E4 Inhalt Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? Hannah Weyhe Fakten ........................................................................... 1 ............................................... 3 M1 Verschiedene Arten des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 M2 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 M3 Unser Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 M4 Lerntipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 M 4 a Wie lernt unser Gehirn am besten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 M 4 b Lernen will gelernt sein: Wie Schüler und Studenten richtig pauken . . . . . . 12 M 4 c Mnemotechniken: Loci-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 M 4 d Mnemotechniken: Zahl-Form-System und Ersatzwortmethode . . . . . . . . . . 15 M5 Fallbeispiele zum Lehren und Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 M 5 a Frau Klarwein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 M 5 b Nina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 M 5 c David und Simon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 M 5 d Herr Maler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 M 5 e Michael . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Lösungsvorschläge 18 Materialien und Arbeitsaufträge .............................................................. Kompetenzprofil I Niveaustufe: ab der 10. Jahrgangsstufe I Kompetenzen: Texte erfassen und analysieren, Erkenntnisse grafisch darstellen, Theorien reflektieren und hinterfragen, Lernprozesse selbst steuern I Methoden: Textarbeit, Einzel-, Partner und Gruppenarbeit, Experiment I Medien: Texte, Bilder, Grafiken, Farbfolie I Inhalt in Stichworten: grundlegende Definition des Begriffs „Lernen“, Darstellung des Mehrspeichermodells, Auseinandersetzung mit verschiedenen Lern- und Merktechniken I fachübergreifend: Biologie Bildnachweis: S. 4: Kind mit Holzpuzzle: Dave King © Dorling Kindersley, Mädchen vor Laptop: wavebreakmedia/ Shutterstock, Vater/Kind mit Fahrrad: Peter Bernik/ Shutterstock, Mutter/Kind mit Buch: Marina Dyakonova/ Shutterstock, Lehrer vor Klasse: bikeriderlondon/ Shutterstock, Mutter/Kind mit Klavier: Monkey Business Images/ Shutterstock, schreibender Junge: Pete Panham/ Shutterstock 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? E4 Fakten Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? Der Mensch ist anthropologisch gesehen ein Mängelwesen – zum Glück ist er lernfähig und kann seine Defizite aktiv ausgleichen. Den Schülerinnen und Schülern begegnet das Thema „Lernen“ täglich, gleichzeitig gewinnt es in der gegenwärtigen Phase ihrer Schullaufbahn zunehmend an Bedeutung: Unterrichtsinhalte werden komplexer, Klausuren werden anspruchsvoller und gelernte Theorien müssen auf die Praxis angewendet werden. An Referate werden in allen Fächern bestimmte Ansprüche gestellt: Beiträge und Folien sollen anschaulich gestaltet werden, es sollen interaktive Zwischenphasen der Anwendung eingebaut werden etc. Jedes Fach, jede Lehrkraft versucht, den Schülern Methoden beizubringen, mit denen nicht nur sie selbst lernen können, sondern Wissen auch so vermitteln können, dass es bei allen lange „im Kopf“ bleibt und anwendbar sowie übertagbar ist. Doch warum sind solche Lernstrategien überhaupt notwendig? Die folgende Unterrichtseinheit widmet sich dieser und anderen Fragen: Was heißt eigentlich Lernen und wie wird es definiert? Warum hat jeder einen Bezug zum Lernen und weiß, was es ist? Welche neurobiologischen Erkenntnisse zeigen uns, wie Lernen funktioniert, und welche pädagogischen Konsequenzen können wir daraus ziehen? Bei der Beantwortung dieser Fragen durch die Unterrichtsinhalte bietet es sich an, Lernstrategien im Unterricht selbst sichtbar zu machen, beispielsweise durch das Verfassen eines Protokolls. Die Schüler lernen so, Unterrichtsinhalte komprimiert zusammenzufassen und diese für ihre Mitschüler zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig wird ihnen so eine Lernhilfe an die Hand gegeben. Durch das Ritual des wiederholenden Unterrichtseinstiegs durch den Protokollanten wird die Gelenkstelle zwischen den einzelnen Unterrichtsstunden transparent gemacht und es lassen sich schnell Bezüge zwischen den Einzelthemen herstellen und Verknüpfungen aufbauen. Zudem ist das Protokoll eine Methode der Dokumentation, mit der die Lernenden im Laufe ihrer Schullaufbahn und ihres Lebens immer wieder in Kontakt kommen, sei es im Studium oder bei Besprechungen in unterschiedlichsten Berufen – Erfahrung im Protokollieren zu erwerben ist damit auch eine Vorbereitung auf die berufliche Zukunft. Die vorliegenden Materialien knüpfen an die Vorkenntnisse und biografischen Erfahrungen der Schüler an. Hierbei wird festgestellt, dass alle Lernenden einen Bezug zum Thema haben und sich an Situationen ihres Lebens erinnern können, in denen sie a) etwas Wichtiges gelernt haben, b) besondere Hilfe beim Lernen hatten, c) sich beim Lernen gestört fühlten bzw. mit der Methode des Lernens negative Emotionen verbinden. Als Hilfestellung erhalten die Schüler ein Bilderbuffet, aus dem sie sich eine oder mehrere Situationen aussuchen können, die sie mit Lernen in Verbindung bringen. Anschließend stellen die Schüler ihre Assoziationen im Kurs vor und sammeln Stichworte an der Tafel. Zum Abschluss dieser Sequenz kann zudem nach Lernbegleitern gefragt werden – hierzu zählen nicht nur Personen aus dem Umfeld der Schüler, sondern auch herangezogene Hilfen wie der Computer, Bücher, Wissenssendungen im Fernsehen oder Lernkarteien. Im nächsten Materialteil soll der Begriff „Lernen“ definiert werden; hierzu dienen verschiedene wissenschaftlich fundierte Begriffsdefinitionen, die das Lernen aus unterschiedlichen Sichtweisen betrachten. Die Schüler erkennen hierbei, dass sich viele 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag ¡ M1 ¡ M2 1 E4 Fakten ¡ ¡ ¡ 2 Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? ihrer ersten Vermutungen wiederfinden lassen und zudem eine neurobiologische Betrachtung der Prozesse im Gehirn unabdingbar ist. Aus neurobiologischer Sicht sollen sich die Schüler mit der heute gängigen GeM3 dächtnistheorie auseinandersetzen. Dies geschieht anhand eines ausführlichen Textes über die Funktionen von sensorischem Register sowie Arbeits- und Langzeitgedächtnis. Alternativ kann hier auch ein Lehrervortrag erfolgen, der z. B. auf den Stichpunkten zum Gedächtnismodell basieren könnte, die in den Lösungsvorschlägen auf den Seiten 18 und 19 zu finden sind. Im Anschluss an die Bearbeitung des Textes bietet es sich an, mit den Schülern ein Experiment zu machen, das die Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses aufzeigt. Hierfür können vier freiwillige Schüler als Testpersonen dienen – zwei Probanden, ein Versuchsleiter und ein Protokollant. Es ist sinnvoll, den Test mit zwei Probanden durchzuführen, um ihre Leistungen vergleichen zu können. Den Probanden werden vom Versuchsleiter in drei Durchgängen verschiedene Begriffe vorgelesen, von denen sie sich möglichst viele merken sollen, um sie dann zu wiederholen. Beim ersten Durchgang sollen die Begriffe sofort wiederholt werden, beim zweiten Durchgang zählen die Probanden erst von 10 bis 1 runter und nennen dann die gemerkten Begriffe, beim dritten Durchgang wird von 30 bis 1 runter gezählt. An diesem Test können u. a. der Primacy Effect und der Recency Effect aufgezeigt werden. Im Anschluss an diese Stunde sollten die Schüler reflektieren, inwieweit in dieser Stunde Lernen sichtbar gemacht wurde: Was haben wir gelernt, wie haben wir gelernt? Um nach dem neurobiologischen Exkurs die pädagogische Perspektive aufzugreiM4 fen, sollen nun pädagogische Konsequenzen aus den neurobiologischen Einsichten gezogen werden. Die Schüler lesen hierfür arbeitsteilig zwei sich ergänzende Texte mit Lerntipps. Im Anschluss tauschen sie sich über die Inhalte aus und erstellen auf Basis ihrer Kenntnisse gemeinsam die „Top 5 der Lernstrategien zum Vokabellernen“, die sie anhand einer kurzen Präsentation vorstellen und erläutern sollen. Als Präsentationsmedium kann hier sowohl eine Folie als auch ein Plakat dienen. Zwei weitere Texte stellen einige Mnemotechniken vor, die die Schüler selbst ausprobieren können. Die Auseinandersetzung mit diesen Lerntechniken und -strategien soll die Schüler dazu motivieren, sich mit ihren eigenen Gewohnheiten beim Lernen auseinanderzusetzen und diese gegebenenfalls effektiver zu gestalten. Auf der Grundlage der bisher besprochenen Inhalte sollen sich die Schüler nun mit M5 Fallbeispielen aus dem Schulalltag auseinandersetzen. Zunächst lesen sie alle Beispiele durch und entscheiden sich schließlich für eines. Nun werden für jedes Fallbeispiel Gruppen zusammengestellt, die die jeweiligen Arbeitsaufträge bearbeiten und ihre Ergebnisse schließlich den Mitschülern im Kurs vorstellen. Auch hier sollte am Ende der Stunde eine Reflexionsphase stattfinden. 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag E4 Material 3 E4 Material M1 Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? Verschiedene Arten des Lernens Kind mit Holzpuzzle: Dave King © Dorling Kindersley, Mädchen vor Laptop: wavebreakmedia/ Shutterstock, Vater/Kind mit Fahrrad: Peter Bernik/ Shutterstock, Mutter/Kind mit Buch: Marina Dyakonova/ Shutterstock, Lehrer vor Klasse: bikeriderlondon/ Shutterstock, Mutter/Kind mit Klavier: Monkey Business Images/ Shutterstock, schreibender Junge: Pete Panham/ Shutterstock ARBEITSAUFTRAG Womit verbinden Sie „Lernen“? Erinnern Sie sich an Situationen, in denen Sie a etwas Wichtiges gelernt haben, b besondere Hilfe beim Lernen hatten, c sich beim Lernen gestört fühlten bzw. mit der Methode des Lernens negative Emotionen verbinden. 4 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? M2 E4 Material Definitionen Lernen: Ein erfahrungsbasierter Prozess, der in einer relativ überdauernden Veränderung des Verhaltens oder des Verhaltenspotenzials resultiert. Aus: Richard J. Gerrig/Philip G. Zimbardo: Psychologie, übersetzt von Ralf Graf, München: Pearson Studium 2008, S. 738 Lernen: Allgemeine, umfassende Bezeichnung für Veränderungen des individuellen Verhaltens auf bestimmte Reize, Signale, Objekte oder Situationen. Sie haben ihre Grundlage in (wiederholten) Erfahrungen, die automatisch registriert und/oder bewusst verarbeitet werden. Lernen ist nur dann gegeben, wenn ausgeschlossen werden kann, dass dieselben Veränderungen des Verhaltens auf (a) angeborene Reaktionstendenzen (z. B. Reflexe, Instinkte), (b) Reifungsprozesse oder (c) vorübergehende Veränderungen des Organismuszustandes (z. B. durch Ermüdung, Drogen, Pharmaka, biologische Bedürfnisse, Erkrankungen) zurückgehen […]. Aus: Werner D. Fröhlich: Wörterbuch Psychologie, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1997, S. 262 Lernen: In der Alltagssprache bezeichnet man als L. den Erwerb von Wissen sowie von motorischen und sprachlichen Fertigkeiten. In der Psychologie versteht man unter Lernen die durch Erfahrung entstandenen, relativ überdauernden Verhaltensänderungen. L. kann somit als Prozess verstanden werden, der bestimmte Organismen, jedoch auch technische Anlagen (z. B. Automaten) befähigt, aufgrund früherer Erfahrungen und durch organische Eingliederung weiterer Erfahrungen situationsangemessen zu reagieren […]. Aus: Humboldt-Psychologie-Lexikon, hrsg. von der Redaktion Naturwissenschaft und Medizin des Bibliographischen Instituts, München: Humboldt-Taschenbuchverlag Jacobi KG 1990, S. 205 Lernen ist das Aufnehmen, Verarbeiten und Umsetzen von Informationen. Lernen ist ein lebenslanger Prozess. Aus: Johannes Schilling: Soziale Arbeit, Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand 1997, S. 159 ARBEITSAUFTRÄGE 1 Markieren Sie zunächst in Einzelarbeit Passagen, die Sie für eine Definition von Lernen wichtig finden. 2 Formulieren Sie auf dieser Basis in Partnerarbeit Ihre eigene Definition des Begriffs Lernen. ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag 5 E4 Material M3 1 5 10 15 20 Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? Unser Gedächtnis Grundfunktionen des Gedächtnisses Der Wissensspeicher hat nur eine nachgeordnete Funktion im Gehirn, am wichtigsten sind das Gedächtnis und das Verhalten. Durch unser Gedächtnis erinnern wir uns an Orte, Situationen und soziale Kontakte; das Verhalten wiederum wird durch unser Gedächtnis gesteuert. Es werden drei Grundfunktionen des Gedächtnisses unterschieden: • Einspeichern (Enkodieren): Sinneseindrücke werden zu Erfahrungen transformiert • Speichern (Behalten): Erfahrungen werden gespeichert • Abrufen und/oder Vergessen Atkinson und Shiffrin entwickelten 1968 das sogenannte Mehrspeichermodell. Es geht davon aus, dass das menschliche Gedächtnis aus drei Teilsystemen zusammengesetzt ist: sensorisches Register, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis. 45 50 55 60 65 25 30 35 40 Das sensorische Register Das sensorische Register ist das System, das als Erstes Informationen aufnimmt und diese für eine kurze Zeitspanne (ca. 100 bis 500 Millisekunden) behält. Es ist modalitätsspezifisch, das heißt, es werden verschiedene Subsysteme für verschiedene Sinnesmodalitäten angenommen – jeder Sinn hat sein eigenes Register. Am besten untersucht sind dabei das visuelle System (ikonisches Gedächtnis) und das auditive System (echoisches Gedächtnis). Das echoische Gedächtnis zeigt sich z. B., wenn man in ein Buch vertieft ist und währenddessen eine Frage gestellt bekommt. Oft fragt man zurück „Was hast du gesagt?“ und meist erinnert man sich noch währenddessen an die Frage und kann sie beantworten. Das lautliche Abbild der Frage ist nämlich vom sensorischen Register registriert worden. Die Speicherung erfolgt im Übrigen zweikanalig, d. h. für jedes Ohr getrennt. 6 70 75 80 Als Illustration des ikonischen Gedächtnisses dient oft das Phänomen der Beobachtung eines Blitzes in der Nacht: Was wir als einen einzigen Blitz wahrnehmen, besteht im Grunde aus drei oder vier einzelnen kurzen Blitzen von je etwa 50 Millisekunden. Die Gesamtdauer beträgt also etwa 200 Millisekunden. Der Mensch nimmt diese Einzelphänomene jedoch als zusammenhängendes Ganzes wahr. Überdies schätzen wir die Dauer eines Blitzes auf etwas mehr als 500 Millisekunden und haben oft das Gefühl, der visuelle Stimulus würde langsam ausgeblendet, statt plötzlich abgeschaltet (Letzteres würde der physikalischen Realität entsprechen). Da der Begriff Gedächtnis dadurch definiert wird, dass eine bestimmte Information ihre physikalische Präsentation überdauert, muss man annehmen, dass bei unserer Wahrnehmung eines Blitzes eine Art „Gedächtnis“ im Spiel ist. Man geht deshalb davon aus, dass visuelle Reize in einem temporären visuellen Puffer gespeichert werden. Dieser Puffer wird als visuelles sensorisches Register oder eben ikonisches Gedächtnis bezeichnet. Der Psychologe George Sperling untersuchte das ikonische Gedächtnis 1960 in einem Experiment: Dabei wurde Testpersonen eine Buchstabenmatrix für wenige Sekunden dargeboten, wobei sich die Probanden an alle Buchstaben erinnern sollten (Ganzreport). Ergebnis: Probanden erinnerten sich an maximal 4 bis 7 Buchstaben. In einem zweiten Durchgang wurde nach dem Einblenden der Buchstabenmatrix ein Ton von hoher, mittlerer oder tiefer Tonhöhe vorgegeben, der jeweils bestimmt, welche Zeile der Matrix wiedergegeben werden sollte (Teilreport). Ergebnis: Eine einzelne Zeile wird meistens vollständig erinnert, bis zum Ton jedoch muss also jede Reihe präsent gewesen sein: Dies ist die Leistung des ikonischen Gedächtnisses. 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag E4 Material Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? 125 130 85 90 95 100 105 110 115 120 Die Tatsache, dass Sinneseindrücke im sensorischen Register nur kurz behalten werden, ist überlebenswichtig, sonst wären wir im alltäglichen Leben schlichtweg überfordert. Unser Verhalten wird oft von Automatismen gesteuert – würden wir beim Laufen über jede einzelne Bewegungseinheit, den Untergrund, unser Schuhwerk etc. nachdenken, wäre jeder Schritt eine große Herausforderung für unser Gedächtnis – würden wir jeden Geruch oder jedes Geräusch aktiv registrieren, wäre ein Gang vor die Haustür nahezu undenkbar, geschweige denn die Konzentration auf andere Dinge. Beispiel: In Heidi Klums Casting-Show „Germany’s next Topmodel“ müssen die Kandidatinnen plötzlich nicht mehr „nur“ geradeaus laufen, sondern sollen „High Fashion“, „Edgy“, „Sporty“ laufen, dazu in Kleidern und Schuhen, die ein normales Laufen schon kaum möglich machen, und mit choreographierten Armbewegungen („Die Handtasche muss lebendig sein!“). Sie werden fotografiert, Fotografen rufen ihren Namen, sie sollen nach dem Takt der Musik laufen, die Jury im Blick behalten, die entgegenkommenden Models auf dem schmalen Laufsteg … Jeder Zuschauer fragt sich, wie sie beim einfachen Hin- und Herlaufen stolpern oder plötzlich in eine aliengleiche Gangart verfallen können. Die Antwort findet sich, wenn man die Funktionsweise des sensorischen Registers bedenkt: Die Kandidatinnen sind durch zu viele Sinneseindrücke und das Nachdenken über Automatismen überfordert. Wie gelangen dann aber Informationen ins Arbeitsgedächtnis? Dies geschieht durch Auf- 135 140 145 150 155 160 165 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag merksamkeitsprozesse, die motivational gesteuert sind. Beispiel: Viele Gerüche würde man nicht wahrnehmen, wenn man jedoch Hunger hat und jemand mit etwas Essbarem in der Hand vorbeikommt, dann wird man diesen Geruch aktiv wahrnehmen. Das Kurzzeitgedächtnis/Arbeitsgedächtnis Im Zentrum der bewussten Informationsverarbeitung steht das Arbeitsgedächtnis (in älteren Modellen Kurzzeitgedächtnis). Dieser Speicher hält eine kleine Menge von Informationen in einem aktiven, jederzeit verfügbaren Stadium bereit. Die Informationen können weiterverarbeitet werden, Ergebnisse müssen zur langfristigen Speicherung in das Langzeitgedächtnis überführt werden, da die Inhalte im Arbeitsgedächtnis nur für kurze Zeit zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund wird dieser Speicher als Kurzzeitgedächtnis bezeichnet. Mithilfe der Informationen in diesem Speicher werden Handlungen organisiert, weswegen man auch vom Arbeitsgedächtnis spricht. Das Vergessen findet durch Spurenzerfall statt, wenn die Information nicht wiederholt oder als unwichtig eingestuft wird. Vergessen wird auch, wenn alte Informationen durch neue ersetzt werden. Das Arbeitsgedächtnis verfügt über eine begrenzte Kapazität von 7 ± 2 Informationseinheiten, die auch „Chunks“ genannt werden. Dadurch unterscheidet es sich vom Langzeitgedächtnis, das über eine nahezu unbegrenzte Kapazität verfügt. Mithilfe der Technik des „Chunking“ kann man die Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses vergrößern. Dabei werden einzelne Komponenten – wie z. B. die Ziffern in einer Telefonnummer – zu Einheiten zusammengefasst. Beispiel für Chunking: Soll man sich die Buchstabenfolge DAXIBMARDUSA merken, ist das so kaum möglich, da es sich hier um 12 einzelne Einheiten (Chunks) handelt. Die Buchstabenfolge kann allerdings in 4 Einheiten unterteilt werden: DAX IBM ARD USA. 7 E4 Material Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? Bei dieser Unterteilung werden die 4 Einheiten mit Oberbegriffen verbunden: 190 195 200 170 175 180 185 Beim Speichern von Informationen im Arbeitsgedächtnis wirken außerdem zwei Effekte: Primacy Effect und Recency Effect. Ersterer führt dazu, dass man zuerst genannte Informationen besser behält. Der Recency Effect bewirkt, dass man zuletzt genannte Informationen bevorzugt speichert. Die Begriffe „Kurzzeitgedächtnis“ und „Arbeitsgedächtnis“ werden oft austauschbar verwendet. Ersterer kommt jedoch häufiger im Zusammenhang mit älteren Theorien vor, die von einem einheitlichen System zur kurzzeitigen Speicherung von Informationen ausgehen. Moderne Theorien gehen davon aus, dass das Kurzzeitgedächtnis eine komplexe Ansammlung interagierender Subsysteme ist, die insgesamt als Arbeitsgedächtnis bezeichnet werden. Durch Erhaltungswiederholungen/ Elaboration werden Informationen dann dauerhaft in das Langzeitgedächtnis überführt. 205 210 215 Das Langzeitgedächtnis Das Langzeitgedächtnis verfügt über einen unendlich großen Speicher; die Speicherung erfolgt durch Wiederholung und Elaboration. Die Inhalte sind nicht immer automatisch präsent, man muss Informationen bewusst abrufen. Es wird in drei Komponenten unterteilt – das episodische, das semantische und das prozedurale Gedächtnis: • Episodisches Wissen beinhaltet Erinnerungen an Ereignisse aus der eigenen Vergangenheit. Sie haben spezifische Gültigkeit, d. h. sie sind nur im Kontext der Vergangenheit eines Individuums zutreffend. • Demgegenüber ist semantisches Wissen als Wissen über Fakten und Bedeutungen generell gültig und unabhängig von einem bestimmten Ereignis zutreffend. • Zum prozeduralen Wissen zählt man Fertigkeiten eines Menschen wie beispielsweise Fahrradfahren. Es ist im Gegensatz zum episodischen und semantischen Gedächtnis nicht deklarativ, d. h. nicht – oder nur schwer – verbalisierbar. Bisher wurde keine Begrenzung der Speicherkapazität des Langzeitgedächtnisses festgestellt, es lassen sich also offenbar unendlich viele Informationen speichern. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, die Informationen erst einmal dort zu speichern. Hannah Weyhe 2014 ARBEITSAUFTRÄGE 1 Fassen Sie in Stichpunkten die wichtigsten Informationen zum Mehrspeichermodell zusammen. 2 Stellen Sie die Funktionsweise des Gedächtnisses grafisch dar. Zeigen Sie in Ihrer Zeichnung, an welchen Stellen Informationen verloren gehen können. Bereiten Sie sich darauf vor, Ihre Grafik zu erläutern. 8 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag E4 Material Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? 3 Wählen Sie im Kurs einen Versuchsleiter, einen Protokollanten und zwei Versuchspersonen aus. Führen Sie mit beiden Versuchspersonen (VP 1 und VP 2) die folgenden drei Tests durch. Testverlauf: Während die eine Versuchsperson getestet wird, wird die andere aus dem Zimmer geschickt. Der Versuchsleiter liest jeweils 16 Wörter vor, die die Versuchsperson anschließend wiederholen soll – die Reihenfolge der Wörter spielt dabei keine Rolle. Der Protokollant hakt die genannten Wörter in der Tabelle ab. Test 1: Wiederholen Sie die folgenden 16 Wörter. VP 1 VP 2 VP 1 VP 2 1. Hund k k 9. Oskar k k 2. Spinat k k 10. Hand k k 3. Husten k k 11. Computer k k 4. Auto k k 12. Ananas k k 5. Freundin k k 13. Lampe k k 6. Erdbeere k k 14. Buch k k 7. Schuh k k 15. Pflanze k k 8. Topmodel k k 16. Kissen k k Test 2: Zählen Sie von 10 bis 1 runter und wiederholen Sie dann die folgenden 16 Wörter. VP 1 VP 2 VP 1 VP 2 1. Schublade k k 9. Badezimmer k k 2. Blume k k 10. Lampe k k 3. Glas k k 11. Fisch k k 4. Angela k k 12. Gardine k k 5. Spiegel k k 13. Spülmittel k k 6. Vase k k 14. Hose k k 7. Tisch k k 15. Auto k k 8. Kochlöffel k k 16. Kerze k k Test 3: Zählen Sie von 30 bis 1 runter und wiederholen Sie dann die folgenden 16 Wörter. VP 1 VP 2 VP 1 VP 2 1. Saft k k 9. Pirat k k 2. Katze k k 10. Frau k k 3. Bild k k 11. Handy k k 4. CD k k 12. Schokolade k k 5. Elefant k k 13. Internet k k 6. Kassette k k 14. Korb k k 7. Schrank k k 15. Brille k k 8. Schnee k k 16. Schlüssel k k 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag 9 E4 Material Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? 4 Analysieren Sie die Ergebnisse der drei gerade durchgeführten Tests. In welchem Fall war die Gedächtnisleistung am besten und woran könnte dies liegen? Erläutern Sie die entsprechenden Effekte. Test 1: ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ Test 2: ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ Test 3: ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________ 10 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag E4 Material Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? 1 5 10 15 20 25 30 35 40 M4 Lerntipps M 4a Wie lernt unser Gehirn am besten? Wenn wir es richtig anstellen, lassen sich die Erkenntnisse aus Neurowissenschaft und Epigenetik fürs Lernen nutzen. Viele kennen das: Wir lesen eine Seite mit wichtigen Inhalten, die wir behalten wollen, zum Beispiel für eine Prüfung. Aber auch nach mehrmaligem Lesen und Aufsagen bleiben die Mühen vergeblich. Wir speichern den Inhalt, den wir so dringend brauchen, nicht langfristig ab und haben ihn spätestens am nächsten Tag wieder vergessen. Das liegt keinesfalls daran, dass wir dumm sind oder zu wenig Speicherkapazität haben – schließlich nutzen wir nur einen Bruchteil unserer Gehirnleistung. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir uns und unsere Umgebung an den Lernprozess nicht richtig angepasst haben. Dies kann man ändern und damit den Lernerfolg steigern. Das Gehirn lernt wesentlich leichter ohne Stress, zumindest ab dem zweiten Mal. Beim ersten Mal sind wir unter Stress leistungsfähiger, aber die mit dem Lernen verknüpfte negative Stresserfahrung wird abgespeichert und löst bei der nächsten ähnlichen Situation Abwehrverhalten aus. Wir sind blockiert. Dann haben die Informationen nicht mehr die Möglichkeit, aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überzugehen. Wir vergessen wieder. Je mehr Sinne, desto besser Auch zu viel Koffein, wenig Schlaf oder mangelnde Bewegung sind Stressfaktoren für unser Gehirn. Eine gesunde Lebensweise ist also eine gute Voraussetzung für erfolgreiches Lernen – genauso wie positive Assoziationen, also Spaß. Denn wenn ein Lernstoff mit positiven Gefühlen assoziiert wird, wird er besser gespeichert. Deshalb ist es wichtig, sich für ein Studium oder einen Beruf zu entscheiden, der einem Spaß macht. Hier ist der Erfolg 45 50 55 60 65 70 75 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag wahrscheinlicher. Lernen ist auch eher erfolgreich, wenn möglichst viele Sinne daran beteiligt sind. Wir können uns schnell merken, was ein Apfel ist, weil wir ihn nicht nur sehen, sondern auch schmecken. Der genetische Code ist nicht schuld So werden die Informationen in unserem Gehirn an unterschiedlichen Stellen durch sogenannte neurale Verknüpfungen gespeichert. Und je multipler diese Verknüpfungen sind, desto besser ist die Information gespeichert. Um Gelerntes auch nach längerer Zeit nicht zu vergessen, ist es wichtig, das Gelernte zu wiederholen, denn wenn die Neuronenverbindungen nicht genutzt werden, lösen sie sich wieder. Wir vergessen. Schon so mancher hat sich in der Schule zum Beispiel gefragt, ob er überhaupt „das Zeug zu Mathe hat“, ob es vielleicht einfach nicht in seinen Genen liegt, gut in Mathe zu sein. Das ist ein Trugschluss. Denn unser genetischer Code programmiert uns nicht unveränderbar für den Rest unseres Lebens. Die Gene unseres Genoms werden epigenetisch (Vorsilbe „epi“ = hinterher, zusätzlich) reguliert, also an- und ausgeschaltet, je nachdem, welchen Umwelteinflüssen, also zum Beispiel Nahrung, Erfahrungen, Gefühle, wir ausgesetzt sind. Dabei sind vor allem die ersten Lebensjahre entscheidend. Aber auch noch im Laufe unseres Lebens können wir das „Zusammenspiel“ unserer Gene und damit unsere Möglichkeiten beeinflussen. Wenn du willst, dass es mit dem Lernen klappt, solltest du ausgeschlafen sein, dich genug bewegen, gesund essen und dir eine stressfreie Umgebung schaffen. Versuche, den Lernstoff auf verschiedene Arten mit mehreren Sinnen zu entdecken und wiederhole ihn so oft es geht. Aus: Alexa Fanta (27. 9. 2010), http://www.yaez.de/Lernen/457Wie-lernt-unser-Gehirn-am-besten.html 11 E4 Material M 4b 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? Lernen will gelernt sein: Wie Schüler und Studenten richtig pauken Lernen ist mehr als hirnloses Pauken. Sich den Stoff immer wieder reinzuquälen, kann sogar mehr schaden als nutzen. Reiner Frontalunterricht gilt längst als Steinzeit-Didaktik. In der Uni wird das oft sträflich vernachlässigt. Vorlesungen laufen meist immer noch nach dem Prinzip ab: Einer redet, die anderen hören zu – oder lassen es. Hinterher sitzen viele vor einem Bücherberg in der Bibliothek und versuchen, sich den Stoff reinzuziehen und sich Prüfungswissen einzuhämmern. Das ändern Studenten besser, wenn sie vom Studium wirklich etwas haben wollen. Nicht nur vor Prüfungen pauken: Studenten dürften sich nicht nur von Klausur zu Klausur hangeln, wenn sie etwas lernen wollen, sagt die Studienberaterin Brigitte ReysenKostudis von der Freien Universität Berlin. Die Psychologin hat bei vielen Studenten ein neuartiges Krankheitsbild ausgemacht: das „Bulimie-Lernen“. „Vor einer Prüfung fangen sie an, ganz viel Stoff in sich hineinzustopfen, um ihn dann weitgehend unverdaut wieder auszukotzen.“ Mehr bringe es, den Stoff regelmäßig durchzugehen und im Lauf eines Seminars mitzuarbeiten. Auch böten Dozenten oft Arbeitsblätter zum freiwilligen Nachbereiten an. „Aber viele machen die nicht“, hat ReysenKostudis beobachtet. Damit tun sich Studenten keinen Gefallen. Denn 15 Minuten pro Woche zu pauken, bringt mehr als ein Lernmarathon am Semesterende. „Regelmäßig Gelerntes bleibt eher hängen.“ Wissen ist gut, verstehen ist besser: Mit bloßem Auswendiglernen kommt man nicht weit. Zwar ist Faktenwissen in Fächern wie Medizin das A und O. Aber auch hier sei ein Grundverständnis die Basis dafür, dass Fakten hängen bleiben, meint Reysen-Kostudis. „Es ist leichter, Formeln zu lernen, wenn man die Zusammenhänge verstanden hat.“ Auch stumpfes Wiederholen bringe wenig, sagt Prof. Werner Heister von der Fachhoch- 12 50 55 60 65 70 75 80 85 90 schule Niederrhein in Krefeld, der dazu ein Buch geschrieben hat. Denn wer sich immer wieder dasselbe einzutrichtern versucht, hat innerlich längst abgeschaltet. „Das Gehirn ist ein neugieriges Instrument. Wenn ich einen Text zehnmal lese, sagt es sich: Kenn ich doch schon!“ Wird ein Sachverhalt dagegen auf zehn verschiedene Arten vermittelt, sei der Lerneffekt viel größer. Beim Lernen ist also Abwechslung gefragt, damit die grauen Zellen aufnahmebereit bleiben. Auf Wiedergabe umschalten: Es ist die falsche Herangehensweise, sich den Stoff bloß reinzuziehen. Um ihn zu verarbeiten, ist neben der Aufnahme auch die Wiedergabe nötig. „Lesen alleine bewirkt nur eine sehr oberflächliche Einprägung“, erklärt Prof. Martin Schuster, Lernexperte und Buchautor von der Uni Köln. „Man muss sich selbst auch abfragen, also den gelesenen Stoff aus dem Gedächtnis wiedergeben.“ So sicherten Studenten die „Wiederfindewege“ im Gehirn. Das macht auch das Mitschreiben in Vorlesungen so wichtig. „Dann muss man ja beim Zuhören den Stoff zusammenfassen und neu formulieren.“ Darüber reden hilft: Wer nicht fragt, bleibt dumm – dieser Satz aus der Sesamstraße gilt auch in der Uni. Viele Erstsemester haben Reysen-Kostudis zufolge aber Angst, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstehen. „Die denken dann: Was ich sage, ist bestimmt dumm.“ Darüber reden hilft beim Lernen aber. Studenten sollten sich trauen, Fragen zu stellen und über den Stoff zu diskutieren. So bekämen sie eher das Gefühl, eine Sache verstanden zu haben und im Thema „drin“ zu sein. Anschaulich machen: Visualisieren hilft, findet Werner Heister. Die sieben Einkunftsarten des Steuerrechts zum Beispiel ließen sich leichter lernen, wenn sie über eine Bilderkette verbunden oder in eine Geschichte verpackt werden. Sinnvoll sei es auch, Mindmaps anzufertigen, ergänzt Martin Schuster. Ein solches „Sinngewebe“ habe den Vorteil, 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag E4 Material Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? 95 100 105 110 dass eine bildhafte Struktur des Stoffes entsteht. Das ist anschaulich und macht Zusammenhänge auf einen Blick erkennbar. Texte bunt anzustreichen bringt dagegen eher wenig. Studenten sollten wichtige Aspekte besser herausschreiben, als sie rot zu unterstreichen, rät Reysen-Kostudis. Das sei die aktivere Lernweise. Abschreiben gilt nicht: Studenten dürfen beim Exzerpieren von Literatur aber nicht nur abschreiben. Sie sollten vielmehr versuchen, Sachverhalte in eigenen Worten auszudrücken – so eigneten sie sich den Stoff eher an, sagt Reysen-Kostudis. Wichtig sei auch, einen eigenen Zugang zum Thema und eigene Fragen zu entwickeln. Das weckt das persönliche Interesse und motiviert. Lernen müsse schließlich Freude machen, sagt Heister. „Das Gehirn ist ein Torwächter: Wenn ich denke: ,Ich habe keinen Bock‘, bleibt das Tor zu.“ 115 120 Sacken lassen: Andauernd ohne Pause zu lernen, ist kontraproduktiv, sagt Martin Schuster. „Der Stoff muss sich setzen.“ Beim Lernen sollten Studenten daher pro Stunde mindestens 20 Minuten Pause einplanen. Die Gedächtnisleistung leide außerdem unter Schlafmangel. „Also ist es auch nicht sinnvoll, in die eigenen Schlafzeiten hineinzulernen.“ Vor Prüfungen muss rechtzeitig Schluss mit dem Pauken sein. „Am Tag vor einer Prüfung würde ich zumindest nichts Neues mehr machen“, warnt Reysen-Kostudis. Damit machten Studenten sich bloß verrückt und gerieten in Panik. Aus: Tobias Schormann: Lernen will gelernt sein: Wie Schüler und Studenten richtig pauken, 14. 6. 2010, http://www.yaez.de/Lernen/ 271-Lernen-will-gelernt-sein-Wie-Schueler-und-Studenten-richtigpauken.html, aufgerufen am 30. 4. 2014 ARBEITSAUFTRÄGE 1 Lesen Sie einen der beiden obigen Texte. Arbeiten Sie die wesentlichen Kernaussagen heraus und notieren Sie sich Stichpunkte. Stehen Sie auf, sobald Sie fertig sind. 2 Suchen Sie sich einen Arbeitspartner, der ebenfalls schon aufgestanden ist und der einen anderen Text als Sie gewählt hat. Tauschen Sie sich mit diesem Partner aus; vergleichen und ergänzen Sie Ihre Notizen. 3 Entwerfen Sie auf Basis Ihrer Kenntnisse mit Ihrem Partner die „Top 5 der Lernstrategien zum Vokabellernen“. Erläutern Sie auf der Grundlage des obigen Textes und Ihres Wissens über Gedächtnisprozesse kurz, warum Sie diese Lernstrategien gewählt haben. Präsentieren Sie dem Kurs die Top 5 und Ihre Erläuterungen. M 4c 1 5 10 Mnemotechniken: Loci-Methode Franz-Josef Schumeckers, Guinness Weltrekordhalter, beschreibt die Grundlage für ein sicheres Gedächtnis: die Routenmethode. Um mir größere Mengen an Daten, Terminen, Fakten oder anderes merken zu können, wende ich die Routenmethode an. Hierbei habe ich im Geiste Routen festgelegt, auf der sich viele markante Punkte befinden. Eine Route beispielsweise befindet sich bei mir zu Hause in der Wohnung. Ich habe 15 20 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag mehrere Orte in meiner Wohnung als Routenpunkte in einer bestimmten Reihenfolge festgelegt: 1. Haustür 2. Garderobe 3. Gäste-WC 4. Treppe 5. Teppich im Wohnzimmer 6. Palme 7. Bücherregal 13 E4 Material 8. Couch 9. heiße Herdplatte in der Küche 10. Spülbecken 25 30 35 40 45 50 55 Jeder dieser Punkte hilft mir, ganz verschiedene Dinge zu merken. Möchte ich mir eine Einkaufsliste mit Milch, Brot, Salat, Tomaten, Möhren etc. einprägen, verknüpfe ich die einzelnen Punkte meiner Liste mit meinen Routenpunkten. Die Milch mit dem ersten Punkt, der Haustür. Nun reicht es mir nicht, einige Tropfen Milch auf der Tür oder ein Milchpaket davor zu sehen. Nein, es ist wichtig, möglichst alle Sinne, Bewegung, Fantasie, Humor, Übertreibung einzubringen. Ein Beispiel: Das Milchpaket ist bei mir überdimensional groß. 20 Liter Milch schütte ich über die Tür, wobei ich selbst völlig nass werde. Dieses Bild bleibt haften. Garantiert! Und weiter geht es: Auf jeden Garderobenhaken spieße ich ein Brot. In die Toilette stopfe ich meine Salatköpfe. Die Tomaten, als 4. Punkt auf meiner Einkaufsliste, verbinde ich mit meinem 4. Routenpunkt, der Treppe. Eine Tomatenlawine rollt die Treppe herab und ich versuche, ihr entgegen nach oben zu laufen. Eine ganz schöne matschige Angelegenheit. Die Möhren auf meiner Liste verknüpfe ich mit meinem 5. Routenpunkt. Dies geht so weiter, bis alle Teile auf einem Routenpunkt liegen. Im Supermarkt gehe ich dann später nur noch meine fiktive Route in Gedanken ab und werde mit Sicherheit nichts vergessen. Das Schöne an dieser Methode ist, dass sich 100 Punkte genauso leicht einprägen wie 10. Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? 65 70 75 80 85 90 95 100 60 Routen systematisch aufbauen Wichtig ist, dass Sie Ihre Routen stets systematisch aufbauen, damit Sie die Routenpunkte sicher wiederfinden. Liegt Ihre Route in einem Raum, sollten Sie entweder links oder rechts an der Wand entlanggehen. Wenn sich Dinge in einem Raum übereinander befinden, dann immer zuerst den oberen vor dem unte- 14 105 ren Punkt oder umgekehrt, aber immer die gleiche Reihenfolge. Mehrere Routen konstruieren Auch ich habe mit einer kleinen Route angefangen. Nach und nach habe ich mir dann immer mehr Routen zugelegt. Auf dem Weg zur Arbeit, im Garten, im Urlaub in der Hotelanlage u. a. Inzwischen habe ich mehrere Routen in meinem Kopf abgelegt, die insgesamt mehr als 2000 Routenpunkte aufweisen. Mit der Routenmethode zum Erfolgsgedächtnis Die Routenmethode gibt mir zusammen mit dem Mastersystem die Grundlage, Hunderte von Zahlen oder Wörtern zu merken. Eine freie Rede zu halten fällt mir leicht, seitdem ich statt Worte von einem Spickzettel abzulesen, diese nun in Gedanken auf meinen Routenpunkten sehe. Für Termine habe ich zwei Routen mit je 31 durchnummerierten Punkten parat. Die eine für den aktuellen Monat. Die andere für den nächsten. Habe ich nun am 14. im nächsten Monat einen Zahnarzttermin, so lege ich auf dem 14. Routenpunkt einen riesigen Zahn ab, der gerade mit ohrenbetäubendem Lärm durchbohrt wird. So trage ich nun meine Routen in meinem Geist immer bei mir und sie warten schon jetzt wieder darauf, mit fantasievollen, lustigen, kuriosen Bildern bestückt zu werden. Aber Achtung: Nicht jede Route lässt sich immer verwenden. Hat das Gehirn sich die Bilder eingeprägt, dauert es bis zu einer Woche, bis es die Bilder wieder vergessen hat. Erst wenn der Speicher wieder leer ist, kann man eine Route wieder einsetzen. Ihre Wurzeln hat diese Routentechnik im Altertum. Bereits die alten Römer benutzten sie und daher rührt auch ihre Bezeichnung Loci-Methode (Locus = der Ort). Sie ist sicherlich die effektivste Methode, um sich scheinbar unbegrenzt viele Dinge zu merken. Aus: Franz-Josef Schumeckers: Grundlagen Gedächtnistraining, 31. 5. 2011, http://www.memoryxl.de/gedaechtnistraining/tippsder-meister/grundlagen-gedaechtnistraining.html 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag E4 Material Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? M 4d 1 5 10 15 20 25 Mnemotechniken: Zahl-Form-System und Ersatzwortmethode Einfach ist das Zahl-Form-System: Es ordnet jeder Ziffer von 0 bis 9 ein Symbol zu, das ihr ähnlich sieht oder eine Assoziation zur Ziffer in Gang setzt. Die Null kann dann beispielsweise eine Kugel sein, die Eins eine Kerze, die Zwei wird durch einen Schwan dargestellt, die Drei etwa durch einen Dreizack, die Vier mit einem vierblättrigen Kleeblatt gedanklich verknüpft, die Fünf mit einer Hand und so weiter. Wer sein Zahl-Form-System auswendig beherrscht, kann es nutzen, um sich kurze Zahlenreihen wie beispielsweise Telefonnummern besser einzuprägen. Dazu überlegt er sich aus den Symbolen eine kleine Geschichte. Ist die Durchwahl des Kollegen also -154, dann käme in der Geschichte eine Kerze, eine Hand und ein Kleeblatt vor – und zwar genau in der Reihenfolge der Ziffern und am besten mit einer Verknüpfung zu dem Kollegen. Der Kollege könnte also auf dem Schreibtisch eine Kerze stehen haben, an der er sich die Hand verbrennt und sie mit einem Kleeblatt heilt. Das ist ein seltsames Bild, und gerade weil es ungewöhnlich ist, lässt es sich gut erinnern: Es ist merk-würdig. […] 30 35 40 45 50 Aber was macht man, wenn man dabei neue Vokabeln, Namen oder Fachbegriffe lernen muss? Hier eignet sich die sogenannte Ersatzwortmethode, die auch als Schlüsselwortmethode bezeichnet wird: Dabei wird das eigene Vorwissen genutzt, um Assoziationen mit dem neuen Inhalt herzustellen. Je nach Aussprache oder Schreibweise der Vokabel versucht man sich mit einem Bild oder einem Begriff eine Eselsbrücke zu bauen und verknüpft dieses dann mit der Bedeutung der Vokabel oder einer Auffälligkeit der Person bei Namen. Lernt man etwa das türkische Wort für Auto, das „araba“ heißt, könnte man sich beispielsweise einen arabischen Scheich in einem Ferrari vorstellen. Man sieht: Das Anwenden von Gedächtnistechniken erfordert und fördert Kreativität. Es fordert zudem die grauen Zellen. Und weil sich das Hirn ähnlich wie ein Muskel trainieren lässt, klappen die Techniken mit einiger Übung immer besser. Trainieren lässt sich fast immer und überall – denn mehr als den Kopf braucht es nicht. […] Aus: Tina Groll: Leichter lernen mit Mnemotechniken, 10. 6. 2013, http://www.zeit.de/karriere/beruf/2013-06/uebersichtgedaechtnistechniken-lernen ARBEITSAUFTRÄGE 1 Lesen Sie die Texte über verschiedene Mnemotechniken. Wenden Sie eine der Methoden an, um die 16 Begriffe auswendig zu lernen, die unter M 3 bei Arbeitsauftrag 3 genannt wurden. 2 Erklären Sie anhand Ihrer Erkenntnisse über das Gedächtnis, warum die von Ihnen angewendete Methode hilfreich ist. 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag 15 E4 Material 1 5 Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? M5 Fallbeispiele zum Lehren und Lernen M 5a Frau Klarwein Frau Klarwein ist Lehrerin und möchte mit ihrem Deutschkurs die Literaturepochen besprechen. Wegen der Stofffülle entscheidet sie sich dafür, die Epochen chronologisch im Frontalunterricht zu behandeln. Am Ende der Reihe soll ein Test geschrieben werden. 10 Beim Korrigieren des Tests stellt Frau Klarwein fest, dass die Ergebnisse sehr schlecht ausgefallen sind. Hannah Weyhe 2014 ARBEITSAUFTRAG Was hätte Frau Klarwein im Unterricht anders machen sollen? Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen? M 5b 1 5 Nina Nina schreibt in Deutsch einen Test über Literaturepochen und ihre Merkmale. Zum Lernen hat sie sich alle Epochen, ihre typischen Vertreter und die ganzen Merkmale auf viele Zettel aufgeschrieben. Sie sitzt Tag und Nacht am Schreibtisch, um sie sich immer wieder vorzusagen und sie abzuschreiben. Am Abend 10 vor dem Test ist Nina fix und fertig mit den Nerven, denn ständig wirft sie alle Merkmale und Epochen durcheinander. Sie hat das Gefühl, dass sie immer noch große Lücken hat und den Test so nicht bestehen wird. Hannah Weyhe 2014 ARBEITSAUFTRAG Was hätte Nina beim Lernen besser machen können? Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen? M 5c 1 5 David und Simon David und Simon wollen in Deutsch ein Referat über verschiedene Literaturepochen halten. Schon bei der ersten Sichtung aller Quellen und Materialien fühlen sie sich von der Fülle der Informationen erschlagen. Trotzdem wollen sie eine klassische PowerPoint-Präsentation erstellen und damit ihren Vortrag gestalten. Also reihen sie Folie an Folie, die bis zum Bersten mit Informationen gefüllt sind. 10 15 Zwei Wochen später halten die beiden ihr zweistündiges Referat in einem Dauervortrag unter großem Zeitdruck. Als in der darauffolgenden Stunde die Inhalte im Plenum erneut aufgegriffen werden sollen, stellt sich heraus, dass keiner der Mitschüler wirklich viel vom Referat im Gedächtnis behalten hat. Hannah Weyhe 2014 ARBEITSAUFTRAG Wie hätten David und Simon ihr Referat gestalten können, damit ihre Mitschüler sich an die Inhalte erinnern können? Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen? 16 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag E4 Material Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? M 5d 1 5 Herr Maler Herr Maler hat aus den Fehlern seiner Kollegin gelernt und beschließt, dass seine Schüler Referate halten sollen, um einen Einblick in verschiedene Literaturepochen zu erhalten. Sechs verschiedene Schüler halten Einzelreferate über Epochen, ihre Merkmale und typische Vertreter. Schon während der Vorträge 10 muss Herr Maler oft eingreifen und Verbesserungen vornehmen. Er hat das Gefühl, dass die einzelnen Schüler ihr Referatsthema gar nicht richtig durchdrungen haben und vor allem keinerlei Verbindungen zwischen den verschiedenen Epochen herstellen können. Hannah Weyhe 2014 ARBEITSAUFTRAG Scheinbar war die Referatsverteilung auch keine gute Lösung zum Lernen – was hätte Herr Maler tun sollen? Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen? M 5e 1 5 Michael Michael besucht ein Gymnasium, sein Lieblingsfach ist Deutsch. Da Michael aber leidenschaftlich DVDs sammelt, bleibt zum Lernen manchmal wenig Zeit. Außerdem hat er zwei Nebenjobs, mit denen er sein Taschengeld aufbessert. Michael schaut natürlich auch gerne seine Filme und das oft bis spät in die Nacht. Als ein Literaturtest ansteht, schafft er es erst am Abend vor der Prüfung, dafür zu 10 15 lernen, weil er nachmittags eine Extraschicht im Café arbeiten musste. Er hat während des Lernens immer mehr Angst, seine Note in Deutsch durch ein schlechtes Testergebnis runterzuziehen. Am nächsten Tag ist Michael todmüde, schlecht vorbereitet und hat ein ganz flaues Gefühl im Magen. Hannah Weyhe 2014 ARBEITSAUFTRAG Welche Tipps hätten Sie Michael geben können? Auf welche neurobiologischen Erkenntnisse können Sie Ihre Lösung stützen? 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag 17 E4 Lösung Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? Lösungsvorschläge M1 Verschiedene Arten des Lernens a mögliche Assoziationen: Abfragen, Learning by doing, Lernen fürs Leben, Lernen am PC, Erkunden, Versuche, Experimente, Konzentration, Nachahmen, Lernen durchs Spiel, Lernen durch Medien, grundlegende Fähigkeiten, Schule, Üben und Wiederholen, selbstständiges Lernen, Ausprobieren, Beibringen, Allgemeinbildung, soziales Umfeld b Hilfen: Familie, Freunde, Wissenssendungen, Lehrer, Nachhilfe, Bücher, Youtube, Spicker c Störungen beim Lernen und negative Emotionen: Stress vor Klausuren, Zeitdruck, emotionaler Druck durch andere, Angst, Überforderung, Hilflosigkeit, Ablenkung M2 Definitionen 1 wichtige Aussagen aus dem Text: • erfahrungsbasierter Prozess • Veränderung des Verhaltens oder Verhaltenspotenzials • Voraussetzung: sich wiederholende Erfahrung • bewusst oder unbewusst • Lernen ≠ Reflexe, Instinkte, Reifungsprozesse, vorübergehende Veränderungen des Organismuszustandes • Erwerb von Wissen sowie von motorischen und sprachlichen Fähigkeiten • Aufnehmen, Verarbeiten und Umsetzen von Informationen • lebenslanger Prozess 2 Lernen bedeutet den Erwerb von Wissen sowie von motorischen und sprachlichen Fähigkeiten durch Erfahrungen und Einsichten. Lernen geschieht stets individuell und lebenslang. Durch das Aufnehmen, Verarbeiten und Umsetzen von Informationen und die Einprägung dieser im Gehirn findet eine stabile Veränderung im Verhalten des Lernenden statt. M3 Unser Gedächtnis 1 Sensorisches Register: • erste Aufnahme von Informationen • reines unverarbeitetes Wahrnehmungsabbild • kurze Verarbeitungsdauer (500 Millisekunden) • Informationen werden nur sehr kurz eingelagert • Vergessen durch Spurenzerfall (minimale Präsenz, dann sind Wahrnehmungen definitiv verloren und es ist keine Spur mehr zu finden) • Durch die Aufmerksamkeit werden Wahrnehmungen zum Arbeitsgedächtnis weitergeleitet. Diese Aufmerksamkeit ist motivational gesteuert, Essensgeruch wird z. B. vor allem dann beachtet, wenn man Hunger hat. • Alle Informationen, die nicht ins Arbeitsgedächtnis gelangen, verschwinden. 18 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? E4 Lösung Arbeitsgedächtnis: • bewusst verfügbares Gedächtnis • Wahrnehmungen sind schon transformiert • sehr begrenzter Speicher: ± 7 Informationen, die bewusst richtig reproduzierbar sind • steht nur kurzfristig zur Verfügung (daher veralteter Begriff des Kurzzeitgedächtnisses) • es werden hier Handlungen organisiert (deswegen Arbeitsgedächtnis) • Vergessen durch Spurenzerfall, wenn die Information nicht wiederholt oder als unwichtig eingestuft wird, und Ersetzung, wenn Altes durch Neues ersetzt wird. Langzeitgedächtnis: • unendliche Speicherkapazität • Informationen werden im LZG gespeichert durch Erhaltungswiederholung oder Elaboration (Verknüpfung mit vorhandenem Wissen) • Besteht aus unterschiedlichen Subsystemen: – semantisches Wissen: deklarativ: reproduzierbare allgemeine Wissensinhalte (Was ist ein Stuhl, was ist ein Löffel?) episodisch: persönlicher Bezug (Das ist der Stuhl, auf dem Tante Erna den Herzinfarkt hatte) ist wichtig für die Identität und bildet eine Persönlichkeit mit Geschichte – prozedurales Wissen: Handlungen, die gelernt und automatisiert sind (Schreiben, Sprechen, Autofahren) • Vergessen durch Spurenzerfall (sehr selten), Zugangsverlust (eher möglich), Interferenz (neue Informationen verwehren Zugriff auf spätere Infos) 2 Grafische Darstellung: 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag 19 E4 Lösung Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? Erläuterung: Informationen können bei der Einlagerung im Gedächtnis an mehreren Stellen verloren gehen: • Wird Informationen keine Aufmerksamkeit zuteil, so findet der Spurenzerfall bereits im sensorischen Register statt. • Wird den Informationen Aufmerksamkeit zuteil, so können sie im Arbeitsgedächtnis alte Informationen ersetzen (durch Abgleichung) oder überlagern (Wichtigkeit). Werden die Informationen nicht wiederholt oder als unwichtig eingestuft, werden sie durch den Spurenzerfall wieder vergessen und nicht ins Langzeitgedächtnis überführt. • Im Langzeitgedächtnis gelagerte Informationen sind nur schwer zu vergessen – meist scheitert das bewusste Abrufen von Informationen am Zugangsverlust. In Hypnosen, Träumen oder bei sogenannten Déjà-vu-Erlebnissen können diese Zugänge aktiviert werden. Vergessen durch Interferenz (Überlagerung) kann vor allem dann auftreten, wenn sich viele gelernte Informationen ähneln und so die Erinnerung an vorherige Informationen durch die neuen, sehr ähnlichen Informationen überlagert werden. Eine weitere Ursache für das Vergessen können Krankheiten und Traumata wie Demenz, Alzheimer, Schock, Amnesie sein. 3 Dieses Experiment verdeutlicht den Schülern die Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses. 4 Test 1: Die ersten paar Begriffe werden aufgrund des Primacy Effects behalten. Die Begriffe, die zuletzt genannt wurden, werden aufgrund des Recency Effects (phonologischer Kurzzeitspeicher) als rein sprachliches Wahrnehmungsabbild erinnert. Die dazwischenliegenden Begriffe werden vergessen. Insgesamt sollten durchschnittlich sieben Begriffe präsent bleiben, da das Arbeitsgedächtnis nur etwa sieben Informationen, sogenannte Chunks, aufnehmen kann. Test 2 und 3: Das Rückwärtszählen „stopft“ das Arbeitsgedächtnis mit irrelevanten Informationen voll. Aus diesem Grund werden noch weniger Wörter behalten als bei Test 1. M 4 a/b Wie lernt unser Gehirn am besten?/Lernen will gelernt sein 1 • Negative Stresserfahrungen werden mit dem Lernstoff abgespeichert und können blockieren oder Abwehrverhalten auslösen (vgl. M 4 a, Z. 18 – 25). • Zu viel Koffein, zu wenig Schlaf und mangelnde Bewegung sind ebenfalls Stressfaktoren (vgl. M 4 a, Z. 31 ff.). • Positive Emotionen helfen beim erfolgreichen Lernen (vgl. M 4 a, Z. 34 ff.). • Je mehr Sinne beim Lernen beteiligt sind, desto eher werden Informationen behalten (vgl. M 4 a, Z. 41 ff.). • Je multipler neuronale Verknüpfungen sind, desto besser werden Informationen gespeichert (vgl. M 4 a, Z. 47– 51). • Wiederholungen stärken neuronale Verbindungen (vgl. M 4 a, Z. 53 – 56). 20 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? E4 Lösung • Kurzfristiges „Bulimie-Lernen“ oder reines Auswendiglernen hilft nicht bei der • • • • • • • • langfristigen Einlagerung des Stoffes – besser ist ein regelmäßiges Durchgehen und Mitarbeit (vgl. M 4 b, Z. 22 – 28). Regelmäßig gelernte Inhalte werden länger behalten (vgl. M 4 b, Z. 34 f.). Wiederholung muss stets mit Wiedergabe und Variation zusammenhängen (vgl. M 4 b, Z. 44 – 56). Selbstabfragen sichern „Wiederfindewege“ (vgl. M 4 b, Z. 64 – 67). Mitschreiben von Inhalten sowie schriftliche Zusammenfassungen und neue Formulierungen dienen der Abwechslung (vgl. M 4 b, Z. 67–70). Gespräche über Inhalte und Diskussionen sowie Fragen und deren Beantwortung helfen beim Verständnis und Durchdringen von Inhalten (vgl. M 4 b, Z. 77– 82). Visualisieren in Form von grafischen Darstellungen und Mindmaps lassen eine bildhafte Struktur des Stoffes entstehen (vgl. M 4 b, Z. 83 – 92). Herausschreiben statt Unterstreichen als aktivere Lernweise (vgl. Z. 95 – 98). Pausen und Schlafzeiten einhalten (vgl. M 4 b, Z. 111–118). 2 siehe Arbeitsauftrag 1 3 Top 5 der Lernstrategien zum Vokabellernen: 1. gegenseitige Abfrage und Vokabeltests stellen, Gesprächspartner finden 2. pro Vokabel verschiedene Sätze formulieren, Eselsbrücke formulieren (sprachliche Bilder, Lieder) 3. Post-its in der Wohnung verteilen und mit konkreten Gegenständen und Orten weitere Sinne integrieren 4. Vokabelbingo anhand von fremdsprachigen Filmen, Serien oder Liedern 5. Pausen und Belohnungen integrieren, für Ruhe sorgen, Lernzeiten festlegen M 4 c/d Mnemotechniken: Loci-Methode/Zahl-Form-System und Ersatzwortmethode 1 Bei der Anwendung der Methoden werden die Schüler feststellen, dass sie sehr hilfreich sein können und die Kapazität des Gedächtnisses erweitern. 2 Durch die Verknüpfungen werden Gedächtnisbrücken gebaut, die die neuronalen Verbindungen stärken und den Abrufweg erweitern. Zugleich werden durch den gleichen Aufbau der Routen Routinen geschaffen. Fantasie, Kreativität und Übertreibungen bei den verknüpften Bildern verbinden die Inhalte außerdem mit positiven Emotionen. Damit es nicht zu einer Überlagerung kommt, muss man verschiedene Routen verwenden oder sich genügend Zeit lassen, um die alten Verknüpfungen vergessen zu können. M 5a Fallbeispiel Frau Klarwein • weniger Frontalunterricht, Schüler Inhalte eigenständig erarbeiten lassen, damit sie sich aktiv damit auseinandersetzen • Verknüpfungen der Epochen untereinander aufzeigen, sodass sich die Abrufwege erweitern 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag 21 E4 Lösung Lernen Lernstrategien – Wie kommen die Inhalte ins Gedächtnis? • Bilder, Mindmaps etc. einarbeiten, damit mehr Sinne angesprochen und unterschiedliche Lerntypen beachtet werden M 5b Fallbeispiel Nina • • • • • • beim Lernen Verknüpfungen zwischen den Inhalten schaffen Pausen einlegen, sacken lassen → Wiedererkennen des Textes → Aha-Effekt früh genug mit dem Lernen anfangen grafische Aufarbeitung durch Mindmaps, sodass ein weiterer Zugang entsteht Filme über Epochen anschauen besser im Team lernen, um sich auszutauschen – Kommunikation und Fragen über Inhalte helfen dem Verständnis • positiv an Ninas Lernverhalten: Vorsagen und Abschreiben; besser wäre es aber, wenn sie die Informationen umschreiben und neu zusammenfassen würde M 5c Fallbeispiel David und Simon • weniger Text auf die Folien, da man sich nur sieben Chunks merken kann • Schüler mit einbeziehen – durch Interaktion und Gespräche können die Inhalte besser verknüpft und verstanden werden • Bilder und einen Zeitstrahl verwenden, damit mehr Verknüpfungen stattfinden • Handout anfertigen, damit die Mitschüler selbstständig wiederholen können, nicht alles mitschreiben müssen und eigene Formulierungen ergänzen können • zu Beginn und am Ende der Präsentation die wichtigsten Informationen zusammenfassen, also in anderen Worten wiederholen und sich dabei auf das Wesentliche konzentrieren M 5d Fallbeispiel Herr Maler • Gruppenarbeit anlegen, vielleicht auch ein Gruppenpuzzle – Austausch über Inhalte, verschiedene Quellen, Zusammenführen von Inhalten • freiwillige Auswahl des Themas durch die Schüler → erhöhte Motivation • Mindmaps anlegen, sodass Verbindungen zwischen den einzelnen Epochen sichtbar werden • Inhalte vertiefen, um Fragen aufkommen zu lassen → bessere Verknüpfungen M 5e Fallbeispiel Michael • regelmäßig Lernen, kein „Bulimie-Lernen“, Wiederholungen einbauen, feste Lernzeiten einplanen • entspannte Lernumgebung und Wiederholungen mit Pausen helfen beim Speichern der Informationen • Stressabbau, da sonst negative Emotionen mitgelernt werden und die Kreativität blockiert wird • Schlafmangel als zusätzlicher Stressfaktor – Gehirn braucht Pausen und Schlaf 22 694 Unterrichts-Materialien Pädagogik · Psychologie Stark Verlag