§12 Der Abstand eines Punktes von einer Geraden

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§12 Der Abstand eines Punktes von einer Geraden
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§12 Der Abstand eines Punktes von einer Geraden
Die Bestimmung des Abstands eines Punktes von einer Geraden gehört zu den zentralen Problemen der
Analytischen Geometrie. Für eine Übertragung der Begriffsbildung aus der klassischen Geometrie ist
die folgende Erkenntnis grundlegend.
Satz
Gegeben sei eine Gerade g: ax + by = c und ein
Punkt P = (x P ;y P ) .
Dann gibt es genau eine Gerade l, die durch P
verläuft und orthogonal zu g ist. Diese Gerade l
schneidet g in genau einem Punkt L.
Beweisskizze: s. Anhang von §11
y
P
l
Der Satz sagt aus, dass wir uns bei Vorgabe einer
Geraden g und eines Punktes P einerseits darauf
verlassen können, dass es eine Gerade l gibt, die durch
P verläuft und orthogonal zu g ist; andererseits stellt der
Satz fest, dass es keine zweite Gerade mit dieser
Eigenschaft gibt.
Da l durch g und P eindeutig bestimmt ist, kann l einen
Namen erhalten, der sich auf g und P bezieht.
L
x
g
Definitionen
Gegeben sei eine Gerade g : ax + by = c und ein Punkt P = (x P ;y P ) .
(1) Die Gerade l, die durch P verläuft und orthogonal zu g ist, heißt Lot durch P auf g.
(2) Der eindeutig bestimmte Schnittpunkt von l mit g heißt Lotfußpunkt von P auf g.
(3) Der Abstand d ( P, L ) vom Punkt P zu seinem Lotfußpunkt L auf g heißt Abstand des
Punktes P zur Geraden g. Dieser wird mit d ( P, g ) bezeichnet.
Das folgende Beispiel bezieht sich auf die vorangehende Zeichnung.
Beispiel
Gegeben sei die Gerade g : 2x + 3y = 6 und der Punkt P = (4; 3).
Aufgrund des Orthogonalitätskriteriums ist eine Gerade mit der Gleichung ax + by = c orthogonal
zu g, wenn 2 ⋅ a + 3⋅ b = 0 gilt. Wählen wir a = –3 und b = 2, so ist die Bedingung erfüllt.
Die Gerade l : –3x + 2y = c ist orthogonal zu g. Weiterhin gilt:
P ∈l ⇔ − 3 ⋅ 4 + 2 ⋅ 3 = c ⇔ c = −6
Also ist l : –3x + 2y = –6 das Lot von P auf g. Um den Schnittpunkt L von l mit g zubestimmen,
ist das folgende Gleichungssystem zu lösen
(1)
2x + 3y = 6
(2)
–3x + 2y = –6
Die Determinante hat den Wert 13. Das System hat daher genau eine Lösung. Eine kurze
(
30 6
;
13 13
d ( P, g ) = d ( P, L ) =
30
13
Rechnung liefert L =
) . Daraus folgt wiederum:
) +(
( − 4 ) + ( − 3) = (
2
6
13
2
30 − 4⋅13 2
13
)
6 − 3⋅13 2
13
=
1
2
2
(−22) + (−33)
13
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1
11
11
112 (2 2 + 32 ) =
13 =
13
13
13
In Verallgemeinerung des Beispiels kann gezeigt werden, dass es kein Zufall ist, dass bei der
Abstandsberechnung die Determinante des Gleichungssystems, die hier den Wert 13 hat, ein Faktor des
Radikanden ist. Ebenso ist es kein Zufall, dass der Zählerwert 11 dadurch reproduziert werden kann,
dass die Gleichung von g zunächst in die Form 2x + 3y – 6 = 0 gebracht wird und dann in den
linksseitigen Term die Koordinaten des Punktes P = (4; 3) eingesetzt werden:
2 · 4 + 3 · 3 – 6 = 11
=
Hessesche Abstandsformel
Gegeben sei eine Gerade g: ax + by = c und ein Punkt P = (x P ;y P ) .
Dann gilt für den Abstand des Punktes P von der Geraden g
d ( P, g ) =
ax P + byP − c
a 2 + b2
Beweisskizze:
Die Gerade l : −bx + ay = −bxP + ay P ist offenbar das Lot von P auf g.
Der Schnittpunkt L von g und l hat die Koordinaten
⎛ c ⋅ a − (−bx P + ayP ) ⋅b a ⋅ (−bx P + ay P ) − (−b) ⋅c ⎞
L =⎜
;
⎟⎠
⎝
a2 + b 2
a 2 + b2
Die Euklidische Abstandsformel liefert
2
⎛ b 2 xP − aby P + ac
⎞
⎛ a 2 y P − abx P + bc
⎞
d(P,L) = ⎜
−
x
+
−
y
P
⎟
⎜
P
⎟
a2 + b 2
a2 + b 2
⎝
⎠
⎝
⎠
2
Durch konsequentes Vereinfachen erhält man aus diesem Ansatz die Behauptung.
Die Hessesche Abstandsformel lässt sofort erkennen, dass für jeden Punkt, der auf der Geraden g liegt,
der Abstand, wie wir es erwarten, gleich 0 ist. Ist nämlich P ein Punkt von g, so erfüllen die Koordinaten
von P die Gleichung von g:
P ∈g ⇔ axP + by P = c ⇔ axP + by P − c = 0
Die Äquivalenzpfeile deuten an, dass die Aussage auch umgekehrt werden darf: Ist der Abstand eines
Punktes P von der Geraden g gleich 0, so liegt der Punkt auf der Geraden.
Es ist anschaulich klar, dass es nicht sinnvoll ist, für zwei beliebig vorgebene Geraden einen Abstand
definieren zu wollen. Betrachtet man im Beispiel etwa die vertikale Gitterlinie v, die durch den Punkt P
verläuft, so schneidet diese die Gerade g in einem Punkt Q. Q hat aber von g den Abstand 0, während
der Abstand von P zu g, wie berechnet, ungleich 0 ist.
Sind jedoch zwei Geraden parallel, so sagt uns unsere Anschauung, müssten alle Punkten auf der einen
Geraden denselben Abstand von der anderen Geraden haben.
Fortsetzung des Beispiels
Die Gerade h, die durch P = (4; 3) verläuft und parallel zu g : 2x + 3y = 6 ist, besitzt die Gleichung
h : 2x + 3y = 2 ⋅ 4 + 3⋅ 3 ⇔ 2x + 3y = 17
(
Ein Punkt Q = xQ ; yQ
)
liegt genau dann auf h, wenn seine Koordinaten die Gleichung von h
erfüllen: Q ∈h ⇔ 2xQ + 3y Q = 17 . Mit der Hesseschen Abstandsformel folgt:
§12 Der Abstand eines Punktes von einer Geraden
2xQ + 3yQ − 6
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17 − 6
11
=
= d (P, g ) = d(P; g)
13
13
13
Alle Punkte auf h haben denselben Abstand von g.
d ( Q,g ) =
=
Durch Verallgemeinerung des Sachverhalt erhalten wir eine Grundlage für eine Definition des Abstands
paralleler Geraden.
Satz
Seien g: ax + by = c eine Gerade und h eine Gerade, die parallel oder identisch zu g ist. Dann
haben alle Punkte der Geraden h denselben Abstand von g.
Wird h durch die Gleichung ax + by = d beschrieben, so gilt
d− c
d ( Q,g ) =
für jeden Punkt Q von h.
2
2
a +b
Beweis:
Im Anhang wird gezeigt, dass es für jede Gerade h, die parallel oder identisch zu g ist, genau einen
Koeffizienten d gibt, so dass h : ax + by = d gilt, d.h. die Gleichungen von g und h in den x- und
y-Koeffizienten übereinstimmen.
(
Ein Punkt Q = xQ ; yQ
)
liegt genau dann auf h, wenn seine Koordinaten die Gleichung von h
erfüllen: Q ∈h ⇔ ax Q + by Q = d . Mit der Hesseschen Abstandsformel folgt daraus:
d ( Q,g ) =
ax Q + by Q − c
2
a +b
2
=
d− c
2
2
a +b
Definition
Sind g und h zwei parallele Geraden, so wird unter dem Abstand der Geraden der gemeinsame
Abstand verstanden, den die Punkte von h zur Geraden g haben.
Den Abstand von g und h wird mit d ( g,h ) bezeichnet.
Übungen zu § 12
Übung 12.1
5
Zeichne in ein Koordinatensystem die Gerade g : y = − 3 x + 4 , den Punkt P = (7; 10) und mit Hilfe
des Geodreiecks die Gerade h ein, die durch P verläuft und orthogonal zu g ist.
(a) Bestimme die Gleichung der Geraden h [h ist das Lot von P auf g].
(b) Bestimme den Schnittpunkt L von h mit g [L ist der Lotfußpunkt von P auf g].
(c) Bestimme den Abstand d(P, L) [d(P, L) ist der Abstand von P zur Geraden g].
Übung 12.2
Gegeben ist das Dreieck ABC mit den Punkten A = (–3; 1), B = (5; –3) und C = (6; 4).
(a) Bestimme die Gleichungen der drei Höhengeraden h A , h B und h C . Die Höhengeraden sind
die Geraden, die durch einen Eckpunkt des Dreiecks verlaufen und orthogonal zur gegenüberliegenden Seite sind.
(b) Bestimme den Schnittpunkt H von h B und h C . Zeige, dass H auch auf der Geraden h A liegt.
§12 Der Abstand eines Punktes von einer Geraden
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(c) Bestimme den Lotfußpunkt E von C auf AB, den Lotfußpunkt F von B auf AC und den
Lotfußpunkt G von A auf BC. Liegen die Lotfußpunkte auf den Dreiecksseiten oder außerhalb?
(d) Berechne den Flächeninhalt des Dreiecks ABC sowohl unter Verwendung von d(C,E) als auch
unter Verwendung von d(B,F) bzw. d(A,G).
Übung 12.3
Führe den Beweis der Hesseschen Abstandsformel aus.
Übung 12.4
Gegeben sei eine Gerade g : ax + by = c und ein Punkt P.
Dann gilt:
P ∈g ⇔ d (P, g ) = 0
Anhang zu § 12: Flächenberechnung
Abschließend zeigen wir, wie auf der Grundlage der Abstandsbegriffe eine naive analytische Flächenlehre begründet werden kann.
Satz
Gegeben sei ein Dreieck ABC mit den Eckpunkten A = ( x A ;y A ) , B = (x B; yB ) und C = ( xC ;yC ) .
Dann ist das Produkt aus Abstand eines Eckpunktes zur gegenüberliegenden Seite und Länge
dieser Seite unabhängig von der Wahl des Eckpunktes:
d ( A, BC) ⋅ d (B,C ) = d ( B, AC) ⋅ d ( A,C ) = d (C,AB) ⋅ d ( A, B)
Beweis:
Die Zwei-Punkte-Gleichung von AB ist
( y B − y A ) ( x − x A ) = ( x B − x A ) ( y − yA )
⇔
Also ist gemäß der Hesseschen Abstandsformel
d ( C, AB)
=
=
d ( C, AB) ⋅ d ( A,B)
( yB − y A ) (x − x A ) − ( x B − x A ) ( y − y A ) = 0
(y B − y A )( xC − x A ) − (x B − x A )( yC − y A )
2
(y B − y A )2 + ( −( xB − xA ))
y BxC − yA x C − y BxA + yA x A − x ByC + x A yC + x ByA − y A x A
d ( A, B)
= (−1) ( xA y B − y A xB + x ByC − yBx C + xC y A − yCx A )
=
xA
xB
yA
yB
+
xB
xC
yB
yC
+
xC
xA
yC
yA
Für die anderen beiden Produkte kann durch analoge Rechnung gezeigt
werden, dass sie auf dasselbe Ergebnis führen.
Die Ermittlung der Determinantensumme innerhalb der Betragsstriche kann auf
schematische Weise erfolgen (Regel von Sarrus):
• Man denke sich die Koordinaten der drei Punkte spaltenweise nebeneinander auf den Mantel eines Zylinders geschrieben.
• Aus den aufeinanderfolgenden Spalten werden dann die drei verschie-
xA
yA
Cx
Cy
xB
yB
xA
xB
xC
xA
yA
yB
yC
yA
§12 Der Abstand eines Punktes von einer Geraden
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denen 2 × 2 -Determinanten herausgegriffen und aufsummiert.
• Für konkrete Berechnungen wird die Summe der drei Determinanten praktischerweise, wie
nebenstehend abgebildet, in 4-Spalten-Form notiert und die vierte Spalte als zyklische
Wiederholung der ersten angesehen.
Der Betrag der Determinantensumme kann zur Grundlage der Definition des Flächeninhalts eines
Dreiecks gemacht werden, wenn sichergestellt ist, dass dieser Wert nicht von der Wahl der Bezeichnungen abhängt. Es kann aber leicht gezeigt werden, dass jede Bezeichnungsvertauschung (beispielsweise
Austausch von A und B) nur einen Wechsel des Vorzeichens der Determinantensumme nach sich zieht.
Ein solcher Vorzeichenwechsel wird aber durch die Betragsstriche vollständig absorbiert.
Definition
Gegeben sei ein Dreieck ABC mit den Eckpunkten A = ( x A ;y A ) , B = (x B; yB ) und C = ( xC ;yC ) .
Dann heißt das von der Wahl des Eckpunktes unabhängige Produkt aus dem Abstand dieses
Eckpunktes zur gegenüberliegenden Seite und der halben Länge der gegenüberliegenden Seite
Flächeninhalt des Dreiecks ABC.
Der Flächeninhalt des Dreiecks ABC wird mit a ( ABC) bezeichnet.
Anmerkung
Mit den in der Definition gewählten Bezeichnungen gilt:
a ( ABC)
=
1
2
⋅ d (A, BC ) ⋅ d ( B,C) = 2 ⋅ d (B,AC) ⋅ d ( A, C) = 2 ⋅ d (C,AB) ⋅ d ( A,B)
=
1
2
⋅
1
xA
xB
yA
yB
+
xB
xC
yB
yC
+
1
xC
xA
yC
yA
.
Übungen zum Anhang von §12
Übung 12.5
Gegeben ist das Viereck ABCD mit A = (–5; –2), B = (7; 3), C = (10; 7) und D = (–2; 2).
(a) Bestimme die Zwei-Punkte-Gleichungen der vier Seitengeraden AB, BC, CD und AD.
(b) Zeige mit Hilfe der vier Gleichungen, dass es sich bei ABCD um ein Parallelogramm handelt.
(c) Zeige, dass das Viereck ABCD sowohl durch die Diagonale AC als auch durch die Diagonale
BD in zwei flächengleiche Dreiecke zerlegt wird.
Benutze zur Berechnung der Dreiecksflächen die Hessesche Abstandsformel. Kontrolliere die
Berechnung mit der Regel von Sarrus. Notiere den Flächeninhalt des Parallelogramms.
Übung 12.6
Gegeben ist das Viereck ABCD mit A = (–3; 3), B = (5; –3), C = (2; 2) und D = (–1; 8).
(a) Bestimme die Seitenlängen des Vierecks und zeige mit ihrer Hilfe, dass es sich bei ABCD um
ein Parallelogramm handelt.
(b) Bestimme die Abstände der zueinander parallelen Seiten und zeige, dass das Produkt aus Länge
einer Seite und Abstand zur gegenüberliegenden Seite nicht von der Wahl der Seite abhängt.
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