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Künstliche Niere
Tragbare Blutwäsche ist in Sicht
Der erste Prototyp einer künstlichen Niere wiegt viereinhalb Kilo.
Quelle: Youtube/UW Medicine
18.07.2016 Der Nephrologe Victor Gura testete gemeinsam mit Kollegen 2015
erstmals ein tragbares Dialysegerät 24 Stunden an Patienten. Im Juni dieses Jahres
stellten die Entwickler ihre Ergebnisse im Journal of Clinical Investigation vor. Sie
gehen davon aus, dass sie damit die Machbarkeit dieser Technologie bewiesen
haben. Allerdings muss das mobile Blutwäschesystem noch weiter entwickelt
werden – denn es gibt noch Schwachstellen. von Matthias Lehmphul
Mediziner und Ingenieure forschen seit Jahrzenten an einem mobilen System. Jetzt gibt
es einen ersten Prototypen, der die Dialyse revolutionieren könnte. Er stammt vom
Nephrologen Victor Gura, der in Los Angeles praktiziert und forscht. Gemeinsam mit
den Nierenexperten Jonathan Himmelfarb und Larry Kessler testete Gura 2015
erstmals sein tragbares Dialysegerät 24 Stunden an Patienten in den USA. Im Juni
dieses Jahres stellten die Entwickler ihre Ergebnisse im Journal of Clinical Investigation
vor. Sie gehen davon aus, dass sie damit die Machbarkeit dieser Technologie bewiesen
haben.
Mobiles System am Körper wäscht Blut wie ortsgebundene
Einheiten
Die Dialyseeinheit war jeweils 24 Stunden ohne Unterbrechung pro Patient im Einsatz.
Es kam zu keiner Harnvergiftung. Auch lösten sich die Blutkörperchen nicht auf. Im
Ergebnis konnten so 15 bis 17 Milliliter Blut pro Minute gewaschen werden – also das
Blut unter anderem von Harnstoff und Phosphat befreit werden. Zum Vergleich: Die
stationären Dialysegeräte reinigen 250 Milliliter Blut pro Minute über 4,5 Stunden pro
Dialyse. Rechnet man diese Ergebnisse des 24-Stunden-Tests auf eine Woche hoch,
könnte der Prototyp demnach die gleichen Werte wie stationäre Geräte – vor allem im
Hinblick auf die Dynamik des Blutflusses und die Filterung des Blutes – erreichen.
Allerdings wird das Blut in dem mobilen Gerät langsamer angesaugt und durch die
Filter gepumpt als bei den herkömmlichen Dialysegeräten.
„Über die Woche gerechnet ist das
im Vergleich zur konventionellen
Dialyse keine zusätzliche
Entgiftung. Aber dieser Versuch
zeigt uns, dass es möglich ist.
Patienten könnten damit also leben.
Wir fangen normalerweise eine
Dialyse an, wenn die
Reinigungskraft der Nieren unter 10
Milliliter Blut pro Minute fällt“, sagt
Martin Kuhlmann, Nephrologe und
Der US-Amerikaner Chuck Lee ist der erste Patient
Ärztlicher Direktor des Vivantes
auf der Welt, der die künstliche Niere 24 Stunden
Klinikums am Friedrichshain in
lang trug. Seit über 40 Jahren lebt der 73-Jährige
Berlin. Ob alle Giftstoffe dem
mit Diabetes. Seit 2013 muss er drei Mal
Körper dadurch entzogen würden,
wöchentlich zur Dialyse. Während des Test durfte
wisse man nicht. Aber das sei auch
bei der konventionellen
Hämodialyse nicht klar.
er die rigide Diät kurz aussetzen. Er aß sein
Leibgericht: Maccaroni mit Käse.
Quelle: Youtube/UW Medicine
Vieles der künstlichen Niere baut
auf bekannte Technologien der Dialyse auf. Es geht im Prinzip um Miniaturisierung.
Kern der Technologie ist eine pulsierende Zweikammerpumpe, die das Blut aus dem
Körper saugt und durch einen Filter schiebt, wo dem Blut die Giftstoffe und das
überschüssiges Wasser entzogen werden – angetrieben von einer Neun-Volt-Batterie.
Die Verbindung zum Blutkreislauf wird über einen so genannten getunnelten Katheter
hergestellt. Ärzte schieben diesen über eine große Halsvene oder eine Vene in der
Leistengegend bis in den Vorhof des Herzens.
Technik am Gürtel noch zu groß und zu schwer
Mehr über
Dialysetechnik
Entgiften über
Wechselstrom
Insgesamt wiegt der Gürtel mit Technik und
Waschlösung – dem sogenannten Dialysat – derzeit
etwa 4,5 Kilogramm. Einer der Schlüssel, um die
Technik verkleinern zu können, ist die Aufarbeitung und
Wiederverwertung des Wassers. Das System benötigt
nur 400 Milliliter Dialysat, um das Blut zu waschen –
Allerdings ist die vorgestellte Studie aufgrund der geringen Patientenzahl sehr
begrenzt aussagekräftig. Zudem konnten die Ärzte wegen der kurzen Zeitspanne auch
keine Aussagen über Risiken wie Blutgerinnung und Infektionen treffen. „Der Zugang
zum Blut ist ein großes Problem. Denn wenn sie einen Katheter legen, ist das
Infektionsrisiko sehr hoch und dadurch riskant für den Patienten“, sagt Kuhlmann.
Zudem muss an der Technik noch gefeilt werden. Nur
sieben von zehn ausgewählten Patienten nahmen
letztlich an dem Versuch teil, da es während der
Testläufe technische Probleme gab. Neben der Größe
hat das System offensichtlich zwei Schwachstellen.
Trotz eines eingebauten Entlüftungsmechanismus
bildete sich Kohlenstoffdioxid im Filter. Diese
Nierenversagen in
Deutschland
Versagen beide Nieren,
müssen die Betroffenen
zur Dialyse. Ohne die
Blutwäsche würden
Gasbläschen im Dialysat können weiterwandern und
diese Menschen
vergiften. Einer der
schließlich die Blutgefäße verstopfen – eine
Hauptgründe für
lebensbedrohliche Situation. Auch musste bei zwei
Nierenversagen ist
Diabetes. Das
Patienten die Batterie vor dem Testende ausgetauscht
werden. „Es bedarf noch weiterer Studien, um zu
zeigen dass diese Technologie für Dialysepatienten eine
Therapieoption wäre“, sagt Kuhlmann.
Kontinuierliche Dialyse schonender
Trotz der technischen Probleme gehen die Entwickler
grundsätzlich davon aus, dass die Therapie schonender
für die betroffenen Menschen sein könnte. Bislang
findet die Blutwäsche drei Mal die Woche innerhalb
von viereinhalb Stunden statt. Mit einem mobilen Gerät
wäre sie kontinuierlich – ähnlich einer funktionierenden
Niere – möglich. Dadurch könnte die
Durchflussgeschwindigkeit verringert und dennoch die
Effektivität der Blutreinigung erhöht werden.
Es gibt bereits Studien, die belegen, dass
kontinuierliche und niedrigdosierte Behandlungen
deutlich besser sind als hochdosierte
Intensivbehandlungen. „Höhere Frequenzen in der
unwiederbringliche
Aussetzen dieser Organe
bedeutet einen
erheblichen Einschnitt im
Leben, denn Mobilität
und Ernährung sind in
diesem Zustand stark
eingeschränkt. In
Deutschland leiden nach
Angaben der Deutschen
Gesellschaft für
Nephrologie etwa
80.000 Menschen an
Nierenversagen – und
nur 10 bis 15 Prozent
stehen überhaupt auf der
Warteliste für eine neue
Niere. Die meisten
Betroffenen müssen drei
Mal die Woche für
viereinhalb Stunden zur
Blutwäsche in eine Klinik.
Dialyse bedeuten für Patienten schonendere Verfahren.
Den Patienten geht es deutlich besser. Und sie leben länger“, sagt Jan-Christoph Galle,
Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie und Direktor der Klinik für
Nephrologie und Dialyseverfahren des Klinikum Lüdenscheid.
Victor Gura arbeitet seit über zehn Jahren an einem tragbaren Dialysegerät. Ihm
zufolge kostete der Prototyp insgesamt 30 Millionen Dollar. Erstmals testete der
Nephrologe 2006 das System über sechs Stunden an sechs Patienten am St. Bartolos
Krankenhaus in Vicenza in Italien. Sein Unternehmen Blood Purification Technologies
Inc. wurde 2012 von der US-amerikanischen Aufsichtsbehörde FDA in das Programm
Pathway 2.0 aufgenommen, um die Innovation schneller auf den Markt bringen zu
können. Gura schätzt, dass es 2017 so weit sein wird.
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie: Mobiles Gerät sinnvoll
Galle zweifelt daran. „Es wird noch Jahre dauern, bis ein mobiles Gerät auf den Markt
kommt. Jetzt ist allerdings Bewegung in die Entwicklung gekommen“, sagt er. „Die
Probleme des Zugangs und der Blutverdünnung sind noch nicht gelöst. Ich möchte
die Entwicklung nicht schlecht reden. Im Gegenteil, ich verfolge es mit Interesse. Aber
wir werden kein Produkt in fünf Jahren Marktreife haben.“ Eine Miniaturisierung sei
kaum möglich, da ein künstliches Nierenaggregat viel größer und komplexer sei als ein
Herzschrittmacher.
Guras Ergebnisse sind also ein guter Anfang. Einen Beweis dafür, dass dieses System
24 Stunden an sieben Tagen die Woche funktioniert, gibt es noch nicht. Auf eine
Transplantation warten Menschen jahrelang. „Ein mobiles Gerät zur Überbrückung der
Wartezeit zu haben, wäre sehr hilfreich“, sagt Galle. Allerdings müssten Patienten das
Gerät auch selbst bedienen können. Gerade für Regionen, in denen es keine
Hämodialyse gibt, wäre ein tragbares System hilfreich. Auch kämen Patienten in Frage,
bei denen eine Bauchfelldialyse aufgrund einer durchlässigen Darmwand nicht möglich
ist. Galle schätzt, dass etwa 10 Prozent der an Nierenversagen leidenden Deutschen
von einem mobilen System profitieren könnten.
Mehr dazu im Internet:
Studie im Journal of Clinical Investigation (2016)
Studie im Lancet (2007)
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