Peter Beike Lernprozesse 2000 Lernprozesse in der Werbung - 25 Jahre danach EDITION Mit der vorliegenden Publikation realisieren BILD und BILD am SONNTAG die Idee, übergeordnete Themen mit hoher Relevanz für die Arbeitspraxis in Marketing und Media zu transportieren. Wir möchten mit dieser neuen Reihe Wissen weiterreichen, das aus der Sicht der Entscheider einen wertvollen Informationsgehalt besitzt und somit Ihre Professionalität weiter unterstützt. Das vorliegende Buch „Lernprozesse 2000“ trägt die wichtigsten Erkenntnisse aus der Lernforschung der letzten 25 Jahre zusammen, analysiert sie und vermittelt damit praxisnahe Hilfe bei Werbegestaltung und Mediaplanung. Lernprozesse 2000 ist der erste Beitrag in der BILD/BILD am SONNTAGEdition, der sich in unregelmäßiger Folge weitere Publikationen anschließen sollen. Wir würden uns wünschen, dass Ihnen die BILD/BILD am SONNTAGEdition nicht nur Einsichten und Denkanstöße vermittelt, sondern Sie darüber hinaus an dieser interessanten Lektüre eine gehörige Portion Lesespaß haben Hamburg, im September 2000 Lernprozesse 2000 Lernprozesse in der Werbung - 25 Jahre danach PETER BEIKE Morsum auf Sylt, im September 2000 Inhalt Die Ernte Die wichtigsten Lesefrüchte aus der Lernforschung der letzten 25 Jahre …………………………………I Die neuesten Erkenntnisse 1 Einführung …………………………………………………………………………………………………1 1.1 Zur Erinnerung - was uns die „Lernprozesse“ gelehrt haben ………………………………………1 1.2 Was diese Analyse will ……………………………………………………………………………………3 1.3 Neue Recherche-Möglichkeiten - worauf sich diese Analyse stützt …………………………………5 2 Forschungsrichtungen mit Entwicklungspotenzial aus den letzten 25 Jahren ……………………7 2.1 Denken vs. Verhalten Licht in die Black Box und die Renaissance der kognitiven Lernforschung ………………………7 2.2 Nichts als elektrische Spannung, Körpersäfte und Chemie? Neurobiologie und Neurophysiologie des Lernens ……………………………………………………9 2.3 Captain Kirk vs. Mr. Spock - emotionale Intelligenz, emotionales Lernen ………………………12 2.4 Wie klug können Maschinen sein? - Neuronale Netze und maschinelles Lernen ………………12 3 Gedächtnis und Lernen Was man heutzutage darüber weiß und was wir daraus für die Werbung lernen können ……13 3.1 Das Mehr-Speicher-Modell - komplexe Prozesse beim Wahrnehmen, Verarbeiten, Abspeichern und Erinnern von Gedächtnisinhalten …………………………………………………14 3.2 „Gesichtskontrolle“ an der Eingangspforte - die sensorischen Register …………………………14 3.3 Working Memory - Schwerarbeit im zentralen Arbeitsspeicher ……………………………………19 3.4 Der Massenspeicher - geschäftige Umbauprozesse im Langzeitgedächtnis ………………………26 4 Das Vergessen - der gegenläufige Prozess ……………………………………………………………29 5 Modelllernen - Lernen durch Beobachtung und Nachahmung ……………………………………31 5.1. Was bewirkt das Modelllernen? ………………………………………………………………………31 5.2 Verhaltens-Aneignung und Verhaltens-Ausführung - die beiden Aspekte des Modelllernens …33 6 Sprache und Werbewirkung - was Botschaften wirksam und verständlich macht ………………35 7 Auf der Suche nach Antworten zu einigen Detail-Fragen …………………………………………37 7.1 Low Interest-Produkte - wie gewinnt man die Aufmerksamkeit des Publikums? ………………37 7.2 Mehrkanaligkeit - was nützt sie und wo kann sie auch schaden? …………………………………39 7.2.1 Allgemeine Überlegungen ………………………………………………………………………………39 7.2.2 Eine neue Studie der ZEITUNGSGRUPPE BILD zum MultiplyingEffekt bei mehrkanaliger Ansprache …………………………………………………………………40 7.3 Konkurrenzwerbung - wie sollte man ihr begegnen? ………………………………………………43 7.4 Wie kann Wissen in Wollen überführt werden? - Informieren und überzeugen ………………45 Check-Liste Fragen, die die Lernforschung dem Praktiker bei Gestaltung und Planung anbietet …………………47 Anhang A. Detailanmerkungen zu Forschung und Theorie in den einzelnen Kapiteln ………………………50 B. Quellenangaben …………………………………………………………………………………………55 Zum Autor Peter Beike…………………………………………………………………………………………58 Die Ernte Die wichtigsten Lesefrüchte aus der Lernforschung der letzten 25 Jahre Am Beginn dieser Darstellung sollen - für den eiligen Leser, wie es bei diesen Gelegenheiten gern heißt - die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst zitiert werden, die wir aus den einschlägigen Arbeiten der letzten 25 Jahre gewonnen haben. Wer statt dieser gestrafften Zusammenfassung die ausführliche Darstellung bevorzugt, sollte auf Seite 1 mit der Einführung in den Gesamtkomplex beginnen. (1) ➛ Wie gelangen Botschaften in unseren Gedächtnis-Apparat? Die Erwartungshaltung schafft einen natürlichen Filter, der „passende“ Reize eher durchlässt als unpassende. Das heißt konkret: • Das Produkt-Informationsinteresse lenkt die Aufmerksamkeit bevorzugt auf Themen in einem Medium, die diesem Interesse gerecht werden. Copytests wie der BILD Anzeigen-Copytest machen dies immer wieder sichtbar: Personen mit Produkt-Informationsinteresse am Thema einer Anzeige weisen stets höhere Erinnerungswerte an Anzeige, Marke und Text auf als Personen ohne Produkt-Informationsinteresse. • Wenn Leser zu einer Special-Interest-Zeitschrift greifen, ist bei ihnen das Interesse an den speziellen Themen des redaktionellen Angebotes sozusagen besonders gebündelt. Passende Themen in der Werbung haben hier auch höhere Chancen, die Eingangskontrolle im sensorischen Register zu bestehen und Aufmerksamkeit zu finden. • Entsprechende Erwartungshaltungen können auch während der Beschäftigung mit einem General-Interest-Medium aktuell aufgebaut werden, zum Beispiel durch Magazine im Heft, die sich mit einem Thema intensiv beschäftigen. ➛ Die Bedürfnislage, also die Motivationen, lenkt die Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Reize aus der Außenwelt. Dieser Punkt zeigt in die gleiche Richtung wie das Thema Erwartungshaltung: Wenn ein Medium Menschen mit gleichen Motivationen bündelt - Mode-, Kosmetik-, Wohn-, Koch-, Handarbeits-, Computer-, Do-it-yourself-, Wirtschafts-Medien -, haben Werbebotschaften, die sich an solche Motivationen wenden, größte Chancen, einheitlich bei allen Nutzern des Mediums verstärkte Aufmerksamkeit zu finden. ➛ Beim Drängeln an der Eingangskontrolle gibt es auch so etwas wie einen Aufmerksamkeits- I Darwinismus. Botschaften, die sich durch • Größe • Farbigkeit • Kreativität • eine gewisse Schrägheit • außergewöhnliche Perspektiven in formaler und inhaltlicher Hinsicht • etwas ganz und gar Neues • allgemein gesprochen, eine gewisse Lautstärke von den konkurrierenden Botschaften unterscheiden, nehmen bevorzugte Plätze im sensorischen Register ein. Copytests zeigen immer wieder, dass im Kampf um die aussichtsreichsten Positionen im sensorischen Register Anzeigen mit entsprechend starken Merkmalen besonders begünstigt sind. Dies kommt allerdings hauptsächlich bei Personen ohne Produkt-Informationsinteresse zum Tragen. Personen mit Produktinformationsinteresse beachten Werbebotschaften aufgrund ihres Inhaltes, so dass formale Aufmerksamkeitsverstärker wie Farbigkeit und Größe nur wenig zusätzliche Impulse setzen. Mit anderen Worten: Formale Aufmerksamkeitsverstärker sind insbesondere wesentlich, wenn es um die Gewinnung der Aufmerksamkeit von Personen geht, die noch kein Produktionsinformationsinteresse aufweisen. ➛ Nicht nur Reizstärke und Neuigkeitsappeal sind Helfer beim Buhlen um die Aufmerksamkeit. Appelle an bereits gespeicherte Gedächtnisinhalte bilden ebenfalls ein wichtiges Prinzip, wie die Aufmerksamkeit der Konsumenten gewonnen werden kann. Gewusstes und Bekanntes scheinen eine Art Schablone zu bilden, zu der passende Inhalte aus dem sensorischen Register für die weitere Bearbeitung entnommen werden. ➛ Als Letztes sei schließlich noch das emotionale Erregungsniveau genannt, das die Aufmerksamkeit zu lenken vermag. Zu wenig emotionaler Gehalt vermindert die Aufmerksamkeit genauso wie zu starke emotionale Appelle. Botschaften, die eine mittlere emotionale Erregung vermitteln, erzielen die beste Aufmerksamkeit. (2) Wie wird auf bestimmte Werbebotschaften fokussiert, um sie weiter zu verarbeiten? ➛ Nicht zu viel auf einmal Eine Botschaft darf in der Zeiteinheit nicht zu viel auf einmal bringen, da sonst die Kapazität des Arbeitsspeichers überfordert wird. Dies muss insbesondere bei den Zeitmedien Funk und II Fernsehen berücksichtigt werden, während die Printmedien die Möglichkeit bieten, dass der Leser Rezeptionsgeschwindigkeit und -menge nach eigenem Vermögen dosiert. ➛ Information klar als geschlossene Einheit abgrenzen Um pro- und retrograde Hemmung durch vor- und nachlaufende Reize zu vermindern, muss die einzelne Botschaft als klare, individuell abgegrenzte Einheit erkennbar sein. Dies ist bei Anzeigen in aller Regel gewährt; bei Werbeinseln im Fernsehen und Radio besteht dagegen teilweise die Gefahr, dass sich Spots mit vergleichbarer Thematik oder ähnlichem formalen Ansatz nicht hinreichend voneinander abgrenzen, so dass es zu Vermischungen der Aussagen kommen kann. ➛ Appelle hinreichend wiederholen, aber nicht zu oft Werbewirkungskurven zeigen, dass die Erinnerung an Werbebotschaften, aber auch die Einstellung zur beworbenen Marke mit der Zahl der Wiederholungen (also der Zahl der Kontakte) steigt. Es zeigt sich aber auch, dass bei zu vielen Wiederholungen in der Zeiteinheit keine besonderen Steigerungen der Lernleistung mehr zu erzielen sind. So genannte Weareout-Effekte beim Überlernen (also bei zu vielen Kontakten) sind zwar in der Praxis bisher noch wenig zu beobachten; Instrumente wie Qualitäten der Fernsehwerbung (ZDF und ARD) oder AdTrend (SAT.1) bieten die Möglichkeit, die Grenzen der sinnvollen Wiederholungen abzutasten. ➛ Beziehungen zum Vorwissen schaffen Wenn eine Information sich auf bereits Gewusstes bezieht, erhält sie eine stärkere Bedeutung und gewinnt so nicht nur mehr Aufmerksamkeit, sondern wird auch leichter in den Langzeitspeicher eingebaut. ➛ Einordnung erleichtern Wenn klar ist, in welche Kategorie - von den im Langzeitspeicher bereits angelegten - eine Botschaft gehört, fällt es leichter, sie einzuordnen und damit ihren Ort im Speicher zu lokalisieren. Die heute anscheinend modische Unbestimmtheit in der Informationsdarbietung kann zwar - im besten Falle - zunächst vordergründige Aufmerksamkeit schaffen, erschwert es aber sehr, den gesamten Speichervorgang bis zur dauerhaften Platzierung im Langzeitspeicher zu gewährleisten. III (3) Und was begünstigt die Aufnahme in unser Langzeitgedächtnis? ➛ Je anschaulicher und konkreter ein Reiz ist, desto leichter wird er behalten: IV • (prägnante) Bilder werden am leichtesten gespeichert • dann folgen anschauliche Begriffe • während abstrakte Begriffe am schwierigsten zu behalten sind Es fällt einem nicht schwer, hier beispielsweise einerseits an die Werbung für köstliche Nestlé-Clusters zu denken, die so gut sind, dass sogar Eichhörnchen sie den herkömmlichen Nüssen vorziehen, und andererseits an Frühstückscerealien, die alles Wertvolle enthalten sollen, aber nichts über das herrliche Geschmackserlebnis verraten, das Kinder wie Eltern von ihren Cornflakes erwarten, und die als technischer Begriff für den normalen Verbraucher völlig unanschaulich sind. ➛ Die Speicherung von Begriffen kann begünstigt werden: • wenn die eingegebenen Begriffe einer gewissen Systematik folgen, da Begriffe im semantischen Gedächtnis in einer hierarchischen Struktur repräsentiert werden. Die rasche Erkennbarkeit von Produktfeld, konkretem Anwendungszweck und Marke öffnet den richtigen Zugangsweg zum Speicherplatz und begünstigt so auch den späteren Abruf solcher Informationen. • wenn ein Begriff multivalent dargeboten wird, das heißt, wenn er Assoziationen zu verschiedenen Kategorien und Ebenen zulässt (zum Beispiel ein Waschmittel im Zusammenhang mit Arbeitserleichterung, Hausfrauenprestige, Zeitersparnis für Freizeit, Nachsicht für schmutzige Kinder etc.). Man spricht hier von einer so genannten Kreuzklassifikation. ➛ Wenn in einer neuen Kampagne oder bei einem Relaunch neue Vorstellungen und Begriffe gelernt werden sollen, wird dies begünstigt • durch die Frequenz, mit der man der neuen Botschaft begegnet (eine höhere Kontaktdosis ist hier beim Einprägen neuer Inhalte von Vorteil) • ganz schlicht durch die Aussprechbarkeit der Begriffe - geläufige, anschauliche Begriffe sind technischen Begriffen immer vorzuziehen (Bezahlfernsehen ist unter diesem Blickwinkel zum Beispiel dem Begriff Pay-TV sicher überlegen) • durch die Bedeutungshaltigkeit der Begriffe - wenn eine Botschaft vielfältige und wichtige Bedeutungen für den Adressaten besitzt, wird sie leichter aufgenommen (ISDN 300 besagt für den Telefonkunden gar nichts, wenn der Begriff nicht zum Beispiel mit Vielfalt der Verbindungen, Bequemlichkeit für die Familie, Geschwindigkeit und günstigen Kosten angereichert wird). ➛ Als ganz wichtig stellt sich in diesem Zusammenhang dar, was mit dem Begriff Typikalität V bezeichnet wird - wenn eine Botschaft leicht erkennbar solche Merkmale aufweist, die typisch für den Produktbereich und die konzeptionell beabsichtigten Anwendungsbereiche sind, besteht eine bessere Chance, im Speicher richtig abgelegt und später wieder aufgefunden zu werden. Im Grunde geht es auch hier darum, die richtigen „Schubladen“ aufzumachen, in welche der Inhalt abgelegt werden kann. Natürlich kann man sich fragen, wie gut es ist, sich so typisch zu geben, dass man nicht mehr von anderen Angeboten des gleichen Marktes zu unterscheiden ist. Das Kunststück scheint hier darin zu bestehen, auf der einen Seite typische Merkmale des Produktbereichs zu signalisieren, damit eine Grundeinordnung ohne Probleme möglich ist, auf der anderen Seite aber einen individuellen Markenauftritt zu pflegen, der innerhalb der Bereichs-Typikalität die Marke von den konkurrierenden Angeboten abhebt. Die beiden Marken Binding Lager und Diebels Alt sind etwa Beispiele dafür, wie man trotz eines ähnlich starken Appells an „typische“ Bierstimmung und an Biergenuss sehr spezifische Markenprofile schaffen kann. (4) Was kann man tun, um dem Vergessensprozess entgegenzuwirken? 1. Der Spuren-Zerfall betrifft kurzfristige Lern- und Vergessensvorgänge vor allem im Kurzzeitspeicher. Dieser Spuren-Zerfall geschieht passiv und wird durch starke vorangehende und nachfolgende Reize befördert, die eine Spur verdrängen. Um diesen Spuren-Zerfall zu hemmen, sind Störreize bei der Aufnahme zu vermeiden; das ist allerdings unter den üblichen Bedingungen, unter denen Werbebotschaften wahrgenommen werden, nur bedingt zu steuern. Repetition der Reize kann helfen; unter diesem Aspekt können Tandemspots und Reminder in einer Werbeinsel durchaus begründet werden, da sie als Repetitionen im Kurzzeitspeicher wirksam werden. Eine ähnliche Funktion dürften Mehrfachkontakte mit einer Anzeige beim Lesen von Zeitungen und Zeitschriften erfüllen. 2. Von Interferenz-Prozessen spricht man, wenn es um das Vergessen im Langzeitspeicher geht. Damit ist gemeint, dass Spuren hier nicht physisch verfallen wie im Kurzzeitgedächtnis, sondern dass sie sich verändern - durch Umorganisationsprozesse im Langzeitgedächtnis, durch Verarbeitung zusammen mit anderen Spuren, durch Überlagerung mit neuen Spuren etc. Die Spuren können sich dabei so verändern, dass sie nicht mehr in der ursprünglichen Form zugänglich sind. VI Das Vergessen durch Interferenz kann gemindert werden • durch ungewöhnliche, einzigartige Formen und Inhalte; sie widersetzen sich der schnellen Verarbeitung und Vermischung mit anderen Spuren. Ein klares, eindeutiges und einmaliges Markenprofil ist also der beste Schutz gegen zu schnelles Vergessen. • durch komplexe Assoziation mit vielen Kategorien und Ebenen im Langzeitspeicher, denn jede solcher Assoziationen verringert die Gefahr, dass ein Reiz zwischen und mit ähnlichen Reizen vermischt wird und seine Eigenständigkeit verliert. In beiden Fällen ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gedächtnisspur durch totale Umorganisation der Gedächtnisstrukturen untergeht, geringer - im ersten Fall durch die Einzigartigkeit, die sich einer Umorganisation und Vermischung widersetzt, im zweiten durch die Vielfalt der strukturellen Verknüpfungen, die nicht alle gekappt werden können. VII Eine Marke mit charakteristischem Logo und Auftritt, mit einem Markennamen, der viele interessante Assoziationen zulässt, mit rationalen und emotionalen Appellen an die potenziellen Verwender und möglichst noch mit Assoziationen an den Point of Sale kann dem Schicksal der Vernichtung durch Interferenz am besten entgehen, denn sie bietet viele Anknüpfungspunkte, sich an sie zu erinnern und setzt Umstrukturierungsprozessen viele Widerstände entgegen. (5) Was lernen wir aus dem Ansatz „Modelllernen“? ➛ Das Modelllernen (= Lernen am vorbildhaften Verhalten möglichst prominenter Personen) ist ein komplexer, aber sehr erfolgreicher Prozess, um Verhalten zu lernen. Da werbliche Kommunikation selten nur kognitive Veränderungen zum Ziele hat, sondern in der Regel Verhalten hemmen (gegenüber der Konkurrenz) oder verstärken (gegenüber der eigenen Marke) will, erweist sich dieser Ansatz zweifellos als sehr fruchtbar für den Bereich Werbung. (6) Was macht Werbebotschaften wirksam und verständlich? ➛ Eine Werbebotschaft ist wirksam, die • Aufmerksamkeit weckt, indem sie inhaltliches Interesse findet und gestalterisch aus dem sonstigen Angebot herausfällt • ein gemeinsames Repertoire mit dem Empfänger aufweist, wenn also die Empfänger über ein ähnliches Vokabular und ähnliche Bedeutungen verfügen, wie sie in der Botschaft verwendet worden sind • wichtige Bedürfnisse anspricht, denn das gewährleistet, dass die Botschaft als persönlich relevant erlebt wird und dass die Auseinandersetzung damit nicht nur rational, sondern auch emotional erfolgt • glaubwürdige Inhalte aufweist, das heißt, die Botschaft muss mit den erlebbaren Eigenschaften des Produktes übereinstimmen. Übertreibungen, die über das bei Werbung erwartete Maß hinausgehen, sollten unbedingt vermieden werden • keine Tabus verletzt- Tabu-Verletzungen sind kontraproduktiv, wie die Benetton-Werbung unter anderem gezeigt hat. ➛ Zum Thema Verständlichkeit werden folgende Dimensionen hervorgehoben: • Einfachheit Das betrifft zum einen den Satzbau, zum anderen die Wortwahl: Kurze, wenig geschachtelte Sätze sowie Begriffe, über die die Empfänger tatsächlich verfügen, machen Botschaften verständlich. Zu kunstvolle wie auch liederliche Sprache, technische Begriffe oder unbekannte Fremdwörter und fremdsprachliche Redewendungen verletzen diese Forderung. • Gliederung und Ordnung Damit sprachliche Informationen im semantischen Gedächtnis hierarchisch abgespeichert werden können, muss die Botschaft eine gewisse systematische Ordnung aufweisen, da nur so die Zuordnung der Informationen zu ihren Speicherplätzen richtig möglich ist. • Kürze und Prägnanz Im Gegensatz zur Alltagskommunikation mit einer gewissen Redundanz, mit logischen Inkonsequenzen und ausschweifenden Gedanken erfordert werbliche Kommunikation im Buhlen um kurzfristige Aufmerksamkeit kurze, überschaubare und klar gegliederte Angebote. (7) Wie gewinnt man die Aufmerksamkeit des Publikums für Low-Interest-Produkte? ➛ Eigentlich geht es hier weniger um die Frage: wie kann ich ein langweiliges Produkt interessanter machen, sondern wie kann ich die Aufmerksamkeit uninteressierter Menschen gewinnen, falls dieses Ziel im Briefing meiner Kampagne steht. Wege dazu sind: • die Menschen in Medien ansprechen, die eine geringere Selektivität der Aufmerksamkeit zulassen, also in Tageszeitungen, im Fernsehen • durch formale Kriterien, wie Farbigkeit, Format, Eyecatcher, spannenden konzeptionellen Aufhänger, auffällig machen • mit einer Motivation verknüpfen, die bei vielen Menschen vorhanden ist (auch grüne Seife VIII kann eventuell Interesse finden, wenn sie als Naturprodukt gegen die chemische Invasion der Haushaltsreiniger gestellt wird). (8) Was nützt Mehrkanaligkeit und kann sie auch schaden? ➛ Mehrkanalige Ansprache vermag die Aufmerksamkeit zu binden und die vielfältige Abspeicherung im Langzeitgedächtnis zu begünstigen. Dies gilt allerdings nur, wenn es gelingt, die unterschiedlichen Sinnesreize aus den sensorischen Registern im Kurzzeitgedächtnis zu einer Einheit, zu einem Chunk zusammenzufassen. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die verschiedenen Sinnesreize gegenseitig Konkurrenz machen und löschen. IX ➛ Wichtigstes Prinzip muss also sein, alle Details eines Werbemittels unter einer einheitlichen Zielsetzung so zu strukturieren, dass die Schlüsselinformationen - Produktbereich, Markenname, Logo, speziell USP - möglichst ungestört ankommen können. Das gilt nicht nur für mehrkanalige Ansprache, sondern für jedes Werbemittel auch in einkanaligen Medien. ➛ Im Übrigen: Mehrkanalige Ansprache muss nicht simultan erfolgen. Mit Media-Mix können die Vorteile mehrkanaliger Ansprache genutzt werden, ohne dass es zu simultaner Störung von Reizen aus verschiedenen Kanälen kommen muss. (9) Wie sollte man der Konkurrenzwerbung begegnen? ➛ Konkurrierende Werbeanstöße mindern die Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Botschaft. Deshalb wäre es selbstverständlich ein wünschenswertes Vorgehen, der Konkurrenz auszuweichen. ➛ Bei genauer Analyse der eigenen Situation wird man aber in vielen Fällen feststellen, dass man der Konkurrenz gar nicht ausweichen kann. • Special-Interest-Medien, die bestimmte Werbezielgruppen gebündelt anbieten, werden von der Konkurrenz in gleichem Maße genutzt, können aber nicht aus dem Mediaplan gestrichen werden, wenn die Zielgruppe breit und kostengünstig abgedeckt werden soll. • Ein zeitliches Ausweichen (dann in einem Medium schalten, wenn die Konkurrenz schweigt) ist nur bedingt möglich, wenn bestimmte saisonale Verläufe die Anwesenheit erfordern. Die beste Möglichkeit bietet sich noch für nicht saisongebundene Marken an, im so genannten Sommerloch zu schalten, wenn die meisten Marken einer dumpfen inneren Stimme folgend Abstinenz üben. X • In bestimmten Fällen ist es unabdingbar, sich der Konkurrenz zu stellen. Typisches Beispiel hierfür ist die Handelswerbung in Tageszeitungen. In allen diesen Fällen muss man sich der Konkurrenzwerbung tapfer stellen – mit allen Konsequenzen für die notwendige Etathöhe und für die erforderlichen Kontakt-Dosis –, um die konkurrierenden Werbeanstrengungen zu kompensieren. (10) Wie kann aus Information Überzeugung und Habenwollen generiert werden? ➛ Zunächst eine einfache Antwort: Man muss eine Botschaft nur so glaubwürdig formulieren, dass sie als seriöse Lösung für bestimmte Probleme aufgenommen wird. Dann besteht die reale Chance, dass die Marke von allen Personen, die die infrage stehenden Probleme haben, als Problemlöser probiert wird. ➛ Menschen zu etwas zu bewegen, das sie partout nicht wollen, ist allerdings nach allen Erfahrungen ein ziemlich vergebliches Unterfangen. Wenn es jedoch gelingt, ein Angebot so zu formulieren, dass es mit einer vorhandenen Motivation verknüpft werden kann, besteht die Chance, auch solche Menschen zu überzeugen, die „eigentlich“ kein Interesse an Botschaft und Marke haben. ➛ Ein möglicher Weg, Wissen in Überzeugung und Wollen zu überführen, wird schließlich durch das Modelllernen gewiesen. Wenn Vorbilder bestimmte Verhaltensweisen gut finden, kann das zunächst zu einer Änderung der eigenen Einstellungen führen und im Gefolge davon auch dazu, das Ganze einmal auszuprobieren. XI XII Die neuesten Erkenntnisse 1 Einführung Vor knapp 25 Jahren, genau am 26. Oktober 1976, kam auf Einladung der BILD-Zeitung eine illustre Gesellschaft von rund 100 führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Werbung im Berliner Verlagshaus der AXEL SPRINGER VERLAG AG zusammen. Sie trafen sich dort, um einen neuen Ansatz kennen zu lernen, wie man sich das Zustandekommen von Werbewirkung vorstellen und wie man Werbewirkung vielleicht auch gezielt steuern könne. Die Rede ist von einer Arbeit, die - von der BILD-Zeitung initiiert - unter dem Namen Lernprozesse in der Werbung das Thema Werbewirkung nach den Erkenntnissen der Lernforschung analysiert und beschrieben hat. 1 Der Ansatz fand nicht nur bei dem hochkarätigen Auditorium, sondern auch in der Fachöffentlichkeit ein sehr starkes und positives Interesse. Dieses Interesse wurde zusätzlich gespeist durch fast 100 Präsentationen in Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Auf diesen Präsentationen wurden auch die Ergebnisse einer empirischen Studie vorgestellt. „Lernprozesse im Test“ hatte eine Reihe von Hypothesen aus der theoretischen Arbeit getestet und wies nach, dass man mit Begriffen und Modellen aus der Lernforschung in der Tat dem komplexen Geschehen der Werbewirkung auf die Spur kommen kann. BILD ist in den Jahren danach immer wieder von ihren Geschäftsfreunden gefragt worden, ob man diesen spannenden Ansatz, der sich für die Werbegestaltung und Mediaplanung als so praxisnah und hilfreich erwiesen hatte, nicht fortschreiben, ergänzen, vertiefen könne. Mit dem vorliegenden Buch kommen BILD und BILD am SONNTAG diesem Ansinnen gern nach. Die wissenschaftliche Literatur für Lernprozesse in der Werbung konnte damals bis zum Jahre 1975 berücksichtigt werden. Pünktlich zum Jahrtausendwechsel bietet es sich nun an, die Literatur der vergangenen 25 Jahre bis zum Jahre 2000 zur Fortschreibung der „Lernprozesse“ zu analysieren. 1.1 Zur Erinnerung - was uns die „Lernprozesse“ gelehrt haben Es ist nicht möglich, Erkenntnisse, die auf über 100 Seiten zusammengetragen worden sind, befriedigend auf einer Seite zusammenzufassen. Dennoch soll hier versucht werden, den Kernertrag von Lernprozesse in der Werbung in Erinnerung zu rufen. (1) Werbewirkung lässt sich mit Theorien aus der Lernforschung beschreiben und auch empirisch prüfen. Aufnahme, Speicherung und Vergessen von Werbebotschaften sind Spezialfälle der entsprechenden Prozesse beim Lernen von Informationen und Verhaltensweisen allgemein. (2) Eine Begünstigung der Aufnahme und Verarbeitung von Werbebotschaften ist möglich durch • Aufmerksamkeit wecken (Außergewöhnliches darstellen, persönliche Bedeutung schaffen, auf bekannte Erfahrungen verweisen) • vertraut machen (an Gewusstes anknüpfen, in vertrauten Rahmen einbetten, auf früher gelernte Botschaften beziehen) • lebendig machen (viele Sinnesgebiete ansprechen, in verschiedenen äußeren Situationen ansprechen) • positiv aufladen (Angstmotivation vermeiden, die Botschaft leicht zugänglich machen, um Misserfolgserlebnisse beim Verstehen zu vermeiden) • die Informationskanäle variieren. (3) Die in der Regel passive Wahrnehmung der Botschaften muss in eine aktive Beschäftigung überführt werden durch • Aktivierung von Emotionen • Lernen durch Handeln und Aktion • Verstärken der Beschäftigung mit der Botschaft (Erfolgserlebnisse durch Verständnis und Einsicht vermitteln, Beschäftigungslust mit Details der Botschaft wecken, Rückbezüge in der Kampagne auf Gewusstes herstellen, positives Werbeklima schaffen bzw. suchen). (4) Die Aufmerksamkeit muss während der gesamten Kampagne aufrechterhalten, Gewöhnungsprozessen muss vorgebeugt werden durch • unregelmäßiges Setzen der Kontakte • Wechsel der Sinneskanäle und Medien • abwechslungsreiche Darstellung (Motiv-Wechsel) • Ichbezug zum Adressaten herstellen • intrinsische (an der Sache selbst orientierte) Motivation aufbauen. (5) Um Verhaltensänderungen zu begünstigen, kann man • Emotionen und sachliche Motivationen mit dem Angebot verknüpfen • die Befriedigung solcher Bedürfnisse durch Nutzung des Angebotes versprechen • und durch Vorbildverhalten (Autorität von Vorbildern, Nachahmungslernen) anleiten. 2 (6) Zum Thema Media-Planung lässt sich feststellen: • Umfassender Media-Mix ist effektiver als Mono-Strategien • Print- und elektronische Medien begünstigen unterschiedliche spezifische Lernhaltungen (Print begünstigt selektives, bewusstes Lernen; Funkmedien sowie Tageszeitungen wecken auch bei nur beiläufigem Interesse die Aufmerksamkeit) • Je vertrauter der Umgang mit einem Medium ist, desto größer ist die Werbewirkung (da man nicht so sehr vom Zurechtfinden im Medium absorbiert wird) • Je positiver das Werbeklima in einem Medium ist, umso eher ist man auch bereit, sich mit den Werbebotschaften im Medium zu befassen • Werbeträgerspezifische Gestaltung der Werbemittel begünstigt ihre Aufnahme und Verarbeitung. Die zu Punkt 6 zitierten Aussagen sind in der empirischen Studie „Lernprozesse im Test“ verifiziert worden. Sie können als gesicherte Erkenntnisse in der Media-Planung berücksichtigt werden. 3 1.2 Was diese Analyse will Seit den Recherchen zu „Lernprozesse in der Werbung“ sind 25 Jahre vergangen. Die wissenschaftliche Forschung hat in diesen 25 Jahren - seit 1975 - eine rasante Entwicklung erfahren, von der die Lernforschung und verwandte Gebiete nicht ausgenommen sind. Gerade die Neurobiologie und Neurophysiologie, aber auch die Pädagogik sind - neben der Psychologie bevorzugte Gebiete der neueren Lernforschung. Als ganz aktuelles Gebiet hat sich die Beschäftigung mit neuronalen Netzen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz, mit maschinellem Lernen, etabliert. Vieles von dem, was hier erforscht wird, ist in unserem Zusammenhang nicht von Interesse - weil es bisher ausschließlich Grundlagenerkenntnisse produziert und seine Praxistauglichkeit für unseren Bereich erst noch unter Beweis stellen muss oder weil es auf zu spezifische Gebiete bezogen ist, die eine Übertragung auf die Bedingungen der werblichen Kommunikation nur bedingt zulassen. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich darauf, nur solche theoretischen Ansätze aufzugreifen, die in direkten Zusammenhang mit werblichen Lernprozessen zu stellen sind. Die Erörterung der theoretischen Ansätze wird dabei auf das Notwendigste begrenzt, um ihre Aussagemöglichkeiten verstehen zu können. Es kommt uns mehr darauf an, die Umsetzung der Erkenntnisse, ihre Anwendbarkeit auf die Praxis der Werbegestaltung und Mediaplanung, sichtbar zu machen. Stärker als bei der ersten Analyse wird hier also die Beschäftigung mit den Theorien zugunsten der praktischen Anwendung in den Hintergrund gerückt. 4 Für diejenigen, die dennoch auch einen Blick auf die theoretischen Hintergründe werfen möchten, werden im Anhang A für die einzelnen Kapitel Anmerkungen zu Details aus Forschung und Theorie gemacht. In Anhang B schließlich werden die wichtigsten Arbeiten mit Quellenangaben zitiert. 1.3 Neue Recherche-Möglichkeiten - worauf sich diese Analyse stützt Die erstaunlichen Veränderungen im wissenschaftlichen Bereich in den letzten 25 Jahren können an einem scheinbar eher oberflächlichen Moment sehr gut sichtbar gemacht werden. Das sind die Recherche-Möglichkeiten in der wissenschaftlichen Literatur. 5 1975 ging die Literatur-Sammlung und -Sichtung noch ganz physisch-dinglich vonstatten. Man musste in der jeweiligen Bibliothek in Karteikästen nach passenden Schlagwörtern suchen und dann die Werke der ersten globalen Wahl physisch ausleihen, um sie auf ihre Ergiebigkeit zum Thema hin zu prüfen. Auf Grund von zeitlichen und räumlichen Beschränkungen war die Recherche damit relativ eng begrenzt, was der Qualität und Ergiebigkeit allerdings nicht unbedingt schaden musste. Diesmal - nur ein Vierteljahrhundert später - waren der Recherche prinzipiell keine Grenzen gesetzt: Zur Verfügung standen sämtliche im Internet gesammelten Literatur-Zitate aus aller Herren Länder, aus allen Bibliotheken, die das Internet mit ihren Literaturschätzen füttern. Paradiesische Zustände also? Das nun auch wieder nicht, wie die folgende kleine RechercheStatistik offenbart (siehe Abb. Seite 6). Das unbegrenzte Internet-Angebot hat den Nachteil, dass es ohne jede Systematik Stichworte anbietet und dies in unerwarteter Fülle. Der Weg von Position 1 (7,5 Mio Webseiten Gesamtbestand) bis Position 5 (38 effektiv brauchbare Titel = etwa ein Fünfmillionstel des ursprünglichen Angebotes) ist dabei weit und schwierig zu gehen, da die Zitate im Internet oft keine brauchbaren Hinweise auf die Relevanz der Titel liefern. Schlussendlich wird aus der virtuellen dann eben doch wieder eine ganz und gar physische Recherche. Immerhin - man kann davon ausgehen, dass die ganze Fülle der möglichen Fundstellen ausgeschöpft ist, auch wenn vom Ausgangsfundus überhaupt nur 0,13 Promille der Zitate wenigstens in die Nähe unseres Themas und zugleich in unmittelbare zeitliche Nähe (letzte 25 Jahre) führen. So viel zum Material, auf das sich diese Analyse stützt. Es wird sichtbar, dass die nahezu unbegrenzte Fülle des Internet-Angebotes nur bedingt Vorteile bringt. Das Literatur-Angebot 1. Bestand an Webseiten zum Stichwort „Lernen/Learning“................7.459.784 =1.000,000 % 2. Assoziation von „Lernen/Learning“ mit 205 Stichworten aus der 76er Broschüre (ohne zeitliche Begrenzung) ............................10.553 = 1,414 % 3. Potenzielle Titel (nach 1975 erschienen)........................................................935 = 0,125 % 4. Relevante Titel nach Inhaltsverzeichnis/Summary........................................87 = 0,012 % 5. Effektiv brauchbare Titel nach eingehender Lektüre ....................................38 = 0,005 % 6 2 7 Forschungsrichtungen mit Entwicklungspotenzial aus den letzten 25 Jahren Vier Forschungsrichtungen aus den letzten 25 Jahren zeigen besonders dynamische Entwicklungen. Sie sollen im Folgenden kurz beschrieben werden. 2.1 Denken vs. Verhalten - Licht in die Black Box und die Renaissance der kognitiven Lernforschung Über lange Jahre war die Lernforschung vom Behaviorismus dominiert. Diese wissenschaftliche Richtung lehnte es ab, Vorgänge im Inneren des Organismus, die dem äußeren Beobachter nicht direkt zugänglich waren, also auch Gedanken, Gefühle, Erlebnisse etc., als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu akzeptieren. Dies schränkte natürlich den Kreis der Fragestellungen erheblich ein, die unter dieser Maßgabe wissenschaftlicher Untersuchung zugänglich waren. Alles, was im Organismus abläuft, wurde dabei als Black Box verstanden, in die man nun einmal nicht hineinsehen könne. In den letzten 25 Jahren hat sich demgegenüber die kognitive Lernforschung eine zentrale Stellung erobert. Im Gegensatz zum Behaviorismus befasst sie sich mit all den zentralnervösen Vorgängen, die wir als Denken, Wahrnehmen, Fühlen etc. erleben - letztlich also mit dem, von dem man meint, dass es wesentlicher Bestandteil humanen Daseins sei (auch wenn solche Funktionen bei höheren Tieren schon vorhanden sind). Die kognitive Lernforschung setzt sich also gerade zum Ziel, Licht in die Black Box zu bringen. Dass die kognitive Psychologie eine solche Entwicklung nehmen konnte, hat zweifellos auch damit zu tun, dass man heute nicht mehr allein auf Introspektion angewiesen ist (Introspektion, also die Selbstbeobachtung, wird von Behavioristen als Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis nicht akzeptiert). Neurobiologie und Neurophysiologie liefern heute vielmehr Messmöglichkeiten, mit denen zentralnervöse Vorgänge (Abläufe in unserem Gehirn) objektiv beobachtet werden können, die unsere Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen etc. begleiten (Abb. siehe Seite 8). Die kognitive Lernforschung erweist sich als besonders ertragreich für unsere Analyse. Wichtige Stichworte sind dabei • aufmerksam werden • relevante Reize ausfiltern • diese Reize verarbeiten • Verarbeitetes speichern • Gespeichertes abrufen • Abgerufenes in Handlungen umsetzen • Gespeichertes vergessen Kontrolle Sensitiviert präsynaptisch präsynaptisch postsynaptisch postsynaptisch 8 2500 Das stabile Langzeitgedächtnis für Sensitivierungen wird vom Wachstum neuer synaptischer Verbindungen getragen. Links: Die sensorischen Neuronen sensitivierter Tiere weisen vielmehr präsynaptische Verbindungen auf als diejenigen von Kontrolltieren oder habituierten Tieren. Sensorische Neutronen (oben) wie Motoneuronen (unten) entwickeln im Verlauf der Sensitivierung neue Zweige. 2000 1500 1000 500 0 Kontrolle habituiert sensitiviert Quelle: Beispiel für die Ergebnisse hirnphysiologischer Lernforschung aus „Gedächtnis - Die Natur des Erinnerns“ von L.R.Squire und E.R. Kandle, 1999, S. 156 2.2 Nichts als elektrische Spannung, Körpersäfte und Chemie? - Neurobiologie und Neuro-Physiologie des Lernens Mit die dramatischsten Entwicklungen haben sich im Bereich der neurobiologischen und neurophysiologischen Forschung in den letzten 25 Jahren abgespielt. Vor dem Hintergrund einer Jahrtausende währenden ehrfürchtigen Beschäftigung mit dem, was als menschliche Seele, als geheimnisvolle psychische Prozesse erlebt wird, erscheint es fast als Blasphemie, zumindest wirkt es sehr enttäuschend, wenn uns Neurophysiologen und Biochemiker zeigen, dass sich unsere höchsten Gefühle, unsere kreativen Denkprozesse, unsere edelsten Motivationen und Sehnsüchte mit der Ausschüttung von Körpersäften, mit elektrischen Kreisläufen und elektrochemischen Prozessen im Zentralnervensystem passgenau beschreiben lassen. 9 Wissenschaftler, die sich mit diesem Genre befassen, weisen uns zwar immer wieder darauf hin, dass damit Liebe und Zuneigung, Erfindungen und Entdeckungen, Kunst und Wissenschaft, Menschlichkeit und Solidarität, Denken und Lernen, kurz: alles, was menschliches Wesen positiv ausmacht, keineswegs sozusagen „weg“erklärt wären; dass all dies nicht dadurch entwertet sei, weil man es auf so schnöde materielle Vorgänge zurückführen könne. Unsere Gefühls- und Willens-Erlebnisse, unsere Denkvorgänge und kreativen Prozesse blieben ja das, was sie sind, auch wenn man ihre materiellen Grundlagen immer besser zu erkennen vermöge. Wir hören dies wohl, können uns dabei aber einer gewissen Ernüchterung nicht erwehren. Immerhin - der Fortschritt auf diesem Sektor ist gewaltig. Für unsere konkrete Fragestellung Lernprozesse in der Werbung - bewegen sich die Untersuchungsarbeiten allerdings noch zu sehr im Bereich der Grundlagenforschung, als dass man schon direkt anwendbare Erkenntnisse ableiten könnte. Spätestens für „Lernprozesse 2025“ dürften hier aber hinreichend konkrete Erkenntnisfrüchte zu erwarten sein! Auf einen Aspekt soll hier aber noch näher eingegangen werden, auch wenn er keine direkte Erkenntnis zu unserer Fragestellung beiträgt, da er - auf der einen Seite bizarr, auf der anderen aber auch faszinierend - von generellem Interesse sein kann. So lange es Menschen gibt, die sich ihrer selbst bewusst sind, hat man sich gefragt, wie man sich Wahrnehmung, Denken und Lernen beim Menschen vorzustellen hat. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, wie das Verhältnis zwischen der Außenwelt, die wir wahrnehmen, und der Innenwelt, also unserem Bewusstsein, unserem Vorstellungsraum, wohl aussehe. 10 Die naive Vorstellung, dass ein gelbes Haus in der Umgebung auch als gelbes Haus in unserem Zentralnervensystem repräsentiert wird, oder dass ein roter Stuhl, den wir in unserem Bewusstsein wahrnehmen, auch als ebendieser rote Stuhl in der Realität unserer Umgebung stehen wird, ist zweifellos so nicht zu halten. Philosophie (z. B. Immanuel Kant) und Verhaltensforschung (z. B. Konrad Lorenz) haben darauf verwiesen, dass wir in unserem Wahrnehmungs- und Denkapparat angeborene Kategorien besitzen, die im Laufe der Menschheitsentwicklung entstanden sind, um solche Informationen aus der Umwelt zu filtern, die wir für unser Überleben benötigen; Informationen, die uns in die Lage versetzen, zweckmäßig auf Vorgänge in unserer Umgebung zu reagieren. Aus der biologischen Forschung kommt mit Humberto Maturana nun ein bizarrer, ganz radikaler Ansatz. 11 Er geht davon aus, dass unser Wahrnehmen und das daraus abgeleitete Verhalten sich völlig in unserem Zentralnervensystem als einem geschlossenen System abspielen, dass wir sozusagen unsere Wahrnehmungswelt selbst produzieren, und zwar anhand von Strukturen, die sich im Laufe der Evolution als zweckmäßig für den Umgang mit der Außenwelt erwiesen haben. Reize aus der Umwelt sind dabei ausschließlich „Störungen“ (Perturbationen), die im Rahmen angelegter Strukturen kompensiert werden. Wenn also verschiedene Personen einen roten Stuhl wahrnehmen und sich es auf dieser Sitzgelegenheit bequem machen, so ist dieser ganze Vorgang nach Maturana in den individuellen Erlebnissen nur deshalb vergleichbar, weil die Individuen alle über ähnliche innere Strukturen verfügen, die den unbekannten Außenreiz als den bewussten roten Stuhl erleben lassen. Was in der Außenwelt objektiv vorhanden ist, kann - auch wenn überindividuell die gleichen Erlebnisse vorliegen - aus den Vorgängen im geschlossenen Nervensystem nicht rückgeschlossen werden. Autopoïese, das heißt Selbsterzeugung, nennt Maturana dieses Prinzip. Dass daran etwas sein könnte, wird deutlich, wenn unter den zitierten Individuen eine farbenblinde Person anzutreffen ist. Diese nämlich wird sich auf keinen roten Stuhl setzen, da sie aufgrund ihrer strukturellen Besonderheit über die Farbe Rot nicht verfügt und damit auch in ihrem Erleben einen roten Stuhl weder sehen noch besitzen kann. Wenn wir das auf die Werbung übertragen wollen, so könnten wir sagen: Werbung stellt sich in diesem Modell als eine Störung dar, die wir in unserem geschlossenen System kompensieren, indem wir sie entweder zu ignorieren versuchen oder aber ihren Versprechungen folgen und das Produkt ausprobieren. Wie das eine verhindert und das andere begünstigt werden kann, dazu gibt uns dann am besten die kognitive Lernforschung die nötigen Hinweise. 2.3 Captain Kirk vs. Mr. Spock - emotionale Intelligenz, emotionales Lernen Liebhaber des Raumschiffs Enterprise werden sich mit leiser Nostalgie an die beiden Protagonisten der Serie erinnern: Da war der Vulkanier Mr. Spock, dessen auf Kupfer statt auf Eisen aufbauendes Blut stets kühl blieb, der sich nur wundern konnte, wie Menschen immer wieder durch Emotionen im rationalen Handeln scheinbar behindert wurden, während er selbst Ratio und Logik als einzige verhaltenssteuernde Basis benutzte. Und im krassen Gegensatz dazu stand der US-Amerikaner Captain Kirk, der seinen Emotionen freien Lauf ließ und damit die streng logischen Ergebnisse von Mr. Spocks Ratio scheinbar konterkarierte. Per Saldo erwies sich allerdings immer wieder, dass erst aus dem Zusammenspiel strenger Rationalität und überschäumender Emotionalität die Führung des Raumschiffs Enterprise und die Bewältigung der schwierigsten Weltraumprobleme gelingen konnten. Lernen - und allgemein Denken und Intelligenz - scheinen nach landläufigen Stereotypen die Domäne von Mr. Spock zu sein. Sie werden allgemein der rationalen Sphäre zugeordnet. Eine Forschungsrichtung, die sich mit den emotionalen Anteilen der Intelligenz, des Denkens und Lernens befasst, hebt demgegenüber die notwendige Beteiligung des emotionalen Bereichs hervor, wenn unser Denken und Handeln nicht kalt und unmenschlich werden soll. Die Bedeutung des Emotionalen wird in der kognitiven wie in der neurobiologischen Forschung ebenfalls ausführlich behandelt. Wir werden diesem Thema an den verschiedensten Stellen unserer Darstellung begegnen. 2.4 Wie klug können Maschinen sein? - Neuronale Netze und maschinelles Lernen Künstliche Intelligenz ist eigentlich ein altes Thema, das die Menschen nicht erst seit Mitte dieses Jahrhunderts interessiert. Die Suche nach dem Homunkulus, dem künstlichen Menschen aus der Retorte, ist zwar durch die Arbeit an Robotern, an computergestützter Intelligenz etc. abgelöst worden, beherrschte aber - wie wir unter anderem in Goethes Faust (II, 2. Akt) hören sicher schon seit der Zeit die Phantasie der Menschen, seit diese sich ihrer selbst bewusst geworden sind. Durch die Beschäftigung mit artifizieller Intelligenz in Elektronen-Rechnern hat sich das Thema wissenschaftlichem Zugriff geöffnet. Interessanterweise haben aber auch Neurobiologie und Neurophysiologie diese Arbeiten stark befruchtet. Mit wachsendem Verständnis dessen, was in unserem Zentralnervensystem abläuft, wenn wir denken und lernen, ist auch die Möglichkeit gestiegen, maschinell solche Prozesse nachzuahmen. 12 Das Stichwort hier sind insbesondere die neuronalen Netze, die - bisher im Computer stark vereinfacht - Prinzipien und Strukturen unseres Denk- und Wahrnehmungsapparates nachzuahmen versuchen. Konkrete Erkenntnisse zu unserer Fragestellung lassen sich hieraus natürlich nicht ableiten. Gegebenenfalls können wir aber rückwirkend manche Verständnishilfen aus solchen künstlichen Modellen für die Abläufe in unserem Gehirn gewinnen. Soweit dies möglich ist, werden wir darauf im weiteren Verlauf der Darstellung zurückkommen. 3. 13 Gedächtnis und Lernen - Was man heutzutage darüber weiß und was wir daraus für die Werbung lernen können Zweifellos können wir etwas Sinnvolles über „die Welt da draußen“ erfahren; schließlich bewegen wir uns traumwandlerisch sicher in unserer Umgebung. Da wir - in der Regel - nirgends anecken und mit einiger Übung uns immer besser in dem äußeren Labyrinth zurechtfinden, scheint das Bild, das wir uns im Bewusstsein über unsere Umwelt machen, doch nicht gar so falsch zu sein. Schon immer stellten sich die ihrer selbst bewusst werdenden Menschen dabei die Frage, wie dieses Draußen und Drinnen, die Umwelt und das, was wir uns darüber bewusst ins Erleben rufen, denn vermittelt werden. Präzise gesagt: Die Forschung ist bis heute nicht dahintergekommen. Zwar kennt man inzwischen dank Neurobiologie und -physiologie viele der Mechanismen, die in unserem Zentralnervensystem ablaufen, wenn wir denken, lernen und fühlen, wenn wir uns also etwas bewusst machen. Wie diese chemischen und elektrischen Vorgänge und ihre anatomischen Grundlagen einerseits, unser bewusstes Erleben andererseits aber zusammenhängen und was unser Bewusstsein überhaupt ausmacht, darüber weiß man nach wie vor nichts. Das muss uns aber in diesem Zusammenhang nicht kränken; in unserem Zusammenhang ist es jedenfalls von Interesse, etwas über die Abläufe in unserem Zentralnervensystem zu erfahren, um daraus hoffentlich Rückschlüsse auf die Faktoren zu gewinnen, mit denen die Aufnahme, die Speicherung und der Abruf von Werbebotschaften begünstigt werden können. Als Basis hierfür kann eine Betrachtung der Vorstellungen dienen, die man sich über das Gedächtnis heute macht. 3.1 Das Mehr-Speicher-Modell - komplexe Prozesse beim Wahrnehmen, Verarbeiten, Abspeichern und Erinnern von Gedächtnisinhalten Vor 25 Jahren war ein Drei-Speicher-Modell die bevorzugte Vorstellung, wie unser Gedächtnis funktioniert: • Im Ultra-Kurzzeitgedächtnis werden die Außenreize empfangen, für wenige Sekunden bewahrt und vorab gefiltert • Im Kurzzeitgedächtnis werden die übrig gebliebenen Inhalte kurz gespeichert • Im Langzeitgedächtnis schließlich wird dasjenige, was der Erinnerungswert ist, „auf Dauer“ einsortiert. Heute geht man allgemeiner von einem Mehr-Speicher-Modell aus, das sich - in grob vereinfachter Form - allerdings ebenfalls als ein Drei-Speicher-Modell darstellen lässt (siehe Abb. Seite 15). Das sensorische Register - man muss wohl eigentlich sagen die sensorischen Register - stellt so etwas wie einen Trichter dar, durch den alle Sinneseindrücke, die unser Zentralnervensystem erreichen wollen, eingesammelt werden. Der Kurzzeitspeicher als nächste Instanz ist mit dieser Bezeichnung völlig unter Wert verkauft. So, wie man sich ihn heutzutage vorstellt, ist er der zentrale Arbeitsspeicher (Working Memory) und Prozessor, der die komplexen Verbindungen zwischen der Außenwelt und unserem Bewusstsein regelt. Der Langzeitspeicher stellt - wenn wir die Analogie zum Elektronengehirn beibehalten wollen den Massenspeicher dar, in dem wichtige Dinge dauerhaft abgelegt werden. Die folgende Betrachtung soll näher untersuchen, wie diese Speicher zusammenspielen und was wir daraus für unser Thema - die Werbewirkung - lernen können. 3.2 „Gesichtskontrolle“ an der Eingangspforte - die sensorischen Register Ähnlich wie am Eingang zu einer intimen Bar oder einer modischen Diskothek für In-People werden die ankommenden Reize aus der Außenwelt im sensorischen Register zunächst einmal auf ihre Eignung für die weiteren Prozeduren hin untersucht und klassifiziert. Die eingehenden Reize werden hier mehr oder weniger uncodiert registriert; elektromagnetische Wellen (Gesichtssinn), Druckveränderungen (Gehör, Tastsinn), chemische Reize (Geschmack und Geruch) kommen also im Prinzip so im jeweiligen sensorischen Register an, wie sie aus der Umwelt an uns heranreichen. 14 Mehr-Speicher-Modell Kurzzeitspeicher Sensorisches Register Langzeitspeicher Beibehaltung • episodisch • semantisch • prozedural 15 Reizeingabe Aufmerksamkeitsprozesse Wiederholung Abruf Quelle: Lernen und Gedächtnis; Seite 119, (Scherne, Franz J.) Kohlhammer, Stuttgart 1998 Die sensorischen Register haben dabei eine sehr große Kapazität, das heißt, es können sehr viele Reize durch diese „Gesichtskontrolle“ laufen. Allerdings ist die Verweildauer im Register nur sehr kurz - weniger als eine Sekunde -, so dass in sehr kurzer Zeit eine Entscheidung getroffen werden muss, was fortdauernd beachtet werden soll und was - wie der modisch nicht auf der Höhe der Zeit ausgestattete Disko-Besucher - keinen Eingang erhält. Vielfältige Aufmerksamkeitsprozesse bestimmen darüber, ob die Reize in den Arbeitsspeicher weitergeleitet werden. Da dies die Voraussetzung dafür ist, dass etwas wahrgenommen und verarbeitet wird, ist dies eine ganz entscheidende Stelle auch dafür, ob Werbung, die bei uns anklopft, eine Chance bekommt, wahrgenommen, gelernt und für spätere Entscheidungen bereitgehalten zu werden. Die Aufmerksamkeit ist hier der Filter, der darüber bestimmt, welche aus der Fülle der Reize als bedeutsam für uns ausgegliedert und beachtet werden. Für uns bedeutsam sind folgende Punkte: ➛ Die Erwartungshaltung schafft einen natürlichen Filter, der „passende“ Reize eher durchlässt als unpassende. Das heißt konkret: • Informationsinteresse für bestimmte Produktbereiche lenkt die Aufmerksamkeit auf ebensolche Themen, so dass Werbung für einschlägige Produkte mit verstärkter Zuwendung rechnen kann. • Special-Interest-Zeitschriften bündeln sozusagen Leser mit ganz bestimmten Interessen am Heft-Thema. Entsprechende Themen in der Werbung haben hier auch höhere Chancen, die Eingangskontrolle im sensorischen Register zu bestehen und Aufmerksamkeit zu finden. • Solche Erwartungshaltungen können auch während der Beschäftigung mit einem Medium aktuell aufgebaut werden, zum Beispiel durch Magazine im Heft, die sich mit einem Thema intensiv beschäftigen. Die Rolle des Produkt-Informationsinteresses als Erwartungshaltung wird unter anderem im BILD-Anzeigen-Copytest sichtbar. Die folgende Tabelle (siehe Abb. Seite 17) zeigt Ergebnisse dieses Tests aus den ersten vier Monaten des Jahres 2000. Dargestellt werden drei Maße: Beachtung von Anzeige gesamt, Marke und Text. 16 Gesamt 17 Anzeigen-Größe 1/3 S. 3/4 S. 3/4 S. Anzeigen-Farbe SW ZF 4c Anzahl Test-Anzeigen 67 21 27 19 10 11 46 Anzeige beachtet Gesamt Mit Produktinteresse Ohne Produktinteresse 58,9 72,4 50,6 49,6 68,0 41,2 54,9 69,3 45,7 74,9 81,7 68,0 37,7 56,9 31,4 53,3 68,0 43,6 64,9 76,8 56,5 Index (o. PI/m. PI) 0,70 0,61 0,66 0,83 0,55 0,64 0,74 Marke beachtet Gesamt Mit Produktinteresse Ohne Produktinteresse 50,3 65,5 40,9 45,4 64,1 37,0 45,3 61,3 35,3 63,0 72,9 53,2 30,4 49,3 24,3 48,0 63,6 37,8 55,2 69,5 45,3 Index (o. PI/m. PI) 0,62 0,58 0,58 0,73 0,49 0,59 0,65 Text gelesen Gesamt Mit Produktinteresse Ohne Produktinteresse 30,8 45,8 21,4 26,8 43,0 19,3 28,3 43,9 19,3 38,7 51,5 26,8 17,8 34,3 11,5 31,8 44,5 24,1 33,4 48,6 23,0 Index (o. PI/m. PI) 0,46 0,45 0,44 0,52 0,33 0,54 0,47 Quelle: BILD-Anzeigen-Copytest 2000 Je nach Wirkungsmaß liegen die Werte der Personen ohne Produktinteresse um 30 bis 54 Indexpunkte unter den Werten der Personen mit Produktinteresse. Dies entspricht genau dem, was die Lernforschung in diesem Zusammenhang erwarten lässt. Die Tabelle lässt aber noch zwei andere Dinge erkennen: Zum einen wird in den „Gesamt“-Zeilen bei den drei Maßen sichtbar, dass in der Tat formale Kriterien wie Anzeigengröße und -farbigkeit die Aufmerksamkeit stark beeinflussen: Anzeige gesamt, Marke und Text werden umso besser beachtet und erinnert, je größer und je farbiger eine Anzeige ist. Hier ist auf die gleich folgende Aussage zum „Aufmerksamkeits-Darwinismus“ zu verweisen. Zum anderen wird aber auch sichtbar, dass die Wirkung dieser formalen Faktoren verstärkt bei den Personen ohne Produktinteresse ansetzt: Wie die Indizes zeigen, rücken die Werte der Personen ohne Produktinteresse umso näher an die der Personen mit Produktinteresse heran, je größer und je farbiger eine Anzeige ist. Mit anderen Worten: Formale Auffälligkeit sorgt dafür, dass Personen ohne bestehendes Interesse an einer Botschaft sich stärker mit ihr auseinander setzen. Personen mit Produktinteresse benötigen solche Aufmerksamkeitsverstärker in geringerem Maße, da ihre Erwartungshaltung die entsprechenden Reize aus den sensorischen Registern auch ohne zusätzliche Aufmerksamkeitshilfen ausfiltern. ➛ Die Bedürfnislage, also die Motivationen, lenkt die Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Reize aus der Außenwelt. Dieser Punkt zeigt in die gleiche Richtung wie das Thema Erwartungshaltung: Wenn ein Medium Menschen mit gleichen Motivationen bündelt zum Beispiel Mode-, Kosmetik-, Wohn-, Koch-, Handarbeits-, Computer-, Do-it-yourself-, Wirtschafts-Medien, haben Werbebotschaften, die sich an solche Motivationen wenden, größte Chancen, einheitlich bei allen Nutzern des Mediums verstärkte Aufmerksamkeit zu finden. ➛ Beim Drängeln an der Eingangskontrolle gibt es auch so etwas wie einen AufmerksamkeitsDarwinismus. Botschaften, die sich durch • Größe • Farbigkeit • Kreativität • eine gewisse Schrägheit • außergewöhnliche Perspektiven in formaler und inhaltlicher Hinsicht • etwas ganz und gar Neues • allgemein gesprochen, eine gewisse Lautstärke 18 von den konkurrierenden Botschaften unterscheiden, nehmen bevorzugte Plätze im sensorischen Register ein. Anzeigen-Copytests wie der eben zitierte von BILD zeigen immer wieder, dass im Kampf um die aussichtsreichsten Positionen im sensorischen Register Anzeigen mit entsprechend starken Merkmalen besonders begünstigt sind. 19 ➛ Aber nicht nur Reizstärke und Neuigkeitsappeal sind Helfer beim Buhlen um die Aufmerksamkeit. Appelle an bereits gespeicherte Gedächtnisinhalte bilden ebenfalls ein wichtiges Prinzip, wie die Aufmerksamkeit der Konsumenten gewonnen werden kann. Gewusstes und Bekanntes scheinen eine Art Schablone zu bilden, zu der passende Inhalte aus dem sensorischen Register für die weitere Bearbeitung entnommen werden. ➛ Als Letztes sei schließlich noch das emotionale Erregungsniveau genannt, das die Aufmerksamkeit zu lenken vermag (siehe Abb. Seite 20). Zu wenig emotionaler Gehalt vermindert die Aufmerksamkeit genauso wie zu starke emotionale Appelle. Botschaften, die eine mittlere emotionale Erregung vermitteln, erzielen die beste Aufmerksamkeit. Bereits in den sensorischen Registern geschieht also schon Erhebliches, was die Chancen einer Werbebotschaft entscheidend prägt. Die Passage durch die Eingangskontrolle muss also mit allen strategischen Mitteln gewährleistet werden, damit die weitere Verarbeitung und Aufnahme der Botschaft erfolgen kann. 3.3 Working Memory - Schwerarbeit im zentralen Arbeitsspeicher Die zweite Instanz im Mehr-Speicher-Modell ist der so genannte Kurzzeitspeicher. Der Begriff Kurzzeitspeicher oder Kurzzeit-Gedächtnis wird den Aufgaben, die diese Instanz erfüllt, bei weitem nicht gerecht. Tatsächlich scheint der Kurzzeitspeicher in Wahrheit der zentrale Arbeitsspeicher zu sein, der all das organisiert und verarbeitet, was wir einerseits als aktuell bewusst halten und was andererseits auf Dauer in unserem Langzeitspeicher abgelegt wird. Im Englischen wird deshalb auch der Begriff Working Memory hierfür verwendet. Dieser Speicher wird gern als bildhaft-räumlicher Notizblock gekennzeichnet. Die Kapazität dieses Speichers ist begrenzt: Nur 7 ± 2 Einheiten können simultan im Kurzzeitspeicher bewusst gehalten werden. Da wir aber in der Lage sind, unter Oberbegriffen Ähnliches zusammenzufassen, können solche Einheiten auch Zusammen- Erregung der Betrachter – aber nicht zu viel + Subjektives Gefallen 20 0 Minimum emotionale Erregung Maximum fassungen (Chunks) darstellen, was die Kapazität beträchtlich (bis zu 30 bis 40 Untereinheiten) erhöht. Dieser Arbeitsspeicher entscheidet nicht nur, was von den Reizen aus den sensorischen Registern uns bewusst wird, sondern auch, was eine Chance hat, im Langzeitgedächtnis abgelegt zu werden. Da immer nur eine begrenzte Zahl von Einheiten im Speicher gehalten werden kann, muss Platz entweder durch Weitergabe an den Langzeitspeicher geschaffen werden, oder die Reize werden eliminiert. Das Kurzzeitgedächtnis ist deshalb gegenüber Störreizen ungemein empfindlich: Wer schon einmal eine Telefonnummer nachgeschlagen hat und vor dem Wählen durch die Haustürklingel oder anderes gestört wurde, weiß, wie leicht Inhalte aus dem Kurzzeitspeicher unwiederbringlich verloren gehen. Der Weg von hier in den Langzeitspeicher kann unter zwei Aspekten gestört werden: • Die so genannte proaktive Hemmung bezeichnet den Fall, dass sehr starke vorlaufende Reize die nachkommenden am Weitertransport behindern. • Die retroaktive Hemmung löscht (schwächere) Reize durch nachfolgende stärkere aus. 21 Dieser Arbeitsspeicher wird nicht nur aus den sensorischen Registern gespeist, sondern hat auch das Langzeitgedächtnis als Datenquelle. Reize, die von den sensorischen Registern ankommen, werden nämlich mit bekannten vorhandenen Gedächtnis-Inhalten aus dem Langzeitspeicher verglichen, verknüpft, überlagert - allgemein auf vielfältige Weise verarbeitet. Prinzipiell können Informationen im Kurzzeitspeicher beliebig lange gehalten werden - das setzt allerdings voraus, dass die Aufmerksamkeit gezielt und ohne Ablenkung auf den jeweiligen Inhalt gerichtet wird, dass er beständig memoriert wird. Störreize aus den sensorischen Registern, die nachdrängen, vereiteln es allerdings in der Regel, dass man etwas über längere Zeit im Kurzzeitspeicher behält. Die Überführung in den Langzeitspeicher (besser ist es wohl, vom Einbau in denselben zu sprechen, denn darum handelt es sich eigentlich) erfolgt • durch Repetition - mehrmaliges Wiederholen begünstigt die Langzeitspeicherung • durch Memo-Techniken - man schafft so genannte Eselsbrücken, die die Anlagerung im Speicher befördern • durch Verknüpfen mit schon Gewusstem - wenn bereits Ähnliches im Speicher vorhanden ist, gesellt sich der neue Inhalt zu diesem, es gibt so etwas wie einen Wiedererkennungs-Effekt • durch Anknüpfen an bestehende Kategorien im Langzeitspeicher - wenn man bereits „Directories“ angelegt hat, in die der neue Inhalt passt, gelingt die Speicherung leichter. ANZEIGE 22 (zu) wenig (zu) viel genug Wie man sieht, tut sich in unserem Arbeitsspeicher sehr viel. Für unsere Fragestellung ergeben sich daraus interessante Überlegungen und Ansätze. ➛ Nicht zu viel auf einmal Eine Botschaft darf in der Zeiteinheit nicht zu viel auf einmal bringen, da sonst die Kapazität des Arbeitsspeichers überfordert wird. Dies muss insbesondere bei den Zeitmedien Funk und Fernsehen berücksichtigt werden, während die Printmedien die Möglichkeit bieten, dass der Leser Rezeptionsgeschwindigkeit und -menge nach eigenem Vermögen dosiert. Aber auch hier kann weniger mehr sein (siehe Abb. Seite 22). ➛ Information klar als geschlossene Einheit abgrenzen Um pro- und retrograde Hemmung durch vor- und nachlaufende Reize zu vermindern, muss die einzelne Botschaft als klare, individuell abgegrenzte Einheit erkennbar sein. Während dies bei Printmedien - abgesehen von manchen Kleinanzeigen-Seiten - in der Regel gewährt ist, kommt es in elektronischen Medien ohne die früher üblichen abgrenzenden Inserts (Mainzelmännchen, Onkel Otto etc.) leicht zu Vermischungen von aneinander anschließenden Spots, die einander inhaltlich oder formal zu ähnlich sind. ➛ Appelle hinreichend wiederholen, aber nicht zu oft Werbewirkungskurven zeigen, dass die Erinnerung an Werbebotschaften, aber auch die Einstellung zur beworbenen Marke mit der Zahl der Wiederholungen (also der Zahl der Kontakte) steigt. Es zeigt sich aber auch, dass bei zu vielen Wiederholungen in der Zeiteinheit keine besonderen Steigerungen der Lernleistung mehr zu erzielen sind. So genannte Weareout-Effekte beim Überlernen (also bei zu vielen Kontakten) sind zwar in der Praxis bisher noch wenig zu beobachten; Instrumente wie Qualitäten der Fernsehwerbung (ZDF und ARD) oder AdTrend (SAT.1) bieten aber zumindest die Möglichkeit, die Grenzen der sinnvollen Wiederholungen abzutasten. 23 Dazu Ergebnisse aus Qualitäten der Fernsehwerbung II von ZDF und ARD (siehe Abb. Seite 24). Aus dieser grafischen Darstellung lassen sich folgende Erkenntnisse ableiten: 1. Bei null Kontakten sinkt die Kampagnen-Erinnerung in den ersten zwei Monaten drastisch ab - von knapp 35 % auf etwa 30 %. Danach schwächt sich der Abstieg ab, bleibt aber weiterhin bestehen. Werbewirkung in Abhängigkeit von der Kontaktdosis in der Zeit 60% Kontakte pro Monat Kampagnenerinnerung 55% 50% 45% 24 40% 35% 30% 25% 1 2 3 Kampagnenerinnerung nach … Monaten 4 2. Schon bei einem realisierten Kontakt pro Monat wird das Ausgangsniveau nicht nur gehalten, sondern es gibt einen erkennbaren Anstieg in der Zeit. In drei Monaten immerhin von knapp 35 auf über 37 %. 3. Gleich steile Wirkungszuwächse werden mit zwei, drei und vier Kontakten pro Monat erzielt. Die Kurven verlaufen zwar - entsprechend der unterschiedlichen Kontaktdosis - auf verschiedenem Niveau, aber praktisch parallel. 4. Bei fünf Kontakten pro Monat zeigt sich bereits ein gewisser Ermüdungseffekt. Die Kurve verläuft auf höherem Niveau als bei vier Kontakten pro Monat, aber sie steigt - zumindest im weiteren Verlauf - deutlich geringer an. 5. Mit sechs und mehr Kontakten pro Monat schließlich scheint eine gewisse Sättigung erreicht zu sein. Der Zuwachs über die Zeit wird hier immer geringer - in Relation zum erforderlichen Etataufwand. So weit das Zitat aus der 93er Untersuchung von ZDF und ARD; es fordert ca. 1,5 Kontakte pro Woche als ein Wiederholungs-Optimum. Bei der heutigen Kontaktsituation wird man von zwei bis zweieinhalb Kontakten pro Woche als sinnvoller Wiederholungsfrequenz ausgehen müssen. 25 Für Printmedien gibt es solche Richtwerte nicht. Es wäre wünschenswert, auch hier Informationen zu diesem doch sehr wichtigen Thema zusammenzutragen. ➛ Beziehungen zum Vorwissen schaffen Wenn eine Information sich auf bereits Gewusstes bezieht, erhält sie eine stärkere Bedeutung und gewinnt so nicht nur mehr Aufmerksamkeit, sondern wird auch leichter in den Langzeitspeicher eingebaut. ➛ Einordnung erleichtern Wenn klar ist, in welche Kategorie - von den im Langzeitspeicher bereits angelegten - eine Botschaft gehört, fällt es leichter, sie einzuordnen und damit ihren Ort im Speicher zu lokalisieren. Die heute anscheinend modische Unbestimmtheit in der Informationsdarbietung kann zwar - im besten Falle - zunächst vordergründige Aufmerksamkeit schaffen, erschwert es aber sehr, den gesamten Speichervorgang bis zur dauerhaften Platzierung im Langzeitspeicher zu befördern. 3.4 Der Massenspeicher - geschäftige Umbauprozesse im Langzeitgedächtnis Endgültiger Speicherplatz für alles, was uns aus unserer Umwelt erreicht und durch sensorische Register und Kurzzeitgedächtnis geschleust wurde, ist das Langzeitgedächtnis. In ihm speichern sich die Erfahrungen, die in einem Leben gemacht werden; und insofern spiegelt das Langzeitgedächtnis das Gewordensein der Persönlichkeit wider und macht ihre Individualität aus. Das Langzeitgedächtnis ist ein relativ komplexer Speicher; nach heutiger Anschauung setzt er sich aus drei Untereinheiten zusammen: ➛ Das episodische Gedächtnis speichert sensorische Vorstellungen, also bildhafte Inhalte, die unmittelbar aus unseren Sinnesorganen gespeist werden. ➛ Das semantische Gedächtnis ist zur Aufnahme von verbal kodierten Inhalten bestimmt; hier werden (abstrakte) begriffliche Inhalte gespeichert. ➛ Im prozeduralen Gedächtnis schließlich werden Abläufe, Verhaltenssequenzen etc. abgelegt. Man darf sich diesen Speicher nicht wie eine Festplatte vorstellen, auf der abgelegte Inhalte in ihren Directories unberührt schlummern, bis sie irgendwann einmal auf den Bildschirm gerufen werden, wo sie unverändert in ihrer ursprünglichen Form erscheinen. Das menschliche Langzeitgedächtnis ist vielmehr in ständiger Bewegung; die abgespeicherten Inhalte werden durch innere wie äußere Erlebnisse beeinflusst, verändert, ergänzt oder verstümmelt, in neue Zusammenhänge gestellt und vieles mehr. Wir alle kennen das: Wir könnten Stein und Bein schwören, dass Freund Franz an Silvester beim Bleigießen eine Art Krücke gegossen und sich dann folgerichtig am 3. Januar bei Glatteis ein Bein gebrochen hat. Erst wenn uns seine Frau daran erinnert, dass sie so etwas wie einen Wanderstock gegossen habe, was ja gut zu ihrem Wunsche passte, im neuen Jahr den lange geplanten Himalaja-Trip zu machen, werden wir unseren Irrtum vielleicht korrigieren. Wenn man sich also heute etwas ins Bewusstsein ruft, das vor einiger Zeit erlebt wurde, so ist es selten nur das, was man damals erlebt hat. Es ist vielmehr durch spätere Erlebnisse, durch Verknüpfung mit anderen Gedächtnis-Inhalten und andere Umstrukturierungsprozesse gegenüber dem Original verändert. 26 ➛ Noch ein Blick auf die Funktionen, die das Langzeitgedächtnis ausübt. Dazu gehören Identifizieren Damit ist das Erkennen und Wiedererkennen aktueller Meldungen aus dem Kurzzeitgedächtnis gemeint: Ich erkenne, dass eine Anzeige Waschpulver anbietet und erkenne die Marke Persil wieder ➛ Reproduzieren Hierunter versteht man das Wiedergewinnen gespeicherter Inhalte: Beim Einkaufen fällt mir ein, dass ich vor kurzem eine lustige Werbung für einen Schokoriegel gesehen habe; wenn meine Enkel Glück haben und die Werbebotschaft prägnant gewesen ist, fällt mir nach einigem Nachdenken die Marke ein ➛ Produzieren Dies meint einen Prozess, der für unser Verständnis vom Langzeitgedächtnis besonders wichtig ist, nämlich die Umformung gespeicherter und die Konstruktion neuer Gedächtnis-Inhalte. In diesem Prozess werden alle Erlebnisse und Reize aus der Außenwelt in unser individuelles Weltbild eingepasst. Reine Außenreize, völlig objektive Erlebnisse sind so praktisch nie in unserem Gedächtnis festgehalten. Alles ist mit unserer persönlichen Brille gesehen. Genau genommen heißt das zum Beispiel, dass jedes Individuum eine spezifische Vorstellung von einer Marke hat, die sich - durch seine Vorgeschichte, durch seine Erfahrungen mit der Marke, durch seine Vorlieben und vieles mehr - um ein weniges oder auch um mehr vom Markenbild anderer Individuen unterscheidet. Es gibt Ansätze (J. Winson in Wellmann/Thimm, 1999), die die Träume im REM-Schlaf als das Geschehen annehmen, das die Tageseindrücke in das Gesamtsystem des Langzeitgedächtnisses einarbeitet. (REM = rapid eye movements; damit wird eine unruhige Schlafphase bezeichnet, in der der Schläfer unter anderem heftige Augenbewegungen unter dem geschlossenen Lid macht und intensiv träumt.) 27 ➛ Was lässt sich aus alldem für unsere Fragestellung ableiten? Je anschaulicher und konkreter ein Reiz ist, desto leichter wird er behalten • (prägnante) Bilder werden am leichtesten gespeichert • dann folgen anschauliche Begriffe • während abstrakte Begriffe am schwierigsten zu behalten sind. Es fällt einem nicht schwer, hier beispielsweise einerseits an die Werbung für köstliche Nestlé-Clusters zu denken, die so gut sind, dass sogar Eichhörnchen sie den herkömmlichen Nüssen vorziehen, und andererseits an Frühstückscerealien, die alles Wertvolle enthalten sollen, als technischer Begriff aber völlig unanschaulich sind und nichts über das herrliche Geschmackserlebnis verraten, das Kinder wie Eltern von ihren Cornflakes erwarten. ➛ Die Speicherung von Begriffen kann begünstigt werden • wenn die eingegebenen Begriffe einer gewissen Systematik folgen, da Begriffe im semantischen Gedächtnis in einer hierarchischen Struktur repräsentiert werden. Die rasche Erkennbarkeit von Produktfeld, konkretem Anwendungszweck und Marke öffnet den richtigen Zugangsweg zum Speicherplatz und begünstigt so auch den späteren Abruf solcher Informationen. • wenn ein Begriff multivalent dargeboten wird, das heißt wenn er Assoziationen zu verschiedenen Kategorien und Ebenen zulässt (zum Beispiel ein Waschmittel im Zusammenhang mit Arbeitserleichterung, Hausfrauenprestige, Zeitersparnis für Freizeit, Nachsicht für schmutzige Kinder etc.). Man spricht hier von einer Kreuzklassifikation. ➛ Wenn in einer neuen Kampagne oder bei einem Relaunch neue Vorstellungen und Begriffe gelernt werden sollen, wird dies begünstigt • durch die Frequenz, mit der man der neuen Botschaft begegnet (eine höhere Kontaktdosis ist hier beim Einprägen neuer Inhalte von Vorteil) • ganz schlicht durch die Aussprechbarkeit der Begriffe - geläufige, anschauliche Begriffe sind technischen Begriffen immer vorzuziehen (Bezahlfernsehen ist unter diesem Blickwinkel zum Beispiel dem Begriff Pay-TV sicher überlegen) • durch die Bedeutungshaltigkeit der Begriffe - wenn eine Botschaft vielfältige und wichtige Bedeutungen für den Adressaten besitzt, wird sie leichter aufgenommen (ISDN 300 besagt für den Telefonkunden gar nichts, wenn der Begriff nicht zum Beispiel mit Vielfalt der Verbindungen, Bequemlichkeit für die Familie, Geschwindigkeit und günstigen Kosten angereichert wird). ➛ Als ganz wichtig stellt sich in diesem Zusammenhang dar, was mit dem Begriff Typikalität bezeichnet wird. Damit ist gemeint, dass eine Botschaft leicht erkennbar solche Merkmale aufweist, die typisch für den Produktbereich und die konzeptionell beabsichtigten Anwendungsbereiche sind. Bei hoher Typikalität besteht eine bessere Chance, im Speicher richtig abgelegt und später wieder aufgefunden zu werden. Im Grunde geht es auch hier darum, die richtigen „Schubladen“ aufzumachen, in welche der Inhalt abgelegt werden kann. Natürlich kann man sich fragen, wie gut es ist, sich so typisch zu geben, dass man nicht mehr von 28 anderen Angeboten des gleichen Marktes zu unterscheiden ist. Das Kunststück scheint hier darin zu bestehen, auf der einen Seite typische Merkmale des Produktbereichs zu signalisieren, damit eine Grundeinordnung ohne Probleme möglich ist, auf der anderen Seite aber einen individuellen Markenauftritt zu pflegen, der innerhalb der Bereichs-Typikalität die Marke von den konkurrierenden Angeboten abhebt. Die beiden Marken Binding Lager und Diebels Alt sind etwa Beispiele dafür, wie man trotz eines ähnlich starken Appells an „typische“ Bierstimmung und an Biergenuss sehr spezifische Markenprofile schaffen kann. 4. Das Vergessen - der gegenläufige Prozess „Lernen ist überhaupt kein Problem - nur das Vergessen macht mir zu schaffen.“ Dieses Bonmot ist zweifellos nicht so falsch. Man muss auf jeden Fall davon ausgehen, dass mit jeder Aufnahme von Reizen in die Speicher auch schon der Vergessensprozess in Gang kommt. Dieses Phänomen wird sehr gut illustriert durch die folgende Grafik (siehe Abb. Seite 30). Sie stammt aus dem Band „AdTrend: Kampagnenstrategien und ihre kommunikative Wirkung“ von SAT.1 1999. 29 Man kann sehr gut beobachten, wie am Beginn jedes der beiden Flights der Kampagnen-Recall steil ansteigt, sofort bei Ende eines Flights die Kurve jedoch stark abfällt. Das Vergessen macht die Wirkung der vorherigen Anstöße zunichte, sobald der Nachschub an erinnernden Kontakten entfällt. ➛ Hier sind zwei voneinander getrennte Mechanismen zu unterscheiden: Der Spuren-Zerfall betrifft kurzfristige Lern- und Vergessensvorgänge vor allem im Kurzzeitspeicher. Dieser Spuren-Zerfall geschieht passiv und wird durch starke vorangehende und nachfolgende Reize befördert, die eine Spur verdrängen. • Um diesen Spuren-Zerfall zu hemmen, sind Störreize bei der Aufnahme zu vermeiden; das ist allerdings unter den üblichen Bedingungen, unter denen Werbebotschaften wahrgenommen werden, nur bedingt zu steuern. • Repetition der Reize kann helfen; unter diesem Aspekt können Tandemspots und Reminder in einer Werbeinsel durchaus begründet werden, da sie als Repetitionen im Kurzzeitspeicher wirksam werden. Eine ähnliche Funktion dürften Mehrfachkontakte mit einer Anzeige beim Lesen von Zeitungen und Zeitschriften erfüllen. Lernen und Vergessen 300 GRP’s Kampagnen-Recall 51% 49% 250 60% 50% 200 40% 37% 33% 150 30% 29% 20% 50 10% 0 0% 02-03 04-05 06-07 08-09 10-11 12-13 14-15 16-17 18-19 20-21 22-23 24-25 26-27 28-29 30-31 32-33 34-35 36-37 38-39 40-41 42-43 44-45 46-47 48-49 50-51 52-53 100 Kalenderwoche Quelle: AdTrend: „Kampagnenstrategien und ihre kommunikative Wirkung“ von SAT.1 1999 30 ➛ Von Interferenz-Prozessen spricht man, wenn es um das Vergessen im Langzeitspeicher geht. Damit ist gemeint, dass Spuren hier nicht physisch verfallen wie im Kurzzeitgedächtnis, sondern dass sie sich verändern - durch Umorganisationsprozesse im Langzeitgedächtnis, durch Verarbeitung zusammen mit anderen Spuren, durch Überlagerung mit neuen Spuren etc.; die Spuren können sich dabei so verändern, dass sie nicht mehr in der ursprünglichen Form zugänglich sind. Das Vergessen durch Interferenz kann gemindert werden • durch ungewöhnliche, einzigartige Formen und Inhalte; sie widersetzen sich der schnellen Verarbeitung und Vermischung mit anderen Spuren. Ein klares, eindeutiges und einmaliges Markenprofil ist also der beste Schutz gegen zu schnelles Vergessen. • durch komplexe Assoziation mit vielen Kategorien und Ebenen im Langzeitspeicher, denn jede solcher Assoziationen verringert die Gefahr, dass ein Reiz zwischen und mit ähnlichen Reizen vermischt wird und seine Eigenständigkeit verliert. In beiden Fällen ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gedächtnisspur durch totale Umorganisation der Gedächtnisstrukturen untergeht, geringer - im ersten Fall durch Einzigartigkeit, die sich einer Umorganisation und Vermischung widersetzt, im zweiten durch die Vielfalt der strukturellen Verknüpfungen, die nicht alle gekappt werden können. 31 Eine Marke mit charakteristischem Logo und Auftritt, mit einem Markennamen, der viele interessante Assoziationen zulässt, mit rationalen und emotionalen Appellen an die potenziellen Verwender und möglichst noch mit Assoziationen an den Point of Sale kann dem Schicksal der Vernichtung durch Interferenz am besten entgehen, denn sie bietet viele Anknüpfungspunkte, sich an sie zu erinnern, und setzt Umstrukturierungsprozessen viele Widerstände entgegen. 5 Modelllernen - Lernen durch Beobachtung und Nachahmung „Vorbilder sind die besten Lehrmeister“ - dieses Prinzip ist wohl jedem, der mit Kindererziehung oder mit der Führung von Mitarbeitern praktische Erfahrung gesammelt hat, vertraut. Auch für das Lernen von Werbebotschaften, speziell aber für das Umsetzen des Gelernten ins Kauf- und Konsumverhalten, spielt dieses Prinzip eine nicht unbeträchtliche Rolle. 5.1 Was bewirkt das Modelllernen Modelllernen - auch Imitationslernen genannt - hat eine Reihe von Funktionen, die in unserem 32 Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen können. Dazu gehören insbesondere • die Aneignung neuer Fähigkeiten und Verhaltensmuster Die Übernahme neuer Konsumverhaltensweisen wird entscheidend befördert, wenn nicht nur darauf verwiesen, sondern wenn sie auf dem Wege des Modelllernens konkret vorgeführt wird. • die Hemmung oder Enthemmung bereits gelernter Verhaltensweisen Auch hier spielt Vorbildverhalten eine wichtige Rolle; das Ausüben („Ich rauche gern“) oder die Hemmung („Kein Alkohol am Steuer“, „Keine Macht den Drogen“) von bekannten Verhaltensweisen kann durch nachahmenswerte Vorbilder gesteuert werden. In diesen Zusammenhang gehört auch ganz allgemein die Erleichterung von bestehenden Reaktionstendenzen, die vom Vorbild gezeigt werden (Franz Beckenbauer und E-Plus, Mika Häkkinen und T-D1: Das ist die „Sssukunft“). • die Veränderung des emotionalen Erregungsniveaus und die Lenkung der Aufmerksamkeit Gezeigte Vorbilder können auch dazu beitragen, die Voraussetzungen für das Lernen zu verbessern. Angesehene Vorbilder erhöhen das emotionale Erregungsniveau (und liefern so Energie für die weiteren Lernvorgänge); sie binden auch die Aufmerksamkeit auf das vom Vorbild getragene Geschehen, so dass anderweitige Störreize in den Hintergrund treten. 33 Alles in allem erweist sich das Modelllernen also als sehr wichtiger und interessanter Spezialfall des Lernens gerade im Zusammenhang mit der werblichen Kommunikation. Das darf aber eigentlich auch nicht verwundern - immerhin spielt das Modelllernen im Rahmen der menschlichen Entwicklung die wichtigste Rolle. Was wir geworden sind, verdanken wir unzähligen Modellen und Vorbildern, von denen wir unsere Arten und Unarten abgesehen haben. 5.2 Verhaltens-Aneignung und Verhaltens-Ausführung - die beiden Aspekte des Modelllernens Man muss beim Modelllernen zwei Aspekte unterscheiden - einmal die Verhaltens-Aneignung, zum anderen die Verhaltens-Ausführung. ➛ Verhaltens-Aneignung - aufmerksam werden und behalten Um sich neue Verhaltensweisen anzueignen, muss zunächst die Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden. Dies wird durch eine Reihe von Anreizen begünstigt • in ganz starkem Maße durch die Attraktivität des Modells - Vorbilder, die Prestige, Macht, Kompetenz, Sympathie ausstrahlen, aber auch solche, mit denen man sich identifizieren kann, weil sie einem ähnlich sind, lenken bevorzugt die Aufmerksamkeit auf sich • durch die Nützlichkeit und die erkennbare Effektivität des gezeigten Verhaltens - gekonntes Verhalten und persönliche Nützlichkeit dessen, was vorgeführt wird, zieht ebenfalls die Aufmerksamkeit auf sich und wehrt so Störreize ab, die ablenken könnten • durch Einstellungen und Vorlieben des Vorbildes, die sich mit denen des Beobachters überschneiden. Die Aufmerksamkeit wird bevorzugt eingefangen, wenn man sozusagen Seelenverwandtschaft verspürt, wenn man sich mehr oder weniger eins weiß mit dem gezeigten Vorbild (siehe oben: Identifikation mit einem ähnlichen Vorbild). Man behält das gezeigte Verhalten, indem man sowohl sensorische Vorstellungen (im episodischen Gedächtnis) wie verbale Kodierungen (Begriffe im semantischen Gedächtnis) abspeichert. Begünstigt wird diese Speicherung durch • Wiederholung: Das Wiederholungsprinzip erweist sich als durchgängiges Prinzip zur Speicherung und Festigung von Gedächtnisinhalten • Verknüpfung mit bestehenden kognitiven Strukturen: Neue Verhaltensweisen, die im Modelllernen erworben werden sollen, haben also größere Chancen, behalten zu werden, wenn sie nicht völlig neuartig und fremd sind, sondern an zumindest leidlich bekannte Strukturen anknüpfen können ➛ Verhaltens-Ausführung - Learning by Doing und motivationale Prozesse Das schönste Modelllernen hat keinen Effekt, wenn es nur abgespeichert, aber nicht ausgeübt wird. Die Ausführung wird • durch Üben gelernt, wobei das Vorbild den Anstoß für solche Übungen geben muss • und sie wird verstärkt durch die immer bessere Übereinstimmung des Verhaltens mit dem Modell im Zuge des Übungsverlaufs. Dabei spielen motivationale Prozesse eine wichtige Rolle: • Die Erwartung von positiven Folgen - zum Beispiel Hilfe bei der Problembewältigung, Angleichung an das bewunderte Vorbild - erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das vorbildhafte Verhalten ausgeübt wird. • Wenn das Modell erfolgreich agiert, bildet dies eine stellvertretende Verstärkung für den Beobachter; er erprobt das erfolgreiche Verhalten leichter. • Schließlich kann es auch noch zu einer Selbstverstärkung kommen: Der Beobachter setzt sich 34 selbst Standards, die sich am Vorbild orientieren, und versucht sie dann durch Imitation des Vorbildverhaltens zu erfüllen. Alles in allem ist das Modelllernen ein komplizierter, aber sehr erfolgreicher Prozess, um Verhalten zu lernen. Da werbliche Kommunikation selten nur kognitive Veränderungen zum Ziele hat, sondern in der Regel Verhalten hemmen (gegenüber der Konkurrenz) oder verstärken (gegenüber der eigenen Marke) will, erweist sich dieser Ansatz zweifellos als sehr fruchtbar für den Bereich Werbung. 6. Sprache und Werbewirkung - was Botschaften wirksam und verständlich macht Eine interessante Arbeit aus dem Jahre 1980 befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Sprache und Werbewirkung (Jörn Krümpelmann, 1980). Das ist insofern nahe liegend, als sich werbliche Kommunikation ja doch in ganz wesentlichen Teilen der Sprache bedient, um Werbebotschaften zu vermitteln. Die Arbeit analysiert unter anderem konkrete Werbetexte sprachkritisch und inhaltsanalytisch. Dabei werden zum einen Bedingungen für die Wirksamkeit von Botschaften herausgearbeitet; zum anderen wird dankenswerterweise der Versuch unternommen, ganz konkrete Dimensionen der Verständlichkeit zu definieren. 35 Der Ertrag für unsere Fragestellung ist höchst interessant: ➛ Eine Werbebotschaft ist danach wirksam, die • Aufmerksamkeit weckt Aufmerksamkeit weckt die Botschaft, wenn sie inhaltliches Interesse findet und gestalterisch aus dem sonstigen Angebot herausfällt • ein gemeinsames Repertoire mit dem Empfänger aufweist Damit ist gemeint, dass die Empfänger über ein ähnliches Vokabular und ähnliche Bedeutungen des Vokabulars verfügen müssen, wie sie in der Botschaft verwendet worden sind. Wer über keine Vorkenntnisse verfügt, ist zum Beispiel rettungslos verloren, wenn ihm ein Internet-Provider verspricht, dass er mit dessen Angebot sowohl über ISDN-Karte wie über Modem in der Win- wie in der Mac-Welt im Internet surfen, E-Mails empfangen und senden, E-Commerce betreiben und nach Herzenslust chatten könne, wobei ihm Emoticons eine rechte Hilfe seien. • wichtige Bedürfnisse anspricht Die Ansprache wichtiger Bedürfnisse gewährleistet, dass die Botschaft als persönlich relevant erlebt wird und dass die Auseinandersetzung damit nicht nur rational, sondern auch emotional erfolgt. • glaubwürdige Inhalte aufweist Die Botschaft muss mit den erlebbaren Eigenschaften des Produktes übereinstimmen. Übertreibungen, die über das bei Werbung erwartete Maß hinausgehen, sollten unbedingt vermieden werden. • keine Tabus verletzt Dieser Punkt mag in der heutigen Zeit erstaunlich klingen, wird aber eigens hervorgehoben: Tabu-Verletzungen sind kontraproduktiv, wie die Benetton-Werbung unter anderem gezeigt hat. ➛ Zum Thema Verständlichkeit werden folgende Dimensionen hervorgehoben: • Einfachheit Die Forderung nach Einfachheit betrifft zum einen den Satzbau, zum anderen die Wortwahl: Kurze, wenig geschachtelte Sätze sowie Begriffe, über die die Empfänger tatsächlich verfügen, machen Botschaften verständlich. Zu kunstvolle wie auch liederliche Sprache, technische Begriffe oder unbekannte Fremdwörter und fremdsprachliche Redewendungen verletzen diese Forderung. • Gliederung und Ordnung Wir erinnern uns, dass sprachliche Informationen im semantischen Gedächtnis hierarchisch abgespeichert werden. Damit dies gelingt, muß die Botschaft eine gewisse systematische Ordnung aufweisen, da nur so die Zuordnung der Informationen zu ihren Speicherplätzen richtig möglich ist. • Kürze und Prägnanz In der Alltagskommunikation gehören eine gewisse Redundanz, also ein Wiederholen gleicher Inhalte mit vielleicht unterschiedlichen Formulierungen, gewisse logische Inkonsequenzen, ein wenig ausschweifende Gedanken und ein Springen vom Hölzchen aufs Stöckchen durchaus zu einem befriedigenden Plausch dazu. Für die Kommunikation von Werbebotschaften hat dieses Vorgehen aber keine Chance, wenn bestimmte intendierte Inhalte möglichst effektiv vermittelt werden sollen. Denn werbliche Kommunikation ist nicht gemütliches Miteinanderverweilen, sondern in erster Linie Appell und Buhlen um kurzfristige Aufmerksamkeit. Von daher sind kurze, überschaubare und klar gegliederte Angebote gefordert. Wie sehr gegen 36 diese Forderung verstoßen werden kann, zeigt die Plakatwerbung für lokale Veranstaltungen immer wieder in grotesker Weise. 7 37 Auf der Suche nach Antworten zu einigen Detail-Fragen Im bisherigen Verlauf der Darstellung haben wir jeweils vor Ort Konsequenzen für die Lernprozesse in der Werbung diskutiert, so wie es sich aus den jeweiligen theoretischen Erkenntnissen ableiten ließ. Hier sollen nun noch einige Detail-Fragen diskutiert werden, für die sich bisher keine direkten Anknüpfungspunkte ergeben haben. 7.1 Low-Interest-Produkte - wie gewinnt man die Aufmerksamkeit des Publikums? Die Frage nach dem Schicksal von Werbung für Low-Interest-Produkte beherrscht häufig Diskussionen um die Wahrnehmung von Werbebotschaften. Diese Frage wird aber im Grunde falsch gestellt, weil sie davon ausgeht, dass es auf der einen Seite High-Interest-Produkte gebe, die vom Schicksal sozusagen privilegiert seien, da sie per se die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Konsumenten auf sich ziehe; und auf der anderen Seite dann eben die unterprivilegierten Low-Interest-Produkte, um die sich freiwillig kein Mensch scheren würde, wenn es nicht ganz raffiniert und tricky gelänge, höhere Interessenvalenzen vorzutäuschen. Mit der Brille der Lernforschung gesehen, muss man diese Unterscheidung, die von einer sozusagen gottgewollten Diskriminierung bestimmter Produkte - Erbsen, Feueranzünder, Grobwaschpulver, grüner Seife etc. - ausgeht, als nichtssagend beiseite legen. Grundsätzlich gilt: Wer ein Bedürfnis hat, das mit einem bestimmten Produkt befriedigt werden kann, achtet auch auf Informationen und Zugangswege zu diesem Produkt. Hier können wir getrost auf die gute alte Weisheit Kurt Lewins (Lernprozesse in der Werbung, 1976) vertrauen, die besagt: Die Bedürfnis-Situation eines Individuums strukturiert seinen Wahrnehmungsraum und lenkt die Aufmerksamkeit auf eben die Reize, die der Bedürfnisbefriedigung dienen können. Das gilt für Schmuck und Ferraris ebenso wie für Erbsen und grüne Seife. Dieser Mechanismus ist übrigens ein Bonus für Werbebotschaften, denn er sorgt dafür, dass eine Botschaft bevorzugt von den Menschen beachtet wird, denen sie wirklich etwas zu geben hat. Und Störeinflüsse von weniger interessierenden Botschaften werden auf diese Weise eingedämmt, weil sie eben weniger Aufmerksamkeit finden. 38 Einen Sinn macht die Fragestellung allerdings, wenn man nicht fragt, wie Botschaften von Low-Interest-Produkten Aufmerksamkeit finden können, sondern wie man das Interesse von Personen wecken kann, die von sich aus an einem Produkt nicht interessiert sind. Nun, hierfür hat unser Streifzug durch die Lernforschung eine ganze Reihe von Ansatzpunkten geliefert: 39 ➛ die Menschen in Medien ansprechen, die eine geringere Selektivität der Aufmerksamkeit zulassen, also in Tageszeitungen, im Fernsehen ➛ durch formale Kriterien auffällig machen, zum Beispiel durch Farbigkeit, Format, Eyecatcher, spannenden konzeptionellen Aufhänger ➛ mit einer Motivation verknüpfen, die bei vielen Menschen vorhanden ist (auch die grünste Seife kann eventuell Interesse finden, wenn sie als Naturprodukt gegen die chemische Invasion der Haushaltsreiniger gestellt wird). Alles in allem geht es also weniger um die Frage: Wie kann ich ein langweiliges Produkt interessanter machen, sondern: Wie kann ich die Aufmerksamkeit uninteressierter Menschen gewinnen, falls dieses Ziel im Briefing meiner Kampagne steht. 7.2 Mehrkanaligkeit - was nützt sie und wo kann sie auch schaden? 7.2.1 Allgemeine Überlegungen Es ist einerseits unstrittig, dass mehrkanalige Ansprache die Aufmerksamkeit zu binden vermag und die vielfältige Abspeicherung im Langzeitgedächtnis begünstigt. Dies gilt allerdings nur, wenn es gelingt, die unterschiedlichen Sinnesreize aus den sensorischen Registern im Kurzzeitgedächtnis zu einer Einheit, zu einem Chunk zusammenzufassen. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die verschiedenen Sinnesreize gegenseitig Konkurrenz machen und löschen. Das kann übrigens auch bei einkanaliger Ansprache in Print oder Radio passieren, wenn verschiedene Details gegeneinander statt miteinander arbeiten. Die bekannten Mädchenbeine, die gern betrachtet werden, dabei aber völlig vom beworbenen Autoreifen („die Beine Ihres Autos“) ablenken, sind nur ein Beispiel für diese Gefahr. ➛ Wichtigstes Prinzip muss also sein, alle Details eines Werbemittels unter einer einheitlichen Zielsetzung so zu strukturieren, dass die Schlüsselinformationen - Produktbereich, Markenname, Logo, speziell USP - möglichst ungestört ankommen können. Das gilt, wie gesagt, nicht nur für mehrkanalige Ansprache, sondern auch für einkanalige Medien. ➛ Im Übrigen: Mehrkanalige Ansprache muss nicht simultan erfolgen. Mit Media-Mix können die Vorteile mehrkanaliger Ansprache genutzt werden, ohne dass es zu simultaner Störung von Reizen aus verschiedenen Kanälen kommen muss. 7.2.2 Eine neue Studie von der ZEITUNGSGRUPPE BILD zum Multiplying-Effekt bei mehrkanaliger Ansprache Das Thema Mehrkanaligkeit und ihre Auswirkungen ist in den letzten 15 Jahren häufig untersucht worden. Just zum neuen Jahrtausend hat die ZEITUNGSGRUPPE BILD mit „Der Multiplying-Effekt“ eine sehr interessante experimentelle Untersuchung vorgelegt. Bei dieser Untersuchung erhielten 2 x 250 Personen unter kontrollierten experimentellen Bedingungen Werbung für jeweils sechs Marken über wechselnde Kanäle dargeboten. Die Konstellationen waren: • nur 1 Print-Anstoß • nur 1 TV-Anstoß • 2 TV-Anstöße • 1 TV- und 1 Print-Anstoß • 1 TV- und 1 Print- und 1 TV-Anstoß Das folgende Beispiel (siehe Abb. Seite 41) zeigt Ergebnisse der Untersuchung für die Marke Ford Cougar. Die Ergebnisse belegen erneut eindrucksvoll die Effekte mehrkanaliger Ansprache. Die Zusammenfassung des Untersuchungsberichtes zeigt, welche Multiplying-Effekte je nach Marke und Konzeption zum Tragen gekommen sind: ➛ Mixkontakte verbessern den Lerneffekt Mixkontakte führen zu einer intensiveren Verarbeitung der Argumente der Werbebotschaft. Die Erinnerung an die Werbeinhalte wird reichhaltiger. Die „Lernaufgabe“ gelingt besser. 40 41 "Freiheit" "Easy-Rider-Feeling" 125% 13% 13% Summe der Nennungen 100% 8% 6% 75% 18% 10% 25% 28% 18% 22% 20% 6% 8% 59% 60% 57% 1 x TV TV + TV TV + Print 14% 50% 8% 25% 70% 41% 0% 1 x Print TV + Print + TV Spontanäußerungen Wenn man früher als jüngerer, draufgängerischer Typ gerne Motorrad gefahren ist, schafft dieser Cougar eine Alternative Ein junges Modell für ältere Herren; Easy-Rider-Feeling, eine Erinnerung an meine Jugendzeit Ein Auto, das das Gefühl von Motorrad vermittelt; gleiches Lebensgefühl und gleicher Spaß im Cougar wie auf der Harley Frei, Freiheit, gibt das Gefühl von Freiheit und Abenteuer, Freiheit und Sorglosigkeit Quelle: Der Multiplying-Effekt, ZEITUNGSGRUPPE BILD, Hamburg 1999 ➛ Mixkontakte verstärken die Aufmerksamkeit Betrachter erinnern Einzelheiten des TV-Spots, die sie ohne Anzeigenkenntnis nicht bemerkt hätten. Umgekehrt wird auch die Beschäftigung mit dem Anzeigentext durch den TV-Spot verstärkt. ➛ Mixkontakte schaffen Glaubwürdigkeitstransfer Informationsbetonte, sachliche Anzeigen können Gegenpol zu eher emotionalen TV-Spots sein und so die Glaubwürdigkeit des Produktversprechens unterstützen beziehungsweise Zweifel daran minimieren. ➛ Mixkontakte reduzieren Ablenkungseffekte Sehr „dynamische“ Spots laufen Gefahr, dass die Erinnerung an den Handlungsablauf aus dem Bezug zu Marke und Werbeaussage gelöst und die Botschaft spärlicher kommuniziert wird. Mixkontakte fangen diesen Ablenkungseffekt auf. Spotdynamik und Anzeigenbotschaft werden im Kopf der Zielperson gemeinsam verarbeitet. Print fördert die mehr produktorientierten Reaktionen auf den TV- Spot. ➛ Mixkontakte bieten ergänzende Informationen Anzeigen kommt vielfach die ergänzende oder vertiefende Informationsfunktion zu, die der Spot mit seinen schnell vergänglichen Fernsehbildern nicht leisten kann. ➛ Mixkontakte fördern die prägnantere Positionierung Nennungen falscher Produktaussagen werden unterdrückt, wenn dem Spot ein Printkontakt vorausgeht. ➛ Mixkontakte komplettieren das Spoterlebnis Mixkontakte führen zu besseren Erinnerungswerten für das komplette Werbeversprechen, den vollständigen Claim. ➛ Mixkontakte geben Handlungsanstöße Durch die intensivere Verarbeitungsmöglichkeit von Argumenten verinnerlichen die Rezipienten, warum sie etwas tun sollen, an wen sie sich wenden können. Handlungsprädispositionen werden aufgebaut. 42 ➛ „Creative links“ und unterschiedliche Gestaltung verstärken den Mix-Effekt Voraussetzung für einen funktionierenden Multiplying-Effekt sind kreative Bindeglieder zwischen beiden Kanälen. Das heißt aber nicht, dass die besten Ergebnisse dann erzielt werden, wenn die Anzeige aus einem „Standfoto“ des Spots besteht. Vielmehr fördert die unterschiedliche Gestaltung der gleichen Grundbotschaft die Einprägung und Verarbeitung der werblichen Inhalte. Die Früchte mehrkanaliger Ansprache werden mit dieser Studie also sehr eindrucksvoll belegt. Es erscheint befriedigend, dass auch in der Planungspraxis der Gedanke immer mehr Fuß fasst, mit Hilfe des Media-Mix Werbeeffektivität zu verbessern. 43 7.3 Konkurrenzwerbung - wie sollte man ihr begegnen? Konkurrierende Werbeanstöße mindern die Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Botschaft. Das ist inzwischen keine Frage mehr. Die verschiedensten Messbereiche - Kampagnen-Recall und -sympathie oder Kaufdisposition als kommunikative Maße, Marktanteilsschwankungen als ökonometrische Indikatoren - schlagen geringer aus, wenn den eigenen Werbeanstößen konkurrierende entgegenstehen. Grundsätzlich kann man daraus die logisch durchaus richtige Konsequenz ziehen, dass es besser wäre, der Konkurrenz auszuweichen, als ihr tapfer, aber dumm zu begegnen. Solchen Ausweichstrategien sind aber enge Grenzen gesetzt: ➛ Special-Interest-Medien, die bestimmte Werbezielgruppen gebündelt anbieten, werden von der Konkurrenz in gleichem Maße genutzt, können aber nicht aus dem Mediaplan gestrichen werden, wenn die Zielgruppe breit und kostengünstig abgedeckt werden soll. ➛ Ein zeitliches Ausweichen (dann in einem Medium schalten, wenn die Konkurrenz schweigt) ist nur bedingt möglich, wenn bestimmte saisonale Verläufe die Anwesenheit erfordern. Die beste Möglichkeit bietet sich für nicht saisongebundene Marken an, im so genannten Sommerloch zu schalten, wenn die meisten Marken einer dumpfen inneren Stimme folgend Abstinenz üben. ➛ In bestimmten Fällen ist es unabdingbar, sich der Konkurrenz zu stellen. Typisches Beispiel hierfür ist die Handelswerbung in Tageszeitungen. Ein Lebensmittel-Markt, der einmal versäumt hat, in der Ausgabe zu schalten, in der sich die Hausfrauen üblicherweise über die Angebote informieren, wird diesen Fehler am geringen Umsatz dieser Woche schmerzlich zu spüren 44 bekommen und ihn nie wieder begehen (oder ganz aus dem System heraustreten und zum Beispiel eigene Medien einsetzen). Fasst man die Diskussion zusammen, so muss man feststellen: 45 ➛ Der Konkurrenz auszuweichen ist ein wünschenswertes Vorgehen, allerdings ist es in der Realität nur sehr bedingt möglich. ➛ Bei genauer Analyse der eigenen Situation wird man aber in vielen Fällen feststellen, dass man der Konkurrenz gar nicht ausweichen kann. Und dann muss man sich ihr eben tapfer stellen – mit allen Konsequenzen für die notwendige Etathöhe und die erforderliche Kontakt-Dosis –, um die konkurrierenden Werbeanstrengungen zu kompensieren. 7.4 Wie kann Wissen in Wollen überführt werden? - Informieren und überzeugen Diese Frage ist auf der einen Seite sehr einfach, auf der anderen Seite aber schwierig zu beantworten. Zunächst die einfache Antwort: ➛ Man muss eine Botschaft nur so glaubwürdig formulieren, dass sie als seriöse Lösung für bestimmte Probleme aufgenommen wird. Dann besteht die reale Chance, dass die Marke von allen, die die infrage stehenden Probleme haben, als Problemlöser probiert wird. Und nun ein paar Gedanken zur schwierigen Seite dieser Frage: ➛ Menschen zu etwas zu bewegen, das sie partout nicht wollen, ist nach allen Erfahrungen ein ziemlich vergebliches Unterfangen. ➛ Wenn es allerdings gelingt, ein Angebot so zu formulieren, dass es mit einer vorhandenen Motivation verknüpft werden kann, besteht die Chance, auch solche Menschen zu überzeugen, die „eigentlich“ kein Interesse an Botschaft und Marke haben. Beispiel: Nicht ein ISDN-Anschluss ist interessant, wohl aber die Chance, bei Bedarf eine freie Leitung zu haben, auch wenn der Sprössling den ganzen Tag telefoniert. ➛ Ein möglicher Weg, Wissen in Überzeugung und Wollen zu überführen, wird schließlich durch das Modelllernen gewiesen. Wenn Vorbilder bestimmte Verhaltensweisen gut finden, kann das zunächst zu einer Änderung der eigenen Einstellungen führen und im Gefolge davon auch dazu, das Ganze einmal auszuprobieren. Die derzeitige Internet-Kampagne von AOL mit Boris Becker ist ein hervorragendes Beispiel, wie so etwas funktionieren kann. Einen Königsweg zu diesem Ziel gibt es allerdings nicht. Abhängig von der konkreten Situation einer Marke, des zugehörigen Produktbereichs und der Zielgruppe wird immer nach individuellen Lösungen zu suchen sein. Aber das ist schon in Ordnung so - schließlich bezeichnet man diese Arbeit ja nicht umsonst als kreativen Job. 46 Check-Liste Fragen, die die Lernforschung dem Praktiker bei Gestaltung und Planung anbietet Mit der folgenden Zusammenstellung werden dem Praktiker aus Lernforschungssicht Fragen angeboten, mit denen er seine Arbeit begleitend diskutieren kann. Selbstverständlich können nicht alle Fragen bei allen Konzeptionen in gleicher Weise gestellt werden. Es geht vielmehr darum, ein Repertoire anzubieten, aus dem man die geeigneten Fragen herausgreifen kann. Je mehr der zutreffenden Fragen positiv und je weniger negativ zu beantworten sind, umso größer ist die Chance, dass die Konzeption unter den Aspekten der Lernforschung erfolgreich zu arbeiten verspricht. 1. Wie macht die Konzeption auf sich aufmerksam? 47 2. Welche Aufmerksamkeitsfaktoren werden eingesetzt? • Größe und Farbe • Kreatives Niveau • Gewisse Schrägheit • Außergewöhnliches • Gewisse Lautstärke 3. Werden die Erwartungshaltungen der Betrachter (Produkt-Interesse) erkennbar bedient? 4. Bezieht sich die Botschaft auf die konkrete Bedürfnis-Lage? 5. Wird an Gespeichertes, an Vorwissen appelliert? 6. Wird ein mittleres Erregungsniveau erzielt? 7. Schafft die Kampagne Vertrautheit beim Betrachter? 8. Wird die Botschaft lebendig gemacht? Wie? 9. Ist die Botschaft positiv aufgeladen? 10. Spricht die Kampagne Emotionen an? 11. Aktiviert die Kampagne den Betrachter? 12. Regt die Kampagne Beschäftigungslust an? 13. Ist die Darstellung abwechslungsreich? 14. Wird an sachliche Motivationen appelliert? 15. Wird wichtige Bedürfnisbefriedigung versprochen? 16. Wird nicht zu viel auf einmal dargeboten? 17. Wird die Information als geschlossene, abgegrenzte Einheit erlebt? 18. Ist die Botschaft • einfach? • klar gegliedert? • kurz und prägnant? • glaubwürdig? 19. Besteht ein gemeinsames Repertoire in der Sprache und den Symbolen? 20. Werden keine Tabus verletzt? 21. Kann man Eselsbrücken bilden? 22. Wird eine systematische Einordnung erleichtert? 23. Ist die Aussage anschaulich genug • durch Bilder • bildhafte, anschauliche Begriffe 24. Ist die Darbietung multivalent (stellt viele assoziative Bezüge her)? 25. Werden typische Merkmale und Darstellungsformen des Produktbereiches gezeigt (Typikalität)? 48 26. Werden unerwünschte Vermischungen mit bestehenden Gedächtnisinhalten (Interferenzen) vermieden: • wird Ungewöhnliches gezeigt? • hat die Botschaft etwas Einzigartiges? • werden komplexe Assoziationen gestiftet? 27. Arbeitet die Konzeption mit Vorbildern? • Ist das Modell attraktiv? • Zeigt es nützliches Verhalten? • Besteht hinreichende Nähe zwischen Modell und Betrachter? • Besteht Nähe zwischen Modell und Produkt? 28. Ist die Gestaltung werbeträgerspezifisch? 29. Werden die Info-Kanäle variiert? 49 30. Werden die Kontakte unregelmäßig gesetzt? 31. Werden Sinneskanäle und Medien gewechselt? 32. Werden Lasso-Effekt in elektronischen und Pfeil-Effekt in Printmedien genutzt? 33. Ist die Zielgruppe mit den ausgewählten Medien vertraut? 34. Wird im Media-Mix geschaltet? 35. Ist das Werbeklima der Medien positiv? 36. Werden die Appelle hinreichend, aber nicht zu oft, wiederholt? 37. Ist für hinreichende kurzfristige Wiederholung der Appelle gesorgt (Tandems, Mehrfachkontakte im Heft)? Anhang A. Detailanmerkungen zu Forschung und Theorie in den einzelnen Kapiteln Kapitel 2.2 Eine hervorragende Darstellung der neurophysiologischen Forschungsansätze und der gefundenen Prozessabläufe findet sich in Squire und Kandel: „Gedächtnis - Die Natur des Erinnerns“, 2000. Dazu die folgenden Kapitelüberschriften: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Vom Geist zum Molekül Modulierbare Synapsen für das nichtdeklarative Gedächtnis Moleküle für das Kurzzeitgedächtnis Das deklarative Gedächtnis Gehirnsysteme für das deklarative Gedächtnis Ein synaptischer Speichermechanismus für das deklarative Gedächtnis Vom Kurzzeitgedächtnis zum Langzeitgedächtnis Priming, Wahrnehmungslernen und emotionales Lernen Gedächtnis für Fertigkeiten, Gewohnheiten und konditionierte Reaktionen Das Gedächtnis und die biologische Basis der Individualität Wie man sieht, werden hier alle relevanten Stichworte unter dem biologischen und neurophysiologischen Aspekt behandelt. Das Buch reitet auf der Bugwelle dieses interessanten Forschungsbereiches; konkrete Erträge für das Thema Lernprozesse in der Werbung sind davon jedoch noch nicht zu gewinnen. Kapitel 2.3 Emotionales Lernen meint die Vorgänge, bei denen wir lernen, wie bestimmte Gegenstände, Ereignisse etc. zu bewerten sind. Diese Bewertungen hängen davon ab, in welchem Zusammenhang man mit bestimmten Reizen konfrontiert wurde, und welche Erfahrungen man in diesem Zusammenhang gemacht hat. Interessant ist die Feststellung, dass man Präferenzen und Aversionen, also Vorlieben und Abneigungen, gegenüber bestimmten Dingen unbewusst erwerben kann. Auch wenn man den Gegenstand der Gefühlsbewertung nicht bewusst wahrnimmt, können sich positive oder negative Gefühle aufbauen, die bei bewusster Konfrontation mit dem Reiz dann zu einer vorgefertigten Bewertung führen. 50 In „Gedächtnis“ (Squire und Kandel, 2000) wird über ein Experiment berichtet, in dem die Probanden geometrische Formen so kurzzeitig dargeboten bekamen, dass sie fast nicht bemerkten, überhaupt etwas gesehen zu haben, geschweige denn irgendetwas Konkretes erkennen konnten. Bei einem späteren Gedächtnistest mit diesen geometrischen Formen wurden diese auch tatsächlich nicht wiedererkannt. Es wurden aber diejenigen Formen bevorzugt, die man im ersten Teil des Experimentes schon einmal kurzfristig - also ohne ihre Identifikation - gesehen hatte. Im Zusammenhang mit dem Thema Werbung kann daraus gefolgert werden, dass auch durch nicht erinnerte Kontakte - beim durchblättern einer Zeitschrift, beim beiläufigen Laufenlassen des Fernsehers oder des Radios - emotionale Haltungen unbewusst vorgeprägt werden, die beim Kontakt mit den Marken im Geschäft dann wirksam werden können, ohne dass sich die Betroffenen Rechenschaft ablegen, woher diese Einstellungen wohl kommen. 51 Kapitel 3.1 Neben dem Mehr-Speicher-Modell wird auch ein Mehr-Ebenen-Modell diskutiert: Dieses Modell (siehe Abb. Seite 52) geht davon aus, dass ein zentraler Prozessor auf mehreren Ebenen mit unterschiedlicher Verarbeitungstiefe, verschiedener Reizanalyse und gestufter Behaltensleistung Lernprozesse steuert. Dieses Modell wird allerdings durch die derzeitigen neurophysiologischen Erkenntnisse weniger gestützt als das Mehr-Speicher-Modell. Kapitel 3.4 Alternativ zum episodischen, semantischen und prozeduralen Gedächtnis geht eine andere Einteilung vom deklarativen und nichtdeklarativen Gedächtnis aus. ➛ Im deklarativen Gedächtnis werden Fakten, Ereignisse oder auch Vorstellungen bewahrt, die bewusst als verbale oder bildliche Erinnerungen wachgerufen werden können. Hier werden Informationen abgespeichert und erinnert. Dies entspräche - wenn auch unscharf - etwa dem episodischen und semantischen Gedächtnis. ➛ Das nichtdeklarative Gedächtnis bezieht sich auf Abläufe, die sich im Verhalten ausdrücken, aber nicht bewusst erinnert werden (man kann schwimmen, das aber am besten, wenn man sich die Abläufe nicht deklarativ vorzustellen versucht). Man kann es in etwa mit dem prozeduralen Gedächtnis vergleichen, obwohl es letztlich mehr umfasst. Mehr-Ebenen-Modell Reiz-Eingabe Zentraler Prozessor Verarbeitung Reizanalyse Behaltensleistung flach grafisch (Form) gering mittel phonetisch (laut) mittel tief semantisch (Bedeutung) hoch Quelle: Lernen und Gedächtnis; Seite 137, (Scherne, Franz J.) Kohlhammer, Stuttgart 1998 52 53 Im nichtdeklarativen Gedächtnis (oder den Gedächtnissen) werden die Ergebnisse der verschiedensten Lernprozesse zusammengefasst: • Priming: Das ist die Verbesserung der Fähigkeit, durch vorangegangene Erfahrungen bestimmte Reize zu identifizieren; hier kann schon ein Kontakt, der kurz zuvor - auch unbewusst erfolgte, die spätere bewusste Reizwahrnehmung und Speicherung entscheidend verbessern. Die Mehrfachschaltung von Werbung in einem Werbeträger könnte von hier aus eine theoretische Begründung erfahren. • Wahrnehmungslernen: Damit ist gemeint, dass durch vorangegangene - auch unbewusste Wahrnehmungsvorgänge die Wahrnehmung von Strukturen und Eigenschaften an einem Wahrnehmungsgegenstand deutlich verbessert werden kann. Dies könnte ein Schlüssel für das Verständnis von solchen Beobachtungen sein, die zeigen dass man erst nach mehreren (unbewussten) Kontakten mit Werbemitteln plötzlich die Kampagne bewusst wahrnimmt. • Emotionales Lernen: Hiermit wird die Tatsache bezeichnet, dass man nicht nur die Information als solche, sondern auch ihre gefühlsmäßige Bewertung schon bei vorlaufenden unbewussten Kontakten mit einem Gegenstand lernen kann, die dann bei bewusster Konfrontation sofort voll ausgebildet zum Tragen kommt. • Schließlich gehören zum nichtdeklarativen Gedächtnis noch Lernprozesse, die sich auf das Erlernen von Fertigkeiten (Skills), Gewohnheiten und konditionierten Reaktionen beziehen. Es handelt sich in allen drei Fällen um Gedächtnisinhalte, die man sich nicht bewusst hält, die aber das Verhalten entscheidend steuern. Kapitel 7.2.2 Dass der Multiplying-Effekt bei nahezu allen Kampagnen, dort aber in unterschiedlichen Bereichen, positive Wirkung besitzt, geht aus folgender Übersicht hervor, die im Bericht über die Studie vorgestellt wird (siehe Tab. Seite 54). Mixkontakte ... Testkampagne verbessern verstärken schaffen reduzieren ergänzen positionieren komplettieren geben Lerneffekt Aufmerk- GlaubwürdigAblenInformation prägnanter das Handlungssamkeit keitstransfer kungseffekte Spoterlebnis anstöße MalteserkreuzAquavit Ford Cougar Neutrogena Handcreme Melitta Harmonie Herta Finesse Wurst 54 AEGGeschirrspüler WüstenrotBausparkasse Valverde Naturmedizin Allianz Privatrente Allianz Auto Plus Sunil Vollwaschmittel Garnier Fructis Kein Multiplying-Effekt nachweisbar B. 55 Quellenangaben Stichwort Kognition: • Foundations of communication and cognition; de Gruyter, Berlin 1999 • Short-term storage and processing in human cognition; Institut für Allgemeine Psychologie, Leipzig 1996 • From reaction to cognition; Springer,Berlin 1995 • Cognition, communication and survey measurement; (Schwarz, Norbert) ZUMA, Mannheim 1994 • Zur Biologie der Kognition; (Riegas, Volker und Vetter, Christian Hrsg.) Suhrkamp Wissenschaft, Frankfurt am Main 1993 • Zur Biologie der Kognition; (Maturana, Humberto R.) Suhrkamp Wissenschaft, Frankfurt am Main 1993 • Perception and cognition; Amsterdam 1993 • Neurodevelopment, aging and cognition; Birkhäuser, Boston 1992 • Brain - perception - cognition; Thieme, Stuttgart 1990 • The role of impression formation, social cognition and priming in the development of stereotypes; (Shah, Ashiq Ali) Lang, Frankfurt am Main 1987 • Der Baum der Erkenntnis; (Maturana, H. und Varela, F.) Scherz, Bern München Wien 1987 • Attention and arousal; (Eysenck, Michael) Springer, Berlin 1982 • Kognitive Psychologie; (Posner, Michael) Juventa, München 1976 Stichwort emotionale Intelligenz: • EQ; (Cooper, Robert) Heyne, München 1998 • Emotionale Intelligenz im Verkauf; (Franck, Wolfgang) Moderne Industrie, Landsberg am Lech 1997 • Emotionale Intelligenz; (Goleman, Daniel) Hanser, München 1996 (Siehe auch L.R. Squire und E. R. Kandle: Gedächtnis ) Stichwort Kommunikationsforschung: • In Medias Res; Burda Advertising Center, München 1999 • Empirische Kommunikationsforschung; (Merten, Klaus) Ölschläger, München 1991 • Kommunikation und Erfahrung; Verlag der Kommunikationswissenschaftlichen Forschungsvereinigung Nürnberg 1987 • Motivationale Ansätze in der Kommunikationswissenschaft, (Drabczinski, Michael) Spiess, Berlin 1982 • Sprache und Signal; (Ungeheuer, Gerold) Buske, Hamburg 1977 Stichwort Aufmerksamkeit: • Lernen und Aufmerksamkeit; (Rübeling, Hartmut) Universität, Fachbereich Psychologie, Osnabrück 1984 Stichwort Erinnern: • Lernen, Erinnern, Vergessen; (Bredenkamp, Jürgen) Beck, München 1998 Stichwort Gedächtnis: • Gedächtnis - Die Natur des Erinnerns; (Squire, Larry R.+Kandle, Eric R.) Spectrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin 1999 • Lernen und Gedächtnis; (Schlotter, Jens Chr.) IPN Kiel 1999 • Lernen und Gedächtnis; (Scherne, Franz J.) Kohlhammer, Stuttgart 1998 Stichwort Lernleistung: • Zur Abhängigkeit der Lernleistung vom Informationsgehalt und der Darbietungszeit; (Baschek, Ilse-Lore) Dissertation, Universität Göttingen 1978 Stichwort Lernprozesse: • Innerneurale Lernprozesse; (Niehaus, Engelbert) Universität Münster 1997 • Lernprozesse gestalten; (Deest, Elke van) ZbP, Oldenburg 1996 • Lernprozesse; Econ, Düsseldorf 1993 • Lernprozesse in der Konsumgesellschaft; (Synowzik, Siegfried) R. G. Fischer, Frankfurt am Main 1990 • Medien und Lernprozesse; (Heldt, Ehrhard U.) Beitz, Weinheim/Basel 1977 Stichwort maschinelles Lernen, neuronale Netze: • Intelligenz zwischen Mensch und Maschine; (Wellmann, K.-H. und Thimm, Utz Hrsg.) LIT, Münster/Hamburg/London 1999 • Neuronale Netze; (Braun, Heinrich) Springer, Berlin 1997 • Maschinelles Lernen, neuronale Netze und statistische Lernverfahren zur Klassifikation und Prognose; (Jafar-Shaghaghi, Fariba) Shaker, Aachen 1996 56 • Gehirn, Gedächtnis, Neuronale Netze; CD-ROM 1996 • Gedächtnis - Speicher - Neuronale Netze; Evangelische Akademie, Mülheim an der Ruhr 1993 Stichwort Werbewirkung: • Der Multiplying-Effekt; ZEITUNGSGRUPPE BILD, Hamburg 1999 • Psychische und soziale Determinanten der Werbewirkung; (Süß, Marcel) Univation, Chemnitz 1997 • Schichtspezifische Sprache und Werbewirkung; (Krümpelmann, Jörn) Universität Frankfurt am Main 1980 57 Sonstige zitierte Literatur: • BILD-Anzeigen-Copytests; BILD, Hamburg 2000 • AdTrend: Kampagnenstrategien und ihre kommunikative Wirkung; SAT.1, Berlin 1999 • Qualitäten der Fernsehwerbung II: Optimierung der Werbewirkung; ZDF und ARD Mainz/Frankfurt am Main 1993 • Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte; (Meutsch, D.) in: Wie wir mit den Ärzten reden sollten, Medical Tribune, Wiesbaden 1992 • Lernprozesse im Test; BILD, Hamburg 1977 • Lernprozesse in der Werbung; BILD, Hamburg 1976 • Eltern Shopping Magazin; Eltern, München 1969 Peter Beike • • • • • • geboren am 9. Februar 1940 in Gotha (Thr.) Studium der Psychologie und Soziologie in Frankfurt am Main Diplom-Psychologe Gesellschafter und Geschäftsführer in einem Marktforschungs-Institut seit 1971 freiberuflich als Berater tätig Sitz in Morsum auf Sylt und in Gravenbruch bei Frankfurt am Main • Schwerpunkt der Tätigkeit: Mediaforschung und -beratung unter anderem: • AdTrend (SAT.1) • Lernprozesse in der Werbung und Lernprozesse im Test (BILD) • Leser pro werbeführende Seite (LpwS) als zweite Print-Währung in der Media-Analyse (AG.MA) • Media Planung - Grundlagen Prinzipien Probleme Techniken (Gruner+Jahr) • Qualitäten der Fernsehwerbung (ZDF und ARD) • Stichproben-Fusionen (im Rahmen der AG.MA, in TV-Trendstudien) • Werbeformel (VDZ) • Werbewörter (Verlagsgruppe Bauer) 58