine Menge von Informationen in einem aktiven, jederzeit verfügbaren
Stadium bereit. Die Informationen können
weiterverarbeitet werden, Ergebnisse müssen
zur langfristigen Speicherung in das Langzeitgedächtnis überführt werden, da die Inhalte
im Arbeitsgedächtnis nur für kurze Zeit zur
Verfügung stehen. Aus diesem Grund wird
dieser Speicher als Kurzzeitgedächtnis bezeichnet. Mithilfe der Informationen in diesem Speicher werden Handlungen organisiert,
weswegen man auch vom Arbeitsgedächtnis
spricht.
Das Vergessen findet durch Spurenzerfall
statt, wenn die Information nicht wiederholt
oder als unwichtig eingestuft wird. Vergessen
wird auch, wenn alte Informationen durch
neue ersetzt werden.
Das Arbeitsgedächtnis verfügt über eine begrenzte Kapazität von 7 ± 2 Informationseinheiten, die auch „Chunks“ genannt werden.
Dadurch unterscheidet es sich vom Langzeitgedächtnis, das über eine nahezu unbegrenzte
Kapazität verfügt. Mithilfe der Technik des
„Chunking“ kann man die Speicherkapazität
des Arbeitsgedächtnisses vergrößern. Dabei
werden einzelne Komponenten – wie z. B. die
Ziffern in einer Telefonnummer – zu Einheiten zusammengefasst.
Beispiel für Chunking: Soll man sich die
Buchstabenfolge DAXIBMARDUSA merken,
ist das so kaum möglich, da es sich hier um 12
einzelne Einheiten (Chunks) handelt. Die Buchstabenfolge kann allerdings in 4 Einheiten unterteilt werden: DAX IBM ARD USA.
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Bei dieser Unterteilung werden die 4 Einheiten mit Oberbegriffen verbunden:
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Beim Speichern von Informationen im Arbeitsgedächtnis wirken außerdem zwei Effekte: Primacy Effect und Recency Effect. Ersterer
führt dazu, dass man zuerst genannte Informationen besser behält. Der Recency Effect
bewirkt, dass man zuletzt genannte Informationen bevorzugt speichert.
Die Begriffe „Kurzzeitgedächtnis“ und „Arbeitsgedächtnis“ werden oft austauschbar verwendet. Ersterer kommt jedoch häufiger im
Zusammenhang mit älteren Theorien vor, die
von einem einheitlichen System zur kurzzeitigen Speicherung von Informationen ausgehen. Moderne Theorien gehen davon aus, dass
das Kurzzeitgedächtnis eine komplexe Ansammlung interagierender Subsysteme ist, die
insgesamt als Arbeitsgedächtnis bezeichnet
werden. Durch Erhaltungswiederholungen/
Elaboration werden Informationen dann dauerhaft in das Langzeitgedächtnis überführt.
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Das Langzeitgedächtnis
Das Langzeitgedächtnis verfügt über einen unendlich großen Speicher; die Speicherung erfolgt durch Wiederholung und Elaboration.
Die Inhalte sind nicht immer automatisch präsent, man muss Informationen bewusst abrufen. Es wird in drei Komponenten unterteilt –
das episodische, das semantische und das prozedurale Gedächtnis:
• Episodisches Wissen beinhaltet Erinnerungen an Ereignisse aus der eigenen Vergangenheit. Sie haben spezifische Gültigkeit,
d. h. sie sind nur im Kontext der Vergangenheit eines Individuums zutreffend.
• Demgegenüber ist semantisches Wissen als
Wissen über Fakten und Bedeutungen generell gültig und unabhängig von einem bestimmten Ereignis zutreffend.
• Zum prozeduralen Wissen zählt man Fertigkeiten eines Menschen wie beispielsweise Fahrradfahren. Es ist im Gegensatz zum
episodischen und semantischen Gedächtnis
nicht deklarativ, d. h. nicht – oder nur
schwer – verbalisierbar.
Bisher wurde keine Begrenzung der Speicherkapazität des Langzeitgedächtnisses festgestellt, es lassen sich also offenbar unendlich
viele Informationen speichern. Die einzige
Schwierigkeit besteht darin, die Informationen erst einmal dort zu speichern.
Hannah Weyhe 2014
ARBEITSAUFTRÄGE
1 Fassen Sie in Stichpunkten die wichtigsten Informationen zum Mehrspeichermodell
zusammen.
2 Stellen Sie die Funktionsweise des Gedächtnisses grafisch dar. Zeigen Sie in Ihrer
Zeichnung, an welchen Stellen Informationen verloren gehen können.
Bereiten Sie sich darauf vor, Ihre Grafik zu erläutern.
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Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
3 Wählen Sie im Kurs einen Versuchsleiter, einen Protokollanten und zwei Versuchspersonen aus. Führen Sie mit beiden Versuchspersonen (VP 1 und VP 2) die folgenden
drei Tests durch.
Testverlauf: Während die eine Versuchsperson getestet wird, wird die andere aus dem
Zimmer geschickt. Der Versuchsleiter liest jeweils 16 Wörter vor, die die Versuchsperson anschließend wiederholen soll – die Reihenfolge der Wörter spielt dabei
keine Rolle. Der Protokollant hakt die genannten Wörter in der Tabelle ab.
Test 1: Wiederholen Sie die folgenden 16 Wörter.
VP 1 VP 2
VP 1 VP 2
1. Hund
k k
9. Oskar
k k
2. Spinat
k k
10. Hand
k k
3. Husten
k k
11. Computer
k k
4. Auto
k k
12. Ananas
k k
5. Freundin
k k
13. Lampe
k k
6. Erdbeere
k k
14. Buch
k k
7. Schuh
k k
15. Pflanze
k k
8. Topmodel
k k
16. Kissen
k k
Test 2: Zählen Sie von 10 bis 1 runter und wiederholen Sie dann die folgenden
16 Wörter.
VP 1 VP 2
VP 1 VP 2
1. Schublade
k k
9. Badezimmer
k k
2. Blume
k k
10. Lampe
k k
3. Glas
k k
11. Fisch
k k
4. Angela
k k
12. Gardine
k k
5. Spiegel
k k
13. Spülmittel
k k
6. Vase
k k
14. Hose
k k
7. Tisch
k k
15. Auto
k k
8. Kochlöffel
k k
16. Kerze
k k
Test 3: Zählen Sie von 30 bis 1 runter und wiederholen Sie dann die folgenden
16 Wörter.
VP 1 VP 2
VP 1 VP 2
1. Saft
k k
9. Pirat
k k
2. Katze
k k
10. Frau
k k
3. Bild
k k
11. Handy
k k
4. CD
k k
12. Schokolade
k k
5. Elefant
k k
13. Internet
k k
6. Kassette
k k
14. Korb
k k
7. Schrank
k k
15. Brille
k k
8. Schnee
k k
16. Schlüssel
k k
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Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
4 Analysieren Sie die Ergebnisse der drei gerade durchgeführten Tests.
In welchem Fall war die Gedächtnisleistung am besten und woran könnte dies liegen?
Erläutern Sie die entsprechenden Effekte.
Test 1:
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Test 2:
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Test 3:
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Wie lernt unser Gehirn am besten?
Wenn wir es richtig anstellen, lassen sich die
Erkenntnisse aus Neurowissenschaft und Epigenetik fürs Lernen nutzen.
Viele kennen das: Wir lesen eine Seite mit
wichtigen Inhalten, die wir behalten wollen,
zum Beispiel für eine Prüfung. Aber auch nach
mehrmaligem Lesen und Aufsagen bleiben die
Mühen vergeblich. Wir speichern den Inhalt,
den wir so dringend brauchen, nicht langfristig ab und haben ihn spätestens am nächsten
Tag wieder vergessen. Das liegt keinesfalls daran, dass wir dumm sind oder zu wenig Speicherkapazität haben – schließlich nutzen wir
nur einen Bruchteil unserer Gehirnleistung.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir uns
und unsere Umgebung an den Lernprozess
nicht richtig angepasst haben. Dies kann man
ändern und damit den Lernerfolg steigern. Das
Gehirn lernt wesentlich leichter ohne Stress,
zumindest ab dem zweiten Mal. Beim ersten
Mal sind wir unter Stress leistungsfähiger, aber
die mit dem Lernen verknüpfte negative
Stresserfahrung wird abgespeichert und löst
bei der nächsten ähnlichen Situation Abwehrverhalten aus. Wir sind blockiert. Dann haben
die Informationen nicht mehr die Möglichkeit, aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überzugehen. Wir vergessen wieder.
Je mehr Sinne, desto besser
Auch zu viel Koffein, wenig Schlaf oder mangelnde Bewegung sind Stressfaktoren für unser Gehirn. Eine gesunde Lebensweise ist also
eine gute Voraussetzung für erfolgreiches Lernen – genauso wie positive Assoziationen, also Spaß. Denn wenn ein Lernstoff mit positiven Gefühlen assoziiert wird, wird er besser
gespeichert. Deshalb ist es wichtig, sich für
ein Studium oder einen Beruf zu entscheiden,
der einem Spaß macht. Hier ist der Erfolg
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wahrscheinlicher. Lernen ist auch eher erfolgreich, wenn möglichst viele Sinne daran beteiligt sind. Wir können uns schnell merken, was
ein Apfel ist, weil wir ihn nicht nur sehen,
sondern auch schmecken.
Der genetische Code ist nicht schuld
So werden die Informationen in unserem Gehirn an unterschiedlichen Stellen durch sogenannte neurale Verknüpfungen gespeichert.
Und je multipler diese Verknüpfungen sind,
desto besser ist die Information gespeichert.
Um Gelerntes auch nach längerer Zeit nicht
zu vergessen, ist es wichtig, das Gelernte zu
wiederholen, denn wenn die Neuronenverbindungen nicht genutzt werden, lösen sie
sich wieder. Wir vergessen. Schon so mancher
hat sich in der Schule zum Beispiel gefragt, ob
er überhaupt „das Zeug zu Mathe hat“, ob es
vielleicht einfach nicht in seinen Genen liegt,
gut in Mathe zu sein. Das ist ein Trugschluss.
Denn unser genetischer Code programmiert
uns nicht unveränderbar für den Rest unseres
Lebens. Die Gene unseres Genoms werden
epigenetisch (Vorsilbe „epi“ = hinterher, zusätzlich) reguliert, also an- und ausgeschaltet,
je nachdem, welchen Umwelteinflüssen, also
zum Beispiel Nahrung, Erfahrungen, Gefühle,
wir ausgesetzt sind. Dabei sind vor allem die
ersten Lebensjahre entscheidend. Aber auch
noch im Laufe unseres Lebens können wir das
„Zusammenspiel“ unserer Gene und damit
unsere Möglichkeiten beeinflussen. Wenn du
willst, dass es mit dem Lernen klappt, solltest
du ausgeschlafen sein, dich genug bewegen,
gesund essen und dir eine stressfreie Umgebung schaffen. Versuche, den Lernstoff auf
verschiedene Arten mit mehreren Sinnen zu
entdecken und wiederhole ihn so oft es geht.
Aus: Alexa Fanta (27. 9. 2010), http://www.yaez.de/Lernen/457Wie-lernt-unser-Gehirn-am-besten.html
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Lernen
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
Lernen will gelernt sein: Wie Schüler und Studenten richtig pauken
Lernen ist mehr als hirnloses Pauken. Sich den
Stoff immer wieder reinzuquälen, kann sogar
mehr schaden als nutzen.
Reiner Frontalunterricht gilt längst als
Steinzeit-Didaktik. In der Uni wird das oft
sträflich vernachlässigt. Vorlesungen laufen
meist immer noch nach dem Prinzip ab: Einer
redet, die anderen hören zu – oder lassen es.
Hinterher sitzen viele vor einem Bücherberg
in der Bibliothek und versuchen, sich den
Stoff reinzuziehen und sich Prüfungswissen
einzuhämmern. Das ändern Studenten besser,
wenn sie vom Studium wirklich etwas haben
wollen.
Nicht nur vor Prüfungen pauken: Studenten dürften sich nicht nur von Klausur zu
Klausur hangeln, wenn sie etwas lernen wollen, sagt die Studienberaterin Brigitte ReysenKostudis von der Freien Universität Berlin.
Die Psychologin hat bei vielen Studenten ein
neuartiges Krankheitsbild ausgemacht: das
„Bulimie-Lernen“. „Vor einer Prüfung fangen
sie an, ganz viel Stoff in sich hineinzustopfen,
um ihn dann weitgehend unverdaut wieder
auszukotzen.“
Mehr bringe es, den Stoff regelmäßig
durchzugehen und im Lauf eines Seminars
mitzuarbeiten. Auch böten Dozenten oft Arbeitsblätter zum freiwilligen Nachbereiten an.
„Aber viele machen die nicht“, hat ReysenKostudis beobachtet. Damit tun sich Studenten keinen Gefallen. Denn 15 Minuten pro
Woche zu pauken, bringt mehr als ein Lernmarathon am Semesterende. „Regelmäßig
Gelerntes bleibt eher hängen.“
Wissen ist gut, verstehen ist besser: Mit
bloßem Auswendiglernen kommt man nicht
weit. Zwar ist Faktenwissen in Fächern wie
Medizin das A und O. Aber auch hier sei ein
Grundverständnis die Basis dafür, dass Fakten
hängen bleiben, meint Reysen-Kostudis. „Es
ist leichter, Formeln zu lernen, wenn man die
Zusammenhänge verstanden hat.“
Auch stumpfes Wiederholen bringe wenig,
sagt Prof. Werner Heister von der Fachhoch-
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schule Niederrhein in Krefeld, der dazu ein
Buch geschrieben hat. Denn wer sich immer
wieder dasselbe einzutrichtern versucht, hat
innerlich längst abgeschaltet. „Das Gehirn ist
ein neugieriges Instrument. Wenn ich einen
Text zehnmal lese, sagt es sich: Kenn ich doch
schon!“ Wird ein Sachverhalt dagegen auf
zehn verschiedene Arten vermittelt, sei der
Lerneffekt viel größer. Beim Lernen ist also
Abwechslung gefragt, damit die grauen Zellen
aufnahmebereit bleiben.
Auf Wiedergabe umschalten: Es ist die
falsche Herangehensweise, sich den Stoff bloß
reinzuziehen. Um ihn zu verarbeiten, ist neben der Aufnahme auch die Wiedergabe nötig.
„Lesen alleine bewirkt nur eine sehr oberflächliche Einprägung“, erklärt Prof. Martin Schuster, Lernexperte und Buchautor von der Uni
Köln. „Man muss sich selbst auch abfragen, also den gelesenen Stoff aus dem Gedächtnis
wiedergeben.“ So sicherten Studenten die
„Wiederfindewege“ im Gehirn. Das macht
auch das Mitschreiben in Vorlesungen so wichtig. „Dann muss man ja beim Zuhören den
Stoff zusammenfassen und neu formulieren.“
Darüber reden hilft: Wer nicht fragt,
bleibt dumm – dieser Satz aus der Sesamstraße gilt auch in der Uni. Viele Erstsemester haben Reysen-Kostudis zufolge aber Angst, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstehen. „Die denken dann: Was ich sage, ist bestimmt dumm.“ Darüber reden hilft beim
Lernen aber. Studenten sollten sich trauen,
Fragen zu stellen und über den Stoff zu diskutieren. So bekämen sie eher das Gefühl, eine
Sache verstanden zu haben und im Thema
„drin“ zu sein.
Anschaulich machen: Visualisieren hilft,
findet Werner Heister. Die sieben Einkunftsarten des Steuerrechts zum Beispiel ließen
sich leichter lernen, wenn sie über eine Bilderkette verbunden oder in eine Geschichte
verpackt werden. Sinnvoll sei es auch, Mindmaps anzufertigen, ergänzt Martin Schuster.
Ein solches „Sinngewebe“ habe den Vorteil,
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Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
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dass eine bildhafte Struktur des Stoffes entsteht. Das ist anschaulich und macht Zusammenhänge auf einen Blick erkennbar. Texte
bunt anzustreichen bringt dagegen eher wenig. Studenten sollten wichtige Aspekte besser herausschreiben, als sie rot zu unterstreichen, rät Reysen-Kostudis. Das sei die aktivere Lernweise.
Abschreiben gilt nicht: Studenten dürfen beim Exzerpieren von Literatur aber nicht
nur abschreiben. Sie sollten vielmehr versuchen, Sachverhalte in eigenen Worten auszudrücken – so eigneten sie sich den Stoff eher
an, sagt Reysen-Kostudis. Wichtig sei auch,
einen eigenen Zugang zum Thema und eigene
Fragen zu entwickeln. Das weckt das persönliche Interesse und motiviert. Lernen müsse
schließlich Freude machen, sagt Heister. „Das
Gehirn ist ein Torwächter: Wenn ich denke:
,Ich habe keinen Bock‘, bleibt das Tor zu.“
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Sacken lassen: Andauernd ohne Pause zu
lernen, ist kontraproduktiv, sagt Martin Schuster. „Der Stoff muss sich setzen.“ Beim Lernen
sollten Studenten daher pro Stunde mindestens 20 Minuten Pause einplanen. Die Gedächtnisleistung leide außerdem unter Schlafmangel. „Also ist es auch nicht sinnvoll, in die
eigenen Schlafzeiten hineinzulernen.“ Vor
Prüfungen muss rechtzeitig Schluss mit dem
Pauken sein. „Am Tag vor einer Prüfung würde ich zumindest nichts Neues mehr machen“,
warnt Reysen-Kostudis. Damit machten Studenten sich bloß verrückt und gerieten in Panik.
Aus: Tobias Schormann: Lernen will gelernt sein: Wie Schüler und
Studenten richtig pauken, 14. 6. 2010, http://www.yaez.de/Lernen/
271-Lernen-will-gelernt-sein-Wie-Schueler-und-Studenten-richtigpauken.html, aufgerufen am 30. 4. 2014
ARBEITSAUFTRÄGE
1 Lesen Sie einen der beiden obigen Texte. Arbeiten Sie die wesentlichen Kernaussagen
heraus und notieren Sie sich Stichpunkte. Stehen Sie auf, sobald Sie fertig sind.
2 Suchen Sie sich einen Arbeitspartner, der ebenfalls schon aufgestanden ist und der
einen anderen Text als Sie gewählt hat. Tauschen Sie sich mit diesem Partner aus;
vergleichen und ergänzen Sie Ihre Notizen.
3 Entwerfen Sie auf Basis Ihrer Kenntnisse mit Ihrem Partner die „Top 5 der Lernstrategien
zum Vokabellernen“.
Erläutern Sie auf der Grundlage des obigen Textes und Ihres Wissens über
Gedächtnisprozesse kurz, warum Sie diese Lernstrategien gewählt haben.
Präsentieren Sie dem Kurs die Top 5 und Ihre Erläuterungen.
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Mnemotechniken: Loci-Methode
Franz-Josef Schumeckers, Guinness Weltrekordhalter, beschreibt die Grundlage für ein sicheres Gedächtnis: die Routenmethode.
Um mir größere Mengen an Daten, Terminen, Fakten oder anderes merken zu können,
wende ich die Routenmethode an.
Hierbei habe ich im Geiste Routen festgelegt, auf der sich viele markante Punkte befinden. Eine Route beispielsweise befindet sich
bei mir zu Hause in der Wohnung. Ich habe
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694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag
mehrere Orte in meiner Wohnung als Routenpunkte in einer bestimmten Reihenfolge
festgelegt:
1. Haustür
2. Garderobe
3. Gäste-WC
4. Treppe
5. Teppich im Wohnzimmer
6. Palme
7. Bücherregal
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8. Couch
9. heiße Herdplatte in der Küche
10. Spülbecken
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Jeder dieser Punkte hilft mir, ganz verschiedene Dinge zu merken. Möchte ich mir eine Einkaufsliste mit Milch, Brot, Salat, Tomaten,
Möhren etc. einprägen, verknüpfe ich die einzelnen Punkte meiner Liste mit meinen Routenpunkten. Die Milch mit dem ersten Punkt,
der Haustür. Nun reicht es mir nicht, einige
Tropfen Milch auf der Tür oder ein Milchpaket davor zu sehen. Nein, es ist wichtig,
möglichst alle Sinne, Bewegung, Fantasie,
Humor, Übertreibung einzubringen.
Ein Beispiel: Das Milchpaket ist bei mir
überdimensional groß. 20 Liter Milch schütte
ich über die Tür, wobei ich selbst völlig nass
werde. Dieses Bild bleibt haften. Garantiert!
Und weiter geht es: Auf jeden Garderobenhaken spieße ich ein Brot. In die Toilette
stopfe ich meine Salatköpfe. Die Tomaten, als
4. Punkt auf meiner Einkaufsliste, verbinde
ich mit meinem 4. Routenpunkt, der Treppe.
Eine Tomatenlawine rollt die Treppe herab
und ich versuche, ihr entgegen nach oben zu
laufen. Eine ganz schöne matschige Angelegenheit. Die Möhren auf meiner Liste verknüpfe ich mit meinem 5. Routenpunkt. Dies
geht so weiter, bis alle Teile auf einem Routenpunkt liegen.
Im Supermarkt gehe ich dann später nur
noch meine fiktive Route in Gedanken ab und
werde mit Sicherheit nichts vergessen.
Das Schöne an dieser Methode ist, dass
sich 100 Punkte genauso leicht einprägen wie
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Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
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Routen systematisch aufbauen
Wichtig ist, dass Sie Ihre Routen stets systematisch aufbauen, damit Sie die Routenpunkte sicher wiederfinden. Liegt Ihre Route in einem Raum, sollten Sie entweder links oder
rechts an der Wand entlanggehen. Wenn sich
Dinge in einem Raum übereinander befinden,
dann immer zuerst den oberen vor dem unte-
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ren Punkt oder umgekehrt, aber immer die
gleiche Reihenfolge.
Mehrere Routen konstruieren
Auch ich habe mit einer kleinen Route angefangen. Nach und nach habe ich mir dann immer mehr Routen zugelegt. Auf dem Weg zur
Arbeit, im Garten, im Urlaub in der Hotelanlage u. a. Inzwischen habe ich mehrere Routen
in meinem Kopf abgelegt, die insgesamt mehr
als 2000 Routenpunkte aufweisen.
Mit der Routenmethode zum Erfolgsgedächtnis
Die Routenmethode gibt mir zusammen mit
dem Mastersystem die Grundlage, Hunderte
von Zahlen oder Wörtern zu merken. Eine
freie Rede zu halten fällt mir leicht, seitdem
ich statt Worte von einem Spickzettel abzulesen, diese nun in Gedanken auf meinen Routenpunkten sehe. Für Termine habe ich zwei
Routen mit je 31 durchnummerierten Punkten parat. Die eine für den aktuellen Monat.
Die andere für den nächsten. Habe ich nun am
14. im nächsten Monat einen Zahnarzttermin,
so lege ich auf dem 14. Routenpunkt einen
riesigen Zahn ab, der gerade mit ohrenbetäubendem Lärm durchbohrt wird. So trage ich
nun meine Routen in meinem Geist immer
bei mir und sie warten schon jetzt wieder darauf, mit fantasievollen, lustigen, kuriosen
Bildern bestückt zu werden.
Aber Achtung: Nicht jede Route lässt sich
immer verwenden. Hat das Gehirn sich die
Bilder eingeprägt, dauert es bis zu einer Woche, bis es die Bilder wieder vergessen hat.
Erst wenn der Speicher wieder leer ist, kann
man eine Route wieder einsetzen.
Ihre Wurzeln hat diese Routentechnik im
Altertum. Bereits die alten Römer benutzten
sie und daher rührt auch ihre Bezeichnung
Loci-Methode (Locus = der Ort). Sie ist sicherlich die effektivste Methode, um sich scheinbar unbegrenzt viele Dinge zu merken.
Aus: Franz-Josef Schumeckers: Grundlagen Gedächtnistraining,
31. 5. 2011, http://www.memoryxl.de/gedaechtnistraining/tippsder-meister/grundlagen-gedaechtnistraining.html
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Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
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Mnemotechniken: Zahl-Form-System und Ersatzwortmethode
Einfach ist das Zahl-Form-System: Es ordnet
jeder Ziffer von 0 bis 9 ein Symbol zu, das ihr
ähnlich sieht oder eine Assoziation zur Ziffer
in Gang setzt. Die Null kann dann beispielsweise eine Kugel sein, die Eins eine Kerze, die
Zwei wird durch einen Schwan dargestellt, die
Drei etwa durch einen Dreizack, die Vier mit
einem vierblättrigen Kleeblatt gedanklich verknüpft, die Fünf mit einer Hand und so weiter.
Wer sein Zahl-Form-System auswendig
beherrscht, kann es nutzen, um sich kurze
Zahlenreihen wie beispielsweise Telefonnummern besser einzuprägen. Dazu überlegt er sich
aus den Symbolen eine kleine Geschichte. Ist
die Durchwahl des Kollegen also -154, dann
käme in der Geschichte eine Kerze, eine Hand
und ein Kleeblatt vor – und zwar genau in der
Reihenfolge der Ziffern und am besten mit einer Verknüpfung zu dem Kollegen. Der Kollege könnte also auf dem Schreibtisch eine Kerze stehen haben, an der er sich die Hand verbrennt und sie mit einem Kleeblatt heilt. Das
ist ein seltsames Bild, und gerade weil es ungewöhnlich ist, lässt es sich gut erinnern: Es
ist merk-würdig. […]
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Aber was macht man, wenn man dabei
neue Vokabeln, Namen oder Fachbegriffe lernen muss? Hier eignet sich die sogenannte Ersatzwortmethode, die auch als Schlüsselwortmethode bezeichnet wird:
Dabei wird das eigene Vorwissen genutzt,
um Assoziationen mit dem neuen Inhalt herzustellen. Je nach Aussprache oder Schreibweise der Vokabel versucht man sich mit einem Bild oder einem Begriff eine Eselsbrücke
zu bauen und verknüpft dieses dann mit der
Bedeutung der Vokabel oder einer Auffälligkeit der Person bei Namen. Lernt man etwa das
türkische Wort für Auto, das „araba“ heißt,
könnte man sich beispielsweise einen arabischen Scheich in einem Ferrari vorstellen.
Man sieht: Das Anwenden von Gedächtnistechniken erfordert und fördert Kreativität.
Es fordert zudem die grauen Zellen. Und weil
sich das Hirn ähnlich wie ein Muskel trainieren lässt, klappen die Techniken mit einiger
Übung immer besser. Trainieren lässt sich fast
immer und überall – denn mehr als den Kopf
braucht es nicht. […]
Aus: Tina Groll: Leichter lernen mit Mnemotechniken, 10. 6. 2013,
http://www.zeit.de/karriere/beruf/2013-06/uebersichtgedaechtnistechniken-lernen
ARBEITSAUFTRÄGE
1 Lesen Sie die Texte über verschiedene Mnemotechniken.
Wenden Sie eine der Methoden an, um die 16 Begriffe auswendig zu lernen, die unter
M 3 bei Arbeitsauftrag 3 genannt wurden.
2 Erklären Sie anhand Ihrer Erkenntnisse über das Gedächtnis, warum die von Ihnen
angewendete Methode hilfreich ist.
694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag
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Material
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Lernen
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
M5
Fallbeispiele zum Lehren und Lernen
M 5a
Frau Klarwein
Frau Klarwein ist Lehrerin und möchte mit
ihrem Deutschkurs die Literaturepochen besprechen. Wegen der Stofffülle entscheidet
sie sich dafür, die Epochen chronologisch im
Frontalunterricht zu behandeln. Am Ende der
Reihe soll ein Test geschrieben werden.
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Beim Korrigieren des Tests stellt Frau Klarwein fest, dass die Ergebnisse sehr schlecht
ausgefallen sind.
Hannah Weyhe 2014
ARBEITSAUFTRAG
Was hätte Frau Klarwein im Unterricht anders machen sollen?
Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen?
M 5b
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Nina
Nina schreibt in Deutsch einen Test über Literaturepochen und ihre Merkmale. Zum Lernen hat sie sich alle Epochen, ihre typischen
Vertreter und die ganzen Merkmale auf viele
Zettel aufgeschrieben. Sie sitzt Tag und Nacht
am Schreibtisch, um sie sich immer wieder
vorzusagen und sie abzuschreiben. Am Abend
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vor dem Test ist Nina fix und fertig mit den
Nerven, denn ständig wirft sie alle Merkmale
und Epochen durcheinander. Sie hat das Gefühl, dass sie immer noch große Lücken hat
und den Test so nicht bestehen wird.
Hannah Weyhe 2014
ARBEITSAUFTRAG
Was hätte Nina beim Lernen besser machen können?
Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen?
M 5c
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David und Simon
David und Simon wollen in Deutsch ein Referat über verschiedene Literaturepochen halten. Schon bei der ersten Sichtung aller Quellen und Materialien fühlen sie sich von der
Fülle der Informationen erschlagen. Trotzdem
wollen sie eine klassische PowerPoint-Präsentation erstellen und damit ihren Vortrag gestalten. Also reihen sie Folie an Folie, die bis
zum Bersten mit Informationen gefüllt sind.
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Zwei Wochen später halten die beiden ihr
zweistündiges Referat in einem Dauervortrag
unter großem Zeitdruck. Als in der darauffolgenden Stunde die Inhalte im Plenum erneut
aufgegriffen werden sollen, stellt sich heraus,
dass keiner der Mitschüler wirklich viel vom
Referat im Gedächtnis behalten hat.
Hannah Weyhe 2014
ARBEITSAUFTRAG
Wie hätten David und Simon ihr Referat gestalten können, damit ihre Mitschüler sich an
die Inhalte erinnern können?
Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen?
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694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag
E4
Material
Lernen
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
M 5d
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Herr Maler
Herr Maler hat aus den Fehlern seiner Kollegin gelernt und beschließt, dass seine Schüler
Referate halten sollen, um einen Einblick in
verschiedene Literaturepochen zu erhalten.
Sechs verschiedene Schüler halten Einzelreferate über Epochen, ihre Merkmale und typische Vertreter. Schon während der Vorträge
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muss Herr Maler oft eingreifen und Verbesserungen vornehmen. Er hat das Gefühl, dass
die einzelnen Schüler ihr Referatsthema gar
nicht richtig durchdrungen haben und vor allem keinerlei Verbindungen zwischen den
verschiedenen Epochen herstellen können.
Hannah Weyhe 2014
ARBEITSAUFTRAG
Scheinbar war die Referatsverteilung auch keine gute Lösung zum Lernen – was hätte
Herr Maler tun sollen?
Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen?
M 5e
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5
Michael
Michael besucht ein Gymnasium, sein Lieblingsfach ist Deutsch. Da Michael aber leidenschaftlich DVDs sammelt, bleibt zum Lernen
manchmal wenig Zeit. Außerdem hat er zwei
Nebenjobs, mit denen er sein Taschengeld
aufbessert. Michael schaut natürlich auch gerne seine Filme und das oft bis spät in die
Nacht. Als ein Literaturtest ansteht, schafft er
es erst am Abend vor der Prüfung, dafür zu
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lernen, weil er nachmittags eine Extraschicht
im Café arbeiten musste. Er hat während des
Lernens immer mehr Angst, seine Note in
Deutsch durch ein schlechtes Testergebnis
runterzuziehen. Am nächsten Tag ist Michael
todmüde, schlecht vorbereitet und hat ein
ganz flaues Gefühl im Magen.
Hannah Weyhe 2014
ARBEITSAUFTRAG
Welche Tipps hätten Sie Michael geben können?
Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen?
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E4
Lösung
Lernen
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
Lösungsvorschläge
M1
Verschiedene Arten des Lernens
a mögliche Assoziationen: Abfragen, Learning by doing, Lernen fürs Leben, Lernen am PC, Erkunden, Versuche, Experimente, Konzentration, Nachahmen, Lernen durchs Spiel, Lernen durch Medien, grundlegende Fähigkeiten, Schule, Üben
und Wiederholen, selbstständiges Lernen, Ausprobieren, Beibringen, Allgemeinbildung, soziales Umfeld
b Hilfen: Familie, Freunde, Wissenssendungen, Lehrer, Nachhilfe, Bücher, Youtube,
Spicker
c Störungen beim Lernen und negative Emotionen: Stress vor Klausuren, Zeitdruck, emotionaler Druck durch andere, Angst, Überforderung, Hilflosigkeit, Ablenkung
M2
Definitionen
1 wichtige Aussagen aus dem Text:
• erfahrungsbasierter Prozess
• Veränderung des Verhaltens oder Verhaltenspotenzials
• Voraussetzung: sich wiederholende Erfahrung
• bewusst oder unbewusst
• Lernen ≠ Reflexe, Instinkte, Reifungsprozesse, vorübergehende Veränderungen
des Organismuszustandes
• Erwerb von Wissen sowie von motorischen und sprachlichen Fähigkeiten
• Aufnehmen, Verarbeiten und Umsetzen von Informationen
• lebenslanger Prozess
2 Lernen bedeutet den Erwerb von Wissen sowie von motorischen und sprachlichen Fähigkeiten durch Erfahrungen und Einsichten. Lernen geschieht stets individuell und lebenslang. Durch das Aufnehmen, Verarbeiten und Umsetzen von
Informationen und die Einprägung dieser im Gehirn findet eine stabile Veränderung im Verhalten des Lernenden statt.
M3
Unser Gedächtnis
1 Sensorisches Register:
• erste Aufnahme von Informationen
• reines unverarbeitetes Wahrnehmungsabbild
• kurze Verarbeitungsdauer (500 Millisekunden)
• Informationen werden nur sehr kurz eingelagert
• Vergessen durch Spurenzerfall (minimale Präsenz, dann sind Wahrnehmungen
definitiv verloren und es ist keine Spur mehr zu finden)
• Durch die Aufmerksamkeit werden Wahrnehmungen zum Arbeitsgedächtnis
weitergeleitet. Diese Aufmerksamkeit ist motivational gesteuert, Essensgeruch
wird z. B. vor allem dann beachtet, wenn man Hunger hat.
• Alle Informationen, die nicht ins Arbeitsgedächtnis gelangen, verschwinden.
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694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag
Lernen
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
E4
Lösung
Arbeitsgedächtnis:
• bewusst verfügbares Gedächtnis
• Wahrnehmungen sind schon transformiert
• sehr begrenzter Speicher: ± 7 Informationen, die bewusst richtig reproduzierbar
sind
• steht nur kurzfristig zur Verfügung (daher veralteter Begriff des Kurzzeitgedächtnisses)
• es werden hier Handlungen organisiert (deswegen Arbeitsgedächtnis)
• Vergessen durch Spurenzerfall, wenn die Information nicht wiederholt oder als
unwichtig eingestuft wird, und Ersetzung, wenn Altes durch Neues ersetzt
wird.
Langzeitgedächtnis:
• unendliche Speicherkapazität
• Informationen werden im LZG gespeichert durch Erhaltungswiederholung
oder Elaboration (Verknüpfung mit vorhandenem Wissen)
• Besteht aus unterschiedlichen Subsystemen:
– semantisches Wissen:
deklarativ: reproduzierbare allgemeine Wissensinhalte (Was ist ein Stuhl,
was ist ein Löffel?)
episodisch: persönlicher Bezug (Das ist der Stuhl, auf dem Tante Erna den
Herzinfarkt hatte) ist wichtig für die Identität und bildet eine Persönlichkeit
mit Geschichte
– prozedurales Wissen:
Handlungen, die gelernt und automatisiert sind (Schreiben, Sprechen, Autofahren)
• Vergessen durch Spurenzerfall (sehr selten), Zugangsverlust (eher möglich), Interferenz (neue Informationen verwehren Zugriff auf spätere Infos)
2 Grafische Darstellung:
694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag
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E4
Lösung
Lernen
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
Erläuterung:
Informationen können bei der Einlagerung im Gedächtnis an mehreren Stellen verloren gehen:
• Wird Informationen keine Aufmerksamkeit zuteil, so findet der Spurenzerfall
bereits im sensorischen Register statt.
• Wird den Informationen Aufmerksamkeit zuteil, so können sie im Arbeitsgedächtnis alte Informationen ersetzen (durch Abgleichung) oder überlagern
(Wichtigkeit). Werden die Informationen nicht wiederholt oder als unwichtig
eingestuft, werden sie durch den Spurenzerfall wieder vergessen und nicht ins
Langzeitgedächtnis überführt.
• Im Langzeitgedächtnis gelagerte Informationen sind nur schwer zu vergessen –
meist scheitert das bewusste Abrufen von Informationen am Zugangsverlust. In
Hypnosen, Träumen oder bei sogenannten Déjà-vu-Erlebnissen können diese
Zugänge aktiviert werden.
Vergessen durch Interferenz (Überlagerung) kann vor allem dann auftreten, wenn
sich viele gelernte Informationen ähneln und so die Erinnerung an vorherige Informationen durch die neuen, sehr ähnlichen Informationen überlagert werden.
Eine weitere Ursache für das Vergessen können Krankheiten und Traumata wie
Demenz, Alzheimer, Schock, Amnesie sein.
3 Dieses Experiment verdeutlicht den Schülern die Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses.
4 Test 1: Die ersten paar Begriffe werden aufgrund des Primacy Effects behalten.
Die Begriffe, die zuletzt genannt wurden, werden aufgrund des Recency Effects
(phonologischer Kurzzeitspeicher) als rein sprachliches Wahrnehmungsabbild erinnert. Die dazwischenliegenden Begriffe werden vergessen.
Insgesamt sollten durchschnittlich sieben Begriffe präsent bleiben, da das Arbeitsgedächtnis nur etwa sieben Informationen, sogenannte Chunks, aufnehmen kann.
Test 2 und 3: Das Rückwärtszählen „stopft“ das Arbeitsgedächtnis mit irrelevanten Informationen voll. Aus diesem Grund werden noch weniger Wörter behalten als bei Test 1.
M 4 a/b
Wie lernt unser Gehirn am besten?/Lernen will gelernt sein
1 • Negative Stresserfahrungen werden mit dem Lernstoff abgespeichert und können blockieren oder Abwehrverhalten auslösen (vgl. M 4 a, Z. 18 – 25).
• Zu viel Koffein, zu wenig Schlaf und mangelnde Bewegung sind ebenfalls Stressfaktoren (vgl. M 4 a, Z. 31 ff.).
• Positive Emotionen helfen beim erfolgreichen Lernen (vgl. M 4 a, Z. 34 ff.).
• Je mehr Sinne beim Lernen beteiligt sind, desto eher werden Informationen behalten (vgl. M 4 a, Z. 41 ff.).
• Je multipler neuronale Verknüpfungen sind, desto besser werden Informationen gespeichert (vgl. M 4 a, Z. 47– 51).
• Wiederholungen stärken neuronale Verbindungen (vgl. M 4 a, Z. 53 – 56).
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694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag
Lernen
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
E4
Lösung
• Kurzfristiges „Bulimie-Lernen“ oder reines Auswendiglernen hilft nicht bei der
•
•
•
•
•
•
•
•
langfristigen Einlagerung des Stoffes – besser ist ein regelmäßiges Durchgehen
und Mitarbeit (vgl. M 4 b, Z. 22 – 28).
Regelmäßig gelernte Inhalte werden länger behalten (vgl. M 4 b, Z. 34 f.).
Wiederholung muss stets mit Wiedergabe und Variation zusammenhängen
(vgl. M 4 b, Z. 44 – 56).
Selbstabfragen sichern „Wiederfindewege“ (vgl. M 4 b, Z. 64 – 67).
Mitschreiben von Inhalten sowie schriftliche Zusammenfassungen und neue
Formulierungen dienen der Abwechslung (vgl. M 4 b, Z. 67–70).
Gespräche über Inhalte und Diskussionen sowie Fragen und deren Beantwortung helfen beim Verständnis und Durchdringen von Inhalten (vgl. M 4 b,
Z. 77– 82).
Visualisieren in Form von grafischen Darstellungen und Mindmaps lassen eine
bildhafte Struktur des Stoffes entstehen (vgl. M 4 b, Z. 83 – 92).
Herausschreiben statt Unterstreichen als aktivere Lernweise (vgl. Z. 95 – 98).
Pausen und Schlafzeiten einhalten (vgl. M 4 b, Z. 111–118).
2 siehe Arbeitsauftrag 1
3 Top 5 der Lernstrategien zum Vokabellernen:
1. gegenseitige Abfrage und Vokabeltests stellen, Gesprächspartner finden
2. pro Vokabel verschiedene Sätze formulieren, Eselsbrücke formulieren (sprachliche Bilder, Lieder)
3. Post-its in der Wohnung verteilen und mit konkreten Gegenständen und Orten weitere Sinne integrieren
4. Vokabelbingo anhand von fremdsprachigen Filmen, Serien oder Liedern
5. Pausen und Belohnungen integrieren, für Ruhe sorgen, Lernzeiten festlegen
M 4 c/d
Mnemotechniken: Loci-Methode/Zahl-Form-System und Ersatzwortmethode
1 Bei der Anwendung der Methoden werden die Schüler feststellen, dass sie sehr
hilfreich sein können und die Kapazität des Gedächtnisses erweitern.
2 Durch die Verknüpfungen werden Gedächtnisbrücken gebaut, die die neuronalen
Verbindungen stärken und den Abrufweg erweitern. Zugleich werden durch den
gleichen Aufbau der Routen Routinen geschaffen. Fantasie, Kreativität und Übertreibungen bei den verknüpften Bildern verbinden die Inhalte außerdem mit positiven Emotionen.
Damit es nicht zu einer Überlagerung kommt, muss man verschiedene Routen verwenden oder sich genügend Zeit lassen, um die alten Verknüpfungen vergessen
zu können.
M 5a
Fallbeispiel Frau Klarwein
• weniger Frontalunterricht, Schüler Inhalte eigenständig erarbeiten lassen, damit
sie sich aktiv damit auseinandersetzen
• Verknüpfungen der Epochen untereinander aufzeigen, sodass sich die Abrufwege
erweitern
694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag
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E4
Lösung
Lernen
Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis?
• Bilder, Mindmaps etc. einarbeiten, damit mehr Sinne angesprochen und unterschiedliche Lerntypen beachtet werden
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Fallbeispiel Nina
•
•
•
•
•
•
beim Lernen Verknüpfungen zwischen den Inhalten schaffen
Pausen einlegen, sacken lassen → Wiedererkennen des Textes → Aha-Effekt
früh genug mit dem Lernen anfangen
grafische Aufarbeitung durch Mindmaps, sodass ein weiterer Zugang entsteht
Filme über Epochen anschauen
besser im Team lernen, um sich auszutauschen – Kommunikation und Fragen über
Inhalte helfen dem Verständnis
• positiv an Ninas Lernverhalten: Vorsagen und Abschreiben; besser wäre es aber,
wenn sie die Informationen umschreiben und neu zusammenfassen würde
M 5c
Fallbeispiel David und Simon
• weniger Text auf die Folien, da man sich nur sieben Chunks merken kann
• Schüler mit einbeziehen – durch Interaktion und Gespräche können die Inhalte
besser verknüpft und verstanden werden
• Bilder und einen Zeitstrahl verwenden, damit mehr Verknüpfungen stattfinden
• Handout anfertigen, damit die Mitschüler selbstständig wiederholen können,
nicht alles mitschreiben müssen und eigene Formulierungen ergänzen können
• zu Beginn und am Ende der Präsentation die wichtigsten Informationen zusammenfassen, also in anderen Worten wiederholen und sich dabei auf das Wesentliche konzentrieren
M 5d
Fallbeispiel Herr Maler
• Gruppenarbeit anlegen, vielleicht auch ein Gruppenpuzzle – Austausch über Inhalte, verschiedene Quellen, Zusammenführen von Inhalten
• freiwillige Auswahl des Themas durch die Schüler → erhöhte Motivation
• Mindmaps anlegen, sodass Verbindungen zwischen den einzelnen Epochen sichtbar werden
• Inhalte vertiefen, um Fragen aufkommen zu lassen → bessere Verknüpfungen
M 5e
Fallbeispiel Michael
• regelmäßig Lernen, kein „Bulimie-Lernen“, Wiederholungen einbauen, feste Lernzeiten einplanen
• entspannte Lernumgebung und Wiederholungen mit Pausen helfen beim Speichern der Informationen
• Stressabbau, da sonst negative Emotionen mitgelernt werden und die Kreativität
blockiert wird
• Schlafmangel als zusätzlicher Stressfaktor – Gehirn braucht Pausen und Schlaf
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694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag
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