Physik I für MWWT

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Skript zur Vorlesung
Physik I für MWWT
21. November 2016
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2
2 Elektrostatik
2.1 Elektrische Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Wechselwirkung zwischen Ladungen . . . . . . . . . . . .
2.1.2 Superpositionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Felder an Metalloberflächen . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Bewegung einer Punktladung in einem elektrischen Feld .
2.3 Potentielle Energie und Potential . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Potentielle Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.1 Interatomares Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.2 Elektrostatisches Potential . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.3 Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.4 Poisson-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5 Gauß’sches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.6 Mathematischer Einschub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.6.1 Gradient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.6.2 Divergenz am Beispiel des Gaußschen Satzes . . . . . . .
2.6.3 Integration krummliniger Koordinaten . . . . . . . . . .
2.6.4 Vektorgradient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.7 Der elektrische Dipol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.7.1 Elektrischer Dipol im homogenen Feld . . . . . . . . . .
2.7.2 Elektrischer Dipol im inhomogenen Feld . . . . . . . . .
2.8 Kondensatoren und Feldenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.8.1 Parallelschaltung von Kapazitäten . . . . . . . . . . . . .
2.8.2 Serienschaltung von Kapazitäten . . . . . . . . . . . . .
2.8.3 Energie in einem Kondensator . . . . . . . . . . . . . . .
2.9 Elektrische Felder und Ladungen in Materie . . . . . . . . . . .
2.9.1 Leiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.9.2 Nichtleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 Elektrische Schaltungen
3.1 Gleichstrom . . . . . . . . . . . . . .
3.1.1 Das Ohmsche Gesetz . . . . .
3.1.2 Kirchhoffsche Regeln . . . . .
3.1.3 R-C-Kreis im Gleichstromfall
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Inhaltsverzeichnis
3.2
3.3
Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen . . . . . .
3.2.1 Algebraische Betrachtung . . . . . . . . . . . .
3.2.2 Geometrische Betrachtung . . . . . . . . . . . .
3.2.3 Der Eulersche Satz . . . . . . . . . . . . . . . .
Wechselstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.1 Wechselstromkreis mit ohmschen Widerstand .
3.3.2 Wechselstromkreis mit induktivem Widerstand .
3.3.3 Wechselstromkreis mit kapazitivem Widerstand
3.3.4 Diskussion der vorherigen Ergebnisse . . . . . .
3.3.5 R-C-L-Serienschwingkreis . . . . . . . . . . . .
3.3.6 R-C-L-Parallelschwingkreis . . . . . . . . . . . .
3.3.7 Gemischte R-C-L-Schaltung . . . . . . . . . . .
3.3.8 Leistung im Wechselstromkreis . . . . . . . . .
3.3.9 Brückenschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . .
4 Magnetostatik
4.1 Mathematischer Einschub: Rotation . . . . .
4.2 Magnetfelder stationärer Ströme . . . . . . .
4.2.1 Magnetfeld eines stromdurchflossenen
4.2.2 Gaußsches Gesetz für Magnetfelder .
4.2.3 Ampèrsches Gesetz . . . . . . . . . .
4.2.4 Das Vektorpotential . . . . . . . . .
4.2.5 Biot-Savart-Gesetz . . . . . . . . . .
4.2.6 Magnetische Dipole . . . . . . . . . .
4.3 Kraftwirkung des magnetischen Feldes . . .
4.3.1 Das Fadenstrahlrohr . . . . . . . . .
4.3.2 Hall-Effekt . . . . . . . . . . . . . . .
4.4 Magnetismus in Materie . . . . . . . . . . .
4.4.1 Diamagnetismus . . . . . . . . . . .
4.4.2 Paramagnetismus . . . . . . . . . . .
4.4.3 Ferromagnetimus . . . . . . . . . . .
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Leiters .
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5 Elektromagnetismus
5.1 Das Faradaysche Induktionsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.1 Verbindung zwischen magnetischem und elektrischem Feld
5.1.2 Lenzsche Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Selbstinduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1 Magnetfeld einer Zylinderspule . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2 Selbstinduktionskoeffizient einer Zylinderspule . . . . . . .
5.2.3 Ein- und Ausschaltvorgang einer Spule . . . . . . . . . . .
5.3 Energie des Magnetischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4 Verschiebungsstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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ii
Dieses Vorlesungsskript entstand zunächst aus einem Skript, das die Grundlage der Vorlesung war, die von Prof. Dr. Müser im WS 2009/2010 gehalten wurde. Während einer Beurlaubung von Prof. Müser hielt Prof. Dr. W. Arnold diese Vorlesung vom WS 2011/2012
bis WS 2015/2016. W.A. dankt den Herren M. Becker, P. Fuchs, O. Leismann, Dr. S.
Sukhomlinov, M. Thielen, M. Werth, und Frau N. Kirsch für die Übungsbetreuung und
die tatkräftige Mithilfe bei der Erweiterung des Skripts.
1 Einleitung
Wechselwirkungen
Die Einteilung der Physik erfolgte früher nach den Sinneswahrnehmungen:
• Sehen → Optik
• Hören → Akustik
• Tasten → Mechanik
• Temperaturempfinden → Thermodynamik
• Schmecken, Riechen → Chemie
Aber: Die Sinne können täuschen! Deshalb werden messbare Größen benötigt. Die heute
gängige Einteilung erfolgt daher gemäß der vier fundamentalen Wechselwirkungen
(kurz WW) der Physik:
• Gravitation: schwach, langreichweitig
Die schwächste aller vier Wechselwirkungen, relevant nur für große Massenansammlungen wie Sterne und Planeten ⇒ Astronomie
Theoretische Modelle zur Quantentheorie der Gravitation sind Gegenstand aktueller
Forschung ⇒ Schleifenquantengravitation vs. Stringtheorie
• Elektromagnetische Wechselwirkung: stark, langreichweitig
Die Relativitätstheorie zeigt, dass magnetische und elektrische Kräfte untrennbar
miteinander zusammen hängen. Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit elektrischer Felder bewirkt den Magnetismus und umgekehrt. Es ist die grundlegende
Wechselwirkung zwischen den Atomen ⇒ Atomphysik, (Quanten-) Chemie, Festkörperphysik, Elektronik, Materialwissenschaften
• Starke und schwache Wechselwirkung: beide stark, aber kurzreichweitig:
Die schwache Wechselwirkung ist unter anderem für den Zerfall radioaktiver Elemente verantwortlich, wohingegen die starke Wechselwirkung die Atomkerne gegen
die elektromagnetische Abstoßung der Protonen zusammenhält ⇒ Kernphysik, Elementarteilchenphysik
2
Kapitel 1. Einleitung
Messungen
Das Messen einer physikalischen Größe ist der Schlüssel zur experimentellen Erforschung
der Natur. Daraus folgt unmittelbar, dass Normen beziehungsweise Definitionen für Maßeinheiten benötigt werden. Das wichtigste Einheitensystem ist das S.I. (système international des unités). Es besteht aus 7 Basiseinheiten, von denen 4 für den Elektromagnetismus
von Bedeutung sind:
• Länge: Meter; [l] = m
→ Historisch: Urmeter aus Platin in Paris ≈ 10−6 -ter Teil der Distanz vom Äquator
zum Pol. Das Problem: thermische Fluktuationen!
→ Ersetzung durch: Legierung aus 90% Platin und 10% Iridium mit einer relativen
Genauigkeit von 10−7 .
→ 1960 erneut ersetzt: Definition des Meters als das 1,6507 · 106 -fache der Wellenlänge des Lichts, das beim Übergang eines Elektrons von 5d5 → 2p10 in 86 Kr
emittiert wird (rel. Genauigkeit 10−8 ).
→ Heute: Mit der exakten Definition der Vakuumlichtgeschwindigkeit auf c0 =
299 792 458 ms ist der Meter festgelegt als die Strecke, die das Licht im Vakuum in
einer Zeit von 1/299792458 s zurücklegt. Der wichtigste Aspekt der Neuerung ist
die ausschließliche Abhängigkeit von Fundamentalkonstanten.
• Zeit: Sekunde; [t] = s
Definiert durch ein Vielfaches der Periodendauer eines Hyperfeinstrukturübergangs
in einem Nuklid des Cäsiums. Die Minute ist keine S.I.-Einheit!
• Gewicht: Kilogramm; [m] = kg
Definiert über das Urkilogramm in Paris. Das Kilogramm ist die einzige Einheit, die
noch über ein Vergleichsobjekt definiert ist. Das Problem: Von 1950-1990 hat das
Urkilogramm 50 µg an Masse verloren. Daher wird eine Neudefinition mit Hilfe der
Avogadro-Konstante angestrebt.
• Stromstärke: Ampère; [I] = A
Definition über die Anziehungskraft zweier unendlich langer Drähte, die sich im
Vakuum in einem Meter Abstand befinden.
• 3 weitere Größen, die in diesem Kurs nicht weiter von Interesse sind.
Alle anderen Einheiten können aus den Basiseinheiten zusammengesetzt werden, beispielsweise:
• Frequenz: [ν] = Hz = 1s ; Hertz
• Kraft: [F ] = N =
kg·m
;
s2
• Energie: [E] = J =
Newton
kg·m2
;
s2
Joule
3
Kapitel 1. Einleitung
• Ladung: [Q] = C = A · s; Coulomb
Das S.I. System ist ein metrisches System. Das heißt alle verwendeten Einheiten setzten sich aus den Grundeinheiten - oder einem dezimalen Vielfachen davon - zusammen.
Wichtige Kurzformen für dezimale Vielfache:
103 = k, kilo;
106 = M , Mega; 109 = G, Giga; 1012 = T , Tera; 1015 = P , Peta
10−3 = m, milli; 10−6 = µ, mikro; 10−9 = n, nano; 10−12 = p, piko; 10−15 = a, atto
Auch üblich: d für dezi (10−1 ) und c für centi (10−2 )
Beispiel: Das Gravitationsgesetz
Das Gravitationsgesetz liefert einen Ausdruck für die Kraft, welche zwei punktförmige
Massen m1 und m2 an den Orten R1 und R2 aufeinander ausüben. Für die Kraft, welche
der Massepunkt m1 aufgrund der Anwesenheit des Massepunkts m2 erfährt, gilt:
m1 · m2 R21
·
F1 = γ ·
2
R21
R21
| {z } |{z}
Betrag
Hierbei ist
R21
(1.1)
Richtung
q
= |R21 | = |R2 − R1 | = (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 + (z2 − z1 )2 ,
die Konstante γ ist die Gravitationskonstante: γ = 6, 67 · 10−11
m3
kg s2
Abbildung 1.1: Skizze der obigen Situation. Die Massenpunkte m1 und m2 befinden sich an den Stellen
R1 und R2 , ihr Abstand beträgt also |R21 | = |R2 − R1 |.
Die Gravitationskraft ist - wie alle Kräfte - eine gerichtete Größe, mathematisch handelt es
sich also um einen Vektor. Ihre betragsmäßige Stärke hängt dabei nur vom Abstand R21
4
Kapitel 1. Einleitung
ab. Die Gravitation ist immer attraktiv, also anziehend! Der gegenteilige Fall der repulsiven
Wechselwirkung ist unter anderem bei der später folgenden Coulomb-Wechselwirkung
möglich.
Bemerkung: Vektoren werden im laufenden Text oft als fett gedruckt dargestellt, wohingegen in Zeichnungen oft die übliche Schreibweise mit einem Pfeil über dem Buchstaben
gewählt wird. Beide Darstellungen sind identisch, es gilt also R~1 = R1 .
Erdbeschleunigung
Als Beispiel soll nun die Erdbeschleunigung g berechnet werden. Es handelt sich dabei also
um die Beschleunigung, die ein Körper an der Oberfläche aufgrund gravitativer Anziehung
(verursacht durch die Masse der Erde) erfährt. Es gilt gemäß Newtons 2. Gesetz für die
Kraft F, die eine Masse m im Schwerefeld der Erde erfährt:
FG = m · a
⇒ |FG | = m · |a| = m · g,
wobei g die gesuchte Erdbeschleunigung ist. Hierbei wird die Richtung der Kraft und
damit ihr vektorieller Charakter vernachlässigt, da direkt der Betrag betrachtet wird. Aus
der Alltagserfahrung ist jedoch bekannt, dass die Erdbeschleunigung immer in Richtung
des Erdmittelpunkts wirkt. Einsetzen der Formel für die Gravitationskraft liefert:
γ·
✟ · mE
m
✟
✟· g
= ✟
m
RE2
mE
γ· 2 = g
RE
Mit der Masse der Erde mE = 5,972 · 1024 kg und dem mittleren Radius der Erde RE =
6,371 · 106 m ergibt sich:
m
g = 9,81 2
s
Als Übung bietet es sich an, über eine Einheitenanalyse nachzuvollziehen, dass sich
tatsächlich eine Beschleunigung ergibt.
Man beachte, dass dies der mittlere Wert der Erdbeschleunigung ist. Der genaue Wert
an einer beliebigen Stelle der Erde hängt einerseits von der Höhe ab, andererseits von
geologischen Gegebenheiten. Nicht zuletzt ist die Erde auch keine exakte Kugel sondern
ein Ellipsoid. Daher findet man beispielsweise am Äquator im Mittel einen Wert von
gÄq = 9,78 m/s2 , an den Polen jedoch gPol = 9,88 m/s2 .
5
Kapitel 1. Einleitung
67P/Churyumov-Gerasimenko
Zum Vergleich soll nun noch das Schwerefeld des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko
berechnet werden, auf welchem am 12. November 2014 zum ersten Mal in der Geschichte
der Raumfahrt eine Sonde gelandet ist.
Die Masse des Kometen beträgt ungefähr m = 1,02 · 1012 kg. Zum Zeitpunkt der Trennung des Landers Philae vom Orbiter Rosetta beträgt der Abstand zwischen Orbiter und
Massenzentrum des Komets r = 22 km. Hier wirkt also eine Beschleunigung von
gOrbit = 1,4 · 10−6
m
.
s2
Die Landung erfolgt an einer Stelle, an welcher der Abstand zum Massenzentrum ungefähr
r = 2 km beträgt. Damit herrscht auf der Oberfläche des Kometen eine Beschleunigung
von
m
gOberfl. = 1,7 · 10−4 2 .
s
Die Beschleunigung an der Oberfläche des Kometen ist damit fast 60000-fach schwächer
als die Erdbeschleunigung!
Hierbei ist zu beachten, dass bei dem Kometen vom Massezentrum gesprochen wird. Die
Erde kann in erster Näherung als kreisförmig, in besserer Näherung als Ellipsoid behandelt
werden. Beide Näherungen entsprechen geometrischen Körpern mit denen es sich einfach
rechnen lässt. Der Komet (Bilder sind im Internet zu finden) wurde von den Medien
scherzhaft als Kartoffel bezeichnet. Hier ist die Masseverteilung wesentlich komplizierter,
sodass der Schwerpunkt - also das Massezentrum - gesondert berechnet werden muss.
6
2 Elektrostatik
Die Elektrostatik ist ein Teilbereich der klassischen Elektrodynamik. Sie behandelt die
elektrischen Phänomene ruhender Ladungen, sprich die Eigenschaften des betrachteten
Systems ändern sich mit der Zeit nicht. Man spricht auch von stationären Systemen.
Was bei der Gravitation die Masse war, ist bei der Elektrostatik (und der gesamten
Elektrodynamik) nun die Ladung, welche im Gegensatz zur immer attraktiv wirkenden
Masse zwei verschiedene Vorzeichen aufweisen kann.
2.1 Elektrische Ladung
Man unterscheidet zwei Typen von Ladungen, die per Konvention als positiv bzw. negativ
bezeichnet werden. Gleiche Ladungen stoßen sich ab, ungleiche Ladungen ziehen sich an.
Wie viele andere Größen ist auch die Ladung quantisiert. Das bedeutet, dass Ladung nur in
ganzzahligen Vielfachen einer kleinstmöglichen Einheit, der Elementarladung, vorkommen
kann. Diese Elementarladung wird in der Physik mit e abgekürzt.
e ≈ 1,602 · 10−19 C
Für die Materialwissenschaft ist weiterhin relevant:
QProton = +e
QElektron = −e
Das Proton wird oft mit p abgekürzt, das Elektron mit e− . Manchmal ist auch das Positron
von Bedeutung:
QPositron = +e
Es wird mit e+ abgekürzt. Das Positron ist das Antiteilchen zum Elektron, d.h. Elektron
und Positron zerstrahlen in Kollisionen zu Energie (Annihilation). Die Positronenspektroskopie misst freie Volumina in Festkörpern; sie wird insbesondere zur Untersuchung von
Versetzungen und anderen Kristallfehlern verwendet.
Die Ladung ist eine strikte Erhaltungsgröße!
Selbst auf kurzen Zeitskalen kommt es nicht zu Schwankungen, wie z.B. bei der Energie,
die im Rahmen der Unschärferelation auf kurzen Zeiten nicht erhalten sein muss.
7
Kapitel 2. Elektrostatik
2.1.1 Wechselwirkung zwischen Ladungen
Die beschreibende Kraft für die Wechselwirkung zwischen Ladungen ist die CoulombKraft (2.1). Sie beschreibt die Kraft, welche auf eine Ladung Q1 am Ort R1 aufgrund der
Anwesenheit einer zweiten Ladung Q2 am Ort R2 wirkt.
F1 =
1 Q1 · Q2 R12
·
2
4πε0 R12
R12
(2.1)
C2
ε0 = 8,854 · 10
N · m2
Man beachte, dass sowohl das Gravitationsgesetz als auch das Coulomb-Gesetz das selbe
Verhalten bezüglich des Abstands haben. Ein essentieller Unterschied ist jedoch, dass
die Richtung des Abstandsvektors gerade umgekehrt ist. Diese Umkehrung spiegelt die
Tatsache wieder, dass Massen sich immer anziehen, gleichnamige Ladungen sich allerdings
abstoßen.
−12
Beispiel 1:
Als einfachen Vergleich betrachtet man das Verhältnis der Stärke der Coulomb-Kraft und
der Gravitationskraft von zwei Protonen:
m2p
2
R21
1 e2
|FC | =
2
4πε0 R12
2
✚
|FC |
e2 ✚
1
R21
⇒
= 1,24 · 1036
=
·
2
✚
|FG |
4πε0 ✚
γm2p
R12
|FG | = γ
Die Coulombkraft, erzeugt von zwei Protonen der Ladung +e, ist somit um einen Faktor 1036 stärker (man sagt auch 36 Größenordnungen stärker) als die Gravitationskraft
zwischen ihnen.
Beispiel 2:
Ein eher künstlicher (aber nicht minder interessanter) Vergleich ist das Verhältnis der
beiden Kräfte für zwei Körper, welche jeweils eine Ladung von Q = 1 C und eine Masse
von m = 1 kg besitzen. Hier ergibt sich:
|FC |
= 1,35 · 1020
|FG |
2.1. Elektrische Ladung
8
Kapitel 2. Elektrostatik
Auch hier ist die Coulombkraft wesentlich stärker als die Gravitationskraft. Hieran sieht
man: Ein Kilogramm ist keine sonderlich große Masse bezogen auf die vermittelnde Gravitationskraft - ein Coulomb ist im Gegensatz dazu eine extrem große Ladung!
2.1.2 Superpositionsprinzip
Für die Kraft, die mehrere Punktladungen oder gar ganze Ladungsverteilungen auf eine
Probeladung ausüben, gilt das Superpositionsprinzip (2.2). Gegeben sei eine Ansammlung
von n Punktladungen Qi am Ort Ri , wobei i = 1, 2, ..., n ist. Man betrachtet nun eine
dieser n Ladungen mit Index j. Die Kraft, welche diese Ladung Qj aufgrund der restlichen
n − 1 Ladungen erfährt, beträgt dann:
Fj =
X
Fi→j =
i6=j
X 1 Qi · Qj Rji
·
2
4πε0 Rji
Rji
i6=j
(2.2)
P
Das Zeichen i6=j bedeutet hier, dass über alle Ladungen i = 1, ..., n summiert wird,
mit Ausnahme von j (wieso?). Fi→j ist die Kraft, welche die i. Ladung auf die j. Ladung
ausübt.
Beispiel 1: Berechnung der Gleichgewichtslage von Ladungen
Gegeben sind zwei Ladungen:
Q1 = −5 · e
Q2 = −3 · e
 
0
R1 =  0
0


10 nm
R2 =  0 
0
Gibt es eine Stelle R3 , an der die Kraft auf eine dritte Ladung Q3 verschwindet?
Gesucht ist also eine Position, an welcher die Kraft auf eine dritte Ladung beliebiger Größe
verschwindet, eine Position des Kräftegleichgewichts! Dieses liegt vor, wenn die insgesamt
auf die dritte Ladung wirkende Kraft verschwindet. Aus Symmetrieüberlegungen (alle
Ladungen liegen auf der x-Achse) muss die gesuchte Ladung auf der x-Achse sitzen und im
Bereich 0 < x3 < 10 nm liegen. Damit hat der gesuchte Vektor R3 nur eine Komponente
in x-Richtung, sprich R3 = x3 · ex . Dabei ist
 
1
ex ≡ x̂ ≡ 0
0
2.1. Elektrische Ladung
9
Kapitel 2. Elektrostatik
Abbildung 2.1: Skizze der obigen Situation. Die Ladungen Q1 und Q2 befinden sich beide auf der
x-Achse, die Ladung Q1 direkt im Ursprung.
der Einheitsvektor in x-Richtung. Analog sind auch die Vektoren ey ≡ ŷ und ez ≡ ẑ
definiert.
Es gilt also zunächst die Kraft zu berechnen, welche eine dritte Ladung Q3 am Ort R3 aufgrund der Anwesenheit der zwei anderen Ladungen erfährt. Anschließend soll die Position
R3 gefunden werden, für welche diese Kraft verschwindet. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird die Einheit nm im Folgenden weg gelassen. Gemäß des Superpositionsprinzips
(2.2) gilt:
F3 = F1→3 + F2→3
R3 − R1
R3 − R2
1
1
Q1 · Q3
Q2 · Q3
F3 =
+
·
·
2 ·
2 ·
4πε0 |R3 − R1 | |R3 − R1 | 4πε0 |R3 − R2 | |R3 − R2 |

   
0
x3




0
0
−


0
0
5
−e · Q3 
3
·     2 ·     +    2
=
4πε0  x3
0 x3
0 x3
10 




  0  − 0 0 − 0  0  −  0 
0
0 0
0 0
0 −e · Q3
x3 − 10
3
5 x3
!
=
· ex = 0
+
·
4πε0
x23 |x3 | (x3 − 10)2 |x3 − 10|
    
10
x3
0−0 


0
0

·     
x3
10 
 0  −  0  

0
0 Damit die wirkende Kraft verschwindet, muss der Ausdruck in der Klammer verschwinden:
5 x3 !
−3
x3 − 10 nm
=
·
2
x3 |x3 |
(x3 − 10 nm)2 |x3 − 10 nm|
Ausdrücke der Form
x
|x|
sind als sogenannte Vorzeichen-Funktion (signum) definiert:
x
=
sgn(x) :=
|x|
(
−1 x < 0
+1 x > 0
Aus der Symmetrieüberlegung mit 0 < x3 < 10 nm folgt sgn(x3 ) = 1 und sgn(x3 −
2.1. Elektrische Ladung
10
Kapitel 2. Elektrostatik
10 nm) = −1. Damit vereinfacht sich die Gleichung zu:
5
3
=
2
x3
(x3 − 10 nm)2
Das Lösen dieser quadratischen Gleichung nach x3 liefert: x3 = 5,64 nm und x3 =
44,36 nm. Gemäß unserer Vorüberlegungen ist x3 = 5,64 nm die einzige physikalisch
sinnvolle Lösung. Jede Aufgabe zu Kräften zwischen verteilten Punktladungen
lassen sich auf diesem, sehr ausführlichem Weg lösen! Mit steigender Erfahrung
erkennt man die Zusammenhänge schneller, sodass man direkt auf die entsprechenden
Gleichungen kommt. Im Zweifelsfall führt jedoch die strikte Anwendung des Superpositionsprinzips immer zum Ziel.
Beispiel 2: Kräfte zwischen mehreren Ladungen
Wir betrachten eine Anordnung von 4 Punktladungen QA = QB = QC = QD = 10−6 C
(Abbildung 2.2). Um ein besseres Gefühl für die Einheit der Ladung zu bekommen, berechnen wir nun, welche Anzahl an freien Protonen nötig wäre, um eine solche Ladung
zu erzeugen. Ein Proton trägt genau eine positive Elementarladung, QProton = +e. Damit
findet man:
1 · 10−6 C
QA
=
≈ 6242197253433
nProtonen =
QProton
1,602 · 10−19 C
Es sind also rund 6,2 × 1012 Protonen nötig, um eine solche Ladung zu erzeugen (sofern
es überhaupt möglich wäre, eine solche Anzahl an Protonen gleichzeitig an einem Ort zu
halten).
Abbildung 2.2: Skizze der obigen Situation. Die Distanzvektoren der drei verbleibenden Ladungen auf
die Ladung QC sind eingezeichnet.
Die Positionen der Ladungen sind:








0m
1m
1m
0m
RA = 1 m RB = 1 m RC = 0 m m RD = 0 m
0m
0m
0m
0m
2.1. Elektrische Ladung
11
Kapitel 2. Elektrostatik
Es soll nun die wirkende Coulomb-Kraft auf die Ladung QC berechnet werden. Es gilt
gemäß des Superpositionsprinzips (2.2):
FC = FA→C + FB→C + FD→C
Wie Beispiel 1 gezeigt hat, kann der vollständige Ausdruck für F schnell unübersichtlich
werden. Daher wertet man die Beiträge zunächst einzeln aus:


1m
2
−12
1
10
C
1 QA QC RCA
−1 m
√
=
FA→C =
2
4πε0 |RCA | |RCA |
4πε0
23 · 1 m 3
0


0
1 QB QC RCB
10−12 C2 
−1 m
FB→C =
=
4πε0 |RCB |2 |RCB |
4πε0 · 1 m3
0


1m
2
−12
10
C 
1 QD QC RCD
0 
=
FD→C =
2
4πε0 |RCD | |RCD |
4πε0 · 1 m3
0
Um die resultierende Kraft zu berechnen wird eine Superposition der drei wirkenden
Kräfte durchgeführt, sprich diese werden addiert. In der Rechnung wird der Teil, der
allen drei Kräften gemeinsam ist, direkt ausgeklammert.
FC = FA→C + FB→C + FD→C
     

1
0
1
2
−12
10
C
1      

−1 + −1 + 0
=
· √
4πε0 · 1 m2
23
0
0
0


1 + √123
2
−12

10
C

√1
=
·
−
1
+


23
4πε0 · 1 m2
0
Am Richtungsvektor ist bereits jetzt zu erkennen, dass die Kraft in Richtung von RCA
wirkt. Dieses Resultat lässt sich auch aus Symmetrieüberlegungen und der Tatsache, dass
die Umsetzung des Superpositionsprinzips die resultierende Richtung der Kraft durch die
Vektoraddition der Richtungen der Teilkräfte angibt, herleiten.
Die Stärke der Kraft ist durch ihren Betrag gegeben, für welchen man folgenden Wert
findet:
⇒ |FC | = 17,2 · 10−3 N
Beispiel 3: Kraft eines homogen geladenen Drahtes auf eine Punktladung
Bisher wurden nur diskrete Ladungen untersucht. Das Superpositionsprinzip gilt aber
auch bei kontinuierlichen Ladungsverteilungen. Im folgenden Beispiel soll daher die auf
eine Ladung q am Ort Rq = a · ey wirkende Kraft berechnet werden, welche von einem
unendlich langen, geraden Draht mit homogener Ladung ausgeübt wird.
2.1. Elektrische Ladung
12
Kapitel 2. Elektrostatik
Bei kontinuierlichen Ladungsverteilungen rechnet man mit Ladungsdichten, beispielsweise mit Ladung pro Volumen. Bei einer geladenen Kugeloberfläche wäre eine geeignete
Wahl die Angabe einer Oberflächenladungsdichte mit der Einheit Ladung pro Fläche. In
hier vorliegenden Fall betrachtet man den Draht als unendlich dünn und somit eindimensional. Die passende Dichte ist also eine Längenladungsdichte, sprich die Einheit dieser
Ladungsdichte ist Ladung pro Länge.
Zur Berechnung unterteilt man den Draht in Segmente der Länge ∆x, die jeweils die
Ladung ∆Q tragen. Für diesen homogen geladenen Draht ist die (Längen-) Ladungsdichte
λ dann eine Konstante:
∆Q
λ=
= const.
∆x
Abbildung 2.3: Skizze der Situation in diesem Beispiel. Der Draht erstreckt sich über die gesamte
x-Achse und wird zur Berechnung in unendlich viele Segmente der Länge ∆x mit Ladung ∆Q unterteilt.
Nummeriert man die Segmente mit ganzen Zahlen, wobei das 0. Segment auf der y-Achse
liegt, so ergibt sich:
Rq = a · ey
Rn = n · ∆x · ex


−n · ∆x
⇒ Rq − Rn =  a 
0
Da links von der y-Achse genau so viele Segmente liegen wie rechts der y-Achse, wird
die resultierende Kraft auf die Probeladung q in x-Richtung verschwinden, lediglich in
y-Richtung wird eine Kraft wirken.
Da der Draht eine unendliche Länge haben soll, sind auch unendlich viele Segmente mit
Ladung ∆Q vorhanden, über welche gemäß dem Superpositionsprinzip (2.2) summiert
werden muss:


∞
−n
·
∆x
X
1
∆Q
q
 a 
√
Fq =
4πε0 n=−∞ n2 · ∆x2 + a2 n2 · ∆x2 + a2
0
Mit der Definition der Linienladungsdichte ∆Q = ∆x · λ ergibt sich für die y-Komponente
2.1. Elektrische Ladung
13
Kapitel 2. Elektrostatik
der Kraft:
q
(Fq )y =
4π ε0
∞
X
∆x λ · a
n=−∞
3
(n2 · ∆x2 + a2 ) 2
Nach der bisherigen Rechnung ist der Draht jedoch nicht kontinuierlich, sondern in diskrete Segmente eingeteilt. Der sogenannte Kontinuumsübergang erfolgt, wenn die Segmentlängen immer weiter verkleinert werden. Mit der Ersetzung
lim
∆x→0
∞
X
n=−∞
∆x · · · →
Z
∞
dx
−∞
ist der Übergang vollzogen und es gilt:
aqλ
(Fq )y =
4π ε0
Z
∞
−∞
1 3/2
dx
x 2 + a2
Hierbei wurde genutzt, dass im Übergang ∆x · n → x gilt (klar machen!). Um das Integral
zu lösen führt man folgende Substitution durch:
x = a · x′ ⇒ dx = a · dx′
Z
1
aqλ ∞ 1
a dx′
⇒ (Fq )y =
3
4πε0 −∞ a (1 + x′2 )3/2
{z
}
|
∈R
Man beachte, dass wegen [a] = m und [x] = m die neue Variable x′ einheitenlos ist,
sprich das Integral trägt nur noch einen numerischen Teil zur Lösung bei. Mit Hilfe von Integraltabellen oder moderneren Varianten wie www.integralrechner.de oder
www.wolframalpha.com findet man, dass das Integral den Wert 2 ergibt. Die endgültige
Lösung ist also:
qλ 1
Fq =
ey
2π ε0 a
Die Kraft auf die Probeladung wird also mit steigendem Abstand geringer gemäß eines a1 Gesetzes, wobei die resultierende Kraft nach den getroffenen Vorüberlegungen in Richtung
der y-Achse zeigen muss.
2.1. Elektrische Ladung
14
Kapitel 2. Elektrostatik
2.2 Elektrisches Feld
Im letzten Abschnitt wurde das Coulomb-Gesetz eingeführt, mit welchem die elektrostatischen Kräfte zwischen Ladungen berechnet werden können. Mit Hilfe des Superpositionsprinzip, welches besagt, dass die resultierende Kraft auf eine Probeladung als Summe
der einzelnen Kräfte aller anderen vorhandenen Ladungen auf die Probeladung aufgefasst
werden kann, können auch komplizierter Anordnungen systematisch untersucht werden.
Eine vorhandene Ladungsverteilung bewirkt also eine Kraft auf eine zusätzliche Probeladung, welche von der Größe der Probeladung abhängt. Um die Wirkung einer Ladungsverteilung unabhängig von der Probeladung beschreiben zu können, führt man das elektrische
Feld ein. Es ist definiert als Coulomb-Kraft F pro Ladung q:
E :=
F
⇔F=E·q
q
(2.3)
Die Kraft, welche eine Ladung q in einem elektrischen Feld erfährt, ist also gegeben durch
die Ladung q multipliziert mit dem vorhandenen elektrischen Feld. Setzt man die Formel
für die Coulomb-Kraft (2.2) ein, so ergibt sich:
1X 1
Qi · q
r − ri
·
2
q i 4πε0 |r − ri | |r − ri |
X 1
Qi
r − ri
·
=
4πε0 |r − ri |2 |r − ri |
i
E(r) =
(2.4)
Das elektrische Feld E(r) definiert also die Coulomb-Kraft, welche eine Ladung erfahren
würde, wenn Sie sich im Punkt r befindet. Da das elektrische Feld (2.4) mathematisch
äquivalent zur Coulomb-Kraft ist, gilt auch hier das Superpositionsprinzip. Das elektrische
Feld hat die Einheit Volt pro Meter, [E] = V/m.
Man kann zeigen, dass das elektrisch Feld eine kontinuierliche Funktion ist und auch überall differenzierbar ist, außer an der Stelle, an der eine das Feld erzeugende Punktladung
Qi sitzt - dort divergiert das elektrische Feld. Positive (negative) Ladungen sind Quellen
(Senken) des elektrischen Feldes, wie in Abbildung 2.4 dargestellt.
Abbildung 2.4: Positive Ladungen sind Quellen, negative Ladungen Senken des elektrischen Felds.
2.2. Elektrisches Feld
15
Kapitel 2. Elektrostatik
Wie sich aus Gleichung (2.4) ablesen lässt, ist die Richtung des elektrischen Feldes so
definiert, dass es in Richtung der Kraft zeigt, die auf eine positive Probeladung ausgeübt
würde. Man sagt auch, dass das elektrische Feld die Richtung angibt, in welche sich eine
positive Probeladung aufgrund der resultierenden Kräfte bewegen würde.
Zur Visualisierung des elektrischen Feldes, welches jedem Punkt r einen Vektor zuordnet,
werden oft Feldlinien verwendet. Es handelt sich hierbei um gedachte Linien, welche die
auf eine Probeladung wirkende Kraft visualisieren. Die Tangente an jedem Punkt gibt die
Richtung der Kraftwirkung an, die Dichte der Feldlinien die betragsmäßige Stärke. Feldlinien beginnen in positiven Ladungen und enden in negativen Ladungen. Zusammengefasst
ergeben sich die folgenden, allgemeinen Eigenschaften von Feldlinien:
• Feldlinien beginnen immer in positiven Ladungen (Quellen) und enden immer in
negativen Ladungen (Senken).
• Die Tangente an einem beliebigen Punkt einer Feldlinie gibt die Richtung der Kraftwirkung an, die Dichte der Feldlinien die Stärke des Feldes.
• Feldlinien kreuzen sich nicht, da das elektrische Feld an jedem Punkt im Raum (in
dem keine Punktladung sitzt) einen eindeutigen Wert hat und differenzierbar ist.
Beispiel 1: Elektrisches Feld zweier gegensätzlicher Punktladungen
Abbildung 2.5 zeigt das elektrische Feld zweier gegensätzlicher Punktladungen.
Abbildung 2.5: Graphische Darstellung des Vektorfelds zweier Punktladungen mit q1 = −q2 . Die dargestellten Vektoren repräsentieren beispielhaft die Richtung des Feldes an verschiedenen Stellen im Raum.
2.2. Elektrisches Feld
16
Kapitel 2. Elektrostatik
An dieser Stelle muss man sich klar machen, dass das elektrische Feld ein Vektorfeld ist
und somit jedem Punkt im dreidimensionalen Raum einen vektoriellen Wert zuordnet,
welcher Stärke und Richtung des Feldes in diesem Punkt angibt. Im Falle von Abbildung
2.5 sind die Vektoren normiert und geben keine Auskunft über die Stärke des Felds.
Eine graphische Darstellung wie in Abbildung 2.5 kann natürlich nur einen endlichen Teil
dieser Vektoren darstellen. Trotzdem gibt dieser Teil bereits eine Intuition für den Verlauf
der Feldlinien, welche dadurch bestimmt werden, dass die Tangente an jedem Punkt der
Feldlinie durch das elektrische Feld gegeben ist. Vereinfacht gesagt folgen Feldlinien den
Vektorpfeilen des elektrischen Feldes.
Beispiel 2: Elektrisches Feld einer homogen geladenen Platte
Als weiterführendes Beispiel soll nun das elektrische Feld einer unendlich großen, gleichmäßig
geladenen Platte bestimmt werden. Die Platte soll in der y-z-Ebene unendlich ausgedehnt
und bei x = 0 positioniert sein. Gleichzeitig soll sie gleichmäßig geladen sein. Eine unendlich große Platte kann wiederum als eine Ansammlung unendlich vieler geladener Ringe
interpretiert werden - ähnlich wie ein Blatt Papier mit einer (endlichen) Anzahl dicht
beieinander liegenden Zirkel-Kreise vollständig ausgefüllt werden kann.
Abbildung 2.6: (a): Geometrische Anordnung des Problems eines geladenen Rings, dessen Symmetrieachse die x-Achse ist. (b): Die geladene Platte kann als Ansammlung von Ringen betrachtet werden.
Doch wieso Ringe?
Eine unendlich große, rechteckige Platte ist genau so unendlich weit ausgedehnt wie eine
unendlich große Zylinderscheibe, die exakte Form hat bei unendlicher Ausdehnung keinen
Einfluss auf das Ergebnis. Das Problem hat jedoch eine Zylindersymmetrie - sprich die
Anordnung ist invariant unter Drehung um die Symmetrieachse, welche hier passenderweise durch die x-Achse gegeben ist. Damit vereinfacht sich die Behandlung des Problems
enorm. Im Allgemeinen ist es in der Physik immer vorteilhaft, ein Problem unter Ausnutzung aller möglichen Symmetrien zu beschreiben.
2.2. Elektrisches Feld
17
Kapitel 2. Elektrostatik
Das Feld eines geladenen, unendlich dünnen Rings mit Ladung Q und Radius R auf seiner
Symmetrieachse ergibt sich zu (Nachrechnen ist eine gute Übung!):
E(x0 ) = Ex (x0 ) · ex
Ex (x0 ) =
Q · x0
1
·
4πε0 (R2 + x20 )3/2
Wir betrachten nun einen Ring endlicher Breite ∆R als Teil einer Ebene, wie in Abbildung
2.6 (b) dargestellt. Diese Ebene habe eine konstante (Flächen-)Ladungsdichte.
σ=
∆Q
= const.
∆A
Die Ladung auf dem Ring ergibt sich damit zu:
2
2
∆Q = σ πRaußen
− πRinnen
= σπ (R + ∆R)2 − R2
= σπ R2 + 2R · ∆R + ∆R2 − R2
= σπ 2R · ∆R + ∆R2
≈ 2πR · ∆R · σ
Dabei wird angenommen, dass ∆R klein genug ist, um ∆R2 ≈ 0 nähern zu können. Mit
∆Q = ∆A · σ identifiziert man die Fläche des Rings in Näherung als Umfang des inneren
Rings U = 2πR mal seiner Breite ∆R. Damit trägt der Ring mit seinem Radius R und
seiner Breite ∆R wie folgt zum elektrischen Feld bei:
∆E =
1
2πR · ∆R · σ · x0
·
√
3
4πε0
R 2 + x2
(2.5)
Eine unendlich ausgedehnte, geladene Platte kann nun wie beschrieben als eine Ansammlung unendlich vieler solcher Ringe interpretiert werden. Zur Bestimmung des elektrischen
Feldes einer solchen Platte muss daher das elektrische Feld dieser unendlich vielen Ringe aufsummiert werden (Superpositionsprinzip). Man führt wie bereits beim geladenen
Draht den Übergang von einer Summe zu einem Integral via
Z ∞
X
dR .........
∆R ...... →
0
Ringe
durch. Man findet:
2.2. Elektrisches Feld
σ
Ex =
2ε0
Z
∞
0
(R2
x·R
dR
+ x2 )3/2
18
Kapitel 2. Elektrostatik
Die Substitution r = R/x mit dr = dR/x macht das Integral einheitenlos.
Z ∞
σ
x·R
dR
⇒ Ex =
2
2ε0 0 (R + x2 )3/2
Z ∞
σ
σ
r
dr =
=
·
2
3/2
2ε0
(1 + r )
2ε0
|0
{z
}
= 1 (rein numerisch)
Das Feld der Platte wird damit nur über die Oberflächenladungsdichte definiert, also
Ex ∼ σ
[σ] =
Q
R2
Auffällig ist, dass der Abstand zur Platte nicht im Ausdruck für die Feldstärke vorkommt,
sprich das elektrische Feld ist nahe der Platte genauso stark und gleich gerichtet wie
weit weg davon. Das Feld ist also in x-Richtung räumlich konstant, man spricht von
einem homogenen Feld. Diese Homogenität resultiert aus der Annahme einer unendlich
großen Platte mit dementsprechend unendlich viel Ladung auf dieser, was in der Realität
natürlich nicht zu verwirklichen ist. Dennoch kann die vorausgesagte Homogenität im
Experiment für kleine Abstände von der Platte x0 gut bestätigt werden, solange man
nicht in die Nähe der Ränder der endlichen Platten kommt.
Abbildung 2.7: Feldlinienverlauf einer positiv (links) beziehungsweise negativ (rechts) geladenen Platte.
Randeffekte sind dabei vernachlässigt.
Fügt man zwei gegensätzlich geladene Platten zusammen, so ergibt sich die in Abbildung
2.8 dargestellte Situation. Man spricht nun von einem Plattenkondensator, da auf den
Platten Ladungen unter Ausbildung eines elektrischen Feldes kondensieren können.
Im Allgemeinen sind die Platten wie bereits beschrieben endlich, sodass die Homogenität
des Feldes nur zwischen den Platten gegeben ist, an den Rändern der Platten kommt
es zur Ausbildung signifikanter Störfelder, welche in der praktischen Anwendung jedoch
vernachlässigt werden. Es ergibt sich der ideale Plattenkondensator, bei welchem das gesamte Feld als zwischen den Platten lokalisiert angenommen wird. Es ist dabei homogen,
sprich überall im Raum zwischen den Platten herrscht die gleiche Feldstärke, welche nur
von der Ladung auf den Platten abhängig ist. Diese Näherung ist vor allem für L >> d
sehr gut erfüllt. Ist d >> L, so können die Störfelder nicht mehr vernachlässigt werden
und es ergibt sich ein elektrischer Dipol.
In Abbildung 2.9 ist das exakt berechnete Feld zweier parallel gegenüber liegender, gegensätzlich geladener Platten skizziert.
2.2. Elektrisches Feld
19
Kapitel 2. Elektrostatik
Abbildung 2.8: Feldlinienverlauf zweier parallel zueinander im Abstand d aufgestellter, gegensätzlich
geladener Metallplatten der Breite L. Vernachlässigt man Randeffekte und die Felder außerhalb der
Platten, so ergibt sich der rechts dargestellte ideale Plattenkondensator.
2.2.1 Felder an Metalloberflächen
Metalle zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine hohe Leitfähigkeit besitzen. Diese Leitfähigkeit rührt von freien Ladungsträgern, welche durch ein elektrisches Feld (Spannung) in
Bewegung (Strom) gesetzt werden können, her. Dieser Zusammenhang wird später noch
im ohmschen Gesetz quantifiziert.
Die freien Ladungsträger in einem Leiter versuchen sich in einem externen elektrischen
Feld durch ihre Bewegung so anzuordnen, dass die sie bewegende Coulomb-Kraft verschwindet. Sie bauen ein eigenes elektrisches Feld auf, welches dem äußeren Feld entgegen
gerichtet ist. Daraus ergeben sich einige Konsequenzen, welche sich zwanglos aus den
Maxwell-Gleichungen ergeben. Auf die Herleitung soll hier verzichtet werden. Wichtig ist
es an dieser Stelle, die resultierenden Effekte zu kennen.
Influenz: Eine ortsfeste Ladungsverteilung in der Nähe eines Leiters bewirkt eine Kraft
auf die im Leiter enthaltenen freien Ladungsträger, welche sich in einen Anteil parallel und senkrecht zur Metalloberfläche zerlegen lässt. Der senkrechte Anteil zieht
die Ladungsträger an den Rand des Metalls. Dort angekommen kann dieser Anteil
die Ladungsträger nicht weiter bewegen. Der parallele Anteil hingegen verschiebt
sie so lange gegen die Metalloberfläche, bis die wirkende Kraft verschwindet. Dieser
Effekt wird Influenz genannt. Bei einem Leiter im elektrischen Feld sammeln sich
die freien Ladungsträger also immer an der Oberfläche des Leiters.
Das elektrische Feld steht senkrecht auf der Metalloberfläche: Als direkte Konsequenz
aus der Influenz steht das elektrische Feld immer senkrecht auf der Metalloberfläche.
Da die zur Oberfläche parallele Komponente der Kraft verschwindet, wirkt nur noch
eine Kraft senkrecht zur Metalloberfläche auf die Ladungsträger. Da das elektrische
Feld in Richtung der wirkenden Kraft zeigt (siehe (2.3)), ist dessen Richtung auf
der Metalloberfläche ebenfalls senkrecht zu dieser.
Das Innere eines Leiters ist feldfrei: Bei der Ausrichtung der Ladungsträger im Leiter
2.2. Elektrisches Feld
20
Kapitel 2. Elektrostatik
Abbildung 2.9: Berechnetes Feld eines Plattenkondensators. Zwischen den Platten ist das Feld größtenteils homogen. Zum Rand hin erkennt man die beim idealen Kondensator vernachlässigten Inhomogenitäten.
(Influenz) erzeugen diese ein elektrisches Feld im Metall, welches das von der äußeren Ladungsverteilung erzeugte elektrische Feld vollständig kompensiert. Daher ist
das Innere eines Leiters (egal ob hohl oder massiv) immer feldfrei. Eine solche Anordnung wird auch Faraday-Käfig genannt.
2.2.2 Bewegung einer Punktladung in einem elektrischen Feld
Eine Anordnung aus zwei planparallelen Platten ist wie bereits beschrieben als Kondensator bekannt. Die sehr gute Homogenität des elektrischen Feldes zwischen den Platten kann
genutzt werden, um freie elektrische Ladungen (beispielsweise Elektronenstrahlen) gezielt
abzulenken. Jeder Röhrenbildschirm basiert auf diesem Prinzip. Die Grundzüge dieser
Dynamik sollen hier kurz angerissen werden. Dabei wird nur der Einfluss des Kondensatorfelds auf die freie Ladung untersucht, der umgekehrte Einfluss wird vernachlässigt.
Die Überlegungen sind analog zum freien Fall oder zum schiefen Wurf in der Mechanik, die
Situationen ist in Abbildung 2.10 dargestellt. Die typische Fragestellung lautet: Wie hängt
2.2. Elektrisches Feld
21
Kapitel 2. Elektrostatik
Abbildung 2.10: Ein geladenes Teilchen wird in einem Kondensator abgelenkt. Eine typische Fragestellung beinhaltet die Frage, an welcher Position (Höhe h) eines Schirms hinter dem Kondensator das
Teilchen auftrifft.
die Position h, an der die Ladung auf den Schirm, trifft von L1 , L2 und der Feldstärke im
Kondensator ab?
Als Ladung wird ein Elektron angenommen mit m = me und q = −e. Die obere Platte des
Kondensators sei positiv, die untere negativ geladen. Damit ergibt sich die in Abbildung
2.10 dargestellte Richtung des elektrischen Feldes im Kondensator. Das Elektron trete
im Ursprung in den Kondensator ein und habe eine Geschwindigkeitskomponente in xRichtung, es gilt also:
 
 
v0
0



v(t = 0) = 0 
s(t = 0) = 0
0
0
Der Kondensator erzeugt ein elektrisches Feld E = −E · ey , welches über den gesamten
Kondensator und damit über die gesamte Strecke L1 gleich ist.
Gemäß Gleichung (2.3) bewirkt das elektrische Feld des Kondensator eine Kraft auf das
Elektron:
F
q
⇒F=E·q
= −E · (−e) · ey
= e · E · ey
E=
Gemäß Newton gilt:
m e · a = F = e · E · ey
Damit findet man, dass das Elektron eine Beschleunigung in y-Richtung erfährt, wie in
Abbildung 2.10 eingezeichnet. Integriert man die Beschleunigung zwei mal nach der Zeit
2.2. Elektrisches Feld
22
Kapitel 2. Elektrostatik
unter Verwendung der oben gegebenen Anfangsbedingungen, so erhält man:






v0 · t
v0
0
R
R
dt
dt
eE
eE
· t ⇒ s(t) =  2m
· t2 
a(t) =  mee · E  ⇒ v(t) =  m
e
e
0
0
0
Sobald das Elektron den Kondensator verlässt, verschwindet das elektrische Feld und
damit die wirkende Beschleunigung. Das Elektron bewegt sich dann in einer gleichförmiggeradlinigen Bewegung mit der Geschwindigkeit, welches es beim Verlassen des Kondensators inne hat. Die x-Komponente dieser Geschwindigkeit ist mit v0 bekannt. Die
y-Komponente zum Zeitpunkt des Austritts aus dem Kondensator muss jedoch explizit
berechnet werden. Dazu löst man zunächst die x-Komponente von s(t) nach t auf und
setzt dieses t dann in die y-Komponente ein:
2
sx
eE sx
sx = v0 · t ⇒ t =
⇒
sy =
v0
2me v0
Beim Verlassen des Kondensators ist sx = L1 . Damit ergibt sich für y0 = sy (sx = L1 )
eE
y0 =
2me
L1
v0
2
und für die y-Komponente der Geschwindigkeit beim Austreten aus dem Kondensator
vy (t = L1 /v0 ) =
e · E · L1
m e · v0
Ab dem Punkt (L1 , y0 , 0) besitzt das Elektron also die konstante Geschwindigkeit


v0
1
,
v =  eEL
m e v0
0
womit sich für s(t) die bereits beschriebene geradlinig-gleichförmige Bewegung ergibt:


v 0 · t + L1
1
· t + y0 
s(t) =  eEL
m e v0
0
Man beachte, dass das Koordinatensystem immer noch das selbe ist wie zuvor, daher
muss die Position beim Verlassen des Kondensators hinzu addiert werden. Der Abstand
zwischen Ausgang Kondensator und Bildschirm ist L2 . Wieder berechnet man die Flugzeit
aus der x-Komponente
L2
t=
v0
und setzt diese in die y-Komponente ein. Damit ergibt sich:
h = sy (t = L2 /v0 ) = y0 +
2.2. Elektrisches Feld
eEL1 L2
eEL1
=
· (L1 + 2L2 )
me v02
2me v02
23
Kapitel 2. Elektrostatik
2.3 Potentielle Energie und Potential
Die Begriffe Potential und potentielle Energie werden in der Literatur und im Folgenden
gern synonym verwendet. Wir werden jedoch später beide Begriffe eindeutig definieren
und voneinander unterscheiden.
2.4 Potentielle Energie
Aus der Mechanik ist bekannt, dass die Arbeit ∆W , die an einem Massepunkt verrichtet
wird, wenn dieser um einen (kleinen) Vektor ∆r verschoben wird, sich wie folgt errechnet:
∆W = −F · ∆r
= − |F| |∆r| · cos α
Der zweite Schritt ist die geometrische Ausführung des Skalarprodukts, wie in Abbildung
2.11 dargestellt. Ist 0 ≤ α < 90◦ , so ist der Cosinus positiv und es wird Arbeit frei. Gilt
α > 90◦ , so muss Arbeit verrichtet werden. Intuitiv wird dieses Verhalten beispielsweise
beim vertikalen Bewegen einer schweren Kiste: Wird sie entgegen der wirkenden Kraft
(Schwerkraft) nach oben gezogen, ist dafür Arbeit nötig.
Abbildung 2.11: Geometrische Darstellung des Skalarprodukts aus Kraft und Weg.
Im Folgenden wird zur Vereinfachung der Fall ∆r = ∆x · ex angenommen, es gilt also:
  

∆x
Fx (x, y, z)
∆W = Fy (x, y, z) ·  0  = Fx (x, y, z) · ∆x
0
Fz (x, y, z)
Nun gibt es in der Physik in vielen Fällen Kräfte bzw. Wechselwirkungen, für die es eine
eindeutige Funktion gibt, sodass man sie wie folgt schreiben kann:
∆W Fx = − lim
(2.6)
∆x→0 ∆x y,z=const
Dies gilt dann auch für die anderen beiden Komponenten Fy und Fz .
2.3. Potentielle Energie und Potential
24
Kapitel 2. Elektrostatik
Kräfte, deren drei Komponenten sich als Ableitungen einer Stammfunktion (x, y, z) gemäß
Gleichung (2.6) schreiben lassen (implizit ∆x → 0), heißen konservative Kräfte. Im
Grenzübergang gilt dann:
∂
∆W W (x, y, z)
=−
Fx = − lim −
∆x→0
∆x y,z=const
∂x
Man spricht von einer partiellen Ableitung einer Funktion, wenn eine Ableitung so gebildet
wird. Analog gilt z.B. für eine partielle Ableitung nach der y Komponente:
∂W (x, y, z)
W (x, y + ∆y, z) − W (x, y, z) = lim
∆y→0
∂y
∆y
x,z=const
Nicht alle Kräfte lassen sich (in offensichtlicher Weise) als Ableitung einer skalaren Funktion schreiben. Ist dies jedoch der Fall, so nennt man diese Stammfunktion einer konservativen Kraft potentielle Energie.
Beispiel 1: Punktmasse im Schwerefeld
Ein klassisches Beispiel zur Bestimmung der potentielle Energie ist ein Massepunkt der
Masse m im Schwerefeld der Erde, welches man in der Nähe der Erdoberfläche als konstant
annehmen kann. Das Schwerefeld bewirkt (wie aus Abschnitt 1 bekannt) eine Kraft auf
den Massepunkt:
F = −m · g · ez
Hierbei ist g = 9,81 ms−2 die Erdbeschleunigung.
Abbildung 2.12: Wirkende Kraft auf eine Punktmasse im Abstand z über dem Erdboden.
Die potentielle Energie, welche diese Kraft bewirkt, ist gegeben durch:
W (x, y, z) = m · g · z + W0
Die Koordinate z ist wie aus Abbildung 2.12 ersichtlich die Höhe des Massepunkts über
dem Erdboden, welcher auf z = 0 festgelegt ist. Als Beweis dieser Formel für die potentiel-
2.4. Potentielle Energie
25
Kapitel 2. Elektrostatik
len Energie dieses Beispiels bildet man die partielle Ableitung in alle drei Raumrichtungen:
∆W ∂W
Fx = − lim
=0
=
∆z→0 ∆z
∂x
x,y=const
∂W
=0
Fy =
∂y
∂W
Fz =
= −m · g
∂z
Insgesamt gilt also wie erwartet F = −m · g · ez . Die Konstante W0 ist eine Folge der
Festlegung des Koordinatensystems.
Allgemein bezeichnet man alle Punkte gleicher potentieller Energie als Äquipotentialflächen. In unserem Beispiel wäre das eine unendliche große Anzahl von ebenen Flächen,
eine Fläche für jedes z > 0. Tatsächlich jedoch sorgen lokale Schwankungen im Wert von
g für sehr ausgebeulte Äquipotentialflächen. Analoge Betrachtungen gelten beispielsweise
für ein Teilchen vor einer homogen geladenen Platte (Kondensator).
Beispiel 2: Harmonisches Potential
Als harmonisch bezeichnet man den Verlauf der potentiellen Energie, wenn er eine rein
quadratische Abhängigkeit vom Ort aufweist:
W =
1
1
· k · |r|2 ∝ |r|2 = · k · (x2 + y 2 + z 2 )
2
2
Abbildung 2.13: 3D-Darstellung der Form des harmonischen Ausdrucks. Der Verlauf der potentiellen
Energie ergibt sich beispielsweise als Rotation einer Parabel um die z-Achse.
2.4. Potentielle Energie
26
Kapitel 2. Elektrostatik
Für die resultierende Kraft ergibt sich:
∂W
= −k · x
∂x
∂W
Fy = −
= −k · y
∂y
∂W
= −k · z
Fz = −
∂z
Fx = −
Daraus folgt die Newtonsche Bewegungsgleichung:
m · ẍ = −k · x
m · ÿ = −k · y
m · z̈ = −k · z
In kompakter Vektorschreibweise erhält man die Differentialgleichung eines harmonischen
Oszillators:
m · r̈ + k · r = 0
Die Lösungen dieser Gleichung sind harmonische Funktionen (Sinus, Cosinus), was die
Benennung begründet. Harmonische Zusammenhänge werden uns später noch in der Elektrotechnik begegnen.
Beispiel 3: Zentralpotential
Hängt eine potentielle Energie W (x, y, z) nur vom Abstand r =
spricht man von einem Zentralpotential.
p
x2 + y 2 + z 2 ab, so
Spezialfälle von Zentralpotentialen:
W = C · rn ,
C = const.
(2.7)
Der Fall n = 2 wurde bereits im vorigen Beispiel als harmonisches Potential identifiziert,
n = −1 entspricht dem elektrostatischen Potential einer Punktladung oder auch dem
Gravitationspotential.
Kräfte aus Zentralpotentialen:
∂
W (r)
∂x
dU ∂r
= −
dr ∂x
Fx = −
(2.8)
Die
p potentielle Energie W hängt nur von einer Variablen, nämlich dem Abstand r =
x2 + y 2 + z 2 ab. Dieser Abstand hängt jedoch von den drei Ortsvariablen x, y und z ab
2.4. Potentielle Energie
27
Kapitel 2. Elektrostatik
(⇒ partielle Ableitung). Nebenrechnung (mit W aus (2.7)):
dW
= n · C · rn−1
dr
∂ p 2
∂r
x + y2 + z2
=
∂x
∂x
1 1
= · · 2x
2 r
x
=
r
y, z = const.
Damit gilt für die Kraftkomponente in x-Richtung:
x
Fx = − n · C · rn−1 ·
r
Zuletzt gilt es noch, die beiden oben genannten Spezialfälle zu betrachten:
• n = 2, C =
k
2
k
⇒ Fx = − 2 · r2−1
2
• n = −1, C =
x
= −k · x
r
Q1 ·Q2
4πε0
Q1 · Q2 (−1)−1 x
r
Fx = − (−1) ·
4πε0
r
Q1 · Q2 1 x
=
4πε0 r2 r
Q1 · Q2 1 y
Fy =
4πε0 r2 r
Q1 · Q2 1 z
Fz =
4πε0 r2 r
 
x
Q1 · Q2 1 r
y 
⇒F=
r
=
4 π ε0 r 2 r
z
Die potentielle Energie zweier Ladungen im Abstand r ist damit:
W (r) =
Q1 · Q2 1
4πε0 r
(2.9)
Diese Formel gibt an, welche potentielle Energie eine Punktladung Q1 aufgrund der
Anwesenheit einer zweiten Punktladung Q2 im Abstand r besitzt.
2.4. Potentielle Energie
28
Kapitel 2. Elektrostatik
2.4.1 Interatomares Potential
In einem Kochsalzkristall entsteht durch den Transfer eines Elektrons vom Na zum Cl eine
elektrostatisches anziehendes Potential zwischen Na+ Ionen und den Cl− Ionen. Damit
ist eine potentielle Energie verbunden, die wir schon kennen:
e2
4πε0 r
(2.10)
e2
4πε0 r2
(2.11)
W (r) = −
Daraus folgt für die anziehende Kraft
F (r) = +
Die anziehende Kraft in einem solchen Ionenkristall wird durch eine abstoßende Kraft
kompensiert. Empirisch wurde von Mie für die Wechselwirkung zweier geladener Nachbaratome in einem Kristall das sogenannte Mie-Potential eingeführt. Es hat folgende Form:
r0 1 r09
e2
− + 9
(2.12)
Wat (r) = −
4πε0 r0
r
9r
Der rechte Term ist für Abstoßung verantwortlich. Er fällt sehr steil mit dem Abstand r
ab. Das Gleichgewicht zwischen den beiden Termen bestimmt den interatomaren Abstand
r0 .
Elastische Konstanten eines Ionenkristalls
Ein wichtiger Parameter für die Berechnung mechanischer Spannungen ist der E- Modul
eines Werkstoffs. Dieser Parameter spielt auch in zahlreichen anderen Fragestellungen der
Werkstoffmechanik eine wichtige Rolle. Als Graph ist Gleichung 2.12 in Abbildung 2.14
als eine von mehreren interatomaren Potentialen gezeigt.
Die elastischen Konstanten eines Festkörpers lassen sich auf die Bindungskräfte zwischen
den Gitterbausteinen zurückführen. Dies sei am Beispiel des Elastizitätsmoduls E (Young
‘scher Modul) gezeigt. Dieser ist bekanntlich definiert als
E = σ/ε
(2.13)
mit der Zugspannung σ = F/A und der Dehnung ε = ∆l/l. F ist die Kraft, die an die
Fläche A angreift, l die Länge des Körpers und ∆l die Längenänderung.
Eine Gesamtkraft F greife an einem Natriumchlorid-Kristall an, wie in der Abbildung 2.15
gezeigt. Wenn man auf die Oberfläche A des Kristalls sieht, kann man sich vorstellen,
dass sich dahinter n Ionenreihen verbergen, wobei jede Reihe ein Flächenelement r02 /A
einnimmt. r0 ist der Gleichgewichtsabstand der Ionen. An jede der n Ionenreihen greift
dann die Kraft F/n an:
F · r02
F
=
(2.14)
n
A
2.4. Potentielle Energie
29
Kapitel 2. Elektrostatik
Abbildung 2.14: Schematisches Wechselwirkungspotential zweier Atome (Ionen) im Abstand rij für verschiedene Bindungstypen (aus K.H. Hellwege, Einführung in die Festkörperphysik, Springer, Heidelberg).
In diesem Abschnitt betrachten wir die ionische Bindung.
Wie man sieht, ist die makroskopische Dehnung ε gleich der mikroskopischen Verzerrung
S = δr/r0 :
m · δr
δr
∆l
=
=
=S
(2.15)
ε=
l
m · r0
r0
m ist die Anzahl der Gitterebenen über die Länge l. δr ist die Änderung des Abstands
der Ionen, die aus dem atomaren (ionischen) Potential Wat (r) bzw. aus der daraus resultierenden interatomaren Kraft Fat (r) hergeleitet werden kann:
δF = −
dFat (r)
· δr,
dr
Fat (r) = −
dWat (r)
dr
(2.16)
An alle m hintereinander geschaltete Gitterverbindungen entlang einer Ionenreihe greift
die gleiche Kraft, nämlich F/n an, also:
δF =
und somit
F r02
A
dr dr 1
= −σ · r0
·
dFat r=r0 r0
dFat r=r0
1 dFat ⇒
E=−
r0
dr r=r0
1 d2 Wat E=
r0
dr2 r=r0
−F r02
S=ε=
A
(2.17)
(2.18)
(2.19)
(2.20)
Der Young’sche Modul ist also proportional zur Ableitung der Kraft Fat (r) zwischen den
Gitterbausteinen, bzw. zur zweiten Ableitung des Potentials. Je stärker das Potential im
2.4. Potentielle Energie
30
Kapitel 2. Elektrostatik
Abbildung 2.15: (aus A. J. Walton, Three phases of matter, Clarendon Press Oxford)
Gleichgewichtsabstand r0 gekrümmt ist, desto höher ist der E-Modul!
Beispiel: Obiges Mie-Potential zwischen den Ionen Na+ Cl− : (Gl. 2.12)
r0 1 r09
e2
· − + 9
W (r) =
4 · π · ε 0 · r0
r
9r
2
2
∂ W
e
2 · r0
r09
=
· − 3 + 10 · 11
∂r2
4 · π · ε 0 · r0
r
r
2
8e
r = r0 ⇒ E =
4 · π · ε0 · r02
(2.21)
Mit r0 = 0,281 nm ergibt sich E ≈ 300 GPa. Der gemessene Wert ist ca. 58 GPa. Die
obige Rechnung ist nur eine Abschätzung. Jedoch ist das Ergebnis, dass die Krümmung des
interatomaren Potentials den E-Modul bestimmt, richtig und von allgemeiner Gültigkeit,
auch für andere Moduli.
2.4.2 Elektrostatisches Potential
Motiviert aus den Betrachtungen des vorigen Abschnitts definiert man nun das elektrostatische Potential (nicht zu verwechseln mit der potentiellen Energie !) einer elektrischen
Punktladung Q im Ursprung wie folgt:
Φ(r) =
2.4. Potentielle Energie
Q 1
4πε0 r
(2.22)
31
Kapitel 2. Elektrostatik
Man erkennt, dass es sich dabei nur um den Quotient aus der potentiellen Energie der
Punktladung q im Feld der Ladung Q handelt. Damit hat das elektrostatische Potential
die Einheit:
[Energie]
J
[Φ] =
= = Volt
[Ladung]
C
Der Zusammenhang zwischen potentieller Energie und Potential einer Ladungsverteilung
ist ähnlich dem, wie der Zusammenhang zwischen Coulomb-Kraft und elektrostatischem
Feld:
W (r)
Φ(r) =
Q
Das elektrische Feld gibt die Kraft pro Ladung an. Multipliziert man ein gegebenes elektrische Feld mit einer Punktladung, so ergibt sich direkt die Kraft, welche diese Punktladung
am Ort r erfährt. Das elektrostatische Potential wiederum gibt die potentielle Energie pro
Ladung an jedem Punkt r an. Multipliziert mit einer Punktladung gibt es sofort die potentielle Energie, welche diese Punktladung am Ort r inne hat, an. Die abgeleitete Einheit
Äquipotentiallinie ⊥ E
Q
E-Feld
Abbildung 2.16: Äquipotentialflächen
eV, also ”Elektronenvolt”, ist gängig aber keine S.I.-Einheit. Sie ermöglicht aber schnelles
Umrechnen in S.I. Einheiten:
1 eV = 1 e · 1 V
Das eV ist eine sinnvolle Einheit für viele elementare Prozesse. Eine Energie von 13.6 eV
bedarf es, um atomaren Wasserstoff zu ionisieren. Die Energie elektromagnetischer Strahlung im sichtbaren Bereich liegt bei 1.6 eV bis 3.4 eV. Die thermische Energie bei Raumtemperatur (T = 300 K) ist circa 1/40 eV.
2.4.3 Elektrisches Feld
Aus dem elektrostatischen Potential lässt sich das zugehörige elektrische Feld sehr einfach
mit Hilfe des Gradienten bestimmen.
E(r) = −grad Φ(r)
2.4. Potentielle Energie
(2.23)
32
Kapitel 2. Elektrostatik
Unter welchen Bedingungen diese Gleichung gilt, werden wird spaeter im Zusammenhang
mit der Magnetostatik diskutieren.
2.4.4 Poisson-Gleichung
Wir greifen nun auf das Gaußsche Gesetz vor (eine der Maxwell-Gleichungen), welches in
differentieller Form wie folgt aussieht:
div E(r) =
ρ(r)
ǫ0
Hierbei ist ρ(r) die Ladungsdichte. Das Gesetz besagt, dass elektrische Ladungen die
Quellen und Senken des elektrischen Feldes sind. Wir setzen Gleichung (2.23) ein und
erhalten:
ρ(r)
ǫ0
ρ(r)
(2.23)
⇔ − div grad Φ(r) =
| {z }
ǫ0
div E(r) =
=∇2 =:∆
⇔ ∆Φ(r) =
−ρ(r)
ǫ0
(2.24)
Die letzte Gleichung ist die sogenannte Poisson-Gleichung. Die Lösung dieser partiellen
Differentialgleichung gibt den allgemeinsten Ausdruck für das elektrostatische Potential einer beliebigen Ladungsdichte an. Die Herleitung dieser Lösung ist für uns noch zu
schwierig, sodass wir uns mit dem Endergebnis begnügen.
Z
1
ρ(r′ ) 3 ′
Φ(r) =
dr
(2.25)
4πǫ0
|r − r′ |
Dies ist die allgemeinste Formel, um das elektrostatisch Potential einer beliebigen Ladungsverteilung zu berechnen.
Mit Hilfe von Gleichung (2.23) lässt sich Gleichung (2.25) in einen Ausdruck zur Berechnung des elektrischen Feldes umschreiben:
Z
ρ(r′ ) r − r′ 3 ′
1
dr
(2.26)
E(r) =
4πǫ0
|r − r′ |2 |r − r′ |
Ein Vergleich mit (2.4) zeigt die Analogie: Die Summe ist in ein Integral umgewandelt
worden, womit das elektrische Feld einer beliebigen Ladungsverteilung berechnet werden
kann. Gleichzeit ist jedoch zu beachten, dass es sich bei Gleichung (2.26) streng genommen um drei Gleichungen handelt, da das elektrische Feld im Gegensatz zum Potential
vektoriell ist. Gleichzeitig sind die Gleichungen wegen des Quadrats im Nenner wesentlich
schwieriger zu lösen. Der einfachere Weg ist daher die Berechnung des Potentials und die
Ableitung des elektrischen Feldes durch Bildung des Gradienten gemäß (2.23).
2.4. Potentielle Energie
33
Kapitel 2. Elektrostatik
Beispiel 1: Potential einer Punktladung
Als einfaches Beispiel betrachten wir die Ladungsverteilung einer Punktladung q im Ursprung:
ρ(r) = q · δ(x)δ(y)δ(z)
(2.27)
Hierbei ist δ(x) die Delta-Distribution, auch Dirac-Funktion genannt, obwohl sie streng
genommen keine Funktion ist. Sie ist definiert über folgenden Zusammenhang:
Z∞
δ(x − x0 ) · f (x) dx = f (x0 )
(2.28)
−∞
Die Delta-Funktion existiert somit nur unter dem Integral. Bildlich gesprochen ist sie ein
einzelner, unendlich hoher und unendlich schmaler Peak bei x0 , deren Fläche den Wert 1
hat. Mit Hilfe der obigen Bestimmungsgleichung ist die Integration (2.25) zur Bestimmung
des Potentials trivial, wobei in unserem Fall x0 = 0 für alle drei Variablen gilt.
Z
ρ(r′ ) 3 ′
1
dr
Φ(r) =
4πǫ0
|r − r′ |
Z
q
δ(x′ )δ(y ′ )δ(z ′ )
p
=
dx dy dz
4πǫ0
(x − x′ )2 + (y − y ′ )2 + (z − z ′ )2
Z
q
δ(y ′ )δ(z ′ )
p
=
dy dz
4πǫ0
(x − 0)2 + (y − y ′ )2 + (z − z ′ )2
(2.29)
Z
δ(z ′ )
q
p
dz
=
4πǫ0
(x − 0)2 + (y − 0)2 + (z − z ′ )2
1
q
p
=
4πǫ0 x2 + y 2 + z 2
q 1
=
4πǫ0 |r|
Wir erhalten das selbe Ergebnis, welches wir bereits in Gleichung (2.22) angegeben hatten.
Beispiel 2: Potential eines elektrischen Dipols
Zwei betragsmäßig gleiche Ladungen mit verschiedenem Vorzeichen im Abstand |r| bilden
einen Dipol. In den Werkstoffwissenschaften treten sie insbesondere in Form von polaren
Molekülen auf, das bekannteste Beispiel ist das Wasser-Molekül. Im Folgenden soll das
Potential eines Dipols in Abhängigkeit vom Abstand |r| berechnet werden.
Wie für den Monopol lässt sich auch für den Dipol einfach das Potential berechnen. Wir
legen den Dipol dazu wie in der obigen Abbildung dargestellt auf die y-Achse, wobei
der Ursprung in der Mitte zwischen den Ladungen liegt. Damit liegen die Ladungen bei
±d/2 ex , wobei d = |d|. Man betrachtet nun die Superposition der Potentiale der beiden
2.4. Potentielle Energie
34
Kapitel 2. Elektrostatik
Abbildung 2.17: Skizze einer Ladungsanordnung, welche einen Dipol beschreibt.
Punktladungen und es gilt:
1
4πǫ0
1
ϕ(2)
m (r) =
4πǫ0
ϕ(1)
m (r) =
q
|r + d/2 ex |
−q
·
|r − d/2 ex |
·
Aus der Skizze finden wir, dass r + d/2 ex = r1 und r − d/2 ex = r2 . Wir kürzen weiterhin
r1 = |r1 | und r2 = |r2 | ab. Das gesamte Potential des Dipols ist damit:
(2)
ϕd = ϕ(1)
m + ϕm
q
1
q
1
· −
·
=
4πǫ0 r1 4πǫ0 r2
1
1
1
=
−
4πǫ0 r1 r2
q r2 − r1 r2 + r1
=
4πǫ0 r1 r2 r2 + r1
Für den Zähler finden wir:
(r2 − r1 ) · (r2 + r1 ) = r22 − r12
Wir machen nun die realistische Näherung r >> d. Damit gilt weiterhin r1 ≈ r2 ≈
r, sodass wir den Zähler vereinfachen können. Mit dem Polarwinkel α können wir den
2.4. Potentielle Energie
35
Kapitel 2. Elektrostatik
Kosinussatz anwenden:
d
d2
− 2r cos(α)
4
2
Es gilt aufgrund der oben getroffenen Näherung auch: r12 ≈ r2 , sodass:
r22 = r2 +
d2✁
d
d
r22 − r12 ≈ ✁ − 2r cos(α) = −2r cos(α)
2
2
✁4
Für den Nenner finden wir analog:
r1 r2 · (r2 + r1 ) ≈ 2r3
Damit vereinfacht sich das Potential zu:
Φ(r, α) = −
q d cos(α)
8πǫ0 r2
Für den idealisierten Dipol (q → ∞, d → 0) gilt die Gleichung exakt.
2.4. Potentielle Energie
36
Kapitel 2. Elektrostatik
2.5 Gauß’sches Gesetz
Das elektrische Feld einer Punktladung genügt folgender Gleichung:
|E| =
Q
1
· 2
4πε0 r
Des weiteren berechnet sich die Oberfläche einer Kugel, deren Punkte vom Mittelpunkt
den Abstand r haben zu:
A = 4πr2
Deshalb ist das Produkt aus E = |E| auf der Kugeloberfläche (also bei konstantem r)
und der Fläche A eine Konstante:
1
Q
E·A=
· 2 · 4πr2
4πε0 r
Q
=
(2.30)
ε0
Nun ist E jedoch ein Vektor. Ebenso kann man einen Flächenvektor A definieren, der
senkrecht auf einer Oberfläche eines Objektes (Volumens) steht und von innen nach außen zeigt. Beispielsweise würde man die Oberfläche eines Deckel eines Kubus mit Kantenlänge a, der entlang der kartesischen Koordinaten ausgerichtet ist, mit ADeckel = a2 ez
bezeichnen. Die Oberfläche des Bodens wäre dann ABoden = −a2 ez .
Für gekrümmte Oberflächen, wie die einer Kugel, kann man nur kleine Oberflächensegmente betrachten, die man (meist) lokal als nicht gekrümmt annähern kann. Als Beispiel
diene die Oberfläche der Erde, die lokal flach erscheint. Bei einer Kugel ist das Oberflächensegment parallel zu r, wenn der Schwerpunkt der Kugel im Koordinatenzentrum
liegt. Also ist dA parallel zu r.
Man kann Gleichung (2.30) also auch schreiben, indem man kleine Oberflächensegmente
betrachtet und dann jeweils deren Beiträge dA · E über die gesamte Kugeloberfläche
summieren beziehungsweise integriert. Das resultierende Integral schreibt man formal wie
folgt:
I
1
E dA = Q eingeschlossen .
(2.31)
ε0
S(V )
Diese Gleichung
bezeichnet man auch als das Gauß’sches Gesetz. Dabei bedeutet das
H
Symbol A dA... eine Summation bzw. Integration über eine geschlossene Oberfläche, also
über die Hülle S(V ) (surface) eines Volumens V .
⇒ ∆A · r = ∆A · r · cos α,
wobei α der Winkel zwischen ∆A und r ist. Auf der Kugeloberfläche, deren Schwerpunkt
im Ursprung des Koordinatensystems liege, ist cos(α) = 1. Man kann den Ausdruck dA·E
auch als “Fluss” des Vektorfeldes E durch die Oberfläche bezeichnen. Betrachten wir als
Beispiel wieder unseren Kubus und nehmen ein konstantes E-Feld der Form E0 · ez an,
2.5. Gauß’sches Gesetz
37
Kapitel 2. Elektrostatik
also eins das parallel zur z-Achse ist. Die Feldlinien treten dann durch den Boden ein,
wo dA · E negativ ist und sie treten durch den Deckel wieder aus, wo dA · E positiv
wäre. Insgesamt treten also gleich viele Feldlinien ein wie aus. Durch die Seiten geht kein
“Fluss”, weil in diesem Beispiel
E · ex = 0 bzw. E · ey = 0.
H
In diesem Beispiel würde dA · E = 0 gelten, sprich es gibt keinen resultierenden Fluss
in den Kubus, denn es fließt durch den Boden soviel hinein, wie durch den Deckel wieder
hinausfließt. Der Begriff “Fluss” stammt im übrigen aus der Strömungslehre, in der man
den Begriff dann durchaus wörtlich nehmen darf.
Betrachten wir wieder den allgemeinen Fall. Dazu gibt es einige Anmerkungen:
• Gleichung (2.31) gilt auch, wenn die Ladung nicht im Zentrum der Kugel sitzt (ohne
Beweis).
• Gleichung (2.31) gilt auch, wenn die Oberfläche eine beliebige Form hat (wieder
ohne Beweis).
• Gleichung ist isomorph (mathematisch identisch) zum Coulomb-Gesetz.
• Eine radialsymmetrische Verteilung ρ (R) = ρ (|R|) kann so behandelt werden, als
sei die gesamte Ladung im Schwerpunkt der Ladungsverteilung vorhanden.
Es sei angemerkt, dass alles, was wir hier gesagt haben, ebenso für das Gravitationsgesetz
gilt, das abgesehen von Konstanten mit dem Coulomb-Gesetz identisch ist. Insbesondere
der letzte Punkt unserer Anmerkungen spielt im Gravitationsgesetz eine wichtige Rolle:
Die Gravitationswirkung eines Planeten, den man in aller Regel als kugelsymmetrisch
annehmen kann, entspricht der Wirkung einer “Punktmasse”, sprich der Gesamtmasse
des Planeten, die im Schwerpunkt des Planeten vereinigt ist. Dies gilt auch, wenn die
Objekte sich sehr nahe an Planeten befinden, wie z.B. Satelliten. Würde das CoulombGesetz von 1/r2 abweichen, könnte man das Konzept von Punktmassen, oder analog
Punktladungen, nicht vornehmen.
Aus Gleichung (2.31) folgt, dass der Gesamtfluss von elektrischen Feldlinien durch
eine
H
geschlossene Oberfläche gleich null ist, wenn sie keine Ladung umschließt. Ist dA · E
positiv bzw. negativ muss die von der Oberfläche eingeschlossene Ladung in ihrer Summe jeweils positiv bzw. negativ sein. Deshalb haben wir vorher davon gesprochen, dass
positive Ladungen die Quellen des elektrischen Feldes sind und negative Ladungen ihre
Senken. Ebenso bekommt der Satz, dass elektrische Felder Start- und Endpunkte nur in
Ladungen haben, eine tiefere Bedeutung.
2.5. Gauß’sches Gesetz
38
Kapitel 2. Elektrostatik
Betrachte den links gezeichneten (infinitesimal) dünnen Diskus. Für ihn gilt:
I
E dA = 0
Jeder ”Fluss” des Feldes, der in ein Volumen geht (E dA), geht auch wieder
unverändert heraus, da keine Ladung
im (Diskus-) Volumen enthalten ist.
E dA = positiv
+
negativ
Wenn wir über einen Dipol integrieren, sodass beide Ladungen von unserer
Oberfläche eingeschlossen sind, gilt:
−
Qeing. = +e + (−e)
= 0
I
⇒ E dA = 0
Weitere Konsequenzen des Gauß’schen Gesetz sind:
• Eine Kugel mit homogener Oberflächenladung hat kein inneres E-Feld. Das Konzept des Massenpunktes bzw. Ladungspunkt bezieht sich also nur auf die Massen/Ladungen, die einen kleineren Abstand vom Ursprung haben als man selbst.
• Induzierte Ladungen in Metallen sitzen auf Oberflächen. Ansonsten hätte man elektrische Feldlinien innerhalb eines Metalls, was aber nicht erlaubt ist, weil dann
Ladungen anfangen zu fließen, die das E-Feld kleiner machen.
Anwendungen: Berechnung elektrischer Felder von hochsymmetrischen Strukturen
Beispiel 1: Feld einer homogen geladenen Kugel
Die Kugel habe den Radius R und die konstante Volumenladungsdichte
ρ=
2.5. Gauß’sches Gesetz
∆Q
.
∆V
39
Kapitel 2. Elektrostatik
Die Aufgabe ist nun, das innere E-Feld einer homogen geladenen Kugel mit der Ladungsdichte ρ zu berechnen.
Aus Symmetriegründen muss gelten:
E k er
Daraus folgt:
⇒
I
E dA = E · A = E · 4 π r2
Berechnung der eingeschlossenen Ladung für r ≤ R:
Qeing. = ρ · V
4π 3
=ρ·
·r
3
Eingesetzt in den Gaußschen Satz:
4π 3
1
·ρ·
·r
E · 4πr =
ε0
3
ρ
E=
·r
3 · ε0
2
Innerhalb der Kugel steigt das Feld linear an. Außerhalb muss es gemäß des Coulombgesetzes abfallen.
|E|
RKugel
Interessant: Im Ursprung ist E = 0, was aber aus Symmetriegründen sowieso unvermeidbar war. Eine Einheitenanalyse hätte uns schon ahnen lassen müssen, dass E ∝ ρr
sein muss, da das innere Feld gemäß Gauß nicht vom äußeren Radius abhängen kann.
([ρ] = C/m3 )
Beispiel 2: Homogen geladener Draht
Der als unendlich dünn genäherte Draht habe eine homogene (Linien-) Ladungsdichte:
λ=
2.5. Gauß’sches Gesetz
∆Q
= const.
∆Z
40
Kapitel 2. Elektrostatik
z
r
Wenn der Draht durch den Ursprung (0, 0, 0) geht
und auf der z-Achse liegt mit R = (x, y, z) gilt:
1
E (R) = E · p
· er
x2 + y 2
| {z }
=r
z
ADeckel = π · r2 · ez
Da E k ex
⇒ kein Fluss durch den Deckel
ADeckel = −ABoden
|ASeite | = (2 π · r) · |{z}
∆z
| {z }
Umfang
⇒
I
Höhe
⇒ ASeite k E
E dASeite = ASeite · E(r) = (2 π r · ∆z) · E(r)
Qeing. = λ · ∆z
Gleichsetzen liefert:
λ · ∆z
ε0
λ
⇒ E(r) =
2 π ε0 r
(2 π r · ∆z) · E(r) =
2.5. Gauß’sches Gesetz
41
Kapitel 2. Elektrostatik
Die Berechnung des E-Feldes hat sich durch den Gauß’schen Satz stark vereinfacht - und
kann nun mit etwas Übung in zwei Zeilen geschehen, statt über die Berechnung eines
(komplizierten) Integrals. Allerdings mussten wir dazu etwas Mathematik lernen.
Beispiel 3: Feld einer homogen geladene Platte
Dieses Problem kennen wir bereits. Wir werden es nun erneut behandeln, diesmal jedoch
mit Hilfe des Gaußschen Gesetz. Die als unendlich dünn genäherte Platte liege in der
x-y-Ebene und habe eine konstante Flächenladungsdichte:
σ=
∆Q
∆A
⇒ E k ez
E ↑↓ ez
⇒ E · ∆ADeckel
E · ∆ABoden
:z>0
:z<0
= E · ADeckel
= |E| · |ABoden |
Es findet kein Fluss durch die Seiten statt: E · ∆ASeite = 0. Daher gilt
I
E dA = E · ADeckel + E · ABoden ,
wobei A = ABoden = ADeckel .
Die eingeschlossene Ladung ist gegeben als das Produkt aus Fläche mal Flächenladungsdichte, Qeing. = σ · A. Damit folgt insgesamt:
2A · E =
σ
1
· σ · A oder E =
ε0
2 ε0
Dieses Ergebnis stimmt mit dem Ergebnis der expliziten Berechnung über die Kreisscheiben überein. Man spart sich jedoch viel Rechenaufwand.
2.5. Gauß’sches Gesetz
42
Kapitel 2. Elektrostatik
2.6 Mathematischer Einschub
2.6.1 Gradient
Skalare Funktionen des Ortes (und möglicherweise der Zeit) bezeichnet man in der Physik
als skalare Felder. Die Funktionsvorschrift dieser Felder ordnet jedem Punkt s im Raum
einen skalaren Wert u(s) zu (Beispiel: Temperatur T = T (s, t)).
Der örtlichen Änderung eines skalaren Feldes entspricht in einer Dimension einfach die
Ableitungen dieser nach ihrer Ortskomponente. Die Verallgemeinerung auf drei Dimensionen gestaltet sich schwieriger, da die Änderungen nun richtungsabhängig sind. Für jede
Richtung (es gibt unendlich viele) variiert die Änderung. Dies erkennt man direkt am
totalen Differential:
∂u
∂u
∂u
dx +
dy +
dz
(2.32)
du =
∂x
∂y
∂z
Mit
ds = dx ex + dy ey + dz ez
lässt sich das totale Differential schreiben als:
∂u
∂u
∂u
du =
ex +
ey +
ez ·ds
∂x
∂y
∂z
|
{z
}
(2.33)
(2.34)
=: grad u
Der so definierte Gradient einer skalaren Funktion ist ein sogenannter Differentialoperator, in der Literatur auch häufig als ’Nabla’-Operator ∇ bezeichnet und als Vektor
dargestellt. Als Komponenten enthält er jeweils die partiellen Ableitungen nach den drei
Raumrichtungen:
T
∂u ∂u ∂u
(2.35)
, ,
grad u = ∇u =
∂x ∂y ∂z
Aufgrund des vektoriellen Charakters dieses Operators liegt es nahe, ihn auch über die
bekannten Vektoroperationen (Skalarprodukt, Kreuzprodukt) mit anderen Vektor zu verknüpfen, dazu später mehr.
Wichtig sind auch die geometrische Interpretationen des Gradienten:
• Der Gradient einer skalaren Funktion ist ein Vektor welcher in Richtung des größten
Anstiegs der Funktion zeigt.
• Der Betrag des Gradienten einer skalaren Funktion gibt die Steigung entlang des
größten Anstiegs an.
Anschaulich wird dies, wenn man im gegebenen Raum alle Punkte mit gleichen Werten
von u zu sogenannten Niveaufächen (oder Niveaulinien) miteinander verbindet. Beim
2.6. Mathematischer Einschub
43
Kapitel 2. Elektrostatik
Laufen entlang der Richtung ds0 einer solchen Fläche ändert sich u also nicht und es gilt:
ds0 · grad u = 0
(2.36)
Doch da weder ds0 noch der Gradient von u verschwinden sollen, muss der Gradient senk-
2
2
Abbildung 2.18: Ein Plot des skalaren Feldes u(x, y) = (x − y) · e−(x +y ) (Rot: f (x, y) = −0,6 - Grün:
f (x, y) = 0,6) mit einigen eingezeichneten Niveaulinien. Deutlich zu sehen ist, wie der eingezeichnete
Gradient immer senkrecht zu den Niveaulinien steht. Auf dem Berg (grün) und im Tal (rot) verschwindet
der Gradient, hier ist jeweils ein stationärer Punkt.
recht auf s0 stehen, da nur dann das Skalarprodukt verschwindet. Somit kann der Gradient
auch als Normalenvektor der Niveauflächen interpretiert werden. In Abbildung 2.18 ist
dies für eine skalare Funktion im zu sehen, die schwarzen Linien sind die Niveaulinien.
Gut erkennbar ist, dass der Gradient senkrecht auf diesen steht. In der Physik werden
viele Vektorfelder (elektrisches Feld, Gravitationsfeld, ...) aus einer skalaren Funktion,
dem sogenannten Potential abgeleitet.
Für das elektrische Feld gilt beispielsweise E = −grad φ, wobei φ elektrisches Potential genannt wird (das negative Vorzeichen ist Konvention). Dies hat den sehr eleganten
Vorteil, dass man den Nullpunkt des Potentials beliebig wählen kann (Eichung), da eine
additive Konstante den Wert des Gradienten nicht verändert.
Felder die aus einem Potential abgeleitet werden können, nennt man konservative Felder.
Exkurs: Potentialdifferenzen in der Natur
Leicht sieht man ein, dass aus einer großen Potentialdifferenz zwischen zwei Orten ein
großer Gradient, also ein starkes elektrisches Feld, resultiert. Diesen Gradient kann man
sogar in der Natur beobachten. Bei starken Gradienten des elektrischen Potentials können
einem die Haare zu Berge stehen.
Konservative Felder haben zwei sehr wichtige Eigenschaften:
2.6. Mathematischer Einschub
44
Kapitel 2. Elektrostatik
Abbildung 2.19: Drei der unendlichen vielen möglichen Wege zwischen Punkt A und B. Das Wegintegral
durch das konservative Vektorfeld ist auf allen Wegen gleich.
1. Das Integral über einen abgeschlossenen Weg durch das Vektorfeld verschwindet.
I
grad u ds = 0
(2.37)
S
2. Die Differenz der Werte an zwei Orten A und B ist vom Weg unabhängig.
Z
Z
Z
grad u ds =
grad u ds =
grad u ds
S1
S2
(2.38)
S3
Als logische Folgerung ergibt sich auch, dass der Wert des Rückweges gerade dem
negativen Wert des Hinweges entspricht.
Es ist zu beachten, dass der Nabla-Operator und somit auch der Gradient von der Wahl
der Koordinaten abhängen.
Nabla in Zylinderkoordinaten:
∂u
1 ∂u
∂u
er +
eφ +
ez
∂r
r ∂φ
∂z
(2.39)
∂u
1 ∂u
1 ∂u
er +
eθ +
eφ
∂r
r ∂θ
r sin θ ∂φ
(2.40)
∇u =
Nabla in Kugelkoordinaten:
∇u =
2.6.2 Divergenz am Beispiel des Gaußschen Satzes
Wie bereits erwähnt lässt sich der vektorielle Charakter des Nabla-Operators nutzen, um
eine weiter wichtige Größe zu definieren, nämlich die Divergenz.
Im Gegensatz zum Gradienten kann die Divergenz nur auf ein Vektorfeld v = v(x) =
(vx , vy , vz )T angewandt werden und ist ein Maß für den Fluss dieses Vektorfeldes durch eine
2.6. Mathematischer Einschub
45
Kapitel 2. Elektrostatik
Fläche. Sie berechnet sich als das Skalarprodukt des Nabla-Operators mit dem Vektorfeld:
div v := ∇ · v =
∂vx ∂vy ∂vz
+
+
∂x
∂y
∂z
(2.41)
Die Idee hinter der Divergenz ist es, sich ein beliebiges Volumenelement ∆V innerhalb
eines Vektorfeldes anzuschauen und den Fluss durch die Oberfäche S(∆V ) diese Volumens
zu berechnen:
I
1
v · dA
(2.42)
div v = lim
∆V →0 ∆V
S(∆A)
Es gilt dA = n · da, wobei per Konvention immer der nach außen zeigende Flächennormalenvektor genutzt werden soll.
Als einfaches Beispiel sei eine Strömung in x-Richtung gegeben, welche durch Feldlinien
Abbildung 2.20: Ein einfaches Volumenelement innerhalb eines Vektorfeldes in x-Richtung.
dargestellt wird. Eine Feldlinie entspricht einer bestimmten Menge Wasser. Nehmen wir
uns jetzt ein Volumenelement aus der Strömung heraus (bspw. Würfel mit Kantenlänge
1, Abbildung X), so können wir den Fluss durch die gesamte Oberfläche des berechnen.
In unserem Beispiel fallen aufgrund der Richtung des Feldes nur die schraffierten Flächen
ins Gewicht, da bei allen anderen dA ⊥ dv gilt und das Skalarprodukt im Integral somit
verschwindet.
• Linke Fläche: n steht antiparallel zu v, dies ergibt ein negatives Vorzeichen und
somit einen Fluss von −15 (willkürliche Einheit, hier einfach Anzahl der Pfeile)
• Rechte Fläche: n k v, also ergibt diese Seite einen Fluss von +15 (ebenfalls willkürlich)
Zusammengefasst ist also der Fluss durch die gesamte Oberfläche 0, was auch direkt aus
der Darstellung ersichtlich ist.
Doch das muss nicht immer sein, läge beispielsweise ein Zu-/Abfluss innerhalb des betrachteten Volumens, so wäre der Wert ungleich 0.
Wir haben mit dem Integral in (2.42) also ein Maß für die Ergiebigkeit eines Volumenele-
2.6. Mathematischer Einschub
46
Kapitel 2. Elektrostatik
ments erhalten, die allerdings noch von der Größe desselben abhängt, daher der Vorfaktor.
Bildet man nun den Grenzwert und lässt das Volumenelement unendlich klein werden,
hat man die Divergenz eingeführt.
Sei nun ein endliches Raumvolumen Ω von einer geschlossenen Oberfäche begrenzt (beispielsweise eine Kugelschale). Es gilt für jedes infinitesimale Volumenelement dV innerhalb
dieses Volumens die Definition der Divergenz:
I
1
v dA
div v =
dV S(dV )
I
⇔ div v dV =
v dA
S(dV )
Z
I
⇔
div v dV =
v dA
Ω
S(Ω)
Im letzten Schritt wurde über ganz Ω integriert, also alle infinitesimalen Volumenelemente innerhalb Ω aufsummiert. Auf der rechten Seite wird nun nur noch über die äußere
Oberfäche von Ω integriert, da sich alle Integrale über die Oberflächen der infinitesimalen
Volumenelemente innerhalb von Ω aufheben.
Damit haben wir den Gaußschen Integralsatz hergeleitet:
Z
I
div v dV =
v dA
(2.43)
Ω
S(Ω)
Beispiel: Herleitung des Gaußschen Gesetzes
Betrachten wir eine Kugel um den Ursprung mit Radius R0 , Volumen V und (abgeschlossener) Oberfläche S(V ). Innerhalb dieser Kugel sei eine Punktladung mit Ladung q, das
elektrische Feld kennen wir also.
Schauen wir uns den Fluss des von der Ladungsverteilung erzeugten elektrischen Feldes
durch S(V ) an (es bietet sich an in Kugelkoordinaten zu rechnen):
I
I 2π Z π
1 q
E(r) dA =
e · 6 r2 sin(θ) · er · dθdφ
2 r |
{z
}
4πǫ
6
r
S(V )
0
0
| 0{z }
dA
E
I 2π Z π
q
sin(θ)dθdφ
=
4πǫ0 0
0
{z
}
|
q
=
ǫ0
=4π
Das schöne an diesem Ergebnis ist, dass man zeigen kann, dass es nicht nur für Kugeln sondern für alle abgeschlossenen Oberfächen gilt! Außerdem lässt sich mit Hilfe des Superpositionsprinzips zeigen, dass dies auch für eine beliebige Ansammlung von Punktladungen in-
2.6. Mathematischer Einschub
47
Kapitel 2. Elektrostatik
nerhalb der Kugel gilt. Insgesamt gilt also mit Qeing = Summe aller Punktladungen in S(V ):
I
Qeing
E(r) dA =
(2.44)
ǫ0
S(V )
Allgemeiner gilt mit einer kontinuierlichen Ladungsverteilung ̺:
Z
Qeing =
̺dV
V
Und jetzt kommt der Gaußsche Integralsatz ins Spiel, wir wandeln mit Hilfe von (2.43)
das Oberflächenintegral in ein Volumenintegral um:
Z
I
Z
q
̺
div E dV =
E(r) dA =
=
dV
ǫ0
V
S(V )
V ǫ0
Wir identifizieren also:
̺
(2.45)
ǫ0
Damit haben wir das Gaußsche Gesetz in differentieller Form, also eine der MaxwellGleichungen, hergeleitet!
div E =
2.6.3 Integration krummliniger Koordinaten
In vielen Fällen kann man beim Lösen physikalischer Systeme die Symmetrie des Systems ausnutzen. Vor allem in der Elektrodynamik ist dies häufig der Fall, denken wir
nur an einen Kreis, einen Zylinder oder eine Kugel. Hier empfiehlt sich vor allem bei der
Integration ein Wechsel auf Polarkoordinaten, Zylinderkoordinaten oder Kugelkoordinaten. Beim Wechsel von kartesischen in andere Koordinatensysteme bekommen wir einen
zusätzlichen Korrekturfaktor in das Integral, die sogenannte Jacobi-Determinante (auch
Funktionaldeterminante genannt). Diese errechnet sich aus der Jacobi-Matrix, die genaue
Beschreibung dieser findet man in ziemlich jedem Buch zu den mathematischen Methoden
der Physik.
Die Jacobi-Determinanten sind:
• Polarkoordinaten (x, y → r, φ): J = r
• Zylinderkoordinaten (x, y, z → r, φ, z): J = r
• Kugelkoordinaten (x, y, z → r, φ, θ): J = r2 · sin(θ)
Allgemein gilt also folgende Regel bei einem Koordinatenwechsel von kartesischen (x1 , x2 , ...)
zu krummlinigen (q1 , q2 , ...) Koordinaten:
Z
Z
(...)dx1 dx2 ... → J · (...)dq1 dq2 ...
2.6. Mathematischer Einschub
48
Kapitel 2. Elektrostatik
Beispiel: Berechnung des Volumens einer Kugel mit Radius R0
Z
Z
dV =
dx dy dz
V
V
Wir brauchen nicht ‘über’ irgendetwas zu integrieren. Wir integrieren ja hier schließlich
schon über alle Volumenelemente dV , zusammen sollte also das Gesamtvolumen herauskommen! Logischerweise bieten sich Kugelkoordinaten hier an (an unser neues J denken!),
dadurch bekommen wir ein ‘neues’ dV .
Z
Z
dV =
r2 · sin(θ) dr dφ dθ
V
V
I 2π Z π
Z R0
r2 dr
=
dφ
sin(θ)dθ
0
0
0
3 R0
r
= 2π · [− cos(θ)]π0 ·
| {z } 3 0
=2
4 3
πR
=
3 0
Vektorielle und skalare Oberflächenintegrale
Während ein Volumenelement immer ein Skalar ist, kann ein Oberflächenelement auch
gerichtet, also eine vektorielle Größe, sein. Im Allgemeinen ist das vektorielle Oberflächenelement dA immer das skalare Oberflächenelement multipliziert mit dem Flächennormalenvektor der Fläche, über die integriert wird:
dA = n da = n dx dy
Wir kennen das vom Fluss eines Vektorfeldes (bei uns beispielsweise des elektrischen Feldes) durch eine Oberfläche. Hier müssen wir das vektorielle Oberflächenelement nehmen,
da wir damit dafür sorgen, dass der Fluss auch dann korrekt berechnet wird, wenn Feld
und Oberfläche unter einem bestimmten Winkel zueinander stehen. In Kugelkoordinaten
ist beispielsweise der Fluss eines Vektorfeldes v durch die Oberfläche einer Kugel also
gegeben durch:
Z
Z
2
Φ=
r sin(θ)(v · n)dr dφ dθ =
r2 sin(θ)(v · er )dr dφ dθ
A
A
Das Skalarprodukt sorgt hier automatisch dafür, dass der Winkel zwischen Oberfläche und
Feld berücksichtigt wird. Man sieht allerdings schon, dass man auch ein Kreuzprodukt
nehmen könnte und so einen Vektorfluss erhält, doch den brauchen wir hier nicht. n ist bei
diesem Beispiel der Kugelfläche logischerweise gerade der Einheitsvektor in r-Richtung.
2.6. Mathematischer Einschub
49
Kapitel 2. Elektrostatik
2.6.4 Vektorgradient
Bisher haben wir nur den Gradienten von skalaren Funktionen berechnet. Doch es kann
zweckmäßig sein, auch den Gradienten einer Vektorfunktion zu kennen. Hierbei ist (vor
allem, wenn man Divergenz und Gradient mit dem Nabla-Symbol ausdrückt) darauf zu
achten, in der Notation konsistent zwischen Divergenz und Gradient zu unterscheiden.
Wir legen fest:
grad v = ∇v
(2.46)
div v = ∇ · v
Mathematisch gesehen steht hinter dem Vektorgradienten die Frage nach der Änderung
dv eines Vektorfeldes v von einem Punkt r = xex + yey + zez zu einem anderen Punkt
r + dr. In völliger Analogie zum skalaren Feld schauen wir uns das totale Differential
von v an (machen Sie sich klar, dass hier jetzt 3(!) Gleichungen stehen, eine für jede
Komponente):
∂v
∂v
∂v
dx +
dy +
dz
(2.47)
dv =
∂x
∂y
∂z
Zusammen mit dr = dxex + dyey + dzez lässt sich dv schreiben als:
dv = (dxex + dyey + dzez ) · (
∂
∂
∂
ex +
ey + ez )
∂x
∂y
∂z
= dr · ∇v
(2.48)
(2.49)
Man beachte, dass wie bereits festgelegt KEIN Punkt zwischen dem Nabla-Operator und
dem Vektorfeld steht, es sich hierbei also nicht um ein Skalarprodukt handelt (sondern
um ein sogenanntes dyadisches Produkt). Wer sich schon einmal mit dem Thema Richtungsableitungen beschäftigt hat, sieht sofort, was nun für den Gradienten eines Vektors
heraus kommt:
 ∂v ∂v ∂v 

grad v = ∇v = 
x
x
x
∂x
∂vy
∂x
∂vz
∂x
∂y
∂vy
∂y
∂vz
∂y
∂z
∂vy
∂z
∂vz
∂z


(2.50)
Wir erhalten eine Matrix (genauer einen Tensor), in welcher die partiellen Ableitungen der
Komponenten des Vektorfeldes nach allen drei Raumrichtungen auftauchen. Im folgenden
Abschnitt können wir damit sehr elegant physikalische Probleme und deren Lösungen
beschreiben.
2.7 Der elektrische Dipol
Wir haben den elektrischen Dipol bereits in einem Beispiel berechnet. Wir wollen die
damals getroffenen Näherung nun mathematisch plausibel herleiten und den Dipol etwas
genauer betrachten.
Setzen wir zwei Punktladungen mit zwei entgegengesetzt gleichen Ladungen Q1 = Q =
2.7. Der elektrische Dipol
50
Kapitel 2. Elektrostatik
−Q2 im Abstand d = |d| nebeneinander, so haben wir einen Dipol konstruiert. Jeder
Dipol kann somit durch sein Dipolmoment p charakterisiert werden:
p=Q·d
(2.51)
d und somit auch p zeigen definitionsgemäß immer von der negativen zur positiven Ladung.
Abbildung 2.21: Skizze zur Herleitung des Dipol-Potentials im vorliegenden Fall.
Das elektrische Feld eines solchen Dipols lässt sich am einfachsten aus dem Potential
ableiten. Legen wir d auf die z-Achse und den Nullpunkt zwischen die beiden Ladungen,
so gilt (siehe Abbildung 2.21):
1
Q
Q
φD (R) =
−
4πǫ0 |R − d/2| |R + d/2|
Die Taylor-Entwicklung von (|R ± d/2|)−1 in Näherung R ≫ d in führender Ordnung
ergibt (R = |R|):
R·d
1
1
1∓ 2
≈
|R ± d/2|
R
r
Somit ergibt sich für das Potential des Dipols in großer Entfernung (R ≫ d):
Q R·d
·
4πǫ0 R3
= −d · ∇φM (R)
φD (R) =
(2.52)
Im letzten Schritt wurde ausgenutzt, dass man wegen ∇(1/R) = −R/R3 das Dipolpotential als Gradient des Monopolpotentials φM schreiben kann.
Man sieht durch Umschreiben des Skalarproduktes im Zähler sofort, dass das Dipolfeld
überall bei z = 0 (⇒ ∠d, R = π/2) verschwindet.
2.7. Der elektrische Dipol
51
Kapitel 2. Elektrostatik
Im Vergleich zum Monopol fällt das Dipolfeld mit wachsendem R schneller ab. Dies liegt
vereinfacht gesagt daran, dass der Dipol in großer Entfernung (R ≫ d) wie ein neutrales
Gebilde aussieht, da sich die Potentiale zunehmende gegenseitig kompensieren.
Das elektrische Feld ergibt sich nun einfach aus dem Gradienten, wobei man geeignete
Koordinaten wählen sollte.
2.7.1 Elektrischer Dipol im homogenen Feld
Die potentielle Energie eines Dipols in einem elektrischen Feld ist:
Wpot = Q · (φ1 − φ2 )
φ1 ist hierbei das elektrische Potential bei der einen und φ2 das bei der anderen Ladung.
Liegen beide auf der selben Äquipotentialfläche, so ist die potentielle Energie des Dipols
natürlich Null. Wegen E = F/Q (zur Erinnerung: elektrisches Feld E = Kraft F auf
Probeladung Q) erfahren beide Ladungen eine jeweils in die andere Richtung zeigende
Kraft, was insgesamt ein Drehmoment an dem Dipol angreifen lässt. Dieses steht senkrecht
auf E und d:
D=p×E
(2.53)
Im homogenen Feld ist φ1 − φ2 jedoch gerade ∇φ · d, woraus folgt:
Wpot = Q · ∇φ · d = −p · E
(2.54)
Die Natur bevorzugt meistens die Zustände, die energetisch gesehen am günstigsten, also
am niedrigsten sind. So auch hier, ein freier Dipol in einem homogenen elektrischen Feld
wird sich durch das resultierende Drehmoment gerade so einstellen, dass p parallel zu E
liegt, was die potentielle Energie wie angesprochen minimiert.
2.7.2 Elektrischer Dipol im inhomogenen Feld
Inhomogen bedeutet, dass die Feldstärke E nun vom Ort abhängt, also E = E(r). Wieder
wegen E = F/Q und aufgrund des vektoriellen Charakters von Kräften finden wir für die
resultierende Kraft auf einen Dipol im inhomogenen elektrischen Feld:
F = Q · (E(r + d) − E(r))
Nun folgt eine Umformung, die sämtlichen Mathematikern die Haare zu Berge stehen
lassen würde. Als Physiker (oder zumindest wenn Sie Physik betreiben) müssen Sie sich
2.7. Der elektrische Dipol
52
Kapitel 2. Elektrostatik
jedoch keine Sorgen um die mathematische Korrektheit machen:
F = Q · (E(r + d) − E(r))
E(r + d) − E(r)
=Q·d·
d
dE
=Q·d·
dr
(2.55)
Wir haben geschickt mit 1 = d/d multipliziert und haben ausgenutzt, dass wir uns sowieso
weit weg vom Dipol befinden und somit d als sehr klein ansehen können. Daher haben
wir hier nichts anderes als einen Differenzenquotienten gebaut. Jedoch die Ableitung einer
Vektorfunktion nach einem Vektor.
Und hier kommt der Vektorgradient ins Spiel; mit ihm können wir schreiben:
F = p · ∇E
(2.56)
Um Ihnen den Vektorgradienten hier klar zu machen, schauen wir uns eine der drei Komponenten von F explizit an:
Fx = p · ∇Ex = px
∂Ex
∂Ex
∂Ex
+ py
+ pz
∂x
∂y
∂z
Die anderen Komponenten lassen sich analog beschreiben. Wir können also insgesamt
auch schreiben (und das sollten Sie selbst als Übung nachrechnen):
 ∂E ∂E ∂E 

F=
x
x
x
∂x
∂Ey
∂x
∂Ez
∂x
∂y
∂Ey
∂y
∂Ez
∂y
∂z
∂Ey
∂z
∂Ez
∂z

·p
Wir haben hier allerdings die Faktoren umgedreht, da eine Operation Vektor mal Matrix
nicht definiert ist, nur Matrix mal Vektor ist eine erlaubte Operation. Für alle, die es genau
wissen wollen, diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Definition des Vektorgradienten
über die Jacobi-Matrix:
p · ∇E := J˜F · p
(2.57)
Viele Moleküle tragen ein Dipolmoment, siehe folgende Tabelle 2.1 aus J. Israelachvili,
Intermolecular & Surface Forces, Academic, London, 1992
Die Anziehung von Dipolmomente in Flüssigkeiten und Materialien führen zu einer speziellen Form des Mie-Potential, dem sogenannten Lennard-Jones Potential. Es hat die
Form:
A
B
W (r) = − 6 + 12
(2.58)
r
r
Dieses Potential wird in vielen Anwendungen der Festkörper- und Materialphysik benützt.
Näheres kann man dazu in J. Israelachvili, Intermolecular & Surface Forces, Academic,
1992, finden.
2.7. Der elektrische Dipol
53
Kapitel 2. Elektrostatik
Tabelle 2.1: Dipolmomente verschiedener Moleküle
2.7. Der elektrische Dipol
54
Kapitel 2. Elektrostatik
2.8 Kondensatoren und Feldenergie
Aus den Rechnungen für eine unendlich ausgedehnte Platte mit homogener Ladungsdichte,
die wir im Abschnitten 2.5 vorgenommen haben, können wir für das elektrische Feld
zwischen zwei plan-parallelen Platten zwanglos folgern, dass:
1 1 Qlinks Qrechts
·
−
E=
ε0 A
2
2
Mit der Vorgabe, dass Qlinks = Qrechts = Q folgt für E:
E=
1 Q
·
ε0 A
Die Energie, die benötigt wird, um eine Probeladung q ≪ Q von links nach rechts zu
verschieben, beträgt somit:
d =q·U
W = q · E · |{z}
|{z}
Kraft
Weg
Dabei ist U = E · d die Potenzialdifferenz (Spannung) zwischen den beiden Platten. Es
gilt also:
(q) ·
1 d
· · Q = (q) · U
ε0 A
ε0 A
·U
oder Q =
d
Daraus folgt, dass Ladung und Potenzialdifferenz proportional zueinander sind. Der Proportionalitätsfaktor ist eine Eigenschaft des Objekts und wird Kapazität genannt. Je
höher die Kapazität ist, desto mehr Ladung wird bei gegebener Spannung auf die Platten
geladen.
A
C = ε0 ·
Kapazität eines Plattenkondensators
(2.59)
d
Kapazitäten (von Kondensatoren) spielen in Schaltkreisen aber auch bei der Energiespeicherung eine wichtige Rolle, insbesondere dann, wenn (kurzfristig) hohe Leistungen
gewünscht sind.
1C
[Q]
=
= 1F
Farad
[U ]
1V
A
= [ε0 ]
= [ε0 ] · m
d
[C] =
Die Kapazität kann nicht nur für zwei parallele Platten definiert werden, sondern für
allgemeine Paare von metallischen Objekten.
2.8. Kondensatoren und Feldenergie
55
Kapitel 2. Elektrostatik
Beispiel: Kapazität eines Koaxialkabel
Ein Koaxialkabel besteht im wesentlichen aus zwei voneinander isolierten Metalldrähten,
siehe Abbildung.
Ra
Ri
Im letzten Kapitel:
E=
1
λ
·
2 π ε0 R
für Ri < R < Ra
λ=
∆Q
Q
≈
∆l
l
Gesamtladung
Gesamtlänge
∆l ist ein Längensegment
Abbildung 2.22: Koaxialkabel
Die Energie, die benötigt wird, um eine kleine Testladung von R = Ri nach R = Ra zu
verschieben, ist:
Z Ra
Z Ra
λ
1
E(R) dR = q ·
W = q
(2.60)
dR
·
2 π ε0
Ri
Ri R
| {z }
a
ln R|R
R =ln Ra −ln Ri =ln
i
⇒W = q·
Ra
λ
· ln
2 π ε0
Ri
|
{z
}
mit
λ=
Q
l
Potenzialunterschied V
Ra
Ri
⇒ Q = 2 π ε0 ·
|
l
ln Ra
{z Ri}
·U
(2.61)
C (Koaxialkabel)
⇒ Ein 100 m langes Kabel mit Ra = 2 m und Ri = 1 m hat dieselbe Kapazität wie ein
m.
gleich langes Kabel mit Ra = 20 nm und Ri = 10 nm, nämlich C/ǫ0 = 200π
ln 2
2.8.1 Parallelschaltung von Kapazitäten
In elektrischen Schaltungen werden Kondensatoren oft seriell oder parallel zu Widerständen,
Spulen aber auch zu anderen Kondensatoren geschaltet. Man kann dann jeweils parallel
oder seriell geschaltete Kondensatoren vereinfacht mit der Angabe einer effektiven Kapazität beschreiben.
Die Gleichstromquelle (U ) gibt die Spannung vor. An jeder Kapazität liegt dieselbe Span-
2.8. Kondensatoren und Feldenergie
56
Kapitel 2. Elektrostatik
C 1 , Q1
C, Q
Ersatzschaltbild
C 2 , Q2
→
U
U
Abbildung 2.23: Parallelschaltung von Kapazitäten
nung an.
⇒ Q1 = C 1 · U
Q2 = C 2 · U
Qgesamt = Q1 + Q2 = (C1 + C2 ) · U
Parallelgeschaltete Kapazitäten addieren sich!
ε0
· (A1 + A2 )
d
Die Flächen einer in zwei Teile geschnittenen Kapazität addieren sich.
Siehe auch:
Cgesamt =
2.8.2 Serienschaltung von Kapazitäten
Wir betrachten die Situation, welche im folgenden Schaltbild dargestellt ist. Die Summe
der Spannungen muss den externen Spannung entsprechen!
⇒ U1 =
1
·Q
C1
U2 =
1
·Q
C2
Insgesamt gilt also:
U=
Q=
1
1
+
C1 C2
1
1
+
C1 C2
·Q
−1
·U
Damit findet man folgenden Zusammenhang:
In Serienschaltung addieren sich die inversen Kapazitäten zur inversen Gesamtkapazität.
2.8. Kondensatoren und Feldenergie
57
Kapitel 2. Elektrostatik
C 1 , Q1
C 2 , Q2
Ersatzschaltbild
C, Q
→
U
U
Abbildung 2.24: Serienschaltung von Kapazutäten
Siehe dazu auch:
1
1
1
1
=
· (d1 + d2 ) =
+
C
ε0 A | {z } C1 C2
=d
Auch komplizierte Serien- und Parallelschaltungen von Kondensatoren lassen sich als
d1
d2
Abbildung 2.25
effektive Kapazität darstellen. Bei ganz genauer Betrachtung muss man allerdings die
Kapazität als eine Matrix ansehen. Dies zu vertiefen sprengt aber den Rahmen der Vorlesung.
2.8.3 Energie in einem Kondensator
Jede Partialladung in der linken Platte ”fühlt” das Potenzial der Ladungen auf der rechten
Platte. Die Gesamtenergie, die in der Wechselwirkung zwischen den Ladungen steckt, kann
prinzipiell über Summation bzw. Integration berechnet werden.
Alternativ:
2.8. Kondensatoren und Feldenergie
58
Kapitel 2. Elektrostatik
Qlinks
Qrechts
Abbildung 2.26
Rechte Platte erzeugt ein E-Feld:
E=−
1 Qrechts
·
2 ε0
A
(2.62)
F = Qlinks · E
Nun verschiebe man die linke Platte nach rechts bis sich die beiden Platten berühren.
Z d
(−1) Qrechts
Qlinks ·
⇒W =
·
dr
2 ε0
A
0
Q2 d
1 Qrechts · Qlinks
·d =
(2.63)
·
·
= −
2 ε0
A
2 ε0 A
Damit ist die Energie:
Q2
2C
(2.64)
1
C · U 2.
2
(2.65)
W =
oder wenn wir Q = C · V setzen:
W =
Das ist die Energie, die wir benötigen, um eine Kapazität zu laden. Diese Formel gilt auch
für allgemeine Kondensatoren. Interessanter Weise gibt es offensichtlich keine “Selbstenergie” einer Platte in dieser Rechnung.
Alternative Sichtweise
Energie steckt im Feld der wechselwirkenden Ladungen. Ladungen selbst wechselwirken
nicht, sondern sie erzeugen ein Feld, das Energie hat.
Im Plattenkondensator:
E=
Q
ε0 A
in (2.63) eingesetzt:
Q = ε0 · A · E
1
(ε0 · A · E)2 d
= ε0 E 2 · (A · d)
·
⇒W =
2 ε0
A
2
2.8. Kondensatoren und Feldenergie
59
Kapitel 2. Elektrostatik
W
1
Energie
= Energiedichte =
= ε0 E 2
Volumen
A·d
2
Diese Formel gilt allgemein - also auch außerhalb eines Plattenkondensator.
(2.66)
Hintergrundwissen: Feldenergie eines Protons
Ein Proton ist prinzipiell ein Punktteilchen. Bei genauer Betrachtung stellt sich jedoch
heraus, dass es einen zwar sehr kleinen, aber dennoch endlichen Radius, R = 0.877 fm
hat. Man kann nun annehmen, dass die Ladungsdichte ρ innerhalb dieses Radius konstant
ist und außerhalb gleich null und die Feldenergie berechnen.
(
0 r>R
ρ=
ρ0 r ≤ R
Betrachte nur Feldenergie außerhalb des Protons, wo der Betrag des elektrischen Feldes
E
Q
4 π ε0 · R 2
R
Abbildung 2.27: Feld einer homogen geladenen Kugel, hier eines Protons; siehe auch Abschnitt 2.5
gegeben ist durch:
|E| =
1
Q
· 2
4 π ε0 r
Volumen einer Kugelschale der Dicke ∆R:
∆V =
2
|4 π
{zr}
Oberfl. Kugel
·∆r
Z ∞
ε0
e2
ε0 E 2
1
dr 4 π r2 · ·
→
⇒W =
∆V ·
2 · 4
2
2 (4 π ε0 ) r
R
r>R
Z ∞
1
e2
1
=
dr
=
8 π ε0 R r 2
8 π ε0 · R
| {z }
∞
1
− 1r | = R
R
X
(2.67)
Setzen wir Zahlenwerte ein, erhalten wir W = 0.82 MeV. Mit Hilfe der Formel E = m · c2
(hier steht E für Energie), kann man der Energie eine Masse zuordnen. Das Ergebnis ist
m = 1, 46 · 10−30 kg. Dies ist nicht die Masse eines Protons sondern ungefähr die eines
Elektrons (me = 0, 91 · 10−30 kg.) bzw. die seines Antiteilchen.
2.8. Kondensatoren und Feldenergie
60
Kapitel 2. Elektrostatik
2.9 Elektrische Felder und Ladungen in Materie
Aus Erfahrung wissen wir, dass unterschiedliche Materialien unterschiedlich auf externe
Felder reagieren. ⇒ Klassifizierung von Materialien nach elektrischen Eigenschaften.
2.9.1 Leiter
Elektrischer Strom fließt bei angelegter Spannung. Das entsprechende mikroskopische Bild
sind ”freie Ladungen”, die sich im Leiter bewegen. Je nach Natur der Ladungsträger
unterscheidet man:
• Halbleiter
• Metalle: Ladungsträger sind die Elektronen oder auch Elektronenlöcher, deren spezielle Eigenschaften man erst im Bändermodell verstehen kann.
Berechnung von Leitfähigkeiten und Widerständen
Ausgangspunkt sind ”freie” Ladungen qn . Auf Ladungen wirken ”Zufallskräfte” (Stöße)
deren summierter Effekt eine Reibungskraft bewirkt. In guter Näherung gilt:
FReibung = −γ · v
(2.68)
ähnlich wie in Wasser sedimentierende Teilchen. Damit ergibt sich folgende Bewegungsgleichung:
m·a+γ·v =q·E
(2.69)
Im statischen Grenzfall: a = 0;
E = const
⇒
v=
q
E
γ
E
dA2
dA1
∆l
2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie
61
Kapitel 2. Elektrostatik
∆l
um von der Oberfläche A2 zu A1 zu gelangen. v
|v|
bezeichnet man auch als Driftgeschwindigkeit. Die Anzahl der Ladungen, die durch A1 in
dieser Zeit treten (mit der Materialkonstannte ρ als (Zahlen)Dichte der freien Ladungsträger).
Nq = ρ · (A1 · ∆l)
Eine Ladung benötigt eine Zeit ∆t =
⇒
q · Nq ist die Ladung, die in der Zeit ∆t durch die Fläche A1 tritt:
∆Q
q · Nq
q · Nq
=
=
· |v|
∆t
∆l/ |v|
∆l
|{z}
Strom: I
2 A
q
·
·ρ
·
∆l
=
| {z· E}
γ
∆l
|{z}
| {z }
Spannung: U
Leitfähigkeit: σ geom. Eigensch.
{z
}
|
inverser Widerstand: 1/R
⇒ Ohm’sche Gesetz: U = R · I
Dabei gilt für die Einheiten
[R] = 1 Ω =
1 Volt
1 Ampere
”Ohm”
Die Leitfähigkeit ist eine Materialeigenschaft. Symbol: σ.
1 l
·
σ A
1 l
⇒σ= ·
R A
(2.70)
R=
[σ] = 1 S =
1
Ω·m
”Siemens”
Die inverse Leitfähigkeit heißt spezifischer Widerstand. Sie hat das Symbol ρ aber keine
eigene S.I. Einheit.
Wir sehen, dass die Leitfähigkeit - selbst ohne Supraleiter - extrem viele Größenordnungen
abdeckt. Fast alle anderen Eigenschaften der genannten Materialien wie z.B. Dichte oder
Elastizitätsmodul, variieren bedeutend weniger. Die große Bandbreite an Leitfähigkeiten
kann wieder über das Bändermodell verstanden werden: Die Anzahl der freien Elektronen
kann je nach Material und thermodynamischen Größen wir Druck und Temperatur um
viele Dekaden variieren. Echte Stromspannungscharakteristik der meisten Materialien:
Die Unterscheidung “leitet” bzw. “leitet nicht” ist also eher willkürlich. Bei extrem großer
Spannung kann es zu einem “Durchschlag” kommen. In Luft macht sich ein Durchschlag
2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie
62
Kapitel 2. Elektrostatik
Tabelle 2.2: Werte für Leitfähigkeiten einiger Materialien (bei Zimmertemperatur)
Material
Kohlenwasserstoffe
Diamant
undotiertes Si
dotiertes Si
Tellur
Leitungswasser
Meerwasser
Aluminium, Kupfer, Gold
YBa2 Cu3 O7−x
Leitfähigkeit [S]
10−14
10−4
2, 5 · 10−4
≈ 10−4 ≤ σ ≤≈ 104
5 · 10−3
0, 05
≈5
≈ 3, 5 · 107
≈ 1 bei T = 300 K
→ ∞ bei T = 30 K
Klasse
Nichtleiter/Isolator
Nichtleiter
Nichtleiter
Halbleiter
Elektrolyt
Metalle (σ stark T-abhängig)
(schlechter Leiter)
Supraleiter (keinen elektr. Widerstand)
I
I
U
U
Extremfall
→
Abbildung 2.28: Strom-Spannungscharacteristik von Materialien
durch einen Blitz bemerkbar. Strom-Spannungs-Charakteristika haben automatisch dann
die Eigenschaft I(V ) = −I(−V ), wenn das Material entlang der Richtung des Stromlflusses spiegelsymmetrisch sind - ansonsten kann man (wie Sie später bei der Diode sehen
werden) auch einen nicht-symmetrischen Verlauf haben.
Elektrotechnisches Symbol für einen Widerstand:
Serienschaltung von Widerständen
Wie Kapazitäten können auch Widerstände miteinander verschaltet werden. Für die Serienschaltung, also die Hintereinanderschaltung zweier Widerstände, gilt:
U = U1 + U2
⇒
U = (R1 + R2 ) · I
In Serie geschaltete Widerstände addieren sich.
RSerie = R1 + R2
2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie
(2.71)
63
Kapitel 2. Elektrostatik
I
I
R1
=
b
R2
R1 + R2
Abbildung 2.29
Siehe dazu auch 2.70:
⇒
R=
1 1
· · (d1 + d2 )
σ A
Parallelschaltung von Widerständen
Für die Parallelschaltung zweier Widerstände gilt:
I1
I1 + I2
I2
V
Abbildung 2.30
U
R
1
1
1
·U
+
I1 + I2 =
R1 R2
1
Iges. =
·U
Rges.
I1 =
Man findet also:
Rparallel =
1
1
+
R1 R2
−1
Die Kehrwerte parallel geschalteter Widerstände addieren sich zum Kehrwert des Gesamtwiderstands.
−1
Rparallel
= R1−1 + R2−1
(2.72)
2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie
64
Kapitel 2. Elektrostatik
Wärmeentwicklung im Leiter
Fließt durch einen Leiter mit endlichem elektrischen Widerstand Ladung hindurch, entsteht dabei die sogenannten Joulsche Wärme. Diese berechnet sich wie folgt:
∆W = U · ∆Q
( mit ∆Q = I · ∆t) → = U · I∆t
Verlorene Energie pro Zeiteinheit (Leistung):
∆W
U2
= U · I = R · I2 =
.
∆t
R
2.9.2 Nichtleiter
Es liegen vernachlässigbar wenige freie Ladungsträger vor. Ein externes elektrisches Feld
bewirkt lediglich eine Polarisierung der Materie, z.B. durch Induzierung elektrischer Dipole (Verschiebung von Elektronenhülle gegen Atomkern) oder die Ausrichtung vorher
bereits bestehender aber stochastisch verteilter Dipole - wie z.B. in Wasser. Die Polarisaohne E-Feld
isotropes Atom/Molekül
H
mit E-Feld
induzierter Dipol
O
H
zufällige Orientierung
im Mittel ausgerichtet
Abbildung 2.31: Induziertes Dipolmoment
tion p berechnet sich in guter Näherung meist zu:
p=α·E
Für zufällig orientierte Dipole ist hpi = 0, dagegen ist bei im Mittel ausgerichteten Dipolen hpi = α · E. Hier steht das Symbol h...i für einen Mittelwert, also den Mittelwert über
viele Atome und Moleküle. Momentan ist für uns jedoch lediglich relevant: Die Induzierung von Dipolen Orientierung von Dipolen bewirkt eine Erhöhung der elektrostatischen
2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie
65
Kapitel 2. Elektrostatik
Feldenergie
1
ε0 εr E2
(2.73)
2
εr ist die Dielektrizitätszahl und stellt eine materialspezifische Größe dar. Man kann nun
bereits ahnen, dass Materialien, in denen die chemischen Bindungen einen starken ionischen Anteil haben, hohe ǫ Werte haben, weil sich resultierende Dipole nur im externen
Feld ausrichten müssen aber nicht erst induziert werden müssen. Weil Kohlenstoff und
Wasserstoff praktisch dieselbe Elektronegativität haben sind die Partialladungen auf diesen Atomen quasi null. Daher würden wir eine kleine Dielektrizitätskonstante für diese
Materialien erwarten. Wassermoleküle hingegen haben einen großen Dipol, werden also
eine große Dielektrizitätskonstante haben. In SiO2 liegen zwar große Partialladungen vor,
aber das Material ist auch sehr steif, weshalb sich die Ladungen nicht gerne verschieben
lassen (zudem ist die Bandlücke sehr groß) und wird daher keinen extrem großen ǫ Wert
haben.
Einige Werte sind:
Energiedichte =
Tabelle 2.3
Medium
Vakuum
Polymere
Glas (SiO2 )
Gummi
Methanol (CH3 OH)
Wasser
Metalle
εr
1
≈2
≈8
≈ 16
≈ 30
≈ 80
∞
Der Zusammenhang mit der Dielektrizitätszahl ist durch die Clausius Mosotti Beziehung
gegeben:
ε−1
4π X
=
Ni α i
(2.74)
ε+2
3 i
Dabei wird über alle Dipolsorten i mit ihren gemäß ihrem Volumenanteil und Polarisierbarkeit αi gemittelt (Näheres siehe C. Kittel, Festkörperphysik).
Verwendung: Dielektrika werden zur Kapazitätssteigerung von Kondensatoren, der Verhinderung elektrostatischer Entladungen oder auch als gate-Material in elektronischen
Schaltkreisen eingesetzt.
Dielektrika haben weitere Klassifizierungen, z.B. gibt es neben den gewöhnlichen Dielektrika:
Piezoelektrische Materialien : Verformen sich in guter Näherung linear mit einem extern
anliegenden Feld, sodass die relative Längenänderung ∆l/l wie folgt vom externen
E-Feld abhängt:
∆l
=d·E
l
d ist die piezoelektrische Konstante.
2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie
66
Kapitel 2. Elektrostatik
Ferroelektrika : Haben einen permanenten elektrischen Dipol und oft extrem große Werte
für εr (zum Teil > 1000).
2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie
67
3 Elektrische Schaltungen
3.1 Gleichstrom
Gängige Bauelemente in Gleichstromkreisen sind Batterien (z.B. ideale Spannungsquellen), Widerstände und Kondensatoren. Da Schaltkreise sehr kompliziert sein können,
benötigt man Gesetze für die Rechnungen. Diese wichtigsten Gesetze in diesem Zusammenhang sind das ohmsche Gesetz und die Kirchhoffschen Regeln.
3.1.1 Das Ohmsche Gesetz
Wie vielen sicherlich bekannt ist, sind Leiter Stoffe, in denen sich Ladungsträger frei bewegen können. Im Metall sind das die äußeren Elektronen (Valenzelektronen) eines jeden
Atoms im Metallgitter. Doch auch in einer Kochsalz-Lösung entstehen durch Dissoziation
Ionen als freie Ladungsträger. Der Einfachheit halber beschränken wir uns im Folgenden
auf die freien Elektronen im Metall.
Ohne ein äußeres elektrisches Feld führen diese Elektronen einen zufällige Bewegung im
Leiter aus, ihre kinetische Energie erhalten sie aus der thermischen Energie Et ∼ T (für
alle die es nicht wissen, die Temperatur eines Körpers ist ein Maß für die mittlere kinetische
Energie aller Teilchen in diesem Körper). Die Bewegung ist zufällig, da die Elektronen
selbst untereinander und mit den Atomen im Gitter in Form von Stößen wechselwirken.
Da ein Teilchen bei jedem Stoß in eine andere, zufällige Richtung abgelenkt wird, ist es
nachvollziehbar, dass die mittlere Geschwindigkeit des Teilchens ohne äußeres Feld Null
ist:
hvi = 0
Wir führen nun noch eine neue, für die gesamte Elektrodynamik wichtige, Größe ein,
die Stromdichte j. Die Stromdichte ist eine Flächendichte, daher gilt für das Integral der
Stromdichte über die Querschnittsfläche eines Leiters:
Z
j dA
I=
A
Wir erhalten also die Stromstärke. Die Stromdichte gibt uns also an, wie viele Ladungen
gerade in welche Richtung strömen, das Skalarprodukt mit dem Flächenelement filtert
uns gerade den Anteil heraus, der durch die Fläche geht, über die wir integrieren.
68
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Da wir nur Elektronen als Ladungsträger betrachten, die sich mit einer Geschwindigkeit
v im Leiter bewegen, definieren wir die Stromdichte über:
j=n·e·v
Wie eben schon gesagt, ist die mittlere Geschwindigkeit der Elektronen im Leiter ohne
äußeres Feld Null, also verschwindet auch die Stromdichte: Ohne elektrisches Feld fließt
also kein Strom!
Daher legt man nun ein äußeres Feld an, gemäß E = F/q erfahren die Elektronen im
Leiter nun eine Kraft und daraus resultierend eine Beschleunigung:
E=
m·a
E·e
F
=
⇒a=
q
e
m
Führt man nun noch die Zeit τ zwischen zwei Stößen zwischen Elektronen ein, so ist die
mittlere Geschwindigkeit nicht mehr gleich Null, sondern gegeben durch:
hvi = vD = a · τ =
E·e
·τ
m
(3.1)
Setzen wir nun diese neue Geschwindigkeit, genannt Driftgeschwindigkeit, in die Stromdichte ein, so ergibt sich:
n · e2 · τ
·E
(3.2)
j=
m }
| {z
=σ
Durch Einführung der elektrischen Leitfähigkeit σ haben wir mit Gleichung (3.2) das
ohmsche Gesetz abgeleitet! Den Kehrwert der elektrischen Leitfähigkeit nennt man spezifischen Widerstand ρs . Zur Herleitung und zum folgenden Beispiel siehe W. Demtröder,
Experimentalphysik 2: Elektrizität und Optik, Springer Verlag (auch online über das Universitätsnetzwerk einsehbar!).
Abbildung 3.1: Spezifische Widerstände einiger Stoffe bei Raumtemperatur (Quelle: W. Demtröder,
Experimentalphysik 2: Elektrizität und Optik, Springer Verlag
3.1. Gleichstrom
69
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Beispiel: Widerstand eines Hohlzylinders
Gegeben sei ein Hohlzylinder mit Innenradius a und Außenradius b. Aufgrund der Symmetrie des Problems reicht es, wenn man zuerst einen Querschnitt durch den Zylinder
betrachtet, also einen ebenen Kreisring (siehe Abbildung 3.2).
Im Bereich I gelte das Potential φ1 , im Bereich II das Potential φ2 . Durch die Potentialdifferenz entsteht also ein elektrisches Feld in Form einer Spannung, welches einen Strom
fließen lässt. Man erkennt schnell, dass das resultierende elektrische Feld nur eine radiale
Komponente hat: E = E · er
Zusammen mit E = −∇φ gilt also:
E=−
dφ
· er
dr
Abbildung 3.2: Ebener Kreisring mit Innenradius a und Außenradius b zur Veranschaulichung des
Hohlzylinders. Beim Flächenintegral integrieren dann aber wieder über einen Zylindermantel mit Radius
r und Höhe h des Zylinders, lösen uns also wieder von der Vereinfachung.
Weiterhin kennen wir den folgenden Zusammenhang:
Z
Z
I=
j dA = σ · E dA = σE · 2π · r · h ⇒ E =
A
I
2π · r · h · σ
Beim Flächenintegral sind wir nun von der Hilfsvorstellung der Ebene wieder auf einen
Hohlzylinder mit Höhe h übergegangen (hier haben wir logischerweise Zylinderkoordinaten genutzt). Zusammen ergibt sich betragsmäßig:
−
dφ
I
I
=
⇔ dφ = −
· dr
dr
2π · r · h · σ
2π · r · h · σ
Wegen U = φ1 − φ2 und da wir wissen, dass φ1 = φ(a) und φ2 = φ(b), können wir U auch
als Integral ausdrücken (das Vorzeichen verschwindet durch Vertauschung der Grenzen,
3.1. Gleichstrom
70
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
wir benutzen den Fundamentalsatz der Integralrechnung):
U = φ(a) − φ(b) =
Z
Mit Hilfe des ohmschen Gesetzes
b
a
U
I
I
dφ =
2π · h · σ
Z
b
a
I
b
1
dr =
· ln
r
2π · h · σ
a
= R folgt:
R=
b
1
· ln
2π · h · σ
a
(3.3)
3.1.2 Kirchhoffsche Regeln
1. Kirchhoffsche Regel: Knotenpunktsatz
In jeden Knoten (Verzweigungspunkt) fließt immer so viel Ladung hinein wie
heraus.
X
k
Ik = 0 ⇒ I1 + I2 + I3 + I4 = 0
(3.4)
Es ist also immer zu beachten, dass der Stromfluss eine Richtung hat und nicht nur über
den Betrag definiert ist.
3.1. Gleichstrom
71
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
R1
I0
R2
I0 = I1 + I2 + .... + In
1
1
1
= U·
+
+ .... +
R1 R2
Rn
{z
}
|
I0
1/Rges
...
Rn
Für parallel geschaltete Widerstände gilt somit:
N
X 1
1
=
Rges
Rn
n=1
(3.5)
Wenn N Verzweigungspunkte vorliegen, gibt es dank der Knotenregel N − 1 (linear)
unabhängige Gleichungen.
2. Kirchhoffsche Regel: Maschenregel
Die Summe über alle Spannungen in einem geschlossenen Kreis ist gleich Null.
X
Uk = 0
(3.6)
k∈Masche
oder in der Sprache elektrischer Felder
I
E ds = 0
Masche
U2
U1
3.1. Gleichstrom
72
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
U1 + U2 = 0
U2 =
(−U1 )
| {z }
Batteriespannung
+
−
Die elektrischen ”Feldlinien” in der Batterie sind denen außerhalb entgegengesetzt. Mit
Hilfe der Kirchhoffschen Gesetze lassen sich Schaltkreise komplett charakterisieren, weil
es ebenso viele Unbekannte (unbekannte Ströme) wie (linear unabhängige) Gleichungen
gibt!
3.1. Gleichstrom
73
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Beispiel: Wheatstonsche Brücke
I6
R6
R1
R3
β
I2
+
a
R5
I5
I5
b
−
c
α
γ
R2
R4
I3
I6
I7
d
Von Knoten d wissen wir, dass I7 = I1 ist. Somit haben wir:
3 unabhängige Knoten a, b, c
3 unabhängige Maschen α, β, γ
⇒ 6 linear unabhängige Gleichungen und 6 unbekannte (I1 , ...., I6 )
Damit ist das System genau bestimmt, siehe Übungen.
N Knoten liefern (N − 1) Gleichungen. In der Wheatstonschen Brücke fließt kein Strom
durch R4 , wenn die Knoten b und c dasselbe elektrische Potential haben. Deshalb kann
diese Brücke zur Messung von (hinreichend großen) Widerständen verwendet werden.
I1
I3
l1
Rx
R1 =
1 l1
·
σ A
R3
R2 =
1 l2
·
σ A
A
l2
3.1. Gleichstrom
74
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Wenn das Amperemeter keinen Strom anzeigt (die Brücke ist ”abgeglichen”), dann gilt
I 1 · R1 = I 3 · Rx
I 1 · R2 = I 3 · R3
R1
Rx
⇒
=
R2
R3
l1
Rx = R3 ·
l2
(3.7)
R3 einer Kalibrierung, beispielsweise über einen Schiebewiderstand (lang, dünn, homogen)
Weiteres Beispiel:
U1
+
U2
−
a
+
−
I2
R1
R2
α
R3
β
I1
I3
b
Wie groß ist I2 bei R1 = R2 = R3 als Funktion von U1 , U2 ?
I1 + I2 − I3 = 0
I1 · R1 − I2 · R2 = U1
I2 · R2 + I3 · R3 = U2
(a, b)(1)
(α)(2)
(β)(3)
Einsetzen von (1) in (3)
I2 · R2 + (I1 + I2 ) · R3 = U2
(3′ )
Löse (2) nach I1 auf und setze in Gleichung (3′ ) ein.
I1 =
3.1. Gleichstrom
1
· (I2 · R2 + U1 )
R1
75
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
R2 · R3
R3
· U1 +
I2 + R3 · I2 = U2
R1
R1
R3
R2 · R3
⇒
· U1 − U2 = − R2 +
+ R3 · I 2
(4)
R1
R1
R2 · I 2 +
Solche Ergebnisse kann man oft schön überprüfen, indem man verschiedene Grenzfälle
konstruiert, z.B:
Grenzfall 1: U1 = 0 , R1 = ∞
U2 = (R2 + R3 ) · I2
Grenzfall 2: U2 = 0 , R3 = ∞ nimm Gleichung (4) ·
R1
R3
⇒ U1 = − (R2 + R3 ) · I2
Für R1 = R2 = R3 ergibt sich
U1 − U2 = −3 · R I2
Hätten wir bei diesen Grenzfällen einen Widerspruch gefunden, dann hätten wir sogar
vermutlich einen Hinweis gefunden, wo wir einen Fehler gemacht haben.
3.1. Gleichstrom
76
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
3.1.3 R-C-Kreis im Gleichstromfall
Der R-C-Stromkreis steht symbolisch für das Auf -und Entladen eines Kondensators innerhalb eines realen (R > 0) Stromkreises. Im Schaltbild sind hier ein Kondensator mit
Kapazität C und ein Widerstand R in Serie an eine Gleichspannungsquelle angeschlossen. Schaltet man die Gleichspannungsquelle ein, so lädt sich der Kondensator auf, beim
Abschalten entlädt er sich.
Ladevorgang
Beim Laden eines Kondensators gilt gemäßdem ohmschen Gesetz jederzeit:
I(t) = (U0 − U (t))/R
(3.8)
Wir starten bei U (t = 0) = U0 = 0, sodass sich I(t) = −U (t)/R ergibt. Weiterhin gilt für
die Kapazität C eines Kondensators C = Q(t)/U (t), sodass wir schreiben können:
I(t) =
Wir leiten nach t ab:
−1
· Q(t)
R·C
dI(t)
−1 dQ(t)
−1
=
·
=
· I(t)
dt
R·C
dt
R·C
Hierbei wurde genutzt, dass der Strom als zeitliche Änderung der Ladung definiert ist,
also I = Q̇ gilt. Wir haben nun eine Differentialgleichung (DGL) gefunden, deren Lösung
den Einschaltvorgang beschreibt! Die Lösung solcher trennbaren DGL erfolgt mit Hilfe
eines Rezeptes, welches man wegen seiner Einfachheit auswendig lernen kann!
Allgemein ist eine trennbare DGl definiert durch:
y ′ (x) =
dy(x)
= f (x) · g(y)
dx
Ist weiterhin eine Anfangsbedingung I(t0 ) = I0 gegeben, so spricht man von einem
3.1. Gleichstrom
77
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Abbildung 3.3: Strom -und Spannungsverlauf beim Einschalten eines R-C-Stromkreises
Anfangswertproblem (AWP). In unserem Fall ist x = t und y(x) = I(t):
−1
dI
· dt/I
=
·I
dt
R
·
C
| {z }
=f (I)
Z
dI
−1
⇔
=
· dt I
R·C
Z t
Z I
−1
1
dη =
dτ
⇒
R · C t0
I0 η
−1
I
=
· (t − t0 )
⇒ ln
I0
R·C
t0 − t
⇒ I(t) = I0 · exp
R·C
exp
Beginnen wir also beim Zeitpunkt t = 0 mit dem Strom I0 , so gilt für die Stormstärke:
−t
I(t) = I0 · exp
(3.9)
R·C
Sie fällt also mit der Zeit exponentiell ab, was logisch erscheint, da anfangs noch ein Strom
fließt um den Kondensator zu laden. Je mehr der Kondensator allerdings geladen wird,
desto weniger “Platz” haben neue Ladungen, somit fließen pro Zeiteinheit immer weniger neue Ladungen auf den Kondensator was exakt der Definition des Stroms entspricht
(Strom = Ladung pro Zeit), welcher somit immer geringer werden muss und schließlich
gegen Null geht, wenn der Kondensator vollständig geladen ist.
Mit Hilfe von Gleichung 3.8 erhalten wir daraus für die Spannung:
−t
U (t) = U0 · 1 − exp
(3.10)
R·C
3.1. Gleichstrom
78
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Entladevorgang
Der Entladevorgang lässt sich analog herleiten, was als einfache Übung anzuraten ist!
Zu beachten ist hierbei, das wir nun mit einer am Kondensator anliegenden Spannung
U (t) = U0 6= 0 beginnen. Es ergibt sich als Lösung
−t
I(t) = I0 · exp
R·C
−t
U (t) = U0 · exp
R·C
3.2 Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen
Für das nächste Kapitel, Wechselstromkreise, ist die Einführung in einen neuen Zahlenraum nötig. Bis jetzt haben wir stets alle Rechnungen im reellen Raum R durchführen
können. Die Wechselstromrechnung bedarf nun eines neuen, erweiterten Zahlenraums, in
welchem die Rechnungen nebenbei auch stark vereinfacht werden. Dieser neue Raum ist
C, der Raum der komplexen Zahlen.
3.2.1 Algebraische Betrachtung
Der mathematisch algebraische Sinn dieser Zahlen ist ursprünglich die Tatsache, dass
Gleichungen der Gestalt
x2 + 1 = 0
(3.11)
im R keine Lösung besitzen. Der Raum der komplexen Zahlen behebt dieses Problem, da
in ihm alle algebraischen Gleichungen eine Lösung besitzen, was für die reellen Zahlen
offensichtlich nicht gilt. Man nennt die komplexen Zahlen daher auch den algebraischen
Abschluss der reellen Zahlen. Per Definition wird die Lösung von Gleichung (3.11) auf ±i
gesetzt. i bezeichnet die imaginäre Einheit, wobei
√
i := −1 ⇔ i2 := −1
festgelegt wird. Komplexe Zahlen sind nun Zahlen der Form:
z = a + i · b = Re(z) + i · Im(z), a, b ∈ R
(3.12)
Hierbei bezeichnet Re(z) den Realteil der komplexen Zahl. Er ist die Summe aller Anteile
ohne den Faktor i. Die Anteile mit dem Faktor i bezeichnet man als Imaginärteil Im(z).
Die reellen Zahlen sind folglich ein Spezialfall der komplexen Zahlen, nämlich alle Zahlen
z mit Im(z) = 0.
Rechnen mit komplexen Zahlen gestaltet sich im Allgemeinen wie von den reellen Zahlen
3.2. Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen
79
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
bekannt, die imaginäre Einheit i wird dabei einfach als Variable behandelt und später
ausgeklammert, um das Ergebnis wieder auf die Form (3.12) bringen zu können.
Addition zweier komplexer Zahlen z1 , z2 zu einer neuen komplexen Zahl z3 :
(a + i · b) + (c + i · d) = a + c + i · b + i · d
| {z } | {z }
z1
z2
= (a + c) +i · (b + d)
| {z }
| {z }
Re(z3 )
Im(z3 )
Subtraktion zweier komplexer Zahlen z1 , z2 zu einer neuen komplexen Zahl z3 :
(a + i · b) − (c + i · d) = a − c + i · b − i · d
| {z } | {z }
z1
z2
= (a − c) +i · (b − d)
| {z }
| {z }
Re(z3 )
Im(z3 )
Multiplikation zweier komplexer Zahlen z1 , z2 zu einer neuen komplexen Zahl z3 :
i2 ·bd
(a + i · b) · (c + i · d) = ac + i · ad + i · bc + |{z}
| {z } | {z }
z1
=−1
z2
= (ac − bd) +i · (ad + bc)
| {z }
| {z }
Re(z3 )
Im(z3 )
Division zweier komplexer Zahlen z1 , z2 zu einer neuen komplexen Zahl z3 : Hierbei
müssen wir eine neue Definition einführen, nämlich die konjugiert komplexe Zahl z̄
zur komplexen Zahl z. Bei der Bildung der konjugiert komplexen Zahl dreht man
einfach das Vorzeichen des Imaginärteils um. Es gilt also:
z = a + i · b ⇒ z̄ = a − i · b
In der Literatur wird die konjugiert komplexe auch oft durch einen Stern gekennzeichnet. Nun können wir auch zwei komplexe Zahlen dividieren:
a+i·b
(a + i · b)(c − i · d)
=1
c+i·d
(c + i · d)(c − i · d)
ac + bd + i · (bc − ad)
=
c2 + d2 + i · (cd − cd)
| {z }
=0
=
=
ac + bd + i · (bc − ad)
c2 + d 2
bc − ad
ac + bd
+i· 2
2
2
c +d
c + d2
3.2. Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen
80
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Wir haben also bei =1 mit dem konjugiert komplexen Nenner erweitert. Dadurch
wurde der gesamte Nenner reell und die Rechnung wird trivial.
3.2.2 Geometrische Betrachtung
Doch der für uns interessantere Teil entspringt der geometrischen Betrachtung der komplexen Zahlen. Man führt für diese Betrachtung die sogenannte komplexe Zahlenebene
ein. Prinzipiell kann man sich diese wie einen Zahlenstrahl vorstellen, jedoch erweitert
um eine zusätzliche Dimension. Der Zahlenstrahl der reellen Zahlen ist wie bekannt dimensionslos, die neue Achse besitzt als Dimension die sogenannte imaginäre Einheit i und
steht senkrecht zu unserem Zahlenstrahl. Diese neue Achse nennt man imaginäre Achse,
während unser Zahlenstrahl als reelle Achse bezeichnet wird.
Innerhalb dieser Ebene lassen sich die komplexen Zahlen nun als Vektoren auffassen, wie
in Abbildung 3.4 gezeigt. Dabei zeigt der Realteil in Richtung der reellen und der Imaginärteil in Richtung der imaginären Achse. Der in Abbildung 3.4 eingezeichnete Vektor
z1 entspricht nun also der komplexen Zahl z1 = 1 + 2i, der Vektor z2 entspricht z2 = 1 + i.
Es liegt daher auch nahe, dass sich die komplexen Zahlen innerhalb dieser Ebene auch
geometrisch mit dem Prinzip der Vektoraddition addieren lassen. Die Subtraktion funktioniert analog dazu. Weiterhin erkennt man leicht, dass die komplexe Konjugation gerade
einer Spiegelung an der reellen Achse entspricht.
Während die eben eingeführte Beschreibung durch Vektoren noch karthesischer Natur war,
bietet es sich oftmals an, in die Polardarstellung zu gehen. Hierbei wird die komplexe Zahl
durch den Phasenwinkel ϕ und den Betrag r beschrieben. Der Betrag ergibt sich analog
zum Betrag eines gewöhnlichen Vektors, also gilt laut Satz des Pythagoras:
p
r = Re(z)2 + Im(z)2
(3.13)
r beschreibt also gerade die Länge des Vektors, sodass weiterhin aus einfacher Trigonometrie folgt:
Im(z)
r
Re(z)
cos(ϕ) =
r
Im(z)
⇒ tan(ϕ) =
Re(z)
sin(ϕ) =
Der Phasenwinkel ϕ errechnet sich also wie folgt:
Im(z)
ϕ = arctan
Re(z)
(3.14)
Damit haben wir eine alternative Schreibweise für die komplexe Zahl z gefunden:
z = r · (cos(ϕ) + i · sin(ϕ))
3.2. Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen
(3.15)
81
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Doch leider müssen wir feststellen, dass die Struktur dieser neuen Darstellung der ursprünglichen Darstellung der komplexen Zahlen entspricht. Ein Rechenvorteil ergibt sich
durch diese Variablentransformation also noch nicht. Dazu müssen wir zunächst einen
neuen, vielleicht sogar den wichtigsten Satz der komplexen Rechnung einführen.
Abbildung 3.4: Komplexe Ebene als Erweiterung des Zahlenstrahls. Links: Die Zahl z3 als Resultat
der Addition von z1 und z2 lässt sich mit Hilfe der Addition der Vektoren z1 und z2 und des daraus
resultierenden Parallelogramms wie aus der Schule bekannt berechnen. Rechts: Die polare Darstellung
einer komplexen Zahl.
3.2.3 Der Eulersche Satz
Wir gehen jetzt von der Darstellung gemäß(3.15) aus um uns eine neue Darstellung anzueignen, welche uns das Rechnen mit komplexen Zahlen extrem erleichtern wird! Es gilt
also:
z = r · (cos(ϕ) + i · sin(ϕ))
Wir bilden die Ableitung nach ϕ:
dz
= r · (− sin(ϕ) + i · cos(ϕ)) =1 i · u
dϕ
3.2. Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen
82
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Der Zusammenhang =1 lässt sich einfach durch nachrechnen überprüfen. Wir haben also
eine gewöhnliche, separable Differentialgleichung:
dz
=i·z
dϕ
Spätestens beim Aufladevorgang eines Kondensators haben Sie diese Art von Differentialgleichungen schon kennen gelernt. Als Lösung ergibt sich eine Exponentialfunktion mit
einem Vorfaktor c, den wir noch zu bestimmen haben:
z = c · eiϕ
Dazu schauen wir uns z bei ϕ = 0 in unserer neuen als auch in unserer alten Darstellung
an:
z|ϕ=0 = r · (cos(0) + i · sin(0)) = c · ei·0
⇒r = c
Also ergibt wir als entgültige Lösung der Differentialgleichung und somit als neue Darstellung:
z = r · eiϕ
(3.16)
Speziell für r = 1 resultiert der sehr wichtige Eulersche Satz:
eiϕ = cos ϕ + i sin ϕ
(3.17)
Damit werden speziell Multiplikation und Division komplexer Zahlen stark vereinfacht,
da man nun die bekannten Potenzgesetzes anwenden kann:
(r1 · eiϕ1 ) · (r2 · eiϕ2 ) = r1 r2 · ei(ϕ1 +ϕ2 )
| {z } | {z }
z1
z2
r1 i(ϕ1 −ϕ2 )
(r1 · e )/(r2 · eiϕ2 ) =
·e
| {z } | {z }
r2
iϕ1
z1
z2
3.3 Wechselstrom
Im folgenden Abschnitt bezeichnen Symbole mit einer Schlange (tilde) immer eine komplexe Zahl!
Innerhalb der Wechselstromrechnung arbeitet man im Allgemeinen immer mit harmonischen Spannungen und Strömen, also zumeist mit U (t), I(t) ∝ sin(t). Unsere Spannung
lässt sich also wie folgt beschreiben:
U (t) = U0 · sin(ωt + ϕu )
Hierbei ist U0 die Amplitude, ω die Kreisfrequenz und ϕu die Phasenverschiebung der
Spannung. Wir werden nun die komplexe Rechnung auf unser Problem anwenden, daher
3.3. Wechselstrom
83
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
führen wir die komplexe Spannung Ũ (t) ein:
Ũ (t) = U0 (cos(ωt + ϕu ) + i · sin(ωt + ϕu )) = U0 · eiωt+iϕu = U0 eiϕu eiωt
| {z }
=:Ũ0
Man bezeichnet Ũ0 = U0 eiϕu als komplexe Amplitude!
Es ist also im Folgenden:
Ũ (t) = Ũ0 · eiωt
Analog gilt für den Strom:
(3.18)
˜ = I0 eiϕI eiωt = I˜0 · eiωt
I(t)
(3.19)
3.3.1 Wechselstromkreis mit ohmschen Widerstand
In der folgenden Abbildung ist ein einfacher Stromkreis mit einer Wechselstromquelle
und einem ohmschen Widerstand R dargestellt. Glücklicherweise gilt auch für komplexe
≈
R
Abbildung 3.5
Spannungen und Ströme weiterhin das ohmsche Gesetz:
˜
Ũ (t) = R · I(t)
(3.20)
Es ist also
1
˜
Ũ (t) = I(t)
R
1
⇔ Ũ0 eiωt = I˜0 eiωt
R
1
⇔ Ũ0 = I˜0
R
1
⇔ U0 eiϕU = I0 eiϕI
R
Den t-abhängigen Teil konnten wir also fallen lassen. Da wir nun wissen, wie die komplexen Amplituden miteinander zusammenhängen, können wir damit eine Aussage über
3.3. Wechselstrom
84
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
die Phasendifferenz zwischen Strom und Spannung gewinnen. Wir sehen, dass die letzte
Zeile unserer Rechnung einen Vergleich zweier komplexen Zahlen in ihrer Polardarstellung
darstellt. Zwei komplexe Zahlen sind dann gleich, wenn sie in Betrag und Phasenwinkel
übereinstimmen! Daher ergibt sich im Falle des ohmschen Wechselstromkreises:
1
U0 = I0
R
ϕU = ϕI
(3.21)
(3.22)
Speziell Gleichung (3.22) sagt uns, dass es keine Verzögerung zwischen Strom und Spannung am Widerstand gibt, da beide in Phase sind (also die selbe Phase haben). Wir
werden im Folgenden Beispiele kennen lernen, wo dies nicht der Fall ist!
Wir definieren nun eine neue Größe, den komplexen Widerstand oder Impedanz:
Z̃ :=
Ũ0
I˜0
(3.23)
In diesem Fall ist wie oben berechnet Z̃ = Z̃R = R, also entspricht der komplexe Widerstand hier dem gewohnten ohmschen Widerstand und ist sogar reell!
3.3.2 Wechselstromkreis mit induktivem Widerstand
In der folgenden Abbildung ist ein einfacher Stromkreis mit einer Wechselstromquelle
und einer Spule mit Induktivität L dargestellt. Für die an der Spule abfallende Spannung
≈
L
Abbildung 3.6
ŨL (t) und den durch sie fließenden Strom I˜L (t) gilt im Wechselstromkreis die sogenannte
Spulengleichung:
dI˜L (t)
ŨL (t) = L ·
(3.24)
dt
Hierbei ist L die Induktivität der Spule. Diese Gleichung lässt werden wir später noch aus
dem Induktionsgesetz herleiten. Wir setzen wie gewohnt ŨL (t) = Ũ0 eiωt und I˜L (t) = I˜0 eiωt
3.3. Wechselstrom
85
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
an. Eingesetzt in die Spulengleichung (3.24) ergibt sich:
˜
dI(t)
dt
⇔ Ũ0 eiωt = L · i · ω · I˜0 eiωt
⇔ Ũ0 = L · i · ω · I˜0
Ũ (t) = L ·
⇔ U0 eiϕu = L · i · ω · I0 eiϕi
Prinzipiell könnte man jetzt auf die Idee kommen, wieder die komplexen Zahlen zu vergleichen. Allerdings steckt in dem Vorfaktor auf der rechten Seite noch ein i, so dass die
rechte Seite noch keine echte Polarform darstellt, da der Betrag immer reell sein muss.
Um dieses i zu eliminieren und den Betrag somit reell zu machen, nutzen wir einen Trick:
π π π
i = cos
+ i · sin
= ei 2
2
2
Hier sehen wir auch, wie wichtig und praktisch der Eulersche Satz ist! Eingesetzt ergibt
sich:
π
π
U0 eiϕu = L · ei 2 · ω · I0 eiϕi = L · ω · I0 ei(ϕi + 2 )
Jetzt haben wir zwei komplexe Zahlen, welche wir vergleichen können! Es ergibt sich:
U0 = ωL · I0
π
ϕu = ϕi +
2
(3.25)
(3.26)
Wir bereits erwähnt haben wir hier also folgende Situation: Strom und Spannung sind
nicht mehr in Phase sondern sind um π/2 phasenverschoben. Der Strom eilt also der
Spannung im Abstand π/2 hinterher. Wir können nun auch wieder die Impedanz Z̃ = Z̃L
berechnen:
Ũ0
= iωL
(3.27)
Z̃L =
I˜0
Man nennt diese Größe auch den induktiven Widerstand, welcher wie wir sehen komplex ist. Wir sehen, dass dieser bei Gleichstrom (ω = 0) verschwindet, es handelt sich also
um ein reines Wechselstromphänomen. Die Interpretation der Komplexwertigkeit wird
uns später zum sogenannten Blindwiderstand führen.
3.3.3 Wechselstromkreis mit kapazitivem Widerstand
In der folgenden Abbildung ist ein einfacher Stromkreis mit einer Wechselstromquelle und
einem Kondensator mit Kapazität C dargestellt. Wir nehmen den selben Ansatz wie beim
induktiven Stromkreis. Auch hier gilt eine Grundgleichung, welche als Ausgangspunkt
dient, die Kondensatorgleichung (3.28).
C · ŨC (t) = q̃(t)
3.3. Wechselstrom
(3.28)
86
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
≈
C
Abbildung 3.7
Wir bilden die Ableitung nach der Zeit und nutzen aus, dass die zeitliche änderung der
Ladung dem Strom entspricht:
C·
dq̃(t)
dŨC (t)
˜
=
= I(t)
dt
dt
Durch Einsetzen unserer bekannten Bezeichnung für Strom und Spannung ergibt sich:
C · i · ω · Ũ0 eiωt = I˜0 eiωt ⇔ C · i · ω · Ũ0 = I˜0
Wir wenden wieder den selben Trick wie schon beim induktiven Stromkreis an um den
Betrag reell zu machen. Damit erhalten wir:
C · ω · U0 ei(ϕu + 2 ) = I0 eiϕi
π
Wir identifizieren nun erneut:
1
· I0
ω·C
π
ϕu = ϕi −
2
U0 =
(3.29)
(3.30)
Hier eilt die Spannung also dem Strom hinterher. Das ist plausibel, da der Strom zuerst
einmal Ladungen auf die Kondensatorplatten bringen muss, damit sich eine Spannung
zwischen den Platten aufbauen kann. Für die Impedanz, hier auch kapazitiver Widerstand genannt, erhalten wir:
−i
Z̃C =
(3.31)
ωC
3.3.4 Diskussion der vorherigen Ergebnisse
Wir sollten uns nun ein wenig Zeit nehmen um uns zu vergewissern, was wir erhalten
haben. Der ohmsche Fall ist im Nachhinein uninteressant, da sich praktisch nichts ändert,
da das ohmsche Gesetz auch im komplexen Fall seine Gültigkeit beibehält.
3.3. Wechselstrom
87
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Im induktiven Fall ergeben sich sehr wichtige Änderungen. Es gilt laut Gleichung (3.27):
Z̃L = iωL
Vor allem die Grenzfälle von ω und L sind interessant. Für ω → 0 erhalten wir einen
Gleichstromkreis, in welchem die Spule zu einem normalen Draht wird (abgesehen von
Ein- und Ausschalteffekten). Dieser Draht hat nun nur noch einen ohmschen Widerstand
(welchen wir aber immer idealisiert auf Null setzen) und der induktive Widerstand verschwindet! Auch für L → 0 verschwindet der induktive Widerstand.
Auch der kapazitive Fall ist in seinen Grenzfällen interessant, es gilt hier laut Gleichung
(3.31):
−i
Z̃C =
ωC
Hier ist das Gegenteil der Fall. Im Gleichstromfall (also ω → 0) ergibt sich (wieder im
zeitlichen Limes, also ohne Berücksichtigung von Ein- und Ausschalteffekten) eine unendlich große Impedanz, da dieser Fall einer offenen Stelle im Stromkreis gleich kommt. Auch
wenn die Kapazität verschwindet (C → 0) ergibt sich ein unendlich großer Widerstand.
Im umgekehrten Fall, also für ω → ∞ beobachten wir, dass der Widerstand plötzlich endlich wird. Der Kondensator, welcher im Gleichstromfall wie beschrieben eigentlich eine
Unterbrechung im Stromkreis darstellt, wird nun im Wechselstromfall leitend!
3.3.5 R-C-L-Serienschwingkreis
Für die nun folgenden, komplizierteren Stromkreise gilt folgende Regel: Die Berechnung
der Gesamtimpedanz erfolgt nach den selben Regeln wie die Berechnung des Gesamtwiderstands in einem Gleichstromkreis!
Ein Serienschwingkreis setzt sich wie in Abbildung 3.5 gezeigt aus drei in Serie geschalteten Bauelementen zusammen, einem ohmschen Widerstand, einer Spule und einem Kondensator. Mit unserem bisherigen Wissen sind wir nun in der Lage, diesen Stromkreis zu
berechnen! Die Gesamtimpedanz ergibt sich nun wie beschrieben analog zum Gleichstromkreis. Da hier eine einfache Serienschaltung vorliegt, werden die Teilimpedanzen einfach
addiert:
i
1
Z̃ges = ZR + Z̃L + Z̃C = R + iωL −
= |{z}
R + i · ωL −
ωC
ωC
{z
}
|
Re(Z̃)
Im(Z̃)
Physikalische Realität haben üblicherweise nur reelle Werte, sodass man statt der Impedanz oftmals den Scheinwiderstand Z angibt (in der Literatur werden Scheinwiderstand und Impedanz oft synonym gebraucht, wir gebrauchen die normierte Definition der
Impedanz als Quotient aus komplexer Spannung und komplexem Strom und des Schein-
3.3. Wechselstrom
88
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
ŨR (t)
R
U0(t) ≈
L
ŨL(t)
C
ŨC (t)
Abbildung 3.8
widerstands als dem Betrag der Impedanz):
s
2
1
Z = Z̃ = R2 + ωL −
ωC
(3.32)
Wie üblich setzt sich der Betrag aus der Wurzel der Summe der Quadrate von Real- und
Imaginärteil zusammen. Wir definieren nun den Realteil der Impedanz als Wirkwiderstand und den Imaginärteil als Blindwiderstand. Für die Phasendifferenz ϕui = ϕu −ϕi
ergibt sich:
ωL − 1/ωC
tan(ϕui ) =
(3.33)
R
Wie wir sehen ist ϕui , also die Phasendifferenz im Kreis, gerade der Phasenwinkel unserer
Impedanz. Kennen wir also die Impedanz, kennen wir gleich zwei wichtige Größen, den
Scheinwiderstand und die Phasendifferenz!
Die Spannung, die an den Kreis angelegt werden muss, ist folglich:
Ũ0 = Z̃ · I˜
= Zeiϕui · I0 eiϕi
= ZI0 ei(ϕui +ϕi )
⇒ Ũ (t) = Ũ0 eiωt
= ZI0 ei(ωt+ϕui +ϕi )
3.3. Wechselstrom
89
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
√
Ein Spezialfall dieses Schwingkreis ergibt sich für ω = 1/ LC. Der Blindwiderstand wird
dann zu Null:
r
r
1 √
1
L
L
√
· L − · LC =
−
=0
C
C
C
LC
Damit wird die Impedanz reell.
3.3.6 R-C-L-Parallelschwingkreis
Der Parallelschwingkreis setzt sich wie in der folgenden Abbildung gezeigt aus einer Parallelschaltung von Widerstand, Spule und Kondensator zusammen. Diesmal liefern uns
U0(t) ≈
R
ŨR (t)
L
ŨL(t)
C
ŨC (t)
Abbildung 3.9
Knoten- und Maschenregel erste Beziehungen. Die Ströme addieren sich, die Spannungen,
welche an den einzelnen Komponenten anliegen, sind jeweils gleich:
I0 = IL + IR + IC
U0 = UL = UR = UC
Da diesmal eine Parallelschaltung vorliegt, werden die Kehrwerte der Impedanzen addiert:
1
1
1
i
1
1
=
+
= + iωC −
+
ZR Z̃C Z̃L
R
ωL
Z̃ges
Hierbei wurde die nützliche Identität −i = 1/i ausgenutzt. Im Allgemeinen hat der Kehrwert eines elektrischen Widerstands innerhalb der Elektrotechnik einen eigenen Namen,
3.3. Wechselstrom
90
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
man bezeichnet ihn als Leitwert oder Admittanz. Man definiert:
Ỹ :=
1
=G+i·B
Z̃ges
(3.34)
G := Re(Ỹ )
(3.35)
B := Im(Ỹ )
(3.36)
(3.34) ist der komplexe Leitwert als Kehrwert der Impedanz, (3.35)) der Wirkleitwert
als Realteil des komplexen Leitwerts und (3.36) der Blindleitwert als Imaginärteil des
komplexen Leitwerts .
In unserem Fall des Parallelschwingkreises ist also:
G=
1
R
B = ωC −
1
ωL
3.3.7 Gemischte R-C-L-Schaltung
Die beiden vorigen Schaltungen stellen reine Parallelschaltungen beziehungsweise Serienschaltungen dar. Auch Mischungen sind möglich, wie folgender Schaltkreis zeigt. Zur
ŨL(t)
L
U0(t) ≈
R
ŨR (t)
C
ŨC (t)
Abbildung 3.10
ersten Orientierung stellen wir wieder die Kirchhoffschen Regeln auf, zuerst die zwei resultierenden Maschengleichungen. Innerhalb der Masche mit Kondensator und ohmschem
3.3. Wechselstrom
91
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Widerstand ermitteln wir:
−UR + UC = 0 ⇔ UR = UC
Zur Erinnerung: Wir ermitteln diese Gleichung indem wir einmal in eine beliebige Richtung durch die Masche gehen und die Teilspannungen summieren. Dabei legt die gewählte
Umlaufrichtung das Vorzeichen fest. Wenn unsere Spannungspfeile an den Bauteilen entgegen der Umlaufrichtung zeigen, wird das Vorzeichen negativ. Hier sind wir also im
Uhrzeigersinn gelaufen, der Ur -Pfeil zeigt entgegen dieser Richtung, daher resultiert das
negative Vorzeichen.
Analog ermitteln wir eine weitere Gleichung für die Masche Spannungsquelle → Spule →
Widerstand (wieder im Uhrzeigersinn, vergewissern Sie sich, dass gegen den Uhrzeigersinn
das selbe Ergebnis folgt!):
−U + UL + UR = 0 ⇔ U = UL + UR
Die Knotengleichung gibt uns eine übersicht über die Ströme an der Gabelung zwischen
Kondensator und Widerstand:
IL = IR + IC
Zu beachten ist, dass diese Gleichungen auch für die komplexen Größen gelten. Im ursprünglichen Sinn beobachten und messen wir im Endeffekt natürlich nur reelle Werte und
keine komplexen, daher schreiben wir Knoten- und Maschenregel ohne Schlange, wissen
aber im Hinterkopf, dass Sie auch für komplexe Ströme und Spannungen (mit Schlange)
gelten.
Weiterhin liefert uns das ohmsche Gesetz bzw. die Definition der Impedanz für die komplexen Teilspannungen:
ŨR = I˜R · Z̃R = I˜R · R
1
ŨC = I˜C · Z̃C = I˜C ·
iωC
˜
˜
ŨL = IL · Z̃L = IL · iωL
Mit Hilfe der Knoten- und Maschengleichungen ergibt sich daraus:
Ũ = I˜L · iωL + I˜R · R
= (I˜R + I˜C )iωL + I˜R · R
= (I˜R + I˜R · R · iωC)iωL + I˜R · R
= I˜R · (iωL + R · i2 ω 2 LC + R)
iωL
− Rω 2 LC + 1)
R
Ũ
− Rω 2 LC + 1)
= I˜R · R · (
⇒ I˜R =
R · ( iωL
R
Rückwärts eingesetzt erhalten wir daraus unsere Teilströme und Teilspannungen und
daraus (wieder mit den Knoten- und Maschengleichungen) die Gesamtspannung Ũ und
3.3. Wechselstrom
92
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
˜ woraus sich die Impedanz und der Leitwert des Kreises berechnen
den Gesamtstrom I,
lässt:
1 − ω 2 LC + iωL
R
Z̃ =
(3.37)
1
+
iωC
R
Sofern nur die Impedanz und nicht die einzelnen Ströme und Spannungen von Interesse
sind, erhalten wir diese Formel sehr viel schneller mit Hilfe der bekannten Gesetzte zur
Addition von Widerständen (nachrechnen!).
3.3.8 Leistung im Wechselstromkreis
Reelle Leistung
Zuerst besprechen wir den bekannten Fall der reellen Leistung. Wir nehmen dafür den allgemeinen Fall einer periodischen Spannung/Stromstärke mit gleicher Frequenz und einer
Phasendifferenz, welche sich als Phasenverschiebung innerhalb einer der beiden größen
schreiben lässt:
U (t) = U0 sin(ωt + ϕ)
I(t) = I0 sin(ωt)
Damit ergibt sich für die Leistung P :
P (t) = U (t) · I(t)
= U0 I0 sin(ωt + ϕ) sin(ωt)
= U0 I0 (sin(ωt) cos(ϕ) + sin(ϕ) cos(ωt)) sin(ωt)
= U0 I0 · cos(ϕ) ·2 sin(ωt)2 + U0 I0 sin(ϕ) sin(2ωt)
{z
}
| {z }
|
=:PW
=:PB
Abbildung 3.11: Darstellung des ersten (rot) und zweiten (grün) Summands , die Amplitude ist genau
PW beziehungsweise PB .
3.3. Wechselstrom
93
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Komplexe Leistung
Analog zur bekannten reellen elektrischen Leistung P = U · I können wir eine komplexe
Leistung S̃ mit Hilfe der komplexen Darstellung von Strom und Spannung definieren:
S̃ = Ũ · I¯
(3.38)
Hierbei ist I¯ die konjugiert komplexe Stromstärke. Es gilt also für eine beliebige komplexe
Spannung Ũ = U0 · ei(ωt+ϕU ) und einen beliebigen komplexen Strom I˜ = I0 · ei(ωt+ϕI ) :
S̃ = U0 I0 ei(ωt+ϕU −ωt−ϕI ) = U0 I0 eiϕU I
Interessanterweise verschwindet die Zeitabhängigkeit, die Leistung ist also nur von den
komplexen Amplituden beziehungsweise deren Phasendifferenz abhängig. Analog zum Widerstand können wir weiterhin eine Wirk- und eine Blindleistung definieren:
PW = Re(S̃) = U0 I0 · cos(ϕU I )
PB = Im(S̃) = U0 I0 · sin(ϕU I )
(3.39)
(3.40)
Nun sehen wir auch, woher die Bezeichnungen PB und PW im reellen Fall stammen.
Wir haben sie nun auf den Real-/Imaginärteil unserer komplexen Leistung zurückführen
können. Den Betrag der komplexen Leistung nennt man analog Scheinleistung PS :
q
2
PS = |S̃| = PB2 + PW
(3.41)
Effektivwerte
Unter Effektivwerten versteht man mathematisch den zeitlichen quadratischen Mittelwert
einer zeitabhängigen Größe. Er ist für eine beliebige, zeitabhängige Größe W (t) definiert
durch:
s
Z
1 T
Weff =
W (t)2 dt
T 0
Speziell beim Wechselstrom gibt der Effektivwert den Wert an, den Gleichstrom haben müsste, um die selbe elektrische Energie zu liefern. Wir sehen, dass
es per Definition um messbare und somit reelle Werte geht. Daher setzen wir zur Berechnung der effektiven Spannung nun einen Sinus als Wechselspannung an (da der Cosinus
nur ein phasenverschobener Sinus ist, liefert er bei der Integration über eine Periode das
gleiche Ergebnis).
3.3. Wechselstrom
94
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Sei also U (t) = U0 · sin(ωt):
s
Uef f =
=
=
s
s
1
T
Z
U02
T
T
U (t)2 dt
0
Z
U02 1
T 2
r
U0
=√
2
U0
=√
2
T
sin(ωt)2
0
1
T
T − [sin(ωt) cos(ωt)]0
ω
1−
1
(sin(2π) cos(2π) − sin(0) cos(0))
2π
Hierbei haben wir den Zusammenhang ω = 2πf = 2π T1 genutzt. Analog ergibt sich
Ief f = √I02 . Daraus folgt für die effektive Wirkleistung:
Peff = Ueff · Ieff =
3.3. Wechselstrom
U0 I0
2
(3.42)
95
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
PSfrag
3.3.9 Brückenschaltungen
Mit der Wheatstonschen Brückenschaltung haben wir bereits ein Beispiel für eine Brückenschaltung im Gleichstromfall betrachtet. Diese Brücken können analog auch für Wechselstromkreise mit Induktivitäten und Kapazitäten berechnet werden. Die Brücke ist im
I6
R6
R3
R1
β
I2
+
a
R5
I5
I5
b
−
c
α
γ
R4
R2
I3
I7
I6
d
Abbildung 3.12
Gleichstromfall abgeglichen, wenn gilt:
R3
R1
=
R2
R4
Wir betrachten diese Brücke nun im Wechselstromfall, sprich wir rechnen mit komplexen
Spannungen und Strömen und Impedanzen statt Widerständen. Es ergibt sich also:
Z̃1
Z̃3
=
Z̃2
Z̃4
(3.43)
Zwei komplexe Zahlen sind genau dann gleich, wenn sie sowohl im Realteil als auch im
Imaginärteil übereinstimmen, respektive in Betrag und Phase. Wir gehen von Letzterem
aus, Gleichung (3.43) lautet in Polardarstellung:
Z1 i·(ϕ1 −ϕ2 ) Z3 i·(ϕ3 −ϕ4 )
·e
=
e
Z2
Z4
Daraus ergeben sich nun zwei reelle Bedingungen für den Abgleich:
Z1
Z3
=
Z2
Z4
ϕ1 − ϕ2 = ϕ3 − ϕ4
3.3. Wechselstrom
96
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Die zweite Bedingung (Phasenbedingung) kann dabei im Wechselstromfall nicht immer
erfüllt werden. Betrachten wir dafür folgende verallgemeinerte Brücke aus vier Impedanzen. Hier ist die Phasenbedingung nicht erfüllt, die Impedanz Z̃4 müsste dafür die Phase
Z̃1
≈
Z̃3
UD
Z̃4 ?
Z̃2
Abbildung 3.13
ϕ4 = ϕ3 + ϕ2 − ϕ1 = π besitzen. Passive Bauelemente wie Widerstände, Kapazitäten
und Kondensatoren haben allerdings nur Phasen zwischen 0 und π/2. Eine Abgleichung
(UD = 0) der Brücke ist damit mit keinem der uns bekannten Bauteile möglich.
Wien-Brücke
R3
R1
L3
≈
UD
L4
R2
R4
Abbildung 3.14
Auch hier gilt, dass UD = 0 nur dann gemessen wird, wenn Gleichung (3.43) erfüllt ist.
3.3. Wechselstrom
97
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
Für die darin enthaltenen Impedanzen ergibt sich in diesem Fall:
Z̃1 = R1
Z̃2 = R2
Z̃3 = R3 + iωL3
Z̃4 = R4 + iωL4
(3.43)
⇒ R1 R4 + i · ωR1 L4 = R2 R3 + i · ωR2 L3
Diesmal ist der direkte Vergleich von Realteil und Imaginärteil vorteilhafter als ein Vergleich von Betrag und Phase. Damit finden wir erneut zwei reelle Bedingungen für den
Abgleich:
R1 R4 = R2 R3
R1 L4 = R2 L3
Diese Bedingungen sind unabhängig von der Frequenz ω der Wechselspannung, weshalb
diese Brücke auch für alle Frequenzen ungleich Null abgeglichen werden kann. Kennt man
die Induktivität einer Spule, so kann damit die Induktivität der anderen Spule bestimmt
werden.
Nernst-Brücke
R3
R1
C3
≈
UD
C4
R2
R4
Abbildung 3.15
Hierbei handelt es sich um das kapazitive Analogon zur Wien-Brücke. Analog erhalten
3.3. Wechselstrom
98
Kapitel 3. Elektrische Schaltungen
wir daher auch die Abgleichbedingung:
Z̃1 = R1
Z̃2 = R2
1
ωC3
1
Z̃4 = R4 − i
ωC4
Z̃3 = R3 − i
(3.43)
⇒ R1 R4 − i ·
R1
R2
= R2 R3 + i ·
ωC4
ωC3
Die reellen Bedingungen lauten daher:
⇒ R1 R4 = R2 R3
R1 C 3 = R2 C 4
Auch diese Brücke ist für alle Frequenzen verschieden von Null abgleichbar und kann zur
Bestimmung von Kapazitäten verwendet werden.
3.3. Wechselstrom
99
4 Magnetostatik
4.1 Mathematischer Einschub: Rotation
Innerhalb der von uns untersuchten Eigenschaften des elektrischen Feldes haben wir schon
einige neue Operationen kennen gelernt wie die Bildung der Divergenz oder des Gradienten. Speziell die Divergenz als Skalarprodukt des Nabla-Opeartors ∇ mit einem Vektorfeld
lässt erahnen, dass man noch eine weitere Operation mit diesem Operator definieren kann:
Das Kreuzprodukt des Nabla-Operators mit einem Vektorfeld, die sogenannte Rotation!
Wir haben im Abschnitt zum Gradienten gesehen, dass ein Vektorfeld, welches aus dem
Gradient eines Skalarfelds ableitbar ist (also beispielsweise das elektrische Feld als Gradient des elektrischen Potentials: E = −∇φ), konservativ ist. Das bedeutet, dass ein
geschlossenes Wegintegral über dieses Feld immer verschwindet:
I
v = ∇f ⇒ v ds = 0
Hierbei ist f ein beliebiges skalares Feld und v das aus der Gradientenbildung resultierende, konservative Feld.
Jedoch betrachten wir im Allgemeinen oft auch Felder, welche nicht auf einem Gradienten ableitbar sind und somit nicht konservativ sind. Hier verschwindet das Linienintegral
nicht, im Gegenteil, sein Betrag liefert wertvolle Informationen über das Feld.
Abbildung 4.1: Das Vektorfeld ~v = v ist hier wie deutlich zu sehen ist nicht konservativ, obwohl das
Linienintegral über die blau gestrichelte Linie verschwinden würde.
100
Kapitel 4. Magnetostatik
In Abbildung 4.1 sehen wir ein Feld v, dessen Richtung an jeder Stelle gleich ist, der
Betrag jedoch nicht. Legen wir den Integrationsweg nun so, dass er senkrecht zum Feld
verläuft, so liegt auch jedes Linienelement ds des Linienintegrals senkrecht auf v, was das
Skalarprodukt v ds innerhalb des Integrals verschwinden lässt. Legt man jetzt jedoch den
Integrationsweg auch nur teilweise in Richtung Richtung des Vektorfeldes, so verschwindet
der Beitrag nicht mehr, da dann einige Linienelemente parallel zum Feld liegen und das
Skalarprodukt somit maximal wird.
Analog zur Divergenz betrachten wir nun einen Grenzübergang für kleine Teilflächen,
auf denen wir das Linienintegral ausführen. Diesen Grenzübergang führt man für jede
Teilfläche in die drei Raumrichtungen separat aus und erhält dann aus geometrischen
Betrachtungen einen Ausdruck für die Definition der Rotation, welche wir hier nicht weiter betrachten wollen (trotzdem schadet es nichts, sich die Definition der Rotation in
einem geeigneten Lehrbuch noch einmal anzuschauen). Für uns wichtig ist vor allem ihr
Zusammenhang mit dem Nabla-Operator. Dieser ist definiert als:
rot v = ∇ × v
(4.1)
Doch was besagt die Rotation (engl. curl ) für uns? Sie gibt uns passender Weise an,
wie stark ein Vektorfeld um einen bestimmten Punkt rotiert. Ein Wirbel im Abfluss ihrer
Badewanne wäre ein Zeichen dafür, dass die Rotation des Geschwindigkeitsfeldes (um den
Abfluss herum) sehr groß ist. Wir erkennen weiterhin, dass die Rotation des elektrischen
Feldes einer Punktladung verschwindet, genauer verschwindet in der Elektrostatik die
Rotation jedes elektrischen Feldes, da hier jedes elektrische Feld aus einem Potential
durch Bildung des Gradienten ableitbar ist. Und da ein aus einem Gradienten abgeleitetes
Vektorfeld immer konservativ ist, erhalten wir allgemein:
rot grad f = ∇ × (∇f ) = 0
(4.2)
Dies gilt für alle skalaren Potentiale f !
Eine weitere nützliche Eigenschaft und quasi die direkte Verbindung zur eigentlichen
Definition der Rotation über die Auswertung eines Linienintegral ist der sehr wichtige
Satz von Stokes:
I
Z
v ds =
∇ × v dA
(4.3)
C(A)
A
Das Integral der Rotation eines Vektorfeldes über eine Fläche A ist gleich dem geschlossenes Linienintegral des Vektorfeldes über den Rand von A! Mit Hilfe dieses und des
gaußschen Satzes folgt weiterhin für jedes Vektorfeld v:
div rot v = ∇ · (∇ × v) = 0
4.1. Mathematischer Einschub: Rotation
(4.4)
101
Kapitel 4. Magnetostatik
Die Magnetostatik ist analog zur Elektrostatik die Lehre der zeitlich konstanten (stationären) Magnetfelder. Sowie ruhende Ladungen elektrische Felder erzeugen, so erzeugen
geradlinig-gleichförmig bewegte Ladungen Magnetfelder. In dieser Weise bewegte Ladungen beschreibt man zweckdienlich als makroskopischen Strom I, welcher daher auch als
Ladung pro Zeit definiert ist. Zusammengefasst können Magnetfeldern also von Strömen
erzeugt werden. Sind diese Ströme zeitlich konstant, so ist auch das erzeugte Magnetfeld
zeitlich konstant.
Dieses Bild des elektrischen Stroms als eine Menge geradlinig-gleichförmig bewegter Elektronen lässt sich bis hinunter zu den Atomen skalieren. Im einfachsten Bild, dem Bohrschen
Atommodell, kreisen die Elektronen auf stationären Bahnen um den Atomkern. Jedes einzelne Elektron eines Atoms, welches um den Atomkern kreist, lässt sich somit als Strom
auffassen. Damit erzeugt auch jedes Elektron eines Atoms ein kleines magnetisches Feld,
welches gerne als Elementarmagnet bezeichnet wird. 1
Die Quellen und Senken des magnetischen Feldes kommen immer paarweise vor, es gibt
keine magnetischen Monopole, sprich einzelne magnetische Ladungen in Analogie zu den
elektrischen Ladungen. Daher ist der magnetische Dipol der einfachste Fall, sein Feld
ähnelt dem eines Stabmagneten. Daraus folgt auch, dass magnetische Feldlinien immer
geschlossen sein müssen!
4.2 Magnetfelder stationärer Ströme
4.2.1 Magnetfeld eines stromdurchflossenen Leiters
Zunächst bleiben wir bei makroskopischen Strömen. Das einfachste im Labor (und im
Alltag) produzierbare Magnetfeld ist das eines geraden, stromdurchflossenen Leiters, wie
er in Abbildung 4.2 dargestellt ist. Die magnetischen Feldlinien einer solchen Anordnung
bilden konzentrische Kreise um den Leiter. Deren Drehsinn hängt von der Flussrichtung
des Stroms ab. Schaut man in Richtung des Stroms, so bildet sich eine Rechtsschraube,
in entgegengesetzter Richtung bildet das Feld eine Linksschraube. Zu merken ist dieser
Verlauf, wenn man den Daumen der rechten Hand nach oben streckt. Fließt der Strom in
Richtung des Daumens, so zeigt das Magnetfeld in Richtung der restlichen Finger.
1
Genauer erzeugen nur Elektronen mit einem nicht verschwindenden Bahndrehimpuls ein solches Feld.
Dieser Impuls generiert ein magnetisches Dipolmoment, was den eigentlichen Elementarmagneten
darstellt. Zusätzlich besitzt jedes Elektron noch einen intrinsischen Drehimpuls, welcher ebenfalls ein
solches magnetisches Moment erzeugt. Dieser als Spin bezeichnete Drehimpuls ist für eine Vielzahl
magnetischer Phänomene ausschlaggebend, da nicht jedes Elektron einen Bahndrehimpuls, wohl aber
einen Spin besitzt.
4.2. Magnetfelder stationärer Ströme
102
Kapitel 4. Magnetostatik
Abbildung 4.2: Das Magnetfeld eines geraden, stromdurchflossenen Leiters bildet ein Magnetfeld aus,
dessen Feldlinien konzentrischen Ringen entsprechen.
4.2.2 Gaußsches Gesetz für Magnetfelder
Wie bereits angesprochen sind magnetische Feldlinien immer geschlossen. In mathematischer Form ergibt sich daraus folgende Gleichung:
I
B dA = 0
S(V )
Der magnetische Fluss durch die Oberfläche S(V ) eines abgeschlossenen Volumens V verschwindet. In der Elektrostatik stehen auf der rechten Seite die vom Volumen eingeschlossenen Ladungen, woraus sich der Gaußsche Gesetz ergibt. In der Magnetostatik treten
Nord- und Südpol jedoch immer gemeinsam auf, isolierte magnetische Pole/Ladungen
existieren nicht, womit die rechte Seite verschwindet. Wendet man den Satz von Gauß
(Integralsatz) auf diese Gleichung an, so ergibt sich:
I
Z
B dA = div B dV = 0
S(V )
Hieraus folgt also:
div B = 0
(4.5)
Dies ist die Quantifizierung der bereits beschriebenen Tatsache, dass es keine isolierten
magnetischen Pole gibt. Diese Tatsache ist so elementar, dass Gleichung (4.5) eine der
vier notwendigen Maxwell-Gleichungen zur Beschreibung der vollständigen klassischen
Elektrodynamik darstellt.
4.2. Magnetfelder stationärer Ströme
103
Kapitel 4. Magnetostatik
4.2.3 Ampèrsches Gesetz
In der Elektrostatik ist die Spannung definiert als die Potentialdifferenz zwischen zwei
Punkten, welche mit Hilfe des Linienintegrals über das elektrische Feld entlang eines
beliebigen Weges zwischen diesen Punkten bestimmt werden kann:
ZP2
E ds = Φ(P1 ) − Φ(P2 ) = U
P1
Für einen geschlossenen Weg, also P1 = P2 verschwindet dieses Integral.
In der Magnetostatik gilt dies nicht! Hier findet man empirisch den als Ampèrsches Gesetz
bezeichneten Zusammenhang (4.6).
I
B ds = µ0 · I
(4.6)
Das Linienintegral auf der rechten Seite ist also proportional zum Strom, welcher durch
diese Fläche fließt. Die Konstante µ0 heißt magnetische Induktionskonstante oder auch
Vakuumpermeabilität. Ihr Wert ist im Rahmen der Definition der Lichtgeschwindigkeit
exakt festgelegt:
N
N
µ0 = π · 4 · 10−7 2 = 12,566370614... · ·10−7 2
A
A
Wir haben bereits die Stromdichte j kennen gelernt, welche über
Z
I = j dA
definiert ist. Damit lässt sich das Ampèrsche Gesetz mithilfe des Satz von Stokes in
differentieller Form (4.7) schreiben.
rot B = µ0 · j
(4.7)
Dieses Gesetz reicht bereits aus, um das Magnetfeld einiger einfacher Beispiele zu berechnen.
Beispiel 1: Magnetfeld eines stromdurchflossenen Leiters
Dieses Beispiel haben wir bereits zu Beginn angesprochen. Mit Hilfe des Ampèrschen
Gesetz (4.6) sind wir nun in der Lage, das Magnetfeld eines realen Leiters zu berechnen.
Real bedeutet hier, dass der Leiter nicht als unendlich dünn, sondern als ein Zylinder
angenommen wird. Wir betrachten dazu Abbildung 4.3. Es bezeichnet r0 den Radius des
Leiters und r > r0 einen Radius, der außerhalb des Zylinders liegt. Wir wenden Gleichung
(4.6) an und wählen als Integrationsweg eben jenen Kreis um den Leiter, welcher sich aus
4.2. Magnetfelder stationärer Ströme
104
Kapitel 4. Magnetostatik
Abbildung 4.3: Der graue Bereich kennzeichnet den Querschnitt des Leiters. Die beiden gewählten
Integrationswege sind mit rot (r < r0 ) beziehungsweise blau (r > r0 ) eingezeichnet.
dem Radius r > r0 ergibt:
I
B · ds = µ0 I
Zur Berechnung dieses Integrals wechseln wir in Polarkoordinaten. Dies bietet sich an, da
wir eine Zylindersymmetrie vorliegen haben. Statt den Integrationsweg mit zwei kartesischen Koordinaten parametrisieren zu müssen, vereinfacht sich das Integral in Polarkoordinaten zu einem eindimensionalen Integral. Es gilt:
ds = rdϕ
Dabei ist ds ein Vektor, welcher an jedem Punkt des Kreises mit dem Radius r in Richtung
der Tangente an diesem Punkt zeigt. In Polarkoordinaten zeigt er also in Richtung von eϕ .
Gleichzeitig wissen wir aus den vorigen Betrachtungen, dass - abhängig von der Richtung
des Stromfluss - das Magnetfeld ebenfalls in diese Richtung zeigt. Es gilt also B k ds.
Damit vereinfacht sich das Integral erheblich:
I
B · ds =
I2π
(4.6)
r · B(r) · dϕ = 2πB(r)r = µ0 I
0
Umgestellt ergibt sich damit:
µ0 I
r > r0
2πr
Da wir r > r0 beliebig gewählt haben, gilt diese Formel für jedes beliebige r > r0 .
B(r) =
Es bleibt noch das Magnetfeld innerhalb des Leiters zu berechnen. Hierbei muss zwangsweise die endliche Ausdehnung des Leiters berücksichtigt werden. Wenn man eine konstante Stromdichte j annimmt (deren Vektorcharakter wir hier vernachlässigen, es sollte
4.2. Magnetfelder stationärer Ströme
105
Kapitel 4. Magnetostatik
klar sein, in welche Richtung j zeigt), dann gilt:
I = j · πr02
Für das Feld bei r < r0 trägt nun allerdings nur der Anteil I ′ des gesamten Stroms I
bei, welcher innerhalb der von r eingeschlossenen Kreisfläche fließt. Damit ist I ′ gegeben
durch:
I ′ = j · πr2
Es ergibt sich also ganz analog zum vorigen Fall:
I
B · ds = µ0 I ′
µ0 I ′
2πr
µ0 j · πr2 r02
=
· 2
2πr
r0
|{z}
⇒ B(r) =
=1
=
µ0 I
·r
2πr02
r < r0
Im letzten Schritt wurde eine sogenannte nahrhafte Eins eingefügt. Insgesamt ist die
Lösung unseres Problems also:
(
µ0 I
r > r0
(4.8)
B(r) = 2πr
µ0 I
·
r
r
<
r
2
0
2πr
0
Das Magnetfeld steigt also innerhalb des Leiters linear mit r an, außerhalb des Leiters
fällt es mit r−1 ab.
4.2.4 Das Vektorpotential
Bis auf die Tatsache, dass es keine magnetischen Monopole gibt, sind die Theorien zu
Elektostatik und Magnetostatik symmetrisch zueinander. In der Elektrostatik wird das
elektrostatische Potential Φ eingeführt, da sich damit die Berechnungen wesentlich vereinfachen. Das elektrostatische Feld bestimmt sich dann aus dem Gradienten des Potentials.
Auch in der Magnetostatik führt man ein Potential ein, das sogenannte Vektorpotential
A. Wie der Name bereits andeutet, handelt es sich in diesem Fall nicht um ein skalares
Potential, sondern um einen Vektor A ∈ R3 .
Auch dieses Potential kann zur Bestimmung des eigentlichen Magnetfeldes herangezogen
werden, es gilt nämlich:
B = rot A
(4.9)
Die Divergenz eines solchen Feldes verschwindet wie vom Gaußschen Gesetz (4.5) verlangt
4.2. Magnetfelder stationärer Ströme
106
Kapitel 4. Magnetostatik
(nachrechnen!). Durch diese Bestimmungsgleichung ist das Vektorpotential jedoch noch
nicht eindeutig festgelegt. Für ein Vektorpotential A gilt B = rot A, für ein Vektorpotential A′ = A + grad f gilt dies allerdings auch, da immer rot grad f = 0 gilt. Man
benötigt daher noch eine sogenannte Eichung/Eichbedingung, in unserem Fall ist das die
Coulomb-Eichung:
div A = 0
(4.10)
Diese beiden Gleichungen definieren das Vektorpotential eindeutig.
4.2.5 Biot-Savart-Gesetz
Praktischerweise hatten wir im elektrostatischen Fall eine Formel zur Hand, welche uns
das elektrische Potential bei einer beliebigen Ladungsverteilung ρ gegeben hat. Diese
ergibt sich aus der Definition des elektrischen Feldes über den Gradienten des elektrischen
Potentials eingesetzt ins Gaußsche Gesetz:
ρ
ǫ0
ρ
⇔ ∇ · (−∇φe ) =
ǫ0
∇·E=
⇔ ∆φe = −
ρ
ǫ0
Hierbei bezeichnet ∆ = ∇2 den Laplace-Operator. Die letzte Gleichung nennt man auch
Poisson-Gleichung, ihre Lösung haben wir bereits besprochen.
Innerhalb der Magnetostatik haben wir bisher nur eine Formel, die uns die Rotation der
magnetischen Induktion bei gegebener Stromdichte gibt. Jedoch können wir auch hier eine
passende Formel herleiten. Wir setzen unsere Definition des Vektorpotentials in unsere
aus dem Ampèrschen Gesetz gewonnene Formel ein:
∇ × (∇ × A) = µ0 · j
⇔ ∇ (∇ · A) −∆A = µ0 · j
| {z }
=0
⇔ ∆A = −µ0 · j
Hierbei haben wir die Graßmann-Identität des Kreuzproduktes und die Coulomb-Eichung
ausgenutzt. Heraus kommt eine Gleichung, welche die selbe Struktur besitzt wie die Gleichung für das elektrische Potential (abgesehen vom vektoriellen Charakter, welchen man
aber auch einfach als eine Gesamtheit von drei skalaren Gleichungen interpretieren kann).
Also ergibt sich völlig analog zum elektrischen (bis auf die Konstante) das magnetische
Potential:
Z
µ0
j(r′ ) 3 ′
A(r) =
dr
(4.11)
4π
|r − r′ |
Für die magnetische Induktion muss man nun nur noch die Rotation auf Gleichung (4.11)
anwenden. Diese lässt sich in das Integral hinein ziehen und wirkt dann auf den gesamten
4.2. Magnetfelder stationärer Ströme
107
Kapitel 4. Magnetostatik
Bruch. Insgesamt ergibt sich folgender Ausdruck:
Z
µ0
j(r′ ) × es 3 ′
B(r) =
dr
4π
|s|2
(4.12)
Hierbei gilt die Abkürzung s = r − r′ , es ist der Einheitsvektor in Richtung von s. Diese
Formel gilt für alle Stromdichteverteilungen!
Oftmals betrachtet man Stromdichten, welche auf dünne Drähte begrenzt sind. Man kann
dann für genügend homogene Ströme die Integration der Stromdichte herausziehen, wodurch sich das Volumenintegral in ein Linienintegral verwandelt:
Z
es × dl
µ0
·I
(4.13)
B(r) = −
4π
|s|2
Dieses Gesetz nennt man nun das Biot-Savart-Gesetz!
4.2.6 Magnetische Dipole
Innerhalb des Elektrostatik lassen sich viele Situationen durch Punktladungen, sogenannte Monopole beschreiben. Das Vorhandensein dieser Monopole, welche wie der Name
schon sagt entweder positiv oder negativ geladen sein können, ergibt sich aus der nicht
verschwindenden Divergenz des elektrischen Feldes bei vorhandener Ladung (Gaußsches
Gesetz).
In der Magnetostatik jedoch verschwindet die Divergenz, sodass es keine Monopole geben kann. Die nächst höhere, bereits aus der Elektrostatik bekannte Anordnung ist der
Dipol, welcher innerhalb der Magnetostatik den Grundbaustein aller magnetischen Probleme darstellt. In der Elektrostatik war der einfachste Dipol eine Anordnung aus zwei
entgegengesetzt gleich geladenen Monopolen. Der Verbindungvektor d und der Betrag der
Ladung q charakterisierten das Dipolmoment vollständig.
Abbildung 4.4: Darstellung der Definition des magnetischen Dipols. n ist hierbei der Flächennormalenvektor der vom Kreisstrom I umschlossenen Fläche A.
In der Magnetostatik existieren jedoch keine Monopole, über deren Ladung und Abstand
man einen Dipol definieren könnte. Speziell das Biot-Savart-Gesetzt sagt uns, dass im
statischen Fall nur ein Strom, also die gleichförmige Bewegung einer elektrischen Ladung,
4.2. Magnetfelder stationärer Ströme
108
Kapitel 4. Magnetostatik
ein Magnetfeld verursachen kann. Daher wählt man folgende Definition des Dipolmoments
(siehe Abbildung 4.4):
pm = IA · n
(4.14)
Eine praktische Umsetzung dieser Definition wäre eine einfache Leiterschleife oder ein
Leiterrechteck. Speziell letzteres wollen wir uns nun anschauen, dazu betrachten wir ein
Leiterrechteck mit den Seitenlängen u und v. Es ist frei drehbar aufgehängt und wird von
einem Strom der Stärke I durchflossen.
Abbildung 4.5: Ein Beispiel für ein frei aufgehängtes Leiterrechteck mit Seitenlängen u und v, das von
einem Strom der Stärke I durchflossen wird.
Man schaltet nun zusätzlich ein äußeres Magnetfeld B ein, welches die Fläche durchströmt
(aber nicht notwendigerweise parallel zum Flächennormalenvektor ist), so wird das Dipolmoment, welches das Leiterrechteck aufgrund seines Stromes besitzt, auf das Magnetfeld
reagieren. Die gegenüberliegenden Seiten der Länge u erfahren eine Lorentz-Kraft:
FL = u · I · (ea × B)
Die Lorentz-Kraft auf die Seiten v würde nun eine Kraft ausüben, welche nicht zur Drehung um die freie Achse führen würde, daher brauchen wir sie hier nicht zu berücksichtigen. Das Leiterrechteck bildet einen starren Körper. Greift eine Kraft an einem starren
Körper nicht im Schwerpunkt an, so erzeugt sie ein Drehmoment! Dies ist auch hier der
Fall, für das Drehmoment ergibt sich insgesamt:
D = pm × B
(4.15)
Das Leiterrechteck richtet sich also innerhalb des Magnetfeldes so aus, dass des Flächennormalenvektor letztendlich senkrecht auf dem Magnetfeld steht.
4.2. Magnetfelder stationärer Ströme
109
Kapitel 4. Magnetostatik
4.3 Kraftwirkung des magnetischen Feldes
Auf ein geladenes Teilchen - beispielsweise ein Elektron - wirkt im elektrischen Feld die
Coulombkraft. Diese übt auf das Teilchen abhängig von dessen Ladung eine Kraft in
Richtung oder entgegen der Richtung des elektrischen Feldes aus, es gilt E = q · E.
Auch magnetische Felder üben unter bestimmten Umständen eine Kraft auf ein geladenes
Teilchen aus, welches sich durch sie hindurch bewegt. Als Beispiel sei wie in Abbildung
XYZ dargestellt ein Elektron gegeben, welches mit einer Geschwindigkeit v = v0 ·ex in ein
Magnetfeld B = B0 ey fliegt. Experimentell kann man eine solche Situation beispielsweise
in einem Fadenstrahlrohr beobachten. Eine genauere Beobachtung zeigt:
• Das Teilchen wird durch das Magnetfeld in eine Kreisbahn abgelenkt. Es muss also
eine Kraft wirken, welche senkrecht zur Geschwindigkeit und zum Magnetfeld steht.
• Je größer die Ladung des Teilchens ist, desto geringer ist der Radius der Kreisbahn,
folglich steigt die wirkende Kraft mit der steigender Ladung.
|F| ∝ q
• Je kleiner die Geschwindigkeit, desto größer ist der Radius der Kreisbahn, folglich
sinkt die wirkende Kraft mit sinkender Geschwindigkeit.
|F| ∝ |v|
• Je kleiner das Magnetfeld, desto größer ist der Radius der Kreisbahn, folglich sinkt
die wirkende Kraft mit sinkender Magnetfeldstärke.
|F| ∝ |B|
Insgesamt ergibt sich daraus die sogenannte Lorentz-Kraft, welche die auf ein geladenes
Teilchen im Magnetfeld wirkende Kraft angibt.
FL = q · (v × B)
(4.16)
Zusammen mit dem elektrischen Feld ergibt sich die allgemeine Lorentzkraft, welche die
Kraftwirkung auf ein elektrisch geladenes Punktteilchen (Monopol) in einem elektromagnetischen Feld vollständig beschreibt:
FL = q · (E + v × B)
4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes
(4.17)
110
Kapitel 4. Magnetostatik
4.3.1 Das Fadenstrahlrohr
Ein Beispiel für ein Fadenstrahlrohr ist in Abbildung 4.62 dargestellt. Mit Hilfe einer
Anordnung aus Glühkathode und Lochanode werden - wie in alten Röhrenbildschirmen
- freie Elektronen erzeugt und mittels der Lochanode in eine Richtung beschleunigt und
gebündelt - daher der Name Fadenstrahl.
Abbildung 4.6: Darstellung eines Fadenstrahlrohrs2 .
Dies geschieht innerhalb eines Glaskolbens, welcher mit einem Gas bei niedrigem Druck
gefüllt ist. Die Elektronen des Fadenstrahls können dieses Gas zum Leuchten anregen,
womit sich die Spur der Elektronen und damit ihre Flugbahn visualisieren lässt. Die
Spannung zwischen Anode und Glühkathode UB bestimmt die Energie der Elektronen
beim Austritt aus dem Anodenloch. Ein Vergleich mit der kinetischen Energie liefert die
Geschwindigkeit der Elektronen.
1
e · UB = me v 2
2
r
2eUB
⇒v=
me
Hierbei ist me die Elektronenmasse. Nun wird das Fadenstrahlrohr senkrecht zur Austrittsrichtung der Elektronen von einem homogenen Magnetfeld durchflutet. Dies kann
beispielsweise durch ein Helmholtz-Spulenpaar realisiert werden. Wie wir bereits wissen,
werden die Elektronen nun vom Magnetfeld auf einen Kreisbahn gezwungen, deren Radius wir nun berechnen wollen. Dazu setzen wir die Zentripetalkraft mit der Lorentz-Kraft
gleich. Innerhalb des Kolbens soll kein elektrisches Feld herrschen und wir behandeln die
Kräfte betragsmäßig:
me
v2
= e · |v × B| = e · |v| · |B| · sin (∠v, B)
r
Weiterhin wissen wir, dass der Geschwindigkeitsvektor senkrecht zum magnetischen Feld
2
Aus: Demtröder, Wolfgang: Experimentalphysik 2 : Elektrizität und Optik. 6. Aufl.. Berlin Heidelberg
New York: Springer-Verlag, 2014.
4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes
111
Kapitel 4. Magnetostatik
steht, womit der Sinus des eingeschlossenen Winkels 1 wird.
v2
= e · |v| · |B|
r
me v
⇒r=
eB
me
Mit der bereits bestimmten Geschwindigkeit der Elektronen ergibt sich insgesamt:
r
√
2UB
me
·
r=
B
e
Der Quotient aus Masse und Ladung wird auch spezifische Ladung genannt und ist eine
mit einem Fadenstrahlrohr bestimmbare Größe des Elektrons, da die Stärke des Magnetfelds und die Beschleunigungsspannung von außen vorgegeben werden, wohingegen der
Radius gemessen werden kann. Eine elektrische Ladung kann in einem elektrischen Feld
beschleunigt werden, beim magnetischen Feld haben wir jedoch angenommen, dass die
Geschwindigkeit betragsmäßig konstant bleibt und die von der Lorentzkraft ausgeübte
Beschleunigung lediglich die Richtung der Geschwindigkeit ändert. Um dies zu zeigen betrachten wir die zeitliche Änderung der kinetischen Energie eines Teilchens mit Ladung q
mit einer Geschwindigkeit v in einem Magnetfeld B. Es gilt:
Ekin =
m 2
m
v ⇒ Ėkin =
· 2 · v · v̇ = m · v · v̇
2
2
(4.18)
Mittels des 2. Newtonschen Gesetzes F = m · a können wir die wirkende Kraft, die
Lorentzkraft FL = q · (v × B) einführen:
Ėkin = q · v · (v × B) = 0
(4.19)
Das Kreuzprodukt in Klammern erzeugt einen Vektor, welcher senkrecht zu B und auch
senkrecht zu v steht. Damit muss das äußere Skalarprodukt mit v verschwinden, womit
die zeitliche Änderung der kinetischen Energie einer Punktladung in einem Magnetfeld
verschwindet.
Ein räumlich und zeitlich konstantes Magnetfeld verrichtet an einer Punktladung keine Arbeit.
Der Wien-Filter
Als letztes Beispiel soll noch eine Kombination aus elektrischem und magnetischen Feld
betrachtet werden, die genaue Anordnung ist in Abbildung 4.7 dargestellt. Ein Plattenkondensator erzeugt ein statisches und homogenes elektrisches Feld zwischen seinen
Platten. Senkrecht dazu wird ein ebenfalls statisches und homogenes Magnetfeld erzeugt.
Werden nun geladene Teilchen, beispielsweise Ionen von Elementen beliebiger Masse und
Geschwindigkeit, senkrecht zu beiden Feldern in den Kondensator geleitet, so erfahren sie
zum einen eine elektrostatische Kraft zu einer der beiden Kondensatorplatten (abhängig
4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes
112
Kapitel 4. Magnetostatik
vom Vorzeichen ihrer Ladung). Zum anderen werden sie jedoch vom Magnetfeld ebenfalls
in eine der beiden Richtung abgelenkt. Wir wollen nun bestimmen, in welchem Fall ein
Kräftegleichgewicht zwischen elektrostatischer Kraft und Lorentzkraft vorliegt. Es soll
also gelten:
FL = q · (E + v × B) = 0
(4.20)
Dazu legen wir das Koordinatensystem so, dass die Ionen in Richtung der z-Achse fliegen,
es gilt also v = v0 ez . Das elektrische Feld liegt in x-Richtung, das magnetische Feld in
y-Richtung an, womit E = E0 ex und B = B0 ey gilt. Damit folgt:
FL = q · (E + v × B)
= q · (E0 ex + v0 B0 ez × ey )
= q · (E0 − v0 · B0 )ex
Damit die wirkende Kraft verschwindet muss der Term in Klammern verschwinden. Daraus folgt:
E0
E 0 − v0 · B 0 = 0 ⇒ v0 =
B0
Alle Teilchen mit dieser Geschwindigkeit werden von der Anordnung nicht beeinflusst und
passieren den Kondensator ohne abgelenkt zu werden. Damit eignet sich diese Anordnung
hervorragend, um Teilchen nach ihrer Geschwindigkeit zu sortieren. Man nennt eine solche
Anordnung daher auch Geschwindigkeitsfilter.
Abbildung 4.7: Darstellung eines Wien-Filters. Die geladenen Teilchen treten auf der linken Seite ein
und können den Spalt auf der rechten Seite nur passieren, wenn ihre Geschwindigkeit nah an v0 liegt.
4.3.2 Hall-Effekt
Die Lorentzkraft bewirkt eine Ablenkung der Ladungsträger eines Leiters senkrecht zum
Magnetfeld und zur Stromrichtung wie im vorigen Abschnitt diskutiert wird. Diese Ablenkung führt zu einer Ladungstrennung, die wiederum ein elektrisches Feld EH erzeugt.
Die Ladungstrennung schreitet so lange fort, bis das sich aufbauende elektrische Feld eine der Lorentzkraft FL = nq(v × B) entgegen gerichtete gleich große elektrische Kraft
Fc = nqEH bewirkt. Bei einem Leiter mit rechteckigem Querschnitt A = bd führt dieses
4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes
113
Kapitel 4. Magnetostatik
elektrische Feld zu einer Hall-Spannung
UH =
Z
EH · ds
zwischen den gegenüberliegenden Seitenflächen im Abstand b. UH soll hier die Spannung
zwischen oberer und unterer Seitenfläche sein. Aus der Relation
qEH = −q(v × B)
folgt mit der Beziehung j = nqv für die Hall-Spannung. Mit Hilfe der Abbildung und
unter Berücksichtigung von I = jbd ergibt sich
UH = −
(j × B)b
nq
In Metallen und in den meisten Halbleitern sind die Ladungsträger Elektronen mit der
Ladung q = −e, so dass man eine positive Hallspannung misst:
UH =
IB
ned
Manche Halbleiter zeigen jedoch eine negative Hallspannung! Dies lässt sich folgendermaßen verstehen: Bei diesen Halbleitern tragen überwiegend Elektronen-Defektstellen, so
genannte Löcher, zur Leitung bei. Ein Elektron besetzt bei seiner Bewegung im elektrischen Feld ein Loch neben seinem bisherigen Platz. Das Loch, welches dieses Elektron
hinterlässt, wird von einem anderen Elektron besetzt usw. Das Loch wirkt wie ein positives
Teilchen, welches sich mit einer Driftgeschwindigkeit v+
D bewegt, die entgegengesetzt zur
−
Driftgeschwindigkeit vD der Elektronen ist und deren Betrag sich von |v−
D | unterscheidet.
Die Messung der Hall-Spannung ist eine empfindliche Methode, Magnetfeldstärken zu
bestimmen. Dazu benutzt man kalibrierte Hall-Sonden mit bekannter Empfindlichkeit der
Sonde S = UR /B. Bei vorgegebener Stromdichte j wird die Hall- Spannung umso größer,
je kleiner die Ladungsträgerdichte n ist! Dann ist nämlich die Driftgeschwindigkeit vD
und damit die Lorentzkraft größer. Halbleiter haben etwa 106 -mal kleinere Werte für n
als Metalle. Hallsonden werden unter anderem in zerstörungsfreien Prüfverfahren z. B.
bei Streuflussverfahren verwandt.
UH
e
-
B
+ + +
+ + +
+ + +
j = n e vD
b
d
Abbildung 4.8: Hall Effekt
4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes
114
Kapitel 4. Magnetostatik
4.4 Magnetismus in Materie
Je nach Aufbau eines Festkörpers reagiert dieser unterschiedlich auf ein äußeres, ihn durchsetzendes Magnetfeld. Man unterscheidet dabei mögliche Verhaltensweisen des Körpers
auf die Anwesenheit des Magnetfelds, die wichtigsten sind dabei der Dia- , Para- und
Ferromagnetismus. Diese Eigenschaften machen sich dadurch bemerkbar, dass in allen
Gesetzen und Formeln, welche die magnetische Vakuumpermeabilität µ0 beinhalten, diese
durch die magnetische Permeabilität µ ersetzt wird:
µ = µ0 µr
Diese ergänzt somit die Vakuumpermeabilität um eine materialspezifische, dimensionslose Permeabilitätszahl µr , welche quasi eine Verstärkung (µr > 1) oder Abschwächung
(µr < 1) der magnetischen Effekte angibt. Abhängig vom Wert dieser Zahl unterscheidet
man die jeweiligen Verhaltensweisen.
Ursache dieser Verstärkung oder Abschwächung ist die Ausrichtung der Elementarmagnete als Antwort auf die Anwesenheit eines äußeren Feldes. Qualitativ wird diese Ausrichtung
als Magnetisierung M beschrieben.
Abbildung 4.9: Oben: Mit µr < 1 richten sich die Elementarmagnete so aus, dass das von ihnen erzeugte
Magnetfeld, die Magnetisierung M, das äußere Feld Ba im Innern kompensiert, sodass das resultierende
Feld Bi im Innern entsteht. Unten: Der umgekehrte Fall, hier wird das äußere Feld verstärkt.
Da die Magnetisierung also durch die Ausrichtung der Elementarmagnete, in unserem
Fall vereinfacht der Ausrichtung der Dipolmomente pm , verursacht wird, können wir die
Magnetisierung als Dipolmoment pro Volumen V definieren:
M=
1 X
pm
V V
(4.21)
Abhängig von µr kann man nun Stoffe in verschiedene Arten des Magnetismus einordnen.
4.4. Magnetismus in Materie
115
Kapitel 4. Magnetostatik
4.4.1 Diamagnetismus
Diamagnetische Substanzen zeichnen sich dadurch aus, dass ein äußeres Magnetfeld, welches in den Festkörper eindringt, ein inneres Magnetfeld induziert, welches dem Äußeren
entgegengesetzt gerichtet ist. Ausschlaggebend ist hier der Begriff induziert, da Diamagnete kein permanentes Dipolmoment besitzen. Erst das äußere Feld erzeugt (induziert)
diese Dipolmomente. Effektiv ergibt sich somit eine Abschwächung des äußeren Magnetfelds innerhalb der Substanz (Superposition der Feldlinien). Die Substanz versucht damit,
das äußere Magnetfeld wieder aus ihrem Verbund hinaus zu drängen.
Für einen Diamagneten gilt also 0 ≤ µr < 1, er erzeugt mit den induzierten Dipolmomenten eine Magnetisierung welche dem äußeren Magnetfeld entgegen gerichtet ist.
Im Grunde sind alle chemischen Elemente diamagnetisch, da der Diamagnetismus (wie alle magnetischen Eigenschaften) ein quantenmechanischer Effekt der Elektronen im Atom
ist, welche jedes Element besitzt. Besonders ausgeprägt ist er beispielsweise bei Kohlenstoff. Dies führt dazu, dass man Kohlenstoff in Form von dünnen Graphit-Plättchen sogar
über starken Dauermagneten schweben lassen kann (magnetische Levitation).
Perfektioniert wird diese Eigenschaft im supraleitenden Zustand. Gebräuchlich ist, dass
ein Supraleiter sich dadurch auszeichnet, dass er unterhalb einer charakteristischen Sprungtemperatur seinen elektrischen Widerstand verliert und zum idealen Leiter wird. Dies ist
allerdings nur die halbe Wahrheit, der supraleitende Zustand ist nur dann erreicht, wenn
der Körper dann auch zum idealen Diamagneten wird. Das bedeutet, dass für seine Permeabilitätszahl µr = 0 gilt. Er verdrängt ein äußeres magnetisches Feld also vollständig
dadurch, dass er ein inneres Feld aufbaut, welches das äußere vollständig kompensiert.
Dieser als Meißner-Ochsenfeld bekannte Effekt sorgt dafür, dass ein Supraleiter über einem starken Magnetfeld schwebt.
4.4.2 Paramagnetismus
Zwar ist der Diamagnetimus eine intrinsische Eigenschaft jedes Elements, jedoch existieren weitere magnetische Eigenschaften, deren Ausprägung wesentlich stärker sein kann
und somit den Diamagnetismus überwiegen.
Ein Beispiel dafür ist der Paramagnetismus. Er wohnt allen Elementen und Verbindungen
inne, welche ein permanentes, magnetisches Dipolmoment besitzen. Dieses Dipolmoment
ist von der Elektronenkonfiguration des Elements abhängig, was erklärt, wieso manche
Elemente Para- und andere Diamagneten sind.
Somit kann ein Paramagnet theoretisch auch eine Magnetisierung aufweisen, ohne dass ein
äußeres Magnetfeld anliegt. Praktisch beobachtet man jedoch, dass aufgrund der thermischen Bewegung der Atome keine Anordnung der Dipolmomente zustande kommt, welche
eine makroskopisch messbare Magnetisierung erzeugt. Ohne äußeres Feld gilt also:
M=
4.4. Magnetismus in Materie
1 X
pm = 0
V V
116
Kapitel 4. Magnetostatik
Auch beim Diamagneten stimmt diese Gleichung für ein verschwindendes äußeres Magnetfeld. Der wichtige Unterschied ist jedoch, dass beim Diamagneten jedes einzelnen
pm ebenfalls verschwindet, beim Paramagneten jedoch verschwinden diese jedoch nicht,
sondern kompensieren sich jeweils zu Null.
Abbildung 4.10: Links: Ba = 0: Die thermischen Energie sorgt dafür, dass die Richtungen dieser
Momente statistisch gleich verteilt sind. Alle Momente addieren sich zu einer verschwindenden Magnetisierung. Rechts: Ba > 0: Die permanenten, magnetischen Dipolmomente orientieren sich am äußeren
Feld und richten sich aus, sodass sich eine Magnetisierung verschieden von Null ergibt.
Durchflutet nun ein äußeres Magnetfeld einen Paramagneten, so richten sich die magnetischen Dipole wie bereits bekannt in Richtung des Feldes aus und verstärken es somit.
Es gilt damit also für einen Paramagneten µr > 1.
Die Dipole sind jedoch nicht untereinander gekoppelt, sodass die Ausrichtung nur schwach
ist. Außerdem kann die eigene Wärmebewegung der Atome (Gitterschwingungen im Festkörper,
Phononen) diese Ausrichtung stören, sodass µr insgesamt nie sehr viel größer als Eins wird.
Die Magnetisierung eines Paramagneten verschwindet nach Abschaltung des äußeren Magnetfelds aufgrund von thermischen Bewegungen rasch wieder.
4.4.3 Ferromagnetimus
Der bekannteste Vertreter des Magnetismus ist der Ferromagnetismus. Fälschlicherweise
werden solche Stoffe oftmals selbst als magnetisch deklariert, was aber nicht der Wahrheit
entspricht. Vielmehr zeigen Ferromagnete nur eine weitaus stärkere, makroskopische Reaktion auf ein magnetisches Feld. Die Magnetisierung ist hier ein vielfaches höher als bei
einem Paramagneten. Im Unterschied zum Paramagneten behalten Ferromagnete jedoch
einen Teil ihrer Magnetisierung auch nach abschalten des äußeren Feldes.
Ferromagnete verstärken das äußere Feld durch gekoppelte Ausrichtung ihrer intrinsischen
magnetischen Momente, deren Träger die Spins der Elektronen sind. Diese Verstärkung ist
weitaus stärker als beim Paramagnetismus, Werte von µr >> 1 sind üblich. Die bekanntesten ferromagnetischen Elemente sind Kobalt (µr ≈ 150), Nickel (µr ≈ 1000) und Eisen
(µr ≈ 6000). Die angegebenen Werte sind nur Mittelwerte, die genaue Permeabilität ist
wesentlich vom Reinheitsgrad und der Art der Verunreinigung abhängig. Daher ist beispielsweise auch Edelstahl, welcher zum Großteil aus Eisen besteht, nicht ferromagnetisch
(wird nicht von einem Magneten angezogen).
4.4. Magnetismus in Materie
117
Kapitel 4. Magnetostatik
Verhalten eines Ferromagneten
Legt man spontan ein äußeres Magnetfeld an einen Ferromagneten an, so steigt die Magnetisierung erst linear mit der Feldstärke, später flacht der Verlauf ab und konvergiert
gegen die Sättigungsmagnetisierung. In diesem Zustand sind alle Dipole vollständig in
Richtung des äußeren Magnetfelds ausgerichtet, die Magnetisierung ist maximal. Schaltet
man nun das äußere Feld Ba ab, so bleibt auch für Ba = 0 eine Magnetisierung bestehen,
die sogenannte Remanenz oder Restmagnetisierung. Sie ist es, welches einem mit einem
Dauermagneten behandelten Stück Eisen ermöglicht, als provisorische Kompassnadel zu
dienen.
Fährt man das äußere Magnetfeld nun jedoch langsam hoch, so erkennt man, dass der vermeintlich lineare Verlauf eine eher treppenförmige Struktur aufweist. Diese Sprünge von
Stufe zu Stufe nennt man Barkhausen-Sprünge. Sie lassen sich damit erklären, dass sich
immer nur Gruppen von magnetischen Momenten gleichzeitig ausrichten, nie einzelnen
Momente allein. Diese Gruppen nennt man Weiß’sche Bezirke oder (ferro)magnetische
Domänen. Da diese Bezirke statistisch beliebig geformt sind und mal mehr, mal weniger
Dipole einschließen, klappen sie alle bei verschiedenen Stärken des äußeren Magnetfelds
um. Dies verursacht dann die Barkhausen-Sprünge.
Bei hohen Temperaturen, genauer bei Temperaturen über der charakteristischen CurieTemperatur TC (für Eisen TC ≈ 1000 K), verliert ein Stoff seine ferromagnetischen Eigenschaften. Er bleibt aber für alle T > TC weiter paramagnetisch.
Verdampft man einen Ferromagneten, so sind die Moleküle bzw. Atome der Gasphase paramagnetisch. Dies deutet darauf hin, dass der Ferromagnetismus ein Anordnungsphänomen der Paramagnete ist, also auf der Anordnung magnetischer Momente beruht.
Genauere Betrachtung des Ferromagnetismus
Wie bereits angedeutet koppeln beim Ferromagnetismus die magnetischen Momente und
richten sich parallel in Richtung des äußeren Feldes aus, man bezeichnet dies als Ordnungsphänomen. Da die magnetischen Momente aus den Spins der Elektronen resultieren,
ist der Ferromagnetismus also die makroskopische Erscheinung der kollektiven, mikroskopischen Ausrichtung der Elektronenspins.
Klassisch könnte man nun vermuten, dass die Wechselwirkung der magnetischen Dipole diese Ausrichtung erzwingt. Nehmen wir für eine Beispielrechnung an, dass sich
zwei magnetische Momente, beispielsweise zwei Elektronenspins, im Abstand von einigen Å parallel zueinander ausrichten. Damit ergibt sich eine Wechselwirkungsenergie von
E ≈ 100 µeV. Die Wechselwirkungsenergie ist hierbei ein Maß für die Stärke der Kopplung der Spins. Daraus ergibt sich mit E = kB T eine korrespondierende Temperatur von
rund 1,2 K. Solange wir uns also nicht in der Nähe des absoluten Nullpunkts aufhalten,
sollten wir keine Ordnungsphänomene aufgrund des magnetischen Moments und dessen
Wechselwirkung erwarten, da jeder Anordnungsversuch direkt von thermischen Schwingungen zerstört würde. Diese Wechselwirkung ist also viel zu schwach (um einen Faktor
1000 im Vergleich zur thermischen Energie beispielsweise des Elektronengases im Eisen),
4.4. Magnetismus in Materie
118
Kapitel 4. Magnetostatik
um gegen die allseits vorhandenen, thermischen Wechselwirkungen zu bestehen. Dies erkennen wir allein schon daran, dass Ferromagnetismus auch bei Zimmertemperatur an
unserer Magnettafel funktioniert.
Die Ursache des Ferromagnetismus ist ein quantenstatistischer Effekt, der klassisch (also
mit der bisher bekannten klassischen Elektrodynamik) nicht erklärbar ist (beachten Sie
hierbei, dass Sie also beim Anheften einer neuen Notiz an ihre Magnetpinnwand einen
makroskopischen Quanteneffekt ausnutzen!).
Physikalische Systeme aller Art sind immer bestrebt, ihre Gesamtenergie zu minimieren.
Dies gilt auch für einen ferromagnetischen Festkörper. Einen entscheidenden Beitrag zu
dieser Gesamtenergie liefert hier die Austauschwechselwirkung. Diese Wechselwirkung ist
zwar quantenmechanisch induziert, ihr Beitrag zur Gesamtenergie ist jedoch rein elektrostatisch. Um die Herkunft dieser Wechselwirkung zu verstehen, ist es nötig, die quantenstatistische Natur von Elektronen näher zu beleuchten: Elektronen sind Fermionen.
Als Fermionen werden alle Teilchen bezeichnet, welche eine halbzahligen Spinquantenzahl aufweisen (1/2, 3/2, 5/2,...). Das Elektron hat die Spinquantenzahl 1/2. Teilchen
mit ganzzahligem Spin werden Bosonen genannt, beispielsweise sind Photonen mit ihrer
Spinquantenzahl von 1 Bosonen. Mit Hilfe der Quantenstatistik kann man nun zeigen,
dass sich Bosonen und Fermionen im Kollektiv fundamental unterscheiden. Bosonen bevorzugen es, gemeinsam im selben Zustand zu sein. Fermionen hingegen mögen es nicht,
im selben Zustand zu sein. Diese Eigenschaft der Fermionen ist im sogenannten PauliPrinzip definiert. Gleichzeitig sind die Elektronen im Festkörper ununterscheidbar. Das
Pauli-Prinzip und die Ununterscheidbarkeit der Elektronen führen nun zur sogenannten Austauschwechselwirkung. Zur Erklärung gilt es nun noch, den Begriff des Zustands
näher zu beleuchten. Wie bereits gesagt hat das Elektron die Spinquantenzahl 1/2. Das
Elektron kann bezüglich dieses Spins nun zwei Zustände einnehmen, welche über die Spinprojektionsquantenzahl gekennzeichnet sind. Für das Elektron kann sie ±1/2 betragen,
man spricht auch von Spin-Up (+1/2) und Spin-Down (-1/2). Damit verbunden ist auch
die Ausrichtung des magnetischen Dipolmoments des Elektrons. Vereinfacht gesagt entsprechen dann zwei Elektronen mit entgegengesetzter Spinprojektion zwei elementaren
Stabmagneten, welche umgekehrt zueinander angeordnet sind. Ihr erzeugtes Magnetfeld
kompensiert sich also. Wir betrachten nun zwei exemplarische Fälle:
• Zwei Elektronen sind in unterschiedlichen Zuständen, sprich eines in Spin-Up, das
andere in Spin-Down. Somit können sie sich beliebig nahe kommen, das PauliPrinzip greift nicht. Diese gegenseitige Nähe erzeugt eine Coulomb-Abstoßung, da
beide Elektronen negativ geladen sind. Diese Abstoßung erhöht die Gesamtenergie
des Systems. Sprich der Fall, dass die magnetischen Momente der Elektronen sich
gegenseitig kompensieren, ist energetisch hoch.
• Zwei Elektronen sind im gleichen Zustand. Aufgrund des Pauli-Prinzips halten diese
Elektronen von Natur aus Abstand zueinander (dies hat NICHTS mit Elektrostatik
zu tun, sondern ist ein rein quantenmechanischer Interferenzeffekt). Aufgrund dieses
natürlichen Abstandes ist die elektrostatische Abstoßung zwischen ihnen geringer,
damit ist auch die Gesamtenergie geringer. Sprich der Fall, dass magnetischen Momente der Elektronen parallel ausgerichtet sind, ist energetisch niedrig.
4.4. Magnetismus in Materie
119
Kapitel 4. Magnetostatik
Damit gilt, dass in bestimmten Konfigurationen von Elektronensystemen im Festkörper
eine parallele Ausrichtung der Spins bevorzugt wird, da sie energetisch günstiger ist. Auch
die Ausbildung von magnetischen Domänen (Weiß’sche Bezirke) hat ihren Ursprung in der
Minimierung der Gesamtenergie des Ferromagneten. Zuletzt liefert noch das vom Ferromagneten selbst erzeugte Magnetfeld einen Beitrag zur Gesamtenergie. Die Minimierung
dieser drei Beiträge Austauschenergie, Energie der magnetischen Domänen und Feldenergie führt zur Tatsache, dass Ferromagneten existieren und mikroskopisch so aufgebaut
sind, wie man sie vorfindet.
4.4. Magnetismus in Materie
120
5 Elektromagnetismus
Dieses Kapitel befasst sich nun mit dem Brückenschlag zwischen elektrischen und magnetischen Feldern. Das zwischen diesen beiden Feldern ein tieferer Zusammenhang besteht,
lässt sich bereits anhand des in Kapitel 3.1.1 besprochenen ohmschen Gesetz erkennen,
welches lautet:
j=σ·E
(5.1)
Es besagt, dass die Stromdichte - beispielsweise in einem Draht - proportional zum elektrischen Feld ist, wobei der Proportionalitätsfaktor als Leitfähigkeit bezeichnet wird. Gleichzeitig haben wir in Kapitel 4.2 berechnet, dass ein zeitlich konstant stromdurchflossener
Leiter ein zeitlich konstantes Magnetfeld erzeugt. Laut ohmschen Gesetz entspricht eine konstante Stromdichte einem jedoch auch einem konstanten elektrischen Feld. Somit
hängen elektrostatisches und magnetostatisches Feld eng miteinander zusammen. Dieser
Zusammenhang wird umso deutlicher, wenn wir nun zeitabhängige Felder betrachten.
5.1 Das Faradaysche Induktionsgesetz
Zur Herleitung dieses Gesetzes benötigen wir den magnetischen Fluss Φm :
Z
Φm = B dA
(5.2)
Wir haben diese Größe bereits in der Magnetostatik kennen gelernt. Wird das Integral
über eine geschlossene Oberfläche ausgeführt (Sphäre, Würfel, ...), so verschwindet das
Integral und damit der magnetische Fluss. Dies ist die mathematische Beschreibung der
Tatsache, dass magnetische Feldlinien immer geschlossen sind.
Michael Faraday (1791 - 1867) fand das nach ihm benannte Induktionsgesetz, welches die
in einem Leiter induzierte Spannung mit dem magnetischen Fluss in Verbindung setzt.
Es lautet:
Uind = −Φ̇m
(5.3)
In Worten: Die in einem Leiter induzierte Spannung ist gleich der negativen zeitlichen
Änderung des magnetischen Flusses.
Für ein homogenes Magnetfeld vereinfacht sich der magnetische Fluss:
Φm = B · A
121
(5.4)
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Die Produktregel liefert dann für die zeitliche Ableitung des Flusses:
Φ̇m = Ḃ · A + B · Ȧ
Eine Spannung wird also induziert, wenn:
• sich das die Leiteranordnung durchsetztende Magnetfeld zeitlich ändert.
• sich die vom Magnetfeld durchsetzte Fläche der Leiteranordnung zeitlich ändert.
Wir wollen dies an zwei Beispielen verdeutlichen.
Beispiel 1: Leiterschleife durch Magnetfeld
Gegeben sei nun eine Situation, wie sie in Abbildung 5.1 dargestellt ist.
Abbildung 5.1: Eine rechteckige Leiterschleife wird mit konstanter Geschwindigkeit geradliniggleichförmig durch ein räumlich scharf begrenztes Magnetfeld geführt. Dabei wird die in ihr induzierte
Spannung gemessen.
Durch ein räumlich scharf begrenztes Magnetfeld wird eine Leiterschleife mit konstanter
Geschwindigkeit v gefahren. Wir wollen berechnen, wie der Spannungsverlauf der induzierten Spannung, welche an einem hypothetischen Messgerät angezeigt würde, aussieht.
1. Die Schleife tritt in das Magnetfeld ein
Da das Magnetfeld zeitlich konstant und homogen ist, gilt: Ḃ = 0. Berührt die rechte
Seite der Schleife das Magnetfeld zum Zeitpunkt t = 0, so gilt für die durchsetzte
Fläche:
A(t) = h · b(t) · n
=h·v·t·n
5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz
122
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Hierbei ist n der Flächennormalenvektor. Dies gilt bis zum dem Zeitpunkt, wo die
gesamte Schleife in das Magnetfeld eingetaucht ist. Dieser Vorgang dauert bis zum
Zeitpunkt t1 = b/v. Die induzierte Spannung ist in dieser Phase also wie folgt
gegeben:
Uind = −Φ̇m
= −ḂA − BȦ
= −BȦ
= −B · n · hv
= −Bhv
Da das Magnetfeld parallel zum Flächennormalenvektor liegt, reduziert sich das
Skalarprodukt zu B, was dem Betrag des Magnetfelds entspricht.
2. Die Schleife ist vollständig im Magnetfeld
Während dieser Zeit ändert sich die durchsetzte Fläche nicht, es gilt A(t) = bh =
const. Während die Schleife vollständig im Magnetfeld ist wird damit keine Spannung induziert, da auch das Magnetfeld weiterhin konstant bleibt. Dies gilt vom
Zeitpunkt t1 = b/v bis zum Zeitpunkt t2 = (L − b)/v.
3. Die Schleife verlässt das Magnetfeld
Zum Zeitpunkt t2 = (L − b)/v verlässt die Leiterschleife das Magnetfeld, weiterhin
mit der konstanten Geschwindigkeit v. Damit gilt für die durchsetzte Fläche A(t):
A(t) = h · b(t) · n
= h · (b − v · (t − t2 )) · n
= h · (L − vt) · n
Dies gilt solange, bis die Schleife das Magnetfeld vollständig verlassen hat, was zum
Zeitpunkt t3 = L/v geschieht. Die induzierte Spannung ist in dieser Phase also wie
folgt gegeben:
Uind = −Φ̇m
= −ḂA − BȦ
= −BȦ
= +B · n · hv
= Bhv
Der gesamte Verlauf ist in Abbildung 5.2 dargestellt.
5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz
123
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Abbildung 5.2: Verlauf der induzierten Spannung. Beim Eintritt in das magnetische Feld (t = 0)
steigt die durchsetzte Fläche linear an, die Ableitung davon entspricht einem konstanten Wert, daher die
konstante Spannung. Zum Zeitpunkt t1 ist die Schleife vollständig in das Magnetfeld eingetaucht, die
durchsetzte Fläche ändert sich zeitlich also nicht mehr. Umgekehrt, aber in völliger Analogie verhält es
sich beim Austritt.
Beispiel 2: Rotierende Leiterschleife im Magnetfeld
In dieser Situation ist die Leiterschleife vollständig im vom Magnetfeld durchsetzten Bereich angeordnet, Abbildung 5.3 zeigt diese Anordnung. Die Leiterschleife soll dabei jedoch
mit einer festen Kreisfrequenz ω rotieren.
1. Ausgangslage
Zu Beginn soll gelten n k B. Damit ist die von der Schleife aufgespannte Fläche
A = b · h vollständig vom Magnetfeld durchsetzt.
2. Die Schleife dreht sich
Nach einer Zeit t hat sich die Schleife um einen Winkel φ = ω · t weiter gedreht.
Damit wächst der Winkel zwischen Magnetfeldvektor und Flächennormalenvektor.
Daraus folgt:
B · A = |B| · |A| · cos(φ) = B · A · cos(ωt)
| {z }
=A(t)
Hierbei ist A = b · h und B der Betrag des Magnetfelds. Wir identifizieren die
zeitliche Abhängigkeit als den zeitlichen Verlauf der durchsetzten Fläche.
3. Induzierte Spannung
Es gilt also
A(t) = A · cos(ωt)
5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz
124
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Für die zeitliche Änderung des magnetischen Flusses gilt somit:
✓ · A + B · Ȧ
Φ̇m = ✓
Ḃ
= B · A · ω · cos(ωt)
Damit ist die induzierte Spannung ebenfalls harmonisch:
Uind = B · A · ω · cos(ωt)
Weiterhin hängt sie von der Frequenz ab: Je schneller sich die Leiterschleife dreht,
desto größer ist die induzierte Spannung - das Prinzip jedes Generators.
Abbildung 5.3: Die Leiterschleife wird um eine Achse senkrecht zur Magnetfeldrichtung mit konstanter
Winkelgeschwindigkeit ω gedreht. Dabei ändert sich die durchsetzte Fläche und eine Spannung wird
induziert.
5.1.1 Verbindung zwischen magnetischem und elektrischem Feld
Wir betrachten nun den Fall einer Leiterschleife, deren Fläche A vollständig von einem
Magnetfeld durchdrungen wird. Dabei nehmen wir an, dass diese Fläche in Betrag und
Orientierung zeitlich konstant bleibt und lediglich das Magnetfeld eine Zeitabhängigkeit
besitzt. Gemäß des Faradayschen Gesetzes gilt also:
Z
(5.5)
Uind = − Ḃ dA
A
Wir kennen jedoch aus früheren Kapiteln eine genaue Definition der elektrischen Spannung
mittels des elektrischen Feldes:
I
U=
E ds
L
5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz
125
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Hierbei soll das Linienintegral über den Umfang L der Leiterschleife ausgewertet werden.
Wir setzen die beiden Ausdrücke für U gleich und wenden den Satz von Stokes an:
I
Z
E ds = − Ḃ dA
L
Z
Z A
⇒
rot E dA = (−1) · Ḃ dA
A
A
Da beide Integrale über die selbe Fläche integrieren, müssen beide Integranten für jedes
infinitesimale Flächenelement gleich sein, womit wir schreiben können:
rot E = −
dB
dt
(5.6)
Ein zeitlich veränderliches, magnetisches Feld erzeugt ein elektrisches Wirbelfeld!
Dies ist eine weitere der vier Maxwell-Gleichungen. Zu beachten ist, dass die hier erzeugten elektrischen Felder Feldlinien aufweisen, die in sich geschlossen sind. Dieses elektrischen Felder gehen nicht von einer Ladung aus, sondern von einem zeitlich veränderten
Magnetfeld. Dies kann leicht gezeigt werden, da elektrische Felder, welche aus Ladungen entstehen, sich als Gradientenfeld eines elektrostatischen Potentials darstellen lassen,
E = −grad φ. Jedoch verschwindet die Rotation eines Gradientenfeldes immer, es gilt
rot grad φ = 0. Somit kann das durch ein zeitlich veränderliches Magnetfeld erzeugte elektrische Feld nicht durch eine Ladung erzeugt sein, seine Feldlinien sind in sich
geschlossen. Abbildung 5.4 verdeutlicht dieses Verhalten.
Abbildung 5.4: In Abbildung (a) ist das elektrische Feld einer elektrostatischen Anordnung gezeigt. Die
Ladungen sind ortsfest, das elektrische Feld ist zeitlich konstant und kann durch den Gradienten eines
von den Ladungen erzeugten, elektrostatischen Potentials dargestellt werden - die Rotation verschwindet
folglich, die Feldlinien starten und enden bei den Ladungen. In Abbildung (b) sind keine Ladungen vorhanden, lediglich ein sich zeitlich änderndes Magnetfeld. Dieses induziert nun ein elektrisches Wirbelfeld
(welches in einem nahegelegenen Leiter eine Spannung induzieren könnte), dessen Feldlinien geschlossen
sind und somit eine nicht verschwindende Rotation aufweist.
5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz
126
Kapitel 5. Elektromagnetismus
5.1.2 Lenzsche Regel
Das negative Vorzeichen innerhalb von Gleichung (5.6) bezeichnet man auch als Lenzsche
Regel. Es rührt vom Induktionsgesetz (5.3) her. Wir nehmen wieder an, dass Ȧ = 0
gilt, daher können wir sagen Φm ∝ |Ḃ| und damit Uind ∝ −|Ḃ|. Im elektrotechnischen
Fall, sprich wenn wir tatsächlich mit Leiterschleifen und Spulen hantieren, ist dies eine
geeignete Näherung, da diese eine feste Fläche haben. Nun muss man jedoch bedenken,
dass eine induzierte Spannung, beispielsweise in einer Drahtspule, ihrerseits wieder ein
magnetisches Feld erzeugt. Man kann nun zeigen, dass dieses induzierte magnetische Feld
immer dem verursachten magnetischen Feld entgegen wirkt.
Die durch Induktion entstehenden Wirkungen (Ströme, Kräfte, Felder) sind
immer dem einleitenden Vorgang entgegen gerichtet.
5.2 Selbstinduktion
In Kapitel 3.3.2 hatten wir bereits die Spulengleichung verwendet, um den Stromfluss
durch eine Spule zu untersuchen. Wir wollen den Ursprung dieser Gleichung nun etwas
näher beleuchten.
Fließt ein Strom durch eine Spule, so können wir dies als den Stromfluss durch einen langen
Draht betrachten, welcher wie ein Telefonkabel wendelförmig aufgerollt ist. Gleichzeitig
wissen wir jedoch aus frühere Kapiteln, dass das magnetische Feld eines stromdurchflossenen Leiters in konzentrischen Kreise um den Leiter angeordnet ist. Abbildung 5.5
verdeutlicht dieses Verhalten für eine Ansammlung von Leiterschleifen, als welche wir uns
die Spule gut vorstellen können.
Wir sehen, dass sich innerhalb der Spule ein starkes Magnetfeld aufbaut, in welchem - wie
wir später sehen werden - magnetische Feldenergie konzentriert gespeichert werden kann.
Dies ist bereits eine erste Analogie zum elektrischen Feld in einem Kondensator.
Der magnetische Fluss durch diese Spule beinhaltet das magnetische Feld:
Z
Φm = B dA
(5.7)
Das magnetische Feld wiederum ist abhängig von der Stärke des in der Spule fließenden
Stroms, genauer gesagt proportional zu diesem, wie wir in vorigen Kapiteln gezeigt haben.
5.2. Selbstinduktion
127
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Abbildung 5.5: Die grauen Kreise stellen die Drähte der Spule dar. Im inneren bildet sich ein stark
konzentriertes, räumlich nahezu homogenes Magnetfeld aus. Damit stellt die Spule bezüglich der magnetischen Eigenschaften das Analogon zum Kondensator dar.
Die Proportionalitäten fasst man in einem Faktor L zusammen:
⇒ Φm =
Z
|B| ∝ I
B dA ∝ |B|
⇒ Φm ∝ I
⇒ Φm = L · I
Diesen Faktor bezeichnet man als Selbstinduktionskoeffizient oder schlicht Induktivität.
Aus dem Induktionsgesetz erhalten wir dann:
Uind = −L · I˙
(5.8)
Hierbei haben wir angenommen, dass L ein zeitunabhängiger Parameter der Spulengeometrie ist. Dies ist auch fast immer der Fall. Wir bezeichnen dieses Gesetz als Selbstinduktionsgesetz oder Spulengleichung. Es quantifiziert den Gedankengang, dass ein zeitlich
veränderter Strom durch die Spule ein Magnetfeld erzeugt. Dies entspricht einer zeitlichen Änderung des magnetischen Flusses durch die Spule, welcher seinerseits wieder eine
Spannung in die Spule induziert. Diese Spannung ist aufgrund der Lenzschen Regel der
Spannung, welche den Strom durch die Spule erzeugt, entgegengesetzt. Die Induktivität
der Spule hemmt damit also ihren eigenen Stromfluss.
5.2. Selbstinduktion
128
Kapitel 5. Elektromagnetismus
5.2.1 Magnetfeld einer Zylinderspule
Am Feldlinienbild sieht man, dass das Magnetfeld im Inneren der vom Strom I durchflossenen Spule (Abb. 5.5) mit N Windungen praktisch homogen ist und im Außenraum
demgegenüber vernachlässigbar klein ist, wenn der Durchmesser der Spule mit n Windungen pro Länge klein gegenüber ihrer Länge l ist. Wir integrieren auf dem in Abb. 5.5
gestrichelten Wege. Da nur die Strecke im Inneren einen merklichen Beitrag liefert, wird
I
Z A
Bds ≈
Bds = BL = µ0 N I
(5.9)
B
H
Dabei benützen wir, dass das H-Feld Hds = Ieingeschlossen ist. Hier ist n = N/l die vorher
erwähnte Windungszahl pro Länge. Für die Abschnitte AC und DB ist B ⊥ ds und außen
kann der Integrationsweg beliebig weit von der Spule entfernt gewählt werden, damit
B sehr klein wird. Das magnetische Feld im Spuleninneren ist bei dieser vereinfachten
Betrachtung homogen, d. h. unabhängig vom Ort!
5.2.2 Selbstinduktionskoeffizient einer Zylinderspule
Der magnetische Fluss durch die Querschnittsfläche A der Zylinderspule ist gegeben durch
Φ = BA = µ0 N I
Bei einer Änderung des Spulenstroms wird eine Änderung des Flusses induziert:
dΦ
dI
= µ0 N A
dt
dt
Dabei wird an den Enden der Spule eine Spannung induziert:
U = −N Φ = −µ0 n2 lA
dI
dI
= −L
dt
dt
(5.10)
Den Koeffizienten L = µ0 n2 V nennt man den Selbstinduktionskoeffizienten wobei V = lA
das Volumen der Spule ist.
5.2.3 Ein- und Ausschaltvorgang einer Spule
Einschaltvorgang einer Spule
Nun können wir analog zum Ein- und Ausschaltvorgang eines Kondensators auch den
einer Spule behandeln, wie im unteren Schaltbild dargestellt.
5.2. Selbstinduktion
129
Kapitel 5. Elektromagnetismus
ŨR (t)
R
U0(t)
Ũind(t)
L
Abbildung 5.6
Im Gleichstromfall gilt gemäß den Kirchhoffschen Gesetzen:
U0 + Uind = UR
U0 = I · R + L · I˙
Dies ist eine inhomogene Differentialgleichung 1. Ordnung. Inhomogen deshalb, da der
Term auf der linken Seite weder von I noch von einer Ableitung von I abhängt. Zur
Lösung geht man wie folgt vor:
1. Bestimmung der homogenen Lösung
Die homogene Lösung ergibt sich als Lösung der inhomogenen DGL mit verschwindender Inhomogenität, sprich U0 = 0. Daraus folgt:
I ·R+L·
dI
=0
dt
Dies ist eine separierbare Differentialgleichung, welche wir bereits im Zusammenhang mit dem Aufladen eines Kondensator gelöst haben. Umstellen liefert:
1
R
dI = − dt
I
L
Die Lösung dieser Gleichung ist durch
R
Ihom (t) = c · exp − t
L
gegeben. Der Index kennzeichnet die Tatsache, dass es sich hierbei um die homogene
5.2. Selbstinduktion
130
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Lösung handelt. Mit Hilfe dieser Lösung kann die Lösung der inhomogenen DGL
bestimmt werden.
2. Bestimmung der inhomogenen Lösung
Ein Verfahren zur Bestimmung dieser inhomogenen Lösung, also der Lösung der
Ausgangsgleichung mit U0 6= 0, ist die Methode der Variation der Konstanten.
Bei dieser wird angenommen, dass die Konstante c der homogenen Lösung eine
zusätzliche Zeitabhängigkeit aufweist. Daraus resultiert dann der folgende Ansatz
für die inhomogene Lösung:
R
Iinh (t) = c(t) · exp − t
L
Die erste zeitliche Ableitung wird mit Hilfe der Produktregel bestimmt:
˙Iinh (t) = ċ(t) · exp − R t − R c(t) · exp − R t
L
L
L
Wir setzen diese beiden Ausdrücke nun in die inhomogene DGL ein:
U0 = Iinh (t) · R + L · I˙inh (t)
R
R
R
R
= c(t) · exp − · t · R + L · ċ(t) · exp − · t − c(t) · exp − · t
L
L
L
L
✘✘
✘
✘✘✘
✘
R
R
R
R
✘
✘
✘
✘ · t · R + L · ċ(t) · exp − · t − L c(t) · exp
✘−
✘✘ − · t
= c(t) · exp
✘✘
✘✘✘
✘
L
L
L
L
✘
✘
✘
✘
R
= L · ċ(t) · exp − · t
L
Damit muss c folgende DGL erfüllen:
U0
exp
ċ(t) =
L
R
·t
L
Diese DGL ist wiederum separierbar, die Lösung lautet:
U0
R
c(t) =
· exp
·t
R
L
Insgesamt ergibt sich damit die inhomogene Lösung zu:
R
R
U0
· exp
· t · exp − · t
Iinh (t) =
R
L
L
U0
=
R
3. Bestimmung der Gesamtlösung
5.2. Selbstinduktion
131
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Die Gesamtlösung ist nun die Summe aus homogener und inhomogener Lösung:
U0
R
I(t) =
+ c · exp − · t
R
L
Zu Beginn soll kein Strom durch die Spule fließen. Technisch gesehen können wir
sagen, dass wir bei t = 0 den Schalter umlegen und damit den Stromkreis schließen.
Daher gilt I(t = 0) = 0. Mit dieser Anfangsbedingung können wir endgültig die
Gleichung für den Verlauf der Stromstärke beim Einschalten der Spule angeben:
I(t = 0) = 0 =
U0
U0
+c⇒c=−
R
R
Damit folgt als Lösung des Anfangswertproblems:
R
U0
· 1 − exp − · t
I(t) =
R
L
(5.11)
Abbildung 5.7 zeigt den Verlauf. Physikalisch gesehen sorgt die Lenzsche Regel
für den Verlauf. Wenn man die Spule einfach nur als Draht auffasst, dann sollte
der Strom direkt beim Umlegen des Schalters auf den Maximalwert U0 /R ansteigen (vorausgesetzt der Draht hat keinen Widerstand). Berücksichtigt man jedoch
die Tatsache, dass die Spule ein räumlich lokalisiertes Magnetfeld erzeugt, welches
seinerseits wieder Spannungen und somit Ströme induziert, ergibt sich zusätzlich
der Exponentialfaktor. Der induzierte Strom wirkt dem das Magnetfeld erzeugende
Strom entgegen.
Ausschaltvorgang einer Spule
Den Ausschaltvorgang haben wir mathematisch gesehen mit der Berechnung des Einschaltvorgangs bereits abgedeckt. In der Ausgangssituation ist der Schalter schon seit
langer Zeit geschlossen, durch die Spule fließt der Strom I0 = U0 /R. Nun wird der Schalter geöffnet, damit verschwindet die Spannungsquelle U0 und der Strom baut sich über
den Widerstand R ab. Mathematisch ergibt sich damit die selbe DGL wie bereits beim
Einschaltvorgang, lediglich die Inhomogenität U0 verschwindet, da der Stromkreis SpuleWiderstand nun nicht mehr mit der Spannungsquelle verbunden ist. Die Lösung dieser
homogenen DGL haben wir bereits berechnet:
R
I( t) = c · exp − t
L
Die Konstante c bestimmen wir diesmal über die Anfangsbedingung I(t = 0) = I0 =
U0 /R, da im Moment t = 0, wenn der Schalter geöffnet wird, der volle Strom durch den
Stromkreis Spule-Widerstand fließt. Damit ergibt sich:
R
U0
· exp − t
I( t) =
R
L
5.2. Selbstinduktion
132
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Der Strom baut sich also exponentiell gedämpft über den Widerstand ab. In diesem Fall
versucht die Spule also, den vorigen Zustand - einen konstanten Strom U0 /R - aufrecht
zu erhalten. Zusammengefasst besagt die Lenzsche Regel also auch, dass die Spule immer
versucht, ihren aktuellen Stromfluss konstant zu halten.
Abbildung 5.7: Verlauf des in der Schaltung fließenden Stroms beim Einschaltvorgang (rot) und Ausschaltvorgang (grün) einer Spule mit 1 mH in Serie mit einem Widerstand mit 1 kΩ. Die Zeitkonstante
liegt im einstelligen Mikrosekundenbereich.
5.3 Energie des Magnetischen Feldes
Die beim Abschalten der Spule, Abb. 5.7, verbrauchte Energie muss im Magnetfeld der
Spule gespeichert gewesen sein.
Z ∞
Z ∞
Wmagn =
IU dt =
I 2 Rdt
(5.12)
0
Mit Gleichung 5.10 wird dies zu
Z
Wmagn =
∞
0
0
1
I02 exp −(2R/L)/tRdt = I02 L
2
(5.13)
Da L = µ0 n2 V ist, wird die Energiedichte
wmagn =
1
1 B2
Wmagn
= µ0 n2 I02 =
V
2
2 µ0
5.3. Energie des Magnetischen Feldes
(5.14)
133
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Wir vergleichen die früher abgeleiteten Ausdrücke für die Energie W und die Energiedichte
w des elektrischen und des magnetischen Feldes:
1
Wmagn = LI 2
2
1
Wel = CU 2
2
1
wel = ε0 E 2
2
1 B2
wmagn =
2 µ0
(5.15)
Benutzt man die Beziehung ε0 µ0 = 1/c2 , so folgt für die Energiedichte des elektromagnetischen Feldes:
1
wem = ε0 E 2 + c2 B 2
(5.16)
2
In Materie mit relativer Dielektrizitätskonstante ε (D = εε0 E und B = µµ0 H) und
relativer Permeabilität µ wird Gleichung 5.16
wem =
1
(ED + BH)
2
(5.17)
5.4 Verschiebungsstrom
Verschiebungsstrom I
Leitungsstrom I
E-Feld E
Abbildung 5.8
In Abbildung 5.8 ist ein Stromkreis mit zeitlich veränderlichem Strom gezeigt. Von Clark
Maxwell wurde der sogenannte Verschiebungsstrom eingeführt. Wenn in den Leitungen
in der Abbildung 5.8 Strom I fließt, muss sich die Ladung Q auf den Kondensatorplatten
ändern. Diese Ladungen führen zu einer Änderung des elektrischen Feldes zwischen den
5.4. Verschiebungsstrom
134
Kapitel 5. Elektromagnetismus
Platten. Mit der Beziehung
I=
dQ
d
∂E
=
(ε0 AE) = ε0 A
dt
dt
∂t
(5.18)
kann diese Änderung berechnet werden. Diese Größe stellt einen Strom dar und wird
Verschiebungsstrom genannt. Die zugehörige Stromdichte ist dann:
jv = ε 0
∂E
∂t
(5.19)
Addiert man diesen Ausdruck zur Stromdichte des Amperschen Gesetz (Gl. 4.7), so erhält
man
I
Z
Bds = µ0 I = µ0 (j + jv )dA
(5.20)
Wir werden in der Vorlesung zur Optik noch lernen, dass ε0 µ0 = 1/c2 ist, wobei c die
Lichtgeschwindigkeit ist. Damit kann die Gl. 5.20 in differentieller Form geschrieben werden
1 ∂E
(5.21)
rotB = µ0 j + 2
c ∂t
Dieses Ergebnis besagt dass Magnetfelder nicht nur von Strömen erzeugt werden, sondern
auch von zeitlich veränderlichen elektrischen Feldern. Ohne diese Tatsache gäbe es keine
elektromagnetischen Wellen, die in der Vorlesung Optik behandelt werden.
Damit haben wir im Laufe dieser Vorlesung alle Maxwell-Gleichungen behandelt bzw.
abgeleitet:
∂B
rotE = −
∂t
1 ∂E
rotB = µ0 j + 2
(5.22)
c ∂t
ρ
divE =
ε0
divB = 0
Mit Hilfe von B = µ0 H und D = ε0 E kann man die Gleichungen verallgemeinern:
∂B
∂t
∂D
rotH = j +
∂t
divD = ρ
divB = 0
rotE = −
(5.23)
Zusammen mit der Lorentzkraft F = q(E + v × B) und der Newtonschen Bewegungsgleichung F = mb = ṗ (p ist der Impuls) beschreiben diese Gleichungen alle elektromagnetischen Phänomene.
5.4. Verschiebungsstrom
135
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