Hochschulbildung und soziale Herkunft: Leistung und Habitus von Studierenden und Promovierenden im deutschen Bildungswesen Die Promotion: Ein Reproduktionsmechanismus von sozialer Ungleichheit Magisterarbeit zur Erlangung des Magister Artium vorgelegt von Alexander Lenger aus Lemgo SS 2006 Soziologie Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................... 4 Tabellenverzeichnis.................................................................................................................... 5 1. Ausgangspunkt und Ziele .................................................................................................... 9 2. Konzeption der Studie ....................................................................................................... 15 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen.......................................................................... 23 3.0 Argumentationsskizze .................................................................................................... 23 3.1 Bildungsexpansion und Chancengleichheit ................................................................... 24 3.2 Soziologische Kategorien und Begriffssysteme von Bildung........................................ 29 3.3 Der methodische Ansatz von Pierre Bourdieu und seine Bezugspunkte zur Bildung... 35 3.4 Die Promotion in der Konzeption von Pierre Bourdieu ................................................ 41 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland ............................................... 47 4.0 Argumentationsskizze .................................................................................................... 47 4.1 Strukturelle Entwicklung der Promotion nach 1945 ...................................................... 48 4.2 Quantitative Entwicklung des Doktortitels .................................................................... 54 4.3 Die Promotion im Wandel.............................................................................................. 57 Exkurs 1: Das wissenschaftliche Feld............................................................................. 61 4.4 Promovierende im wissenschaftlichen Feld................................................................... 63 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit................................................. 69 5.0 Argumentationsskizze .................................................................................................... 69 5.1 Die Illusion des Leistungsparadigmas............................................................................ 70 5.2 Soziale Zusammensetzung der Promovierenden............................................................ 74 5.3 Entschluss zur Promotion und Promotionsmotive ........................................................ 79 Exkurs 2: Der Streit der Fakultäten................................................................................. 84 5.4 Positionen im sozialen Raum ......................................................................................... 88 5.4.1 Ökonomisches Kapital............................................................................................. 89 5.4.2 Kulturelles Kapital .................................................................................................. 94 5.4.3 Soziales Kapital....................................................................................................... 97 5.5 Die Position der Fachbereiche im sozialen Raum........................................................ 104 6. Die Promotion: Ein Reproduktionsmechanismus von sozialer Ungleichheit ............. 109 Literaturverzeichnis................................................................................................................ 115 Anhang ................................................................................................................................... 127 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Schülerinnen und Schüler im 8. Schuljahr nach Schulart in Deutschland ......... 25 Abbildung 2: Schüler- und Studentenzahlen 1950 bis 2000 .................................................... 26 Abbildung 3: Der Bildungstrichter: Eine schematische Darstellung sozialer Selektion .......... 29 Abbildung 4: Entwicklung der Promotionsprüfungen von 1953 bis 2004............................... 55 Abbildung 5: Promotionen in Relation zu allen Hochschulprüfungen (ohne Lehramt) fünf Jahre zuvor .......................................................................................................... 56 Abbildung 6: Publikationstätigkeit nach Fachbereichen .......................................................... 65 Abbildung 7: Publikationstätigkeit nach Geschlecht................................................................ 67 Abbildung 8: Bildungsherkunft der Eltern ............................................................................... 76 Abbildung 9: Promotionsmotive nach Promotionsfachbereichen ............................................ 81 Abbildung 10: Zusammenhang zwischen promovierten und nicht-promovierten Verwandten und dem ökonomischen Kapital....................................................................... 96 Abbildung 11: Promotion an der „Heimatuniversität“ ........................................................... 100 Abbildung 12: Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft während des Studiums ................. 102 Abbildung 13: Raum der sozialen Positionen ........................................................................ 105 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Alter der befragten Doktorandinnen und Doktoranden .......................................... 19 Tabelle 2: Erfolgreich abgelegte Promotionen und Teilnehmer der Befragung nach Fächergruppen (ohne Medizin) .............................................................................. 19 Tabelle 3: Publikationstätigkeit von Promovierenden ............................................................. 64 Tabelle 4: Zusammenhangsmaße für die Variable „Wissenschaftliche Karriere“................... 66 Tabelle 5: Studiendauer nach Fach- und Hochschulsemestern sowie Note bei Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung, die Note der Magister- bzw. Diplomarbeit und die Note bei Studienabschluss nach Promotionsbereichen .................................... 72 Tabelle 6: Relativer Besuch eines Gymnasiums nach Bildungsherkunft der Eltern ............... 75 Tabelle 7: Durchschnittliches Nettoeinkommen der Eltern ..................................................... 77 Tabelle 8: Neigungen zu einer wissenschaftlichen Karriere nach Fachbereichen ................... 84 Tabelle 9: Hierarchie der Fächer nach Bourdieu ..................................................................... 86 Tabelle 10: Zusammenhangsmaße zwischen Höhe des ökonomischen Kapital und Fachbereich ............................................................................................................ 90 Tabelle 11: Nettoeinkommen der Eltern im Fächervergleich .................................................. 90 Tabelle 12: Monatlich zur Verfügung stehendes Geld während des Studiums ....................... 91 Tabelle 13: Finanzierung des Lebensunterhaltes während der Promotion .............................. 92 Tabelle 14: Durchschnittliches monatliches Netto-Einkommen.............................................. 94 Tabelle 15: Bildungsherkunft der Promovierenden nach Promotionsbereichen...................... 95 Tabelle 16: Arten der Betreuersuche........................................................................................ 99 Tabelle 17: Entstehung des Kontaktes zum Promotionsbetreuer........................................... 100 Kapitel 1 Ausgangspunkt und Ziele „Es gilt, die Ungleichheitsdiskussion wieder aufzunehmen, die für die moderne arbeits- und beschäftigungsbezogene Bildungsforschung konstitutiv war – Ungleichheit verstanden als die ungleiche Verteilung von Lebenschancen und –risiken im Bereich von Bildung und Arbeit. Denn Ungleichheit im Zugang zu ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen ist weiterhin konstitutiv für die gesellschaftliche Strukturierung“ (Bolder, Heinz & Rodax 1996). Gegenstand dieser Abhandlung ist die soziale Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden an deutschen Universitäten. Allerdings kann eine solche soziologische Arbeit über Promovierende nicht für sich beanspruchen eine gänzlich neue Thematik zu behandeln. Denn die vielfältigen Vorteile von Bildung haben die Frage, wie dieses knappe Gut auf die Bevölkerung aufgeteilt wird und welche Ungleichheiten daraus resultierten, ins Zentrum soziologischer Bildungsforschung gerückt. Theoretisch werden die Mechanismen, die für die ungleiche Verteilung von Bildung verantwortlich sind, kontrovers diskutiert. Gegen die angeführte Position, dass ungleiche Bildungserfolge aus der unterschiedlichen genetischen Ausstattung mit Intelligenz resultieren (vgl. Young 1963, Herrnstein 1974) hat der Soziologe Pierre Bourdieu die strukturierende Bedeutung sozialer, kultureller und ökonomischer Faktoren aufgezeigt (vgl. Bourdieu 1982). Darüber hinaus ist seit Beginn der neunziger Jahre ein zunehmendes Interesse an sozialwissenschaftlichen Untersuchungen über die langfristigen Folgen der Bildungsexpansion für die Reproduktion der Sozialstruktur und den Abbau sozialer Ungleichheiten zu beobachten (vgl. Krais 1996). Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass von der Auflösung der Klassengesellschaft und vom Verschwinden strukturierter sozialer Ungleichheiten keine Rede sein kann (vgl. exemplarisch Berger & Kahlert 2005). Die Frage nach der sozialen Herkunft von Akademikern ist mittlerweile praktisch zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Sozial- und Bildungsforschung geworden.1 1 Bildungsforschung bezeichnet eine multidisziplinäre Fachrichtung, welche parallel von Pädagogen, Psychologen, Soziologen, Politik- und Rechtswissenschaftlern, Ökonomen, Philosophen und Historikern 10 1. Ausgangspunkt und Ziele „Allerdings hat sich die Frage nach der sozialen Herkunft kaum auf jene Gruppe der Hochschulabsolventen gerichtet, die nach dem Studium die akademischen Weihen einer Promotion erreicht, mit der innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft möglicherweise eine besondere Privilegierung in den Berufschancen verbunden ist“ (Enders & Bornmann 2001: 40). Dies überrascht nicht, würden doch die Produzenten von Wissenschaft selbst ins Blickfeld der Untersuchung rücken und zum „Erkenntnissubjekt“ werden. Ein solches Unterfangen der Selbstanalyse ist stets heikel. „Denn sich als Zauberlehrling ‚für die Zauberei des eigenen Stammes und dessen Fetische’ zu interessieren, anstatt ‚in fernen Tropen den beruhigenden Reizen einer exotischen Magie nachzugehen’ ist mit dem Risiko verbunden, Reize zu entfesseln, die sich gegen den Zauberlehrling selbst kehren“ (Bourdieu 1988: 36; zitiert nach Engler 2001: 16). Die kritische Reflexion ist jedoch gerade in den Sozialwissenschaften unabdingbar, bildet doch die Beschaffung und Analyse von aussagekräftigen Daten zur Ungleichheit der Bildungs- und Lebenschancen eine vorrangige Aufgabe der (Bildungs-)Soziologie. Für unsere Fragestellung genügt es an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass für den Zusammenhang von sozialer Herkunft und akademischer Profession ein allgemeines (sozial-) wissenschaftliches Thematisierungstabu gilt (vgl. Burkart 2003). Generell stellt der Glaube an leistungsbezogene Kriterien und meritokratische Prinzipien gerade im wissenschaftlichen Betrieb ein elementares Selbstverständnis dar (Engler 2001: 453). Die Vorstellung, der Berufsverlauf könnte durch die soziale Herkunft determiniert sein, missfällt vielen Wissenschaftlern (Burkart 2003: 12). Daher ist es kaum verwunderlich, dass sich bisher eher wenige Sozialforscher intensiv mit den Lebensläufen und der sozialen Herkunft des wissenschaftlichen Nachwuchses beschäftigt haben. So konzentrieren sich die meisten bisherigen Arbeiten im Themenfeld Promovierende entweder auf die wissenschaftliche Mitarbeiter und ihre weitere akademische Laufbahn innerhalb des Hochschulsystems oder untersuchen die außeruniversitäre Bedeutung der Promotion für einzelne Fächer bzw. Berufsgruppen.2 Eine systematische, fachbereichsübergreifende Abhandlung zur sozialen Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden wurde bislang nicht vorgelegt. Überhaupt waren methodische Beiträge über den wissenschaftlichen Nachwuchs bis Mitte der achtziger Jahre äußerst selten. Erst verschiedene Studien, vor allem zu Fragen der Chancen betrieben wird. Einen Überblick über die möglichen Facetten einer interdisziplinären Bildungsforschung bietet der von Rudolf Tippelt herausgegebene Sammelband (Tippelt 2002). 2 Zum gegenwärtigen Stand der Forschung über die Doktorandenausbildung und die beruflichen Werdegänge von Promovierten vgl. Enders (2005: 36-40). 11 1. Ausgangspunkt und Ziele und Probleme der Nachwuchsförderung (Czock & Wildt 1985; Holtkamp, Fischer-Bluhm & Huber 1986), dem beruflichen Verbleib des akademischen Mittelbaus (Bochow & Joas 1987), der Überalterung der Nachwuchswissenschaftler (Wissenschaftsrat 1988) und seiner Beschäftigungssituation (Kaddatz 1987; Enders 1990), legten umfangreiches und empirisch fundiertes Material vor. Erstmals wurde auch kritisch formuliert, dass die prekäre soziale und finanzielle Lage, sowie die unsicheren Zukunftschancen der Nachwuchswissenschaftler zu einem Exodus qualifizierter Kandidaten aus den Hochschulen führen (vgl. Wissenschaftsrat 1982; Karpen 1986; Kossbiel, Helfen & Flöck 1987). Knapp zehn Jahre später erschienen dann einige neuere Publikationen zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses. Im Mittelpunkt standen dabei die Personalstruktur und Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Wissenschaftsrat 2001a), sowie die Chancen und Probleme der Promotionsphase (Berning & Falk 2005). Erst kürzlich wurden die Ergebnisse einer bundesweiten Doktorandenbefragung präsentiert (Gerhard, Briede & Mues 2005). Vor dem Hintergrund der hier genannten Untersuchungen wurden zunehmend die Funktionsleistungen der Hochschulen auch im Hinblick auf die Doktorandenausbildung kontrovers diskutiert. Insbesondere die quantitative Zunahme der Promotionen seit Anfang der achtziger Jahre, die innerhalb eines Jahrzehnts nahezu zu einer Verdopplung der Promotionsprüfungen geführt hat, schärften offenbar den kritischen Blick auf die Chancen und Probleme der Promotionsphase. Gleichzeitig wurden deutliche Veränderungen in den beruflichen Einsatzorten, außerhalb der traditionellen Arbeitsmärkte für promovierte Akademiker in Hochschule, Forschung und öffentlichen Dienst, registriert. Trotzdem lagen bis vor kurzem kaum Untersuchungen über promovierte Wissenschaftler in außeruniversitären Beschäftigungsverhältnissen vor – exemplarisch sei auf die Abhandlungen zur Karriere promovierter Wirtschaftswissenschaftler (Brüggestrat 1988) und zu den Arbeitsmarktproblemen promovierter Geisteswissenschaftler (Schlegelmilch 1987) verwiesen – welche allerdings keine fächervergleichende Perspektive ermöglichte. Erst Jürgen Enders und Lutz Bornmann führten Ende der neunziger Jahre am Wissenschaftlichen Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung (Universität Kassel) eine fächerübergreifende Untersuchung zur Ausbildung, Berufsverlauf und Berufserfolg von Promovierten durch (Enders & Bornmann 2001). Fast zeitgleich legte der Darmstädter Elitenforscher Michael Hartmann eine erste umfassende Studie vor, welche die positionale und wirtschaftliche Verwertbarkeit des Doktortitels thematisierte und klassische Themen des relativen Stellenwerts von sozialer Herkunft und Bildungsleistung in den Vordergrund rückte (Hartmann 2002). 12 1. Ausgangspunkt und Ziele Beide letztgenannten Studien behandeln den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Promotion. Waren die bisherigen empirischen und theoretischen Arbeiten wenig geeignet, um umfangreiche Aussagen über die Selektions- und Reproduktionsmechanismen einer Promotion treffen zu können, lagen nun konkrete Untersuchungen zu dieser Fragestellung vor. Beide Untersuchungen zeigen zunächst erwartungsgemäß, dass Promovierte im Vergleich zu nicht promovierten Hochschulabsolventen eine der sozialen Herkunft nach privilegierte Gruppe bilden. Jedoch stehen die Analysen in einem überaus ambivalenten Verhältnis zueinander und kommen zu teilweise gegenläufigen Ergebnissen. Während Enders und Bornmann der Promotionsphase eine vergleichsweise hohe soziale Offenheit zuschreiben, kommt Hartmann zu dem Schluss, dass „sich die Promotion selbst bereits als sozial sehr selektiv erweist“ (Hartmann 2002: 366f.). Und während Enders und Bornmann zu dem Ergebnis kommen: „Der lange Arm der sozialen Herkunft erreicht den Berufserfolg nach der Promotion nicht“ (Enders & Bornmann 2001: 197), resümiert Hartmann: „Trotz der scharfen sozialen Auslese durch das Bildungssystem erfolgt bei der Besetzung von Führungspositionen in der Wirtschaft eine zweite vom Bildungstitel [Promotion, Anm. d. Verf.] vollkommen unabhängige soziale Selektion“ (Hartmann 2002: 367). Diese Differenz gilt es aufzulösen. Allerdings sind die bisherigen Forschungsergebnisse aufgrund fehlender Daten und der schematischen Konzentration auf einzelne Promotionsfächer wenig geeignet, um adäquate Aussagen über die soziale Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden zu treffen. Eine systematische Arbeit über die soziale Herkunft von Promovierenden über alle Fachbereiche hinweg steht noch aus. Um diese Lücke zu schließen, habe ich im April 2006 eine empirische Befragung von Promovierenden durchgeführt. Im Zentrum der Untersuchung stand dabei die Frage nach der sozialen Herkunft von Doktoranden. Ziel der hier vorliegenden Abhandlung ist es, die Wechselwirkungen zwischen der Kapitalausstattung und der Sozialstruktur von Doktorandinnen und Doktoranden zu analysieren. Dabei wird sich zeigen, dass der analytische Blick mit Rückgriff auf Bourdieus Theorie der sozialen Welt entscheidend erweitert und geschärft wird. Die zugrunde liegende Fragestellung könnte man auch folgendermaßen formulieren: Beeinflusst die soziale Herkunft die Möglichkeit zur Promotion und - falls dem so sein sollte - welche Mechanismen liegen diesem Prozess zugrunde? Die Argumentation werde ich in fünf Kapiteln entwickeln: Im zweiten Kapitel stelle ich zunächst die Konzeption der empirischen Studie vor. Es ist auf den „vorgreifenden“ Charakter dieses Kapitels hinzuweisen, da erste Befunde meiner empirischen Untersuchung erst in Kapitel 4.3 herangezogen werden. Trotzdem erschien mir 1. Ausgangspunkt und Ziele 13 die Platzierung an dieser Stelle sinnvoll, um Brüche im weiteren Verlauf der Argumentation zu vermeiden. Im dritten Kapitel verfolge ich einige Bildungssoziologische Vorüberlegungen zur Vergewisserung der in der vorliegenden Untersuchung angewendeten Methode. Zunächst werde ich kurz Theorien und Denkansätze über den Stellenwert, die Funktion und die Bedeutung von Bildung für die Gesellschaft skizzieren, die mir später als Bezugspunkt meiner Analyse dienen werden. Anhand der Entwicklungen im Bildungswesen werde ich aufzeigen, dass eine Untersuchung über Promovierende sinnvoller Weise anhand Bourdieus Gesellschaftstheorie zu führen ist. Im vierten Kapitel werde ich die Situation von Promovierenden in Deutschland darstellten, um Aussagen über die soziale Stellung von Doktorandinnen und Doktoranden treffen zu können. Dazu werden die strukturellen Rahmenbedingungen und die Entwicklung der Promotionsabschlüsse von Promovierenden in Deutschland erläutert. Dabei werde ich zeigen, dass eine Analyse der Situation von Doktorandinnen und Doktoranden nur Sinn machen kann, wenn man sich der Autonomie des wissenschaftlichen Feldes bewusst wird. Das fünfte Kapitel, welches den Kern dieser Abhandlung darstellt, spannt den Bogen zurück zu dem Erkenntnisgegenstand Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit. Zunächst werde ich die Illusion des Leistungsparadigmas als Mythos entlarven. Daran anknüpfend wird die soziale Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden dargelegt. Da sich in den Promotionsmotiven, soviel sei hier vorweggenommen, die Hierarchie der Fächer manifestiert, wird ein kurzer Exkurs zu Bourdieus „Streit der Fakultäten“ den theoretischen Rahmen erweitern. Abschließend werden ausführlich die Positionen von Promovierenden im sozialen Raum dargestellt. Das sechste Kapitel Die Promotion: Ein Reproduktionsmechanismus sozialer Ungleichheit fasst die Ergebnisse zusammen. Kapitel 2 Konzeption der Studie Die Soziologie ist eine multi-methodologische Wissenschaft. Die Auseinandersetzung über die Vorzüge und Nachteile qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden soll an dieser Stelle allerdings nicht weiter thematisiert werden.3 Aufgrund der Tatsache, dass über den Forschungsgegenstand - die soziale Herkunft von Promovierenden – bisher sehr wenige Erkenntnisse vorliegen, erschien es nahe liegend und folgerichtig, sich zunächst auf eine explorative Datenanalyse zu konzentrieren. Um eine gewisse Vergleichbarkeit und eine sinnvolle Bewertung der Ergebnisse zu gewährleisten, orientiert sich die hier vorgelegte Doktorandenbefragung an den wenigen bestehenden Studien und wurde nach Bedarf um einige qualitative Elemente erweitert. Ein genereller Kommentar sei allerdings vorweg erlaubt: Diese Arbeit soll nicht als eine originär empirische Forschungsarbeit gesehen werden, sondern empirische Daten sind als wichtiges Hilfsmittel zu verstehen, um die soziale Wirklichkeit in einer praktikablen Form abzubilden. Die untersuchte Personengruppe kann nicht als repräsentativ für die Gesamtheit der Promovierenden in Deutschland angesehen werden.4 Aufgrund der vorgelegten Daten ist es jedoch möglich, einen detaillierten Überblick über die soziale Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden zu erhalten. Voraussetzung für Repräsentativität wäre, dass die Grundgesamtheit der zu untersuchenden Personengruppe klar definiert, abgrenzbar und in ihrer Gesamtheit medial erreichbar ist. Erst auf dieser Grundlage kann eine geeignete Stichprobe festgelegt werden. Für Promovierende ist die Grundgesamtheit, sowohl was Umfang, Geschlecht, Fachzuordnung etc. betrifft, weitestgehend unbekannt. Für Doktorandinnen und Doktoranden besteht keine Pflicht – zumindest für eine gewisse Phase ihres Vorhabens – an einer deutschen Universität eingeschrieben zu sein, weswegen sie nicht einheitlich von der offiziellen Hochschulstatistik erfasst werden. Eine andere zentrale Stelle, an der Promovierende registriert sind, existiert nicht. 3 Vgl. zur Methodendebatte Schnell, Hill & Esser (2005). Vgl. zum Problem der Repräsentativität bei der Untersuchung von Promovierenden Czock & Wildt (1985: 29) und Gerhardt, Briede & Mues (2005: 75-78). 4 16 2. Konzeption der Studie Zwar liegen Statistiken5 zur jährlichen Zahl der erfolgreich abgeschlossenen Promotionen vor, diese beziehen sich aber auf einen zurückliegenden Zeitraum, sind wenig differenziert nach spezifischen Merkmalen und geben keinen Aufschluss über die Zahl derer, die noch an der Dissertation arbeiten. Die Grundgesamtheit wurde in dieser Untersuchung wie folgt definiert: Als Doktoranden gelten alle promovierenden Personen, deren Promotionsverfahren noch nicht offiziell abgeschlossen wurde (d.h. die Promotionsurkunde durfte noch nicht ausgehändigt worden sein). Die statistisch erfassten abgeschlossenen Promotionsprüfungen geben Aufschluss über die ungefähre Grundgesamtheit der Doktoranden. Im zuletzt verfügbaren Prüfungsjahr 2004 wurden in Deutschland insgesamt 23.138 Promotionsprüfungen bestanden. Die Multiplikation dieser Zahl mit dem Faktor fünf (durchschnittliche Promotionsdauer von fünf Jahren – vgl. Gerhardt, Briede & Mues 2005: 77) ergab die geschätzte Zahl von ca. 115.000 Doktoranden. Die Einschränkung der Repräsentativität ist aber vertretbar. Bisher liegt – meines Wissens – keine systematische Untersuchung über die soziale Herkunft von Promovierenden über ein breites Fächerspektrum vor. Da es sich bei dieser Fragestellung also gewissermaßen um wissenschaftliches Neuland handelt, erscheint eine Untersuchung der sozialen Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden mit eher explorativem Charakter notwendig und sinnvoll. Die in dieser Magisterarbeit vorgestellten Ergebnisse stützen sich in ihrem empirischen Kern auf eine Befragung zum Ausbildungsverlauf und der biographischen Situation von Promovierenden, welche zum Zeitpunkt der Studie (April 2006) in Deutschland promovierten. Es wurden insgesamt 1876 Doktorandinnen und Doktoranden aus 84 verschiedenen Fächern befragt und analysiert.6 Ich habe mich bewusst für eine Erhebung über ein sehr breites Fächerspektrum entschieden und gegen eine typologisch begründete Vorauswahl, um den fachspezifischen Unterschieden gerecht zu werden.7 5 Vgl. Statistisches Bundesamt: Prüfungen an Hochschulen. Fachserie 11. Reihe 4.2 (jährlich); BMBF: Grundund Strukturdaten (jährlich). 6 Leider war es nicht möglich alle eingegangenen Antworten zu verarbeiten – hierfür fehlten wichtige materielle, institutionelle und personelle Ressourcen. Bis zum 1. Juni lagen insgesamt 2761 Antworten vor. Andere Doktorandenbefragungen erreichten 120 (Kaddatz 1987); 198 (Czock & Wildt 1985); 440 (Holtkamp, FischerBluhm & Huber 1986); 2.244 (Enders & Bornmann 2001); 10.000 (Gerhard, Briede & Mues 2005) Promovierende. 7 Gerade hier liegt – meines Erachtens - eine der entscheidenden Schwächen der bisherigen Doktorandenforschung. So unterteilen Czock und Wildt die Promotionsfächer lediglich in die Kategorien „Geisteswissenschaften“, „Naturwissenschaften“ und „Sonstige“ (Czock & Wildt 1985: 38). Kaddatz untersuchte Medizin, Chemie und Rechtswissenschaften (Kaddatz 1987: 239). Auch Enders und Bornmann untersuchen lediglich exemplarisch die sechs Fächer Biologie, Elektrotechnik, Germanistik, Mathematik, Sozialwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften (Enders & Bornmann 2001: 31-35). Vorbildlich hingegen ist das gewählte Fächerspektrum bei Holtkamp, Fischer-Bluhm und Huber. Sie wählten folgende vierzehn Fächer: Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie, Biologie, Mathematik, Wirtschaftswissenschaften, 17 2. Konzeption der Studie Die Entwicklung des Fragebogens wurde in Anlehnung an verschiedener Absolventen- und Promovierendenstudien durchgeführt und um spezifische Fragestellungen erweitert. Die endgültigen Fragebögen8 enthalten 58 Fragen mit Antwortvorgaben, sowie die Möglichkeit einen offenen Kommentar abzugeben. Im Einzelnen wurden Angaben zu folgenden Themenbereichen erhoben: 1. Bildungsweg: Art, Zeitpunkt und Note der Hochschulzugangsberechtigung; Berufsausbildung; Studienfach, Abschlussart, Note der Abschlussarbeit und des Studienabschlusses; Studiendauer; Studienverlauf; Hochschulort; Promotionsfach; Promotionsort. 2. Studienphase: Finanzierung; wissenschaftliche Hilfskraft und Tutorentätigkeiten; gesellschaftliches Engagement; Auslandsaufenthalte, Praktika und Berufstätigkeit. 3. Promotionsphase: Beginn und erwartete Dauer der Promotionsphase; Promotionsmotive; Finanzierungsarten und -wege; Fragen zur Suche und zum Verhältnis gegenüber dem Betreuer; Promotionsthematik; Arbeitszeit; Publikationen; Karriereplanung; persönliches Verhältnis zu Promovierenden. 4. Soziobiographischer Hintergrund: Geschlecht; Geburtsjahr; Staatsangehörigkeit; soziale Herkunft; Partnerschaft und Kinder; familiäres Verhältnis zur Promotion. Die Auswahl der Promovierenden erfolgte per Zufallsverfahren. Über die Institutshomepages der Universitäten Bielefeld, Bremen, Dresden, Freiburg und Osnabrück wurden die Emailadressen von mehreren Hundert Doktoranden und Doktorandinnen aller Fakultäten ermittelt und der Fragebogen mit Bitte um Weiterleitung versandt. Gleichzeitig wurde der Fragebogen – ebenfalls mit dem Anliegen um Weiterleitung – an die Koordinatoren und Sprecher der Graduate Schools von Nordrheinwestfahlen, Niedersachsen und Bayern, der Rechtswissenschaften, Politologie, Germanistik, Klassische Philologie, Archäologie, Frühgeschichte, Ethnologie und Sinologie (Holtkamp, Fischer-Bluhm & Huber 1986: 29-30). Es sei darauf hingewiesen, dass die Einzelanalyse der 93 Promotionsfächer keine aussagekräftigen Erkenntnisse gebracht hat. Erst die Zuordnung in Fachbereiche hat verborgene statistische Relationen aufgedeckt und damit sinnvolle Ergebnisse geliefert. Zur Kategorisierung wurde auf die Fächersystematik des Statistischen Bundesamtes zurückgegriffen. Dasselbe Verfahren benutzten auch Gerhardt, Briede und Mues (2005: 79). Vergleiche zu diesem methodischen Vorgehen finden sich auch bei Bourdieu der es in seinen Untersuchungen über die Universitäten bei einer Großeinteilung in Fakultäten belässt (Bourdieu: 1988: 93). Eine Liste aller erreichten Promotionsfächer befindet sich im Anhang (vgl. Anhang: Tabelle1). 8 Für die Entwicklung der endgültigen Fragebögen wurden zwei Pretests mit insgesamt 52 Promovierenden durchgeführt. Aufgrund der Erfahrungen in diesen Pretests wurden zwei Fragebogenversionen zur Wahl gestellt. Eine reduzierte Onlineversion (vgl. http://www.soziologie.uni-freiburg.de/personen/lenger/DoktorandInnen.htm) und eine umfangreichere Textversion (siehe Anhang). Etwa 90% (2483 Promovierende) wählten die Onlinebefragung, während sich lediglich 10% für den klassischen Fragebogen entschieden. Die Resonanz auf die Fragebögen fiel überwiegend positiv aus und lieferte hilfreiche Hinweise, welche teilweise aufgegriffen wurden. 18 2. Konzeption der Studie Max Planck Research Schools, der Graduiertenkollegs und Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die politischen Stiftungen versendet.9 Durch diese Methode kann eine relativ breite Streuung bzgl. der Finanzierungsart und der geographischen Verteilung sichergestellt werden.10 Eine Rücklaufquote kann für diese Art von „Schneeballsystem“ leider nicht ermittelt werden, da völlig unklar ist wie viele Promovierende erreicht wurden. Der Auswertung liegen 1876 Fälle zugrunde. In der Verteilung nach Geschlecht sind die weiblichen Befragten in dieser Untersuchung mit 47% leicht überrepräsentiert. Der Anteil der Doktorandinnen liegt damit 8% über der Quote der in Deutschland von Frauen abgelegten Doktorprüfungen von 39% (vgl. Statistisches Bundesamt 2006).11 Leicht unterrepräsentiert sind auch ausländische Promovierende. Während in Deutschland letztes Jahr knapp 12% aller Promotionen von einem Ausländer abgeschlossen wurden (Statistisches Bundesamt 2006), nahmen nur etwa 4% ausländische Promovierende an der Befragung teil.12 Die Altersverteilung (vgl. Tabelle 1) weist eine starke Ballung im Bereich zwischen 27 und 30 Jahren auf. Mehr als die Hälfte der Befragten kann dieser Altersspanne zugeordnet werden (zu ähnlichen Ergebnissen kommen Czock & Wildt 1985 sowie Enders & Bornmann 2001). Das Durchschnittsalter beim Abschluss der Promotion beträgt 33 Jahre (Statistisches Bundesamt 2006). 9 Die reine Zahl der beantworteten Fragebögen, sowie die fachliche und geographische Streuung, belegen den Erfolg dieses „Schneeballsystems“. 10 Empirische Befunde lassen vermuten, dass die Wahl der Hochschule in Deutschland keine besonderen Auswirkungen auf den Karriereverlauf hat (vgl. Hartmann 2001: 181). 11 An den Hochschulen sind Frauen seit Mitte der neunziger Jahre in der Bildungsbeteiligung mit den Männern gleich vertreten, erreichen aber (noch) nicht dasselbe zahlenmäßige Niveau von Abschlüssen. Frauen erfahren dabei eine besondere Benachteiligung bei höheren Bildungsabschlüssen im Bereich von Promotionen und Habilitationen (vgl. Leemann 2005). Daher wird diese Dimension stets mitgeprüft. 12 Für die geringe Beteiligung ausländischer Promovierender lassen sich zwei nahe liegende Gründe anführen. Zum einen wurde der Fragebogen nur auf Deutsch erstellt, wodurch vielen englischsprachigen Promovierenden die Teilnahme de facto verwehrt wurde. Zum anderen verzichteten einige Promovierende auf eine Teilnahme an der Umfrage, da – nach eigenem Bekunden - viele Fragen mit einem kulturell anderem Bildungshintergrund kaum oder überhaupt nicht beantwort werden konnten. Über eine mögliche Erklärung für die Überrepräsentation weiblicher Promovierender möchte ich an dieser Stelle nicht spekulieren. 19 2. Konzeption der Studie Tabelle 1: Alter der befragten Doktorandinnen und Doktoranden 24 Jahre und jünger 0,9 % 31 Jahre 8,5 % 25 Jahre 3,3 % 32 Jahre 6,0 % 26 Jahre 9,4 % 33 Jahre 4,2 % 27 Jahre 13,8 % 34 Jahre 3,1 % 28 Jahre 16,1 % 35 Jahre 1,5 % 29 Jahre 13,6 % 36 Jahre 1,1 % 13,5 % 37 Jahre und älter 4,1 % 30 Jahre 13 n = 1859 Frage 45: In welchem Jahr sind Sie geboren? Die Kategorisierung der Promotionsfächer erfolgte anhand der amtlichen Hochschulstatistik (vgl. Statistisches Bundesamt 2005: Anhang 1). Allerdings werden Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften getrennt voneinander ausgewiesen. Tabelle 2: Erfolgreich abgelegte Promotionen und Teilnehmer der Befragung nach Fächergruppen (ohne Medizin) Anteil an den erfolgreich Anteil an abgelegten Promotionen Befragung Geisteswissenschaften* 15,2 % 17,3 % Rechtswissenschaften 10,5 % 3,9 % Wirtschaftswissenschaften 6,5 % 8,3 % Sozialwissenschaften 2,9 % 11,6 % Strukturwissenschaften 5,6 % 7,3 % Naturwissenschaften 36,1 % 39,4 % Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften** 2,8 % 2,0 % Ingenieurswissenschaften 14,8 % 7,0 % Sonstige Fächer*** 5,6 % 3,2 % Gesamt 100 % 100 % der * In der offiziellen Statistik „Sprach- und Kulturwissenschaften“. ** Die Resultate aus diesem Fachbereich werden aufgrund der geringen Teilnehmerzahl teilweise nicht ausgewiesen. *** Kunstwissenschaften und Sportwissenschaften. Frage 15: In welchem Fachbereich promovieren Sie? Quelle: Statistisches Bundesamt (2003: 19). Betrachtet man die Fächerverteilung der Promovierenden, dann sind zwei Ergebnisse auffällig: Die Mediziner stellen mit etwa einem Drittel zwar den größten Anteil an allen 13 „n“ bezeichnet hier wie im Folgenden die Anzahl der Promovierenden, die auf die entsprechende Frage geantwortet haben und somit als Basis für die Prozentuierung dienen. 20 2. Konzeption der Studie abgeschlossenen Promotionsprüfungen, in der Befragung geben aber nur 2,7% der Befragten an, eine medizinische Promotion anzustreben. Ähnliche Tendenzen zeigten sich bei anderen Promovierendenbefragungen (vgl. Berning & Falk 2004; Gerhardt, Briede & Mues 2005). Dort wurde die geringe Umfragebeteiligung der Mediziner mit der deutlich anders strukturierten Promotionsphase erklärt. In der Regel werden medizinische Dissertationen noch während des Studiums begonnen und als Bestandteil der Grundausbildung betrachtet (vgl. Weihrauch, Strate & Pabst 2003). Zudem sind angehende Mediziner nur bedingt in wissenschaftliche Institutionen eingebunden, weswegen sie über das gewählte Erhebungsinstrument schwerlich erreicht werden konnten. Klammert man die Promovierenden der Medizin aus, dann zeigt sich, dass die fächerspezifische Verteilung in der Befragung „annähernd“ der Verteilung der erfolgreich abgelegten Promotionsprüfungen entspricht (vgl. Tabelle 2). Allerdings sind im Vergleich die Rechts- und Ingenieurswissenschaften etwas unterrepräsentiert, während die Sozialwissenschaften deutlich überrepräsentiert sind. Ursache könnte die unterschiedliche Vertrautheit mit sozialwissenschaftlichen Fragestellungen und Erhebungsmethoden sein. Exemplarisch sei dies durch folgende Antwort eines Physikprofessors belegt: „Lieber Herr Lenger, bei allem Verständnis für Ihre „Forschungen“, aber wir als Physiker hätten nicht viel zu tun, wenn wir unsere Untersuchungen so per Email und Internet automatisiert auf dem Rücken der kostbaren Arbeitszeit von Promovenden anderer Fachrichtungen anfordern könnten. Auch wenn Ihre Email sehr höflich verfasst ist, würde ich sie bitten, für ihre Erhebungen z.B. Drittmittelgeber wie EU (Brüssel), Volkswagenstiftung, Stifterverband, BMBF oder natürlich und vor allem die DFG direkt anzusprechen, dort sollten anonymisierte Daten dieser Art vorliegen. IHRE Examensarbeit sollte auch von Ihnen persönlich recherchiert werden, das ist doch beim Anspruch der Wissenschaftlichkeit selbstverständlich!“. Wie bereits Anfangs erwähnt, sollten die empirischen Daten dazu dienen, meine theoretischen Überlegungen zur Sozialstruktur von Promovierenden zu belegen. Deswegen gestaltet sich die Arbeit nicht als klassischer Auswertungsbericht, sondern richtet sein Hauptaugenmerk auf theoretische Überlegungen zur sozialen Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden. Dementsprechend werden die empirischen Befunde ergänzend herangezogen, um mögliche Unklarheiten zu beseitigen, auf aktuellere Daten zurückgreifen zu können oder um fehlerhafte Aussagen korrigieren zu können. Kurz: Diese Arbeit will nicht einfach nur empirische Fakten präsentieren, sondern einen ergänzenden Beitrag zur Theorie der sozialen Reproduktion von konkurrierenden Klassenformationen leisten. 2. Konzeption der Studie 21 Für Bourdieu verbergen und offenbaren statistische Relationen die Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den verschiedenen Klassenformationen. Zur Auswertung der statistischen Differenzen wurde überwiegend die Methode der Korrespondenzanalyse verwendet. Die Korrespondenzanalyse ist ein exploratives Verfahren zur graphischen und numerischen Darstellung von beliebigen Kreuztabellen (auch Kontingenztabellen oder Kontingenztafeln genannt). Mit Kreuztabellen lassen sich Zusammenhänge zwischen zwei Merkmalen darstellen und quantifizieren. Während Korrelationsmaße den Zusammenhang von quantitativen Merkmalen ausdrücken, eignen sich Assoziationsmaße für die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen qualitativen bzw. nominal skalierten Merkmalen. Die Assoziationsmaße liegen zwischen Null und Eins, wobei einige auch den Wert Eins annehmen können. Je näher sie bei Eins liegen, desto stärker ist der Zusammenhang. Ein Assoziationsmaß von Null wäre demnach ein Hinweis auf statistische Unabhängigkeit.14 14 Aus der Kreuztabelle wird in dieser Arbeit falls nötig der korrigierte Kontingenzkoeffizient berechnet. Kapitel 3 Bildungssoziologische Vorüberlegungen 3.0 Argumentationsskizze Die nachstehenden Überlegungen dieses Kapitels dienen einer Vergewisserung der in der vorliegenden Untersuchung angewendeten Methode. Es wird aufgezeigt, dass eine Untersuchung über Promovierende sinnvoller Weise anhand Bourdieus Gesellschaftstheorie zu führen ist. Dazu wird zunächst ein kurzer Einblick in die faktischen Chancenungleichheiten im deutschen Bildungswesen gegeben und problematisiert, dass soziologische Studien mehrheitlich zu der Erkenntnis kommen, dass ungeachtet der Expansion des Bildungssystems und der zunehmenden Bildungsbeteiligung unterer sozialer Schichten, die Disparitäten in den herkunftsbezogenen Bildungschancen unverändert bestehen. Während sich das dominierende gesellschaftliche Bewusstsein am Ideal einer egalitären, meritokratischen und chancengleichen Gesellschaft orientiert, ist soziale Ungleichheit de facto nach wie vor ein zentrales Strukturmerkmal westlicher Gesellschaften. Zweitens stellt sich daher die Frage, wie sich das Phänomen Bildung sinnvoll mit soziologischen Kategorien und Begriffssystemen erfassen und beschreiben lässt. Aus theoretischer Perspektive bietet die Soziologie mit Funktionalismus und Konflikttheorie zwei wesentliche Zugänge zum Verständnis des Stellenwerts von Bildung und Erziehung für moderne Gesellschaften. Dabei wendet sich die Konflikttheorie insbesondere gegen die Vorstellung, die vermehrte Bildung resultiert aus technisch-funktionalen Erfordernissen der modernen Gesellschaft. Die Ursachen für die Bildungsexpansion werden vielmehr in den Auseinandersetzungen zwischen Statusgruppen gesehen, welche um den Zugang über knappe Ressourcen wie Reichtum, Macht und Prestige kämpfen. Damit liegt die Konflikttheorie auf einer Linie mit den Arbeiten von Pierre Bourdieu. Bourdieu und Mitarbeiter beschäftigten sich intensiv mit den Mechanismen der Reproduktion sozialer Strukturen und vertraten die These, dass die herrschende Klasse ihre privilegierte 24 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen Stellung mit Hilfe der Bildungssysteme vererbt. Dieser prinzipiellen Einsicht für die Erklärung ungleicher Bildungschancen folgt im dritten Abschnitt deshalb eine Erörterung des methodischen Ansatzes von Pierre Bourdieu und seiner relevanten Bezugspunkte zur Bildungssoziologie. Abschließend werden in einem vierten Teil einige Überlegungen formuliert, weshalb für eine Untersuchung von Promovierenden Bourdieus Theorie sozialer Ungleichheit besonders geeignet scheint, einen erklärenden Beitrag zu leisten. Dazu werden vier Thesen skizziert, welche gleichzeitig die inhaltliche Konzeption des weiteren Verlaufs der Arbeit darstellen. 3.1 Bildungsexpansion und Chancengleichheit Die Veränderungen im Bildungswesen sind einer der fundamentalen Wandlungsprozesse in der jüngeren Geschichte moderner Gesellschaften. Nach dem zweiten Weltkrieg begannen die westlichen Industrienationen in unterschiedlichem Ausmaß ihre Gymnasien für breite Schichten der Bevölkerung zu öffnen und die Eliteuniversitäten transformierten zu überfüllten Massenhochschulen (vgl. Müller, Steinmann & Schneider 1997). Im Folgenden wird in einer kurzen Einführung auf die Expansion der Bildungssysteme, die Entwicklung der Chancengleichheit, sowie das Ausmaß und die Legitimation von sozialer Ungleichheit in Deutschland eingegangen. Die expansive Zunahme der Bildungsbeteiligung an weiterführenden Schulen lässt sich am Schulbesuch von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe ablesen. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Bildungsbeteiligungsquoten von Schülerinnen und Schülern nach Schulart zwischen 1952 und 2001. Zu Beginn der fünfziger Jahre besuchten knapp drei Viertel eines Jahrganges die Volksschule, während lediglich ein Sechstel am Gymnasium lernte. Der Anteil der Hauptschüler reduzierte sich während der vergangenen 50 Jahre auf ein Viertel aller Achtklässler (78% auf 24%), der Anteil der Realschule verdreifachte sich (7% auf 26%) und das Gymnasium weist heute prozentual doppelt so viele Schüler auf (15% auf 31%). Parallel entstanden im vergangenen halben Jahrhundert neue Schulformen wie die Integrierten Gesamtschulen und Freien Waldorfschulen. Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass in Deutschland die Schulform, welche in der 8. Klasse besucht wird, maßgeblich die Übergangswahrscheinlichkeit in die zweite Sekundarstufe 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen 25 beeinflusst. So gelangen heute etwa ein Drittel Jugendliche eines Jahrganges in die gymnasiale Oberstufe (Schwarz & Rehburg 2002: 33). Diese Entwicklung hat zu einer allgemeinen Steigerung des Bildungsniveaus von Schülerinnen und Schülern im Jahr 2001 beitragen. Abbildung 1: Schülerinnen und Schüler im 8. Schuljahr nach Schulart in Deutschland (in %) Quelle: BMBF (2004a: 97) Aufgrund dieser Niveaueffekte (vgl. Allmendinger & Aisenbrey 2002: 45) erwerben zunehmend mehr junge Menschen die allgemeine Hochschulreife und bekommen die Möglichkeit ein Studium aufzunehmen. Die Expansion des deutschen Bildungswesens setzt sich also im Universitätsbereich fort. So stieg die absolute Zahl von Studenten und Studentinnen zwischen 1950 und 2000 - unabhängig der Schülerzahlen - kontinuierlich von knapp 125.000 auf circa 1.8 Millionen (Kultusministerkonferenz 2002: 32). Abbildung 2 zeigt die relative Veränderung der Schüler- und Studentenzahlen zwischen 1950 und 2000. In diesem Zeitraum stieg die Anzahl Studierender um mehr als das Sechzehnfache 26 des 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen Jahres 1950. Ausschlaggebend für diese Steigerung war weniger die Bevölkerungsentwicklung, als vielmehr die Expansion der Bildungssysteme und die gestiegene Bildungsbeteiligung.15 Abbildung 2: Schüler- und Studentenzahlen 1950 bis 2000 (relativ) Quelle: Kultusministerkonferenz (2002: 32). An diese Entwicklung anschließend stellt sich zwangsläufig die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Bildungsexpansion und Chancengleichheit. Höhere Bildung ist in modernen Gesellschaften das konstitutive Element für den Zugang zu privilegierten Berufspositionen und damit das Fundament für die Akkumulation von Einkommen, Einfluss, Prestige und Ansehen. Ein Hauptschulabschluss beispielsweise - so das deutsche Studentenwerk - kann heute „kaum noch als Zugangsvoraussetzung für attraktive, zukunftsträchtige Berufe gelten“ (BMBF 2004:a 98). In einer demokratischen Gesellschaft ist 15 Der leichte Rückgang der Studierendenzahlen zwischen 1993 und 1999 ist vermutlich auf die flächendeckende Einführung von Langzeitstudiengebühren zurückzuführen. Eine Übersicht über die Effekte von Studiengebühren bieten Heublein, Spangenberg & Sommer (2003) und Lang (2005). 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen 27 dieser Verteilungsprozess aber nur (falls überhaupt) legitimierbar, wenn gleiche Chancen bei der Verfolgung der erwünschten hohen Bildungsabschlüsse gewährleistet sind. Wie Stefan Hradil treffend formuliert besteht Chancengleichheit im Bildungswesen aber nur dann, „wenn allen unabhängig von leistungsfremden Merkmalen wie zum Beispiel von Bildung, Prestige und Geld der Eltern, von Geschlecht, Wohnort, Beziehungen, Religion, Hautfarbe, politischer Einstellung, persönlicher Bekanntschaft oder Familienzugehörigkeit die gleiche Chance zur Leistungsentfaltung und Leistungsbestätigung eingeräumt wird“ (Hradil 1999: 149). Die Ungleichheit der Bildungsbeteiligung verschiedener sozialer Schichten ist in der jüngeren Vergangenheit wieder zu einem kontrovers diskutierten Thema geworden.16 Soziologische Untersuchungen, die seit Anfang der 1990er Jahre die Entwicklung des Bildungssektors analysieren, kommen mehrheitlich zu der Erkenntnis, dass „ungeachtet der extensiven Erweiterung des Bildungssystems und zunehmender Bildungsbeteiligung auch unterer sozialer Schichten, die Disparitäten in den herkunftsbezogenen Bildungschancen unverändert fortbestehen“ (BMBF 2004a: 92; vgl. auch Köhler 1992; Blossfeld 1993; Müller & Haun 1994; Henz & Maas 1995; Schimpl-Neimanns 2000; Allmendinger 2003, BMBF 2005a; zusammenfassend Krais 1994 oder Allmendinger & Aisenbrey 2002). Vor einer Überschätzung der häufig antizipierten gesellschaftsverändernden Wirkung der sozialen Öffnung weiterführender Schulen und Hochschulen wurde allerdings bereits Anfang der siebziger Jahre gewarnt. So stellt zum Beispiel Jencks fest, dass der egalitäre Trend in der Bildungsbeteiligung die Einkommens- und Statusverteilung über Jahrzehnte hinweg nicht nennenswert angeglichen hat (Jencks 1973). Auch Bourdieu und Passeron thematisierten in ihren Analysen des französischen Hochschulsystems die Bedeutung des Bildungssystems für die Reproduktion der Klassenstruktur und die Legitimation sozialer Ungleichheit, und schätzten die Möglichkeiten gesellschaftlicher Erneuerungen durch Veränderungen im Bildungssystem eher skeptisch ein (Bourdieu & Passeron 1971). Zudem konnten Müller und Mayer zeigen, dass ein besonders starker Zusammenhang zwischen dem Schulerfolg und der familiären Herkunft besteht, weshalb dem Bildungssystem per se nur eine geringe egalisierende Wirkung zugeschrieben werden kann (Müller & Mayer 1976). 16 Chancengleichheit war Anfang der sechziger Jahre wohl eines der am häufigsten bearbeiteten Themen der Bildungsforschung und eine ausdrückliche Forderungen an die Politik (vgl. exemplarisch Picht 1964 und Dahrendorf 1965). Ende der neunziger Jahre rückte die Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssystems abrupt wieder in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion. Ursache war das schlechte Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler bei der Dritten Internationalen Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie (TIMSS; Baumert et al. 1997), dem Programme for International Student Assessment (PISA; Baumert et al. 2001) und der internationalen Lese-Kompetenz-Studie (IGLU; Bos et al. 2004). Die Symptome, die anhand der Befunde von TIMSS, PISA und IGLO beschrieben werden, sind zum Teil bereits vor 40 Jahren von Georg Picht und Ralf Dahrendorf erkannt und kritisiert worden. 28 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen Erkenntnisse, die auch heute noch ihre Gültigkeit besitzen. So hat das Deutsche Studentenwerk in seinen Sozialerhebungen wiederholt auf den engen Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Eltern bzw. deren beruflichen Status und dem Besuch weiterführender Schulen hingewiesen (vgl. exemplarisch BMBF 2004b: Kapitel 3). Wie zum Beispiel die jüngste Schülerstudie IGLU aufgezeigt hat, entspricht etwa jede zweite Schullaufbahnempfehlung nicht dem tatsächlichen Leistungsvermögen der Beurteilten. Die Ursache hierfür liegt unter anderem in der Problematik begründet, dass der soziale Hintergrund von Lehrerinnen und Lehrern – bewusst oder unbewusst – mitgedacht wird und in die Bewertung eingeht. Tendenziell werden dabei Kinder „besserer“ Herkunft bevorzugt. Trotz übereinstimmender Resultate im Leistungstest haben Kindern aus oberen Schichten eine Zweieinhalbfach so hohe Chance eine gymnasiale Empfehlung zu bekommen wie Kinder aus unteren Schichten (vgl. Bos et al. 2004: 27-29). Dabei gehen die größten Selektionswirkungen von den ersten beiden Bildungsschwellen aus.17 Die zu frühen Lebenszeitpunkten getroffenen Entscheidungen sind nur schwer zu korrigieren, weil die rechtlich zwar mögliche Durchlässigkeit zwischen Schultypen in der Realität kaum gegeben ist. Korrekturen einmal getroffener Bildungsentscheidungen sind häufig nur auf Umwegen realisierbar und mit erheblichen Zeitverlusten verbunden (vgl. BMBF 2004a: 94f.). Empirische Untersuchungen zeigen, dass sich diese soziale Selektivität auch noch beim Übergang von der gymnasialen Oberstufe auf die Universität manifestiert. Betrachtet man den Bildungsprozess als eine Sequenz von Bildungsübergängen (vgl. Mare 1980), so zeigt sich, dass von 100 Arbeiterkindern lediglich 28 Kinder die Schwelle in die gymnasiale Oberstufe schaffen und nur sechs Kinder an eine Universität gelangen (Abbildung 3). Im Vergleich dazu gelingt 73 Beamtenkinder die Aufnahme in die gymnasiale Oberstufe und 49 der Schritt an die Universität. Es bleibt festzuhalten, dass sich trotz der Bildungsexpansion die relativen Chancen von Arbeiterkindern, ein Studium aufzunehmen, im Zeitverlauf nicht wesentlich verbessert haben. Weiterhin determiniert die soziale Herkunft die Bildungschancen (vgl. Köhler 1992; Bürklin & Rebenstorf 1997; BMBF 2004a). 17 Analog zur Struktur des Bildungssystems sind fünf Schwellen auf dem Weg zur Promotion zu überwinden, die sicherstellen sollen, dass die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg nach individueller Eignung, Leistung und Fähigkeit erfolgt. Eine erste Schwelle ist der Übergang von der Grundschule in eine weiterführende Schule (Gymnasium, Gesamt-, Real- oder Hauptschule). Als zweite Bildungsbarriere wirkt der Übergang von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II, als dritte der erfolgreiche Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung, als vierte die tatsächliche Realisierung der Studienberechtigung und als fünfte das erfolgreiche Bestehen der Abschlussprüfung und die Aufnahme einer Promotion. 29 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen Abbildung 3: Der Bildungstrichter: Eine schematische Darstellung sozialer Selektion Quelle: Allmendinger (2003: 83). Die fundamentalen Veränderungen im deutschen Bildungswesen, und speziell im Hochschulwesen, werfen die Frage auf, inwieweit auch die Promotion von diesen Änderungen betroffen ist. Konnte der höchste deutsche Bildungstitel18 seine herausragende traditionelle Position im Bildungssystem bewahren, oder ist die Promotion gleichfalls in den Sog der allgemeinen Ausweitung und damit Abwertung von Bildungstiteln geraten? Weil die quantitative Entwicklung der Promovierendenzahlen von zentraler Bedeutung für meine Untersuchung ist, wurde an dieser Stelle zunächst lediglich die Expansion der vorgelagerten Bildungssysteme thematisiert und auf die sozial ungleiche Bildungsbeteiligung in Schule, gymnasialer Oberstufe und Studium hingewiesen. Die Daten zur Promotionsentwicklung werden später nachgereicht und ausführlich diskutiert (vgl. Kapitel 4). 3.2 Soziologische Kategorien und Begriffssysteme von Bildung Das soziale Feld Bildung wirkt auf den ersten Blick recht paradox: Während sich das dominierende gesellschaftliche Bewusstsein am Bild einer egalitären, hochgradig individualisierten und professionalisierten Gesellschaft orientiert, ist ungleiche Beteiligung 18 Die Habilitation als einziger höherwertiger Abschluss ist im außeruniversitären Bereich nur für die Medizin von Bedeutung. 30 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen sozialer Schichten faktisch nach wie vor ein zentrales Strukturmerkmal moderner Bildungsinstitutionen. Generell stellt sich daher die Frage, wie sich das Phänomen Bildung sinnvoll mit soziologischen Kategorien und Begriffssystemen erfassen und beschreiben lässt. Leisten Bildungssysteme einen funktionalen Beitrag zur Modernisierung der Gesellschaft, indem sie Menschen zu sozialen, gesellschaftlich handlungsfähigen Persönlichkeiten sozialisieren oder stellen sie viel mehr ein subtiles Instrument zur Reproduktion bestehender Machtverhältnisse zwischen konkurrierenden Klassenformationen dar? Weiter stellt sich die Frage wie der Prozess der Bildungsexpansion zu erklären ist. Kann die Ausweitung der Bildungssysteme als Folge eines inflationären Bildungswettbewerbs gesehen werden, in dem die eigene Bildung erhöht werden muss, um auf dem Arbeitsmarkt keine nachhaltigen Wettbewerbsnachteile zu haben oder ist ein Ansteigen des formellen Bildungsniveaus die natürliche Folge zunehmend differenzierter und modernisierter Wirtschafts- und Sozialordnungen. Derzeit wird häufig die These vertreten, dass Länder mit breit angelegten Bildungs- und Ausbildungssystemen und einem hohen durchschnittlichen Bildungsstand der Bevölkerung international erfolgreiche und kompetitive Länder sind. Eine solche Sichtweise basiert auf der Vorstellung von Bildung als beliebig vermehrbare Produktionsressource, d.h. Wissen und Qualifikation werden als gesamtgesellschaftliches Humankapital verortet. Nur durch Investitionen in den Ausbau der höheren Bildung könne das wirtschaftliche Wachstum gesichert werden (vgl. Allmendinger & Aisenbrey 2002: 43). Eine Betrachtungsweise, die führende Bildungsforscher bereits Anfang der 60er Jahre diskutierten (vgl. OECD 1967). So warnte Georg Picht (1964) vor einer möglichen „deutschen Bildungskatastrophe“. Bildungsnotstand sei wirtschaftlicher Notstand, urteilte er und vertrat die These, dass Deutschland aufgrund mangelnder Bildung in der internationalen Konkurrenz zurückfallen könnte. Ein Argument, dass auch heute noch - insbesondere im Bezug auf mögliche Auswirkungen der Globalisierung - den bildungspolitischen Diskurs bestimmt.19 Ergänzend wies Ralf Dahrendorf (1965) auf die ausgeprägte Ungleichheit der Bildungschancen und dem daraus resultierenden Modernitätsrückstand der Bundesrepublik Deutschland hin. Seiner Meinung nach muss Bildung als Bürgerrecht, d.h. als soziales 19 Erst kürzlich veröffentlichte das Institut der deutschen Wirtschaft sein neustes Gutachten „Bildungsarmut und Humankapitalschwäche in Deutschland“ (Anger, Plünneke, Seyda & Werner 2006). Demnach sieht die deutsche Wirtschaft ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit durch zunehmenden Fachkräftemangel und Bildungsarmut bei den Jugendlichen bedroht. Treffend auch folgendes Zitat von Doris Pack, Mitglied des Europäischen Parlaments: „Hochschulpolitik ist in rohstoffarmen Gegenden, wie unserem Kontinent die zentrale Zukunftsinvestition, denn hochwertige Forschung und Innovation bedeuten Existenzsicherung für unseren Wohlstand in Europa“ (DAAD 2004: 8). 31 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen Grundrecht, begriffen werden, welches mit Hilfe der Bildungsexpansion verwirklicht werden kann und damit einen Beitrag zur Modernisierung der Gesellschaft leisten kann (Dahrendorf 1965). Im Folgenden werden einige zentrale ökonomische und soziologische Überlegungen zur Funktion und Expansion moderne Bildungssysteme – welche für die weitere Überlegung von Interesse sind - dargestellt und diskutiert. Die klassischen ökonomischen Erklärungsansätze für die Verbreitung der Schul- und Hochschulbildung fassen Bildung entweder als Konsum- oder Investitionsentscheidung auf. Die Konsumthese begreift Bildung nicht nur als Produktionsfaktor, sondern Bildung gehört selbst zu den Konsumgütern, welche der individuellen Bedürfnisbefriedigung dienen. Zum günstigen Zustand einer Gesellschaft gehört ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen materiellem Reichtum und kultureller Entwicklung. Ein steigendes Realeinkommen führt (nach Sättigung der materiellen Lebensnotwendigkeiten) neben anderen Verschiebungen im Konsumverhalten zu einer zunehmenden Nachfrage nach Bildung und mündet in eine Bildungsexpansion (OECD 1966: 27). Auf gleicher analytischer Ebene, doch mit dezidiert anderer Stoßrichtung, argumentiert die Humankapitaltheorie. Bedingt durch die Tatsache, dass Lohnarbeit zur Existenzgrundlage für die Mehrheit der Bevölkerung geworden ist, rückt Bildung in eine funktionale Beziehung zur Herstellung und produktiven Nutzung von Arbeitskraft. Bildung wird nicht um ihrer selbst willen nachgefragt, sondern als eine Investition verstanden, die mit Erträgen verbunden ist. Die Erträge ergeben sich in Form höherer Arbeitsproduktivität und (daraus resultierend) höherer Löhne. wirtschaftlichen Aufgrund veränderter Produktionsprozessen technologischer nehmen Rahmenbedingungen die Bedeutung in von „Arbeitseinsatzflexibilisierung“ und der Aufbau von höher und breiter qualifizierten „Belegschaftssegmenten“ kontinuierlich zu (vgl. Schultz 1961, Becker 1964). Aus makrotheoretischer Perspektive der Humankapitaltheorie generieren Investitionen in Humankapital positives Wirtschaftswachstum, weil sie die technologische Überlegenheit einer Gesellschaft sichern. Investitionen in Bildung erscheinen als entscheidender Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsposition eines Landes in der ökonomischen Konkurrenz der Nationen. Die Expansion und zunehmende Differenzierung des Bildungssystems sind, bedingt durch technologischen Wandel im Produktionssystem, unausweichliche Folgen einer gestiegenen Nachfrage nach hoch qualifizierten „Experten“ (Clark 1962). 32 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen Ein wichtiges Ziel der in den sechziger Jahren verstärkten Bemühungen um eine Reform des Bildungswesen war die Reduktion und Beseitigung regionaler, geschlechtsspezifischer und sozialer Ungleichheiten in der Beteiligung an höherer Bildung. Die Forderung nach Ausschöpfung von Begabungsreserven war die ökonomische Argumentation, während die Proklamation des Rechts auf Bildung die gesellschaftspolitische Variante der Rechtfertigung einer expansiven Strategie darstellte. Während die regionalen und geschlechtsspezifischen Unterschiede heute weitestgehend verschwunden sind, bestehen weiter signifikante Barrieren beim Zugang zu höherer Bildung bildungsferner Schichten.20 Aus theoretischer Perspektive bietet die Soziologie mit Funktionalismus und Konflikttheorie zwei wesentliche Zugänge zum Verständnis des Stellenwerts von Bildung und Erziehung für moderne Gesellschaften.21 Funktionalismus bezeichnet in der Bildungssoziologie üblicherweise jenen Argumentationsstrang, der Bildung in Beziehung zu wirtschaftlichem Wachstum setzt. Ergebnisungleichheiten und Belohnungsdifferenzen werden in westlichen Gesellschaften als ein allgemeines Funktionserfordernis gesellschaftlicher Arbeitsteilung und persönlicher Identität definiert. In modernen Industriegesellschaften ist damit vor allem der Sachverhalt zwischen Bildung zur Erwerbsarbeit gemeint - es wird also das Verhältnis von Bildung und Beschäftigung thematisiert und nach den soziologischen Schlüsselbegriffen Qualifikation, Beruf und Profession gefragt. Die funktionalistische Schichtungstheorie von Davis und Moore beispielsweise argumentiert, dass Gesellschaften letztlich jene Personen am höchsten belohnen, die besonders wichtige Funktionen wahrnehmen und spezielle Talente haben. In allen Gesellschaften gibt es funktional differenzierte Positionen unterschiedlicher gesellschaftlicher Wertigkeit, welche spezielle Begabungen und entsprechende Fertigkeiten erfordern. Aufgabe und Ziel des Bildungssystems ist die Vermittlung dieser Fähigkeiten. Gleichermaßen sind den begabten Personen Anreize zu setzten, sich den (materiellen) Anstrengungen zu unterziehen und die qualifizierende Ausbildung zu absolvieren. Begabte Persönlichkeiten, welche die lange Ausbildungsphase durchlaufen haben, werden für ihre Investitionen mit Positionen belohnt, die einen entsprechenden hohen Status, ein hohes Einkommen und ein hohes Prestige sichern (Davis & Moore 1945). Wie auch die Humankapitaltheorie betont die funktionalistische 20 Geschlechtsspezifische, ethnische und regionale Ungleichheiten im Zugang zu höherer Bildung werden in dieser Untersuchung nicht thematisiert. Einen guten Überblick hierfür bieten Müller, Steinmann & Schneider (1997: 212ff.). 21 Natürlich ist diese Dichotomisierung keineswegs absolut, vergleiche Karabel & Halsey (1977), Krais (1994) oder Allmendinger & Aisenbrey (2002). 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen 33 Schichtungstheorie die gesellschaftliche effiziente Nutzung von menschlichen Ressourcen.22 Damit stellt der Funktionalismus gewissermaßen eine Rechtfertigungstheorie von sozialer Ungleichheit dar, indem Begabung, Schule und Erwerbstätigkeit miteinander verknüpft werden. Die Konflikttheorie (vgl. für einen neueren Überblick Arrow, Bowles & Durlauf 2000) hingegen fokussiert die Frage nach Bildung und sozialer Ungleichheit. Genetische Intelligenz und meritokratische Elemente besitzen keine Gültigkeit, die schulische Vermittlung von Fertigkeiten spielt eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht die Frage nach den Mechanismen der Reproduktion sozialer Strukturen durch Bildung. Auch wenn sich die soziologische Bildungsforschung bislang nur am Rande mit dem Zusammenspiel zwischen sozialer Herkunft, Intelligenz und Bildung beschäftigt hat, ist es weitgehender Konsens, dass IQ-Unterschiede zwischen einzelnen Schichten die Unterschiede im Zugang zu Bildung zwischen diesen Schichten nicht erklären können (vgl. Flynn 2000). Aufgrund dieser Beobachtungen muss die Meritokratiethese der funktionalistischen Theorietradition zurückgewiesen werden. Stattdessen lassen sich die zahlreichen empirischen Hinweise zu konflikttheoretischen Annahmen verdichten. Dabei wendet sich die Konflikttheorie insbesondere gegen die Vorstellung, die vermehrte Bildung resultiert aus technisch-funktionalen Erfordernissen der modernen Gesellschaft. Die Ursachen für die Bildungsexpansion werden vielmehr in den Auseinandersetzungen zwischen Statusgruppen gesehen, welche um den Zugang über knappe Ressourcen wie Reichtum, Macht und Prestige kämpfen. Aufgrund der Expansion des staatlichen Bildungswesen und der damit verbundenen sozialen Öffnung von Bildung und Ausbildung, kann die Weitergabe des familiären Status nicht mehr über Vererbung erfolgen, sondern muss über das Bildungssystem transportiert werden. Klassenzugehörigkeiten werden nicht mehr per Geburt zugeschrieben sonder müssen mühsam erworben werden. Aus konflikttheoretischer Perspektive lässt sich das Bildungssystem von der herrschenden Klasse vereinnahmen, reproduziert soziale Ungleichheit und legitimiert diese durch die Illusion einer egalitären Chancengleichheit. Damit liegen Konflikttheorie und Sozialisationstheorie auf einer Linie mit den Arbeiten von Pierre Bourdieu. Bourdieu und Mitarbeiter beschäftigten sich intensiv mit den Mechanismen 22 Es sei am Rande erwähnt, dass der Begriff „Humankapital“ zum Unwort des Jahres 2004 gewählt wurde. Zu Recht beklagte die Jury eine „Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse“ und fand es verwerflich „Menschen nur noch unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten zu betrachten“. 34 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen der Reproduktion sozialer Strukturen und vertraten die These, dass die herrschenden Klassen, welche in der Vormoderne ihre Macht durch die Standesordnung gesichert sahen, in der Moderne ihre privilegierte Stellung mit Hilfe des Bildungssystem vererben (vgl. Bourdieu, Boltanski, de Saint Martin & Maldidier 1981). Laut Bourdieu „bestimmen die objektiv gegebenen Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die die Klassenlage ausmachen, indem sie Informationen, Verhaltensweisen, Wünsche und Zeithorizonte eröffnen und begrenzen, auch die Bildungsaspirationen und andere zum Zwecke individuellen Aufstiegs getätigte Investitionen mit dem Ergebnis, dass sie diese Menschen nahezu unausweichlich an den ihrer Klasse vorgegebenen sozialen Ort zurückführen“ (Krais 1981: 14). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die angeführten funktionalistischen und konflikttheoretischen Erklärungsversuche der Bildungsentwicklung ihre Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Aspekte richten. Der allgemein angenommene Trend zur postindustriellen Gesellschaft (Bell 1979), zur hoch qualifizierten Gesellschaft (Teichler 1991) oder zur Wissensgesellschaft (Stehr 1994) resultiert in einer zunehmenden Bedeutung von wissenschaftsbezogenen Expertenwissen für die gesellschaftliche Entwicklung. Es überrascht wenig, dass eine solche funktionalistische Sichtweise die öffentliche Wahrnehmung dominiert. Trotz klarer empirischer Evidenz über die Exklusivität von Bildungstiteln spielt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen (Hochschul-)Bildung und sozialer Herkunft in der öffentlichen und politischen Debatte eine untergeordnete Rolle. In der Bildungssoziologie hingegen gehört die Frage nach dem Zusammenhang von Bildung und sozialer Ungleichheit zum Kernbestand ihres Forschungsprogramms. Erst kürzlich konnten Bargel, Ramm & Multrus zeigen, dass noch immer eine tiefe „Kluft“ im Hochschulzugang nach sozialer Herkunft besteht. An Universitäten und Fachhochschulen ist vor allem der Anteil Studierender gestiegen, von denen ein Elternteil ein Universitätsstudium absolviert hat. Die „akademische Reproduktion“ hat - entgegen manchen Erwartungen und politischen Zielen - weiter zugenommen. Hatten an den Universitäten Mitte der achtziger Jahre 25% der Studierenden Eltern mit akademischem Studienabschluss, sind es 2001 nahezu die Hälfte. Dieser Trend ist nur zum Teil auf die steigende formale Qualifikation der Eltern zurückzuführen, von denen immer mehr studiert haben. Vielmehr bedeutet diese Zunahme eine Zunahme der Reproduktion nach sozialer Herkunft: Die so genannte Bildungsvererbung hat weiter zugenommen (vgl. Bargel, Ramm & Multrus 2005). 35 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen 3.3 Der methodische Ansatz von Pierre Bourdieu und seine Bezugspunkte zur Bildung Das Konzept der herrschenden Klasse, welches auf den marxistischen Klassenbegriff zurückgeht, steht bis heute im Zentrum der soziologischen Auseinandersetzung um die Sozialstruktur der modernen Gesellschaft. Von Bildungsforschern werden – wie zuvor gezeigt – immer wieder kritische Erkenntnisse dargelegt, die der Idee formal gleicher Bildungschancen widersprechen. Akzeptiert man aber die Vorstellung sozialer Ungleichheit als strukturierendes Element der Gesellschaft und des Bildungswesen, so gilt es sozialwissenschaftliche Untersuchungen an einem Forschungsprogramm abzuarbeiten, welches diesen Tatsachen gerecht wird und geeignet scheint, einen erklärenden und weiterführenden Beitrag zu kritischen Überlegungen über unsere Gesellschaft zu leisten. Bourdieus zentraler Forschungsgegenstand23 sind die Reproduktionsstrategien der verschiedenen Klassen und Klassenfraktionen, d.h. „ein Gesamtkomplex phänomenologisch höchst unterschiedlicher Praktiken, mit deren Hilfe die Individuen und Familien unbewusst wie bewusst ihren Besitzstand zu erhalten oder zu mehren und parallel dazu ihre Stellung innerhalb der Struktur der Klassenverhältnisse zu wahren oder zu verbessern suchen“ (Bourdieu 1982: 210). Zwar resultieren die divergierenden Ungleichheitsdimensionen nicht in einem Klassenbewusstsein oder gar in einer politischen Selbstorganisation, wirken aber trotzdem strukturierend. Gerade weil die „sozialen Klassen“ als konstituierendes Merkmal moderner Gesellschaften zunehmend aus dem öffentlichen Bewusstsein und sozialwissenschaftlichen Beschreibungen verschwinden (vgl. Eder 2001: 27), betont Bourdieu die Notwendigkeit die objektiven Klassenstrukturen aufzudecken. Zur Beschreibung der sozialen Lage von Individuen und Klassen verwendet Bourdieu den Begriff des Kapitals. Er spricht von Klassen im objektiven Sinne, wenn Menschen über eine ähnliche Quantität und Anordnung der Kapitalausstattung im sozialen Raum verfügen und deswegen ähnliche Habitusformen und Lebensstile aufweisen. Der Analyse der Feinen Unterschiede liegt eine Betrachtung objektiver Strukturen des sozialen Raumes zugrunde, der sich nicht auf ökonomische Unterschiede beschränkt. Zum ökonomischen Kapital treten bei Bourdieu ergänzend das kulturelle (oder Bildungskapital) sowie das soziale Kapital, womit er die persönlichen Beziehungen und sozialen Kontakte beschreibt, über die eine Person verfügt 23 Für Informationen über das bildungs- und praxistheoretische Lebenswerk Pierre Bourdieus vgl. Egger, Pfeuffer & Schultheis (1996). 36 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen (Bourdieu 1982).24 Damit gelingt es Bourdieu die Relevanz sozialer, kultureller und ökonomischer Faktoren gleichzeitig zu berücksichtigen, jedoch immer unter der Annahme, dass sich die Klassenlage primär auf die Stellung im Erwerbsprozess zurückführen lässt und unter der Perspektive der wechselseitigen Transformation. „Die zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebene Verteilungsstruktur verschiedener Arten und Unterarten von Kapital entspricht der immanenten Struktur der gesellschaftlichen Welt, d.h. der Gesamtheit der ihr innewohnenden Zwänge, durch die das dauerhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestimmt und über die Erfolgschancen der Praxis entschieden wird“ (Bourdieu 1983: 183). Die relative Autonomie der Bildungssysteme macht es möglich, dass soziale Privilegien in Bildungserfolg umgewandelt werden. Indem das Bildungssystem seine eigene akademische Werthierarchie als einzig legitime durchsetzt, transformiert es die Gewalt der sozialen Kräfteverhältnisse in symbolische Gewalt. Denn innerhalb des Bildungssystems vollzieht sich die Reproduktion der Sozialordnung über die traditionelle Pädagogik, die einen bestimmten Klassenhabitus - d.h. Dispositionssysteme, welche durch bestimmte Typen sozialer und ökonomischer Verhältnisse verinnerlicht werden - voraussetzt.25 Der Habitus kommt in Lebensstilen, Handlungen und Denkweisen zum Ausdruck, die zu Routinen verfestigt sind: Erwerb und Reproduktion erfolgen größtenteils unbewusst. Die Lehre an Universitäten richtet sich nur an jene, die implizit die Voraussetzungen für die Rezeption der angebotenen Bildungsgüter besitzen, welche sie bereits im Familienmilieu erworben haben. Die traditionelle Pädagogik stellt dabei ein wirksames Instrument zur Reproduktion der privilegierten Klassenformation dar, weil die Angehörigen dieser Klasse den Code zur Entschlüsslung der vermittelten Kulturgüter bereits durch die familiäre Sozialisation besitzen. Zwar hat die Fachkulturforschung darauf hingewiesen, dass auch Sozialisationsprozesse an der Hochschule einen gemeinsamen Fachhabitus ausbilden (vgl. Frank 1990; Engler 1994), trotzdem unterstelle ich, dass sich die Studierenden und Promovierenden ihr Studium je nach „mitgebrachtem“ Herkunftshabitus unterschiedlich aneignen, dass sie also über habitusspezifische Zugänge zu Bildung verfügen. Meine Aufmerksamkeit gilt damit weniger einem kurzfristig angeeigneten Fachhabitus, als vielmehr dem langfristig erworbenen Klassenhabitus nach Bourdieu (Bourdieu 1982: 174f.), welcher sich in der Wahl für 24 Bourdieu argumentiert, dass das Kapital in drei Grundsorten (mit jeweils diversen Untersorten) auftritt, nämlich als ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital (Bourdieu 1983). Grundsätzlich sind aber beliebig viele symbolische Kapitalsorten denkbar, wie z.B. Schulkapital, Kapital an wissenschaftlicher Macht, Kapital an wissenschaftlichem Prestige, Kapital an intellektueller Prominenz etc. 25 Zum Begriff des Habitus vgl. Bourdieu (1970) und Krais & Gebauer (2002). 37 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen unterschiedliche Studiengänge manifestiert (Bourdieu & Passeron 1971). Indem ich die Bedeutung des Habitus für die Promotionsentscheidung betone, grenze ich diese Arbeit zugleich von Perspektiven ab, die Erfolg oder Misserfolg im Studium entweder vorrangig auf die finanzielle Situation der Eltern zurückführen, oder individuellen Begabungen zuschreiben.26 Wesentlich ist hingegen, inwieweit der Habitus und die im Feld der Hochschule herrschenden Anforderungen und Spielregeln aufeinander abgestimmt sind und zusammenwirken. Es genügt nicht, über ökonomisches Kapital zu verfügen um im Hochschulalltag zu bestehen. Um die Konzeption meiner Untersuchung theoretisch darzulegen, ist genauer auf Bourdieus Unterscheidungen der Kapitalsorten einzugehen. Unter den Begriff des ökonomischen Kapitals zählt Bourdieu sämtliche Formen des materiellen Reichtums. Um das ökonomische Kapital von Promovierenden näher zu bestimmen, wurden die Doktorandinnen und Doktoranden nach dem Netto-Monatseinkommen der Eltern, der Finanzierung von Studium und Promotion sowie dem beruflichen Status der Eltern befragt. Das soziale Kapital beschreibt die relevanten persönlichen Kontakte über die eine Person verfügt. Der Zugang zur Promotion wird im wissenschaftlichen Feld in der Regel von Professoren reguliert. Insofern symbolisiert in diesem Fall der persönliche Kontakt zu Professoren ein hohes soziales Kapital. Bisher liegen - meines Wissens nach - keine Untersuchungen über die sozialen Beziehungen zwischen Professoren und Promovierenden vor Beginn der Promotion vor. Um erste Aussagen über das soziale Kapital von Promovierenden treffen zu können, wurden die Doktorandinnen und Doktoranden befragt, ob bereits vor der Promotion persönliche Kontakte zu ihrem Doktorvater bestanden und wie dieser Kontakt zustande gekommen ist. Soziales Kapital muss bekanntlich mühsam und zeitintensiv erworben werden und die Akkumulation ist in hohem Maße abhängig vom zugrunde liegenden Habitus. Die Untersuchung wird zeigen, dass gerade im wissenschaftlichen Feld soziales Kapital eine entscheidende Rolle spielt. Das kulturelle Kapital hingegen folgt einer kulturellen Eigenlogik. Bourdieu unterscheidet drei Zustände kulturellen Kapitals. Das kulturelle Kapital in objektiviertem Zustand bezeichnet den Besitz von Büchern, Gemälden, Kunstwerken, Maschinen oder technischen Instrumenten, wobei alle erwähnten Objekte auch einen ökonomischen Gegenwert besitzen. Inkorporiertes kulturelles Kapital umschreibt „sämtliche kulturellen Fähigkeiten, Fertigkeiten 26 Kritische Anmerkungen zur „Vererbung von Intelligenz“ finden sich bei Flynn (2000) und Feldmann, Otto & Christiansen (2000). 38 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen und Wissensformen, die man durch Bildung – freilich in einem sehr allgemeinen, nicht nur im schulisch-akdademischen Sinne – erwerben kann“ (Schwingel 2003: 89). Diese Form kulturellen Kapitals muss sich jeder Aspirant über individuelle Bildungsarbeit selbstständig aneignen und ist dementsprechend personengebunden. Inkorporiertes kulturelles Kapital stellt also einen Bestandteil der habituellen Dispositionen einer Person dar. Der dritte, für meine Untersuchung maßgebliche Zustand, tritt bei Bourdieu als kulturelles Kapital in institutionalisiertem Zustand auf - in Form von Bildungstiteln. In Bourdieus Terminologie besteht die Wirkung des Schul- und Hochschulsystems in der Produktion von Unterschieden: Unterschiede zwischen jenen, die über einen Titel verfügen und jenen, die keinen besitzen; jenen, die mit einem seltenen, d.h. wertvollen Bildungspatent ausgestattet sind, und jenen die nur minderwertige erreichen. Deswegen sind Bildungszertifikate, wie z.B. Abitur, Diplom, Promotion oder Habilitation als Besitztitel auf kulturelles Kapital zu interpretieren. Bourdieu und seine Mitarbeiter interessieren dabei die mit diesen Bildungstiteln verbundenen Zugangschancen zu unterschiedlichen sozialen Positionen und Lebensformen. Bourdieu betont: „Es ist von daher nur zwingend, sich zunächst dem sicherlich bestverborgenen Effekt der Institution Schule zuzuwenden, der bei näherem Augenschein als Folge der Durchsetzung von Titeln, d.h. von Schulabschlüssen und Bildungspatenten, erkennbar wird, als Spezialfall des Effekts der Statuszuweisung, den – positiv als Auszeichnung, negativ als Stigmatisierung – jede Gruppe durch Zuweisung der Individuen zu hierarchisch gestaffelten Klassen erzeugt“ (Bourdieu 1982: 48; Hervorhebungen im Original). Durch die Vergabe von hochwertigen Bildungstiteln wird die entsprechende Person zu einem Mitglied des „Bildungsadels“ und verfügt über legitimiertes kulturelles Kapital. Um Informationen über das kulturelle Kapital der Promovierenden zu gewinnen, wurde die Bildungsherkunft der Eltern herangezogen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die familiäre Frühsozialisation einen entscheidenden Einfluss auf die Aneignung des kulturellen Kapitals hat. Nach Bourdieu ist davon auszugehen, dass die entscheidende erste habituelle Prägung einer Person sichtbare Spuren, wie z.B. eine bestimmte sprachliche Ausdruckweise, hinterlässt. Wie bereits angedeutet, richten Bourdieu und seine Mitarbeiter ein Hauptaugenmerk auf die Strategien der verschiedenen Klassenfraktionen im Umgang mit Bildung, der klassenspezifischen Nutzung von Bildungsinstitutionen und auf das Verhältnis von 39 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen Bildungsstrategien zu den üblichen Reproduktionsstrategien (Bourdieu, Boltanski, de Saint Martin & Maldidier 1981). Sie vertreten die Ansicht, dass in modernen Gesellschaften durch wirtschaftlichen Strukturwandel und der Expansion der Bildungssysteme, Bildungsstrategien als Mittel der Reproduktion sozialer Positionen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dabei offenbaren sich zwei zentrale Funktionen moderner Bildungssysteme: Zum einen die Reproduktionsfunktion, d.h. die Aufrechterhaltung der sozialen Klassenverhältnisse. Durch „Vererbung“ von Bildungsprivilegien - also durch den Ausschluss bestimmter sozialer Schichten vom tertiären Bildungssektor - reguliert das Bildungssystem den Zugang zu sozialen Privilegien (Status, Macht, Einfluss, Einkommen) und sorgt für die Reproduktion der bestehenden Sozialordnung. Zum anderen die Legitimationsfunktion. Der „neue“ Reproduktionsmechanismus beinhaltet für die herrschende Klasse den Vorteil, dass er aufgrund seiner nur statistischen Wirksamkeit zur Verschleierung der realen Machtmechanismen beiträgt. Da das Bildungssystem prinzipiell jedem Schüler die gleichen Chancen einräumt und es eine Vielzahl von Personen gibt, die ohne die „richtige“ Herkunft eine erfolgreiche Karriere aufweisen können, ist die Selektivität der Reproduktion der herrschenden Klasse oberflächlich nicht zu erkennen. Das Bildungssystem produziert also Ideologien, z.B. Begabungs- und Chancengleichheitsideologien, die dafür sorgen, dass die Reproduktion der sozialen Ordnung durch das Bildungssystem verhüllt bleibt. Trotzdem schränkt der Weg über die exklusiven Bildungsinstitutionen die Macht der herrschenden Schicht ein. Während die Familie bei der traditionellen Vererbung von Reichtum, Status und Macht die Entscheidungen vollständig selbst kontrollieren konnte, muss sie sich jetzt den Regeln des Bildungswesens als autonomes Feld unterwerfen. Die Bildungsinstitutionen können ihren Beitrag zur Reproduktion nur leisten, wenn sie ihren eigenen Regeln folgen und auch einzelne Mitglieder der herrschenden Klasse aufgrund mangelnder Schulleistung „opfern“, die ein vollständig von der Familie kontrollierter Reproduktionsmechanismus „verschonen“ würde (Bourdieu 1982). Schmeiser, der soziale Abstiegsprozesse von Akademikerfamilien untersucht hat, spricht in diesem Zusammenhang gar von einem „Reproduktionsdilemma“ (vgl. Schmeiser 2003). Statistisch gesehen bleibt der Effekt aber gleich, d.h. die Reproduktion der herrschenden Klasse wird ebenso gesichert wie durch einen direkten Machttransfer. Bourdieu hat herausgearbeitet, dass die Ausweitung des Bildungswesens, und die damit stark gestiegenen Zugangschancen für die Kinder ehemals ausgeschlossener Bevölkerungsgruppen, 40 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen nur zu einer scheinbaren Chancengleichheit geführt haben. Denn in dem Maße, wie diese Gruppen sich in ihren Reproduktionsstrategien auf die neue Situation eingestellt haben und sich die Zahl der Schul- und Hochschulabgänger vervielfachte, sank der Wert der vergebenen Titel und Diplome: „[Es] kann der Schluss gezogen werden, dass ein Abschluss immer dann eine Abwertung erfahren haben dürfte, wenn das zahlenmäßige Anwachsen der Stellen, zu denen die Abschlüsse anfangs der Periode hinführten, nicht mit dem Ausstoß an Schul- und Hochschulabsolventen Schritt hielt. Alles scheint darauf hinzuweisen, dass das Abitur und die darunter liegenden Abschlüsse am nachhaltigsten von der Entwertung betroffen wurden“ (Bourdieu 1982: 224). Die Konkurrenzkämpfe führen zu einer verstärkten Nachfrage nach exklusiven Bildungstiteln. Diesen Effekt nennt Bourdieu „Distinktionsstrategien“. Je häufiger ein Titel einer bestimmten Art vergeben wird, desto geringer wird sein symbolischer Wert. Um den Statusverlust, der mit der Entwertung traditionell hoch angesiedelter Bildungsabschlüsse durch ihre massenhafte Vermehrung einhergeht, zu entgehen, werden Zusatzqualifikationen bzw. -abschlüsse erforderlich. Diese Entwicklung erfordert zur Wahrung der Position in der Struktur der Klassenverhältnisse von allen Klassen eine Modifikation ihrer Reproduktionsstrategien. Letztlich, so Bourdieu, kommt es lediglich zu einer Verlagerung der Bildungsstruktur nach „oben“, nicht zu einer Veränderung der sozialen Ungleichheit (Bourdieu 1982: 263). Bourdieu stellt fest, dass das Risiko von „Fehlinvestitionen“ für Angehörige der unteren und mittleren Klassen wesentlich höher ist, als für Angehörige der herrschenden Klasse. Zum einen fehlt Mitgliedern der unteren Klassen die „Vertrautheit“ mit den Einrichtungen des Bildungssystems, so dass oftmals die zukünftige Entwicklung und der kommende Wert bestimmter Bildungstitel falsch eingeschätzt werden. Zum anderen fehlt ihnen das nötige ökonomische und kulturelle Kapital um auf ungewisse Bildungserträge warten zu können (vgl. Bourdieu 1981: 179). Bourdieus bildungssoziologische Analysen (vgl. Bourdieu & Passeron 1971) münden in den Werken über das französische Hochschulwesen: Homo Academicus (1988), und Der Staatsadel (1989/2004). In diesen Werken vollzieht er einen Bruch mit der naturalistischen, substantialistischen Vorstellung von Eliten (oder einer herrschenden Klasse), und verweist auf die „Felder der Macht“. Für eine intensive Auseinandersetzung mit Bourdieu in dieser Arbeit spricht, dass dort ein methodologisch klar umrissenes und sozialtheoretisch ausgearbeitetes Programm vorliegt, in dessen Rahmen akademische und soziale Phänomene in einem 41 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen gemeinsamen Sinnzusammenhang beschrieben, erklärt und analysiert werden können. Dazu führt Bourdieu in einem Gespräch mit Wacquant aus: „Man kann und man muss Homo academicus als ein Programm zur Erforschung jedes beliebigen akademischen Felds lesen. Der amerikanische (oder japanische, brasilianische, deutsche usw.) Leser nämlich kann diese Arbeit der Übertragung mit einem einfachen Gedankenexperiment ausführen und durch analogische Schlussfolgerungen eine Menge über sein eigenes berufliches Universum herausbekommen. Natürlich kann dieses Gedankenexperiment eine gründliche wissenschaftliche Untersuchung des jeweiligen wissenschaftlichen Feldes nicht ersetzen.“ (Bourdieu & Wacquant 1996: 106). 3.4 Die Promotion in der Konzeption von Pierre Bourdieu Für Bourdieu spielen Elitebildungseinrichtungen - insbesondere Eliteuniversitäten - eine zentrale Rolle zur Reproduktion der gesellschaftlichen Klassenstruktur in Frankreich. Die wesentliche Funktion dieser Elitehochschulen, deren exklusiver Charakter aufgrund ihrer spezifischen Strukturen und strengen Zulassungsbedingungen von der Bildungsexpansion größtenteils unberührt geblieben ist, besteht darin, eine gesellschaftlich allgemein anerkannte Elite zu produzieren (vgl. Hartmann 2004: 94; Bourdieu 1982, 1991). Die Abschlüsse dieser Institutionen werden sozusagen zu einer Art „Zugangsberechtigung“ zu den Spitzenpositionen der französischen Gesellschaft. Damit die Reproduktion der herrschenden Klasse durch den Erwerb exklusiver Bildungstitel gewährleistet werden kann, müssen allerdings die Grandes Écoles die erforderliche soziale Selektivität aufweisen, um glaubhaft vermitteln zu können, dass Absolventen dieser Einrichtungen der herrschenden Klasse auch wirklich angehören.27 Vergleichbare soziale Reproduktionsmuster lassen sich auch für Großbritannien, Japan und den USA finden (vgl. Hartmann 2001: 164-176; 2004: 109-136). „Alles in allem lässt sich als Resümee festhalten, dass aufgrund des sehr großen Gewichts, das dem Besitz exklusiver Bildungstitel für die Besetzung von Spitzenpositionen in der Wirtschaft in den drei Ländern [Frankreich, USA und England, Anm. d. Verf.] zukommt, die dort existierenden Elitebildungseinrichtungen die entscheidende Rolle bei der sozialen Auslese der Kandidaten für das Spitzenmanagement spielen. Sie sorgen durch ihre außerordentliche selektiven Aufnahmebedingungen dafür, dass der Nachwuchs der classe dominante bzw. der upper class bei der Vergabe der von ihnen monopolisierten exklusiven Bildungstitel und damit letztendlich auch bei der Vergabe von 27 Tatsächlich entstammt die überwiegende Mehrheit der Studenten an den Grandes Écoles dieser Klasse (vgl. Bourdieu 1982). Für Informationen über die selektiven Aufnahmeverfahren an amerikanischen Eliteuniversitäten vgl. Karabel (2005). 42 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen Spitzenpositionen in den großen Unternehmen die Nase vorn hat.“ (Hartmann 2001: 176, Hervorhebungen im Original). Im Gegensatz dazu gab (und gibt) es in Deutschland bisher keine nennenswerten Elitebildungseinrichtungen, weder auf schulischer noch auf universitärer Ebene.28 Einzig der Doktortitel scheint die nötige Exklusivität zu besitzen, um einen entscheidenden Vorteil gegenüber konkurrierenden Klassenformationen um gesellschaftliche Spitzenpositionen zu gewährleisten.29 Im Folgenden werden vier Thesen vorgestellt, welche aufzeigen, dass es sinnvoll ist die Untersuchung von Promovierenden anhand Bourdieus Theorie der sozialen Praxis zu führen: 1. Eine Promotion ist mit einer besonderen Privilegierung in den Berufschancen verbunden. Das heißt, die Promotion ist nicht in den Sog der allgemeinen Ausweitung und Abwertung von Bildungstiteln geraten, sondern hat seine traditionell herausragende Stellung im deutschen Bildungssystem bewahren können. Infolge der Bildungsexpansion seit Mitte der achtziger Jahre sinkt der Wert von Diplomen und Magisterprüfungen. Um also den symbolischen Wert eines Hochschulabschlusses zu erhalten, muss laut Bourdieu auf seltenere und höher bewertete Bildungstitel ausgewichen werden. Hilke Rebenstorf verweist in ihren Beiträgen zur Potsdamer Elitenstudie auf die Tatsache, dass die Bildungsexpansion bei den aus den Familien von größeren Unternehmern, akademischen Freiberufen sowie leitenden Angestellten und Beamten stammenden Angehörigen der Eliten, in den letzten eineinhalb Jahrzehnten einen Trend zum verstärkten Erwerb des Doktortitels ausgelöst habe (Rebenstorf 1997: 144-149). Andere empirische Studien zeigen, dass eine Promotion besonders geeignet ist, den Zugang zu gesellschaftlichen Spitzenpositionen zu ermöglichen. Obwohl Promovierte nur einen sehr kleinen Anteil der Hochschulabsolventen stellen, sind sie weit überproportional unter den Mitgliedern der Elite vertreten. Neben der Wissenschaft, in der ein Doktortitel unverzichtbar 28 Deutsche Privathochschulen, wie beispielsweise die European Business School (gegründet 1971), WittenHerdecke (1980), die Otto Beisheim School of Management (1984), die Bucerius Law School (2000), die Zeppelin University (2003) oder die International University Bremen (2004) weisen allerdings ersten elitären Charakter auf. Es sei auch auf die Existenz elitärerer Internate, wie zum Beispiel Schloss Salem oder das Kolleg St. Blasien, verwiesen. Für die Untersuchung spielen diese jedoch (noch) keine Rolle. 29 Vgl. auch Ben-David (1977: 59-67). Ben-David argumentiert, dass der deutsche Doktortitel mit den exklusiven Bildungsabschlüssen der ausländischen Elitebildungseinrichtungen mithalten kann. 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen 43 ist, gilt dies insbesondere für die Wirtschaft, wo knapp die Hälfte der Topmanager promoviert hat (vgl. Hartmann 2001: 180). Auch scheint eine Karriere mit Doktortitel durchaus üblich in der höheren Justiz und in der Politik (Hartmann 2004: 23).30 Daher stellt sich die Frage, ob der höchste deutsche Bildungstitel seine herausragende traditionelle Position im Bildungssystem bewahren konnte oder ob die Promotion in den Sog der allgemeinen Ausweitung und damit Abwertung von Bildungstiteln geraten ist. Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich das vierte Kapitel. 2. Die Wahrscheinlichkeit einen Doktortitel zu „erwerben“ beruht nicht auf der individuellen Leistungsfähigkeit oder persönlichen Qualifikation, sondern wird maßgeblich durch die ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen des Elternhauses determiniert. Das heißt, die Promotion muss als ein Mechanismus zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten verstanden werden. Sollten die Annahmen der funktionalistischen Bildungssoziologie zutreffend sein, müssten alle Universitätsabsolventen relativ die gleichen Chancen auf eine Promotion besitzen. Mithilfe der „meritokratischen Leitfigur“ sozialer Gleichheit und dem daraus abgeleiteten (scheinbar) freien Wettbewerb um gleiche Bildungschancen, ist es gar gelungen, die Reproduktion ungleicher Bildungschancen in modernen, westlichen Gesellschaften zu institutionalisieren und zugleich zu legitimieren (vgl. Solga 2005). Folgt man hingegen den Bourdieuschen Überlegungen zur Attraktivität einer Promotion für die Karriereaussichten und zieht man die zahllosen Hürden im deutschen Bildungssystem in Betracht, mit welchen der Nachwuchs der breiten Bevölkerung bis in die Universität konfrontiert ist, wäre zu erwarten, dass der Doktortitel die stärkste soziale Selektivität unter allen deutschen Bildungstiteln aufweist. Die soziale Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden wird Gegenstand des fünften Kapitels sein. 30 Hartmann behauptet zwar, dass der Promotion in der Politik keine große Bedeutung zukommt (vgl. Hartmann 2004: 23). Trotzdem besitzen im 16. Bundestag 113 von 614 Mitgliedern einen Doktortitel, was einem Anteil von immerhin 18,4 % entspricht (Bundestag 2006). 44 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen 3. Die Ungleichheit der Bildungschancen manifestiert sich in der Einschränkung der Studienbzw. Promotionsfachwahl. Das heißt, die soziale Herkunft beeinflusst nicht nur die Entscheidung zur Promotion, sonder prägt auch die Wahl für eine bestimmte Studienfachrichtung. Bourdieu und Passeron haben aufgezeigt, dass die Studienfächer in einer hierarchischen Ordnung zueinander stehen, die der Strukturiertheit der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft entspricht, und dass ein systematischer Zusammenhang zwischen der Wahl der Studien- und Promotionsfächer, dem Studienverhalten und der sozialen Herkunft besteht. Sie schreiben: „Zweifellos drückt sich auf Hochschulniveau die ursprüngliche Ungleichheit der Bildungschancen vor allem in der Tatsache aus, dass die verschiedenen sozialen Klassen sehr ungleich vertreten sind. Es muss hinzugefügt werden, dass der relative Studentenanteil diese Ungleichheit nur partiell widerspiegelt, da die an der Hochschule am stärksten vertretenen Klassen in der aktiven Bevölkerung am schwächsten vertreten sind […] Die […] Statistik zeigt, dass das Schulsystem objektiv eine um so totalere Eliminierung vornimmt, je unterprivilegierter die Klassen sind. Seltener dagegen werden die verborgeneren Formen zur Kenntnis genommen, in denen sich die Ungleichheit der Bildungschancen manifestiert, wie beispielsweise die Abdrängung der Kinder aus den unteren und mittleren Klassen auf bestimmte Fakultäten und die Verlängerung der Unsicherheit im Studiengang“ (Bourdieu & Passeron 1971: 20). In eben diesem Zusammenhang erfüllen die exklusiven Grandes Écoles für Bourdieu neben der Reproduktion der herrschenden Klasse noch eine weitere Aufgabe. Durch die fachspezifische Differenzierung in verschiedene Typen (von geisteswissenschaftlich orientierten Écoles bis zu eindeutig wirtschaftswissenschaftlich ausgerichteten Eliteeinrichtungen) lösen sie das zusätzliche Problem der internen Gliederung der herrschenden Klasse. Durch die unterschiedliche Attraktivität für die verschiedenen Gruppen der herrschenden Klassen, garantieren die verschiedenen Grandes Ècoles ein relativ hohes Maß an sozialer Homogenität innerhalb dieser. Entscheidend ist, dass auf diese Weise den Kämpfen zwischen den zwei großen Teilen der herrschenden Fraktion - bei den einen dominiert das ökonomische Kapital, die anderen beherrschen überwiegend das kulturelle Kapital – die Schärfe genommen wird und sie in geregelte Bahnen lenkt. Der „Streit der Fakultäten“ wird ebenfalls im fünften Kapitel erarbeitet und in einem theoretischen Exkurs erweitert. 3. Bildungssoziologische Vorüberlegungen 45 4. Die soziale Ungleichheit im Zugang zur Promotion wird in besonderem Maße durch das soziale Kapital im wissenschaftlichen Feld reguliert. Das heißt, ökonomisches und kulturelles Kapital reichen alleine nicht aus, um den Zugang zur Promotion zu gewährleisten. Die Analyse der Daten lieferte deutliche Hinweise darauf, dass für die befragten Doktorandinnen und Doktoranden neben ökonomischen und kulturellen Ressourcen persönliche Kontakte und Beziehungen eine enorme Rolle bei der Aufnahme als Promovierende spielten. Zu einem vergleichbaren Befund kamen bereits Bourdieu, Boltanski und Saint Martin (1981: 144). Um diese Beobachtung angemessen erklären zu können, war es nötig, den theoretischen Fokus der Untersuchung nochmals um ein Element der Bourdieuschen Gesellschaftsanalyse zu erweitern: Der Feldtheorie. Diese Erweiterung wird – um den Lesefluss nicht zu stören – am Ende des vieren Kapitels vorgenommen. Kapitel 4 Über die Situation von Promovierenden in Deutschland 4.0 Argumentationsskizze Wurde im vorangegangenen Kapitel - empirisch und theoretisch - aufgezeigt, dass das Bildungssystem einen immanenten Beitrag zur Reproduktion der Klassenbeziehungen leistet, werden in diesem Kapitel die strukturellen Rahmenbedingungen von Promovierenden in Deutschland erläutert. Dabei wird sich zeigen, dass eine Analyse der Situation von Doktorandinnen und Doktoranden nur Sinn machen kann, wenn man sich der Autonomie des wissenschaftlichen Feldes bewusst wird. Die Argumentation verläuft dabei in vier Schritten. Zunächst werden die verschiedenen Phasen der Hochschulentwicklung dargestellt, welche den strukturellen Rahmen für die Rekrutierung wissenschaftlichen Personals und damit auch für Doktorandinnen und Doktoranden bilden. Die jetzige Situation von Promovierenden lässt sich nur schwierig ohne diesen historischen Exkurs begreifen. Um die Frage nach der Exklusivität von Doktortiteln zu klären wird im zweiten Abschnitt die zahlenmäßige Entwicklung der Promotionsabschlüsse dargestellt. Es wird gezeigt, dass die Promotion in Deutschland ihre exklusive Stellung hat bewahren können. Der Wert eines Doktortitels im beruflichen Verwertungsprozess wird im dritten Abschnitt herausgearbeitet. Dabei muss ausführlich auf den Funktionswandel im Bezug auf die wissenschaftliche Qualifizierung eingegangen werden. Galt die Promotion traditionell der Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses, so streben Doktorandinnen und Doktoranden heute überwiegend außeruniversitäre Karrieren an. Unabhängig von der weiteren Karriereplanung betreten Doktorandinnen und Doktoranden aber das wissenschaftliche Feld. In einem Exkurs wird verdeutlicht, dass das wissenschaftliche Feld nach Bourdieu eine autonome soziale Welt darstellt, welche feldspezifische Zwänge und 48 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland Regeln konstruiert. Daher muss diese Überlegung auf analytischer Ebene berücksichtigt werden. In einem vierten Abschnitt werden dann die gewonnenen Einsichten in das Bourdieusche Feldverständnis inhaltlich konkretisiert. Dabei wird sich anhand meiner Daten zeigen, dass die Regeln des wissenschaftlichen Feldes auch für Doktorandinnen und Doktoranden gelten. Das Kapitel schließt mit einer kurzen Zusammenfassung der Ergebnisse. 4.1 Strukturelle Entwicklung der Promotion nach 1945 Die fundamentalen Veränderungen im deutschen Bildungswesen - wie sie im dritten Kapitel skizziert wurden - werfen die Frage auf, inwieweit auch die Promotion von diesem Wandel betroffen ist. Konnte der höchste deutsche Bildungstitel seine herausragende traditionelle Position im Bildungssystem bewahren, oder ist die Promotion gleichfalls in den Sog der allgemeinen Ausweitung und damit Abwertung von Bildungstiteln geraten? Zur Klärung dieser Frage bedarf es daher zunächst einer detaillierten Darstellung der historischen Stellenund Personalentwicklung im universitären Umfeld. Die quantitative und strukturelle Entwicklung der wissenschaftlichen Mitarbeiter in den vergangenen sechzig Jahren kann nach Jürgen Enders grob in vier Entwicklungsphasen unterteilt werden (vgl. Enders 1996: 60-79): 1.) die Phase des Wiederaufbaus und der Restauration bis zum Ende der fünfziger Jahre, welche zunächst scheinbar bruchlos an die Strukturen vor 1933 anknüpfte; 2.) die Phase der Expansion des Bildungs- und Hochschulwesens und der personellen Kapazitäten der Universitäten bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein. Diese Phase scheint – wie zu zeigen sein wird – im Hinblick auf die soziale Rekrutierungsbasis des wissenschaftlichen Personals auch durch eine soziale Öffnung der Professorenschaft und des wissenschaftlichen Nachwuchs für bildungsferne Schichten gekennzeichnet zu sein, während Frauen kaum stärkeren Zugang zu universitären Positionen fanden; 3.) die Phase des Endes des Hochschulausbaus und eine relative Stagnation; 4.) die Phase verhaltenen Wachstums und einer Strukturverfestigung. Diese Phase ist gekennzeichnet durch ein wieder Erstarken der professoralen Vormachtstellung, eine 49 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland wiederum zunehmende personelle Expansion des akademischen Mittelbaus sowie eine stärkere soziale Schließung der Professorenschaft gegenüber bildungsfernen Schichten. Die Entwicklungsphasen überschneiden und überlagern sich zum Teil wechselseitig und lassen sich deswegen nicht immer eindeutig voneinander trennen. Probleme der Hochschulstatistik, die sich zudem in unterschiedlicher Weise in verschiedenen Phasen der Stellen- und Personalentwicklung niedergeschlagen haben, erschweren die Darstellung quantitativer Trends ebenso, wie die teilweise nicht konsistente Erfassung verschiedener Phasen der Promotionsentwicklung.31 Restauration und Wiederaufbau Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden bis in die fünfziger Jahre hinein die Universitäten wieder aufgebaut und zum Teil sowohl fachlich (durch den Aufbau neuer Fakultäten) als auch institutionell (durch erste Gründungen neuer Hochschulen) erweitert. Den Hochschulen wurde ein hohes Maß an Autonomie zugestanden und die Einheit von Forschung und Lehre wurde bestätigt. Die Zahl der Lehrstühle stieg in dieser Phase des Wiederaufbaus zwischen 1949 und 1960 um 43% (Enders 1996: 60). Die Mitte der fünfziger Jahre publizierte Göttinger Hochschullehrerstudie hat diese Phase der Hochschul- und Personalstrukturentwicklung grundlegend beleuchtet und dokumentiert. Erstmalig wurden in diesem Zusammenhang die Entwicklungslinien und Strukturprobleme des „akademischen Nachwuchses“ thematisiert (vgl. Plessner 1956). Expansion und Differenzierung Die wachsende Nachfrage nach Hochschulbildung, die zunehmende Betonung der Mobilisierung der Bildungsreserven für die weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, die soziale Öffnung des Hochschulzugangs und die wachsenden Bildungsaspirationen nicht-akademischer Schichten mündeten in den sechziger Jahren in 31 Zu Fragen der Entwicklung und Reichweite der diesbezüglichen Bundesstatistiken vgl. Wissenschaftsrat (1982); Köhler (1984, 1992); Bochow & Joas (1987). Einen Überblick über die politische Diskussion und die gesetzlichen Rahmenregelungen der Promotion bis 1985 findet sich bei Czock & Wildt (1985: 17-28). 50 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland einen deutlichen Ausbau der bestehenden Universitäten und der Gründung neuer Hochschulen. Die Zahl der Planstellen32 (vgl. Anhang: Tabelle 2) für das wissenschaftliche Personal an Universitäten betrug 1960 etwa 13.000, stieg bis 1965 auf 27.000 (+ 108% in fünf Jahren), bis 1970 weiter auf 38.900 (+ 44%), sowie auf 54.300 im Jahr 1975 (+ 40%). Insgesamt erhöhte sich der Planstellenbestand an Universitäten in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren um 318 Prozent, wobei sich die Anzahl der Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter in etwa gleicher Größenordnung vermehrte. Das wissenschaftliche Personal an den deutschen Universitäten (vgl. Anhang: Tabelle 3) verfünffachte sich zwischen 1960 und 1975 von 9.947 auf 52.573 hauptberuflich angestellte Akademiker. In diesem Zeitraum stieg die Zahl der Professoren von 3.939 auf 14.893 (was einem Plus von 378% entspricht). Deutlich stärker aber wurde die Expansion des nichtprofessoralen Sektors vorangetrieben. Durch Stellenteilungen und vermehrte externe Finanzierungsmöglichkeiten stieg die Zahl der im Mittelbau Beschäftigten zwischen 1960 und 1975 von 6.008 auf 37.680 (+ 435%). Damit übertraf die personelle Expansion im Hochschulwesen die Entwicklung der Planstellenzahlen bei weitem. Zeitgleich zur expansiven Phase der Personalentwicklung in den sechziger Jahren (1960 bis 1975) ergab sich auch ein deutlicher Anstieg der Promotionen (+ 67%) und Habilitationen (+ 126%). Die personelle Expansion betraf im Prinzip alle Fächer, allerdings in unterschiedlicher Weise. In der Zeit von 1960 bis 1975 verzeichneten die Geisteswissenschaften sowie die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die größten Zuwachsraten in Mittelbau- und Nachwuchsbeschäftigung. In den naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Fächern, die bereits zu Beginn der Hochschulexpansion über einen vergleichsweise breiten wissenschaftlichen Unter- und Mittelbau verfügten, expandierten die Beschäftigungszahlen nicht-professoraler Wissenschaftler weniger stark, als in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern (Enders 1996: 65). Zu Recht verweist Enders auf den Mangel an systematischen und übergreifenden Untersuchungen zu Fragen der sozialen Herkunft der Hochschullehrerschaft und ihrer 32 Es muss unterschieden werden zwischen der Anzahl der Planstellen und der Anzahl des wirklichen Personalbestandes. Bei der Ermittlung der Planstellen bleiben Drittmittel finanzierte Wissenschaftler unberücksichtigt. Außerdem werden Mehrfachbesetzungen von Stellen nicht mehrfach gezählt. Die Ermittlung des Personalbestandes hingegen basiert auf Personalzählungen, unabhängig von der Art der Stelle (volle oder geteilte Stelle) und ihrer Finanzierung (Haushalt oder Drittmittel). Für die weitere Untersuchung sind die Zahlen des Personalbestandes von größerer Bedeutung. Trotzdem dokumentiert die Entwicklung der Planstellenzahlen eindrucksvoll das gesteigerte gesellschaftliche Interesse an Hochschulbildung in den siebziger Jahren. 51 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland Veränderung im Zuge der Hochschulexpansion während dieser Phase. Während Bourdieu die französische Situation im Hinblick auf die „Morphologie des Lehrkörpers“ durch die Hochschulexpansion ausführlich untersuchte (Bourdieu 1988), lassen sich für Deutschland wenig Aussagen über die soziale Mobilität von Hochschullehrern treffen. Trotzdem können als Indiz für die soziale Öffnung der Professorenschaft folgende Zahlen angeführt werden: Zwischen 1956 und 1977 hat sich der Anteil der Professoren aus einem akademischen Elternhaus von 44% auf 36% reduziert. Diese Veränderung betreffen die verschiedenen Fächer allerdings in durchaus unterschiedlichem Maße, weshalb die angesprochene Hierarchie der Disziplinen im Hinblick auf das ererbte kulturelle Kapital eines akademischen Herkunftsmilieus innerhalb der Lehrkörperschaft gewahrt wurde: In den Rechtswissenschaften stammte Mitte der siebziger Jahre mehr als die Hälfte aus Akademikerfamilien. In der Medizin nahezu die Hälfte, gefolgt von den geisteswissenschaftlichen sowie den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen, deren Lehrkörper sich zu etwa einem Drittel aus einem akademischen Herkunftsmilieu rekrutierten. Schlusslicht bildeten die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, die etwa zu einem Viertel aus einem akademischen Elternhaus stammten (vgl. hierzu Enders 1996: 68). Die Vertretung nicht-akademischer Schichten innerhalb der Professorenschaft weist in der Phase der Bildungsexpansion eine steigende Tendenz auf. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass von einer sozialen Öffnung der Professorenschaft gegenüber einem nichtakademischen Herkunftsmilieu im Zuge der Hochschulexpansion gesprochen werden kann. Strukturreform und Stagnation Der etwa fünfzehn Jahre währende Zeitraum sprunghafter Vermehrung der wissenschaftlichen Mitarbeiter an deutschen Hochschulen fand Mitte der siebziger Jahre ein Ende und der personelle Ausbau der Universitäten kam zum Stillstand (vgl. Czock & Wildt 1985: 21). Die Gesamtzahl der Stellen für wissenschaftliches Personal stagnierte zwischen 1975 und 1980 in den nicht-medizinischen Bereichen und war in der ersten Hälfte der achtziger Jahre sogar leicht rückläufig. Gleichzeitig stagnierte die Zahl der Habilitationen. Die Zahl der Promotionen hingegen nahm, nach einer rückläufigen Tendenz in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, seit Anfang der achtziger Jahre zu (Enders 1996: 70). 52 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland Verhaltenes Wachstum und Strukturfestigung Nach dieser Phase des geringen Wachstums der universitären Personalkapazitäten lässt sich seit Mitte der achtziger Jahre wiederum ein deutlicher Anstieg der Zahl der an den Universitäten hauptberuflich tätigen nicht-professoralen Wissenschaftler (+ 31%) beobachten, dem nur geringfügige Veränderungen der Professorenzahlen (+ 2%) gegenüberstehen. D.h., die Relation zwischen diesen beiden Gruppen verschiebt sich deutlich zugunsten des Mittelbau- und Nachwuchsbereiches. Besonders deutlich expandiert die Beschäftigung nichtprofessoraler Wissenschaftler nach 1985 in den Naturwissenschaften. Diese Entwicklung lässt sich in gemäßigter Form auch in den Ingenieurwissenschaften, sowie in den Agrar-, Forstund Ernährungswissenschaften nachvollziehen (vgl. Enders 1996: 72). Die Zahl der nicht-professoralen Wissenschaftler überstieg Ende der achtziger Jahre nunmehr deutlich die vorgesehenen Stellenkapazitäten der Universitäten. Während 1970 den insgesamt 26.200 Stellen für nicht-professorale 30.829 Beschäftigte gegenüber standen, wurden 1980 für 22.300 Stellen 41.083 Beschäftigte ausgewiesen. 1990 schließlich standen den 34.700 Stellen in Mittelbau und Nachwuchsförderung 54.413 Beschäftigte gegenüber. Die Darstellung der weiteren Stellenentwicklung gestaltet sich - bedingt durch die Wiedervereinigung und den daraus resultierenden extremen Schwankungen - als äußerst schwierig. Dabei trägt die Ausweitung der Forschung aus Mitteln Dritter, die veränderte Hochschulgesetzgebung zur Befristung von Angestelltenverhältnissen mit nicht-professoralen Wissenschaftlern und die Umwandlung von Stellen zu diesem deutlichen Wachstum im Mittelbaubereich, insbesondere durch die Vermehrung befristeter Angestelltenverhältnisse mit wissenschaftlichen Mitarbeitern, bei.33 Daher seien nur die jüngsten bekannten Zahlen angeführt: Im Jahr 2003 stehen den 118.102 nicht-professoralen Mitarbeiten 68.338 Stellen zur Verfügung (BMBF 2005: Grund- und Strukturdaten). Die Zahl der „Köpfe“ übersteigt also die Zahl der Stellen 2003 um etwa 60%. Laut Enders und Teichler hat seit Mitte der siebziger Jahre keine weitere soziale Öffnung der Lehrkörperschaft für bildungsferne Schichten stattgefunden. Vielmehr hat sich der Anteil der Universitätsprofessoren aus Akademikerelternhäusern bis Anfang der neunziger Jahre wieder 33 Für eine umfassende Untersuchung von Promovierenden ist von gesteigerten Interesse, dass Mitte der neunziger Jahre das System der Nachwuchsförderung um ein strukturell neuartiges Element, die Graduiertenkollegs, deren Konzeption vom angloamerikanischen Modell eines postgradualen Promotionsstudiums beeinflusst wurde, erweitert wurde. 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland 53 erhöht. Die Autoren ermittelten in einer 1992 durchgeführten Repräsentativbefragung des wissenschaftlichen Personals einen Anteil von 49 Prozent aus Akademikerelternhäusern unter den Universitätsprofessoren (gegenüber 36% Mitte der siebziger Jahre). Dabei fällt die verstärkte Rekrutierung des Lehrkörpers aus akademischen Schichten wesentlich deutlicher aus, als allein aufgrund der nachholenden Niveaueffekte der sozialen Zusammensetzung der Studentenschaft, aus der sich die Professorenschaft rekrutiert, zu folgern wäre (vgl. Enders & Teichler 1995a). Zusammenfassend urteilt Enders: „Man mag dies als Hinweis darauf deuten, dass in einer Phase relativer Schließung des universitären Arbeitsmarktes und verschärfter Nachwuchskonkurrenz die Nähe des akademischen Herkunftsmilieus zum universitären Feld und der Besitz an kulturellen Kapital bei der Rekrutierung des Lehrkörpers insgesamt gesehen wieder an Bedeutung gewinnt“ (Enders 1996: 74). Betrachtet man die Veränderungen der Bildungsherkunft für die Fächer seit Mitte der siebziger Jahre, zeigen sich für die Rechtswissenschaften und Wirtschaftswissenschaften vergleichsweise geringfügige Veränderungen der sozialen Zusammensetzung; in den Sozialwissenschaften, den Naturwissenschaften sowie den Ingenieurwissenschaften, vor allem aber in der Medizin zeigt sich ein Anstieg des Anteils der Universitätsprofessoren aus Akademikerfamilien: „Die beiden letzteren [Ingenieurwissenschaften und Medizin, d. Verf.] bleiben die Fächer mit dem größten Beitrag zur Reproduktion eines bereits erreichten hohen familialen Status. Demgegenüber werden vor allem die Erziehungswissenschaften und Wirtschaftswissenschaften, aber auch die sozialwissenschaftlichen Fächer häufiger für einen Bildungs- und damit verbundenen Statusaufstieg genutzt. Wie die diesbezüglichen Ergebnisse der Studentenforschung zeigen [vgl. Köhler 1992, Anm. d. Verf.] spiegeln sich hierin unterschiedliche Verhältnisse der Fächer, wie sie sich schon für die Bildungsherkunft ihrer Studierenden beobachten lassen. Insofern leistet die Studienfachwahl einen nicht unwesentlichen Beitrag zur sozialen Reproduktion der Fächer und ihres jeweiligen Lehrkörpers“ (Enders 1996: 75). Die hier dargelegte Fächerrangfolge im Bezug auf die Reproduktion des sozialen Status mag – im Vergleich zu Bourdieu – überraschen. An späterer Stelle (vgl. Kap. 5.3) wird die Hierarchie der Fächer daher ausführlich thematisiert. Die gegenwärtige Situation von Promovierenden lässt sich nicht ohne diesen historischen Exkurs begreifen. Institutionelle Rahmenbedingungen regulieren die Möglichkeiten und Attraktivität der Promotion. Bevor aber eine ausführliche Diskussion über die Reproduktionsmechanismen, welche der Promotion zugrunde liegen, begonnen werden kann, muss noch die Entwicklung des Doktortitels systematisch dargestellt werden. 54 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland 4.2 Quantitative Entwicklung des Doktortitels Deutschland kann mit etwa 25.000 abgelegten Doktorprüfungen pro Jahr die meisten Promotionen in Europa vorweisen. Es folgen Großbritannien mit etwa 14.000 und Frankreich mit etwa 11.000 Doktorprüfungen (OECD 2002). Prinzipiell muss davon ausgegangen werden, dass der kontinuierliche Anstieg höherer Bildung in der Gesellschaft zu einer massiven „Entwertung“ von Bildungstiteln in der Bedeutung für die individuelle (Berufs-) Biographie führt. Daher ist eine höhere Zahl von abgelegten Promotionsprüfungen als Hinweis für eine Entwertung des Doktortitels zu deuten. So führen Bourdieu und Mitarbeiter aus: „Weil ein universitärer Grad sich in demselben Maße entwertet, in dem die Zahl seiner Inhaber wächst, kann er den Besitzern eines Bildungstitels, der vorher keinen Zugang zu diesen [Hochschullehrer, Anm. d. Verf.] Positionen gewährte – zumindest nicht im gleichen Grade und in gleichem Alter -, nur einen relativen Wertzuwachs bringen“ (Bourdieu, Boltanski & Maldidier 1981: 129). Betrachtet man zunächst die absolute Entwicklung der abgeschlossenen Promotionsprüfungen, so ähnelt sie in der Tendenz (mit Ausnahme der 1960er) der - in Kapitel 3.2 dargestellten - allgemeinen Entwicklung der Studentenzahlen (vgl. Abbildung 4). Während in der ersten Hälfte der 60er Jahre ein massiver Einbruch um 40 Prozent der Promotionsprüfungen zu verzeichnen war, begannen in der zweiten Hälfte die Veränderungen der einsetzenden Hochschulexpansion zu wirken. In nur fünf Jahren, zwischen 1965 und 1970, verdreifachte sich die absolute Zahl der Promotionen an deutschen Hochschulen von 3.321 auf 9.728 und stieg seitdem kontinuierlich auf 23.138 im Jahr 2004 an. Die Promotion verliert also offenbar an Exklusivität, das aber vergleichsweise langsam und nur in begrenztem Umfang. 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland 55 Abbildung 4: Entwicklung der Promotionsprüfungen von 1953 bis 2004 25000 20000 15000 10000 5000 0 1953 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1992 1999 2000 2004 Quelle: Statistisches Bundesamt (1980-2005). Denn betrachtet man anstelle der absoluten Anzahl abgeschlossener Promotionen die relative Promotionsquote (vgl. Abbildung 5), d.h. abgeschlossene Promotionsprüfungen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Studierenden, zeigt sich überraschenderweise ein konträres Bild. Der dramatischen Zunahme zwischen 1965 und 1970, bedingt durch den enormen Ausbau der Bildungssysteme, steht ein kontinuierlicher Rückgang der relativen Promotionsquote gegenüber. In diesem Zusammenhang überrascht es, dass sich die relative Promotionsquote seit 1970 umgekehrt proportional zu der Entwicklung der Studentenzahlen entwickelt. Obwohl immer mehr Absolventen – d.h. potentielle Doktoranden - die Universität verlassen, steigt die Anzahl der Promovierenden nur marginal an. Lag die Promotionsrate unter den Universitätsabsolventen vor 25 Jahren noch bei 54%, d.h. jeder zweite der ein Studium erfolgreich abgeschlossen hat, hat anschließend auch noch promoviert (vgl. Hartmann 2001: 180), so sank die Promotionsquote im letzten viertel Jahrhundert um knapp die Hälfte auf 23,5% im Jahre 1999. 56 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland Abbildung 5: Promotionen in Relation zu allen Hochschulprüfungen (ohne Lehramt) fünf Jahre zuvor (Angaben in Prozent) 34 60 50 40 30 20 10 0 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1992 1999 Quelle: Statistisches Bundesamt (1980-2005). Während also die Hochschulbildung den Charakter eines exklusiven Gutes verloren hat, erhält bzw. steigert die Promotion gewissermaßen ihre Exklusivität. Ähnlich beurteilt Enders die Entwicklung. Er schreibt: „Hinter der Dynamik der personellen Entwicklung und zunehmenden quantitativen Bedeutung der Beschäftigung nicht-professoraler Wissenschaftler – seien deren berufliche Positionen nun für Qualifizierungszwecke ausdrücklich vorgesehen oder nicht – ist die absolute und relative Entwicklung der Zahl der Promotionen und Habilitationen deutlich zurückgeblieben. Von einer zwischenzeitlichen befürchteten Titelsucht […] oder einer Inflation und Abwertung der Titel [vgl. Bourdieu (1988), Anm. d. Verf.] durch deren Verlust an Seltenheit innerhalb der Hierarchie der wissenschaftlichen Abschlüsse kann keine Rede sein“ (Enders 1996: 76). 34 Grundlage der Berechnung bildeten die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes in der „Fachserie 11. Reihe 4.2. Bildung und Kultur. Prüfungen an Hochschulen“ und die Elitenstudie von Hartmann (2002: 198f.). Da die Promotion in der Regel circa fünf Jahre nach dem Diplom, Staatsexamen oder Magister abgelegt wird (vgl. Enders & Bornmann 2001: 66ff.), wird für einen solchen Vergleich die Zahl der Promotionen der bestandenen Abschlussprüfungen (ohne Lehramt) fünf Jahre zuvor gegenübergestellt. Da der Abstand von fünf Jahren nur einen Mittelwert darstellt und die Prüfungszahlen mit teilweise mehr als 10 Prozent deutlich variieren, stellen die Quoten nur Annäherungswerte dar, welche Tendenzen sichtbar machen sollen. In Anlehnung an Hartmann (2002: 199) bleiben die Lehramtsprüfungen unberücksichtigt, weil nur ein relativ geringer Anteil der Promotionen auf Lehramtsprüflinge entfällt. 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland 57 Die Promotion ist also ein exklusiver Bildungstitel. An diesen Befund anknüpfend ist naturgemäß zu fragen, wie diese Exklusivität zustande kommt. Drei mögliche Erklärungsansätze erscheinen zunächst plausibel: Erstens, eine Promotion bringt keine (beobachtbaren) Vorteile bezüglich Status, Beruf oder Einkommen, d.h. potentielle Doktorandinnen und Doktoranden sehen keinen Vorteil in einer Promotion. Zweitens könnte es möglich sein, dass nur einige wenige Absolventen die nötigen Qualifikationen besitzen um eine Promotion erfolgreich abzuschließen. Im Folgenden wird dargelegt, dass diese beiden Gründe nicht zutreffen. Anhand der bisherigen Argumentation dürfte klar geworden sein, dass es sich um ein Phänomen sozialer Macht handelt. Drittens ist daher davon auszugehen, dass es sich bei der Promotion um einen exklusiven Bildungstitel handelt, weil dessen Zugang nach sozialen Kriterien reguliert und beschränkt wird. 4.3 Die Promotion im Wandel Führt der höchste deutsche Bildungstitel zu einer überdurchschnittlichen „Karriere mit Doktortitel“ (Enders & Bornmann 2001) oder enden ehemalige Doktoranden als „Taxifahrer Dr. phil.“ (Schlegelmilch 1987)? Um Aussagen über den Wert einer Promotion treffen zu können, muss auf bisherige Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden. Wie stellt sich die berufliche Entwicklung und Situation nach der Promotion dar? Zusammenfassend kristallisiert sich in der sozialwissenschaftlichen Diskussion eine sehr ambivalente Bewertung des Doktortitels heraus. Einerseits werden Einkommensvorteile und positionale Vorteile für Promovierte gegenüber anderen Hochschulabsolventen beobachtet (vgl. Spiegel-Verlag 1980, Hartmann 2002) und auf das hohe gesellschaftliche Ansehen des Doktortitels hingewiesen (Wissenschaftsrat 1995). Andererseits werden Arbeitsmarktprobleme promovierter Geisteswissenschaftler thematisiert (vgl. Schlegelmilch 1987). Wie sind diese Beobachtungen zu bewerten? Traditionell wurde das Promotionswesen nicht primär auf ein externes Kriterium bezogen, wie den außeruniversitären Arbeitsmarkt, sondern als systeminterne Nachwuchsrekrutierung für eine Hochschulkarriere gedacht.35 Die Ausbildung und Selektion hervorragender Forscher und deren Aufnahme in die „wissenschaftliche Profession“ galten als vornehmliches Ziel und 35 So war die Personalstruktur der Universität des 18. Jahrhunderts dadurch bestimmt, dass sogar eine Lehrstuhlvererbung vom Vater auf den Sohn oder andere Verwandte praktische Bedeutung hatte. Erst die Regelung, als Habilitationsleistung eine wissenschaftliche Abhandlung zu fordern, die einen disziplinenspezifischen Erkenntnisfortschritt darstellen sollte, beendete diese Praxis (vgl. Schmeiser 1994: 31). 58 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland eigentliche Funktion universitärer Bildung (vgl. Ben-David 1977: 46-52). Während die traditionelle Promotion also vornehmlich der Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses diente, steht heute die Qualifizierung für den außeruniversitären Arbeitsmarkt im Vordergrund. Exemplarisch sei dies mit folgender Definition von Estelle Phillips und Derek Pugh - Autoren des Ratgebers How to get a PhD - dokumentiert: „A doctor’s degree is a license to teach – meaning to teach in a university as a member of a faculty. This does not mean nowadays that becoming a lecturer is the only reason for taking a doctorate, since the degree has much wider career connotations outside academia and many PhDs do not have academic teaching posts. The concept stems, though, from the need for a faculty member to be an authority, in full command of the subject right up to the boundaries of current knowledge, and able to extend them” (Phillips & Pugh 2000: 18-19). Mit der Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes im Jahre 1976 rückte die Berufsvorbereitung in das Zentrum universitärer Ausbildung. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in meinen Ergebnissen wieder, womit wir ein erstes Mal zu den Ergebnissen meiner Untersuchung gelangen. Die Mehrzahl der heute Promovierenden strebt tendenziell keine Tätigkeit in der Wissenschaft an (vgl. auch Kapitel 5.3: Tabelle 8). Auf eine entsprechende Frage antwortete etwa ein Drittel (33,9%), dass sie eine wissenschaftliche Laufbahn planen. Zwei Drittel (66,1%) hingegen wollen sich für eine außeruniversitäre Laufbahn entscheiden.36 Die Promotion transformiert damit zu einer „Zusatzqualifikation“, welche sich im Wesentlichen daraus ergibt, dass diejenige zu einer Fachfrau auf einem Spezialgebiet geworden ist. Zudem wird im Gegensatz zum verschulten Studium Forschung betrieben. BenDavid sieht daher auch den Vorteil einer Promotion in der Tatsache begründet, dass "only in Ph.D.-level programs has professional training been invariably integrated with research" (Ben-David 1977: 63). Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Zahl der abgelegten Habilitationen wieder, die nicht Schritt halten konnte mit der deutlichen Zunahme der abgelegten Doktorprüfungen (vgl. Anhang: Tabelle 3). Enders kommentierte diese Entwicklung folgendermaßen: „Die ‚Sorge um den wissenschaftlichen Nachwuchs’ tritt insofern in ein neues Stadium ein, als Fragen des Bestands und der Qualität der Nachwuchsförderung seit Anfang der neunziger Jahre im Zusammenhang mit der beginnenden und sich noch verstärkenden Emeritierungs- und Pensionierungswelle unter den 36 Um die Promovierenden zu „zwingen“ ihre zukünftigen Präferenzen zu offenbaren, wurde nur das binäre Antwortschema „Ja - Nein“ als Antwortmöglichkeit vorgegeben. Lediglich 69 Teilnehmer war es unmöglich eine Entscheidung zu treffen. Es sei allerdings erwähnt, dass dieses methodische Vorgehen teilweise auf Kritik der Befragten stieß. 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland 59 Professoren und dem damit verbundenen verstärkten Nachwuchsbedarf wieder an Gewicht gewinnen. Für einige Fächer lässt sich bereits absehen, dass ein ausreichend großes Reservoir an habilitierten Nachwuchswissenschaftlern zur Besetzung der altersbedingt frei werdenden Professorenstellen in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen wird“ (Enders 1996: 75-76). Zudem erhöhte sich der relative Anteil von Studierenden, Promovierenden und Dozierenden. Paradoxerweise wurden die wissenschaftlichen Mitarbeiter dabei Opfer ihres eigenen Erfolges, da die Expansion des Hochschulwesens von einem Rückgang des sozioökonomischen Status und des gesellschaftlichen Ansehens des Hochschulwissenschaftlers begleitet wurden. „Die Expansion zeugt zwar von einer wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung der Hochschulen als Orte der Generierung neuer Wissensbestände und ihrer Vermittlung für die Ausbildung hochqualifizierter Berufe, aber dieser Bedeutungsgewinn wird für die Hochschulwissenschaftler dadurch überschattet, dass sie ihre soziale und vermeintliche intellektuelle Exklusivität verlieren“ (Endres 1996: 25-26). Unabhängig davon hat die Promotion noch immer einen hohen sozialen Status. Eine empirische Befragung von Hochschulabsolventen hat ergeben, dass die meisten Akademiker glauben, dass der Doktortitel die berufliche Karriere fördert. In der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung ist die Überzeugung vom Nutzen eines Doktortitels sogar noch stärker vertreten (Spiegel 1980: 41). Es ist daher wahrscheinlich, dass künftige Doktoranden und Doktorandinnen zum Zeitpunkt der Promotionsentscheidung davon ausgehen eine profitable Entscheidung zu treffen. Gleichzeitig lässt die hohe gesellschaftliche Akzeptanz vermuten, dass die Promovierenden von den Angehörigen positive Unterstützung erfahren, falls sie den Wert des Doktortitels richtig einstufen.37 Aber entsprechen diese subjektiven Wahrnehmungsmuster den wirklichen Berufsaussichten? Enders und Bornmann (2001, 2003) haben Ende der neunziger Jahre erstmalig den Berufserfolg von promovierten Hochschulabsolventen in einer größeren empirischen Studie untersucht. Die Ergebnisse belegen, dass die große Mehrheit der Promovierten sich auf hoch qualifizierten, gut bezahlten Vollzeitpositionen platzieren konnte. Unternehmen scheinen grundsätzlich auf der Suche nach promovierten Mitarbeitern. Auch unterstützen Firmen eine Promotion nachdrücklich. Bei McKinsey zum Beispiel ist man zunächst zwei Jahre als Berater 37 Der Epidemiologe Michael Marmot findet sogar Hinweise dafür, dass Promovierte aufgrund ihres höheren Sozialstatus länger leben (vgl. Willenbrock 2006: 110). 60 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland tätig und wird im dritten Jahr – unter Fortzahlung des Gehaltes – für einen MBA oder eine Promotion freigestellt. Kann man bereits zu Beginn der Anstellung bei McKinsey einen Doktortitel vorweisen, bekommt man direkt ein höheres Anfangsgehalt. Das prominenteste Beispiel für den Erfolg von promovierten Akademikern ist dabei sicher Dr. Josef Ackermann, der als Vorstandssprecher der Deutschen Bank im Jahr 2003 ungefähr 11 Millionen Euro verdiente (Hartmann 2004: 175). „Von einer Krise des wissenschaftlichen Nachwuchses im Hinblick auf seine weiteren Berufs- und Karrierechancen kann [also, Anm. d. Verf.] keine Rede sein“ (Enders & Bornmann 2001: 138, Hervorhebungen im Original). Der Elitenforscher Michael Hartmann nahm eine Analyse der soziale Herkunft und Ausbildung deutscher Spitzenmanager zum Anlass, die beruflichen Karrieren promovierter Ingenieure, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler zu untersuchen (Hartmann 2002). Er ermittelte, dass der Prozentsatz der promovierten Spitzenmanager der 300 größten deutschen Unternehmen 1969 bei immerhin 46,6% lag (Hartmann 1996: 62). Betrachtet man ergänzend die formale Ausbildung der Vorstandsvorsitzenden der 100 größten Unternehmen, haben nicht weniger als 45% promoviert. Mittlerweile besitzen sogar 52% der Vorstandsvorsitzenden einen Doktortitel (Hartmann 2001: 180). Bourdieus Aussagen über die zentrale Rolle des Bildungssystems und des institutionalisierten kulturellen Kapitals für die Reproduktion der gesellschaftlichen Klassenstrukturen erfahren im Hinblick auf die Promotion also eine eindeutige Bestätigung. Eine Promotion scheint geeignet die privilegierte Position innerhalb der Gesellschaft zu sichern. Gleichzeitig haben Hartmann und Mitarbeiter aber auch gezeigt, dass in Deutschland für die Besetzung von wirtschaftlichen Spitzenpositionen weniger exklusive Bildungspatente. als vielmehr persönlichkeitsbezogene Rekrutierungsmaßstäbe den entscheidenden Faktor darstellen. Die Chancen, eine Führungsposition in der Wirtschaft zu erreichen, sind für die Promovierten, die aus dem gehobenen oder dem Großbürgertum stammen, um 50 bis 100 Prozent größer als für die Promovierten aus der Arbeiterklasse oder den Mittelschichten (vgl. Hartmann 2001, 2002, 2004; Hartmann & Kopp 2001).38 Aufgrund von fehlenden Elitebildungseinrichtungen scheint in Deutschland die Reproduktion von Herrschaft nicht über ein in exklusiven Bildungseinrichtungen erworbenes „institutionalisiertes kulturelles Kapital“ zu funktionieren, sondern über den innerhalb der Familie und des dazugehörigen 38 Dieses Phänomen wird unbewusst auch sehr wohl wahrgenommen. Laut Spiegel-Umfrage glauben mit steigenden Hierarchieebenen zunehmend weniger Personen daran, dass der Doktortitel der beruflichen Karriere förderlich sei (vgl. Spiegel 1980: 41). 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland 61 Umfeldes angeeigneten klassenspezifischen Habitus. Hierzu der Elitenforscher selbst: „Der klassenspezifische Habitus wirkt in Deutschland vorwiegend direkt und nicht […] indirekt über den Erwerb exklusiver Bildungstitel. Bourdieus Aussagen über die zentrale Bedeutung dieses Habitus für die Reproduktion der gesellschaftlichen Klassenstrukturen erfahren also eine eindeutige Bestätigung, während die zur Rolle des Bildungssystems und des institutionalisierten kulturellen Kapitals in diesem Prozess in ihrer Gänze nur auf die französische Situation zutreffen, für Deutschland dagegen zumindest einer erheblichen Einschränkung bedürfen“ (Hartmann 2001: 199). Zur besseren Einordnung dieser Befunde sei schon an dieser Stelle auf ein methodisches Problem bei Hartmann verwiesen. Durch die Verengung des Fokus auf lediglich drei Fachrichtungen – wobei sich später zeigen wird, dass er damit intuitiv richtig lag – müssen diese Ergebnisse zunächst relativiert werden. Exkurs 1: Das wissenschaftliche Feld Daher wird die in Kapitel 3 – in Anlehnung an die Arbeiten von Pierre Bourdieu – formulierte These, dass die Promotion eine Reproduktionsstrategie darstellt, wodurch Individuen versuchen, in einer sich wandelnden Gesellschaft ihre soziale Position zu behaupten, weiter aufrechterhalten. Auf analytischer Ebene muss die Aufmerksamkeit aber zunächst noch auf eine weitere Tatsache gelenkt werden, die für die weitere Untersuchung von zentraler Bedeutung ist. Denn auf dem Weg zur Promotion müssen Promovierende zumindest kurzfristig das Feld der Wissenschaften „betreten“. Mit der Theorie sozialer Felder hat Bourdieu ein Konzept entwickelt, das den Anforderungen, die aus dieser Überlegung resultieren, entgegenkommt.39 Das wissenschaftliche Feld ist nach Bourdieu eine eigene soziale Welt, und als solche stellt sie Anforderungen und übt Zwänge aus, die einigermaßen unabhängig von den Zwängen der sie umgebenen sozialen (Um-)Welt sind. Die Theorie der Felder basiert auf der Vorstellung, dass moderne Gesellschaften einem fortschreitenden Differenzierungsprozess unterliegen und die arbeitsteilige Organisation in sozialen Feldern nach spezifischen Prinzipien basiert. Das Funktionieren von sozialen Feldern ist also nicht auf universelle Grundprinzipien reduzierbar, sondern jedes Feld weist seine eigene Logik, d.h. seine eigenen Funktionsprinzipien und Zugangsbedingungen auf. Dinge, die in einem Feld bedeutsam sind, können in einem anderen sozialen Feld belanglos sein. 39 Vgl. „Die Logik der Felder“ für das Bourdieusche Verständnis sozialer Felder (Bourdieu & Wacquant 1996). Zum wissenschaftlichen Feld vgl. Bourdieu (1975, 1988; 1998a). 62 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland „Was im wissenschaftlichen Feld die Menschen umtreibt und konkurrieren lässt, ist nicht dasselbe wie das, was sie im ökonomischen Feld umtreibt und konkurrieren lässt“ (Bourdieu 1998a: 145). Üblicherweise sind soziale Felder – und das gilt auch für das wissenschaftliche Feld - nicht als homogen zu verstehen (vgl. Krais 2000). Die Heterogenität der sozialen Positionen und die Auseinandersetzung um Macht und Einfluss innerhalb eines sozialen Feldes, stellen dessen konstituierende Merkmale dar. Zugang zu den Auseinandersetzungen in einem sozialen Feld bekommt aber nur, wer in einem prinzipiellen Sinn als gleich anerkannt wird. Mit der relationalen Betrachtung ist verbunden, dass die Promovierenden ihren sozialen Werdegang in Relation zu den Erfordernissen des wissenschaftlichen Feldes konstruieren (vgl. Engler 2001: 149). Der Exkurs über die Theorie der sozialen Felder dient als Denkwerkzeug, um zugrunde liegende soziale Muster der Promovierenden aufzudecken. Damit das Konzept der Dynamik sozialer Felder gerecht wird, ist es wichtig anzuerkennen, dass es nicht einfach auf einen Forschungsgegenstand übertragen werden kann, sondern je spezifischen Forschungsgegenstand – hier Promovierende – zugeschnitten werden muss. Der Begriff des Feldes ist nun dazu da, diesen „mit eigenen Gesetzen ausgestatteten Mikrokosmos“ (Bourdieu 1998b: 18) zu beschreiben. Um die Vorstellung vom sozialen Feld und den Einsatz der Akteure zu erläutern, verwendet Bourdieu oft die Metapher des Spiels. Laut Robert Merton (1985) ist das Streben nach Anerkennung der wissenschaftlichen Leistung eine wichtige Funktion in den sozialen Spielen im wissenschaftlichen Feld.40 Ob dies auch für Promovierende gilt, die keine wissenschaftliche Karriere anstreben, scheint zunächst fragwürdig. Davon abgesehen ist aber für alle Doktorandinnen und Doktoranden der Zugang zum wissenschaftlichen Feld ein entscheidendes Kriterium. Aus diesem Grund muss die Aufmerksamkeit auf Dinge gelenkt werden, die für das universitäre Umfeld bedeutsam sind, also auf formale Bildungsabschlüsse wie Abitur, Diplom oder Magister, Bachelor oder Master aber auch wissenschaftliche Hilfstätigkeiten, Mitarbeite in Lehre und Forschung, Publikationen, Abschlussarbeiten etc. Im wissenschaftlichen Feld existieren nach Bourdieu zwei Sorten wissenschaftlichen Kapitals: 40 Auch Bourdieu schreibt: „Die akademische Welt ist wie jedes soziale Universum der Ort eines Kampfes um die Wahrheit der akademischen Welt und ganz allgemein der sozialen Welt. Die soziale Welt ist ein Ort ständiger Kämpfe um den Sinn dieser Welt; das Besondere an der akademischen Welt aber ist, dass ihre Verdikte heutzutage zu den gesellschaftlich mächtigsten gehören.“ (Bourdieu & Wacquant 1996: 101). 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland 63 Auf der einen Seite die institutionalisierte, „weltliche“ Macht, die verknüpft ist mit der Besetzung herausgehobener Stellen in wissenschaftlichen Institutionen, der Mitgliedschaft in Kommissionen, mit Gutachtertätigkeiten oder der Leitung von Forschungseinrichtungen und Lehrstühlen. Diese Kapitalsorte ermöglicht Macht über Produktionsmittel (Verträge, Gelder, Posten usw.) und Reproduktionsmittel (die Macht, über Karrieren zu entscheiden oder Karrieren zu ermöglichen). Promovierende besitzen diese Form des wissenschaftlichen Kapitals nicht. Ich werde aber weiter unten zeigen, dass es der Logik des wissenschaftlichen Feldes entspricht, dass Promovierende in der Regel die Strategie verfolgen, soziales Kapital zu den Inhabern dieser Kapitalsorte zu akkumulieren. Auf der anderen Seite steht das wissenschaftliche Kapital als eine besondere Art symbolischen Kapitals, das auf der Anerkennung durch andere Wissenschaftler beruht. Innerhalb des wissenschaftlichen Feldes wird die Reputation eines Wissenschaftlers über die Höhe der erhalten Drittmittel, über die Zahl der Erwähnungen im citation index, über die Platzierung von Artikeln in referierten Fachjournalen, oder über die reine Anzahl an Übersetzungen gebildet (Bourdieu 1998b). „Das reine wissenschaftliche Kapital wird vor allem durch anerkannte Beiträge zum Fortschritt der Wissenschaft, durch Erfindungen oder Entdeckungen angehäuft (der beste Indikator sind hier Veröffentlichungen, insbesondere in hochselektiven und prestigereichen Organen, ähnlich wie symbolische Bankkredite)“ (Bourdieu 1998b: 32; Hervorhebungen im Original). Trotzdem sind die Promovierenden nicht völlig den Kräften des wissenschaftlichen Feldes ausgeliefert. Sie verfügen in ihrem Habitus gleichzeitig über feste und dauerhaft erworbene Dispositionen, die starke Restriktionen für die Laufbahn auf dem wissenschaftlichen Feld darstellen. Die gesellschaftlichen Akteure befinden sich innerhalb der Struktur in Positionen, die von ihrem Kapital abhängen und sie entwickeln innerhalb der Grenzen ihrer Dispositionen Strategien, die sich weitgehend nach dieser Position richten. 4.4 Promovierende im wissenschaftlichen Feld Dass die Regeln des wissenschaftlichen Feldes auch für Promovierende gelten, zeigt die Frage nach der Publikationstätigkeit (vgl. Tabelle 3). Publikationsaktivitäten stellen, neben dem persönlichen Austausch auf Tagungen und Konferenzen, sicher die wichtigste Form der Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten dar. Dabei – so meine These – ist es ausreichend nach der bloßen Anzahl von Publikationen zu fragen, da zu Beginn der 64 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland wissenschaftlichen Karriere eine Platzierung von Artikeln, seien es Beiträge in Sammelbänden, Tagungsbänden oder wissenschaftlichen Journals, oder selbst herausgegebene Bücher gleichermaßen schwierig ist. Zudem scheint im wissenschaftlichen Feld die reine Anzahl wissenschaftlicher Publikationen bereits als Qualitätszeichen zu gelten. Die exponentiell ansteigende Menge wissenschaftlicher Veröffentlichungen und der unter dem Slogan „publish or perish“ ausgedrückte Zwang zu quantifizierbarer Forschungsleistung scheinen diese Einschätzung zu bestätigen (vgl. Enders & Bornmann 1995b: 137-147). Tabelle 3: Publikationstätigkeit von Promovierenden Häufigkeit Gültige Prozente Keine Publikationen 624 33,8 Publikationen 1220 66,2 Gesamt 1844 100,0 Frage 41: Arbeiten Sie - abgesehen von der Dissertationsschrift selbst - während Ihrer Promotionsphase an wissenschaftlichen Publikationen? Falls Sie wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht haben, geben Sie bitte die Anzahl der Veröffentlichungen an. Ziemlich genau zwei Drittel der befragten Doktorandinnen und Doktoranden haben bereits wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. Weil wissenschaftliches publizieren in der Regel erst während der Promotionsphase beginnt, ist ein enger Zusammenhang zwischen Publikationstätigkeit und Alter wahrscheinlich. Dem entsprechend konnte bei der Korrespondenzanalyse ein deutlicher Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen von 0,204 gemessen werden. Je länger die Befragten bereits promovieren, desto mehr Publikationen können sie vorweisen. Dies Ergebnis kann als intuitiv sinnvoll angenommen werden. Mit Blick auf das kommende Kapitel sei an dieser Stelle bereits die Publikationstätigkeit nach Fachbereichen dargestellt (vgl. Abbildung 6 und Anhang: Tabelle 4). Abbildung 6 zeigt einen deutlichen Unterschied in der Publikationsaktivität nach Fachbereichen. Doktorandinnen und Doktoranden der Ingenieurswissenschaften publizieren im Durchschnitt demnach doppelt so viele wissenschaftliche Arbeiten wie Juristen. Mathematiker und Naturwissenschaftler weniger als Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaftler. 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland 65 Abbildung 6: Publikationstätigkeit nach Fachbereichen (Mittelwert) 5,0 Mittelwert: Anzahl der Publikationen 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 ur at N d un ik at m he s. at is M w es iss. st w ei rs G . eu iss n ni w ge te fts In af ha sch sc en te n irt f W iss ha tsw sc ch sen Re is w al zi So Sinnvolle Aussagen bezüglich eines fächerspezifischen Verhaltens lassen sich anhand dieser Daten allerdings nicht treffen, da unklar ist, wie viele von den befragten Doktoranden eine kumulative Dissertation anstreben.41 Die Logik des wissenschaftlichen Feldes offenbart sich aber anhand der Zusammenhänge zwischen der Publikationstätigkeit und dem Streben nach einer wissenschaftlichen Karriere. Ich habe gezeigt, dass obwohl die meisten Promovierenden keine wissenschaftliche Karriere anstreben sie trotzdem publizieren. Eigentlich wäre zu erwarten, dass diejenigen Doktorandinnen und Doktoranden sich auf das Publizieren von Artikeln konzentrieren, welche in der Zukunft eine berufliche Position im wissenschaftlichen Feld anstreben. Die sehr schwachen Zusammenhänge zwischen dem Streben nach einer wissenschaftlichen Karriere und der Publikationstätigkeit bzw. der Anzahl veröffentlichter 41 Exemplarisch die Ausführungsbestimmungen zu einer kumulativen Dissertation aus einer beliebigen Promotionsordnung: „Eine kumulative Dissertation liegt vor, wenn die Ergebnisse der Promotionsarbeit nicht in Form einer durchgängigen Schrift (Thesis), sondern in Form einer Sammlung von in der Regel mehr als 2 Publikationsmanuskripten dargestellt werden. Die Manuskripte können bereits publiziert, zur Veröffentlichung angenommen, zur Begutachtung bei Zeitschriften eingereicht oder in Vorbereitung sein. Bei mindestens zwei angenommenen Manuskripten muss der Doktorand/die Doktorandin Erstautor sein. Es kann sich um Originalarbeiten für wissenschaftliche Fachzeitschriften, um Buchbeiträge sowie um maximal einen Übersichtsartikel handeln, eine Mischung von Manuskripten in englischer und deutscher Sprache ist zulässig. Die Manuskripte müssen in einem engen fachlichen Zusammenhang stehen und durch eine übergeordnete Fragestellung verbunden sein, die durch das Thema der Dissertation ausgewiesen ist. Publikationen, die vorrangig Ergebnisse aus der Diplomarbeit darstellen, können nicht Bestandteil einer kumulativen Dissertation sein“ (Friedrich-Schiller-Universität Jena 2000: Anlage §8). 66 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland Arbeiten verwundert, verdeutlicht aber anschaulich die Logik der Felder. Unabhängig von dem Verbleib im wissenschaftlichen Feld unterwerfen sich die Promovierenden der Logik dieses Feldes, indem sie den Publikationszwängen nachgeben (vgl. Tabelle 4).42 . Tabelle 4: Zusammenhangsmaße für die Variable „Wissenschaftliche Karriere“ Publikationstätigkeit Anzahl der Publikationen Kontingenzkoeffizient 0,061 0,064 Näherungsweise Signifikanz 0,11 1,00 N= 1745 1197 a Die Null-Hyphothese wird nicht angenommen. b Unter Annahme der Null-Hyphothese wird der asymptotische Standardfehler verwendet. Bemerkenswerterweise publizieren weibliche Promovierende signifikant weniger als ihre männlichen Kollegen (vgl. Abbildung 7). Eine intensive Analyse dieser Befunde wäre geeignet, die verborgenen Mechanismen der männlichen Herrschaft (vgl. Bourdieu 2005) im wissenschaftlichen Feld aufzudecken, kann hier jedoch nicht geleistet werden. Während praktisch alle anderen Variablen geschlechtsneutral reagierten, tritt interessanterweise gerade bei dem im wissenschaftlichen Feld relevanten Kapital eine deutliche Benachteiligung der weiblichen Nachwuchswissenschaftler auf. Ergänzend sollte an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass andere empirische Untersuchungen gezeigt haben, dass weibliche Doktorandinnen auch seltener ihre Arbeiten auf Kongressen präsentieren (vgl. Gerhard, Briede & Mues 2005). Zusammenfassend ist zu sagen, dass diese Ergebnisse dafür sprechen, dass weibliche Nachwuchswissenschaftler scheinbar systematisch bei der Integration in die scientific community benachteiligt werden. 42 Der „Zwang“ zur Promotion äußerte sich auch in dem Antwortverhalten auf diese Frage. Es war mit Abstand die Frage mit den meisten falschen Antworten. So wurde regelmäßig auf die Frage, ob bereits Publikationen vorliegen, in etwa dieser Manier geantwortet: „Bald kommt die erste“; „3 weitere in Arbeit“; „noch keine“; „Promotionsschrift soll aus 3 Veröffentlichungen zusammengesetzt sein“. Dies spiegelt – finde ich – sehr gut den „Wunsch“ nach einer Publikation wieder. Immerhin 168 Doktorandinnen und Doktoranden gaben einen Kommentar zu der Tatsache, dass sie bisher keine Veröffentlichungen vorweisen können. 67 4. Über die Situation von Promovierenden in Deutschland Abbildung 7: Publikationstätigkeit nach Geschlecht (Angaben in Prozent) 80 70 72 60 60 50 40 40 Geschlecht 30 28 Männlich 20 Weiblich Keine Publikationen Publikationen Abschließend seien die wichtigsten Befunde des vierten Kapitels nochmals kurz zusammengefasst. Trotz der dargestellten strukturellen Veränderungen im deutschen Bildungswesen konnte die Promotion ihre exklusive Stellung bewahren. Es ist nicht zu einer Inflation des Doktortitels gekommen. Generell gilt, dass der Erwerb eines Doktortitels mit einem hohen gesellschaftlichen Prestige und überdurchschnittlich guten Berufschancen verbunden ist. Dieser Tatsache bewusst strebt die Mehrzahl der Promovierenden keine wissenschaftliche Karriere an, sondern plant die Universität nach Abschluss der Dissertation zu verlassen. Unabhängig von den späteren Karriereplänen betreten Doktorandinnen und Doktoranden aber dennoch das Feld der Wissenschaft und unterwerfen sich dessen Regeln und Zwängen. Anhand der Publikationstätigkeit habe ich exemplarisch aufgezeigt, dass man sich bei der weiteren Analyse der Besonderheiten des wissenschaftlichen Feldes stets vergewissern muss. Kapitel 5 Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 5.0 Argumentationsskizze Die Promotion ermöglicht – wie gezeigt – einen gehobenen sozialen und beruflichen Status. Im folgenden Kapitel werde ich klare empirische Hinweise präsentieren, die belegen, dass nicht die Leistung an der Hochschule, sonder die soziale Herkunft und der Habitus die Chancen zur Aufnahme einer Promotion bestimmen. Die Beweisführung dazu wird in vier Schritten verlaufen. Zunächst wird die Illusion des Leistungsparadigmas aufgedeckt. Dabei gelingt es mir zu zeigen, dass nicht nur die Studenten mit überdurchschnittlichen Universitätsexamen eine Promotion beginnen. Anhand der erhobenen Daten lässt sich zeigen, dass für Studierende aus höheren sozialen Schichten der Zugang nicht nur wegen besonderer Studienleistungen offen steht, sondern andere Mechanismen wirken, die eine Reproduktion des sozialen Status über die Doktortitel ermöglichen. Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht die Frage nach der sozialen Herkunft von Promovierenden. Zur Beantwortung dieser Frage wird die soziale Zusammensetzung der befragten Doktorandinnen und Doktoranden anhand der erhobenen Daten analysiert. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass es sich bei Promovierenden um Mitglieder einer sozial privilegierten Klasse handelt. Es kommt also zu einer Reproduktion sozialer Ungleichheit – ein Befund der in dieser Form gewissermaßen erwartet werden durfte. Der außergewöhnlich elitäre Charakter der Elternhäuser, aus welchen die Doktorandinnen und Doktoranden stammen, überrascht dennoch. Drittens beginne ich die verborgenen Mechanismen der Reproduktion von Herrschaft aufzudecken. Anhand der individuellen Promotionsmotive gelingt es mir zu zeigen, dass im deutschen Promotionswesen die Reproduktion über die Hierarchie der Disziplinen erfolgt. 70 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Während sich die privilegiertesten Doktorandinnen und Doktoranden überdurchschnittlich häufig für eine Karriere der Rechts-, Wirtschafts- oder Ingenieurswissenschaften entscheiden, bleiben für weniger gut Gestellte die Fächer der Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften. Zur besseren theoretischen Einordnung der Ergebnisse folgt ein kurzer Exkurs über die verborgenen Mechanismen der Macht: Den „Streit der Fakultäten“. Belegen bereits die Ausführungen zur sozialen Zusammensetzung von Promovierenden ihre privilegierte gesellschaftliche Position, wird dies in der Darstellung der Positionen im sozialen Raum besonders deutlich. Anhand der unterschiedlichen Kapitalsorten können die Mechanismen, die der Rekrutierung von Doktorandinnen und Doktoranden zugrunde liegen, anschaulich dargestellt und diskutiert werden. 5.1 Die Illusion des Leistungsparadigmas Die Promotion ermöglicht – wie gezeigt – einen gehobenen sozialen und beruflichen Status. Legitimiert wird dieser Anspruch aus der Idee einer dem Herkunftsmilieu gegenüber möglichst vorurteilslosen Auswahl der Besten für eine forschungsbezogene Weiterqualifizierung, d.h. Qualifikation und individuelle Leistung bestimmen die soziale Position in der Gesellschaft. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass für Bourdieu und Passeron die „Illusion der Chancengleichheit“ im Bildungswesen ein konstitutives Element im Konkurrenzkampf der Klassenformationen darstellt. Die Reproduktionsmechanismen der sozialen Klassenverhältnisse werden durch Leistungsideologien verschleiert und durch diesen Effekt quasi legitimiert. Da das Bildungssystem prinzipiell jedem Schüler die gleichen Chancen einräumt und es eine Vielzahl von Personen gibt, die ohne die „richtige“ Herkunft eine erfolgreiche Karriere aufweisen können, ist die statistisch beobachtbare Selektivität bei der Reproduktion der herrschenden Klasse bei oberflächlicher Betrachtung nicht zu erkennen. An diese Überlegungen anknüpfend, scheint eine Untersuchung der formalen Zugangsbedingungen zu einer Promotion sinnvoll. Ermöglichen die an der Universität erbrachten Studienleistungen den Zugang zur Promotion oder determinieren andere Faktoren den Zugang zum Doktortitel? Prüfungsnoten und Studiendauer stellen ein wichtiges Kriterium zur Leistungsbeurteilung von Studenten dar. Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist die These, dass die Bewertungsprozesse an Hochschulen – wenigstens in ausreichend großen Studiengängen - formal und bürokratisch organisiert sind, so dass die Wahrscheinlichkeit für 71 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit eine gerechte, d.h. an der bisherigen wissenschaftlichen Leistung orientierten, objektiven Bewertung relativ hoch ist. Sollte diese Annahme zutreffen, müssten die bisherigen Noten in Schule und Studium sowie die Studiendauer deutliche Signale für die Leistungsfähigkeit des potentiellen Doktoranden darstellen. Die Länge der Studienzeiten ist in Deutschland seit Jahren ein wichtiges Thema der hochschulpolitischen Diskussion (vgl. Wissenschaftsrat 2001b, 2005). So gilt die Kürze der Studiendauer gemeinhin als ein entscheidendes Kriterium für Leistungsfähigkeit beim Berufseinstieg. Prinzipiell kann die mittlere Studiendauer als ein Leistungsindikator angesehen werden, wobei allerdings keine Aussage über die wirkliche Qualität, sondern lediglich über die zeitliche Effizienz des absolvierten Studiums getroffen werden kann. Doktorandinnen und Doktoranden haben ihr Studium im Durchschnitt in fünf bis sechseinhalb Jahren absolviert (vgl. Tabelle 5). Juristen und Wirtschaftwissenschaftler haben durchschnittlich etwa ein Jahr schneller studiert als Sozial- und Geisteswissenschaftler. Die Unterscheidung in Fach- und Hochschulsemester zeigt, dass Sozial- und Geisteswissenschaftler die Studienzeit in etwa doppelt so großem Umfang für anderweitige Veranstaltungen, wie Auslandsaufenthalte oder Praxissemester nutzen als Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler. Insgesamt haben Promovierende schnell studiert. Vergleicht man die Promovierenden der jeweiligen Fachbereiche mit den durchschnittlichen Studienzeiten in Deutschland, so zeigt sich, dass (außer den Juristen) die Promovierenden schneller waren als der durchschnittliche Hochschulabsolvent. Speziell Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieure benötigten 1,5 bis 2 Semester weniger Zeit für ihr Studium. Betrachtet man also nur die Länge der Studiendauer, so scheint das meritokratische Prinzip zu wirken. Es promovieren in der Regel die Studenten, die denselben Studienumfang in wesentlich kürzerer Zeit absolvieren konnten, und daher allgemein als leistungsfähigere Studenten eingestuft werden können. Oft wird ein Zusammenhang zwischen den schulischen und universitären Leistungen vermutet (vgl. Fries 2002). Ein gutes Abschneiden im Abitur gilt als Hinweis auf besondere Studierfähigkeit. Für die Bewertung der schulischen Leistungen zeigt Tabelle 5, dass Promovierende im Durchschnitt gute Noten aufweisen. Rechtswissenschaftler erreichen einen besonders guten Notendurchschnitt (1,7 gegenüber 1,9 bis 2,0 in den anderen Fächern). Unterschiede nach Geschlecht, sozialer Herkunft oder den Wegen der Hochschulzugangsberechtigung sind für Schulnoten der befragten Doktorandinnen und 72 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Doktoranden nicht festzustellen. Es sei darauf hingewiesen, dass sich die Abiturnoten nicht als Prädiktoren für die Studienabschlussnoten eignen, denn die Korrelationen zwischen diesen beiden Noten sind in den meisten Fachbereichen – außer Sprach- und Kulturwissenschaften – nicht signifikant. Tabelle 5: Studiendauer nach Fach- und Hochschulsemestern sowie Note bei Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung, die Note der Magister- bzw. Diplomarbeit und die Note bei Studienabschluss nach Promotionsbereichen (Mittelwert) Sozialwiss. Rechtswiss. Wirtscha.wiss. Ingenieurswiss. Geisteswiss. 11,2 9,5 9,6 10,4 11,2 10,8 (12,2) (9,0) (11,0) (12,4) (11,9) (11,5) Hochschulsemester Note Hochschulz ugangsbere chtigung 12,7 10,2 10,6 11,7 12,7 11,6 2,0 1,7 2,0 2,0 1,9 1,9 Examensarbeit 1,3 - 1,4 1,1 1,2 1,2 Studienabschluss (Ø BRD) 1,9 2,5* 2,4 2,3 1,9 2,2 (1,8) (3,3) (2,3) (2,0) (1,7) (1,6) n= 216 72 154 131 322 868 Studiendauer Fachsemester (Ø BRD) Mathe u. Naturwiss. Frage 2: Mit welcher Abschlussnote haben Sie die Hochschulreife abgelegt? Frage 11: Wie viele Fachsemester haben Sie studiert? Frage 12: Wie viele Semester haben Sie insgesamt studiert? Frage 13: Mit welcher Note wurde Ihre Abschlussarbeit benotet? Frage 14: Mit welcher Gesamtnote haben Sie ihr Studium abgeschlossen? Quelle: Wissenschaftsrat (2001b). *) Im Fach Rechtswissenschaften gibt es bei der Prüfungsbewertung im Vergleich zu anderen Fächern Besonderheiten. Die Notenskala umfasst 18 Punkte und ist im Bereich befriedigend in „vollbefriedigend“ und „befriedigend“ aufgeteilt. Sie gliedert sich folgendermaßen: 18 bis 16 Punkte = sehr gut; 15 bis 13 Punkte = gut; 12 bis 10 Punkte = vollbefriedigend; 9 bis 7 Punkte = befriedigend; 6 bis 4 Punkte = ausreichend; 3 bis 1 Punkt =l mangelhaft; 0 Punkte = ungenügend. Die Prüfungsgesamtnoten der befragten Promovierenden liegen im Durchschnitt alle im Bereich „cum laude“. Dabei variieren die Durchschnittsnoten zwischen 1,9 (Geisteswissenschaften) und 2,5 (Rechtswissenschaften) um fast eine gesamte Note. Wie bei den Abiturnoten spielen Fragen der sozialen Herkunft für die Studiennoten der Promovierenden keine Rolle. Dafür erreichen Frauen – mit Ausnahme der Sozial- und Ingenieurswissenschaften – etwas bessere Studiennoten als Männer. Die Aufnahme als Promovierender ist formal an den Nachweis besonders guter Studienleistungen geknüpft. Um eine Aussage über die Qualität der erreichten 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 73 Hochschulabschlüsse der Promovierenden treffen zu können, wurden die erreichten Noten mit den Durchschnittsnoten aller Hochschulabsolventen verglichen. Hierzu wurde eine Untersuchung der Prüfungsnoten an Hochschulen im Jahr 2000 herangezogen (vgl. Wissenschaftsrat 2001b). Der Vergleich der Studienabschlussnoten der Promovierenden liefert überraschende Ergebnisse: Die befragten Promovierenden haben lediglich in den Rechtswissenschaften im Durchschnitt bessere Examen abgelegt. In allen anderen Fachbereichen liegt der Notendurchschnitt unter dem bundesweiten Fachbereichsdurchschnitt. In Mathe und Naturwissenschaften wird der Durchschnitt sogar um mehr als eine halbe Note unterschritten. Geschlechtsspezifische Unterschiede wurden nicht beobachtet.43 Diese Befunde überraschen, würde man doch die relativ „besten“ Studenten in wissenschaftlichen Nachwuchspositionen vermuten. Als Fazit ist festzuhalten: In Deutschland erwerben nicht unbedingt die Studenten mit den besten Universitätsabschlüssen den Doktortitel. Diese Ergebnisse verweisen auf deutliche Grenzen einer meritokratischen Gesellschaft. Trotzdem kann an der Hochschule nicht der gleiche Mechanismus zur Reproduktion von sozialer Ungleichheit wirken wie in der Schule. Laut Bourdieu und Passeron (1971) determinieren die Förderungs- und Bewertungskriterien des Bildungssystems die soziale Ungleichheit des Herkunftsmilieus. Empirische Studien belegen diese - durch das Bildungssystem erzeugte - „Kompetenzarmut“ von Schülern aus statusschwachen Schichten (vgl. Allmendinger 2003). Es ist aber davon auszugehen, dass alle Personen, die das Bildungswesen erfolgreich bis zur Promotion durchlaufen haben, die nötigen Kompetenzen (und Ressourcen) besitzen, um sich im wissenschaftlichen Feld sicher zu bewegen. Burkart geht vermutlich zu recht davon aus, dass die einzige wirkliche Hürde für den akademischen Erfolg die Diplomarbeit darstellt. Wer diese geschafft hat, schafft auch die Promotion und Habilitation (vgl. Burkart 2003). Es muss also eine andere Erklärung für die (wahrgenommene) Möglichkeit zur Promotion existieren. Ich werde in den nächsten beiden Kapiteln meine empirischen Befunde präsentieren, die belegen, dass nicht nur die erbrachte Leistung an der Hochschule zu einer Promotion befähigt, sondern dass die soziale Herkunft und der Habitus die Chancen zur Promotion determinieren. 43 Allerdings sind die vorgelegten Zahlen des Wissenschaftsrates mit Vorsicht zu interpretieren (vgl. Wissenschaftsrat 2001b: 13-15). Es sei auch auf die konträren Ergebnisse von Enders und Bornmann verwiesen. Beim Vergleich der Studienabschlussnoten von Promovierten mit nicht promovierten Universitätsabsolventen zeigte sich, dass erstere im Schnitt einen halben Notenpunkt besseren Studienabschluss erreichten (Enders & Bornmann 2001: 47). 74 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 5.2 Soziale Zusammensetzung der Promovierenden Zu Beginn dieser Untersuchung habe ich darauf hingewiesen, dass der empirischen Promotionsforschung lediglich einige ambivalente Ergebnisse im Bezug auf die Frage nach der sozialen Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden vorliegen. Ziel meiner Ausführungen ist es, diese Lücke zu schließen. Im Hinblick auf die Chancengleichheit beim Zugang zur Promotion ist zu prüfen, inwieweit schichtenspezifische Beteiligungsunterschiede vorliegen. Betrachtet man die berufliche Stellung der Väter - die entsprechenden Angaben für die Mütter bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt, da diese mehrheitlich eine „niedrigere“ berufliche Position einnehmen wird deutlich, dass etwa ein Drittel der Promovierenden einen Vater in führender Position, als Beamter im höheren Dienst oder als Angestellter mit umfassenden Führungsaufgaben, hat. Hingegen ist nur etwa jeder sechste Doktorand in einer Familie aufgewachsen, in welcher der Vater überwiegend als Arbeiter, einfacher Beamter oder Angestellter mit einfachen Tätigkeiten beschäftigt war (vgl. Anhang: Tabelle 5). Kurz: Der Berufsstatus des Vaters kann als Indikator dafür gelten, dass Promovierende tendenziell zu einer eher privilegierten sozialen Schicht gehören. Allerdings entsprechen diese schichtspezifischen Beteiligungsunterschiede ziemlich genau der sozialen Selektion, die bereits beim Zugang zum Studium wirkt (vgl. BMBF 2004b). Zudem ist die Gruppenbildung grob, so dass das ausgewiesene Bild unscharf sein dürfte. Das volle Ausmaß der bestehenden sozialen Unterschiede wird erst sichtbar, wenn man die herkömmlichen Kategorien sozialer Gliederung nach beruflicher Stellung des Familienvorstandes mit Hilfe der Bildungsabschlüsse der Eltern weiter differenziert. Dann zeigt sich nämlich, dass Promovierende eine überdurchschnittlich hohe Bildung genossen haben. Mit Hilfe dieser zusätzlichen Differenzierung erhält man in Bezug auf das hier verfolgte Auswertungsziel wesentlich homogenere soziale Kategorien, denn die Bildung der Eltern – also ihr kulturelles Kapital – bestimmt in starkem Maße den Bildungsweg der Kinder. Daher werden die Bildungsabschlüsse der Eltern herangezogen, um die Vererbung von Bildung sichtbar zu machen. Die meisten Promovierenden (ca. 90%) haben laut eigenen Angaben die Hochschulreife auf dem klassischen Bildungsweg über das Abitur am Gymnasium erworben. Andere allgemein bildende Schulen, wie Fachgymnasien, 75 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Fachoberschulen, Gesamtschulen, Abendgymnasien und Kollegs wurden nur vereinzelt besucht. Dabei zeigten sich nur marginale Unterschiede beim Vergleich nach Geschlecht und Promotionsfach, wohl aber nach sozialer Herkunft. Promovierende aus einem Akademikerhaushalt haben die allgemeine Hochschulreife zu einem höheren Anteil an einer allgemein bildenden Schule erworben als Promovierende aus bildungsfernen Schichten. Um weitere Informationen über die soziale Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden zu sammeln, wurden Fragen nach den höchsten allgemein bildenden Schul- und den höchsten Berufsqualifizierenden Abschlüssen der Eltern gestellt (vgl. Kapitel 5.4.2). Exemplarisch sei die Wirkung der Bildungsherkunft am prozentualen Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung über das Gymnasium dokumentiert (vgl. Tabelle 6). Tabelle 6: Relativer Besuch eines Gymnasiums nach Bildungsherkunft der Eltern (in Prozent) Besuch eines Gymnasium Promotion Hochschulabschluss Fachhochschulabschluss Abitur Mittlere Reife Hauptschulabschluss 95,7 93,5 92,3 90,4 87,6 86,9 Frage 1: Über welchen Bildungsweg haben Sie Ihre Studienberechtigung erworben? In allen Fachbereichen stammen fast zwei Drittel der Promovierenden aus einem akademischen Elternhaus (vgl. Abbildung 8). Jeder sechste Doktorand hat sogar mindestens ein Elternteil, welches bereits selbst eine Promotion erfolgreich abgeschlossen hat. Diese Zahlen sind bei weitem genug um mit Blick auf die soziale Struktur der Gesamtbevölkerung von einer Bildungsvererbung sprechen zu können (vgl. ausführlich Bargel, Multrus & Ramm 2005). Vergleicht man diesen Befund mit Erhebungen über die soziale Herkunft des akademischen Mittelbaus (Bochow & Joas 1987) und von Doktorandinnen und Doktoranden (Enders & Bornmann 2001) früherer Kohorten, so fällt auf, dass für Promovierende in den achtziger und neunziger Jahren keine entsprechende Statusvererbung beobachtet werden konnte. Die Befunde deuten auf eine zunehmende soziale Schließung der Promotion für nichtakademische Schichten hin. Lag der Anteil derjenigen Personen aus höheren Bildungsschichten, die ein Studium abgeschlossen haben, 1950 noch bei drei und 1960 bei etwa vier Prozent, so weisen die Daten des Mikrozensus Quoten von sechs Prozent im Jahre 1970 und neun Prozent im Jahre 1980 aus. 1990 wurde eine Quote von zwölf Prozent ermittelt und Mitte der neunziger Jahre von 15 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt: 1956ff.). Damit dürfte deutlich werden, dass Doktoranden über ein überdurchschnittlich 76 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit hohes „Bildungskapital“ verfügen, da die bundesweite Quote um bis zu 45% überschritten wird. Abbildung 8: Bildungsherkunft der Eltern44 (Angaben in Prozent) 70 60 60 50 40 30 20 16 14 10 6 0 s u ch s lu fe le ei h sc R hs oc hu sc e )H Ab pt r r le in i tt i tu au Ke H M Ab hac (F le Schließlich sollen noch die Einkommensschichten - also das ökonomische Kapital - von Promovierenden dargestellt werden. Dazu wurden die Promovierenden gebeten, dass NettoJahreseinkommen ihrer Eltern zu schätzen. Zur besseren Beurteilung der Verteilung der Markteinkommen von den Eltern der befragten Promovierenden auf die Gesamtbevölkerung wurden die Einkommenskategorien auf aussagekräftige Kennzahlen aus dem Armutsbericht der Bundesregierung bezogen (vgl. Tabelle 7). Einige Bemerkungen mögen das Verständnis dieser Tabelle erleichtern. Den Angaben des Armutsberichtes zufolge lag der Median des Nettoäquivalenzeinkommen45 der Bevölkerung in Deutschland 2003 bei 18.768 €. Als „einkommensreich“ werden Haushalte definiert, wenn sie über mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens der Bevölkerung verfügen. Für das aktuell verfügbare Jahr 1998 ergibt sich eine Anzahl von 3,6 Millionen einkommensreichen 44 Es zählt der jeweils höchste Schulabschluss eines Elternteils. Kein Abschluss bedeutet, dass beide Elternteile keinen Schulabschluss besitzen. 45 Haushaltsnettoeinkommen (Markteinkommen zuzüglich laufender Transfers abzüglich Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil bzw. unterstellte Beiträge für Beamte) und Steuern dividiert durch die Summe der Äquivalenzgewichte der Haushaltsmitglieder nach der neuen OECD-Skala (vgl. Bundesregierung 2004). 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 77 Personen46 in Deutschland. Das entsprechende Nettoäquivalenzeinkommen, um zu den Reichsten 1 % der deutschen Gesamtbevölkerung zu gehören, wurde 1998 auf 65.273 € beziffert. Lediglich knapp 609.000 Personen verfügten über ein Nettoäquivalenzeinkommen, das diese Summe überstieg (vgl. Bundesregierung 2004). Tabelle 7: Durchschnittliches Nettoeinkommen der Eltern Häufigkeit Prozent Unterhalb des Nettoäquivalenzeinkommen (< 18.768 €) 124 6,7 Oberhalb des Nettoäquivalenzeinkommen (> 18.768 €) 213 11,5 Einkommensreich (> 37.536 €) 733 39,4 Reichstes 1% (> 65.273 €) 191 10,5 Keine Angabe 594 31,9 Gesamt 1859 100 Frage 50: Bitte schätzen Sie: Wie hoch war das Netto-Jahreseinkommen Ihrer Eltern? Die befragten Promovierenden schätzten das gemeinsame Nettoeinkommen ihrer Eltern im Durchschnitt auf eine Summe zwischen 50.000 € und 60.000 €. Diese Summe entspricht ungefähr dem dreifachen Nettoäquivalenzeinkommen und würde bedeuten, dass etwa die Hälfte der Befragten zu dem reichsten einen Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung gehört. Eine derart geringe Vertretung von Doktorandinnen und Doktoranden aus sozioökonomisch „niedrig“ einzustufenden Elternhäusern unter den befragten Promovierenden ist bemerkenswert und bedarf daher weiterer Klärung. Ein Blick auf die Einkommensschichten der Eltern von Studierenden zeigt, dass die dargestellte Nettoeinkommensverteilung durchaus realistisch ist. Im Jahr 2000 verfügten in der Bundesrepublik Deutschland 27% der Studierendeneltern, d.h. die von knapp 500.000 Studenten, über ein Nettoeinkommen von mehr als 36.828 € (vgl. BMBF 2001: 125). Dem stehen geschätzte 115.000 Doktoranden und 46 Leider beziehen sich die verwendeten Zahlen einmal auf den gesamten Haushalt und ein anderes Mal auf steuerpflichtige Personen. Da üblicherweise innerhalb der Kernfamilie keine Gütertrennung praktiziert wird, soll diese Unterscheidung nicht weiter stören. 78 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Doktorandinnen gegenüber. Vergleicht man diese Zahlen miteinander, wäre es theoretisch sogar möglich, dass die Nettoeinkommen der Promovierendeneltern noch höher liegen. Aber wie verlässlich sind die ermittelten Zahlen? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass fast ein Drittel der befragten Doktorandinnen und Doktoranden die Frage nicht beantwortet hat. Daten zur Einkommenssituation gelten als höchst sensibel, weswegen mit Antwortausfällen zu rechnen war. Dabei haben die meisten Befragten darauf hingewiesen, dass ihnen das Nettoeinkommen ihrer Eltern unbekannt ist. Die Ergebnisse sind also nicht als repräsentativ zu betrachten. Hinzu kommt das methodische Problem, dass die Kategorien in Zehntausender Schritten sehr groß gewählt wurden, wodurch weitere Verzerrungen der statistischen Datenlage möglich sind.47 Unabhängig der angeführten Argumente sind die Informationen über das Nettoeinkommen von Promovierenden als deutlicher Hinweis auf überdurchschnittlich hohes ökonomisches Kapital zu interpretieren. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Promovierende aus privilegierten sozialen Verhältnissen stammen. Die soziale und familiäre Abhängigkeit beginnt bei den Übergängen im Primarund Sekundarschulwesen, setzt sich fort bei den Entscheidungen im Übergang zu tertiären Ausbildungsgängen und resultiert in einer hohen sozialen Selektivität im Promotionswesen. Kurz zusammengefasst: Die Reproduktion sozialer Ungleichheit - wie sie im gesamten Bildungswesen zu beobachten ist - findet gleichermaßen in der Promotionsphase statt. Für die weitere Untersuchung sind zwei weitere Befunde von Interesse. Offenbar verdeckt der Reproduktionsmechanismus die männliche Herrschaft. Der Anteil der von weiblichen Doktoranden abgelegten Promotionsprüfungen liegt derzeit bei einer Quote von 39% (vgl. Statistisches Bundesamt 2006). Die soziale Herkunft der befragten Personen unterscheidet sich allerdings kaum nach geschlechtsspezifischen Merkmalen: Doktorandinnen weisen zwar gegenüber Doktoranden in der Regel eine etwas höhere Bildungsherkunft auf, unterscheiden sich aber nicht systematisch nach der beruflichen Position der Väter – trotzdem wird auf diesen Punkt zurückzukommen sein. Minimale - kaum beobachtbare - Unterschiede bezüglich der sozialen Zusammensetzung der Promovierenden zeigen sich hingegen im Fachbereichsvergleich. Während die Väter der promovierenden Juristen, Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler die höchsten beruflichen Positionen und das höchste Nettoeinkommen aufweisen, finden sich bei den Geistes-, Sozial47 Dieses methodische Vorgehen wurde als Reaktion auf den Pretest gewählt. Ursprünglich wurden die Promovierenden aufgefordert, das Nettoeinkommen ihrer Eltern „frei“ anzugeben. Erste praktische Erfahrungen zeigten jedoch, dass diese Frage überwiegend nicht beantwortet wurde. 79 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit und Naturwissenschaftlern überwiegend die Väter mit sozial etwas schwächeren Berufen. Ein ähnliches Muster zeigt der Fächervergleich nach Bildungsherkunft. Während Promovierende in den Rechtswissenschaften zu 77,1% und in den Ingenieurswissenschaften zu 65,8% einem akademischen Elternhaus entstammen, sind dies in den vier anderen Fachbereichen nur etwa 60%. Bourdieu und Passeron (1971) haben kritisiert, dass sehr selten die verborgenen Mechanismen zur Kenntnis genommen werden, in denen sich die Ungleichheiten der Bildungschancen manifestieren: Die Abdrängung der Kinder aus den unteren und mittleren Klassen auf bestimmte Fakultäten oder die Verlängerung oder Unsicherheit im Studiengang. Daher gelten die nun folgenden Bemühungen dem Versuch, die verborgenen Relationen zwischen den Promotionsfächern aufzudecken. 5.3 Entschluss zur Promotion und Promotionsmotive Die individuelle Entscheidung zu promovieren ist mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Zielsetzungen verbunden, die grundsätzlich so vielfältig sind wie die „Verwendungsmöglichkeiten“ der Promotion in universitären und außeruniversitären Bereichen. Grundsätzlich unterstelle ich aber, dass gerade die Motivation für eine Promotion von den habituellen Dispositionen einer Person beeinflusst wird. Die eingenommene Position hängt eng mit der Struktur des Habitus zusammen, der wiederum abhängig ist von der genossenen Ausbildung und der Dauer und dem Zeitpunkt der „Lehrjahre“ in der Familie und an der Universität. Für die Ermittlung der Promotionsgründe wurden die Befragten aufgefordert, siebzehn mögliche Promotionsmotive auf einer ordinalen Skala von 1=„traf völlig zu“ bis 6=„traf nicht zu“ zu bewerten. Da es sich um eine rückwirkende Einschätzung der Promotionsentscheidung handelt, ist es allerdings wahrscheinlich, dass die Antworten durch Erfahrungen während der laufenden Promotionsphase verzerrt werden. Gleichwohl unterscheiden sich die Ergebnisse meiner Studie kaum von vorherigen Untersuchungen, bei denen Doktoranden mit einem vergleichbaren (Holtkamp, FischerBluhm & Huber 1986: 43) oder identischen (Enders & Bornmann 2001: 47-51) Frageraster befragt worden waren. Vielmehr überrascht die Konstanz der angeführten Promotionsmotive über einen Zeitraum von 20 Jahren. Vermutlich beruht die extreme Homogenität der Promovierenden auf der Ähnlichkeit des Habitus, der aus identischen Selektions- und 80 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Ausbildungsbedingungen entstanden ist und zugleich objektiv identische Praxen und Selektionsverfahren reproduziert. Die individuellen Antwortmuster, die Promovierende für den Entschluss zu promovieren angegeben, lassen sich in drei Dimensionen einteilen (vgl. auch Enders & Bornmann 2001): 1. Wissenschaft: In dieser Kategorie lassen sich Antworten bündeln, die allgemein das Interesse, die Fähigkeit und die Begabung für wissenschaftliche Forschung betonen und speziell die Methoden, Theorien und Erkenntnisse eines Fachgebietes hervorheben. Zudem kann wissenschaftliches Arbeiten der persönlichen Entfaltung dienen. 2. Beruf und Karriere: Hierunter werden Angaben zusammengefasst, die sich auf eine Verbesserung der späteren Berufs- und Aufstiegschancen, eine Voraussetzung für einen angestrebten Beruf, ein höheres Einkommen und einen gesicherten Arbeitsplatz durch die Promotion beziehen. 3. Moratorium: Diese Kategorie umfasst Begründungen, welche die Promotionsphase als Aufschubspassage interpretieren und im engen Zusammenhang zur privaten Lebenssituation stehen. Sei es, dass die Promotion zufällig begonnen wurde, dass die Promotion die kurzfristige Sicherung des Lebensunterhaltes ermöglichte, dass ein Zeitgewinn für die Zukunftsplanung im Vordergrund stand oder der Verbleib in der Universitätsstadt angestrebt wurde. Es handelt sich um Antworten, welche Hinweise darauf geben, dass eine Promotion die Aufgabe einer „Wartehalle“ erfüllt. Die Antworten zeigen, dass für Promovierende das Interesse an der Forschung und wissenschaftlicher Arbeit das zentrale Motiv für die Promotionsentscheidung darstellt (vgl. Abbildung 9). Etwa 60% der Befragten beurteilen dieses Motiv als völlig zutreffend, wobei Geisteswissenschaftler, Mathematiker, Naturwissenschaftler und Sozialwissenschaftler ihre wissenschaftlichen Neigungen deutlicher betonen als Wirtschaftswissenschaftler, Juristen und Ingenieure. Insgesamt motiviert das Interesse für wissenschaftliches Arbeiten 95% der Promovierenden (wenn auch in unterschiedlichem Maße). Die außerordentlich starke Betonung wissenschaftlicher Motivation darf allerdings nicht überbewertet werden: Die Zahlen spiegeln wohl auch das sozial erwünschte Bild vom Wissenschaftler wieder, wie es auch von den Befragten selbst empfunden wird. Eben diese Illusion des wissenschaftlichen Feldes kontrastiert auch Bourdieu. Er kommentiert: 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 81 „Es ist mit anderen Worten das Feld, oder genauer gesagt, die antiökonomische Ökonomie und der geregelte Wettbewerb in ihm, die diese besondere Form der illusio hervorbringen, eben das wissenschaftliche Interesse, ein Interesse, das im Verhältnis zu den herkömmlichen Interessen des Alltags (und insbesondere denen des ökonomischen Feldes) als uneigennützig, unentgeltlich erscheint“ (Bourdieu 1998b: 27). Abbildung 9: Promotionsmotive nach Promotionsfachbereichen (Mittelwert) 82 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Insofern sind nicht die 95% an wissenschaftlicher Arbeit Interessierten überraschend, sondern eher die 5% (immerhin 93 Doktoranden), die ihren Promotionsentschluss nicht damit in Zusammenhang bringen. Hierzu zählen insbesondere Wirtschaftswissenschaftler (10,3%) und Rechtswissenschaftler (12,6%), die ihre Promotion nicht mit einem Interesse an wissenschaftlicher Forschung begründen. Neben dem Interesse für die Wissenschaft stellt die potentielle berufliche Verwertbarkeit ein häufig genanntes Promotionsmotiv dar. 80% der Befragten versprechen sich durch die Promotion eine Verbesserung der späteren Berufschancen. Ein Drittel stimmt dieser Aussage sogar völlig zu. Etwa jeder Zweite erwartet zudem ein höheres Einkommen im späteren Beruf. Allerdings unterscheidet sich die „Chancenverbesserung“ grundlegend nach Fachbereichen. Für Biologen und Chemiker ist die Promotion faktische Voraussetzung für den späteren Einstieg ins Berufsleben.48 Ganz anders ist die Situation bei den Ingenieuren, Wirtschaftswissenschaftlern und Juristen. Um den angestrebten Beruf erreichen zu können, ist eine Promotion nicht unbedingt erforderlich, da es genügend berufliche Alternativen gibt. Trotzdem versprechen sich gerade die promovierenden Vertreter dieser Fächergruppen verbesserte Aufstiegschancen und höhere Einkommen. Gesellschafts- und Sozialwissenschaftler hingegen äußern sich deutlich pessimistischer, was als Hinweis auf eine mangelnde Verwertbarkeit des Doktortitels in diesen Fachbereichen gedeutet werden kann. Gegenüber den wissenschaftsimmanenten und karrierebezogenen Begründungen für die Entscheidung zur Promotion werden alle Antwortvorgaben, die eine aufschiebende Motivation unterstellen konsequent - von allen Fachbereichen - abgelehnt. Treffend beurteilen diese Beobachtung Enders und Bornmann. Sie schreiben: „Gegenüber […] wissenschafts- oder berufs- bzw. karrierebezogenen Motiven für die Entscheidung zu promovieren werden alle Antwortvorgaben, die auf eine Moratoriumsfunktion der Promotion für die Befragten schließen lassen, besonders einhellig abgelehnt. Auch Germanisten und Sozialwissenschafter, also Promovierte jener Fächer, denen häufig nachgesagt wird, dass sie die Doktorandenlaufbahn mangels beruflicher Alternativen einschlagen, äußern sich hierzu meistens ablehnend“ (Enders & Bornmann 2001: 51). 48 Hebt man die gewählten Fachbereichskategorien für einen kurzen Moment auf und analysiert die Fächer einzeln, so zeigt sich, dass Biologen und Chemiker am stärksten betonen, dass die Promotion Voraussetzung für den angestrebten Beruf ist, nichts anderes in Frage kam und bessere Aussichten auf einen sicheren Arbeitsplatz ermöglicht. 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 83 Zusammenfassend ergibt sich eine bemerkenswerte Dichotomie. In den Naturwissenschaften, den Rechtswissenschaften, den Ingenieurwissenschaften und den Wirtschaftswissenschaften sind die Promotionsabsichten extrinsischer Natur. Während die Naturwissenschaftler vor allem den Zwang zur Promotion als eigentlichen berufsqualifizierenden Hochschulabschluss hervorheben, spekulieren Ingenieure, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler auf positive Karrierevorteile im außeruniversitären Bereich. Geistes- und Sozialwissenschaftler betonen stärker ihre intrinsische Motivation. Mathematiker – in diesem Fall getrennt von den Naturwissenschaften betrachtet – bringen dabei eine besonders ausgeprägte Identifikation mit ihrer Wissenschaft zum Ausdruck. In den dichotomen Promotionsmotiven manifestiert sich die Trennung in zwei Bildungszweige. Die Zweiteilung in Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften vs. Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften offenbart den zugrunde liegenden Reproduktionsmechanismus sozialer Ungleichheit auf der Ebene der höchsten Bildungstitel. Zur Bestätigung dieser Befunde lassen sich zwei weitere Beobachtungen heranziehen. Meine Daten zeigen überraschenderweise keinen Zusammenhang zwischen der Frage nach einer wissenschaftlichen Karriere und dem Alter der Promovierenden. Üblicherweise gilt: Je älter ein Doktorand ist, desto mehr Zeit hat er an einer Hochschule verbracht und die Gelegenheit gehabt, seine Vorstellungen vom wissenschaftlichen Feld zu modifizieren. Die Beobachtung, dass die Aufenthaltsdauer offenbar keinen Einfluss auf die Verbleibswahrscheinlichkeit im wissenschaftlichen Betrieb ausübt, mag überraschen. Andererseits haben die befragten Promovierenden im Schnitt fast sechs Jahre studiert und genügend Zeit gehabt, universitäre Arbeitsbedingungen kennen zu lernen. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass Promovierende bereits zu Beginn der Promotion klare Vorstellungen über den weiteren Zukunftsverlauf haben. Vor dem Hintergrund, dass die berufliche Biographie von Doktorandinnen und Doktoranden scheinbar bereits vor Beginn der Promotion „feststeht“, sei nochmals auf die elementare Aussagekraft der eben dargestellten Promotionsmotive verwiesen. Zweitens offenbart sich in der Frage nach einer wissenschaftlichen Karriere – wie zuvor bei den Promotionsmotiven – dieselbe fachspezifische Zweiteilung. Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaftler erwägen einen Verbleib im wissenschaftlichen Betrieb, während in den Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften eine vermeintlich lukrative Position außerhalb der Forschung angestrebt wird (vgl. Tabelle 8). Im Vergleich der Fächer berichteten Ingenieure (85,3%) am häufigsten, dass der Promotionsabschluss sie für den außeruniversitären Bereich qualifizieren soll, gefolgt von den Rechtswissenschaftlern 84 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit (83,1%) sowie den Wirtschaftswissenschaftlern (80,3%). Bei den Sozial- und Gesellschaftswissenschaftlern hingegen strebt etwa jeder zweite eine wissenschaftliche Karriere an. Bei den Mathematikern und Naturwissenschaftler planen sogar zwei Drittel diesen Karriereschritt. Tabelle 8: Neigungen zu einer wissenschaftlichen Karriere nach Fachbereichen (in Prozent) Sozialwiss. Rechtswiss. Wirtscha.wiss. Ingenieurswiss. Geisteswiss. Mathe u. Naturwiss. 46,3 16,9 19,7 14,7 45,9 33,8 Keine Karriere geplant 53,7 83,1 80,3 85,3 54,1 66,2 n= 205 71 147 129 314 832 Karriere geplant Frage 42: Planen Sie eine Habilitation bzw. eine wissenschaftliche Karriere? Es zeichnet sich also eine Teilung in zwei gegenüberstehende Promotionsfachbereichsgruppen ab. Diesen Effekt hatte ich in dieser Form so nicht erwartet und daher nicht in die methodologischen Vorüberlegungen mit aufgenommen. Es wird daher notwendig, den theoretischen Fokus zu erweitern und sich mit dem Verhältnis der Fächergruppen zueinander näher zu beschäftigen. Dazu werde ich mich auf ein spezielles Argument in den bildungssoziologischen Arbeiten von Pierre Bourdieu konzentrieren, nämlich dem „Streit der Fakultäten“ (Bourdieu 1988: Kapitel 2). Um das Verhältnis von der Hierarchie der Disziplinen zum Verhältnis der sozialen Positionen besser bewerten zu können, soll ein zweiter Exkurs über die Bourdieusche Analyse der Fächerhierarchie mögliche theoretische Unklarheiten klären. Exkurs 2: Der Streit der Fakultäten Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron haben ausführlich die Zusammenhänge von sozialer Herkunft und Studienerfolg bei französischen Studierenden untersucht. Zusammenfassend kommen sie zu folgendem Ergebnis: „Die Chancen für den Hochschulbesuch sind das Ergebnis einer Auslese, die die gesamte Schulzeit hindurch mit einer je nach der sozialen Herkunft der Schüler unterschiedlichen Strenge gehandhabt wird; bei den unterprivilegierten Klassen führt dies ganz einfach zu Eliminierung“ (Bourdieu & Passeron 1971: 20) 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 85 Dass eben diese Eliminierung sozial schwacher Schichten auch in Deutschland stattfindet, wurde in Kapitel 3 ausführlich dargelegt. Folgen wir der Argumentation von Bourdieu und Passeron etwas. Wie bereits angedeutet, prägt die soziale Herkunft die Entscheidung für eine bestimmte Studienfachrichtung (vgl. auch Preißer 1988). Die Ungleichheit der Bildungschancen zeigt sich demnach in der Einschränkung der Studienfachwahl. Noch einmal die Autoren: „Die Kinder der unterprivilegierten Klassen werden unmittelbar eliminiert; die wenigen übrig gebliebenen sind in ihren Wahlmöglichkeiten stark eingeengt. Diese Studenten bezahlen den Besuch der Hochschule, die ihnen nicht fünf, sondern nur zwei Pforten öffne, mit der Unfreiwilligkeit ihrer Entscheidung für die Philosophische oder Naturwissenschaftliche Fakultät“ (Bourdieu & Passeron 1971: 25). Zur Rangfolge der Fächer führt Bourdieu an anderer Stelle aus: „Die Verteilungsstruktur der verschiedenen Hochschuleinrichtungen je nach den sozialen und Bildungsmerkmalen ihrer Hörerschaft entspricht sehr genau […] ihrer Verteilungsstruktur nach sozialen Merkmalen und dem Bildungsgang ihrer Professoren: So stammen Studenten der Medizin und Rechtswissenschaften häufiger als ihre Kommilitonen der philosophischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten aus der herrschenden Klasse bzw. aus deren ökonomisch favorisierten Fraktionen (Industrielle und freie Berufe). Bekannt ist weiter, dass Medizin und Jura in ökonomisch ranghöhere Berufszweige führen als Geistes- und Naturwissenschaften (Bourdieu 1988: 90). Zur besseren Illustration ist die Hierarchie der Fächer in Tabelle 9 graphisch dargestellt. Der Hauptgegensatz offenbart sich nach Bourdieu in der Verteilung des ökonomischen und kulturellen Kapitals. Während die Mitglieder der Medizinischen Fakultäten über das höchste und die Mitglieder der Naturwissenschaftlichen Fakultäten über das geringste ökonomische Kapital verfügen, verhält es sich beim kulturellen Kapital gerade umgekehrt. Die naturwissenschaftlichen Fakultäten besitzen das höchste kulturelle Kapital, während die medizinischen Fakultäten bei dieser Kapitalsorte das Schlusslicht in der Hierarchie der Fächer bilden. 86 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Tabelle 9: Hierarchie der Fächer nach Bourdieu (Kulturelles Kapital) Naturwissenschaftliche Fakultät ↕ Philosophische Fakultät ↕ Rechtswissenschaftliche Fakultät ↕ Medizinische Fakultät (Ökonomisches Kapital) Quelle: Bourdieu (1988: 91). Jugendliche treffen bereits mit der Wahl des Studienfaches die weitgehende Entscheidung für einen Berufsbereich, wobei Traditionen, Erwartungen und Wünsche im Elternhaus eine entscheidende Rolle spielen (vgl. für einen empirischen Beleg z.B. Spiegel 1980: 42). Dabei ist davon auszugehen, dass Studienanfänger von zu Hause ein subtiles Bewusstsein von der hierarchischen Ordnung der wissenschaftlichen Disziplinen mit an die Hochschule bringen. Natürlich wirkt die Hierarchie der Fächer nur unbewusst und manifestiert sich allenfalls in statistischen Relationen, trotzdem wissen letztlich alle über den „Wert“ eines bestimmten Studienganges Bescheid. Das dem so ist, belegt folgende Beobachtung: „Sind Akademiker bei geselligen Anlässen unter sich, kann durchaus die Bemerkung fallen, dass der eigene Sohn nichts Rechtes, sondern leider nur Soziologie oder Ethnologie studiert“ (Schmeiser 2003: 9, Hervorhebungen im Original). An diesem Beispiel wird leicht deutlich, dass die verschiedenen akademischen Studiengänge, bewusst oder unbewusst, in eine wertende Rangreihe gebracht werden. Man denke hierbei insbesondere an die stereotypen Zuschreibungen eines Philosophie- oder Soziologiestudiums bzw. eines VWL- oder Jurastudiums. Andererseits hat die Arbeitsmarktund Absolventenforschung bekanntlich seit längerem gezeigt, dass sich mit der Fachzugehörigkeit nicht nur unterschiedliche Chancen auf den Arbeitsmärkten verbinden, sondern auch deutliche Segmentierungen nach berufsfachlichen Arbeitsmärkten bestehen. Letztlich funktioniert dieser Mechanismus nach demselben Code wie der Rest des Bildungssystems. Im dem das Bildungswesen die Illusion von einer prinzipiellen Gleichheit der Fachdisziplinen produziert, legitimiert es überhaupt erst die soziale Reproduktion von 87 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Ungleichheit. Denn natürlich gibt es auch Soziologen oder Germanisten mit führenden Positionen in der Wirtschaft. Die Elimination wird natürlich ebenfalls von den Betroffenen wahrgenommen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass Absolventen teilweise sogar nach der Promotion die gewählte Fachrichtung in Frage stellen. So gaben fertige Doktoranden der Fachrichtung Higher Education im Nachhinein wegen (vermuteter) besserer Berufschancen an, eine Promotion in Betriebswirtschaftslehre „bevorzugen“ zu würden (vgl. Schwarz 2000). Trotzdem wird die Hierarchie der Fächer im wissenschaftlichen Diskurs kaum thematisiert. Andrea Frank fast diese Haltung folgendermaßen zusammen: „Die hierarchische Ordnung der Disziplinen ist innerhalb der scientific community auf eigentümliche Art und Weise tabuisiert, alle wissen darum, aber man spricht nicht darüber. So gibt es kaum explizite Beschreibungsversuche, die in Form von Unterscheidungsangeboten diese hierarchische Ordnung zu erklären suchen“ (Frank 1990: 105). Welchen Einfluss das Wissen um die Hierarchie der Disziplinen auf die Reproduktion von sozialer Ungleichheit hat, ist schwierig zu untersuchen. Denn die sozial- oder geisteswissenschaftlichen Fakultäten können auch als „Refugium“ für Studenten aus der Oberschicht dienen. „Sozial zum Studium ‚verpflichtet’ wenden sie sich mangels wirklicher Berufung Fächern zu die wenigstens den Schein gesellschaftlicher Legitimation verbürgen“ (Bourdieu & Passeron 1971: 25). Man kann die Unterschiede, die nicht nur in den Karrieren, sondern auch in den Praxen und Ideologien von Promovierenden verschiedener Fakultäten und selbst verschiedener Disziplinen zu beobachten sind, deswegen nur dann verstehen, wenn man die Hypothese akzeptiert, dass diese Einheiten viele verschiedene Märkte darstellen. Um den Exkurs über die Hierarchie der Disziplinen zu schließen, muss nochmals auf die Besonderheit des deutschen Bildungssystems eingegangen werden. Durch die Abwesenheit von Elitebildungseinrichtungen – so die formulierte These – besitzt einzig der Doktortitel die nötige Exklusivität, um einen entscheidenden Vorteil gegenüber konkurrierenden Klassenformationen um gesellschaftliche Spitzenpositionen zu gewährleisten. Im Folgenden werde ich zeigen, dass die These von der „Hierarchie der Disziplinen“ auch für Deutschland zutrifft und sich beim Erwerb des Doktortitels sichtbar manifestiert.49 Deswegen werden im 49 Natürlich ist diese Erkenntnis nicht neu: Eine Zusammenschau, die ein soziales Profil der Fächergruppen vermittelt und auch politische und gesellschaftliche Orientierungen einbezieht, ist die Langzeitstudie Studiensituation und studentische Orientierungen, welche seit Anfang der achtziger Jahre an Universitäten und Fachhochschulen durchgeführt wird (vgl. exemplarisch Bargel, Multrus & Ramm 2005). Dabei wurden 88 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Anschluss an diese theoretischen Ausführungen die sozialen Positionen der Doktorandinnen und Doktoranden ausführlich dargelegt und gezeigt, dass sich bei verschiedenen Aspekten einer Promotion die soziale Ungleichheit der Disziplinen statistisch offenbart. So rekrutieren die Rechtswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurswissenschaften sozial stärkere Schichten, während die Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften und 50 Naturwissenschaften den weniger Privilegierten vorbehalten bleiben. 5.4 Positionen im sozialen Raum Die familiären Existenzbedingungen determinieren und strukturieren das zur Verfügung stehende ökonomische, soziale und kulturelle Kapital, mit dessen Hilfe die befragten Personen die Promotion erreicht haben. Dazu gehören die unterschiedlichen finanziellen Absicherungen des Bildungsweges, aber auch die Kulturtechniken wie Redegewandtheit, das Gespür für den richtigen Ton sowie Durchsetzungsvermögen, Sicherheit im Auftreten, Eloquenz oder „arrogante“ Gelassenheit. Diese Schlüsselqualifikationen werden durch die frühe Vertrautheit mit dem akademischen Milieu gewonnen und dauerhaft im primären Sozialisationsprozess geprägt, so dass sie als natürliche Eigenschaften der Persönlichkeit erscheinen. Im Anschluss an Bourdieus Konzept des mehrdimensionalen sozialen Raumes, gilt es die Frage zu klären, ob Promovierende eine gemeinsame klassenspezifische Kapitalstruktur teilen. Die Reproduktionsstrategien, mit denen die Kapital besitzenden Klassen, bewusst oder unbewusst, ihre Positionen in der Struktur der Klassenbeziehungen durch Sicherung oder Mehrung ihres Kapitalbesitzes zu halten oder zu verbessern suchen, hängen von Unfang und Struktur des zu reproduzierenden Kapitals ab, d.h. vom aktuellen und potentiellen Umfang des ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals. Ich habe bereits ausführlich dargelegt, dass Promovierende über ein sehr hohes kulturelles und ökonomisches Kapital verfügen. Eine grundsätzliche Herausforderung für eine Theorie symbolisch vermittelter Ungleichheiten besteht aber darin, theoretisch und empirisch nachvollziehbar darzulegen, ob und unter welchen Umständen dies der Fall ist. Zur Unterstützung dieser These werden die Kapitalbestände der Promovierenden noch genauer ausgeprägte Unterschiede der Zusammensetzung der Studentenschaft nach soziodemographischen Merkmalen, nach Indikatoren für Berufserfahrung und Studienverlauf sowie nach politischen Orientierungen zwischen den Fächergruppen deutlich. 50 Allerdings mahnen die Befunde von Absolventenstudien zur Vorsicht vor generalisierenden Aussagen über unterschiedliche Beschäftigungschancen nach Hochschulart und Fachrichtung (vgl. Teichler 2003: Kapitel 10). 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 89 analysiert. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, beschränke ich mich auf die Darstellung des ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals. 5.4.1 Ökonomisches Kapital Bourdieu verweist immer wieder auf die strukturell bedingte Dominanz des ökonomischen Kapitals. Er schreibt beispielsweise: „Man muss somit von der doppelten Annahme ausgehen, dass das ökonomische Kapital einerseits allen anderen Kapitalarten zugrunde liegt, dass aber andererseits die transformierten und travestierten Erscheinungsformen des ökonomischen Kapitals niemals ganz auf dieses zurückzuführen sind, weil sie ihre spezifischsten Wirkungen überhaupt nur in dem Maße hervorbringen können, wie sie verbergen (und zwar zu allererst vor ihrem eigenen Inhaber), dass das ökonomische Kapital ihnen zugrunde liegt und insofern, wenn auch nur in letzter Instanz, ihre Wirkungen bestimmt “ (Bourdieu 1983: 196; Hervorhebungen im Original). Der Bourdieuschen Argumentation folgend, dass das ökonomische Kapital allen anderen Kapitalarten zugrunde liegt, beginne ich die Darstellung der Positionen von Promovierenden im sozialen Raum mit der ökonomischen Kapitalstruktur. An die Überlegungen des vorherigen Exkurses anknüpfend, soll zunächst geprüft werden, inwiefern ein Zusammenhang zwischen der Verteilung des ökonomischen Kapitals auf die verschiedenen Promotionsfachbereiche zu beobachten ist. Es wurde bereits dargelegt, dass Promovierende über ein überdurchschnittlich hohes ökonomisches Kapital verfügen. Das durchschnittliche Elterneinkommen der befragten Doktorandinnen und Doktoranden entspricht etwa dem Dreifachen des bundesweiten Durchschnittseinkommens und dürfte auch über dem durchschnittlichen Akademikereinkommen liegen. Aus dieser Tatsache resultiert eine Problematik für die Analyse von Ähnlichkeitsmaßen, welche nur schwierig zu lösen ist. Da praktisch alle befragten Promovierenden über ein sehr hohes ökonomisches Kapital verfügen, lässt sich nur ein schwacher Einfluss (Kontingenzkoeffizient = 0,129) auf die Wahl der Promotionsfachbereiche beobachten (vgl. Tabelle 10). 90 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Tabelle 10: Zusammenhangsmaße zwischen Höhe des ökonomischen Kapital und Fachbereich Wert Nominal- bzgl. Nominalmaß Phi Cramer-V Kontingenzkoeffizient Anzahl der gültigen Fälle Näherungsweise Signifikanz ,130 ,000 ,130 ,129 1236 ,000 ,000 a Die Null-Hyphothese wird nicht angenommen. b Unter Annahme der Null-Hyphothese wird der asymptotische Standardfehler verwendet. Es sei zunächst festgehalten, dass ein signifikanter Zusammenhang besteht. Tabelle 11 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen dem Nettoeinkommen der Eltern im Fächervergleich. Zur besseren Übersicht wurden die Kategorien zu „Normalverdienern“ und „Einkommensreichen“ zusammengefasst. Tabelle 11: Nettoeinkommen der Eltern im Fächervergleich (in Prozent) Sozialwiss. Rechtswiss. Wirtschaftswiss. Ingenieurswiss. Geisteswiss. Mathe u. Naturwiss. Normalverdiener (< 37.536 €) 33,8 14,0 18,7 14,8 31,0 26,9 Einkommensreich (>37.536 €) 66,2 86,0 81,3 85,2 69,0 73,1 Gesamt 100 100 100 100 100 100 n= 151 57 107 88 226 573 Bei den Nettoeinkommen der Eltern offenbart sich die Bedeutung der Fächerwahl. Während angehende promovierte Juristen, Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler zu über 80% zu den einkommensreichen Haushalten zählen, sind es bei Mathematik und Naturwissenschaften nur 73,1%, bei den Geistes- und Sozialwissenschaften sogar unter 70%. Um detaillierte Aussagen über die materielle Ausstattung von Promovierenden treffen zu können, wurden die Doktorandinnen und Doktoranden auch zu ihrer Lebenssituation während des Studiums befragt. Zunächst sei der signifikante Zusammenhang zwischen der Fächerwahl und dem monatlich zur Verfügung stehenden Geld illustriert (vgl. Tabelle 12). Ermittelt wurde ein Zentralwert der Einnahmeverteilung für die befragten Promovierenden von 530 Euro, d.h. 50% der Promovierenden hatten geringere, 50% höhere Einnahmen. Im Vergleich 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 91 zu vorliegenden Zahlen zur Studienfinanzierung und den Einnahmen von Studierenden sind die genannten Beträge allerdings als äußerst fragwürdig einzustufen. Für das Jahr 2000, in welchem laut Altersstruktur die meisten Promovierenden ihr Studium noch nicht beendet hatten, ermittelte das Deutsche Studentenwerk einen Median von 665 Euro (BMBF 2004: 152). Gerade im Hinblick auf die hohe soziale Herkunft von Promovierenden und dem angegebenen Nettoeinkommen der Eltern ist davon auszugehen, dass dieser Wert nicht dem wirklich zur Verfügung stehenden Geldbetrag entspricht. Tabelle 12: Monatlich zur Verfügung stehendes Geld während des Studiums Rechtswissenschaften 650 € Wirtschaftswissenschaften 600 € Geisteswissenschaften 600 € Sozialwissenschaften 520 € Ingenieurswissenschaften 500 € Mathematik und Naturwissenschaften 500 € Frage 8: Wie viel Geld stand Ihnen während Ihres Studiums monatlich durchschnittlich zur Verfügung? Trotzdem sind die genannten Zahlen von einigem Interesse. Unterstellt man den Promovierenden eine systematische Fehleinschätzung der damals zur Verfügung stehenden Geldbeträge, so kann die relationale Rangfolge noch immer als Indiz für einen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Fachwahl herangezogen werden. Den Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlern steht am meisten Geld zur Verfügung. Mathematiker, Sozial- und Naturwissenschaftler mussten im Studium mit wesentlich weniger Geld auskommen. Die Differenz beträgt zwischen 100 € und 150 € zwischen den höchsten und niedrigsten Vermögen.51 Die Finanzierung einer Promotion stellt eine entscheidende Hürde auf dem Weg zum Doktortitel dar. Zur Finanzierung der Promotion verfügen Promovierende in der Regel über mehrere Einkommensquellen (vgl. Tabelle 13, sowie Enders & Bornmann 2001; Gerhardt, Briede & Mues 2005). Dies wird aus der Vielzahl der Mehrfachnennungen auf die Frage nach Finanzierungsquellen während der Promotionsphase deutlich. 51 Für weitere Informationen zur Finanzierung des Lebensunterhalts während des Studiums vgl. Tabelle 6 im Anhang. 92 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Betrachten wir zunächst, wie die Promotionen insgesamt finanziert werden. Am häufigsten tragen Stellen an Universitäten und Forschungseinrichtungen zur Finanzierung bei (45,1%). An zweiter Position stehen drittmittelfinanzierte Anstellungen (31,6%), an dritter Position rangieren Promotionsstipendien (26,0%) und an fünfter Stelle die Graduiertenförderung (11,7%). Die Finanzierung einer Promotion durch Angehörige (15,4) und eigene Ersparnisse (lediglich 0,6%) spielen eine untergeordnete Rolle. Tabelle 13: Finanzierung des Lebensunterhaltes während der Promotion, Häufigkeiten der Nennung in Prozent (Mehrfachnennungen) Zahl der Nennung % der Fallzahl Stellen an Universitäten, Forschungseinrichtungen 843 45,1 Drittmittelfinanzierte Stellen 591 31,6 Promotionsstipendien 487 26,0 Unterstützung durch Angehörige 288 15,4 Graduiertenförderung 219 11,7 Erwerbstätigkeit außerhalb der Wissenschaft 210 11,2 Tätigkeit als Hilfskraft, Werksvertrag 133 7,1 sonstige Quellen 40 2,1 eigene Ersparnisse 12 0,6 Zahl der Nennungen insgesamt 2.823 Frage 39: Welcher der unten genannten Finanzierungswege sichert Ihnen während der Promotionsphase in der Hauptsache den Lebensunterhalt? Diese Befunde zeigen, dass das ökonomische Kapital nicht direkt die Möglichkeiten zur Promotion determiniert. Trotz hoher materieller Besitzstände finanzieren sich Doktorandinnen und Doktoranden in der Mehrheit über Finanzierungsmöglichkeiten, die es grundsätzlich allen sozialen Schichten ermöglichen würde zu promovieren.52 Trotzdem ist natürlich davon auszugehen, dass ein wohlhabendes Elternhaus die nötige finanzielle Sicherheit liefert, eine Promotion zu beginnen. 52 Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass mittels der Erhebungsmethoden fast nur Promovierende in Anstellungsverhältnissen erreicht wurden. Andererseits ist nicht davon auszugehen, dass sozial schwache Personen eine externe Promotion ohne Finanzierungsmöglichkeit beginnen würden. 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 93 Wieder sei darauf verwiesen, dass auch bei der Vergabe von finanziell attraktiven Positionen im wissenschaftlichen Feld deutliche Unterschiede nach Fach und Geschlecht existieren. Frauen besetzen seltener Mitarbeiter- und Drittmittelstellen (-12%), sondern finanzieren ihre Promotion häufiger über Stipendien (+5%), über Erwerbstätigkeit außerhalb der Wissenschaft (+2%) und über die Unterstützung durch Angehörige (+3%). Gerhardt, Briede und Mues welche dieselbe Geschlechterdifferenz bemerken - erklären die Ungleichverteilung der Finanzierung von Frauen und Männern über die verschiedenen Fächergruppen: „Ungefähr die Hälfte der Befragten sind Doktoranden der Mathematik, Naturwissenschaften und Ingenieurswissenschaften. Hier herrschen Promotionen auf Mitarbeiterstellen vor und der Frauenanteil der Doktoranden liegt nur bei ca. einem Drittel, was sich entscheidend auf das Gesamtergebnis auswirkt“ (Gerhardt, Briede & Mues 2005: 82). Unabhängig dieser schlüssigen - und inhaltlich korrekten - Erklärung sei der geschlechtsspezifische Unterschied aber festgehalten: Bedeutsam ist dieses Ergebnis nämlich im Hinblick auf die weiteren Karrieremöglichkeiten von Frauen im wissenschaftlichen Betrieb. Bisherige Befunde der Doktorandenforschung deuten darauf hin, dass Inhaber von Stellen im Wissenschaftsbereich mehr fachliche Kontakte haben als alle anderen Gruppen (vgl. z.B. Czock & Wildt 1985: 88). Fachliche Isolation aber führt zu Arbeitsschwierigkeiten. Aus den dargestellten Zahlen folgt, dass männliche Doktoranden mehr Positionen innerhalb eines organisierten wissenschaftlichen Kontextes innehalten, d.h. über wesentlich direkteren Kontakt zu anderem wissenschaftlichen Personal verfügen. Weibliche Doktorandinnen hingegen werden über die Stellenvergabe subtil aus dem wissenschaftlichen Feld gedrängt. Tabelle 14 zeigt die angegebenen monatlichen Netto-Einkommen der befragten Doktoranden. Demnach verdienen Doktoranden der Ingenieurswissenschaften im Durchschnitt ca. 1500 € und liegen damit wesentlich höher als alle anderen Fachbereiche. Gefolgt werden sie von den Promovierenden der Wirtschaftswissenschaften mit 1200 € und der Rechtswissenschaften mit etwa 1160 €. Finanzielle Schlusslichter bilden wieder die Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften mit jeweils unter 1100 € im Durchschnitt. Methodisch ist auf zwei Besonderheiten hinzuweisen. Die Standardabweichungen sind mit bis zu 632 € vom Mittelwert besonders groß, was ein Hinweis darauf ist, dass der Mittelwert ein schlechter Repräsentant ist. Andererseits deckt das arithmetische Mittel auf diese Weise wieder einmal die bereits angeführte Dichotomie zwischen den Promotionsfachbereichen auf. Bezüglich der Entlohnung konnte kein Zusammenhang zur Bildungsherkunft oder zum elterlichen ökonomischen Kapital festgestellt werden, was als klares Zeichen dafür gewertet werden 94 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit muss, dass die Entlohnung nach Fachbereichen organisiert wird. Bemerkenswert ist aber, dass gerade die Fächer, wo Personen aus unteren sozialen Schichten überrepräsentiert promovieren, das niedrigste monatliche Durchschnittseinkommen aufweisen. Tabelle 14: Durchschnittliches monatliches Netto-Einkommen Promotionsfächer N Standardabweichung Mittelwert Sozialwissenschaften 216 407,542 1066,20 Rechtswissenschaften 72 545,585 1157,08 Wirtschaftswissenschaften 154 632,009 1200,14 Ingenieurswissenschaften 131 541,160 1560,18 Geisteswissenschaften 322 476,206 1064,54 868 383,861 1089,37 1822 468,380 1120,57 Mathematik und Naturwissenschaften Insgesamt Die ökonomische Ressourcenausstattung der einzelnen Klassenformationen erlaubt eine unterschiedliche finanzielle und zeitliche Investition in die Promotion. Gleichzeitig bildet das ökonomische Kapital die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Studienentscheidung und für die Studienfachwahl. Beispielsweise stellt eine außerordentlich lange durchschnittliche Studiendauer in manchen Studienfächern ein unkalkulierbares Risiko dar. Ähnliches gilt für Studienfächer mit so hohen Leistungsanforderungen, dass die Studierenden ihr gesamtes Zeitbudget darauf verwenden müssen. Dadurch wird die Möglichkeit zu einer eventuell notwendigen finanziellen Absicherung des Studiums durch zusätzliche Erwerbsarbeit ausgeschlossen und das entsprechende Studienfach ebenfalls zu einem hohen Risiko. Für die Promotion gelten diese Mechanismen nicht, was daran liegt, dass – wie gezeigt – fast alle Promovierenden ein sehr hohes ökonomisches Kapital besitzen und Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden (vgl. Anhang: Abbildungen 1 und Abbildung 2). 5.4.2 Kulturelles Kapital Die „Kompetenzen sozialer Art“ um im wissenschaftlichen Feld zu bestehen, werden überwiegend durch das kulturelle Kapital der Familie vermittelt. Die soziale Herkunft der befragten Promovierenden wurde bereits dargestellt. Dabei wurde auch darauf hingewiesen, 95 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit dass ein Sechstel der Doktoranden aus einem promovierten Elternhaus stammt (vgl. Tabelle 15). Tabelle 15: Bildungsherkunft der Promovierenden* nach Promotionsbereichen (in Prozent) Sozialwiss. Rechtswiss. Wirtscha.wiss. Ingenieurwiss. Geisteswiss Mathe u. Naturwiss. Gesamt 13,4 25,7 11,7 19,0 15,6 15,1 15,5 HochSchule 33,0 37,1 33,8 31,7 31,5 33,3 32,8 Fachhochschule 13,9 14,3 13,8 15,1 17,5 13,8 14,5 9,1 8,6 5,5 4,0 4,5 5,5 5,8 Mittlere Reife 14,8 7,1 18,6 16,7 14,0 18,6 16,7 Hauptschule 15,3 7,1 15,9 13,5 16,9 13,1 14,1 Kein Abschluss 0,5 - 0,7 - - 0,6 0,4 Gesamt 100 100 100 100 100 100 100 n= 209 70 145 126 308 834 1692 Promotion Abitur *) Höchster Bildungsabschluss der Eltern (von Mutter oder Vater) Frage 47: Haben Verwandte von Ihnen promoviert? Bitte geben Sie auch den Verwandtschaftsgrad an! Frage 51: Welchen höchsten Schulabschluss hat bzw. hatte Ihr Vater? Frage 52: Welchen höchsten Schulabschluss hat bzw. hatte Ihre Mutter? Frage 53: Welchen höchsten beruflichen Abschluss hat bzw. hatte Ihr Vater? Frage 54: Welchen höchsten beruflichen Abschluss hat bzw. hatte Ihre Mutter? Es wurde in diesem Fall keine Unterscheidung getroffen, ob Vater, Mutter oder beide promoviert sind. Entscheidend für den primären Sozialisationsprozess ist lediglich, dass ein Familienmitglied promoviert ist. Genauso wirken natürlich aber auch andere Verwandte auf den Habitus der Promovierenden. Laut Bourdieu ist davon auszugehen, dass Mitglieder dieser Klassenformationen den Nutzen eines Doktortitels eher richtig beurteilen. Deswegen können auch alle anderen Verwandten als Beleg für institutionalisiertes kulturelles Kapital herangezogen werden. Dabei würde man erwarten, dass sich ein Doktortitel umso stärker auf eine potentielle Promotion auswirkt, je enger der Kontakt, d.h. der Verwandtschaftsgrad ist. In eben diesem Zusammenhang weist Preißner auf die Bedeutung der Statusposition der Großeltern hin. Akademische Berufsgruppen (z.B. Ärzte, Apotheker) scheinen über eine 96 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit mehrere Generationen gepflegte akademische Tradition und eine hohe Selbstrekrutierungsrate zu verfügen (vgl. Preißner 1988: 406). Um weitere Hintergrundinformationen über die familiäre Situation von Promovierenden zu schaffen, wurde nach der promovierten Verwandtschaft gefragt. Dabei stellte sich heraus, dass insgesamt 39,5% der Befragten promovierte Verwandtschaft haben. Zwei interessante Randnotizen seien vermerkt. Während noch ein genereller Zusammenhang zwischen Fachbereichswahl und Bildungsherkunft des Elternhauses beobachtet werden konnte, zeigte sich kein signifikanter Einfluss einer promovierten Verwandtschaft auf die Promotionsfachbereiche. Dies könnte dafür sprechen, dass von zuhause generell der Wert der Promotion betont wird und dieser höher gestellt wird als das entsprechende Fach. Zum anderen zeigt sich ein starker Zusammenhang zwischen promovierter Verwandtschaft und der Qualität der beruflichen Stellung (Kontingenzkoeffizient 0,285). Den Zusammenhang verdeutlicht graphisch Abbildung 10. Die linken Balken stehen für Doktoranden, die angaben über keine promovierte Verwandtschaft zu verfügen, die rechten Balken verfügen über promovierte Verwandtschaft. Deutlich sieht man den Zusammenhang zwischen promovierten Familienmitgliedern und dem geschätzten Nettoeinkommen der Eltern. Dies verdeutlicht nochmals die privilegierte Position von Inhabern eines Doktortitels. Abbildung 10: Zusammenhang zwischen der promovierten und nicht-promovierten Verwandtschaft und dem ökonomischen Kapital 100 80 80 72 60 65 60 40 40 35 Einkommen < 18.768 € 28 20 20 Einkommen > 18.768 € Einkommen > 37.536 € 0 Einkommen > 65.273 € Keine Promotion Promotion 97 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Als Fazit können wir festhalten: Die differentielle Weitergabe von institutionalisiertem kulturellen Kapital funktioniert ungebrochen. 5.4.3 Soziales Kapital Weil traditionelle Rekrutierungsmechanismen im wissenschaftlichen Feld teilweise nicht mehr greifen, beginnen Promovierende – so die hier vertreten These – auf ihr jeweiliges Netz von Beziehungen zurückzugreifen. Bereits Bourdieu, Boltanski und Maldidier verweisen explizit auf die Rolle von sozialem Kapital an Hochschulen. Sie schreiben: „Es folgt daraus, dass in diesen Disziplinen die Zugangschancen zur Forschung und mehr und mehr auch die zur Lehre tendenziell mindestens genauso stark vom Umfang von der Mannigfaltigkeit und von der Qualität des Gefüges universitär rentabler sozialer Beziehungen abhängen wie von ihrem akkumulierten Bildungskapital“ (Bourdieu, Boltanski & Maldidier 1981: 144). Besonderen Einfluss auf die Reproduktion von sozialen Strukturen an den Hochschulen kommt den Professoren zu, welchen die Auswahl von Studenten für Hilfskraft-, Mitarbeiterund Assistentenstellen obliegt. Mit Bourdieus Worten: „Offenbar übertragen die für die Rekrutierung verantwortlichen ordentlichen Professoren, sofern die verfügbare Arbeitskraftreserve ihnen dies erlaubt, jene Prinzipien, welche sie mehr unbewusst als bewusst bei der Wahl ihrer Kollegen leiten, auch auf die Auswahl ihrer Assistenten“ (Bourdieu, Boltanski & Maldidier 1981: 130). Allerdings ist an deutschen Massenuniversitäten - je nach Fach - der Kontakt zwischen Studenten und Dozenten in der Regel nicht sehr ausgeprägt. In einer Bourdieuschen Lesart kann daher der reine persönliche Kontakt, d.h. Professor und Studierender kennen einander womöglich nur beim Namen, bereits als soziales Kapital gewertet werden. Denn wie Huber gezeigt hat, werden Studierende, die als besonders befähigt erachtet werden oder in besonderer Weise die Aufmerksamkeit der Dozierenden auf sich gezogen haben, bereits während der letzten Studienphasen durch die Mitarbeit als wissenschaftliche Hilfskraft oder forschungsbezogene Abschlussarbeiten nach und nach in die Forschungsarbeit integriert (vgl. Huber 1986). Wie aber lenken Studierende die Aufmerksamkeit der Dozenten auf sich? Gleich, Meran und Bargel kamen in ihrer Untersuchung über die Beziehungen zwischen Studenten und Hochschullehrern unter anderem zu dem Ergebnis, „dass mit zunehmender Schulbildung der Eltern das Problem der Kontaktaufnahme zu Hochschullehrern geringer wird. Für Studenten, 98 deren 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Eltern Volksschul- oder Realschulabschluss aufweisen, dürften also sozialisationsbedingte Verhaltensunsicherheiten gegenüber den Hochschullehrern eine Rolle spielen“ (Gleich, Meran & Bargel 1982: 76-77). Der „universitäre Habitus“ (Bourdieu, Boltanski & Maldidier 1981: 134) scheint also die entscheidende Rolle zu spielen. Um herauszufinden, welche Bedeutung persönliche Kontakte bei der Besetzung von Promotionsstellen haben, wurden die Doktorandinnen und Doktoranden über die persönlichen Kontakte zu ihrem Promotionsbetreuer befragt. Tabelle 16 stellt die verschiedenen Strategien der „Betreuersuche“ dar. Persönliche Kontakte, soviel sei hier vorweggenommen, spielen zur Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine besonders wichtige Rolle. Über die Hälfte der Befragten antwortete, dass sie bereits vor der Promotionsphase ihren Betreuer persönlich kannten. Immerhin 12% sind über persönliche Empfehlungen, gleichfalls eine Form sozialen Kapitals, zu ihrer jetzigen Stelle gelangt. Von den Personen, welche angaben selbstständig gesucht bzw. direkt einen Professor oder eine Professorin angefragt zu haben, hatte bereits ein Fünftel Kontakt zum späteren Betreuer. Die Ergebnisse lassen auch vermuten, dass nicht die Hochschullehrer sich ihre Doktoranden suchen, sondern dass Hochschulabsolventen sich auf die Suche nach einem Doktorvater begeben. Dabei wird anscheinend aus dem Pool bekannter Professoren gewählt. Mehrfach wurde bisher auf Fachunterschiede hingewiesen. Bei der wichtigen Frage nach persönlichen Kontakten zeigt sich auch hier ein relativ starker Zusammenhang (Kontingenzkoeffizient = 0,212). Bei den Sozial- und Geisteswissenschaften sind die meisten persönlichen Kontakte zwischen Doktorandinnen und Professoren zu beobachten, bei den Rechtswissenschaften und Ingenieuren wurden etwas weniger persönliche Kontakte angegeben. Das gleiche Kontaktverhalten zeichnet sich aber bereits im Studium ab (vgl. Gleich, Meran & Bargel 1982: 84). Es ist daher davon auszugehen, dass die Bedeutung von sozialem Kapital für die Rekrutierung von Doktorandinnen und Doktoranden in allen Fachbereichen gleichermaßen von immenser Bedeutung ist. 99 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Tabelle 16: Arten der Betreuersuche, Häufigkeiten der Nennung in Prozent (Mehrfachnennungen) Zahl der Nennung % der Fallzahl Durch persönlichen Kontakt 1047 57,5 Selbstständige Suche/ Auf direkte Anfrage 555 30,5 Über Stellenangebote 320 17,6 Über Empfehlungen 218 12,0 Zufall 55 3,0 Aufnahme in ein Graduiertenkolleg – Zuteilung des Betreuers Initiative vom Betreuer 11 0,6 7 0,4 Keine Angabe 5 0,3 Zahl der Nennungen insgesamt 2200 N= 1820 Frage 35: Wie haben Sie Ihre Promotionsstelle bzw. Ihren Betreuer/ Ihre Betreuerin „gefunden“? Die besondere Bedeutung des sozialen Kapitals erklärt auch die hohe Zahl Promovierender ,die an der gleichen Universität promovieren an der sie ihren Universitätsabschluss erworben haben (vgl. Abbildung 11). Knapp 56% der Befragten gab an, an der „Heimatuniversität“ zu promovieren. Zwischen beiden Variablen existiert ein deutlicher Zusammenhang (Kontingenzkoeffizient = 0,428). Dieser Befund ist äußerst interessant, wenn man sich nochmals die in Kapitel 4 beschriebene Stellenknappheit an deutschen Universitäten vor Augen führt. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass Studienabschluss und freie Promotionsstelle terminlich über einander fallen sehr gering, vielmehr implizieren die empirischen Ergebnisse, dass die Promotionsstellen bereits vor dem Freiwerden intern weiter vergeben bzw. temporär zurückgehalten werden, bis der „geeignete“ Kandidat die Stelle besetzen kann. 100 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Abbildung 11: Promotion an der „Heimatuniversität“ 60 56 50 44 40 30 20 10 0 "Heimatuniversität" "Fremduniversität" Wie aber kommt der persönliche Kontakt zwischen Studenten und Professorinnen zustande? Um detaillierte Aussagen über das soziale Kapital von Promovierenden im wissenschaftlichen Feld zu Beginn ihrer Promotion treffen zu können, wurden die Promovierenden die über persönliche Kontakte verfügten aufgefordert, zu erklären, wie dieser Kontakt entstanden ist (vgl. Tabelle 17). Tabelle 17: Entstehung des Kontaktes zum Promotionsbetreuer, Häufigkeiten der Nennung in Prozent (Mehrfachnennungen ) % der Fallzahl Zahl der Nennung Betreuung der Abschlussarbeit 779 43,2 Seminar/ Veranstaltung 567 31,4 Hiwi/ Mitarbeit am Institut 421 23,3 Betreuung von Tutorat/ Praktikum 149 9,3 Private Kontakte 63 3,5 Fachliche Kontakte, z.B. Tagungen, Konferenzen 15 0,8 Prüfer der Abschlussprüfung 12 0,7 Zahl der Nennungen insgesamt 2053 n=1047 Frage 36: Falls Sie bereits vor Beginn der Promotionsphase persönlichen Kontakt zu Ihrem Doktorvater/ zu Ihrer Doktormutter hatten, wie kam dieser Zustande? 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 101 Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass eine solche Fragestellung eine originär qualitative Sozialforschung erfordern würde. Andererseits zeigten stichprobenartige Nachfragen, dass sich die verschiedenen Kontaktvarianten zu den dargestellten Kategorien „zusammenfassen“ lassen. Grundsätzlich entsteht der Kontakt zwischen künftigem Doktorkind und Promotionsbetreuung durch die Betreuung der Abschlussarbeit (43,2%) oder in universitären Veranstaltungen (31,4%). Eine entscheidende Rolle spielen aber auch die Einstellung als wissenschaftliche Hilfskraft (23,3%) oder Tutorin (9,3%). Durch die Möglichkeit mehrere Kontaktarten gleichzeitig abzufragen, wurde deutlich, dass die Promovierenden über unterschiedlich starke persönliche Kontakte verfügen. Dabei zeigte sich, dass die Promovierenden, die über besonders viele Kontakte verfügen, fast alle bereits als wissenschaftliche Hilfskraft bei ihrem Betreuer gearbeitet haben. In der Regel haben wissenschaftliche Hilfskräfte also auch Seminare und Vorlesungen bei diesen Hochschuldozenten besucht, waren als Tutor oder Praktikumsbetreuer für sie tätig und haben oftmals die Abschlussarbeit bei ihm geschrieben. Um zu kontrollieren, ob der jetzige Betreuer bereits einen Einfluss auf die Promovierenden während des Studiums hatte, wurden die Promovierenden ergänzend zu ihrer subjektiven Einschätzung über die Bedeutung ihres Promotionsbetreuers für ihre wissenschaftliche Ausrichtung befragt (vgl. Anhang: Tabelle 7). Für knapp ein Drittel der befragten Doktoranden bildetet ihr Betreuer bereits während des Studiums eine wichtige Orientierungshilfe (Kontingenzkoeffizient = 0,344). Eines der interessantesten Ergebnisse der Untersuchung zeigte sich bei der Frage nach der Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft. So gaben fast drei Viertel der befragten Doktorandinnen und Doktoranden an, während ihres Studiums als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet zu haben (vgl. Abbildung 12). Auch wenn keine aktuellen Vergleichszahlen vorliegen53, so kann definitiv ausgeschlossen werden, dass 75% aller Studenten als studentische Hilfskräfte angestellt sind. Der Anteil studentischer Hilfskräfte am Gesamtpersonalbestand an deutschen Hochschulen betrug laut Statistischem Bundesamt im Jahr 1997 etwa 42.000 Personen (entspricht immerhin 9,7% am Gesamtpersonalbestand). 53 Irritierenderweise werden die Personalzahlen nicht mehr mit den studentische Hilfskräften ausgewiesen (vgl. exemplarisch die Grund- und Strukturdaten 2003). Die aktuellsten Zahlen stammen daher von 1997. 102 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Abbildung 12: Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft während des Studiums (in Prozent) 80 74 60 40 26 20 0 Kein HiWi HiWi Bezieht man diese Zahl auf die Gesamtzahl aller Studierenden, so stehen einer Stelle als studentische Hilfskraft circa 42 verfügbare Studenten gegenüber. Die bundesweite Quote für studentische Hilfskräfte beträgt lediglich 2,5%. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass von den hier genannten 1341 Doktorandinnen und Doktoranden die während ihres Studiums als studentische Hilfskraft angestellt waren, gleichzeitig 702 Personen (51,1%) auch ein Tutorat oder ein Forschungspraktikum betreut haben. Wie sind diese Beobachtungen zu bewerten. Hilfreiche Erkenntnisse liefert in diesem Zusammenhang eine empirische Studie zu studentischen Hilfskräfte an der PhillipsUniversität Marburg. Die Beschäftigungsverhältnisse von studentischen Hilfskräften, so ein Ergebnis der Studie, sind prekär. Die Analyse der Arbeitsverhältnisse studentischer Beschäftigter hat gezeigt, dass sie nicht auf langfristige Planung und finanzielle Absicherung ausgelegt sind. Sie haben zu geringe Beschäftigungsumfänge, relativ kurze Vertragslaufzeiten und unzureichende Vergütungssätze. Studium und Lebenshaltungskosten sind allein mit studentischen Jobs an Hochschulen nicht finanzierbar. Ein signifikantes Ergebnis der Marburger Hilfskraftstudie ist die Beobachtung, dass studentische Beschäftigte sich in erster Linie aus finanziell privilegierteren Schichten rekrutieren. „Die prekären Erwerbsverhältnisse an der Marburger Universität sind in den meisten Fällen deshalb ohne dramatische Folgen, 103 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit weil viele studentische Beschäftigte durch ihre Eltern finanziell abgesichert sind“ (Regelmann 2005: 26). Die dargestellten Sachverhalte zeigen, dass Promovierende bereits während des Studiums begonnen haben, soziales Kapital zu akkumulieren. Tätigkeiten als studentische Hilfskraft und die Leitung von Tutoraten oder Forschungspraktika können als „Strategien sozialer Investitionen“ im wissenschaftlichen Feld verstanden werden. Da praktisch alle befragten Personen aus ökonomisch besser gestellten Haushalten stammen, scheinen ökonomische Motive eine sekundäre Rolle zu spielen. Die Ergebnisse lassen sogar vermuten, dass die Beschäftigung als studentische Hilfskraft eine geeignete Strategie ist um den Zugang zu einer Promotion zu erlangen. Zugleich handelt es sich aber auch um einen äußerst subtilen Reproduktionsmechanismus sozialer Ungleichheit. Die Tatsache, dass die meisten studentischen Beschäftigten in sehr privilegierten Akademikerhaushalten aufgewachsen sind, lässt vermuten, dass bei der Rekrutierung der Habitus als unausgesprochenes Auslesekriterium fungiert. Denn wenn ein Dozent einen Studenten anspricht bei ihm studentische Hilfskraft zu werden - was immerhin für die Hälfte der Marburger Hilfskräfte zutraf - dann ist es wahrscheinlich, dass er eine Person auswählt zu der der Professor eine Art unsichtbare Verbindung hat und mit der er sich vorstellen kann, später, z.B. als Doktorand weiter zusammen zu arbeiten. Das Angehörige des wissenschaftlichen Mittelbaus und Professoren in vielerlei Hinsicht ein Hochschul- und Weltbild teilen, haben Enders und Teichler herausgearbeitet: Sie haben im Durchschnitt ähnliche Vorstellungen, welchen Stellenwert ihr Fach und ihre Hochschule für sie hat, was ihnen wissenschaftliche Freiheit bedeutet und was die Hochschule für die Gesellschaft leisten soll; nur geringfügige Unterschiede zwischen Universitätsprofessoren und Mittelbauangehörige zeigen sich in ihren Aussagen zur Qualifikation der Studierenden und zur Hochschulverwaltung. Ebenso sind die Mittelbauangehörigen wie die Universitätsprofessoren der Meinung, dass das deutsche System der Qualifizierung für Forschung und Lehre für sie relativ gut funktioniert. Sie bewerten die materiellen und ressourciellen Bedingungen für ihre Forschungs- und Lehrtätigkeit ähnlich und sind zumeist auch mit ihrem Gehalt nicht unzufrieden (vgl. Enders & Teichler 1995b). Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Selbstverständlichkeit, sich für die Position als studentische Hilfskraft oder Doktorandin zu bewerben, für Studierende aus nicht akademischen Milieus geringer ist und deshalb von ihnen seltener die Initiative ausgeht als dies von Studierenden aus sozial privilegierten Haushalten der Fall ist. 104 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Abschließend sei noch kurz die Frage thematisiert, ob es sich bei der Akkumulation von sozialem Kapital um einen (un-)bewusste Strategie handelt, fehlendes ökonomisches und/oder kulturelles Kapital zu kompensieren oder ob die Tätigkeiten als studentische Hilfskraft vielmehr eine nötige Handlung darstellt, um das wissenschaftliche Feld betreten zu können. Bei der Befragung von Promovierenden konnte kein Zusammenhang zwischen der früheren Tätigkeit als studentische Hilfskraft und dem ökonomischen oder kulturellen Kapital beobachtet werden. Wäre ein Mangel an ökonomischen oder institutionalisierten kulturellen Kapital durch den Erwerb von sozialem Kapital kompensiert worden, hätte man aber einen Zusammenhang beobachten müssen, da eben diese Doktorandinnen und Doktoranden über weniger ökonomisches und kulturelles Kapital verfügen würden. Aus der Tatsache, dass Promovierende eine sehr homogene Gruppe bezüglich der Kapitalverteilung darstellen, lässt sich folgern, dass bereits die Tätigkeit als studentische Hilfskraft sozial determiniert ist. Die Möglichkeit durch den Erwerb zusätzlichen sozialen Kapitals den Zugang zu einer Promotion zu erhalten, scheint demzufolge sehr gering zu sein. 5.5 Die Position der Fachbereiche im sozialen Raum Aufgrund der unterschiedlichen Kapitalvolumen, der Kapitalstruktur und der sozialen Laufbahn können die Lebenslagen von Klassenformationen theoretisch erfasst und in einem „Raum der sozialen Positionen“ verortet werden (Bourdieu 1982: 212f.). Anhand von Korrespondenzanalysen konstruiert Bourdieu einen Raum objektiver sozialer Positionen – „Positionen, die sich wechselseitig zueinander definieren, durch Nähe, Nachbarschaft und Ferne sowie durch ihre relative Position, oben oder untern oder auch zwischen bzw. in der Mitte usw.“ (Schwingel 2003: 106). Analog zum Bourdieuschen Schaubild habe ich anhand meiner Daten das relationale Verhältnis der Fachbereiche zueinander angefertigt. Abbildung 13 zeigt den Raum der sozialen Lebenslagen der befragten Doktorandinnen und Doktoranden entsprechend der Verteilung von Volumen und Struktur des Kapitals in seinen verschiedenen Ausprägungen, wobei die Position jedes Fachbereiches durch das Ensemble an kulturellen und ökonomischen Merkmalen bestimmt wird. 105 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit Abbildung 13: Raum der sozialen Positionen - Bildungskapital + Jura Ingenierswissenschaften Geisteswiss. Sozialwiss. Naturwissenschaften Wirtschaftswissenschaf ten - Ökonomisches Kapital + Das Schaubild zeigt graphisch die bisher heraus gearbeiteten Ergebnisse. Abschließend seien die drei Befunde nochmals kurz dargestellt: Erstens wird klar, dass alle Promotionsfächer gleichermaßen über hohes Bildungskapital verfügen. Der entscheidende Unterschied zwischen den Fachbereichen liegt in der Menge des zur Verfügung stehenden ökonomischen Kapitals. Dies wiederum bestätigt das Postulat von Bourdieu, dass das ökonomische Kapital allen anderen Kapitalarten zugrunde liegt. Zweitens offenbart sich die noch immer dominante Position der rechtswissenschaftlichen Fakultät deutlich, in der die Doktorandinnen und Doktoranden über das höchste kulturelle und ökonomische Kapital verfügen. Damit habe ich gezeigt – entsprechend der Vermutungen von Bourdieu, Boltanski und de Saint Martin (1981: 32, 40-41) – dass die juristischen Fakultäten, die bereits früher eine Sonderstellung unter den Universitätsfakultäten besaßen, ihre Position 106 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit haben bewahren können. Auch ist der von Bourdieu, Boltanski und de Saint Martin prognostizierte Bedeutungsverlust der ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten ausgeblieben. Bourdieu hat für das französische Universitätsfeld beobachtet, „dass die charakteristischen Eigenschaften der herrschenden Fraktionen der herrschenden Klasse in dem Maße zunehmen, wie man von den naturwissenschaftlichen Fakultäten zu den philosophischen Fakultäten und von diesen zu den rechtswissenschaftlichen und medizinischen Fakultäten übergeht“ (Bourdieu 1988: 85). In Deutschland hingegen bildet die philosophische Fakultät (wo sich die zwei schwächsten Fachbereiche Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften befinden) vor den Naturwissenschaften das Schlusslicht. Ansonsten scheinen dieselben Hierarchiemuster zu gelten. Drittens zeigt sich die Zweiteilung der Fächerstruktur. Damit nähern wir uns wieder der anfänglichen Fragestellung nach den ambivalenten Ergebnissen über die soziale Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden. Zur Erinnerung: Während Enders und Bornmann der Promotionsphase eine vergleichsweise hohe soziale Offenheit zuschreiben, kommt Hartmann zu dem Schluss, dass „sich die Promotion selbst bereits als sozial sehr selektiv erweist“ (Hartmann 2002: 366f.). Anhand der herausgearbeiteten Hierarchie der Fächer lassen sich diese Befunde erklären. Denn beide Aussagen treffen zu: Betrachtet man nur die Fächer der Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften, Fächer mit denen privilegierte Positionen verbunden sind, so finden wir hoch selektive Ausschlussmechanismen. Erweitert man jedoch die Betrachtung von Doktorandinnen und Doktoranden auf alle Fachbereiche, zeigt sich eine „relative“ soziale Offenheit der Promotion. Zwar haben auch Enders und Bornmann das Phänomen der internen Gliederung der Promotionsfachbereiche implizit registriert, diesem aber keine weitere Beachtung geschenkt. Während sie zunächst schreiben: „Für einige Fächer (Biologie, Germanistik, Sozialwissenschaften) beobachten wir im Kohortenvergleich eine soziale Öffnung gegenüber einem bildungsferneren Herkunftsmilieu, für andere eher eine soziale Schließung (Elektrotechniker, Mathematiker, Wirtschaftswissenschaftler). Wenn man annimmt, dass sich in der Selektion nach Herkunftsmilieu auch Unterschiede im antizipierten Prestige und Sozialstatus eines Faches widerspiegeln, mag man auch von einem relativen Auf- bzw. Abstieg in der Hierarchie der Fächer sprechen“ (Enders & Bornmann 2001: 86). Relativieren sie im direkten Anschluss ihre Befunde. Sie gelangen zu dem Ergebnis: 5. Promovierende und die Illusion der Chancengleichheit 107 „Für die Gestalt der Dissertationsphase (Finanzierung, Verankerung im Wissenschaftsbetrieb etc.) und ihre Erträge (Publikationshäufigkeiten, Promotionsnoten etc.) verliert die soziale Herkunft aber ebenso an Gewicht wie für die weitere wissenschaftliche Orientierung der Promovierten auf eine Habilitation“ (Enders & Bornmann 2001: 86). Diese Aussage widerlegt die vorliegende Arbeit. Wie gezeigt, manifestiert sich die soziale Ungleichheit im Promotionswesen in der Eliminierung der sozial schwachen Schichten und einem Abdrängen der weniger Privilegierten auf weniger „produktive“ Fachbereiche. Die Nivellierung der Promotionsphase ermöglicht keine Chancengleichheit, sondern verdeckt lediglich die bestehenden sozialen Kämpfe. Kapitel 6 Die Promotion: Ein Reproduktionsmechanismus von sozialer Ungleichheit In diesem Kapitel sollen die zentralen Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst werden. Hierbei dienen die im dritten Kapitel erarbeiteten Thesen als Struktur. Zugleich gilt es aber auch, Perspektiven anzudeuten, die für weitere Analysen im Anschluss an die hier vorgelegten Befunde zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten in modernen Gesellschaften von Belang sein könnten: Die Überlegungen zur sozialen Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden finden so ihren Abschluss. 1. Eine Promotion ist mit einer besonderen Privilegierung in den Berufschancen verbunden. Das heißt, die Promotion ist nicht in den Sog der allgemeinen Ausweitung und Abwertung von Bildungstiteln geraten, sondern hat seine traditionell herausragende Stellung im deutschen Bildungssystem bewahren können. Die Erkenntnis, dass der Doktortitel nicht der allgegenwärtigen „Inflation von Bildungsabschlüssen“ unterliegt wurde im vierten Kapitel zusammengetragen. Anhand der strukturellen und quantitativen Entwicklung der Promotionsprüfungen wurde gezeigt, dass – obwohl immer mehr Hochschulabsolventen die Universität verlassen – die Anzahl der Promovierenden nur marginal ansteigt. Während also die Hochschulbildung den Charakter eines exklusiven Gutes längst verloren hat, ist es der Promotion gewissermaßen gelungen ihre Exklusivität weiter zu steigern. Diese Entwicklung veränderte die Promotionsmotive von potentiellen Doktorandinnen und Doktoranden nachhaltig: Während traditionell die Aufnahme in die „wissenschaftliche Profession“ als vornehmliches Ziel und eigentliche Aufgabe postgraduierter Bildung galten, steht heute die Qualifizierung für den außeruniversitären Arbeitsmarkt im Zentrum der Bemühungen. 110 6. Die Promotion: Ein Reproduktionsmechanismus von sozialer Ungleichheit Die empirische Sozialforschung hat aufgezeigt, dass sich die große Mehrheit der Promovierten auf hoch qualifizierten, gut bezahlten Vollzeitpositionen platzieren konnte. Ein Doktortitel – so zeigen die Ergebnisse - ist besonders geeignet den Zugang zu gesellschaftlichen Spitzenpositionen zu ermöglichen. Denn obwohl Promovierte nur einen sehr kleinen Anteil der Hochschulabsolventen stellen, sind sie weit überproportional unter den Mitgliedern der Elite vertreten. Neben der Wissenschaft, in der ein Doktortitel unverzichtbar ist, gilt dies insbesondere für die Wirtschaft, wo knapp die Hälfte der Topmanager promoviert hat, für die höhere Justiz und für die Politik. 2. Die Wahrscheinlichkeit einen Doktortitel zu „erwerben“ beruht nicht auf der individuellen Leistungsfähigkeit oder persönlichen Qualifikation, sondern wird maßgeblich durch die ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen des Elternhauses determiniert. Das heißt, die Promotion muss als ein Mechanismus zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten verstanden werden. Die im fünften Kapitel herausgearbeiteten Ergebnisse zur sozialen Selektivität einer Promotion verweisen auf deutliche Grenzen einer vermeintlich meritokratischen Gesellschaft. Genetische Intelligenz und die schulische Vermittlung von Fertigkeiten spielen eine untergeordnete Rolle bei dem Erwerb exklusiver Bildungstitel und der damit verbundenen Besetzung gesellschaftlicher Spitzenpositionen. Stattdessen produziert das Bildungssystem eine „Illusion der Chancengleichheit“ und ermöglicht auf diese Weise die Reproduktion bestehender sozialer Ungleichheiten. Da das Bildungssystem prinzipiell jedem Studenten die gleichen Chancen einräumt und es eine Vielzahl von Personen gibt, die ohne die „richtige“ Herkunft auf eine erfolgreiche Promotion verweisen können, ist die statistisch beobachtbare Selektivität bei der Reproduktion der herrschenden Klasse oberflächlich nicht zu erkennen. Dieser zweite Befund kann kaum treffender belegt werden, als anhand der Verteilung des kulturellen und ökonomischen Kapitals von Promovierenden. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zeigen unmissverständlich, dass die befragten Doktorandinnen und Doktoranden aus sozial stark privilegierten Verhältnissen stammen. Meine Untersuchung hat gezeigt, dass Promovierende von Hause aus ein weit überdurchschnittlich hohes kulturelles Kapital mitbringen. Unter diesen Bedingungen lässt sich eine deutliche Bildungsvererbung 6. Die Promotion: Ein Reproduktionsmechanismus von sozialer Ungleichheit 111 bestimmen. Gleichzeitig steht Doktorandinnen und Doktoranden ein außerordentlich hohes ökonomisches Kapital zur Verfügung. Etwa die Hälfte der Befragten gehört nach eigenen Angaben zu dem reichsten einem Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung. Gerade im Hinblick auf die prekäre Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses wirkt die Exklusion sozial schwächerer Schichten über die finanzielle Unsicherheit während der Promotionsphase. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Promovierende aus äußerst privilegierten sozialen Verhältnissen stammen. Die Reproduktion sozialer Ungleichheit – wie sie im gesamten Bildungswesen zu beobachten ist – findet gleichermaßen im Zugang zum Doktortitel statt. 3. Die Ungleichheit der Bildungschancen manifestiert sich in der Einschränkung der Studienbzw. Promotionsfachwahl. Das heißt, die soziale Herkunft beeinflusst nicht nur die Entscheidung zur Promotion, sonder prägt auch die Wahl für eine bestimmte Studienfachrichtung. Bourdieu und Passeron (1971) haben kritisiert, dass nur selten die verborgenen Mechanismen der Macht zur Kenntnis genommen werden, in denen sich die Ungleichheiten der Bildungschancen manifestieren: Im universitären Feld zählt hierzu zweifellos das „Abdrängen“ der Kinder aus den unteren und mittleren Klassen auf bestimmte Fakultäten. Mit der Aufnahme dieser Fragestellung wurde versucht die verborgenen Relationen zwischen den Fachbereichen bei Promovierenden aufzudecken. Die Arbeitsmarkt- und Absolventenforschung hat bekanntlich seit längerem gezeigt, dass mit der Fachzugehörigkeit deutlich unterschiedliche Chancen auf den Arbeitsmärkten bestehen. Anhand der Promotionsmotive und der Karriereplanung ist es zunächst gelungen, eine fachspezifische Zweiteilung der Disziplinen systematisch aufzudecken: In den Naturwissenschaften, den Rechtswissenschaften, den Ingenieurswissenschaften und den Wirtschaftswissenschaften sind die Promotionsabsichten extrinsischer Natur. Während die Naturwissenschaftler vor allem den Zwang zur Promotion als eigentlichen berufsqualifizierenden Hochschulabschluss hervorheben, spekulieren Ingenieure, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler auf positive Karrierevorteile im außeruniversitären Bereich. Geistes- und Sozialwissenschaftler betonen stärker ihre intrinsische Motivation. 112 6. Die Promotion: Ein Reproduktionsmechanismus von sozialer Ungleichheit Die mit der Fachwahl verbundene Strukturierung der befragten Gruppe zeigt sich endgültig, wenn die zukünftige soziale Positionierung von Doktorandinnen und Doktoranden zur Disposition steht. Während die promovierenden Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaftler einen Verbleib im wissenschaftlichen Betrieb erwägen, streben Doktorandinnen und Doktoranden in den Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften eine vermeintlich lukrative Position außerhalb der Forschungsgemeinschaft an. Eine so deutliche Dichotomie zwischen den Promotionsfachbereichen wurde bei der Konzeption der Befragung keineswegs erwartet und erforderte eine Ausweitung des gewählten Fokus. Bemerkenswerte Befunde lieferte die Analyse der sozialen Herkunft von Promovierenden nach Fachbereichen: So rekrutieren die Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften ihre Doktorandinnen und Doktoranden aus sozial stärkeren Schichten, während die Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften den weniger Privilegierten vorbehalten bleiben. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Zweiteilung in Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften versus Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften offenbart den zugrunde liegenden Reproduktionsmechanismus sozialer Ungleichheit auf der Ebene der höchsten Bildungstitel. Damit löst sich aber auch der eingangs formulierte Widerspruch zur sozialen Herkunft von Doktorandinnen und Doktoranden auf. Denn während Hartmann, welcher für die Promotion eine sehr hohe soziale Selektivität beobachtet, nur eben jene doppelt privilegierten Fächer der Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften untersuchte, beziehen sich die Befunde von Enders und Bornmann zugleich auf privilegierte und weniger privilegierte Fächer. So erklärt sich auch die von ihnen diagnostizierte vergleichsweise hohe soziale Offenheit. 4. Die soziale Ungleichheit im Zugang zur Promotion wird in besonderem Maße durch das soziale Kapital im wissenschaftlichen Feld reguliert. Das heißt, ökonomisches und kulturelles Kapital reichen alleine nicht aus, um den Zugang zur Promotion zu gewährleisten. Anhand der ausführlichen Darstellung der persönlichen Kontakte zwischen den befragten Doktorandinnen und Doktoranden zu den Professoren und Professorinnen wurde die 6. Die Promotion: Ein Reproduktionsmechanismus von sozialer Ungleichheit 113 Bedeutung von sozialem Kapital für die Aufnahme in das wissenschaftliche Feld herausgearbeitet. Die im fünften Kapitel dargestellten Sachverhalte zeigen, dass Promovierende bereits während des Studiums begonnen haben, soziales Kapital zu akkumulieren. Tätigkeiten als studentische Hilfskraft und die Leitung von Tutoraten oder Forschungspraktika sind also als „Strategien sozialer Investitionen“ im wissenschaftlichen Feld zu verstehen. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass inkorporiertes soziales Kapital im wissenschaftlichen Feld ein entscheidendes Kriterium für die Aufnahme in das Promotionswesen darstellt. Denn während die meisten Studenten über das nötige kulturelle und ökonomische Kapital verfügen, können nur sehr wenige Studierende einen so ausgeprägten Kontakt zu Professorinnen und Professoren vorweisen wie künftige Doktorandinnen und Doktoranden. Dabei handelt es sich aber – so meine These – um den vermeintlich subtilsten Reproduktionsmechanismus sozialer Ungleichheit, da bei der Generierung sozialen Kapitals Studierende sukzessive mit entsprechend „privilegiertem“ Habitus bevorzugt werden. Die Tatsache, dass die meisten studentischen Beschäftigten in sehr privilegierten Akademikerhaushalten aufgewachsen sind, lässt vermuten, dass bei der Rekrutierung der Habitus als unausgesprochenes Auslesekriterium fungiert. Diese Befunde bringen methodologische Anforderungen mit sich: Denn eine Untersuchung über die soziale Herkunft von Promovierenden ist – wie im dritten und vierten Kapitel hergeleitet wurde - sinnvoller Weise anhand von Pierre Bourdieus (Feld-)Theorie zu führen. Das heißt, es gilt die Zwänge und Regeln des wissenschaftlichen Feldes in die Analyse von Doktorandinnen und Doktoranden mit aufzunehmen. Nur so können die Mechanismen und Strategien zur Reproduktion der sozialen Ungleichheit Klassenformationen aufgedeckt, beschrieben und nivelliert werden. zwischen verschiedenen Literaturverzeichnis Allmendinger Jutta (2003): „Soziale Herkunft, Schule und Kompetenzen“. Politische Studien: Zweimonatszeitschrift für Politik und Zeitgeschehen 54, S.79-90. Allmendinger, Jutta & Silke Aisenbrey (2002): „Soziologische Bildungsforschung“. In: Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Handbuch Bildungsforschung, Opladen: Leske + Budrich, S. 4160. Anger, Christina; Axel Plünnecke, Susanne Seyda & Dirk Werner (2006): Bildungsarmut und Humankapitalschwäche in Deutschland, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft. Arrow, Kenneth; Samuel Bowles & Steven Durlauf (2000) [Hrsg.]: Meritocracy and Economic Inequality, Princeton: Princeton University Press. Bargel, Tino; Frank Multrus & Michael Ramm (2005): Studiensituation und studentische Orientierung. 9. 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Anhang Tabelle 1: Liste der Promotionsfächer Volkswirtschaftslehre Biologie Soziologie Biochemie Griechisch Kunstgeschichte Pharmazeutische Technologie Meteorologie Metallurgie Neurosciences Anglistik Stadt- & Regionalplanung Kulturwissenschaft Virologie Maschinenbau Umweltgeschichte Kommunikationssysteme Lebensmittelingenieur Luft- & Raumfahrttechnik Meereskunde Kulturwissenschaft Arbeitswissenschaft Holztechnik Forstwissenschaft Geologie Logistik Umweltwissenschaften Gesellschaftswissenschaften Chemieingenieur Linguistik Sportwissenschaften Psychologie Physik Geschichte Philosophie Wirtschaftsgeschichte Sozialwissenschaften Biotechnologie Veterinärmedizin Werkstofftechnik Theologie Islamwissenschaft Haushaltstechnik Architektur Wirtschaftingenieur Fertigungstechnik Verkehrssysteme Elektrotechnik Lasertechnik Medienwissenschaft Meeresbiologie Ozeanographie Mikrosystemtechnik Demographie Geographie Ethnologie Betriebswirtschaftslehre Erziehungswissenschaften Wirtschaftswissenschaften Südostasienkunde Germanistik Statistik Politikwissenschaft Astronomie Mathematik Chemie Musikwissenschaft Bauingenieurwesen Kristallographie Ang. Wissenschaft Werkstoffwissenschaft Amerikanistik Slawistik Archäologie Medizin Pflanzenernährung Produktionstechnik Maschinensysteme Restaurationswissenschaft Prozesswissenschaft Romanistik Marine Biogeochemie Geowissenschaft Computerlinguistik Informationsrecht Informatik Jura Mineralogie Pharmazie Bioingenieur Literaturwissenschaft Agrarwissenschaften Theaterwissenschaften Tabelle 2: Stellen für wissenschaftliches Personal an Universitäten (ohne Medizin) 19601990 (absolute Zahlen, in Tausend). Jahr Professoren Assistenten 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 5,2 8,7 12,5 20,6 21,4 20,9 19,8 5,8 13,0 17,4 18,8 15,1 3,5 - Quelle: Endres (1996: 63). Anderes wiss. Personal 2,0 5,3 8,8 14,6 18,1 28,6 34,7 Insgesamt 13, 0 27,0 38,9 54,3 55,5 53,0 53,9 128 Anhang Tabelle 3: Hauptberuflich tätiges wissenschaftliches Personal, Habilitationen und Doktorprüfungen an Universitäten (ohne Medizin) 1960 – 1990 (absolute Zahlen, Veränderungen in Prozent). Jahr Professoren 1960 1970 1975 1980 1985 1990 1960 – 1990 3.939 11.545 14.893 16.877 18.377 18.802 (+377 %) Nicht-professorale Wissenschaftler 6.008 30.829 37.680 41.083 44.055 54.513 (+807%) Habilitationen Doktorprüfungen 287 613 692 695 630 658 (+129 %) 3.484 5.176 6.113 5.906 6.977 9.160 (+ 165 %) Quelle: Endres (1996: 64). Tabelle 4: Publikationstätigkeit während der Promotion nach Promotionsfachbereichen (in Prozent) Sozial- RechtsWirts.IngenieursMathe u. Geisteswiss. wiss. wiss. wiss. wiss. Naturwiss. Publiziert nicht 25,0 53,5 41,8 21,7 37,l 33,4 Publiziert 75,0 46,5 58,2 78,3 62,9 66,6 Insgesamt 100 100 100 100 100 100 n= 216 71 153 129 321 859 129 Anhang Tabelle 5: Berufliche Stellung des Vaters nach Promotionsfachbereichen (in Prozent) Sozialwiss. Rechtswiss. Wirtschaftswiss. Ingenieurswiss. Geisteswiss. Mathe u. Naturwiss. Selbstständige 21,0 15,5 20,1 19,1 13,1 17,3 Beamte 28,5 32,4 26,2 26,0 30,4 23,5 Beamte im höheren Dienst 15,4 21,1 13,4 16,0 12,8 9,2 Beamte im gehobenen Dienst 7,9 9,9 8,1 6,1 13,1 11,0 Beamte im mittleren und einfachen Dienst 5,1 1,4 4,7 3,8 4,5 3,3 Angestellte 38,3 43,7 43,0 41,2 43,9 50,6 Angestellte mit umfassenden Führungsaufgaben 18,7 23,9 22,8 22,1 17,9 21,7 16,8 18,3 19,5 18,3 24,4 25,6 Angestellte mit einfachen Tätigkeiten 2,8 1,4 0,7 0,8 1,6 3,3 Arbeiter 11,1 4,2 10,7 10,7 11,2 7,4 Nicht erwerbstätig 0,9 4,2 - 3,1 1,3 1,2 Gesamt 100 100 100 100 100 100 n= 214 71 149 131 312 851 Angestellte mit qualifizierenden Aufgaben Frage 55: Was ist bzw. war die überwiegende berufliche Stellung Ihres Vaters? 130 Anhang Tabelle 6: Finanzierung des Lebensunterhaltes während des Studiums, Häufigkeiten der Nennung in Prozent (Mehrfachnennungen) Zahl der Nennung % der Fallzahl Mittel der Eltern 1415 76,2 Universitäre Tätigkeit (HiWi, Tutorate etc.) 835 45,0 Erwerbstätigkeit außerhalb der Hochschule 678 36,5 BAföG 484 26,1 Andere Stipendiengeber 103 5,5 Mittel von Verwandten 67 3,6 Studienstiftung des deutschen Volkes 50 2,7 Parteinahe, gewerkschaftliche oder konfessionelle Stiftung 47 2,5 Bildungskredit 42 2,3 Mittel des (Ehe-)Partners 36 1,9 Sonstiges 25 1,4 Zahl der Nennungen insgesamt 3709 n=1819 Frage 39: Welcher der unten genannten Finanzierungswege sichert Ihnen während der Studienphase in der Hauptsache den Lebensunterhalt? Tabelle 7: Einfluss des jetzigen Promotionsbetreuers im Studium Gültig Fehlend Gesamt Einfluss Kein Einfluss Gesamt Keine Angabe System Gesamt Häufigkeit 644 Prozent 35,3 Gültige Prozente 37,6 1067 58,6 62,4 1711 93,9 100,0 109 6,0 2 111 1822 ,1 6,1 100,0 Kumulierte Prozente 37,6 100,0 Frage 37: Würden Sie sagen, dass Ihr Doktorvater/Ihre Doktormutter im Studium eine wichtige Orientierung oder einen entscheidenden Einfluss für Ihre Studienorientierung und den weiteren Verlauf Ihres Studiums hatte? 40 30 20 Durchschnittliche Wochenarbeitszeit 131 Anhang Abbildung 14: Durchschnittliche Wochenarbeitszeit für die Dissertation 50 ni ge sc ha h sc en en is s i ss ts w sc i rt ch lw zia af n te atu N d un i ik rw at tu em ul K ath a M nd ch -u ns ch se s ra h wi Sp rs sc eu en is s w n ft s fte ha In W Re So r Abbildung 2: Geschätzte Promotionsdauer in Jahren (Mittelwert) 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 M at at ik nd un at te ur i n n te ch a ch rw N ltu d Ku af af ns ns h sc ch ns se is se is w ts w rs -u m ch he ra eu ni af se is n se is sw h sc ge Sp In irt ht w al zi ec W R So 132 Anhang Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Soziologie Befragung von Promovierenden 1. Stellen Sie Ihre Tastatur auf Überschreiben, indem Sie die Taste "Einfg" drücken. Im Fenster Ihrer Textverarbeitung erscheint ganz unten in der Statusleiste "Überschreiben". Dann verschiebt sich der Fragebogen beim Ausfüllen nicht allzu sehr. 2. Füllen Sie den Fragebogen aus, indem Sie ein beliebiges Zeichen zum ankreuzen tippen und Zahlen bzw. Texte in die (Tabellen-)Felder schreiben. 3. Speichern Sie die Datei und senden Sie diese per E-Mail an: [email protected]. Ihre E-Mail Adresse (Absender) wird beim Posteingang vom Fragebogen getrennt, um die Zusendung zu anonymisieren. 1 Vor Studienbeginn 1.1 Über welchen Bildungsweg haben Sie Ihre Studienberechtigung erworben? Gymnasium Fachgymnasium Gesamtschule Berufsausbildung mit Abitur Abendgymnasium, Kolleg Fachoberschule anderer, und zwar: ________________________________ 1.2 Mit welcher Abschlussnote haben Sie die Hochschulreife abgelegt? (Abitur-)durchschnitt: _ , _ 1.3 Bitte geben Sie an, was Sie vor der Aufnahme des Studiums und nach Beendigung der Schulzeit gemacht haben (Mehrfachnennungen möglich) direkter Übergang von der Schule ins Studium eine Berufsausbildung / Lehre oder ein Volontariat abgeschlossen. Welche? ____________________________________________ abgebrochen. Welche? ____________________________________________ in einem Beruf gearbeitet. In welchem?____________________________________________ ein Praktikum absolviert. In welcher Branche?_______________________________________ Wie lange? ________ Monate „gejobbt“, ohne unmittelbare Ausbildung eine Weiterqualifizierungsmaßnahme. Welche ? _____________________________________ eine Umschulungsmaßnahme. Welche? ___________________________________________ Bundeswehr, Zivildienst längerer Auslandsaufenthalt, z.B. als „Au Pair“ in (Land) _______________________________ Anhang 133 Sonstiges: __________________________________________________________________ _____ 2 Studienverlauf 2.1 Waren Sie während Ihrer Studienzeit in irgendeiner Form gesellschaftspolitisch tätig oder ehrenamtlich engagiert? (Mehrfachnennungen möglich) Nein Hochschulpolitik ( (U-)ASTA, Gremienarbeit) Fachschaft Sport- oder Freizeitvereine diakonische Arbeit, soziale Arbeit kirchliche Organisationen Partei Weiteres: _________________________________________________________ 2.2 Haben Sie während Ihres Studiums als ungeprüfte wissenschaftliche Hilfskraft (HiWi) gearbeitet? Falls ja, wie viele Monate ungefähr? Nein Ja ca. _ _ _ Monate 2.3 Haben Sie im Laufe Ihres Studiums eines oder mehrere Tutorate bzw. Praktika betreut? Nein Ja Eine Veranstaltung Zwei Veranstaltungen Drei Veranstaltungen Mehr als drei Veranstaltungen 2.4 Welcher der unten genannten Finanzierungswege sicherte Ihnen während der Studienphase in der Hauptsache den Lebensunterhalt? (Mehrfachnennungen möglich) Beschäftigung an Hochschule oder Forschungseinrichtung Wissenschaftliche Hilfskraft Tutorat/ Praktika Betreuung 134 Anhang Stipendium Studienstiftung des deutschen Volkes Parteinahe, gewerkschaftliche oder konfessionelle Stiftung Andere Stipendiengeber Externe Finanzierung Erwerbstätigkeit außerhalb der Hochschule Mittel des (Ehe-) Partners Mittel der Eltern Mittel von anderen Verwandten (Großeltern etc.) BAföG Bildungskredit Sonstiges 2.5 Wie viel Geld stand Ihnen während Ihres Studiums monatlich durchschnittlich zur Verfügung? ca. _____________ € 3 In den folgenden Tabellen bitten wir Sie, den Verlauf Ihrer Studienzeit wie in einem tabellarischen Lebenslauf zu schildern. Es werden dabei vier Bereiche, Studium, Praktika, Auslandsaufenthalte und Berufstätigkeit getrennt befragt. Bitte versuchen Sie alle wichtigen Abschnitte aufzuführen, auf den genauen Monat kommt es dabei aber nicht an ☺. Die Dauer (von – bis) kann am schnellsten mit vier Ziffern notiert werden: Bspw. Jan 1986 = 01 86 3.1 Studium von Monat Jahr Bis Monat Jahr 1. Hauptfach 2. Hauptfach / 1. 2. Nebenfach Name und Ort der Hochschule Nebenfach 3.2 Auslandsaufenthalte über 1 Monat Dauer von Monat Jahr bis Monat Jahr Zweck (bspw. „Studium“, „Sprachkurse“, „Forschungsprojekt“) Land 3.3 Praktika von bis Tätigkeit Firma / Institution/ Organisation 135 Anhang von Monat Jahr bis Monat Jahr 3.4 Berufstätigkeit von Monat Jahr bis Monat Jahr Stunden/ Woche Tätigkeit Firma / Institution/ Organisation 4 Nun zu Ihrem Universitätsabschluss. 4.1 An welcher Universität haben Sie Ihren Abschluss gemacht? Name der Universität: ____________________ 4.2 In welchen Fächern haben Sie ihren Abschluss gemacht? Diplom: _______________________ Magister: 1. Hauptfach: _______________________ 2. Hauptfach: _______________________ 1. Nebenfach: _______________________ 2. Nebenfach: _______________________ 4.3 Wie viele Fach- und Hochschulsemester haben Sie insgesamt studiert? Fachsemester: _ _ Hochschulsemester: _ _ 4.4 Wann haben Sie die letzte Prüfung an der Universität abgelegt? Monat: _ _ / _ _ _ _ (Jahr) 4.5 Mit welcher Note wurde Ihre Abschlussarbeit bewertet? Note: _ , _ 4.6 Mit welcher Gesamtnote haben Sie Ihr Studium abgeschlossen? 136 Anhang Gesamtnote: _ , _ 5 Kommen wir nun zu Ihrer Promotion 5.1 In welchem Fachbereich promovieren Sie? Fachbereich: _ _ _ _ _ _ _ _ 5.2 Promovieren Sie an derselben Universität an der Sie Ihren Abschluss erworben haben? Nein Ja 5.3 Wann hat die Promotionsphase bei Ihnen begonnen, d.h. wann haben Sie mit der Arbeit an einem bestimmten Thema für Ihre Dissertation begonnen – auch wenn sich in der Folge ein Wechsel des Themas oder Unterbrechungen der Dissertationsarbeiten o.ä. ergeben haben sollten? Monat: _ _ / _ _ _ _ (Jahr) 5.4 Bitte schätzen Sie, wie viele Jahre Sie voraussichtlich für Ihre Promotion benötigen? Jahre: _ _ 5.5 Im Folgenden sind einige mögliche Gründe für die Entscheidung zu promovieren angeführt. Wenn Sie an Ihre Entscheidung zu promovieren zurückdenken, inwieweit trafen diese Gründe damals für Sie persönlich zu? Traf völlig zu = 1 1 2 3 Interesse an wissenschaftlicher Forschung Interesse für Methoden, Theorien und Erkenntnisse des Faches Möglichkeit Fähigkeiten/ Begabungen nachzugehen Persönliche Entfaltung Verbesserung der späteren Berufschancen Bessere Aufstiegschancen im Beruf Verbleib an der Hochschule/ Stadt Voraussetzung für angestrebten Beruf Bessere Aussichten für sicheren Arbeitsplatz Höheres Einkommen im späteren Beruf Nichts anderes kam in Frage Bessere Orientierung für spätere Berufswahl Traf überhaupt nicht zu = 6 4 5 6 Anhang 137 Aus Zufall Promotion ermöglichte Stelle/Stipendium zur Sicherung des Lebensunterhalts Zeitgewinn für Zukunftsplanung Keine interessante Anstellung gefunden Kleinstes Übel 5.6 Wie haben Sie Ihre Promotionsstelle bzw. Ihren Betreuer „gefunden“? (Mehrfachnennungen möglich) Durch persönliche Kontakte (weiter mit Frage 5.6) Selbstständige Suche/ Auf direkte Anfrage Über Stellenangebote Über Empfehlungen Zufall Sonstiges: _ _ _ _ _ _ _ 5.7 Falls Sie bereits vor Beginn der Promotionsphase persönlichen Kontakt zu Ihrem Doktorvater/ zu Ihrer Doktormutter hatten, wie kam dieser Zustande? (Mehrfachnennungen möglich) Er/Sie hat meine Abschlussarbeit betreut Ich habe ein Seminar bei ihm/ihr besucht Ich habe ein Tutorat/Praktikum für ihn/sie betreut Ich habe als wissenschaftliche Hilfskraft für ihn/sie gearbeitet Es bestanden private Kontakte Sonstiges: _ _ _ _ _ _ _ 5.8 Würden Sie sagen, dass Ihr Doktorvater/Ihre Doktormutter im Studium eine wichtige Orientierung oder einen entscheidenden Einfluss für ihre Studienorientierung und den weiteren Verlauf Ihres Studiums hatte? Ja Nein Welchen? ___________________________ 5.9 Wie ist Ihr Promotionsthema entstanden? Würden Sie sagen, dass es größtenteils Ihrem persönlichen Interesse und eigenen Engagement entsprungen ist oder arbeiten Sie an einer Thematik, die Sie quasi als „Auftragsarbeit“ bearbeiten? Eigenes Engagement Auftragsarbeit 138 5.10 Anhang Welcher der unten genannten Finanzierungswege sichert Ihnen während der Promotionsphase in der Hauptsache den Lebensunterhalt? (Mehrfachnennungen möglich) Beschäftigung an Hochschule oder Forschungseinrichtung Anstellung an einer Hochschule/Forschungseinrichtung Drittmittelfinanzierte Stelle Hilfskraft-/Werksverträge Promotionsstipendium Graduiertenförderung Parteinahe, gewerkschaftliche oder konfessionelle Stiftung Andere Stipendiengeber Externe Finanzierung Erwerbstätigkeit außerhalb der Hochschule Mittel des (Ehe-) Partners Mittel der Eltern Mittel von anderen Verwandten Sonstiges 5.11 Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie durchschnittlich an Ihrer Promotion? ca. ____Std. 5.12 Arbeiten Sie – abgesehen von der Dissertationsschrift selbst – während Ihrer Promotionsphase an wissenschaftlichen Publikationen? Falls Sie wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht haben, geben Sie bitte die Anzahl der Veröffentlichungen an. Nein Ja Anzahl der Publikationen: ___ 5.13 Planen Sie eine Habilitation bzw. eine wissenschaftliche Karriere? Ja Nein 5.14 Wie viel Geld steht Ihnen durch eigenes Einkommen monatlich zur Verfügung (persönliches Netto-Einkommen)? ca. _____________ € 5.15 Falls Sie mit einem Lebenspartner oder einer Familie zusammenleben: Wie viel Geld steht dem Haushalt insgesamt monatlich zur Verfügung (Haushalts Netto-Einkommen)? 139 Anhang ca. _____________ € Bitte beachten Sie auch bei diesen für die Studie sehr wichtigen Angaben, dass die Datenspeicherung anonymisiert erfolgt und zusätzlich die ausgewerteten Ergebnisse so zu Gruppen zusammenfasst werden, dass keine Rückschlüsse auf individuelle Personen möglich sind. 6 Zuletzt möchten wir Sie noch um einige allgemeine Angaben zu Ihrer Person und ihren familiären Verhältnissen im Moment der Umfrage und zum Ende Ihrer Studienzeit bitten. 6.1 Sind Sie ... männlich? weiblich? 6.2 In welchem Jahr sind Sie geboren? 19 _ _ 6.3 Staatsangehörigkeit: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 6.4 Hatten sie am Ende Ihrer Studienzeit und haben Sie im Moment einen festen Lebenspartner? Zum Ende Ihrer Studienzeit: Ja Nein Im Moment: Ja Nein 6.5 War / ist Ihr Lebenspartner berufstätig? Ja, Teilzeitbeschäftigung Ja, vollerwerbstätig Nein Zum Ende Ihrer Studienzeit: Im Moment: 6.6 Haben Verwandte von Ihnen promoviert? Nein Ja Verwandtschaftsgrad: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 6.7 Haben Freunde bzw. Bekannte von Ihnen bei Aufnahme Ihrer Promotion ebenfalls promoviert? Nein Ja Wie viele? _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 140 Anhang 6.8 Welche berufliche Tätigkeit übten Ihre Eltern aus, als Sie Ihr Studium abschlossen? Beruf des Vaters ___________________________ war verstorben Beruf der Mutter ___________________________ war verstorben unbekannt unbekannt 6.9 Wie hoch war ungefähr das monatliche Einkommen Ihrer Eltern Einkommen des Vaters ___________________________ unbekannt Einkommen der Mutter unbekannt ___________________________ 6.10 Welchen höchsten Schulabschluss haben bzw. hatten Ihre Eltern? Vater Mutter Schule beendet ohne Abschluss Volks-/ Hauptschulabschluss, Polytechnische Oberschule mit Abschluss 8. oder 9. Klasse Mittlere Reife, Realschulabschluss, Polytechnische Oberschule mit Abschluss 10. Klasse Fachhochschulreife (Abschluss einer Fachoberschule etc.) Abitur bzw. Erweiterte Oberschule mit Abschluss 12. Klasse (Hochschulreife) Mutter: anderen Schulabschluss und zwar: __________________________ Vater: anderen Schulabschluss und zwar: ___________________________ Unbekannt 6.11 Welchen höchsten beruflichen Abschluss haben bzw. hatten Ihre Eltern? Vater Mutter Universität Pädagogische Hochschule Fachhoch-, Ingenieurschule, Handelsakademie Meisterprüfung Lehre / Facharbeiter kein beruflicher Abschluss Mutter: anderen beruflichen Abschluss und zwar:________________________________ Vater: anderen beruflichen Abschluss und zwar:_________________________________ Unbekannt Anhang 141 6.12 Was ist bzw. war die überwiegende berufliche Stellung Ihrer Eltern? Vater Mutter Arbeiter/in Angestellte/r mit einfacher Tätigkeit Angestellte/r mit qualifizierten Aufgaben Angestellte/r mit umfassenden Führungsaufgaben Beamter/in im einfachen/mittleren Dienst Beamter/in im gehobenen Dienst Beamter/in im höheren Dienst Selbstständige/r Akademischer freier Beruf Mithelfende/r Familienangehörige/r (im eigenen Betrieb) Hausfrau/ Hausmann Arbeitslos Unbekannt Herzlichen Dank, dass Sie bereit waren, den Fragebogen auszufüllen. Sollten Sie zusätzlich für ein kurzes Interview (ca. 5-10 Minuten) über Ihre Motivationen und individuellen Hintergründe zur Promotion zur Verfügung stehen, senden Sie bitte eine vom Fragebogen getrennte Email an [email protected]