Skript zur Vorlesung Physik I für MWWT 21. November 2016 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 2 2 Elektrostatik 2.1 Elektrische Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Wechselwirkung zwischen Ladungen . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Superpositionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Felder an Metalloberflächen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Bewegung einer Punktladung in einem elektrischen Feld . 2.3 Potentielle Energie und Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Potentielle Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Interatomares Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Elektrostatisches Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Poisson-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Gauß’sches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Mathematischer Einschub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Gradient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Divergenz am Beispiel des Gaußschen Satzes . . . . . . . 2.6.3 Integration krummliniger Koordinaten . . . . . . . . . . 2.6.4 Vektorgradient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Der elektrische Dipol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1 Elektrischer Dipol im homogenen Feld . . . . . . . . . . 2.7.2 Elektrischer Dipol im inhomogenen Feld . . . . . . . . . 2.8 Kondensatoren und Feldenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.1 Parallelschaltung von Kapazitäten . . . . . . . . . . . . . 2.8.2 Serienschaltung von Kapazitäten . . . . . . . . . . . . . 2.8.3 Energie in einem Kondensator . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Elektrische Felder und Ladungen in Materie . . . . . . . . . . . 2.9.1 Leiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.2 Nichtleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Elektrische Schaltungen 3.1 Gleichstrom . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Das Ohmsche Gesetz . . . . . 3.1.2 Kirchhoffsche Regeln . . . . . 3.1.3 R-C-Kreis im Gleichstromfall i . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 7 8 9 15 20 21 24 24 29 31 32 33 37 43 43 45 48 50 50 52 52 55 56 57 58 61 61 65 . . . . 68 68 68 71 77 Inhaltsverzeichnis 3.2 3.3 Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen . . . . . . 3.2.1 Algebraische Betrachtung . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Geometrische Betrachtung . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Der Eulersche Satz . . . . . . . . . . . . . . . . Wechselstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Wechselstromkreis mit ohmschen Widerstand . 3.3.2 Wechselstromkreis mit induktivem Widerstand . 3.3.3 Wechselstromkreis mit kapazitivem Widerstand 3.3.4 Diskussion der vorherigen Ergebnisse . . . . . . 3.3.5 R-C-L-Serienschwingkreis . . . . . . . . . . . . 3.3.6 R-C-L-Parallelschwingkreis . . . . . . . . . . . . 3.3.7 Gemischte R-C-L-Schaltung . . . . . . . . . . . 3.3.8 Leistung im Wechselstromkreis . . . . . . . . . 3.3.9 Brückenschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Magnetostatik 4.1 Mathematischer Einschub: Rotation . . . . . 4.2 Magnetfelder stationärer Ströme . . . . . . . 4.2.1 Magnetfeld eines stromdurchflossenen 4.2.2 Gaußsches Gesetz für Magnetfelder . 4.2.3 Ampèrsches Gesetz . . . . . . . . . . 4.2.4 Das Vektorpotential . . . . . . . . . 4.2.5 Biot-Savart-Gesetz . . . . . . . . . . 4.2.6 Magnetische Dipole . . . . . . . . . . 4.3 Kraftwirkung des magnetischen Feldes . . . 4.3.1 Das Fadenstrahlrohr . . . . . . . . . 4.3.2 Hall-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Magnetismus in Materie . . . . . . . . . . . 4.4.1 Diamagnetismus . . . . . . . . . . . 4.4.2 Paramagnetismus . . . . . . . . . . . 4.4.3 Ferromagnetimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Elektromagnetismus 5.1 Das Faradaysche Induktionsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Verbindung zwischen magnetischem und elektrischem Feld 5.1.2 Lenzsche Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Selbstinduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Magnetfeld einer Zylinderspule . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Selbstinduktionskoeffizient einer Zylinderspule . . . . . . . 5.2.3 Ein- und Ausschaltvorgang einer Spule . . . . . . . . . . . 5.3 Energie des Magnetischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Verschiebungsstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 79 81 82 83 84 85 86 87 88 90 91 93 96 . . . . . . . . . . . . . . . 100 . 100 . 102 . 102 . 103 . 104 . 106 . 107 . 108 . 110 . 111 . 113 . 115 . 116 . 116 . 117 . . . . . . . . . 121 . 121 . 125 . 127 . 127 . 129 . 129 . 129 . 133 . 134 ii Dieses Vorlesungsskript entstand zunächst aus einem Skript, das die Grundlage der Vorlesung war, die von Prof. Dr. Müser im WS 2009/2010 gehalten wurde. Während einer Beurlaubung von Prof. Müser hielt Prof. Dr. W. Arnold diese Vorlesung vom WS 2011/2012 bis WS 2015/2016. W.A. dankt den Herren M. Becker, P. Fuchs, O. Leismann, Dr. S. Sukhomlinov, M. Thielen, M. Werth, und Frau N. Kirsch für die Übungsbetreuung und die tatkräftige Mithilfe bei der Erweiterung des Skripts. 1 Einleitung Wechselwirkungen Die Einteilung der Physik erfolgte früher nach den Sinneswahrnehmungen: • Sehen → Optik • Hören → Akustik • Tasten → Mechanik • Temperaturempfinden → Thermodynamik • Schmecken, Riechen → Chemie Aber: Die Sinne können täuschen! Deshalb werden messbare Größen benötigt. Die heute gängige Einteilung erfolgt daher gemäß der vier fundamentalen Wechselwirkungen (kurz WW) der Physik: • Gravitation: schwach, langreichweitig Die schwächste aller vier Wechselwirkungen, relevant nur für große Massenansammlungen wie Sterne und Planeten ⇒ Astronomie Theoretische Modelle zur Quantentheorie der Gravitation sind Gegenstand aktueller Forschung ⇒ Schleifenquantengravitation vs. Stringtheorie • Elektromagnetische Wechselwirkung: stark, langreichweitig Die Relativitätstheorie zeigt, dass magnetische und elektrische Kräfte untrennbar miteinander zusammen hängen. Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit elektrischer Felder bewirkt den Magnetismus und umgekehrt. Es ist die grundlegende Wechselwirkung zwischen den Atomen ⇒ Atomphysik, (Quanten-) Chemie, Festkörperphysik, Elektronik, Materialwissenschaften • Starke und schwache Wechselwirkung: beide stark, aber kurzreichweitig: Die schwache Wechselwirkung ist unter anderem für den Zerfall radioaktiver Elemente verantwortlich, wohingegen die starke Wechselwirkung die Atomkerne gegen die elektromagnetische Abstoßung der Protonen zusammenhält ⇒ Kernphysik, Elementarteilchenphysik 2 Kapitel 1. Einleitung Messungen Das Messen einer physikalischen Größe ist der Schlüssel zur experimentellen Erforschung der Natur. Daraus folgt unmittelbar, dass Normen beziehungsweise Definitionen für Maßeinheiten benötigt werden. Das wichtigste Einheitensystem ist das S.I. (système international des unités). Es besteht aus 7 Basiseinheiten, von denen 4 für den Elektromagnetismus von Bedeutung sind: • Länge: Meter; [l] = m → Historisch: Urmeter aus Platin in Paris ≈ 10−6 -ter Teil der Distanz vom Äquator zum Pol. Das Problem: thermische Fluktuationen! → Ersetzung durch: Legierung aus 90% Platin und 10% Iridium mit einer relativen Genauigkeit von 10−7 . → 1960 erneut ersetzt: Definition des Meters als das 1,6507 · 106 -fache der Wellenlänge des Lichts, das beim Übergang eines Elektrons von 5d5 → 2p10 in 86 Kr emittiert wird (rel. Genauigkeit 10−8 ). → Heute: Mit der exakten Definition der Vakuumlichtgeschwindigkeit auf c0 = 299 792 458 ms ist der Meter festgelegt als die Strecke, die das Licht im Vakuum in einer Zeit von 1/299792458 s zurücklegt. Der wichtigste Aspekt der Neuerung ist die ausschließliche Abhängigkeit von Fundamentalkonstanten. • Zeit: Sekunde; [t] = s Definiert durch ein Vielfaches der Periodendauer eines Hyperfeinstrukturübergangs in einem Nuklid des Cäsiums. Die Minute ist keine S.I.-Einheit! • Gewicht: Kilogramm; [m] = kg Definiert über das Urkilogramm in Paris. Das Kilogramm ist die einzige Einheit, die noch über ein Vergleichsobjekt definiert ist. Das Problem: Von 1950-1990 hat das Urkilogramm 50 µg an Masse verloren. Daher wird eine Neudefinition mit Hilfe der Avogadro-Konstante angestrebt. • Stromstärke: Ampère; [I] = A Definition über die Anziehungskraft zweier unendlich langer Drähte, die sich im Vakuum in einem Meter Abstand befinden. • 3 weitere Größen, die in diesem Kurs nicht weiter von Interesse sind. Alle anderen Einheiten können aus den Basiseinheiten zusammengesetzt werden, beispielsweise: • Frequenz: [ν] = Hz = 1s ; Hertz • Kraft: [F ] = N = kg·m ; s2 • Energie: [E] = J = Newton kg·m2 ; s2 Joule 3 Kapitel 1. Einleitung • Ladung: [Q] = C = A · s; Coulomb Das S.I. System ist ein metrisches System. Das heißt alle verwendeten Einheiten setzten sich aus den Grundeinheiten - oder einem dezimalen Vielfachen davon - zusammen. Wichtige Kurzformen für dezimale Vielfache: 103 = k, kilo; 106 = M , Mega; 109 = G, Giga; 1012 = T , Tera; 1015 = P , Peta 10−3 = m, milli; 10−6 = µ, mikro; 10−9 = n, nano; 10−12 = p, piko; 10−15 = a, atto Auch üblich: d für dezi (10−1 ) und c für centi (10−2 ) Beispiel: Das Gravitationsgesetz Das Gravitationsgesetz liefert einen Ausdruck für die Kraft, welche zwei punktförmige Massen m1 und m2 an den Orten R1 und R2 aufeinander ausüben. Für die Kraft, welche der Massepunkt m1 aufgrund der Anwesenheit des Massepunkts m2 erfährt, gilt: m1 · m2 R21 · F1 = γ · 2 R21 R21 | {z } |{z} Betrag Hierbei ist R21 (1.1) Richtung q = |R21 | = |R2 − R1 | = (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 + (z2 − z1 )2 , die Konstante γ ist die Gravitationskonstante: γ = 6, 67 · 10−11 m3 kg s2 Abbildung 1.1: Skizze der obigen Situation. Die Massenpunkte m1 und m2 befinden sich an den Stellen R1 und R2 , ihr Abstand beträgt also |R21 | = |R2 − R1 |. Die Gravitationskraft ist - wie alle Kräfte - eine gerichtete Größe, mathematisch handelt es sich also um einen Vektor. Ihre betragsmäßige Stärke hängt dabei nur vom Abstand R21 4 Kapitel 1. Einleitung ab. Die Gravitation ist immer attraktiv, also anziehend! Der gegenteilige Fall der repulsiven Wechselwirkung ist unter anderem bei der später folgenden Coulomb-Wechselwirkung möglich. Bemerkung: Vektoren werden im laufenden Text oft als fett gedruckt dargestellt, wohingegen in Zeichnungen oft die übliche Schreibweise mit einem Pfeil über dem Buchstaben gewählt wird. Beide Darstellungen sind identisch, es gilt also R~1 = R1 . Erdbeschleunigung Als Beispiel soll nun die Erdbeschleunigung g berechnet werden. Es handelt sich dabei also um die Beschleunigung, die ein Körper an der Oberfläche aufgrund gravitativer Anziehung (verursacht durch die Masse der Erde) erfährt. Es gilt gemäß Newtons 2. Gesetz für die Kraft F, die eine Masse m im Schwerefeld der Erde erfährt: FG = m · a ⇒ |FG | = m · |a| = m · g, wobei g die gesuchte Erdbeschleunigung ist. Hierbei wird die Richtung der Kraft und damit ihr vektorieller Charakter vernachlässigt, da direkt der Betrag betrachtet wird. Aus der Alltagserfahrung ist jedoch bekannt, dass die Erdbeschleunigung immer in Richtung des Erdmittelpunkts wirkt. Einsetzen der Formel für die Gravitationskraft liefert: γ· ✟ · mE m ✟ ✟· g = ✟ m RE2 mE γ· 2 = g RE Mit der Masse der Erde mE = 5,972 · 1024 kg und dem mittleren Radius der Erde RE = 6,371 · 106 m ergibt sich: m g = 9,81 2 s Als Übung bietet es sich an, über eine Einheitenanalyse nachzuvollziehen, dass sich tatsächlich eine Beschleunigung ergibt. Man beachte, dass dies der mittlere Wert der Erdbeschleunigung ist. Der genaue Wert an einer beliebigen Stelle der Erde hängt einerseits von der Höhe ab, andererseits von geologischen Gegebenheiten. Nicht zuletzt ist die Erde auch keine exakte Kugel sondern ein Ellipsoid. Daher findet man beispielsweise am Äquator im Mittel einen Wert von gÄq = 9,78 m/s2 , an den Polen jedoch gPol = 9,88 m/s2 . 5 Kapitel 1. Einleitung 67P/Churyumov-Gerasimenko Zum Vergleich soll nun noch das Schwerefeld des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko berechnet werden, auf welchem am 12. November 2014 zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt eine Sonde gelandet ist. Die Masse des Kometen beträgt ungefähr m = 1,02 · 1012 kg. Zum Zeitpunkt der Trennung des Landers Philae vom Orbiter Rosetta beträgt der Abstand zwischen Orbiter und Massenzentrum des Komets r = 22 km. Hier wirkt also eine Beschleunigung von gOrbit = 1,4 · 10−6 m . s2 Die Landung erfolgt an einer Stelle, an welcher der Abstand zum Massenzentrum ungefähr r = 2 km beträgt. Damit herrscht auf der Oberfläche des Kometen eine Beschleunigung von m gOberfl. = 1,7 · 10−4 2 . s Die Beschleunigung an der Oberfläche des Kometen ist damit fast 60000-fach schwächer als die Erdbeschleunigung! Hierbei ist zu beachten, dass bei dem Kometen vom Massezentrum gesprochen wird. Die Erde kann in erster Näherung als kreisförmig, in besserer Näherung als Ellipsoid behandelt werden. Beide Näherungen entsprechen geometrischen Körpern mit denen es sich einfach rechnen lässt. Der Komet (Bilder sind im Internet zu finden) wurde von den Medien scherzhaft als Kartoffel bezeichnet. Hier ist die Masseverteilung wesentlich komplizierter, sodass der Schwerpunkt - also das Massezentrum - gesondert berechnet werden muss. 6 2 Elektrostatik Die Elektrostatik ist ein Teilbereich der klassischen Elektrodynamik. Sie behandelt die elektrischen Phänomene ruhender Ladungen, sprich die Eigenschaften des betrachteten Systems ändern sich mit der Zeit nicht. Man spricht auch von stationären Systemen. Was bei der Gravitation die Masse war, ist bei der Elektrostatik (und der gesamten Elektrodynamik) nun die Ladung, welche im Gegensatz zur immer attraktiv wirkenden Masse zwei verschiedene Vorzeichen aufweisen kann. 2.1 Elektrische Ladung Man unterscheidet zwei Typen von Ladungen, die per Konvention als positiv bzw. negativ bezeichnet werden. Gleiche Ladungen stoßen sich ab, ungleiche Ladungen ziehen sich an. Wie viele andere Größen ist auch die Ladung quantisiert. Das bedeutet, dass Ladung nur in ganzzahligen Vielfachen einer kleinstmöglichen Einheit, der Elementarladung, vorkommen kann. Diese Elementarladung wird in der Physik mit e abgekürzt. e ≈ 1,602 · 10−19 C Für die Materialwissenschaft ist weiterhin relevant: QProton = +e QElektron = −e Das Proton wird oft mit p abgekürzt, das Elektron mit e− . Manchmal ist auch das Positron von Bedeutung: QPositron = +e Es wird mit e+ abgekürzt. Das Positron ist das Antiteilchen zum Elektron, d.h. Elektron und Positron zerstrahlen in Kollisionen zu Energie (Annihilation). Die Positronenspektroskopie misst freie Volumina in Festkörpern; sie wird insbesondere zur Untersuchung von Versetzungen und anderen Kristallfehlern verwendet. Die Ladung ist eine strikte Erhaltungsgröße! Selbst auf kurzen Zeitskalen kommt es nicht zu Schwankungen, wie z.B. bei der Energie, die im Rahmen der Unschärferelation auf kurzen Zeiten nicht erhalten sein muss. 7 Kapitel 2. Elektrostatik 2.1.1 Wechselwirkung zwischen Ladungen Die beschreibende Kraft für die Wechselwirkung zwischen Ladungen ist die CoulombKraft (2.1). Sie beschreibt die Kraft, welche auf eine Ladung Q1 am Ort R1 aufgrund der Anwesenheit einer zweiten Ladung Q2 am Ort R2 wirkt. F1 = 1 Q1 · Q2 R12 · 2 4πε0 R12 R12 (2.1) C2 ε0 = 8,854 · 10 N · m2 Man beachte, dass sowohl das Gravitationsgesetz als auch das Coulomb-Gesetz das selbe Verhalten bezüglich des Abstands haben. Ein essentieller Unterschied ist jedoch, dass die Richtung des Abstandsvektors gerade umgekehrt ist. Diese Umkehrung spiegelt die Tatsache wieder, dass Massen sich immer anziehen, gleichnamige Ladungen sich allerdings abstoßen. −12 Beispiel 1: Als einfachen Vergleich betrachtet man das Verhältnis der Stärke der Coulomb-Kraft und der Gravitationskraft von zwei Protonen: m2p 2 R21 1 e2 |FC | = 2 4πε0 R12 2 ✚ |FC | e2 ✚ 1 R21 ⇒ = 1,24 · 1036 = · 2 ✚ |FG | 4πε0 ✚ γm2p R12 |FG | = γ Die Coulombkraft, erzeugt von zwei Protonen der Ladung +e, ist somit um einen Faktor 1036 stärker (man sagt auch 36 Größenordnungen stärker) als die Gravitationskraft zwischen ihnen. Beispiel 2: Ein eher künstlicher (aber nicht minder interessanter) Vergleich ist das Verhältnis der beiden Kräfte für zwei Körper, welche jeweils eine Ladung von Q = 1 C und eine Masse von m = 1 kg besitzen. Hier ergibt sich: |FC | = 1,35 · 1020 |FG | 2.1. Elektrische Ladung 8 Kapitel 2. Elektrostatik Auch hier ist die Coulombkraft wesentlich stärker als die Gravitationskraft. Hieran sieht man: Ein Kilogramm ist keine sonderlich große Masse bezogen auf die vermittelnde Gravitationskraft - ein Coulomb ist im Gegensatz dazu eine extrem große Ladung! 2.1.2 Superpositionsprinzip Für die Kraft, die mehrere Punktladungen oder gar ganze Ladungsverteilungen auf eine Probeladung ausüben, gilt das Superpositionsprinzip (2.2). Gegeben sei eine Ansammlung von n Punktladungen Qi am Ort Ri , wobei i = 1, 2, ..., n ist. Man betrachtet nun eine dieser n Ladungen mit Index j. Die Kraft, welche diese Ladung Qj aufgrund der restlichen n − 1 Ladungen erfährt, beträgt dann: Fj = X Fi→j = i6=j X 1 Qi · Qj Rji · 2 4πε0 Rji Rji i6=j (2.2) P Das Zeichen i6=j bedeutet hier, dass über alle Ladungen i = 1, ..., n summiert wird, mit Ausnahme von j (wieso?). Fi→j ist die Kraft, welche die i. Ladung auf die j. Ladung ausübt. Beispiel 1: Berechnung der Gleichgewichtslage von Ladungen Gegeben sind zwei Ladungen: Q1 = −5 · e Q2 = −3 · e 0 R1 = 0 0 10 nm R2 = 0 0 Gibt es eine Stelle R3 , an der die Kraft auf eine dritte Ladung Q3 verschwindet? Gesucht ist also eine Position, an welcher die Kraft auf eine dritte Ladung beliebiger Größe verschwindet, eine Position des Kräftegleichgewichts! Dieses liegt vor, wenn die insgesamt auf die dritte Ladung wirkende Kraft verschwindet. Aus Symmetrieüberlegungen (alle Ladungen liegen auf der x-Achse) muss die gesuchte Ladung auf der x-Achse sitzen und im Bereich 0 < x3 < 10 nm liegen. Damit hat der gesuchte Vektor R3 nur eine Komponente in x-Richtung, sprich R3 = x3 · ex . Dabei ist 1 ex ≡ x̂ ≡ 0 0 2.1. Elektrische Ladung 9 Kapitel 2. Elektrostatik Abbildung 2.1: Skizze der obigen Situation. Die Ladungen Q1 und Q2 befinden sich beide auf der x-Achse, die Ladung Q1 direkt im Ursprung. der Einheitsvektor in x-Richtung. Analog sind auch die Vektoren ey ≡ ŷ und ez ≡ ẑ definiert. Es gilt also zunächst die Kraft zu berechnen, welche eine dritte Ladung Q3 am Ort R3 aufgrund der Anwesenheit der zwei anderen Ladungen erfährt. Anschließend soll die Position R3 gefunden werden, für welche diese Kraft verschwindet. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird die Einheit nm im Folgenden weg gelassen. Gemäß des Superpositionsprinzips (2.2) gilt: F3 = F1→3 + F2→3 R3 − R1 R3 − R2 1 1 Q1 · Q3 Q2 · Q3 F3 = + · · 2 · 2 · 4πε0 |R3 − R1 | |R3 − R1 | 4πε0 |R3 − R2 | |R3 − R2 | 0 x3 0 0 − 0 0 5 −e · Q3 3 · 2 · + 2 = 4πε0 x3 0 x3 0 x3 10 0 − 0 0 − 0 0 − 0 0 0 0 0 0 0 −e · Q3 x3 − 10 3 5 x3 ! = · ex = 0 + · 4πε0 x23 |x3 | (x3 − 10)2 |x3 − 10| 10 x3 0−0 0 0 · x3 10 0 − 0 0 0 Damit die wirkende Kraft verschwindet, muss der Ausdruck in der Klammer verschwinden: 5 x3 ! −3 x3 − 10 nm = · 2 x3 |x3 | (x3 − 10 nm)2 |x3 − 10 nm| Ausdrücke der Form x |x| sind als sogenannte Vorzeichen-Funktion (signum) definiert: x = sgn(x) := |x| ( −1 x < 0 +1 x > 0 Aus der Symmetrieüberlegung mit 0 < x3 < 10 nm folgt sgn(x3 ) = 1 und sgn(x3 − 2.1. Elektrische Ladung 10 Kapitel 2. Elektrostatik 10 nm) = −1. Damit vereinfacht sich die Gleichung zu: 5 3 = 2 x3 (x3 − 10 nm)2 Das Lösen dieser quadratischen Gleichung nach x3 liefert: x3 = 5,64 nm und x3 = 44,36 nm. Gemäß unserer Vorüberlegungen ist x3 = 5,64 nm die einzige physikalisch sinnvolle Lösung. Jede Aufgabe zu Kräften zwischen verteilten Punktladungen lassen sich auf diesem, sehr ausführlichem Weg lösen! Mit steigender Erfahrung erkennt man die Zusammenhänge schneller, sodass man direkt auf die entsprechenden Gleichungen kommt. Im Zweifelsfall führt jedoch die strikte Anwendung des Superpositionsprinzips immer zum Ziel. Beispiel 2: Kräfte zwischen mehreren Ladungen Wir betrachten eine Anordnung von 4 Punktladungen QA = QB = QC = QD = 10−6 C (Abbildung 2.2). Um ein besseres Gefühl für die Einheit der Ladung zu bekommen, berechnen wir nun, welche Anzahl an freien Protonen nötig wäre, um eine solche Ladung zu erzeugen. Ein Proton trägt genau eine positive Elementarladung, QProton = +e. Damit findet man: 1 · 10−6 C QA = ≈ 6242197253433 nProtonen = QProton 1,602 · 10−19 C Es sind also rund 6,2 × 1012 Protonen nötig, um eine solche Ladung zu erzeugen (sofern es überhaupt möglich wäre, eine solche Anzahl an Protonen gleichzeitig an einem Ort zu halten). Abbildung 2.2: Skizze der obigen Situation. Die Distanzvektoren der drei verbleibenden Ladungen auf die Ladung QC sind eingezeichnet. Die Positionen der Ladungen sind: 0m 1m 1m 0m RA = 1 m RB = 1 m RC = 0 m m RD = 0 m 0m 0m 0m 0m 2.1. Elektrische Ladung 11 Kapitel 2. Elektrostatik Es soll nun die wirkende Coulomb-Kraft auf die Ladung QC berechnet werden. Es gilt gemäß des Superpositionsprinzips (2.2): FC = FA→C + FB→C + FD→C Wie Beispiel 1 gezeigt hat, kann der vollständige Ausdruck für F schnell unübersichtlich werden. Daher wertet man die Beiträge zunächst einzeln aus: 1m 2 −12 1 10 C 1 QA QC RCA −1 m √ = FA→C = 2 4πε0 |RCA | |RCA | 4πε0 23 · 1 m 3 0 0 1 QB QC RCB 10−12 C2 −1 m FB→C = = 4πε0 |RCB |2 |RCB | 4πε0 · 1 m3 0 1m 2 −12 10 C 1 QD QC RCD 0 = FD→C = 2 4πε0 |RCD | |RCD | 4πε0 · 1 m3 0 Um die resultierende Kraft zu berechnen wird eine Superposition der drei wirkenden Kräfte durchgeführt, sprich diese werden addiert. In der Rechnung wird der Teil, der allen drei Kräften gemeinsam ist, direkt ausgeklammert. FC = FA→C + FB→C + FD→C 1 0 1 2 −12 10 C 1 −1 + −1 + 0 = · √ 4πε0 · 1 m2 23 0 0 0 1 + √123 2 −12 10 C √1 = · − 1 + 23 4πε0 · 1 m2 0 Am Richtungsvektor ist bereits jetzt zu erkennen, dass die Kraft in Richtung von RCA wirkt. Dieses Resultat lässt sich auch aus Symmetrieüberlegungen und der Tatsache, dass die Umsetzung des Superpositionsprinzips die resultierende Richtung der Kraft durch die Vektoraddition der Richtungen der Teilkräfte angibt, herleiten. Die Stärke der Kraft ist durch ihren Betrag gegeben, für welchen man folgenden Wert findet: ⇒ |FC | = 17,2 · 10−3 N Beispiel 3: Kraft eines homogen geladenen Drahtes auf eine Punktladung Bisher wurden nur diskrete Ladungen untersucht. Das Superpositionsprinzip gilt aber auch bei kontinuierlichen Ladungsverteilungen. Im folgenden Beispiel soll daher die auf eine Ladung q am Ort Rq = a · ey wirkende Kraft berechnet werden, welche von einem unendlich langen, geraden Draht mit homogener Ladung ausgeübt wird. 2.1. Elektrische Ladung 12 Kapitel 2. Elektrostatik Bei kontinuierlichen Ladungsverteilungen rechnet man mit Ladungsdichten, beispielsweise mit Ladung pro Volumen. Bei einer geladenen Kugeloberfläche wäre eine geeignete Wahl die Angabe einer Oberflächenladungsdichte mit der Einheit Ladung pro Fläche. In hier vorliegenden Fall betrachtet man den Draht als unendlich dünn und somit eindimensional. Die passende Dichte ist also eine Längenladungsdichte, sprich die Einheit dieser Ladungsdichte ist Ladung pro Länge. Zur Berechnung unterteilt man den Draht in Segmente der Länge ∆x, die jeweils die Ladung ∆Q tragen. Für diesen homogen geladenen Draht ist die (Längen-) Ladungsdichte λ dann eine Konstante: ∆Q λ= = const. ∆x Abbildung 2.3: Skizze der Situation in diesem Beispiel. Der Draht erstreckt sich über die gesamte x-Achse und wird zur Berechnung in unendlich viele Segmente der Länge ∆x mit Ladung ∆Q unterteilt. Nummeriert man die Segmente mit ganzen Zahlen, wobei das 0. Segment auf der y-Achse liegt, so ergibt sich: Rq = a · ey Rn = n · ∆x · ex −n · ∆x ⇒ Rq − Rn = a 0 Da links von der y-Achse genau so viele Segmente liegen wie rechts der y-Achse, wird die resultierende Kraft auf die Probeladung q in x-Richtung verschwinden, lediglich in y-Richtung wird eine Kraft wirken. Da der Draht eine unendliche Länge haben soll, sind auch unendlich viele Segmente mit Ladung ∆Q vorhanden, über welche gemäß dem Superpositionsprinzip (2.2) summiert werden muss: ∞ −n · ∆x X 1 ∆Q q a √ Fq = 4πε0 n=−∞ n2 · ∆x2 + a2 n2 · ∆x2 + a2 0 Mit der Definition der Linienladungsdichte ∆Q = ∆x · λ ergibt sich für die y-Komponente 2.1. Elektrische Ladung 13 Kapitel 2. Elektrostatik der Kraft: q (Fq )y = 4π ε0 ∞ X ∆x λ · a n=−∞ 3 (n2 · ∆x2 + a2 ) 2 Nach der bisherigen Rechnung ist der Draht jedoch nicht kontinuierlich, sondern in diskrete Segmente eingeteilt. Der sogenannte Kontinuumsübergang erfolgt, wenn die Segmentlängen immer weiter verkleinert werden. Mit der Ersetzung lim ∆x→0 ∞ X n=−∞ ∆x · · · → Z ∞ dx −∞ ist der Übergang vollzogen und es gilt: aqλ (Fq )y = 4π ε0 Z ∞ −∞ 1 3/2 dx x 2 + a2 Hierbei wurde genutzt, dass im Übergang ∆x · n → x gilt (klar machen!). Um das Integral zu lösen führt man folgende Substitution durch: x = a · x′ ⇒ dx = a · dx′ Z 1 aqλ ∞ 1 a dx′ ⇒ (Fq )y = 3 4πε0 −∞ a (1 + x′2 )3/2 {z } | ∈R Man beachte, dass wegen [a] = m und [x] = m die neue Variable x′ einheitenlos ist, sprich das Integral trägt nur noch einen numerischen Teil zur Lösung bei. Mit Hilfe von Integraltabellen oder moderneren Varianten wie www.integralrechner.de oder www.wolframalpha.com findet man, dass das Integral den Wert 2 ergibt. Die endgültige Lösung ist also: qλ 1 Fq = ey 2π ε0 a Die Kraft auf die Probeladung wird also mit steigendem Abstand geringer gemäß eines a1 Gesetzes, wobei die resultierende Kraft nach den getroffenen Vorüberlegungen in Richtung der y-Achse zeigen muss. 2.1. Elektrische Ladung 14 Kapitel 2. Elektrostatik 2.2 Elektrisches Feld Im letzten Abschnitt wurde das Coulomb-Gesetz eingeführt, mit welchem die elektrostatischen Kräfte zwischen Ladungen berechnet werden können. Mit Hilfe des Superpositionsprinzip, welches besagt, dass die resultierende Kraft auf eine Probeladung als Summe der einzelnen Kräfte aller anderen vorhandenen Ladungen auf die Probeladung aufgefasst werden kann, können auch komplizierter Anordnungen systematisch untersucht werden. Eine vorhandene Ladungsverteilung bewirkt also eine Kraft auf eine zusätzliche Probeladung, welche von der Größe der Probeladung abhängt. Um die Wirkung einer Ladungsverteilung unabhängig von der Probeladung beschreiben zu können, führt man das elektrische Feld ein. Es ist definiert als Coulomb-Kraft F pro Ladung q: E := F ⇔F=E·q q (2.3) Die Kraft, welche eine Ladung q in einem elektrischen Feld erfährt, ist also gegeben durch die Ladung q multipliziert mit dem vorhandenen elektrischen Feld. Setzt man die Formel für die Coulomb-Kraft (2.2) ein, so ergibt sich: 1X 1 Qi · q r − ri · 2 q i 4πε0 |r − ri | |r − ri | X 1 Qi r − ri · = 4πε0 |r − ri |2 |r − ri | i E(r) = (2.4) Das elektrische Feld E(r) definiert also die Coulomb-Kraft, welche eine Ladung erfahren würde, wenn Sie sich im Punkt r befindet. Da das elektrische Feld (2.4) mathematisch äquivalent zur Coulomb-Kraft ist, gilt auch hier das Superpositionsprinzip. Das elektrische Feld hat die Einheit Volt pro Meter, [E] = V/m. Man kann zeigen, dass das elektrisch Feld eine kontinuierliche Funktion ist und auch überall differenzierbar ist, außer an der Stelle, an der eine das Feld erzeugende Punktladung Qi sitzt - dort divergiert das elektrische Feld. Positive (negative) Ladungen sind Quellen (Senken) des elektrischen Feldes, wie in Abbildung 2.4 dargestellt. Abbildung 2.4: Positive Ladungen sind Quellen, negative Ladungen Senken des elektrischen Felds. 2.2. Elektrisches Feld 15 Kapitel 2. Elektrostatik Wie sich aus Gleichung (2.4) ablesen lässt, ist die Richtung des elektrischen Feldes so definiert, dass es in Richtung der Kraft zeigt, die auf eine positive Probeladung ausgeübt würde. Man sagt auch, dass das elektrische Feld die Richtung angibt, in welche sich eine positive Probeladung aufgrund der resultierenden Kräfte bewegen würde. Zur Visualisierung des elektrischen Feldes, welches jedem Punkt r einen Vektor zuordnet, werden oft Feldlinien verwendet. Es handelt sich hierbei um gedachte Linien, welche die auf eine Probeladung wirkende Kraft visualisieren. Die Tangente an jedem Punkt gibt die Richtung der Kraftwirkung an, die Dichte der Feldlinien die betragsmäßige Stärke. Feldlinien beginnen in positiven Ladungen und enden in negativen Ladungen. Zusammengefasst ergeben sich die folgenden, allgemeinen Eigenschaften von Feldlinien: • Feldlinien beginnen immer in positiven Ladungen (Quellen) und enden immer in negativen Ladungen (Senken). • Die Tangente an einem beliebigen Punkt einer Feldlinie gibt die Richtung der Kraftwirkung an, die Dichte der Feldlinien die Stärke des Feldes. • Feldlinien kreuzen sich nicht, da das elektrische Feld an jedem Punkt im Raum (in dem keine Punktladung sitzt) einen eindeutigen Wert hat und differenzierbar ist. Beispiel 1: Elektrisches Feld zweier gegensätzlicher Punktladungen Abbildung 2.5 zeigt das elektrische Feld zweier gegensätzlicher Punktladungen. Abbildung 2.5: Graphische Darstellung des Vektorfelds zweier Punktladungen mit q1 = −q2 . Die dargestellten Vektoren repräsentieren beispielhaft die Richtung des Feldes an verschiedenen Stellen im Raum. 2.2. Elektrisches Feld 16 Kapitel 2. Elektrostatik An dieser Stelle muss man sich klar machen, dass das elektrische Feld ein Vektorfeld ist und somit jedem Punkt im dreidimensionalen Raum einen vektoriellen Wert zuordnet, welcher Stärke und Richtung des Feldes in diesem Punkt angibt. Im Falle von Abbildung 2.5 sind die Vektoren normiert und geben keine Auskunft über die Stärke des Felds. Eine graphische Darstellung wie in Abbildung 2.5 kann natürlich nur einen endlichen Teil dieser Vektoren darstellen. Trotzdem gibt dieser Teil bereits eine Intuition für den Verlauf der Feldlinien, welche dadurch bestimmt werden, dass die Tangente an jedem Punkt der Feldlinie durch das elektrische Feld gegeben ist. Vereinfacht gesagt folgen Feldlinien den Vektorpfeilen des elektrischen Feldes. Beispiel 2: Elektrisches Feld einer homogen geladenen Platte Als weiterführendes Beispiel soll nun das elektrische Feld einer unendlich großen, gleichmäßig geladenen Platte bestimmt werden. Die Platte soll in der y-z-Ebene unendlich ausgedehnt und bei x = 0 positioniert sein. Gleichzeitig soll sie gleichmäßig geladen sein. Eine unendlich große Platte kann wiederum als eine Ansammlung unendlich vieler geladener Ringe interpretiert werden - ähnlich wie ein Blatt Papier mit einer (endlichen) Anzahl dicht beieinander liegenden Zirkel-Kreise vollständig ausgefüllt werden kann. Abbildung 2.6: (a): Geometrische Anordnung des Problems eines geladenen Rings, dessen Symmetrieachse die x-Achse ist. (b): Die geladene Platte kann als Ansammlung von Ringen betrachtet werden. Doch wieso Ringe? Eine unendlich große, rechteckige Platte ist genau so unendlich weit ausgedehnt wie eine unendlich große Zylinderscheibe, die exakte Form hat bei unendlicher Ausdehnung keinen Einfluss auf das Ergebnis. Das Problem hat jedoch eine Zylindersymmetrie - sprich die Anordnung ist invariant unter Drehung um die Symmetrieachse, welche hier passenderweise durch die x-Achse gegeben ist. Damit vereinfacht sich die Behandlung des Problems enorm. Im Allgemeinen ist es in der Physik immer vorteilhaft, ein Problem unter Ausnutzung aller möglichen Symmetrien zu beschreiben. 2.2. Elektrisches Feld 17 Kapitel 2. Elektrostatik Das Feld eines geladenen, unendlich dünnen Rings mit Ladung Q und Radius R auf seiner Symmetrieachse ergibt sich zu (Nachrechnen ist eine gute Übung!): E(x0 ) = Ex (x0 ) · ex Ex (x0 ) = Q · x0 1 · 4πε0 (R2 + x20 )3/2 Wir betrachten nun einen Ring endlicher Breite ∆R als Teil einer Ebene, wie in Abbildung 2.6 (b) dargestellt. Diese Ebene habe eine konstante (Flächen-)Ladungsdichte. σ= ∆Q = const. ∆A Die Ladung auf dem Ring ergibt sich damit zu: 2 2 ∆Q = σ πRaußen − πRinnen = σπ (R + ∆R)2 − R2 = σπ R2 + 2R · ∆R + ∆R2 − R2 = σπ 2R · ∆R + ∆R2 ≈ 2πR · ∆R · σ Dabei wird angenommen, dass ∆R klein genug ist, um ∆R2 ≈ 0 nähern zu können. Mit ∆Q = ∆A · σ identifiziert man die Fläche des Rings in Näherung als Umfang des inneren Rings U = 2πR mal seiner Breite ∆R. Damit trägt der Ring mit seinem Radius R und seiner Breite ∆R wie folgt zum elektrischen Feld bei: ∆E = 1 2πR · ∆R · σ · x0 · √ 3 4πε0 R 2 + x2 (2.5) Eine unendlich ausgedehnte, geladene Platte kann nun wie beschrieben als eine Ansammlung unendlich vieler solcher Ringe interpretiert werden. Zur Bestimmung des elektrischen Feldes einer solchen Platte muss daher das elektrische Feld dieser unendlich vielen Ringe aufsummiert werden (Superpositionsprinzip). Man führt wie bereits beim geladenen Draht den Übergang von einer Summe zu einem Integral via Z ∞ X dR ......... ∆R ...... → 0 Ringe durch. Man findet: 2.2. Elektrisches Feld σ Ex = 2ε0 Z ∞ 0 (R2 x·R dR + x2 )3/2 18 Kapitel 2. Elektrostatik Die Substitution r = R/x mit dr = dR/x macht das Integral einheitenlos. Z ∞ σ x·R dR ⇒ Ex = 2 2ε0 0 (R + x2 )3/2 Z ∞ σ σ r dr = = · 2 3/2 2ε0 (1 + r ) 2ε0 |0 {z } = 1 (rein numerisch) Das Feld der Platte wird damit nur über die Oberflächenladungsdichte definiert, also Ex ∼ σ [σ] = Q R2 Auffällig ist, dass der Abstand zur Platte nicht im Ausdruck für die Feldstärke vorkommt, sprich das elektrische Feld ist nahe der Platte genauso stark und gleich gerichtet wie weit weg davon. Das Feld ist also in x-Richtung räumlich konstant, man spricht von einem homogenen Feld. Diese Homogenität resultiert aus der Annahme einer unendlich großen Platte mit dementsprechend unendlich viel Ladung auf dieser, was in der Realität natürlich nicht zu verwirklichen ist. Dennoch kann die vorausgesagte Homogenität im Experiment für kleine Abstände von der Platte x0 gut bestätigt werden, solange man nicht in die Nähe der Ränder der endlichen Platten kommt. Abbildung 2.7: Feldlinienverlauf einer positiv (links) beziehungsweise negativ (rechts) geladenen Platte. Randeffekte sind dabei vernachlässigt. Fügt man zwei gegensätzlich geladene Platten zusammen, so ergibt sich die in Abbildung 2.8 dargestellte Situation. Man spricht nun von einem Plattenkondensator, da auf den Platten Ladungen unter Ausbildung eines elektrischen Feldes kondensieren können. Im Allgemeinen sind die Platten wie bereits beschrieben endlich, sodass die Homogenität des Feldes nur zwischen den Platten gegeben ist, an den Rändern der Platten kommt es zur Ausbildung signifikanter Störfelder, welche in der praktischen Anwendung jedoch vernachlässigt werden. Es ergibt sich der ideale Plattenkondensator, bei welchem das gesamte Feld als zwischen den Platten lokalisiert angenommen wird. Es ist dabei homogen, sprich überall im Raum zwischen den Platten herrscht die gleiche Feldstärke, welche nur von der Ladung auf den Platten abhängig ist. Diese Näherung ist vor allem für L >> d sehr gut erfüllt. Ist d >> L, so können die Störfelder nicht mehr vernachlässigt werden und es ergibt sich ein elektrischer Dipol. In Abbildung 2.9 ist das exakt berechnete Feld zweier parallel gegenüber liegender, gegensätzlich geladener Platten skizziert. 2.2. Elektrisches Feld 19 Kapitel 2. Elektrostatik Abbildung 2.8: Feldlinienverlauf zweier parallel zueinander im Abstand d aufgestellter, gegensätzlich geladener Metallplatten der Breite L. Vernachlässigt man Randeffekte und die Felder außerhalb der Platten, so ergibt sich der rechts dargestellte ideale Plattenkondensator. 2.2.1 Felder an Metalloberflächen Metalle zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine hohe Leitfähigkeit besitzen. Diese Leitfähigkeit rührt von freien Ladungsträgern, welche durch ein elektrisches Feld (Spannung) in Bewegung (Strom) gesetzt werden können, her. Dieser Zusammenhang wird später noch im ohmschen Gesetz quantifiziert. Die freien Ladungsträger in einem Leiter versuchen sich in einem externen elektrischen Feld durch ihre Bewegung so anzuordnen, dass die sie bewegende Coulomb-Kraft verschwindet. Sie bauen ein eigenes elektrisches Feld auf, welches dem äußeren Feld entgegen gerichtet ist. Daraus ergeben sich einige Konsequenzen, welche sich zwanglos aus den Maxwell-Gleichungen ergeben. Auf die Herleitung soll hier verzichtet werden. Wichtig ist es an dieser Stelle, die resultierenden Effekte zu kennen. Influenz: Eine ortsfeste Ladungsverteilung in der Nähe eines Leiters bewirkt eine Kraft auf die im Leiter enthaltenen freien Ladungsträger, welche sich in einen Anteil parallel und senkrecht zur Metalloberfläche zerlegen lässt. Der senkrechte Anteil zieht die Ladungsträger an den Rand des Metalls. Dort angekommen kann dieser Anteil die Ladungsträger nicht weiter bewegen. Der parallele Anteil hingegen verschiebt sie so lange gegen die Metalloberfläche, bis die wirkende Kraft verschwindet. Dieser Effekt wird Influenz genannt. Bei einem Leiter im elektrischen Feld sammeln sich die freien Ladungsträger also immer an der Oberfläche des Leiters. Das elektrische Feld steht senkrecht auf der Metalloberfläche: Als direkte Konsequenz aus der Influenz steht das elektrische Feld immer senkrecht auf der Metalloberfläche. Da die zur Oberfläche parallele Komponente der Kraft verschwindet, wirkt nur noch eine Kraft senkrecht zur Metalloberfläche auf die Ladungsträger. Da das elektrische Feld in Richtung der wirkenden Kraft zeigt (siehe (2.3)), ist dessen Richtung auf der Metalloberfläche ebenfalls senkrecht zu dieser. Das Innere eines Leiters ist feldfrei: Bei der Ausrichtung der Ladungsträger im Leiter 2.2. Elektrisches Feld 20 Kapitel 2. Elektrostatik Abbildung 2.9: Berechnetes Feld eines Plattenkondensators. Zwischen den Platten ist das Feld größtenteils homogen. Zum Rand hin erkennt man die beim idealen Kondensator vernachlässigten Inhomogenitäten. (Influenz) erzeugen diese ein elektrisches Feld im Metall, welches das von der äußeren Ladungsverteilung erzeugte elektrische Feld vollständig kompensiert. Daher ist das Innere eines Leiters (egal ob hohl oder massiv) immer feldfrei. Eine solche Anordnung wird auch Faraday-Käfig genannt. 2.2.2 Bewegung einer Punktladung in einem elektrischen Feld Eine Anordnung aus zwei planparallelen Platten ist wie bereits beschrieben als Kondensator bekannt. Die sehr gute Homogenität des elektrischen Feldes zwischen den Platten kann genutzt werden, um freie elektrische Ladungen (beispielsweise Elektronenstrahlen) gezielt abzulenken. Jeder Röhrenbildschirm basiert auf diesem Prinzip. Die Grundzüge dieser Dynamik sollen hier kurz angerissen werden. Dabei wird nur der Einfluss des Kondensatorfelds auf die freie Ladung untersucht, der umgekehrte Einfluss wird vernachlässigt. Die Überlegungen sind analog zum freien Fall oder zum schiefen Wurf in der Mechanik, die Situationen ist in Abbildung 2.10 dargestellt. Die typische Fragestellung lautet: Wie hängt 2.2. Elektrisches Feld 21 Kapitel 2. Elektrostatik Abbildung 2.10: Ein geladenes Teilchen wird in einem Kondensator abgelenkt. Eine typische Fragestellung beinhaltet die Frage, an welcher Position (Höhe h) eines Schirms hinter dem Kondensator das Teilchen auftrifft. die Position h, an der die Ladung auf den Schirm, trifft von L1 , L2 und der Feldstärke im Kondensator ab? Als Ladung wird ein Elektron angenommen mit m = me und q = −e. Die obere Platte des Kondensators sei positiv, die untere negativ geladen. Damit ergibt sich die in Abbildung 2.10 dargestellte Richtung des elektrischen Feldes im Kondensator. Das Elektron trete im Ursprung in den Kondensator ein und habe eine Geschwindigkeitskomponente in xRichtung, es gilt also: v0 0 v(t = 0) = 0 s(t = 0) = 0 0 0 Der Kondensator erzeugt ein elektrisches Feld E = −E · ey , welches über den gesamten Kondensator und damit über die gesamte Strecke L1 gleich ist. Gemäß Gleichung (2.3) bewirkt das elektrische Feld des Kondensator eine Kraft auf das Elektron: F q ⇒F=E·q = −E · (−e) · ey = e · E · ey E= Gemäß Newton gilt: m e · a = F = e · E · ey Damit findet man, dass das Elektron eine Beschleunigung in y-Richtung erfährt, wie in Abbildung 2.10 eingezeichnet. Integriert man die Beschleunigung zwei mal nach der Zeit 2.2. Elektrisches Feld 22 Kapitel 2. Elektrostatik unter Verwendung der oben gegebenen Anfangsbedingungen, so erhält man: v0 · t v0 0 R R dt dt eE eE · t ⇒ s(t) = 2m · t2 a(t) = mee · E ⇒ v(t) = m e e 0 0 0 Sobald das Elektron den Kondensator verlässt, verschwindet das elektrische Feld und damit die wirkende Beschleunigung. Das Elektron bewegt sich dann in einer gleichförmiggeradlinigen Bewegung mit der Geschwindigkeit, welches es beim Verlassen des Kondensators inne hat. Die x-Komponente dieser Geschwindigkeit ist mit v0 bekannt. Die y-Komponente zum Zeitpunkt des Austritts aus dem Kondensator muss jedoch explizit berechnet werden. Dazu löst man zunächst die x-Komponente von s(t) nach t auf und setzt dieses t dann in die y-Komponente ein: 2 sx eE sx sx = v0 · t ⇒ t = ⇒ sy = v0 2me v0 Beim Verlassen des Kondensators ist sx = L1 . Damit ergibt sich für y0 = sy (sx = L1 ) eE y0 = 2me L1 v0 2 und für die y-Komponente der Geschwindigkeit beim Austreten aus dem Kondensator vy (t = L1 /v0 ) = e · E · L1 m e · v0 Ab dem Punkt (L1 , y0 , 0) besitzt das Elektron also die konstante Geschwindigkeit v0 1 , v = eEL m e v0 0 womit sich für s(t) die bereits beschriebene geradlinig-gleichförmige Bewegung ergibt: v 0 · t + L1 1 · t + y0 s(t) = eEL m e v0 0 Man beachte, dass das Koordinatensystem immer noch das selbe ist wie zuvor, daher muss die Position beim Verlassen des Kondensators hinzu addiert werden. Der Abstand zwischen Ausgang Kondensator und Bildschirm ist L2 . Wieder berechnet man die Flugzeit aus der x-Komponente L2 t= v0 und setzt diese in die y-Komponente ein. Damit ergibt sich: h = sy (t = L2 /v0 ) = y0 + 2.2. Elektrisches Feld eEL1 L2 eEL1 = · (L1 + 2L2 ) me v02 2me v02 23 Kapitel 2. Elektrostatik 2.3 Potentielle Energie und Potential Die Begriffe Potential und potentielle Energie werden in der Literatur und im Folgenden gern synonym verwendet. Wir werden jedoch später beide Begriffe eindeutig definieren und voneinander unterscheiden. 2.4 Potentielle Energie Aus der Mechanik ist bekannt, dass die Arbeit ∆W , die an einem Massepunkt verrichtet wird, wenn dieser um einen (kleinen) Vektor ∆r verschoben wird, sich wie folgt errechnet: ∆W = −F · ∆r = − |F| |∆r| · cos α Der zweite Schritt ist die geometrische Ausführung des Skalarprodukts, wie in Abbildung 2.11 dargestellt. Ist 0 ≤ α < 90◦ , so ist der Cosinus positiv und es wird Arbeit frei. Gilt α > 90◦ , so muss Arbeit verrichtet werden. Intuitiv wird dieses Verhalten beispielsweise beim vertikalen Bewegen einer schweren Kiste: Wird sie entgegen der wirkenden Kraft (Schwerkraft) nach oben gezogen, ist dafür Arbeit nötig. Abbildung 2.11: Geometrische Darstellung des Skalarprodukts aus Kraft und Weg. Im Folgenden wird zur Vereinfachung der Fall ∆r = ∆x · ex angenommen, es gilt also: ∆x Fx (x, y, z) ∆W = Fy (x, y, z) · 0 = Fx (x, y, z) · ∆x 0 Fz (x, y, z) Nun gibt es in der Physik in vielen Fällen Kräfte bzw. Wechselwirkungen, für die es eine eindeutige Funktion gibt, sodass man sie wie folgt schreiben kann: ∆W Fx = − lim (2.6) ∆x→0 ∆x y,z=const Dies gilt dann auch für die anderen beiden Komponenten Fy und Fz . 2.3. Potentielle Energie und Potential 24 Kapitel 2. Elektrostatik Kräfte, deren drei Komponenten sich als Ableitungen einer Stammfunktion (x, y, z) gemäß Gleichung (2.6) schreiben lassen (implizit ∆x → 0), heißen konservative Kräfte. Im Grenzübergang gilt dann: ∂ ∆W W (x, y, z) =− Fx = − lim − ∆x→0 ∆x y,z=const ∂x Man spricht von einer partiellen Ableitung einer Funktion, wenn eine Ableitung so gebildet wird. Analog gilt z.B. für eine partielle Ableitung nach der y Komponente: ∂W (x, y, z) W (x, y + ∆y, z) − W (x, y, z) = lim ∆y→0 ∂y ∆y x,z=const Nicht alle Kräfte lassen sich (in offensichtlicher Weise) als Ableitung einer skalaren Funktion schreiben. Ist dies jedoch der Fall, so nennt man diese Stammfunktion einer konservativen Kraft potentielle Energie. Beispiel 1: Punktmasse im Schwerefeld Ein klassisches Beispiel zur Bestimmung der potentielle Energie ist ein Massepunkt der Masse m im Schwerefeld der Erde, welches man in der Nähe der Erdoberfläche als konstant annehmen kann. Das Schwerefeld bewirkt (wie aus Abschnitt 1 bekannt) eine Kraft auf den Massepunkt: F = −m · g · ez Hierbei ist g = 9,81 ms−2 die Erdbeschleunigung. Abbildung 2.12: Wirkende Kraft auf eine Punktmasse im Abstand z über dem Erdboden. Die potentielle Energie, welche diese Kraft bewirkt, ist gegeben durch: W (x, y, z) = m · g · z + W0 Die Koordinate z ist wie aus Abbildung 2.12 ersichtlich die Höhe des Massepunkts über dem Erdboden, welcher auf z = 0 festgelegt ist. Als Beweis dieser Formel für die potentiel- 2.4. Potentielle Energie 25 Kapitel 2. Elektrostatik len Energie dieses Beispiels bildet man die partielle Ableitung in alle drei Raumrichtungen: ∆W ∂W Fx = − lim =0 = ∆z→0 ∆z ∂x x,y=const ∂W =0 Fy = ∂y ∂W Fz = = −m · g ∂z Insgesamt gilt also wie erwartet F = −m · g · ez . Die Konstante W0 ist eine Folge der Festlegung des Koordinatensystems. Allgemein bezeichnet man alle Punkte gleicher potentieller Energie als Äquipotentialflächen. In unserem Beispiel wäre das eine unendliche große Anzahl von ebenen Flächen, eine Fläche für jedes z > 0. Tatsächlich jedoch sorgen lokale Schwankungen im Wert von g für sehr ausgebeulte Äquipotentialflächen. Analoge Betrachtungen gelten beispielsweise für ein Teilchen vor einer homogen geladenen Platte (Kondensator). Beispiel 2: Harmonisches Potential Als harmonisch bezeichnet man den Verlauf der potentiellen Energie, wenn er eine rein quadratische Abhängigkeit vom Ort aufweist: W = 1 1 · k · |r|2 ∝ |r|2 = · k · (x2 + y 2 + z 2 ) 2 2 Abbildung 2.13: 3D-Darstellung der Form des harmonischen Ausdrucks. Der Verlauf der potentiellen Energie ergibt sich beispielsweise als Rotation einer Parabel um die z-Achse. 2.4. Potentielle Energie 26 Kapitel 2. Elektrostatik Für die resultierende Kraft ergibt sich: ∂W = −k · x ∂x ∂W Fy = − = −k · y ∂y ∂W = −k · z Fz = − ∂z Fx = − Daraus folgt die Newtonsche Bewegungsgleichung: m · ẍ = −k · x m · ÿ = −k · y m · z̈ = −k · z In kompakter Vektorschreibweise erhält man die Differentialgleichung eines harmonischen Oszillators: m · r̈ + k · r = 0 Die Lösungen dieser Gleichung sind harmonische Funktionen (Sinus, Cosinus), was die Benennung begründet. Harmonische Zusammenhänge werden uns später noch in der Elektrotechnik begegnen. Beispiel 3: Zentralpotential Hängt eine potentielle Energie W (x, y, z) nur vom Abstand r = spricht man von einem Zentralpotential. p x2 + y 2 + z 2 ab, so Spezialfälle von Zentralpotentialen: W = C · rn , C = const. (2.7) Der Fall n = 2 wurde bereits im vorigen Beispiel als harmonisches Potential identifiziert, n = −1 entspricht dem elektrostatischen Potential einer Punktladung oder auch dem Gravitationspotential. Kräfte aus Zentralpotentialen: ∂ W (r) ∂x dU ∂r = − dr ∂x Fx = − (2.8) Die p potentielle Energie W hängt nur von einer Variablen, nämlich dem Abstand r = x2 + y 2 + z 2 ab. Dieser Abstand hängt jedoch von den drei Ortsvariablen x, y und z ab 2.4. Potentielle Energie 27 Kapitel 2. Elektrostatik (⇒ partielle Ableitung). Nebenrechnung (mit W aus (2.7)): dW = n · C · rn−1 dr ∂ p 2 ∂r x + y2 + z2 = ∂x ∂x 1 1 = · · 2x 2 r x = r y, z = const. Damit gilt für die Kraftkomponente in x-Richtung: x Fx = − n · C · rn−1 · r Zuletzt gilt es noch, die beiden oben genannten Spezialfälle zu betrachten: • n = 2, C = k 2 k ⇒ Fx = − 2 · r2−1 2 • n = −1, C = x = −k · x r Q1 ·Q2 4πε0 Q1 · Q2 (−1)−1 x r Fx = − (−1) · 4πε0 r Q1 · Q2 1 x = 4πε0 r2 r Q1 · Q2 1 y Fy = 4πε0 r2 r Q1 · Q2 1 z Fz = 4πε0 r2 r x Q1 · Q2 1 r y ⇒F= r = 4 π ε0 r 2 r z Die potentielle Energie zweier Ladungen im Abstand r ist damit: W (r) = Q1 · Q2 1 4πε0 r (2.9) Diese Formel gibt an, welche potentielle Energie eine Punktladung Q1 aufgrund der Anwesenheit einer zweiten Punktladung Q2 im Abstand r besitzt. 2.4. Potentielle Energie 28 Kapitel 2. Elektrostatik 2.4.1 Interatomares Potential In einem Kochsalzkristall entsteht durch den Transfer eines Elektrons vom Na zum Cl eine elektrostatisches anziehendes Potential zwischen Na+ Ionen und den Cl− Ionen. Damit ist eine potentielle Energie verbunden, die wir schon kennen: e2 4πε0 r (2.10) e2 4πε0 r2 (2.11) W (r) = − Daraus folgt für die anziehende Kraft F (r) = + Die anziehende Kraft in einem solchen Ionenkristall wird durch eine abstoßende Kraft kompensiert. Empirisch wurde von Mie für die Wechselwirkung zweier geladener Nachbaratome in einem Kristall das sogenannte Mie-Potential eingeführt. Es hat folgende Form: r0 1 r09 e2 − + 9 (2.12) Wat (r) = − 4πε0 r0 r 9r Der rechte Term ist für Abstoßung verantwortlich. Er fällt sehr steil mit dem Abstand r ab. Das Gleichgewicht zwischen den beiden Termen bestimmt den interatomaren Abstand r0 . Elastische Konstanten eines Ionenkristalls Ein wichtiger Parameter für die Berechnung mechanischer Spannungen ist der E- Modul eines Werkstoffs. Dieser Parameter spielt auch in zahlreichen anderen Fragestellungen der Werkstoffmechanik eine wichtige Rolle. Als Graph ist Gleichung 2.12 in Abbildung 2.14 als eine von mehreren interatomaren Potentialen gezeigt. Die elastischen Konstanten eines Festkörpers lassen sich auf die Bindungskräfte zwischen den Gitterbausteinen zurückführen. Dies sei am Beispiel des Elastizitätsmoduls E (Young ‘scher Modul) gezeigt. Dieser ist bekanntlich definiert als E = σ/ε (2.13) mit der Zugspannung σ = F/A und der Dehnung ε = ∆l/l. F ist die Kraft, die an die Fläche A angreift, l die Länge des Körpers und ∆l die Längenänderung. Eine Gesamtkraft F greife an einem Natriumchlorid-Kristall an, wie in der Abbildung 2.15 gezeigt. Wenn man auf die Oberfläche A des Kristalls sieht, kann man sich vorstellen, dass sich dahinter n Ionenreihen verbergen, wobei jede Reihe ein Flächenelement r02 /A einnimmt. r0 ist der Gleichgewichtsabstand der Ionen. An jede der n Ionenreihen greift dann die Kraft F/n an: F · r02 F = (2.14) n A 2.4. Potentielle Energie 29 Kapitel 2. Elektrostatik Abbildung 2.14: Schematisches Wechselwirkungspotential zweier Atome (Ionen) im Abstand rij für verschiedene Bindungstypen (aus K.H. Hellwege, Einführung in die Festkörperphysik, Springer, Heidelberg). In diesem Abschnitt betrachten wir die ionische Bindung. Wie man sieht, ist die makroskopische Dehnung ε gleich der mikroskopischen Verzerrung S = δr/r0 : m · δr δr ∆l = = =S (2.15) ε= l m · r0 r0 m ist die Anzahl der Gitterebenen über die Länge l. δr ist die Änderung des Abstands der Ionen, die aus dem atomaren (ionischen) Potential Wat (r) bzw. aus der daraus resultierenden interatomaren Kraft Fat (r) hergeleitet werden kann: δF = − dFat (r) · δr, dr Fat (r) = − dWat (r) dr (2.16) An alle m hintereinander geschaltete Gitterverbindungen entlang einer Ionenreihe greift die gleiche Kraft, nämlich F/n an, also: δF = und somit F r02 A dr dr 1 = −σ · r0 · dFat r=r0 r0 dFat r=r0 1 dFat ⇒ E=− r0 dr r=r0 1 d2 Wat E= r0 dr2 r=r0 −F r02 S=ε= A (2.17) (2.18) (2.19) (2.20) Der Young’sche Modul ist also proportional zur Ableitung der Kraft Fat (r) zwischen den Gitterbausteinen, bzw. zur zweiten Ableitung des Potentials. Je stärker das Potential im 2.4. Potentielle Energie 30 Kapitel 2. Elektrostatik Abbildung 2.15: (aus A. J. Walton, Three phases of matter, Clarendon Press Oxford) Gleichgewichtsabstand r0 gekrümmt ist, desto höher ist der E-Modul! Beispiel: Obiges Mie-Potential zwischen den Ionen Na+ Cl− : (Gl. 2.12) r0 1 r09 e2 · − + 9 W (r) = 4 · π · ε 0 · r0 r 9r 2 2 ∂ W e 2 · r0 r09 = · − 3 + 10 · 11 ∂r2 4 · π · ε 0 · r0 r r 2 8e r = r0 ⇒ E = 4 · π · ε0 · r02 (2.21) Mit r0 = 0,281 nm ergibt sich E ≈ 300 GPa. Der gemessene Wert ist ca. 58 GPa. Die obige Rechnung ist nur eine Abschätzung. Jedoch ist das Ergebnis, dass die Krümmung des interatomaren Potentials den E-Modul bestimmt, richtig und von allgemeiner Gültigkeit, auch für andere Moduli. 2.4.2 Elektrostatisches Potential Motiviert aus den Betrachtungen des vorigen Abschnitts definiert man nun das elektrostatische Potential (nicht zu verwechseln mit der potentiellen Energie !) einer elektrischen Punktladung Q im Ursprung wie folgt: Φ(r) = 2.4. Potentielle Energie Q 1 4πε0 r (2.22) 31 Kapitel 2. Elektrostatik Man erkennt, dass es sich dabei nur um den Quotient aus der potentiellen Energie der Punktladung q im Feld der Ladung Q handelt. Damit hat das elektrostatische Potential die Einheit: [Energie] J [Φ] = = = Volt [Ladung] C Der Zusammenhang zwischen potentieller Energie und Potential einer Ladungsverteilung ist ähnlich dem, wie der Zusammenhang zwischen Coulomb-Kraft und elektrostatischem Feld: W (r) Φ(r) = Q Das elektrische Feld gibt die Kraft pro Ladung an. Multipliziert man ein gegebenes elektrische Feld mit einer Punktladung, so ergibt sich direkt die Kraft, welche diese Punktladung am Ort r erfährt. Das elektrostatische Potential wiederum gibt die potentielle Energie pro Ladung an jedem Punkt r an. Multipliziert mit einer Punktladung gibt es sofort die potentielle Energie, welche diese Punktladung am Ort r inne hat, an. Die abgeleitete Einheit Äquipotentiallinie ⊥ E Q E-Feld Abbildung 2.16: Äquipotentialflächen eV, also ”Elektronenvolt”, ist gängig aber keine S.I.-Einheit. Sie ermöglicht aber schnelles Umrechnen in S.I. Einheiten: 1 eV = 1 e · 1 V Das eV ist eine sinnvolle Einheit für viele elementare Prozesse. Eine Energie von 13.6 eV bedarf es, um atomaren Wasserstoff zu ionisieren. Die Energie elektromagnetischer Strahlung im sichtbaren Bereich liegt bei 1.6 eV bis 3.4 eV. Die thermische Energie bei Raumtemperatur (T = 300 K) ist circa 1/40 eV. 2.4.3 Elektrisches Feld Aus dem elektrostatischen Potential lässt sich das zugehörige elektrische Feld sehr einfach mit Hilfe des Gradienten bestimmen. E(r) = −grad Φ(r) 2.4. Potentielle Energie (2.23) 32 Kapitel 2. Elektrostatik Unter welchen Bedingungen diese Gleichung gilt, werden wird spaeter im Zusammenhang mit der Magnetostatik diskutieren. 2.4.4 Poisson-Gleichung Wir greifen nun auf das Gaußsche Gesetz vor (eine der Maxwell-Gleichungen), welches in differentieller Form wie folgt aussieht: div E(r) = ρ(r) ǫ0 Hierbei ist ρ(r) die Ladungsdichte. Das Gesetz besagt, dass elektrische Ladungen die Quellen und Senken des elektrischen Feldes sind. Wir setzen Gleichung (2.23) ein und erhalten: ρ(r) ǫ0 ρ(r) (2.23) ⇔ − div grad Φ(r) = | {z } ǫ0 div E(r) = =∇2 =:∆ ⇔ ∆Φ(r) = −ρ(r) ǫ0 (2.24) Die letzte Gleichung ist die sogenannte Poisson-Gleichung. Die Lösung dieser partiellen Differentialgleichung gibt den allgemeinsten Ausdruck für das elektrostatische Potential einer beliebigen Ladungsdichte an. Die Herleitung dieser Lösung ist für uns noch zu schwierig, sodass wir uns mit dem Endergebnis begnügen. Z 1 ρ(r′ ) 3 ′ Φ(r) = dr (2.25) 4πǫ0 |r − r′ | Dies ist die allgemeinste Formel, um das elektrostatisch Potential einer beliebigen Ladungsverteilung zu berechnen. Mit Hilfe von Gleichung (2.23) lässt sich Gleichung (2.25) in einen Ausdruck zur Berechnung des elektrischen Feldes umschreiben: Z ρ(r′ ) r − r′ 3 ′ 1 dr (2.26) E(r) = 4πǫ0 |r − r′ |2 |r − r′ | Ein Vergleich mit (2.4) zeigt die Analogie: Die Summe ist in ein Integral umgewandelt worden, womit das elektrische Feld einer beliebigen Ladungsverteilung berechnet werden kann. Gleichzeit ist jedoch zu beachten, dass es sich bei Gleichung (2.26) streng genommen um drei Gleichungen handelt, da das elektrische Feld im Gegensatz zum Potential vektoriell ist. Gleichzeitig sind die Gleichungen wegen des Quadrats im Nenner wesentlich schwieriger zu lösen. Der einfachere Weg ist daher die Berechnung des Potentials und die Ableitung des elektrischen Feldes durch Bildung des Gradienten gemäß (2.23). 2.4. Potentielle Energie 33 Kapitel 2. Elektrostatik Beispiel 1: Potential einer Punktladung Als einfaches Beispiel betrachten wir die Ladungsverteilung einer Punktladung q im Ursprung: ρ(r) = q · δ(x)δ(y)δ(z) (2.27) Hierbei ist δ(x) die Delta-Distribution, auch Dirac-Funktion genannt, obwohl sie streng genommen keine Funktion ist. Sie ist definiert über folgenden Zusammenhang: Z∞ δ(x − x0 ) · f (x) dx = f (x0 ) (2.28) −∞ Die Delta-Funktion existiert somit nur unter dem Integral. Bildlich gesprochen ist sie ein einzelner, unendlich hoher und unendlich schmaler Peak bei x0 , deren Fläche den Wert 1 hat. Mit Hilfe der obigen Bestimmungsgleichung ist die Integration (2.25) zur Bestimmung des Potentials trivial, wobei in unserem Fall x0 = 0 für alle drei Variablen gilt. Z ρ(r′ ) 3 ′ 1 dr Φ(r) = 4πǫ0 |r − r′ | Z q δ(x′ )δ(y ′ )δ(z ′ ) p = dx dy dz 4πǫ0 (x − x′ )2 + (y − y ′ )2 + (z − z ′ )2 Z q δ(y ′ )δ(z ′ ) p = dy dz 4πǫ0 (x − 0)2 + (y − y ′ )2 + (z − z ′ )2 (2.29) Z δ(z ′ ) q p dz = 4πǫ0 (x − 0)2 + (y − 0)2 + (z − z ′ )2 1 q p = 4πǫ0 x2 + y 2 + z 2 q 1 = 4πǫ0 |r| Wir erhalten das selbe Ergebnis, welches wir bereits in Gleichung (2.22) angegeben hatten. Beispiel 2: Potential eines elektrischen Dipols Zwei betragsmäßig gleiche Ladungen mit verschiedenem Vorzeichen im Abstand |r| bilden einen Dipol. In den Werkstoffwissenschaften treten sie insbesondere in Form von polaren Molekülen auf, das bekannteste Beispiel ist das Wasser-Molekül. Im Folgenden soll das Potential eines Dipols in Abhängigkeit vom Abstand |r| berechnet werden. Wie für den Monopol lässt sich auch für den Dipol einfach das Potential berechnen. Wir legen den Dipol dazu wie in der obigen Abbildung dargestellt auf die y-Achse, wobei der Ursprung in der Mitte zwischen den Ladungen liegt. Damit liegen die Ladungen bei ±d/2 ex , wobei d = |d|. Man betrachtet nun die Superposition der Potentiale der beiden 2.4. Potentielle Energie 34 Kapitel 2. Elektrostatik Abbildung 2.17: Skizze einer Ladungsanordnung, welche einen Dipol beschreibt. Punktladungen und es gilt: 1 4πǫ0 1 ϕ(2) m (r) = 4πǫ0 ϕ(1) m (r) = q |r + d/2 ex | −q · |r − d/2 ex | · Aus der Skizze finden wir, dass r + d/2 ex = r1 und r − d/2 ex = r2 . Wir kürzen weiterhin r1 = |r1 | und r2 = |r2 | ab. Das gesamte Potential des Dipols ist damit: (2) ϕd = ϕ(1) m + ϕm q 1 q 1 · − · = 4πǫ0 r1 4πǫ0 r2 1 1 1 = − 4πǫ0 r1 r2 q r2 − r1 r2 + r1 = 4πǫ0 r1 r2 r2 + r1 Für den Zähler finden wir: (r2 − r1 ) · (r2 + r1 ) = r22 − r12 Wir machen nun die realistische Näherung r >> d. Damit gilt weiterhin r1 ≈ r2 ≈ r, sodass wir den Zähler vereinfachen können. Mit dem Polarwinkel α können wir den 2.4. Potentielle Energie 35 Kapitel 2. Elektrostatik Kosinussatz anwenden: d d2 − 2r cos(α) 4 2 Es gilt aufgrund der oben getroffenen Näherung auch: r12 ≈ r2 , sodass: r22 = r2 + d2✁ d d r22 − r12 ≈ ✁ − 2r cos(α) = −2r cos(α) 2 2 ✁4 Für den Nenner finden wir analog: r1 r2 · (r2 + r1 ) ≈ 2r3 Damit vereinfacht sich das Potential zu: Φ(r, α) = − q d cos(α) 8πǫ0 r2 Für den idealisierten Dipol (q → ∞, d → 0) gilt die Gleichung exakt. 2.4. Potentielle Energie 36 Kapitel 2. Elektrostatik 2.5 Gauß’sches Gesetz Das elektrische Feld einer Punktladung genügt folgender Gleichung: |E| = Q 1 · 2 4πε0 r Des weiteren berechnet sich die Oberfläche einer Kugel, deren Punkte vom Mittelpunkt den Abstand r haben zu: A = 4πr2 Deshalb ist das Produkt aus E = |E| auf der Kugeloberfläche (also bei konstantem r) und der Fläche A eine Konstante: 1 Q E·A= · 2 · 4πr2 4πε0 r Q = (2.30) ε0 Nun ist E jedoch ein Vektor. Ebenso kann man einen Flächenvektor A definieren, der senkrecht auf einer Oberfläche eines Objektes (Volumens) steht und von innen nach außen zeigt. Beispielsweise würde man die Oberfläche eines Deckel eines Kubus mit Kantenlänge a, der entlang der kartesischen Koordinaten ausgerichtet ist, mit ADeckel = a2 ez bezeichnen. Die Oberfläche des Bodens wäre dann ABoden = −a2 ez . Für gekrümmte Oberflächen, wie die einer Kugel, kann man nur kleine Oberflächensegmente betrachten, die man (meist) lokal als nicht gekrümmt annähern kann. Als Beispiel diene die Oberfläche der Erde, die lokal flach erscheint. Bei einer Kugel ist das Oberflächensegment parallel zu r, wenn der Schwerpunkt der Kugel im Koordinatenzentrum liegt. Also ist dA parallel zu r. Man kann Gleichung (2.30) also auch schreiben, indem man kleine Oberflächensegmente betrachtet und dann jeweils deren Beiträge dA · E über die gesamte Kugeloberfläche summieren beziehungsweise integriert. Das resultierende Integral schreibt man formal wie folgt: I 1 E dA = Q eingeschlossen . (2.31) ε0 S(V ) Diese Gleichung bezeichnet man auch als das Gauß’sches Gesetz. Dabei bedeutet das H Symbol A dA... eine Summation bzw. Integration über eine geschlossene Oberfläche, also über die Hülle S(V ) (surface) eines Volumens V . ⇒ ∆A · r = ∆A · r · cos α, wobei α der Winkel zwischen ∆A und r ist. Auf der Kugeloberfläche, deren Schwerpunkt im Ursprung des Koordinatensystems liege, ist cos(α) = 1. Man kann den Ausdruck dA·E auch als “Fluss” des Vektorfeldes E durch die Oberfläche bezeichnen. Betrachten wir als Beispiel wieder unseren Kubus und nehmen ein konstantes E-Feld der Form E0 · ez an, 2.5. Gauß’sches Gesetz 37 Kapitel 2. Elektrostatik also eins das parallel zur z-Achse ist. Die Feldlinien treten dann durch den Boden ein, wo dA · E negativ ist und sie treten durch den Deckel wieder aus, wo dA · E positiv wäre. Insgesamt treten also gleich viele Feldlinien ein wie aus. Durch die Seiten geht kein “Fluss”, weil in diesem Beispiel E · ex = 0 bzw. E · ey = 0. H In diesem Beispiel würde dA · E = 0 gelten, sprich es gibt keinen resultierenden Fluss in den Kubus, denn es fließt durch den Boden soviel hinein, wie durch den Deckel wieder hinausfließt. Der Begriff “Fluss” stammt im übrigen aus der Strömungslehre, in der man den Begriff dann durchaus wörtlich nehmen darf. Betrachten wir wieder den allgemeinen Fall. Dazu gibt es einige Anmerkungen: • Gleichung (2.31) gilt auch, wenn die Ladung nicht im Zentrum der Kugel sitzt (ohne Beweis). • Gleichung (2.31) gilt auch, wenn die Oberfläche eine beliebige Form hat (wieder ohne Beweis). • Gleichung ist isomorph (mathematisch identisch) zum Coulomb-Gesetz. • Eine radialsymmetrische Verteilung ρ (R) = ρ (|R|) kann so behandelt werden, als sei die gesamte Ladung im Schwerpunkt der Ladungsverteilung vorhanden. Es sei angemerkt, dass alles, was wir hier gesagt haben, ebenso für das Gravitationsgesetz gilt, das abgesehen von Konstanten mit dem Coulomb-Gesetz identisch ist. Insbesondere der letzte Punkt unserer Anmerkungen spielt im Gravitationsgesetz eine wichtige Rolle: Die Gravitationswirkung eines Planeten, den man in aller Regel als kugelsymmetrisch annehmen kann, entspricht der Wirkung einer “Punktmasse”, sprich der Gesamtmasse des Planeten, die im Schwerpunkt des Planeten vereinigt ist. Dies gilt auch, wenn die Objekte sich sehr nahe an Planeten befinden, wie z.B. Satelliten. Würde das CoulombGesetz von 1/r2 abweichen, könnte man das Konzept von Punktmassen, oder analog Punktladungen, nicht vornehmen. Aus Gleichung (2.31) folgt, dass der Gesamtfluss von elektrischen Feldlinien durch eine H geschlossene Oberfläche gleich null ist, wenn sie keine Ladung umschließt. Ist dA · E positiv bzw. negativ muss die von der Oberfläche eingeschlossene Ladung in ihrer Summe jeweils positiv bzw. negativ sein. Deshalb haben wir vorher davon gesprochen, dass positive Ladungen die Quellen des elektrischen Feldes sind und negative Ladungen ihre Senken. Ebenso bekommt der Satz, dass elektrische Felder Start- und Endpunkte nur in Ladungen haben, eine tiefere Bedeutung. 2.5. Gauß’sches Gesetz 38 Kapitel 2. Elektrostatik Betrachte den links gezeichneten (infinitesimal) dünnen Diskus. Für ihn gilt: I E dA = 0 Jeder ”Fluss” des Feldes, der in ein Volumen geht (E dA), geht auch wieder unverändert heraus, da keine Ladung im (Diskus-) Volumen enthalten ist. E dA = positiv + negativ Wenn wir über einen Dipol integrieren, sodass beide Ladungen von unserer Oberfläche eingeschlossen sind, gilt: − Qeing. = +e + (−e) = 0 I ⇒ E dA = 0 Weitere Konsequenzen des Gauß’schen Gesetz sind: • Eine Kugel mit homogener Oberflächenladung hat kein inneres E-Feld. Das Konzept des Massenpunktes bzw. Ladungspunkt bezieht sich also nur auf die Massen/Ladungen, die einen kleineren Abstand vom Ursprung haben als man selbst. • Induzierte Ladungen in Metallen sitzen auf Oberflächen. Ansonsten hätte man elektrische Feldlinien innerhalb eines Metalls, was aber nicht erlaubt ist, weil dann Ladungen anfangen zu fließen, die das E-Feld kleiner machen. Anwendungen: Berechnung elektrischer Felder von hochsymmetrischen Strukturen Beispiel 1: Feld einer homogen geladenen Kugel Die Kugel habe den Radius R und die konstante Volumenladungsdichte ρ= 2.5. Gauß’sches Gesetz ∆Q . ∆V 39 Kapitel 2. Elektrostatik Die Aufgabe ist nun, das innere E-Feld einer homogen geladenen Kugel mit der Ladungsdichte ρ zu berechnen. Aus Symmetriegründen muss gelten: E k er Daraus folgt: ⇒ I E dA = E · A = E · 4 π r2 Berechnung der eingeschlossenen Ladung für r ≤ R: Qeing. = ρ · V 4π 3 =ρ· ·r 3 Eingesetzt in den Gaußschen Satz: 4π 3 1 ·ρ· ·r E · 4πr = ε0 3 ρ E= ·r 3 · ε0 2 Innerhalb der Kugel steigt das Feld linear an. Außerhalb muss es gemäß des Coulombgesetzes abfallen. |E| RKugel Interessant: Im Ursprung ist E = 0, was aber aus Symmetriegründen sowieso unvermeidbar war. Eine Einheitenanalyse hätte uns schon ahnen lassen müssen, dass E ∝ ρr sein muss, da das innere Feld gemäß Gauß nicht vom äußeren Radius abhängen kann. ([ρ] = C/m3 ) Beispiel 2: Homogen geladener Draht Der als unendlich dünn genäherte Draht habe eine homogene (Linien-) Ladungsdichte: λ= 2.5. Gauß’sches Gesetz ∆Q = const. ∆Z 40 Kapitel 2. Elektrostatik z r Wenn der Draht durch den Ursprung (0, 0, 0) geht und auf der z-Achse liegt mit R = (x, y, z) gilt: 1 E (R) = E · p · er x2 + y 2 | {z } =r z ADeckel = π · r2 · ez Da E k ex ⇒ kein Fluss durch den Deckel ADeckel = −ABoden |ASeite | = (2 π · r) · |{z} ∆z | {z } Umfang ⇒ I Höhe ⇒ ASeite k E E dASeite = ASeite · E(r) = (2 π r · ∆z) · E(r) Qeing. = λ · ∆z Gleichsetzen liefert: λ · ∆z ε0 λ ⇒ E(r) = 2 π ε0 r (2 π r · ∆z) · E(r) = 2.5. Gauß’sches Gesetz 41 Kapitel 2. Elektrostatik Die Berechnung des E-Feldes hat sich durch den Gauß’schen Satz stark vereinfacht - und kann nun mit etwas Übung in zwei Zeilen geschehen, statt über die Berechnung eines (komplizierten) Integrals. Allerdings mussten wir dazu etwas Mathematik lernen. Beispiel 3: Feld einer homogen geladene Platte Dieses Problem kennen wir bereits. Wir werden es nun erneut behandeln, diesmal jedoch mit Hilfe des Gaußschen Gesetz. Die als unendlich dünn genäherte Platte liege in der x-y-Ebene und habe eine konstante Flächenladungsdichte: σ= ∆Q ∆A ⇒ E k ez E ↑↓ ez ⇒ E · ∆ADeckel E · ∆ABoden :z>0 :z<0 = E · ADeckel = |E| · |ABoden | Es findet kein Fluss durch die Seiten statt: E · ∆ASeite = 0. Daher gilt I E dA = E · ADeckel + E · ABoden , wobei A = ABoden = ADeckel . Die eingeschlossene Ladung ist gegeben als das Produkt aus Fläche mal Flächenladungsdichte, Qeing. = σ · A. Damit folgt insgesamt: 2A · E = σ 1 · σ · A oder E = ε0 2 ε0 Dieses Ergebnis stimmt mit dem Ergebnis der expliziten Berechnung über die Kreisscheiben überein. Man spart sich jedoch viel Rechenaufwand. 2.5. Gauß’sches Gesetz 42 Kapitel 2. Elektrostatik 2.6 Mathematischer Einschub 2.6.1 Gradient Skalare Funktionen des Ortes (und möglicherweise der Zeit) bezeichnet man in der Physik als skalare Felder. Die Funktionsvorschrift dieser Felder ordnet jedem Punkt s im Raum einen skalaren Wert u(s) zu (Beispiel: Temperatur T = T (s, t)). Der örtlichen Änderung eines skalaren Feldes entspricht in einer Dimension einfach die Ableitungen dieser nach ihrer Ortskomponente. Die Verallgemeinerung auf drei Dimensionen gestaltet sich schwieriger, da die Änderungen nun richtungsabhängig sind. Für jede Richtung (es gibt unendlich viele) variiert die Änderung. Dies erkennt man direkt am totalen Differential: ∂u ∂u ∂u dx + dy + dz (2.32) du = ∂x ∂y ∂z Mit ds = dx ex + dy ey + dz ez lässt sich das totale Differential schreiben als: ∂u ∂u ∂u du = ex + ey + ez ·ds ∂x ∂y ∂z | {z } (2.33) (2.34) =: grad u Der so definierte Gradient einer skalaren Funktion ist ein sogenannter Differentialoperator, in der Literatur auch häufig als ’Nabla’-Operator ∇ bezeichnet und als Vektor dargestellt. Als Komponenten enthält er jeweils die partiellen Ableitungen nach den drei Raumrichtungen: T ∂u ∂u ∂u (2.35) , , grad u = ∇u = ∂x ∂y ∂z Aufgrund des vektoriellen Charakters dieses Operators liegt es nahe, ihn auch über die bekannten Vektoroperationen (Skalarprodukt, Kreuzprodukt) mit anderen Vektor zu verknüpfen, dazu später mehr. Wichtig sind auch die geometrische Interpretationen des Gradienten: • Der Gradient einer skalaren Funktion ist ein Vektor welcher in Richtung des größten Anstiegs der Funktion zeigt. • Der Betrag des Gradienten einer skalaren Funktion gibt die Steigung entlang des größten Anstiegs an. Anschaulich wird dies, wenn man im gegebenen Raum alle Punkte mit gleichen Werten von u zu sogenannten Niveaufächen (oder Niveaulinien) miteinander verbindet. Beim 2.6. Mathematischer Einschub 43 Kapitel 2. Elektrostatik Laufen entlang der Richtung ds0 einer solchen Fläche ändert sich u also nicht und es gilt: ds0 · grad u = 0 (2.36) Doch da weder ds0 noch der Gradient von u verschwinden sollen, muss der Gradient senk- 2 2 Abbildung 2.18: Ein Plot des skalaren Feldes u(x, y) = (x − y) · e−(x +y ) (Rot: f (x, y) = −0,6 - Grün: f (x, y) = 0,6) mit einigen eingezeichneten Niveaulinien. Deutlich zu sehen ist, wie der eingezeichnete Gradient immer senkrecht zu den Niveaulinien steht. Auf dem Berg (grün) und im Tal (rot) verschwindet der Gradient, hier ist jeweils ein stationärer Punkt. recht auf s0 stehen, da nur dann das Skalarprodukt verschwindet. Somit kann der Gradient auch als Normalenvektor der Niveauflächen interpretiert werden. In Abbildung 2.18 ist dies für eine skalare Funktion im zu sehen, die schwarzen Linien sind die Niveaulinien. Gut erkennbar ist, dass der Gradient senkrecht auf diesen steht. In der Physik werden viele Vektorfelder (elektrisches Feld, Gravitationsfeld, ...) aus einer skalaren Funktion, dem sogenannten Potential abgeleitet. Für das elektrische Feld gilt beispielsweise E = −grad φ, wobei φ elektrisches Potential genannt wird (das negative Vorzeichen ist Konvention). Dies hat den sehr eleganten Vorteil, dass man den Nullpunkt des Potentials beliebig wählen kann (Eichung), da eine additive Konstante den Wert des Gradienten nicht verändert. Felder die aus einem Potential abgeleitet werden können, nennt man konservative Felder. Exkurs: Potentialdifferenzen in der Natur Leicht sieht man ein, dass aus einer großen Potentialdifferenz zwischen zwei Orten ein großer Gradient, also ein starkes elektrisches Feld, resultiert. Diesen Gradient kann man sogar in der Natur beobachten. Bei starken Gradienten des elektrischen Potentials können einem die Haare zu Berge stehen. Konservative Felder haben zwei sehr wichtige Eigenschaften: 2.6. Mathematischer Einschub 44 Kapitel 2. Elektrostatik Abbildung 2.19: Drei der unendlichen vielen möglichen Wege zwischen Punkt A und B. Das Wegintegral durch das konservative Vektorfeld ist auf allen Wegen gleich. 1. Das Integral über einen abgeschlossenen Weg durch das Vektorfeld verschwindet. I grad u ds = 0 (2.37) S 2. Die Differenz der Werte an zwei Orten A und B ist vom Weg unabhängig. Z Z Z grad u ds = grad u ds = grad u ds S1 S2 (2.38) S3 Als logische Folgerung ergibt sich auch, dass der Wert des Rückweges gerade dem negativen Wert des Hinweges entspricht. Es ist zu beachten, dass der Nabla-Operator und somit auch der Gradient von der Wahl der Koordinaten abhängen. Nabla in Zylinderkoordinaten: ∂u 1 ∂u ∂u er + eφ + ez ∂r r ∂φ ∂z (2.39) ∂u 1 ∂u 1 ∂u er + eθ + eφ ∂r r ∂θ r sin θ ∂φ (2.40) ∇u = Nabla in Kugelkoordinaten: ∇u = 2.6.2 Divergenz am Beispiel des Gaußschen Satzes Wie bereits erwähnt lässt sich der vektorielle Charakter des Nabla-Operators nutzen, um eine weiter wichtige Größe zu definieren, nämlich die Divergenz. Im Gegensatz zum Gradienten kann die Divergenz nur auf ein Vektorfeld v = v(x) = (vx , vy , vz )T angewandt werden und ist ein Maß für den Fluss dieses Vektorfeldes durch eine 2.6. Mathematischer Einschub 45 Kapitel 2. Elektrostatik Fläche. Sie berechnet sich als das Skalarprodukt des Nabla-Operators mit dem Vektorfeld: div v := ∇ · v = ∂vx ∂vy ∂vz + + ∂x ∂y ∂z (2.41) Die Idee hinter der Divergenz ist es, sich ein beliebiges Volumenelement ∆V innerhalb eines Vektorfeldes anzuschauen und den Fluss durch die Oberfäche S(∆V ) diese Volumens zu berechnen: I 1 v · dA (2.42) div v = lim ∆V →0 ∆V S(∆A) Es gilt dA = n · da, wobei per Konvention immer der nach außen zeigende Flächennormalenvektor genutzt werden soll. Als einfaches Beispiel sei eine Strömung in x-Richtung gegeben, welche durch Feldlinien Abbildung 2.20: Ein einfaches Volumenelement innerhalb eines Vektorfeldes in x-Richtung. dargestellt wird. Eine Feldlinie entspricht einer bestimmten Menge Wasser. Nehmen wir uns jetzt ein Volumenelement aus der Strömung heraus (bspw. Würfel mit Kantenlänge 1, Abbildung X), so können wir den Fluss durch die gesamte Oberfläche des berechnen. In unserem Beispiel fallen aufgrund der Richtung des Feldes nur die schraffierten Flächen ins Gewicht, da bei allen anderen dA ⊥ dv gilt und das Skalarprodukt im Integral somit verschwindet. • Linke Fläche: n steht antiparallel zu v, dies ergibt ein negatives Vorzeichen und somit einen Fluss von −15 (willkürliche Einheit, hier einfach Anzahl der Pfeile) • Rechte Fläche: n k v, also ergibt diese Seite einen Fluss von +15 (ebenfalls willkürlich) Zusammengefasst ist also der Fluss durch die gesamte Oberfläche 0, was auch direkt aus der Darstellung ersichtlich ist. Doch das muss nicht immer sein, läge beispielsweise ein Zu-/Abfluss innerhalb des betrachteten Volumens, so wäre der Wert ungleich 0. Wir haben mit dem Integral in (2.42) also ein Maß für die Ergiebigkeit eines Volumenele- 2.6. Mathematischer Einschub 46 Kapitel 2. Elektrostatik ments erhalten, die allerdings noch von der Größe desselben abhängt, daher der Vorfaktor. Bildet man nun den Grenzwert und lässt das Volumenelement unendlich klein werden, hat man die Divergenz eingeführt. Sei nun ein endliches Raumvolumen Ω von einer geschlossenen Oberfäche begrenzt (beispielsweise eine Kugelschale). Es gilt für jedes infinitesimale Volumenelement dV innerhalb dieses Volumens die Definition der Divergenz: I 1 v dA div v = dV S(dV ) I ⇔ div v dV = v dA S(dV ) Z I ⇔ div v dV = v dA Ω S(Ω) Im letzten Schritt wurde über ganz Ω integriert, also alle infinitesimalen Volumenelemente innerhalb Ω aufsummiert. Auf der rechten Seite wird nun nur noch über die äußere Oberfäche von Ω integriert, da sich alle Integrale über die Oberflächen der infinitesimalen Volumenelemente innerhalb von Ω aufheben. Damit haben wir den Gaußschen Integralsatz hergeleitet: Z I div v dV = v dA (2.43) Ω S(Ω) Beispiel: Herleitung des Gaußschen Gesetzes Betrachten wir eine Kugel um den Ursprung mit Radius R0 , Volumen V und (abgeschlossener) Oberfläche S(V ). Innerhalb dieser Kugel sei eine Punktladung mit Ladung q, das elektrische Feld kennen wir also. Schauen wir uns den Fluss des von der Ladungsverteilung erzeugten elektrischen Feldes durch S(V ) an (es bietet sich an in Kugelkoordinaten zu rechnen): I I 2π Z π 1 q E(r) dA = e · 6 r2 sin(θ) · er · dθdφ 2 r | {z } 4πǫ 6 r S(V ) 0 0 | 0{z } dA E I 2π Z π q sin(θ)dθdφ = 4πǫ0 0 0 {z } | q = ǫ0 =4π Das schöne an diesem Ergebnis ist, dass man zeigen kann, dass es nicht nur für Kugeln sondern für alle abgeschlossenen Oberfächen gilt! Außerdem lässt sich mit Hilfe des Superpositionsprinzips zeigen, dass dies auch für eine beliebige Ansammlung von Punktladungen in- 2.6. Mathematischer Einschub 47 Kapitel 2. Elektrostatik nerhalb der Kugel gilt. Insgesamt gilt also mit Qeing = Summe aller Punktladungen in S(V ): I Qeing E(r) dA = (2.44) ǫ0 S(V ) Allgemeiner gilt mit einer kontinuierlichen Ladungsverteilung ̺: Z Qeing = ̺dV V Und jetzt kommt der Gaußsche Integralsatz ins Spiel, wir wandeln mit Hilfe von (2.43) das Oberflächenintegral in ein Volumenintegral um: Z I Z q ̺ div E dV = E(r) dA = = dV ǫ0 V S(V ) V ǫ0 Wir identifizieren also: ̺ (2.45) ǫ0 Damit haben wir das Gaußsche Gesetz in differentieller Form, also eine der MaxwellGleichungen, hergeleitet! div E = 2.6.3 Integration krummliniger Koordinaten In vielen Fällen kann man beim Lösen physikalischer Systeme die Symmetrie des Systems ausnutzen. Vor allem in der Elektrodynamik ist dies häufig der Fall, denken wir nur an einen Kreis, einen Zylinder oder eine Kugel. Hier empfiehlt sich vor allem bei der Integration ein Wechsel auf Polarkoordinaten, Zylinderkoordinaten oder Kugelkoordinaten. Beim Wechsel von kartesischen in andere Koordinatensysteme bekommen wir einen zusätzlichen Korrekturfaktor in das Integral, die sogenannte Jacobi-Determinante (auch Funktionaldeterminante genannt). Diese errechnet sich aus der Jacobi-Matrix, die genaue Beschreibung dieser findet man in ziemlich jedem Buch zu den mathematischen Methoden der Physik. Die Jacobi-Determinanten sind: • Polarkoordinaten (x, y → r, φ): J = r • Zylinderkoordinaten (x, y, z → r, φ, z): J = r • Kugelkoordinaten (x, y, z → r, φ, θ): J = r2 · sin(θ) Allgemein gilt also folgende Regel bei einem Koordinatenwechsel von kartesischen (x1 , x2 , ...) zu krummlinigen (q1 , q2 , ...) Koordinaten: Z Z (...)dx1 dx2 ... → J · (...)dq1 dq2 ... 2.6. Mathematischer Einschub 48 Kapitel 2. Elektrostatik Beispiel: Berechnung des Volumens einer Kugel mit Radius R0 Z Z dV = dx dy dz V V Wir brauchen nicht ‘über’ irgendetwas zu integrieren. Wir integrieren ja hier schließlich schon über alle Volumenelemente dV , zusammen sollte also das Gesamtvolumen herauskommen! Logischerweise bieten sich Kugelkoordinaten hier an (an unser neues J denken!), dadurch bekommen wir ein ‘neues’ dV . Z Z dV = r2 · sin(θ) dr dφ dθ V V I 2π Z π Z R0 r2 dr = dφ sin(θ)dθ 0 0 0 3 R0 r = 2π · [− cos(θ)]π0 · | {z } 3 0 =2 4 3 πR = 3 0 Vektorielle und skalare Oberflächenintegrale Während ein Volumenelement immer ein Skalar ist, kann ein Oberflächenelement auch gerichtet, also eine vektorielle Größe, sein. Im Allgemeinen ist das vektorielle Oberflächenelement dA immer das skalare Oberflächenelement multipliziert mit dem Flächennormalenvektor der Fläche, über die integriert wird: dA = n da = n dx dy Wir kennen das vom Fluss eines Vektorfeldes (bei uns beispielsweise des elektrischen Feldes) durch eine Oberfläche. Hier müssen wir das vektorielle Oberflächenelement nehmen, da wir damit dafür sorgen, dass der Fluss auch dann korrekt berechnet wird, wenn Feld und Oberfläche unter einem bestimmten Winkel zueinander stehen. In Kugelkoordinaten ist beispielsweise der Fluss eines Vektorfeldes v durch die Oberfläche einer Kugel also gegeben durch: Z Z 2 Φ= r sin(θ)(v · n)dr dφ dθ = r2 sin(θ)(v · er )dr dφ dθ A A Das Skalarprodukt sorgt hier automatisch dafür, dass der Winkel zwischen Oberfläche und Feld berücksichtigt wird. Man sieht allerdings schon, dass man auch ein Kreuzprodukt nehmen könnte und so einen Vektorfluss erhält, doch den brauchen wir hier nicht. n ist bei diesem Beispiel der Kugelfläche logischerweise gerade der Einheitsvektor in r-Richtung. 2.6. Mathematischer Einschub 49 Kapitel 2. Elektrostatik 2.6.4 Vektorgradient Bisher haben wir nur den Gradienten von skalaren Funktionen berechnet. Doch es kann zweckmäßig sein, auch den Gradienten einer Vektorfunktion zu kennen. Hierbei ist (vor allem, wenn man Divergenz und Gradient mit dem Nabla-Symbol ausdrückt) darauf zu achten, in der Notation konsistent zwischen Divergenz und Gradient zu unterscheiden. Wir legen fest: grad v = ∇v (2.46) div v = ∇ · v Mathematisch gesehen steht hinter dem Vektorgradienten die Frage nach der Änderung dv eines Vektorfeldes v von einem Punkt r = xex + yey + zez zu einem anderen Punkt r + dr. In völliger Analogie zum skalaren Feld schauen wir uns das totale Differential von v an (machen Sie sich klar, dass hier jetzt 3(!) Gleichungen stehen, eine für jede Komponente): ∂v ∂v ∂v dx + dy + dz (2.47) dv = ∂x ∂y ∂z Zusammen mit dr = dxex + dyey + dzez lässt sich dv schreiben als: dv = (dxex + dyey + dzez ) · ( ∂ ∂ ∂ ex + ey + ez ) ∂x ∂y ∂z = dr · ∇v (2.48) (2.49) Man beachte, dass wie bereits festgelegt KEIN Punkt zwischen dem Nabla-Operator und dem Vektorfeld steht, es sich hierbei also nicht um ein Skalarprodukt handelt (sondern um ein sogenanntes dyadisches Produkt). Wer sich schon einmal mit dem Thema Richtungsableitungen beschäftigt hat, sieht sofort, was nun für den Gradienten eines Vektors heraus kommt: ∂v ∂v ∂v grad v = ∇v = x x x ∂x ∂vy ∂x ∂vz ∂x ∂y ∂vy ∂y ∂vz ∂y ∂z ∂vy ∂z ∂vz ∂z (2.50) Wir erhalten eine Matrix (genauer einen Tensor), in welcher die partiellen Ableitungen der Komponenten des Vektorfeldes nach allen drei Raumrichtungen auftauchen. Im folgenden Abschnitt können wir damit sehr elegant physikalische Probleme und deren Lösungen beschreiben. 2.7 Der elektrische Dipol Wir haben den elektrischen Dipol bereits in einem Beispiel berechnet. Wir wollen die damals getroffenen Näherung nun mathematisch plausibel herleiten und den Dipol etwas genauer betrachten. Setzen wir zwei Punktladungen mit zwei entgegengesetzt gleichen Ladungen Q1 = Q = 2.7. Der elektrische Dipol 50 Kapitel 2. Elektrostatik −Q2 im Abstand d = |d| nebeneinander, so haben wir einen Dipol konstruiert. Jeder Dipol kann somit durch sein Dipolmoment p charakterisiert werden: p=Q·d (2.51) d und somit auch p zeigen definitionsgemäß immer von der negativen zur positiven Ladung. Abbildung 2.21: Skizze zur Herleitung des Dipol-Potentials im vorliegenden Fall. Das elektrische Feld eines solchen Dipols lässt sich am einfachsten aus dem Potential ableiten. Legen wir d auf die z-Achse und den Nullpunkt zwischen die beiden Ladungen, so gilt (siehe Abbildung 2.21): 1 Q Q φD (R) = − 4πǫ0 |R − d/2| |R + d/2| Die Taylor-Entwicklung von (|R ± d/2|)−1 in Näherung R ≫ d in führender Ordnung ergibt (R = |R|): R·d 1 1 1∓ 2 ≈ |R ± d/2| R r Somit ergibt sich für das Potential des Dipols in großer Entfernung (R ≫ d): Q R·d · 4πǫ0 R3 = −d · ∇φM (R) φD (R) = (2.52) Im letzten Schritt wurde ausgenutzt, dass man wegen ∇(1/R) = −R/R3 das Dipolpotential als Gradient des Monopolpotentials φM schreiben kann. Man sieht durch Umschreiben des Skalarproduktes im Zähler sofort, dass das Dipolfeld überall bei z = 0 (⇒ ∠d, R = π/2) verschwindet. 2.7. Der elektrische Dipol 51 Kapitel 2. Elektrostatik Im Vergleich zum Monopol fällt das Dipolfeld mit wachsendem R schneller ab. Dies liegt vereinfacht gesagt daran, dass der Dipol in großer Entfernung (R ≫ d) wie ein neutrales Gebilde aussieht, da sich die Potentiale zunehmende gegenseitig kompensieren. Das elektrische Feld ergibt sich nun einfach aus dem Gradienten, wobei man geeignete Koordinaten wählen sollte. 2.7.1 Elektrischer Dipol im homogenen Feld Die potentielle Energie eines Dipols in einem elektrischen Feld ist: Wpot = Q · (φ1 − φ2 ) φ1 ist hierbei das elektrische Potential bei der einen und φ2 das bei der anderen Ladung. Liegen beide auf der selben Äquipotentialfläche, so ist die potentielle Energie des Dipols natürlich Null. Wegen E = F/Q (zur Erinnerung: elektrisches Feld E = Kraft F auf Probeladung Q) erfahren beide Ladungen eine jeweils in die andere Richtung zeigende Kraft, was insgesamt ein Drehmoment an dem Dipol angreifen lässt. Dieses steht senkrecht auf E und d: D=p×E (2.53) Im homogenen Feld ist φ1 − φ2 jedoch gerade ∇φ · d, woraus folgt: Wpot = Q · ∇φ · d = −p · E (2.54) Die Natur bevorzugt meistens die Zustände, die energetisch gesehen am günstigsten, also am niedrigsten sind. So auch hier, ein freier Dipol in einem homogenen elektrischen Feld wird sich durch das resultierende Drehmoment gerade so einstellen, dass p parallel zu E liegt, was die potentielle Energie wie angesprochen minimiert. 2.7.2 Elektrischer Dipol im inhomogenen Feld Inhomogen bedeutet, dass die Feldstärke E nun vom Ort abhängt, also E = E(r). Wieder wegen E = F/Q und aufgrund des vektoriellen Charakters von Kräften finden wir für die resultierende Kraft auf einen Dipol im inhomogenen elektrischen Feld: F = Q · (E(r + d) − E(r)) Nun folgt eine Umformung, die sämtlichen Mathematikern die Haare zu Berge stehen lassen würde. Als Physiker (oder zumindest wenn Sie Physik betreiben) müssen Sie sich 2.7. Der elektrische Dipol 52 Kapitel 2. Elektrostatik jedoch keine Sorgen um die mathematische Korrektheit machen: F = Q · (E(r + d) − E(r)) E(r + d) − E(r) =Q·d· d dE =Q·d· dr (2.55) Wir haben geschickt mit 1 = d/d multipliziert und haben ausgenutzt, dass wir uns sowieso weit weg vom Dipol befinden und somit d als sehr klein ansehen können. Daher haben wir hier nichts anderes als einen Differenzenquotienten gebaut. Jedoch die Ableitung einer Vektorfunktion nach einem Vektor. Und hier kommt der Vektorgradient ins Spiel; mit ihm können wir schreiben: F = p · ∇E (2.56) Um Ihnen den Vektorgradienten hier klar zu machen, schauen wir uns eine der drei Komponenten von F explizit an: Fx = p · ∇Ex = px ∂Ex ∂Ex ∂Ex + py + pz ∂x ∂y ∂z Die anderen Komponenten lassen sich analog beschreiben. Wir können also insgesamt auch schreiben (und das sollten Sie selbst als Übung nachrechnen): ∂E ∂E ∂E F= x x x ∂x ∂Ey ∂x ∂Ez ∂x ∂y ∂Ey ∂y ∂Ez ∂y ∂z ∂Ey ∂z ∂Ez ∂z ·p Wir haben hier allerdings die Faktoren umgedreht, da eine Operation Vektor mal Matrix nicht definiert ist, nur Matrix mal Vektor ist eine erlaubte Operation. Für alle, die es genau wissen wollen, diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Definition des Vektorgradienten über die Jacobi-Matrix: p · ∇E := J˜F · p (2.57) Viele Moleküle tragen ein Dipolmoment, siehe folgende Tabelle 2.1 aus J. Israelachvili, Intermolecular & Surface Forces, Academic, London, 1992 Die Anziehung von Dipolmomente in Flüssigkeiten und Materialien führen zu einer speziellen Form des Mie-Potential, dem sogenannten Lennard-Jones Potential. Es hat die Form: A B W (r) = − 6 + 12 (2.58) r r Dieses Potential wird in vielen Anwendungen der Festkörper- und Materialphysik benützt. Näheres kann man dazu in J. Israelachvili, Intermolecular & Surface Forces, Academic, 1992, finden. 2.7. Der elektrische Dipol 53 Kapitel 2. Elektrostatik Tabelle 2.1: Dipolmomente verschiedener Moleküle 2.7. Der elektrische Dipol 54 Kapitel 2. Elektrostatik 2.8 Kondensatoren und Feldenergie Aus den Rechnungen für eine unendlich ausgedehnte Platte mit homogener Ladungsdichte, die wir im Abschnitten 2.5 vorgenommen haben, können wir für das elektrische Feld zwischen zwei plan-parallelen Platten zwanglos folgern, dass: 1 1 Qlinks Qrechts · − E= ε0 A 2 2 Mit der Vorgabe, dass Qlinks = Qrechts = Q folgt für E: E= 1 Q · ε0 A Die Energie, die benötigt wird, um eine Probeladung q ≪ Q von links nach rechts zu verschieben, beträgt somit: d =q·U W = q · E · |{z} |{z} Kraft Weg Dabei ist U = E · d die Potenzialdifferenz (Spannung) zwischen den beiden Platten. Es gilt also: (q) · 1 d · · Q = (q) · U ε0 A ε0 A ·U oder Q = d Daraus folgt, dass Ladung und Potenzialdifferenz proportional zueinander sind. Der Proportionalitätsfaktor ist eine Eigenschaft des Objekts und wird Kapazität genannt. Je höher die Kapazität ist, desto mehr Ladung wird bei gegebener Spannung auf die Platten geladen. A C = ε0 · Kapazität eines Plattenkondensators (2.59) d Kapazitäten (von Kondensatoren) spielen in Schaltkreisen aber auch bei der Energiespeicherung eine wichtige Rolle, insbesondere dann, wenn (kurzfristig) hohe Leistungen gewünscht sind. 1C [Q] = = 1F Farad [U ] 1V A = [ε0 ] = [ε0 ] · m d [C] = Die Kapazität kann nicht nur für zwei parallele Platten definiert werden, sondern für allgemeine Paare von metallischen Objekten. 2.8. Kondensatoren und Feldenergie 55 Kapitel 2. Elektrostatik Beispiel: Kapazität eines Koaxialkabel Ein Koaxialkabel besteht im wesentlichen aus zwei voneinander isolierten Metalldrähten, siehe Abbildung. Ra Ri Im letzten Kapitel: E= 1 λ · 2 π ε0 R für Ri < R < Ra λ= ∆Q Q ≈ ∆l l Gesamtladung Gesamtlänge ∆l ist ein Längensegment Abbildung 2.22: Koaxialkabel Die Energie, die benötigt wird, um eine kleine Testladung von R = Ri nach R = Ra zu verschieben, ist: Z Ra Z Ra λ 1 E(R) dR = q · W = q (2.60) dR · 2 π ε0 Ri Ri R | {z } a ln R|R R =ln Ra −ln Ri =ln i ⇒W = q· Ra λ · ln 2 π ε0 Ri | {z } mit λ= Q l Potenzialunterschied V Ra Ri ⇒ Q = 2 π ε0 · | l ln Ra {z Ri} ·U (2.61) C (Koaxialkabel) ⇒ Ein 100 m langes Kabel mit Ra = 2 m und Ri = 1 m hat dieselbe Kapazität wie ein m. gleich langes Kabel mit Ra = 20 nm und Ri = 10 nm, nämlich C/ǫ0 = 200π ln 2 2.8.1 Parallelschaltung von Kapazitäten In elektrischen Schaltungen werden Kondensatoren oft seriell oder parallel zu Widerständen, Spulen aber auch zu anderen Kondensatoren geschaltet. Man kann dann jeweils parallel oder seriell geschaltete Kondensatoren vereinfacht mit der Angabe einer effektiven Kapazität beschreiben. Die Gleichstromquelle (U ) gibt die Spannung vor. An jeder Kapazität liegt dieselbe Span- 2.8. Kondensatoren und Feldenergie 56 Kapitel 2. Elektrostatik C 1 , Q1 C, Q Ersatzschaltbild C 2 , Q2 → U U Abbildung 2.23: Parallelschaltung von Kapazitäten nung an. ⇒ Q1 = C 1 · U Q2 = C 2 · U Qgesamt = Q1 + Q2 = (C1 + C2 ) · U Parallelgeschaltete Kapazitäten addieren sich! ε0 · (A1 + A2 ) d Die Flächen einer in zwei Teile geschnittenen Kapazität addieren sich. Siehe auch: Cgesamt = 2.8.2 Serienschaltung von Kapazitäten Wir betrachten die Situation, welche im folgenden Schaltbild dargestellt ist. Die Summe der Spannungen muss den externen Spannung entsprechen! ⇒ U1 = 1 ·Q C1 U2 = 1 ·Q C2 Insgesamt gilt also: U= Q= 1 1 + C1 C2 1 1 + C1 C2 ·Q −1 ·U Damit findet man folgenden Zusammenhang: In Serienschaltung addieren sich die inversen Kapazitäten zur inversen Gesamtkapazität. 2.8. Kondensatoren und Feldenergie 57 Kapitel 2. Elektrostatik C 1 , Q1 C 2 , Q2 Ersatzschaltbild C, Q → U U Abbildung 2.24: Serienschaltung von Kapazutäten Siehe dazu auch: 1 1 1 1 = · (d1 + d2 ) = + C ε0 A | {z } C1 C2 =d Auch komplizierte Serien- und Parallelschaltungen von Kondensatoren lassen sich als d1 d2 Abbildung 2.25 effektive Kapazität darstellen. Bei ganz genauer Betrachtung muss man allerdings die Kapazität als eine Matrix ansehen. Dies zu vertiefen sprengt aber den Rahmen der Vorlesung. 2.8.3 Energie in einem Kondensator Jede Partialladung in der linken Platte ”fühlt” das Potenzial der Ladungen auf der rechten Platte. Die Gesamtenergie, die in der Wechselwirkung zwischen den Ladungen steckt, kann prinzipiell über Summation bzw. Integration berechnet werden. Alternativ: 2.8. Kondensatoren und Feldenergie 58 Kapitel 2. Elektrostatik Qlinks Qrechts Abbildung 2.26 Rechte Platte erzeugt ein E-Feld: E=− 1 Qrechts · 2 ε0 A (2.62) F = Qlinks · E Nun verschiebe man die linke Platte nach rechts bis sich die beiden Platten berühren. Z d (−1) Qrechts Qlinks · ⇒W = · dr 2 ε0 A 0 Q2 d 1 Qrechts · Qlinks ·d = (2.63) · · = − 2 ε0 A 2 ε0 A Damit ist die Energie: Q2 2C (2.64) 1 C · U 2. 2 (2.65) W = oder wenn wir Q = C · V setzen: W = Das ist die Energie, die wir benötigen, um eine Kapazität zu laden. Diese Formel gilt auch für allgemeine Kondensatoren. Interessanter Weise gibt es offensichtlich keine “Selbstenergie” einer Platte in dieser Rechnung. Alternative Sichtweise Energie steckt im Feld der wechselwirkenden Ladungen. Ladungen selbst wechselwirken nicht, sondern sie erzeugen ein Feld, das Energie hat. Im Plattenkondensator: E= Q ε0 A in (2.63) eingesetzt: Q = ε0 · A · E 1 (ε0 · A · E)2 d = ε0 E 2 · (A · d) · ⇒W = 2 ε0 A 2 2.8. Kondensatoren und Feldenergie 59 Kapitel 2. Elektrostatik W 1 Energie = Energiedichte = = ε0 E 2 Volumen A·d 2 Diese Formel gilt allgemein - also auch außerhalb eines Plattenkondensator. (2.66) Hintergrundwissen: Feldenergie eines Protons Ein Proton ist prinzipiell ein Punktteilchen. Bei genauer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass es einen zwar sehr kleinen, aber dennoch endlichen Radius, R = 0.877 fm hat. Man kann nun annehmen, dass die Ladungsdichte ρ innerhalb dieses Radius konstant ist und außerhalb gleich null und die Feldenergie berechnen. ( 0 r>R ρ= ρ0 r ≤ R Betrachte nur Feldenergie außerhalb des Protons, wo der Betrag des elektrischen Feldes E Q 4 π ε0 · R 2 R Abbildung 2.27: Feld einer homogen geladenen Kugel, hier eines Protons; siehe auch Abschnitt 2.5 gegeben ist durch: |E| = 1 Q · 2 4 π ε0 r Volumen einer Kugelschale der Dicke ∆R: ∆V = 2 |4 π {zr} Oberfl. Kugel ·∆r Z ∞ ε0 e2 ε0 E 2 1 dr 4 π r2 · · → ⇒W = ∆V · 2 · 4 2 2 (4 π ε0 ) r R r>R Z ∞ 1 e2 1 = dr = 8 π ε0 R r 2 8 π ε0 · R | {z } ∞ 1 − 1r | = R R X (2.67) Setzen wir Zahlenwerte ein, erhalten wir W = 0.82 MeV. Mit Hilfe der Formel E = m · c2 (hier steht E für Energie), kann man der Energie eine Masse zuordnen. Das Ergebnis ist m = 1, 46 · 10−30 kg. Dies ist nicht die Masse eines Protons sondern ungefähr die eines Elektrons (me = 0, 91 · 10−30 kg.) bzw. die seines Antiteilchen. 2.8. Kondensatoren und Feldenergie 60 Kapitel 2. Elektrostatik 2.9 Elektrische Felder und Ladungen in Materie Aus Erfahrung wissen wir, dass unterschiedliche Materialien unterschiedlich auf externe Felder reagieren. ⇒ Klassifizierung von Materialien nach elektrischen Eigenschaften. 2.9.1 Leiter Elektrischer Strom fließt bei angelegter Spannung. Das entsprechende mikroskopische Bild sind ”freie Ladungen”, die sich im Leiter bewegen. Je nach Natur der Ladungsträger unterscheidet man: • Halbleiter • Metalle: Ladungsträger sind die Elektronen oder auch Elektronenlöcher, deren spezielle Eigenschaften man erst im Bändermodell verstehen kann. Berechnung von Leitfähigkeiten und Widerständen Ausgangspunkt sind ”freie” Ladungen qn . Auf Ladungen wirken ”Zufallskräfte” (Stöße) deren summierter Effekt eine Reibungskraft bewirkt. In guter Näherung gilt: FReibung = −γ · v (2.68) ähnlich wie in Wasser sedimentierende Teilchen. Damit ergibt sich folgende Bewegungsgleichung: m·a+γ·v =q·E (2.69) Im statischen Grenzfall: a = 0; E = const ⇒ v= q E γ E dA2 dA1 ∆l 2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie 61 Kapitel 2. Elektrostatik ∆l um von der Oberfläche A2 zu A1 zu gelangen. v |v| bezeichnet man auch als Driftgeschwindigkeit. Die Anzahl der Ladungen, die durch A1 in dieser Zeit treten (mit der Materialkonstannte ρ als (Zahlen)Dichte der freien Ladungsträger). Nq = ρ · (A1 · ∆l) Eine Ladung benötigt eine Zeit ∆t = ⇒ q · Nq ist die Ladung, die in der Zeit ∆t durch die Fläche A1 tritt: ∆Q q · Nq q · Nq = = · |v| ∆t ∆l/ |v| ∆l |{z} Strom: I 2 A q · ·ρ · ∆l = | {z· E} γ ∆l |{z} | {z } Spannung: U Leitfähigkeit: σ geom. Eigensch. {z } | inverser Widerstand: 1/R ⇒ Ohm’sche Gesetz: U = R · I Dabei gilt für die Einheiten [R] = 1 Ω = 1 Volt 1 Ampere ”Ohm” Die Leitfähigkeit ist eine Materialeigenschaft. Symbol: σ. 1 l · σ A 1 l ⇒σ= · R A (2.70) R= [σ] = 1 S = 1 Ω·m ”Siemens” Die inverse Leitfähigkeit heißt spezifischer Widerstand. Sie hat das Symbol ρ aber keine eigene S.I. Einheit. Wir sehen, dass die Leitfähigkeit - selbst ohne Supraleiter - extrem viele Größenordnungen abdeckt. Fast alle anderen Eigenschaften der genannten Materialien wie z.B. Dichte oder Elastizitätsmodul, variieren bedeutend weniger. Die große Bandbreite an Leitfähigkeiten kann wieder über das Bändermodell verstanden werden: Die Anzahl der freien Elektronen kann je nach Material und thermodynamischen Größen wir Druck und Temperatur um viele Dekaden variieren. Echte Stromspannungscharakteristik der meisten Materialien: Die Unterscheidung “leitet” bzw. “leitet nicht” ist also eher willkürlich. Bei extrem großer Spannung kann es zu einem “Durchschlag” kommen. In Luft macht sich ein Durchschlag 2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie 62 Kapitel 2. Elektrostatik Tabelle 2.2: Werte für Leitfähigkeiten einiger Materialien (bei Zimmertemperatur) Material Kohlenwasserstoffe Diamant undotiertes Si dotiertes Si Tellur Leitungswasser Meerwasser Aluminium, Kupfer, Gold YBa2 Cu3 O7−x Leitfähigkeit [S] 10−14 10−4 2, 5 · 10−4 ≈ 10−4 ≤ σ ≤≈ 104 5 · 10−3 0, 05 ≈5 ≈ 3, 5 · 107 ≈ 1 bei T = 300 K → ∞ bei T = 30 K Klasse Nichtleiter/Isolator Nichtleiter Nichtleiter Halbleiter Elektrolyt Metalle (σ stark T-abhängig) (schlechter Leiter) Supraleiter (keinen elektr. Widerstand) I I U U Extremfall → Abbildung 2.28: Strom-Spannungscharacteristik von Materialien durch einen Blitz bemerkbar. Strom-Spannungs-Charakteristika haben automatisch dann die Eigenschaft I(V ) = −I(−V ), wenn das Material entlang der Richtung des Stromlflusses spiegelsymmetrisch sind - ansonsten kann man (wie Sie später bei der Diode sehen werden) auch einen nicht-symmetrischen Verlauf haben. Elektrotechnisches Symbol für einen Widerstand: Serienschaltung von Widerständen Wie Kapazitäten können auch Widerstände miteinander verschaltet werden. Für die Serienschaltung, also die Hintereinanderschaltung zweier Widerstände, gilt: U = U1 + U2 ⇒ U = (R1 + R2 ) · I In Serie geschaltete Widerstände addieren sich. RSerie = R1 + R2 2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie (2.71) 63 Kapitel 2. Elektrostatik I I R1 = b R2 R1 + R2 Abbildung 2.29 Siehe dazu auch 2.70: ⇒ R= 1 1 · · (d1 + d2 ) σ A Parallelschaltung von Widerständen Für die Parallelschaltung zweier Widerstände gilt: I1 I1 + I2 I2 V Abbildung 2.30 U R 1 1 1 ·U + I1 + I2 = R1 R2 1 Iges. = ·U Rges. I1 = Man findet also: Rparallel = 1 1 + R1 R2 −1 Die Kehrwerte parallel geschalteter Widerstände addieren sich zum Kehrwert des Gesamtwiderstands. −1 Rparallel = R1−1 + R2−1 (2.72) 2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie 64 Kapitel 2. Elektrostatik Wärmeentwicklung im Leiter Fließt durch einen Leiter mit endlichem elektrischen Widerstand Ladung hindurch, entsteht dabei die sogenannten Joulsche Wärme. Diese berechnet sich wie folgt: ∆W = U · ∆Q ( mit ∆Q = I · ∆t) → = U · I∆t Verlorene Energie pro Zeiteinheit (Leistung): ∆W U2 = U · I = R · I2 = . ∆t R 2.9.2 Nichtleiter Es liegen vernachlässigbar wenige freie Ladungsträger vor. Ein externes elektrisches Feld bewirkt lediglich eine Polarisierung der Materie, z.B. durch Induzierung elektrischer Dipole (Verschiebung von Elektronenhülle gegen Atomkern) oder die Ausrichtung vorher bereits bestehender aber stochastisch verteilter Dipole - wie z.B. in Wasser. Die Polarisaohne E-Feld isotropes Atom/Molekül H mit E-Feld induzierter Dipol O H zufällige Orientierung im Mittel ausgerichtet Abbildung 2.31: Induziertes Dipolmoment tion p berechnet sich in guter Näherung meist zu: p=α·E Für zufällig orientierte Dipole ist hpi = 0, dagegen ist bei im Mittel ausgerichteten Dipolen hpi = α · E. Hier steht das Symbol h...i für einen Mittelwert, also den Mittelwert über viele Atome und Moleküle. Momentan ist für uns jedoch lediglich relevant: Die Induzierung von Dipolen Orientierung von Dipolen bewirkt eine Erhöhung der elektrostatischen 2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie 65 Kapitel 2. Elektrostatik Feldenergie 1 ε0 εr E2 (2.73) 2 εr ist die Dielektrizitätszahl und stellt eine materialspezifische Größe dar. Man kann nun bereits ahnen, dass Materialien, in denen die chemischen Bindungen einen starken ionischen Anteil haben, hohe ǫ Werte haben, weil sich resultierende Dipole nur im externen Feld ausrichten müssen aber nicht erst induziert werden müssen. Weil Kohlenstoff und Wasserstoff praktisch dieselbe Elektronegativität haben sind die Partialladungen auf diesen Atomen quasi null. Daher würden wir eine kleine Dielektrizitätskonstante für diese Materialien erwarten. Wassermoleküle hingegen haben einen großen Dipol, werden also eine große Dielektrizitätskonstante haben. In SiO2 liegen zwar große Partialladungen vor, aber das Material ist auch sehr steif, weshalb sich die Ladungen nicht gerne verschieben lassen (zudem ist die Bandlücke sehr groß) und wird daher keinen extrem großen ǫ Wert haben. Einige Werte sind: Energiedichte = Tabelle 2.3 Medium Vakuum Polymere Glas (SiO2 ) Gummi Methanol (CH3 OH) Wasser Metalle εr 1 ≈2 ≈8 ≈ 16 ≈ 30 ≈ 80 ∞ Der Zusammenhang mit der Dielektrizitätszahl ist durch die Clausius Mosotti Beziehung gegeben: ε−1 4π X = Ni α i (2.74) ε+2 3 i Dabei wird über alle Dipolsorten i mit ihren gemäß ihrem Volumenanteil und Polarisierbarkeit αi gemittelt (Näheres siehe C. Kittel, Festkörperphysik). Verwendung: Dielektrika werden zur Kapazitätssteigerung von Kondensatoren, der Verhinderung elektrostatischer Entladungen oder auch als gate-Material in elektronischen Schaltkreisen eingesetzt. Dielektrika haben weitere Klassifizierungen, z.B. gibt es neben den gewöhnlichen Dielektrika: Piezoelektrische Materialien : Verformen sich in guter Näherung linear mit einem extern anliegenden Feld, sodass die relative Längenänderung ∆l/l wie folgt vom externen E-Feld abhängt: ∆l =d·E l d ist die piezoelektrische Konstante. 2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie 66 Kapitel 2. Elektrostatik Ferroelektrika : Haben einen permanenten elektrischen Dipol und oft extrem große Werte für εr (zum Teil > 1000). 2.9. Elektrische Felder und Ladungen in Materie 67 3 Elektrische Schaltungen 3.1 Gleichstrom Gängige Bauelemente in Gleichstromkreisen sind Batterien (z.B. ideale Spannungsquellen), Widerstände und Kondensatoren. Da Schaltkreise sehr kompliziert sein können, benötigt man Gesetze für die Rechnungen. Diese wichtigsten Gesetze in diesem Zusammenhang sind das ohmsche Gesetz und die Kirchhoffschen Regeln. 3.1.1 Das Ohmsche Gesetz Wie vielen sicherlich bekannt ist, sind Leiter Stoffe, in denen sich Ladungsträger frei bewegen können. Im Metall sind das die äußeren Elektronen (Valenzelektronen) eines jeden Atoms im Metallgitter. Doch auch in einer Kochsalz-Lösung entstehen durch Dissoziation Ionen als freie Ladungsträger. Der Einfachheit halber beschränken wir uns im Folgenden auf die freien Elektronen im Metall. Ohne ein äußeres elektrisches Feld führen diese Elektronen einen zufällige Bewegung im Leiter aus, ihre kinetische Energie erhalten sie aus der thermischen Energie Et ∼ T (für alle die es nicht wissen, die Temperatur eines Körpers ist ein Maß für die mittlere kinetische Energie aller Teilchen in diesem Körper). Die Bewegung ist zufällig, da die Elektronen selbst untereinander und mit den Atomen im Gitter in Form von Stößen wechselwirken. Da ein Teilchen bei jedem Stoß in eine andere, zufällige Richtung abgelenkt wird, ist es nachvollziehbar, dass die mittlere Geschwindigkeit des Teilchens ohne äußeres Feld Null ist: hvi = 0 Wir führen nun noch eine neue, für die gesamte Elektrodynamik wichtige, Größe ein, die Stromdichte j. Die Stromdichte ist eine Flächendichte, daher gilt für das Integral der Stromdichte über die Querschnittsfläche eines Leiters: Z j dA I= A Wir erhalten also die Stromstärke. Die Stromdichte gibt uns also an, wie viele Ladungen gerade in welche Richtung strömen, das Skalarprodukt mit dem Flächenelement filtert uns gerade den Anteil heraus, der durch die Fläche geht, über die wir integrieren. 68 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Da wir nur Elektronen als Ladungsträger betrachten, die sich mit einer Geschwindigkeit v im Leiter bewegen, definieren wir die Stromdichte über: j=n·e·v Wie eben schon gesagt, ist die mittlere Geschwindigkeit der Elektronen im Leiter ohne äußeres Feld Null, also verschwindet auch die Stromdichte: Ohne elektrisches Feld fließt also kein Strom! Daher legt man nun ein äußeres Feld an, gemäß E = F/q erfahren die Elektronen im Leiter nun eine Kraft und daraus resultierend eine Beschleunigung: E= m·a E·e F = ⇒a= q e m Führt man nun noch die Zeit τ zwischen zwei Stößen zwischen Elektronen ein, so ist die mittlere Geschwindigkeit nicht mehr gleich Null, sondern gegeben durch: hvi = vD = a · τ = E·e ·τ m (3.1) Setzen wir nun diese neue Geschwindigkeit, genannt Driftgeschwindigkeit, in die Stromdichte ein, so ergibt sich: n · e2 · τ ·E (3.2) j= m } | {z =σ Durch Einführung der elektrischen Leitfähigkeit σ haben wir mit Gleichung (3.2) das ohmsche Gesetz abgeleitet! Den Kehrwert der elektrischen Leitfähigkeit nennt man spezifischen Widerstand ρs . Zur Herleitung und zum folgenden Beispiel siehe W. Demtröder, Experimentalphysik 2: Elektrizität und Optik, Springer Verlag (auch online über das Universitätsnetzwerk einsehbar!). Abbildung 3.1: Spezifische Widerstände einiger Stoffe bei Raumtemperatur (Quelle: W. Demtröder, Experimentalphysik 2: Elektrizität und Optik, Springer Verlag 3.1. Gleichstrom 69 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Beispiel: Widerstand eines Hohlzylinders Gegeben sei ein Hohlzylinder mit Innenradius a und Außenradius b. Aufgrund der Symmetrie des Problems reicht es, wenn man zuerst einen Querschnitt durch den Zylinder betrachtet, also einen ebenen Kreisring (siehe Abbildung 3.2). Im Bereich I gelte das Potential φ1 , im Bereich II das Potential φ2 . Durch die Potentialdifferenz entsteht also ein elektrisches Feld in Form einer Spannung, welches einen Strom fließen lässt. Man erkennt schnell, dass das resultierende elektrische Feld nur eine radiale Komponente hat: E = E · er Zusammen mit E = −∇φ gilt also: E=− dφ · er dr Abbildung 3.2: Ebener Kreisring mit Innenradius a und Außenradius b zur Veranschaulichung des Hohlzylinders. Beim Flächenintegral integrieren dann aber wieder über einen Zylindermantel mit Radius r und Höhe h des Zylinders, lösen uns also wieder von der Vereinfachung. Weiterhin kennen wir den folgenden Zusammenhang: Z Z I= j dA = σ · E dA = σE · 2π · r · h ⇒ E = A I 2π · r · h · σ Beim Flächenintegral sind wir nun von der Hilfsvorstellung der Ebene wieder auf einen Hohlzylinder mit Höhe h übergegangen (hier haben wir logischerweise Zylinderkoordinaten genutzt). Zusammen ergibt sich betragsmäßig: − dφ I I = ⇔ dφ = − · dr dr 2π · r · h · σ 2π · r · h · σ Wegen U = φ1 − φ2 und da wir wissen, dass φ1 = φ(a) und φ2 = φ(b), können wir U auch als Integral ausdrücken (das Vorzeichen verschwindet durch Vertauschung der Grenzen, 3.1. Gleichstrom 70 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen wir benutzen den Fundamentalsatz der Integralrechnung): U = φ(a) − φ(b) = Z Mit Hilfe des ohmschen Gesetzes b a U I I dφ = 2π · h · σ Z b a I b 1 dr = · ln r 2π · h · σ a = R folgt: R= b 1 · ln 2π · h · σ a (3.3) 3.1.2 Kirchhoffsche Regeln 1. Kirchhoffsche Regel: Knotenpunktsatz In jeden Knoten (Verzweigungspunkt) fließt immer so viel Ladung hinein wie heraus. X k Ik = 0 ⇒ I1 + I2 + I3 + I4 = 0 (3.4) Es ist also immer zu beachten, dass der Stromfluss eine Richtung hat und nicht nur über den Betrag definiert ist. 3.1. Gleichstrom 71 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen R1 I0 R2 I0 = I1 + I2 + .... + In 1 1 1 = U· + + .... + R1 R2 Rn {z } | I0 1/Rges ... Rn Für parallel geschaltete Widerstände gilt somit: N X 1 1 = Rges Rn n=1 (3.5) Wenn N Verzweigungspunkte vorliegen, gibt es dank der Knotenregel N − 1 (linear) unabhängige Gleichungen. 2. Kirchhoffsche Regel: Maschenregel Die Summe über alle Spannungen in einem geschlossenen Kreis ist gleich Null. X Uk = 0 (3.6) k∈Masche oder in der Sprache elektrischer Felder I E ds = 0 Masche U2 U1 3.1. Gleichstrom 72 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen U1 + U2 = 0 U2 = (−U1 ) | {z } Batteriespannung + − Die elektrischen ”Feldlinien” in der Batterie sind denen außerhalb entgegengesetzt. Mit Hilfe der Kirchhoffschen Gesetze lassen sich Schaltkreise komplett charakterisieren, weil es ebenso viele Unbekannte (unbekannte Ströme) wie (linear unabhängige) Gleichungen gibt! 3.1. Gleichstrom 73 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Beispiel: Wheatstonsche Brücke I6 R6 R1 R3 β I2 + a R5 I5 I5 b − c α γ R2 R4 I3 I6 I7 d Von Knoten d wissen wir, dass I7 = I1 ist. Somit haben wir: 3 unabhängige Knoten a, b, c 3 unabhängige Maschen α, β, γ ⇒ 6 linear unabhängige Gleichungen und 6 unbekannte (I1 , ...., I6 ) Damit ist das System genau bestimmt, siehe Übungen. N Knoten liefern (N − 1) Gleichungen. In der Wheatstonschen Brücke fließt kein Strom durch R4 , wenn die Knoten b und c dasselbe elektrische Potential haben. Deshalb kann diese Brücke zur Messung von (hinreichend großen) Widerständen verwendet werden. I1 I3 l1 Rx R1 = 1 l1 · σ A R3 R2 = 1 l2 · σ A A l2 3.1. Gleichstrom 74 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Wenn das Amperemeter keinen Strom anzeigt (die Brücke ist ”abgeglichen”), dann gilt I 1 · R1 = I 3 · Rx I 1 · R2 = I 3 · R3 R1 Rx ⇒ = R2 R3 l1 Rx = R3 · l2 (3.7) R3 einer Kalibrierung, beispielsweise über einen Schiebewiderstand (lang, dünn, homogen) Weiteres Beispiel: U1 + U2 − a + − I2 R1 R2 α R3 β I1 I3 b Wie groß ist I2 bei R1 = R2 = R3 als Funktion von U1 , U2 ? I1 + I2 − I3 = 0 I1 · R1 − I2 · R2 = U1 I2 · R2 + I3 · R3 = U2 (a, b)(1) (α)(2) (β)(3) Einsetzen von (1) in (3) I2 · R2 + (I1 + I2 ) · R3 = U2 (3′ ) Löse (2) nach I1 auf und setze in Gleichung (3′ ) ein. I1 = 3.1. Gleichstrom 1 · (I2 · R2 + U1 ) R1 75 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen R2 · R3 R3 · U1 + I2 + R3 · I2 = U2 R1 R1 R3 R2 · R3 ⇒ · U1 − U2 = − R2 + + R3 · I 2 (4) R1 R1 R2 · I 2 + Solche Ergebnisse kann man oft schön überprüfen, indem man verschiedene Grenzfälle konstruiert, z.B: Grenzfall 1: U1 = 0 , R1 = ∞ U2 = (R2 + R3 ) · I2 Grenzfall 2: U2 = 0 , R3 = ∞ nimm Gleichung (4) · R1 R3 ⇒ U1 = − (R2 + R3 ) · I2 Für R1 = R2 = R3 ergibt sich U1 − U2 = −3 · R I2 Hätten wir bei diesen Grenzfällen einen Widerspruch gefunden, dann hätten wir sogar vermutlich einen Hinweis gefunden, wo wir einen Fehler gemacht haben. 3.1. Gleichstrom 76 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen 3.1.3 R-C-Kreis im Gleichstromfall Der R-C-Stromkreis steht symbolisch für das Auf -und Entladen eines Kondensators innerhalb eines realen (R > 0) Stromkreises. Im Schaltbild sind hier ein Kondensator mit Kapazität C und ein Widerstand R in Serie an eine Gleichspannungsquelle angeschlossen. Schaltet man die Gleichspannungsquelle ein, so lädt sich der Kondensator auf, beim Abschalten entlädt er sich. Ladevorgang Beim Laden eines Kondensators gilt gemäßdem ohmschen Gesetz jederzeit: I(t) = (U0 − U (t))/R (3.8) Wir starten bei U (t = 0) = U0 = 0, sodass sich I(t) = −U (t)/R ergibt. Weiterhin gilt für die Kapazität C eines Kondensators C = Q(t)/U (t), sodass wir schreiben können: I(t) = Wir leiten nach t ab: −1 · Q(t) R·C dI(t) −1 dQ(t) −1 = · = · I(t) dt R·C dt R·C Hierbei wurde genutzt, dass der Strom als zeitliche Änderung der Ladung definiert ist, also I = Q̇ gilt. Wir haben nun eine Differentialgleichung (DGL) gefunden, deren Lösung den Einschaltvorgang beschreibt! Die Lösung solcher trennbaren DGL erfolgt mit Hilfe eines Rezeptes, welches man wegen seiner Einfachheit auswendig lernen kann! Allgemein ist eine trennbare DGl definiert durch: y ′ (x) = dy(x) = f (x) · g(y) dx Ist weiterhin eine Anfangsbedingung I(t0 ) = I0 gegeben, so spricht man von einem 3.1. Gleichstrom 77 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Abbildung 3.3: Strom -und Spannungsverlauf beim Einschalten eines R-C-Stromkreises Anfangswertproblem (AWP). In unserem Fall ist x = t und y(x) = I(t): −1 dI · dt/I = ·I dt R · C | {z } =f (I) Z dI −1 ⇔ = · dt I R·C Z t Z I −1 1 dη = dτ ⇒ R · C t0 I0 η −1 I = · (t − t0 ) ⇒ ln I0 R·C t0 − t ⇒ I(t) = I0 · exp R·C exp Beginnen wir also beim Zeitpunkt t = 0 mit dem Strom I0 , so gilt für die Stormstärke: −t I(t) = I0 · exp (3.9) R·C Sie fällt also mit der Zeit exponentiell ab, was logisch erscheint, da anfangs noch ein Strom fließt um den Kondensator zu laden. Je mehr der Kondensator allerdings geladen wird, desto weniger “Platz” haben neue Ladungen, somit fließen pro Zeiteinheit immer weniger neue Ladungen auf den Kondensator was exakt der Definition des Stroms entspricht (Strom = Ladung pro Zeit), welcher somit immer geringer werden muss und schließlich gegen Null geht, wenn der Kondensator vollständig geladen ist. Mit Hilfe von Gleichung 3.8 erhalten wir daraus für die Spannung: −t U (t) = U0 · 1 − exp (3.10) R·C 3.1. Gleichstrom 78 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Entladevorgang Der Entladevorgang lässt sich analog herleiten, was als einfache Übung anzuraten ist! Zu beachten ist hierbei, das wir nun mit einer am Kondensator anliegenden Spannung U (t) = U0 6= 0 beginnen. Es ergibt sich als Lösung −t I(t) = I0 · exp R·C −t U (t) = U0 · exp R·C 3.2 Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen Für das nächste Kapitel, Wechselstromkreise, ist die Einführung in einen neuen Zahlenraum nötig. Bis jetzt haben wir stets alle Rechnungen im reellen Raum R durchführen können. Die Wechselstromrechnung bedarf nun eines neuen, erweiterten Zahlenraums, in welchem die Rechnungen nebenbei auch stark vereinfacht werden. Dieser neue Raum ist C, der Raum der komplexen Zahlen. 3.2.1 Algebraische Betrachtung Der mathematisch algebraische Sinn dieser Zahlen ist ursprünglich die Tatsache, dass Gleichungen der Gestalt x2 + 1 = 0 (3.11) im R keine Lösung besitzen. Der Raum der komplexen Zahlen behebt dieses Problem, da in ihm alle algebraischen Gleichungen eine Lösung besitzen, was für die reellen Zahlen offensichtlich nicht gilt. Man nennt die komplexen Zahlen daher auch den algebraischen Abschluss der reellen Zahlen. Per Definition wird die Lösung von Gleichung (3.11) auf ±i gesetzt. i bezeichnet die imaginäre Einheit, wobei √ i := −1 ⇔ i2 := −1 festgelegt wird. Komplexe Zahlen sind nun Zahlen der Form: z = a + i · b = Re(z) + i · Im(z), a, b ∈ R (3.12) Hierbei bezeichnet Re(z) den Realteil der komplexen Zahl. Er ist die Summe aller Anteile ohne den Faktor i. Die Anteile mit dem Faktor i bezeichnet man als Imaginärteil Im(z). Die reellen Zahlen sind folglich ein Spezialfall der komplexen Zahlen, nämlich alle Zahlen z mit Im(z) = 0. Rechnen mit komplexen Zahlen gestaltet sich im Allgemeinen wie von den reellen Zahlen 3.2. Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen 79 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen bekannt, die imaginäre Einheit i wird dabei einfach als Variable behandelt und später ausgeklammert, um das Ergebnis wieder auf die Form (3.12) bringen zu können. Addition zweier komplexer Zahlen z1 , z2 zu einer neuen komplexen Zahl z3 : (a + i · b) + (c + i · d) = a + c + i · b + i · d | {z } | {z } z1 z2 = (a + c) +i · (b + d) | {z } | {z } Re(z3 ) Im(z3 ) Subtraktion zweier komplexer Zahlen z1 , z2 zu einer neuen komplexen Zahl z3 : (a + i · b) − (c + i · d) = a − c + i · b − i · d | {z } | {z } z1 z2 = (a − c) +i · (b − d) | {z } | {z } Re(z3 ) Im(z3 ) Multiplikation zweier komplexer Zahlen z1 , z2 zu einer neuen komplexen Zahl z3 : i2 ·bd (a + i · b) · (c + i · d) = ac + i · ad + i · bc + |{z} | {z } | {z } z1 =−1 z2 = (ac − bd) +i · (ad + bc) | {z } | {z } Re(z3 ) Im(z3 ) Division zweier komplexer Zahlen z1 , z2 zu einer neuen komplexen Zahl z3 : Hierbei müssen wir eine neue Definition einführen, nämlich die konjugiert komplexe Zahl z̄ zur komplexen Zahl z. Bei der Bildung der konjugiert komplexen Zahl dreht man einfach das Vorzeichen des Imaginärteils um. Es gilt also: z = a + i · b ⇒ z̄ = a − i · b In der Literatur wird die konjugiert komplexe auch oft durch einen Stern gekennzeichnet. Nun können wir auch zwei komplexe Zahlen dividieren: a+i·b (a + i · b)(c − i · d) =1 c+i·d (c + i · d)(c − i · d) ac + bd + i · (bc − ad) = c2 + d2 + i · (cd − cd) | {z } =0 = = ac + bd + i · (bc − ad) c2 + d 2 bc − ad ac + bd +i· 2 2 2 c +d c + d2 3.2. Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen 80 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Wir haben also bei =1 mit dem konjugiert komplexen Nenner erweitert. Dadurch wurde der gesamte Nenner reell und die Rechnung wird trivial. 3.2.2 Geometrische Betrachtung Doch der für uns interessantere Teil entspringt der geometrischen Betrachtung der komplexen Zahlen. Man führt für diese Betrachtung die sogenannte komplexe Zahlenebene ein. Prinzipiell kann man sich diese wie einen Zahlenstrahl vorstellen, jedoch erweitert um eine zusätzliche Dimension. Der Zahlenstrahl der reellen Zahlen ist wie bekannt dimensionslos, die neue Achse besitzt als Dimension die sogenannte imaginäre Einheit i und steht senkrecht zu unserem Zahlenstrahl. Diese neue Achse nennt man imaginäre Achse, während unser Zahlenstrahl als reelle Achse bezeichnet wird. Innerhalb dieser Ebene lassen sich die komplexen Zahlen nun als Vektoren auffassen, wie in Abbildung 3.4 gezeigt. Dabei zeigt der Realteil in Richtung der reellen und der Imaginärteil in Richtung der imaginären Achse. Der in Abbildung 3.4 eingezeichnete Vektor z1 entspricht nun also der komplexen Zahl z1 = 1 + 2i, der Vektor z2 entspricht z2 = 1 + i. Es liegt daher auch nahe, dass sich die komplexen Zahlen innerhalb dieser Ebene auch geometrisch mit dem Prinzip der Vektoraddition addieren lassen. Die Subtraktion funktioniert analog dazu. Weiterhin erkennt man leicht, dass die komplexe Konjugation gerade einer Spiegelung an der reellen Achse entspricht. Während die eben eingeführte Beschreibung durch Vektoren noch karthesischer Natur war, bietet es sich oftmals an, in die Polardarstellung zu gehen. Hierbei wird die komplexe Zahl durch den Phasenwinkel ϕ und den Betrag r beschrieben. Der Betrag ergibt sich analog zum Betrag eines gewöhnlichen Vektors, also gilt laut Satz des Pythagoras: p r = Re(z)2 + Im(z)2 (3.13) r beschreibt also gerade die Länge des Vektors, sodass weiterhin aus einfacher Trigonometrie folgt: Im(z) r Re(z) cos(ϕ) = r Im(z) ⇒ tan(ϕ) = Re(z) sin(ϕ) = Der Phasenwinkel ϕ errechnet sich also wie folgt: Im(z) ϕ = arctan Re(z) (3.14) Damit haben wir eine alternative Schreibweise für die komplexe Zahl z gefunden: z = r · (cos(ϕ) + i · sin(ϕ)) 3.2. Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen (3.15) 81 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Doch leider müssen wir feststellen, dass die Struktur dieser neuen Darstellung der ursprünglichen Darstellung der komplexen Zahlen entspricht. Ein Rechenvorteil ergibt sich durch diese Variablentransformation also noch nicht. Dazu müssen wir zunächst einen neuen, vielleicht sogar den wichtigsten Satz der komplexen Rechnung einführen. Abbildung 3.4: Komplexe Ebene als Erweiterung des Zahlenstrahls. Links: Die Zahl z3 als Resultat der Addition von z1 und z2 lässt sich mit Hilfe der Addition der Vektoren z1 und z2 und des daraus resultierenden Parallelogramms wie aus der Schule bekannt berechnen. Rechts: Die polare Darstellung einer komplexen Zahl. 3.2.3 Der Eulersche Satz Wir gehen jetzt von der Darstellung gemäß(3.15) aus um uns eine neue Darstellung anzueignen, welche uns das Rechnen mit komplexen Zahlen extrem erleichtern wird! Es gilt also: z = r · (cos(ϕ) + i · sin(ϕ)) Wir bilden die Ableitung nach ϕ: dz = r · (− sin(ϕ) + i · cos(ϕ)) =1 i · u dϕ 3.2. Mathematischer Einschub: Komplexe Zahlen 82 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Der Zusammenhang =1 lässt sich einfach durch nachrechnen überprüfen. Wir haben also eine gewöhnliche, separable Differentialgleichung: dz =i·z dϕ Spätestens beim Aufladevorgang eines Kondensators haben Sie diese Art von Differentialgleichungen schon kennen gelernt. Als Lösung ergibt sich eine Exponentialfunktion mit einem Vorfaktor c, den wir noch zu bestimmen haben: z = c · eiϕ Dazu schauen wir uns z bei ϕ = 0 in unserer neuen als auch in unserer alten Darstellung an: z|ϕ=0 = r · (cos(0) + i · sin(0)) = c · ei·0 ⇒r = c Also ergibt wir als entgültige Lösung der Differentialgleichung und somit als neue Darstellung: z = r · eiϕ (3.16) Speziell für r = 1 resultiert der sehr wichtige Eulersche Satz: eiϕ = cos ϕ + i sin ϕ (3.17) Damit werden speziell Multiplikation und Division komplexer Zahlen stark vereinfacht, da man nun die bekannten Potenzgesetzes anwenden kann: (r1 · eiϕ1 ) · (r2 · eiϕ2 ) = r1 r2 · ei(ϕ1 +ϕ2 ) | {z } | {z } z1 z2 r1 i(ϕ1 −ϕ2 ) (r1 · e )/(r2 · eiϕ2 ) = ·e | {z } | {z } r2 iϕ1 z1 z2 3.3 Wechselstrom Im folgenden Abschnitt bezeichnen Symbole mit einer Schlange (tilde) immer eine komplexe Zahl! Innerhalb der Wechselstromrechnung arbeitet man im Allgemeinen immer mit harmonischen Spannungen und Strömen, also zumeist mit U (t), I(t) ∝ sin(t). Unsere Spannung lässt sich also wie folgt beschreiben: U (t) = U0 · sin(ωt + ϕu ) Hierbei ist U0 die Amplitude, ω die Kreisfrequenz und ϕu die Phasenverschiebung der Spannung. Wir werden nun die komplexe Rechnung auf unser Problem anwenden, daher 3.3. Wechselstrom 83 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen führen wir die komplexe Spannung Ũ (t) ein: Ũ (t) = U0 (cos(ωt + ϕu ) + i · sin(ωt + ϕu )) = U0 · eiωt+iϕu = U0 eiϕu eiωt | {z } =:Ũ0 Man bezeichnet Ũ0 = U0 eiϕu als komplexe Amplitude! Es ist also im Folgenden: Ũ (t) = Ũ0 · eiωt Analog gilt für den Strom: (3.18) ˜ = I0 eiϕI eiωt = I˜0 · eiωt I(t) (3.19) 3.3.1 Wechselstromkreis mit ohmschen Widerstand In der folgenden Abbildung ist ein einfacher Stromkreis mit einer Wechselstromquelle und einem ohmschen Widerstand R dargestellt. Glücklicherweise gilt auch für komplexe ≈ R Abbildung 3.5 Spannungen und Ströme weiterhin das ohmsche Gesetz: ˜ Ũ (t) = R · I(t) (3.20) Es ist also 1 ˜ Ũ (t) = I(t) R 1 ⇔ Ũ0 eiωt = I˜0 eiωt R 1 ⇔ Ũ0 = I˜0 R 1 ⇔ U0 eiϕU = I0 eiϕI R Den t-abhängigen Teil konnten wir also fallen lassen. Da wir nun wissen, wie die komplexen Amplituden miteinander zusammenhängen, können wir damit eine Aussage über 3.3. Wechselstrom 84 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen die Phasendifferenz zwischen Strom und Spannung gewinnen. Wir sehen, dass die letzte Zeile unserer Rechnung einen Vergleich zweier komplexen Zahlen in ihrer Polardarstellung darstellt. Zwei komplexe Zahlen sind dann gleich, wenn sie in Betrag und Phasenwinkel übereinstimmen! Daher ergibt sich im Falle des ohmschen Wechselstromkreises: 1 U0 = I0 R ϕU = ϕI (3.21) (3.22) Speziell Gleichung (3.22) sagt uns, dass es keine Verzögerung zwischen Strom und Spannung am Widerstand gibt, da beide in Phase sind (also die selbe Phase haben). Wir werden im Folgenden Beispiele kennen lernen, wo dies nicht der Fall ist! Wir definieren nun eine neue Größe, den komplexen Widerstand oder Impedanz: Z̃ := Ũ0 I˜0 (3.23) In diesem Fall ist wie oben berechnet Z̃ = Z̃R = R, also entspricht der komplexe Widerstand hier dem gewohnten ohmschen Widerstand und ist sogar reell! 3.3.2 Wechselstromkreis mit induktivem Widerstand In der folgenden Abbildung ist ein einfacher Stromkreis mit einer Wechselstromquelle und einer Spule mit Induktivität L dargestellt. Für die an der Spule abfallende Spannung ≈ L Abbildung 3.6 ŨL (t) und den durch sie fließenden Strom I˜L (t) gilt im Wechselstromkreis die sogenannte Spulengleichung: dI˜L (t) ŨL (t) = L · (3.24) dt Hierbei ist L die Induktivität der Spule. Diese Gleichung lässt werden wir später noch aus dem Induktionsgesetz herleiten. Wir setzen wie gewohnt ŨL (t) = Ũ0 eiωt und I˜L (t) = I˜0 eiωt 3.3. Wechselstrom 85 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen an. Eingesetzt in die Spulengleichung (3.24) ergibt sich: ˜ dI(t) dt ⇔ Ũ0 eiωt = L · i · ω · I˜0 eiωt ⇔ Ũ0 = L · i · ω · I˜0 Ũ (t) = L · ⇔ U0 eiϕu = L · i · ω · I0 eiϕi Prinzipiell könnte man jetzt auf die Idee kommen, wieder die komplexen Zahlen zu vergleichen. Allerdings steckt in dem Vorfaktor auf der rechten Seite noch ein i, so dass die rechte Seite noch keine echte Polarform darstellt, da der Betrag immer reell sein muss. Um dieses i zu eliminieren und den Betrag somit reell zu machen, nutzen wir einen Trick: π π π i = cos + i · sin = ei 2 2 2 Hier sehen wir auch, wie wichtig und praktisch der Eulersche Satz ist! Eingesetzt ergibt sich: π π U0 eiϕu = L · ei 2 · ω · I0 eiϕi = L · ω · I0 ei(ϕi + 2 ) Jetzt haben wir zwei komplexe Zahlen, welche wir vergleichen können! Es ergibt sich: U0 = ωL · I0 π ϕu = ϕi + 2 (3.25) (3.26) Wir bereits erwähnt haben wir hier also folgende Situation: Strom und Spannung sind nicht mehr in Phase sondern sind um π/2 phasenverschoben. Der Strom eilt also der Spannung im Abstand π/2 hinterher. Wir können nun auch wieder die Impedanz Z̃ = Z̃L berechnen: Ũ0 = iωL (3.27) Z̃L = I˜0 Man nennt diese Größe auch den induktiven Widerstand, welcher wie wir sehen komplex ist. Wir sehen, dass dieser bei Gleichstrom (ω = 0) verschwindet, es handelt sich also um ein reines Wechselstromphänomen. Die Interpretation der Komplexwertigkeit wird uns später zum sogenannten Blindwiderstand führen. 3.3.3 Wechselstromkreis mit kapazitivem Widerstand In der folgenden Abbildung ist ein einfacher Stromkreis mit einer Wechselstromquelle und einem Kondensator mit Kapazität C dargestellt. Wir nehmen den selben Ansatz wie beim induktiven Stromkreis. Auch hier gilt eine Grundgleichung, welche als Ausgangspunkt dient, die Kondensatorgleichung (3.28). C · ŨC (t) = q̃(t) 3.3. Wechselstrom (3.28) 86 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen ≈ C Abbildung 3.7 Wir bilden die Ableitung nach der Zeit und nutzen aus, dass die zeitliche änderung der Ladung dem Strom entspricht: C· dq̃(t) dŨC (t) ˜ = = I(t) dt dt Durch Einsetzen unserer bekannten Bezeichnung für Strom und Spannung ergibt sich: C · i · ω · Ũ0 eiωt = I˜0 eiωt ⇔ C · i · ω · Ũ0 = I˜0 Wir wenden wieder den selben Trick wie schon beim induktiven Stromkreis an um den Betrag reell zu machen. Damit erhalten wir: C · ω · U0 ei(ϕu + 2 ) = I0 eiϕi π Wir identifizieren nun erneut: 1 · I0 ω·C π ϕu = ϕi − 2 U0 = (3.29) (3.30) Hier eilt die Spannung also dem Strom hinterher. Das ist plausibel, da der Strom zuerst einmal Ladungen auf die Kondensatorplatten bringen muss, damit sich eine Spannung zwischen den Platten aufbauen kann. Für die Impedanz, hier auch kapazitiver Widerstand genannt, erhalten wir: −i Z̃C = (3.31) ωC 3.3.4 Diskussion der vorherigen Ergebnisse Wir sollten uns nun ein wenig Zeit nehmen um uns zu vergewissern, was wir erhalten haben. Der ohmsche Fall ist im Nachhinein uninteressant, da sich praktisch nichts ändert, da das ohmsche Gesetz auch im komplexen Fall seine Gültigkeit beibehält. 3.3. Wechselstrom 87 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Im induktiven Fall ergeben sich sehr wichtige Änderungen. Es gilt laut Gleichung (3.27): Z̃L = iωL Vor allem die Grenzfälle von ω und L sind interessant. Für ω → 0 erhalten wir einen Gleichstromkreis, in welchem die Spule zu einem normalen Draht wird (abgesehen von Ein- und Ausschalteffekten). Dieser Draht hat nun nur noch einen ohmschen Widerstand (welchen wir aber immer idealisiert auf Null setzen) und der induktive Widerstand verschwindet! Auch für L → 0 verschwindet der induktive Widerstand. Auch der kapazitive Fall ist in seinen Grenzfällen interessant, es gilt hier laut Gleichung (3.31): −i Z̃C = ωC Hier ist das Gegenteil der Fall. Im Gleichstromfall (also ω → 0) ergibt sich (wieder im zeitlichen Limes, also ohne Berücksichtigung von Ein- und Ausschalteffekten) eine unendlich große Impedanz, da dieser Fall einer offenen Stelle im Stromkreis gleich kommt. Auch wenn die Kapazität verschwindet (C → 0) ergibt sich ein unendlich großer Widerstand. Im umgekehrten Fall, also für ω → ∞ beobachten wir, dass der Widerstand plötzlich endlich wird. Der Kondensator, welcher im Gleichstromfall wie beschrieben eigentlich eine Unterbrechung im Stromkreis darstellt, wird nun im Wechselstromfall leitend! 3.3.5 R-C-L-Serienschwingkreis Für die nun folgenden, komplizierteren Stromkreise gilt folgende Regel: Die Berechnung der Gesamtimpedanz erfolgt nach den selben Regeln wie die Berechnung des Gesamtwiderstands in einem Gleichstromkreis! Ein Serienschwingkreis setzt sich wie in Abbildung 3.5 gezeigt aus drei in Serie geschalteten Bauelementen zusammen, einem ohmschen Widerstand, einer Spule und einem Kondensator. Mit unserem bisherigen Wissen sind wir nun in der Lage, diesen Stromkreis zu berechnen! Die Gesamtimpedanz ergibt sich nun wie beschrieben analog zum Gleichstromkreis. Da hier eine einfache Serienschaltung vorliegt, werden die Teilimpedanzen einfach addiert: i 1 Z̃ges = ZR + Z̃L + Z̃C = R + iωL − = |{z} R + i · ωL − ωC ωC {z } | Re(Z̃) Im(Z̃) Physikalische Realität haben üblicherweise nur reelle Werte, sodass man statt der Impedanz oftmals den Scheinwiderstand Z angibt (in der Literatur werden Scheinwiderstand und Impedanz oft synonym gebraucht, wir gebrauchen die normierte Definition der Impedanz als Quotient aus komplexer Spannung und komplexem Strom und des Schein- 3.3. Wechselstrom 88 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen ŨR (t) R U0(t) ≈ L ŨL(t) C ŨC (t) Abbildung 3.8 widerstands als dem Betrag der Impedanz): s 2 1 Z = Z̃ = R2 + ωL − ωC (3.32) Wie üblich setzt sich der Betrag aus der Wurzel der Summe der Quadrate von Real- und Imaginärteil zusammen. Wir definieren nun den Realteil der Impedanz als Wirkwiderstand und den Imaginärteil als Blindwiderstand. Für die Phasendifferenz ϕui = ϕu −ϕi ergibt sich: ωL − 1/ωC tan(ϕui ) = (3.33) R Wie wir sehen ist ϕui , also die Phasendifferenz im Kreis, gerade der Phasenwinkel unserer Impedanz. Kennen wir also die Impedanz, kennen wir gleich zwei wichtige Größen, den Scheinwiderstand und die Phasendifferenz! Die Spannung, die an den Kreis angelegt werden muss, ist folglich: Ũ0 = Z̃ · I˜ = Zeiϕui · I0 eiϕi = ZI0 ei(ϕui +ϕi ) ⇒ Ũ (t) = Ũ0 eiωt = ZI0 ei(ωt+ϕui +ϕi ) 3.3. Wechselstrom 89 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen √ Ein Spezialfall dieses Schwingkreis ergibt sich für ω = 1/ LC. Der Blindwiderstand wird dann zu Null: r r 1 √ 1 L L √ · L − · LC = − =0 C C C LC Damit wird die Impedanz reell. 3.3.6 R-C-L-Parallelschwingkreis Der Parallelschwingkreis setzt sich wie in der folgenden Abbildung gezeigt aus einer Parallelschaltung von Widerstand, Spule und Kondensator zusammen. Diesmal liefern uns U0(t) ≈ R ŨR (t) L ŨL(t) C ŨC (t) Abbildung 3.9 Knoten- und Maschenregel erste Beziehungen. Die Ströme addieren sich, die Spannungen, welche an den einzelnen Komponenten anliegen, sind jeweils gleich: I0 = IL + IR + IC U0 = UL = UR = UC Da diesmal eine Parallelschaltung vorliegt, werden die Kehrwerte der Impedanzen addiert: 1 1 1 i 1 1 = + = + iωC − + ZR Z̃C Z̃L R ωL Z̃ges Hierbei wurde die nützliche Identität −i = 1/i ausgenutzt. Im Allgemeinen hat der Kehrwert eines elektrischen Widerstands innerhalb der Elektrotechnik einen eigenen Namen, 3.3. Wechselstrom 90 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen man bezeichnet ihn als Leitwert oder Admittanz. Man definiert: Ỹ := 1 =G+i·B Z̃ges (3.34) G := Re(Ỹ ) (3.35) B := Im(Ỹ ) (3.36) (3.34) ist der komplexe Leitwert als Kehrwert der Impedanz, (3.35)) der Wirkleitwert als Realteil des komplexen Leitwerts und (3.36) der Blindleitwert als Imaginärteil des komplexen Leitwerts . In unserem Fall des Parallelschwingkreises ist also: G= 1 R B = ωC − 1 ωL 3.3.7 Gemischte R-C-L-Schaltung Die beiden vorigen Schaltungen stellen reine Parallelschaltungen beziehungsweise Serienschaltungen dar. Auch Mischungen sind möglich, wie folgender Schaltkreis zeigt. Zur ŨL(t) L U0(t) ≈ R ŨR (t) C ŨC (t) Abbildung 3.10 ersten Orientierung stellen wir wieder die Kirchhoffschen Regeln auf, zuerst die zwei resultierenden Maschengleichungen. Innerhalb der Masche mit Kondensator und ohmschem 3.3. Wechselstrom 91 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Widerstand ermitteln wir: −UR + UC = 0 ⇔ UR = UC Zur Erinnerung: Wir ermitteln diese Gleichung indem wir einmal in eine beliebige Richtung durch die Masche gehen und die Teilspannungen summieren. Dabei legt die gewählte Umlaufrichtung das Vorzeichen fest. Wenn unsere Spannungspfeile an den Bauteilen entgegen der Umlaufrichtung zeigen, wird das Vorzeichen negativ. Hier sind wir also im Uhrzeigersinn gelaufen, der Ur -Pfeil zeigt entgegen dieser Richtung, daher resultiert das negative Vorzeichen. Analog ermitteln wir eine weitere Gleichung für die Masche Spannungsquelle → Spule → Widerstand (wieder im Uhrzeigersinn, vergewissern Sie sich, dass gegen den Uhrzeigersinn das selbe Ergebnis folgt!): −U + UL + UR = 0 ⇔ U = UL + UR Die Knotengleichung gibt uns eine übersicht über die Ströme an der Gabelung zwischen Kondensator und Widerstand: IL = IR + IC Zu beachten ist, dass diese Gleichungen auch für die komplexen Größen gelten. Im ursprünglichen Sinn beobachten und messen wir im Endeffekt natürlich nur reelle Werte und keine komplexen, daher schreiben wir Knoten- und Maschenregel ohne Schlange, wissen aber im Hinterkopf, dass Sie auch für komplexe Ströme und Spannungen (mit Schlange) gelten. Weiterhin liefert uns das ohmsche Gesetz bzw. die Definition der Impedanz für die komplexen Teilspannungen: ŨR = I˜R · Z̃R = I˜R · R 1 ŨC = I˜C · Z̃C = I˜C · iωC ˜ ˜ ŨL = IL · Z̃L = IL · iωL Mit Hilfe der Knoten- und Maschengleichungen ergibt sich daraus: Ũ = I˜L · iωL + I˜R · R = (I˜R + I˜C )iωL + I˜R · R = (I˜R + I˜R · R · iωC)iωL + I˜R · R = I˜R · (iωL + R · i2 ω 2 LC + R) iωL − Rω 2 LC + 1) R Ũ − Rω 2 LC + 1) = I˜R · R · ( ⇒ I˜R = R · ( iωL R Rückwärts eingesetzt erhalten wir daraus unsere Teilströme und Teilspannungen und daraus (wieder mit den Knoten- und Maschengleichungen) die Gesamtspannung Ũ und 3.3. Wechselstrom 92 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen ˜ woraus sich die Impedanz und der Leitwert des Kreises berechnen den Gesamtstrom I, lässt: 1 − ω 2 LC + iωL R Z̃ = (3.37) 1 + iωC R Sofern nur die Impedanz und nicht die einzelnen Ströme und Spannungen von Interesse sind, erhalten wir diese Formel sehr viel schneller mit Hilfe der bekannten Gesetzte zur Addition von Widerständen (nachrechnen!). 3.3.8 Leistung im Wechselstromkreis Reelle Leistung Zuerst besprechen wir den bekannten Fall der reellen Leistung. Wir nehmen dafür den allgemeinen Fall einer periodischen Spannung/Stromstärke mit gleicher Frequenz und einer Phasendifferenz, welche sich als Phasenverschiebung innerhalb einer der beiden größen schreiben lässt: U (t) = U0 sin(ωt + ϕ) I(t) = I0 sin(ωt) Damit ergibt sich für die Leistung P : P (t) = U (t) · I(t) = U0 I0 sin(ωt + ϕ) sin(ωt) = U0 I0 (sin(ωt) cos(ϕ) + sin(ϕ) cos(ωt)) sin(ωt) = U0 I0 · cos(ϕ) ·2 sin(ωt)2 + U0 I0 sin(ϕ) sin(2ωt) {z } | {z } | =:PW =:PB Abbildung 3.11: Darstellung des ersten (rot) und zweiten (grün) Summands , die Amplitude ist genau PW beziehungsweise PB . 3.3. Wechselstrom 93 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Komplexe Leistung Analog zur bekannten reellen elektrischen Leistung P = U · I können wir eine komplexe Leistung S̃ mit Hilfe der komplexen Darstellung von Strom und Spannung definieren: S̃ = Ũ · I¯ (3.38) Hierbei ist I¯ die konjugiert komplexe Stromstärke. Es gilt also für eine beliebige komplexe Spannung Ũ = U0 · ei(ωt+ϕU ) und einen beliebigen komplexen Strom I˜ = I0 · ei(ωt+ϕI ) : S̃ = U0 I0 ei(ωt+ϕU −ωt−ϕI ) = U0 I0 eiϕU I Interessanterweise verschwindet die Zeitabhängigkeit, die Leistung ist also nur von den komplexen Amplituden beziehungsweise deren Phasendifferenz abhängig. Analog zum Widerstand können wir weiterhin eine Wirk- und eine Blindleistung definieren: PW = Re(S̃) = U0 I0 · cos(ϕU I ) PB = Im(S̃) = U0 I0 · sin(ϕU I ) (3.39) (3.40) Nun sehen wir auch, woher die Bezeichnungen PB und PW im reellen Fall stammen. Wir haben sie nun auf den Real-/Imaginärteil unserer komplexen Leistung zurückführen können. Den Betrag der komplexen Leistung nennt man analog Scheinleistung PS : q 2 PS = |S̃| = PB2 + PW (3.41) Effektivwerte Unter Effektivwerten versteht man mathematisch den zeitlichen quadratischen Mittelwert einer zeitabhängigen Größe. Er ist für eine beliebige, zeitabhängige Größe W (t) definiert durch: s Z 1 T Weff = W (t)2 dt T 0 Speziell beim Wechselstrom gibt der Effektivwert den Wert an, den Gleichstrom haben müsste, um die selbe elektrische Energie zu liefern. Wir sehen, dass es per Definition um messbare und somit reelle Werte geht. Daher setzen wir zur Berechnung der effektiven Spannung nun einen Sinus als Wechselspannung an (da der Cosinus nur ein phasenverschobener Sinus ist, liefert er bei der Integration über eine Periode das gleiche Ergebnis). 3.3. Wechselstrom 94 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Sei also U (t) = U0 · sin(ωt): s Uef f = = = s s 1 T Z U02 T T U (t)2 dt 0 Z U02 1 T 2 r U0 =√ 2 U0 =√ 2 T sin(ωt)2 0 1 T T − [sin(ωt) cos(ωt)]0 ω 1− 1 (sin(2π) cos(2π) − sin(0) cos(0)) 2π Hierbei haben wir den Zusammenhang ω = 2πf = 2π T1 genutzt. Analog ergibt sich Ief f = √I02 . Daraus folgt für die effektive Wirkleistung: Peff = Ueff · Ieff = 3.3. Wechselstrom U0 I0 2 (3.42) 95 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen PSfrag 3.3.9 Brückenschaltungen Mit der Wheatstonschen Brückenschaltung haben wir bereits ein Beispiel für eine Brückenschaltung im Gleichstromfall betrachtet. Diese Brücken können analog auch für Wechselstromkreise mit Induktivitäten und Kapazitäten berechnet werden. Die Brücke ist im I6 R6 R3 R1 β I2 + a R5 I5 I5 b − c α γ R4 R2 I3 I7 I6 d Abbildung 3.12 Gleichstromfall abgeglichen, wenn gilt: R3 R1 = R2 R4 Wir betrachten diese Brücke nun im Wechselstromfall, sprich wir rechnen mit komplexen Spannungen und Strömen und Impedanzen statt Widerständen. Es ergibt sich also: Z̃1 Z̃3 = Z̃2 Z̃4 (3.43) Zwei komplexe Zahlen sind genau dann gleich, wenn sie sowohl im Realteil als auch im Imaginärteil übereinstimmen, respektive in Betrag und Phase. Wir gehen von Letzterem aus, Gleichung (3.43) lautet in Polardarstellung: Z1 i·(ϕ1 −ϕ2 ) Z3 i·(ϕ3 −ϕ4 ) ·e = e Z2 Z4 Daraus ergeben sich nun zwei reelle Bedingungen für den Abgleich: Z1 Z3 = Z2 Z4 ϕ1 − ϕ2 = ϕ3 − ϕ4 3.3. Wechselstrom 96 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Die zweite Bedingung (Phasenbedingung) kann dabei im Wechselstromfall nicht immer erfüllt werden. Betrachten wir dafür folgende verallgemeinerte Brücke aus vier Impedanzen. Hier ist die Phasenbedingung nicht erfüllt, die Impedanz Z̃4 müsste dafür die Phase Z̃1 ≈ Z̃3 UD Z̃4 ? Z̃2 Abbildung 3.13 ϕ4 = ϕ3 + ϕ2 − ϕ1 = π besitzen. Passive Bauelemente wie Widerstände, Kapazitäten und Kondensatoren haben allerdings nur Phasen zwischen 0 und π/2. Eine Abgleichung (UD = 0) der Brücke ist damit mit keinem der uns bekannten Bauteile möglich. Wien-Brücke R3 R1 L3 ≈ UD L4 R2 R4 Abbildung 3.14 Auch hier gilt, dass UD = 0 nur dann gemessen wird, wenn Gleichung (3.43) erfüllt ist. 3.3. Wechselstrom 97 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen Für die darin enthaltenen Impedanzen ergibt sich in diesem Fall: Z̃1 = R1 Z̃2 = R2 Z̃3 = R3 + iωL3 Z̃4 = R4 + iωL4 (3.43) ⇒ R1 R4 + i · ωR1 L4 = R2 R3 + i · ωR2 L3 Diesmal ist der direkte Vergleich von Realteil und Imaginärteil vorteilhafter als ein Vergleich von Betrag und Phase. Damit finden wir erneut zwei reelle Bedingungen für den Abgleich: R1 R4 = R2 R3 R1 L4 = R2 L3 Diese Bedingungen sind unabhängig von der Frequenz ω der Wechselspannung, weshalb diese Brücke auch für alle Frequenzen ungleich Null abgeglichen werden kann. Kennt man die Induktivität einer Spule, so kann damit die Induktivität der anderen Spule bestimmt werden. Nernst-Brücke R3 R1 C3 ≈ UD C4 R2 R4 Abbildung 3.15 Hierbei handelt es sich um das kapazitive Analogon zur Wien-Brücke. Analog erhalten 3.3. Wechselstrom 98 Kapitel 3. Elektrische Schaltungen wir daher auch die Abgleichbedingung: Z̃1 = R1 Z̃2 = R2 1 ωC3 1 Z̃4 = R4 − i ωC4 Z̃3 = R3 − i (3.43) ⇒ R1 R4 − i · R1 R2 = R2 R3 + i · ωC4 ωC3 Die reellen Bedingungen lauten daher: ⇒ R1 R4 = R2 R3 R1 C 3 = R2 C 4 Auch diese Brücke ist für alle Frequenzen verschieden von Null abgleichbar und kann zur Bestimmung von Kapazitäten verwendet werden. 3.3. Wechselstrom 99 4 Magnetostatik 4.1 Mathematischer Einschub: Rotation Innerhalb der von uns untersuchten Eigenschaften des elektrischen Feldes haben wir schon einige neue Operationen kennen gelernt wie die Bildung der Divergenz oder des Gradienten. Speziell die Divergenz als Skalarprodukt des Nabla-Opeartors ∇ mit einem Vektorfeld lässt erahnen, dass man noch eine weitere Operation mit diesem Operator definieren kann: Das Kreuzprodukt des Nabla-Operators mit einem Vektorfeld, die sogenannte Rotation! Wir haben im Abschnitt zum Gradienten gesehen, dass ein Vektorfeld, welches aus dem Gradient eines Skalarfelds ableitbar ist (also beispielsweise das elektrische Feld als Gradient des elektrischen Potentials: E = −∇φ), konservativ ist. Das bedeutet, dass ein geschlossenes Wegintegral über dieses Feld immer verschwindet: I v = ∇f ⇒ v ds = 0 Hierbei ist f ein beliebiges skalares Feld und v das aus der Gradientenbildung resultierende, konservative Feld. Jedoch betrachten wir im Allgemeinen oft auch Felder, welche nicht auf einem Gradienten ableitbar sind und somit nicht konservativ sind. Hier verschwindet das Linienintegral nicht, im Gegenteil, sein Betrag liefert wertvolle Informationen über das Feld. Abbildung 4.1: Das Vektorfeld ~v = v ist hier wie deutlich zu sehen ist nicht konservativ, obwohl das Linienintegral über die blau gestrichelte Linie verschwinden würde. 100 Kapitel 4. Magnetostatik In Abbildung 4.1 sehen wir ein Feld v, dessen Richtung an jeder Stelle gleich ist, der Betrag jedoch nicht. Legen wir den Integrationsweg nun so, dass er senkrecht zum Feld verläuft, so liegt auch jedes Linienelement ds des Linienintegrals senkrecht auf v, was das Skalarprodukt v ds innerhalb des Integrals verschwinden lässt. Legt man jetzt jedoch den Integrationsweg auch nur teilweise in Richtung Richtung des Vektorfeldes, so verschwindet der Beitrag nicht mehr, da dann einige Linienelemente parallel zum Feld liegen und das Skalarprodukt somit maximal wird. Analog zur Divergenz betrachten wir nun einen Grenzübergang für kleine Teilflächen, auf denen wir das Linienintegral ausführen. Diesen Grenzübergang führt man für jede Teilfläche in die drei Raumrichtungen separat aus und erhält dann aus geometrischen Betrachtungen einen Ausdruck für die Definition der Rotation, welche wir hier nicht weiter betrachten wollen (trotzdem schadet es nichts, sich die Definition der Rotation in einem geeigneten Lehrbuch noch einmal anzuschauen). Für uns wichtig ist vor allem ihr Zusammenhang mit dem Nabla-Operator. Dieser ist definiert als: rot v = ∇ × v (4.1) Doch was besagt die Rotation (engl. curl ) für uns? Sie gibt uns passender Weise an, wie stark ein Vektorfeld um einen bestimmten Punkt rotiert. Ein Wirbel im Abfluss ihrer Badewanne wäre ein Zeichen dafür, dass die Rotation des Geschwindigkeitsfeldes (um den Abfluss herum) sehr groß ist. Wir erkennen weiterhin, dass die Rotation des elektrischen Feldes einer Punktladung verschwindet, genauer verschwindet in der Elektrostatik die Rotation jedes elektrischen Feldes, da hier jedes elektrische Feld aus einem Potential durch Bildung des Gradienten ableitbar ist. Und da ein aus einem Gradienten abgeleitetes Vektorfeld immer konservativ ist, erhalten wir allgemein: rot grad f = ∇ × (∇f ) = 0 (4.2) Dies gilt für alle skalaren Potentiale f ! Eine weitere nützliche Eigenschaft und quasi die direkte Verbindung zur eigentlichen Definition der Rotation über die Auswertung eines Linienintegral ist der sehr wichtige Satz von Stokes: I Z v ds = ∇ × v dA (4.3) C(A) A Das Integral der Rotation eines Vektorfeldes über eine Fläche A ist gleich dem geschlossenes Linienintegral des Vektorfeldes über den Rand von A! Mit Hilfe dieses und des gaußschen Satzes folgt weiterhin für jedes Vektorfeld v: div rot v = ∇ · (∇ × v) = 0 4.1. Mathematischer Einschub: Rotation (4.4) 101 Kapitel 4. Magnetostatik Die Magnetostatik ist analog zur Elektrostatik die Lehre der zeitlich konstanten (stationären) Magnetfelder. Sowie ruhende Ladungen elektrische Felder erzeugen, so erzeugen geradlinig-gleichförmig bewegte Ladungen Magnetfelder. In dieser Weise bewegte Ladungen beschreibt man zweckdienlich als makroskopischen Strom I, welcher daher auch als Ladung pro Zeit definiert ist. Zusammengefasst können Magnetfeldern also von Strömen erzeugt werden. Sind diese Ströme zeitlich konstant, so ist auch das erzeugte Magnetfeld zeitlich konstant. Dieses Bild des elektrischen Stroms als eine Menge geradlinig-gleichförmig bewegter Elektronen lässt sich bis hinunter zu den Atomen skalieren. Im einfachsten Bild, dem Bohrschen Atommodell, kreisen die Elektronen auf stationären Bahnen um den Atomkern. Jedes einzelne Elektron eines Atoms, welches um den Atomkern kreist, lässt sich somit als Strom auffassen. Damit erzeugt auch jedes Elektron eines Atoms ein kleines magnetisches Feld, welches gerne als Elementarmagnet bezeichnet wird. 1 Die Quellen und Senken des magnetischen Feldes kommen immer paarweise vor, es gibt keine magnetischen Monopole, sprich einzelne magnetische Ladungen in Analogie zu den elektrischen Ladungen. Daher ist der magnetische Dipol der einfachste Fall, sein Feld ähnelt dem eines Stabmagneten. Daraus folgt auch, dass magnetische Feldlinien immer geschlossen sein müssen! 4.2 Magnetfelder stationärer Ströme 4.2.1 Magnetfeld eines stromdurchflossenen Leiters Zunächst bleiben wir bei makroskopischen Strömen. Das einfachste im Labor (und im Alltag) produzierbare Magnetfeld ist das eines geraden, stromdurchflossenen Leiters, wie er in Abbildung 4.2 dargestellt ist. Die magnetischen Feldlinien einer solchen Anordnung bilden konzentrische Kreise um den Leiter. Deren Drehsinn hängt von der Flussrichtung des Stroms ab. Schaut man in Richtung des Stroms, so bildet sich eine Rechtsschraube, in entgegengesetzter Richtung bildet das Feld eine Linksschraube. Zu merken ist dieser Verlauf, wenn man den Daumen der rechten Hand nach oben streckt. Fließt der Strom in Richtung des Daumens, so zeigt das Magnetfeld in Richtung der restlichen Finger. 1 Genauer erzeugen nur Elektronen mit einem nicht verschwindenden Bahndrehimpuls ein solches Feld. Dieser Impuls generiert ein magnetisches Dipolmoment, was den eigentlichen Elementarmagneten darstellt. Zusätzlich besitzt jedes Elektron noch einen intrinsischen Drehimpuls, welcher ebenfalls ein solches magnetisches Moment erzeugt. Dieser als Spin bezeichnete Drehimpuls ist für eine Vielzahl magnetischer Phänomene ausschlaggebend, da nicht jedes Elektron einen Bahndrehimpuls, wohl aber einen Spin besitzt. 4.2. Magnetfelder stationärer Ströme 102 Kapitel 4. Magnetostatik Abbildung 4.2: Das Magnetfeld eines geraden, stromdurchflossenen Leiters bildet ein Magnetfeld aus, dessen Feldlinien konzentrischen Ringen entsprechen. 4.2.2 Gaußsches Gesetz für Magnetfelder Wie bereits angesprochen sind magnetische Feldlinien immer geschlossen. In mathematischer Form ergibt sich daraus folgende Gleichung: I B dA = 0 S(V ) Der magnetische Fluss durch die Oberfläche S(V ) eines abgeschlossenen Volumens V verschwindet. In der Elektrostatik stehen auf der rechten Seite die vom Volumen eingeschlossenen Ladungen, woraus sich der Gaußsche Gesetz ergibt. In der Magnetostatik treten Nord- und Südpol jedoch immer gemeinsam auf, isolierte magnetische Pole/Ladungen existieren nicht, womit die rechte Seite verschwindet. Wendet man den Satz von Gauß (Integralsatz) auf diese Gleichung an, so ergibt sich: I Z B dA = div B dV = 0 S(V ) Hieraus folgt also: div B = 0 (4.5) Dies ist die Quantifizierung der bereits beschriebenen Tatsache, dass es keine isolierten magnetischen Pole gibt. Diese Tatsache ist so elementar, dass Gleichung (4.5) eine der vier notwendigen Maxwell-Gleichungen zur Beschreibung der vollständigen klassischen Elektrodynamik darstellt. 4.2. Magnetfelder stationärer Ströme 103 Kapitel 4. Magnetostatik 4.2.3 Ampèrsches Gesetz In der Elektrostatik ist die Spannung definiert als die Potentialdifferenz zwischen zwei Punkten, welche mit Hilfe des Linienintegrals über das elektrische Feld entlang eines beliebigen Weges zwischen diesen Punkten bestimmt werden kann: ZP2 E ds = Φ(P1 ) − Φ(P2 ) = U P1 Für einen geschlossenen Weg, also P1 = P2 verschwindet dieses Integral. In der Magnetostatik gilt dies nicht! Hier findet man empirisch den als Ampèrsches Gesetz bezeichneten Zusammenhang (4.6). I B ds = µ0 · I (4.6) Das Linienintegral auf der rechten Seite ist also proportional zum Strom, welcher durch diese Fläche fließt. Die Konstante µ0 heißt magnetische Induktionskonstante oder auch Vakuumpermeabilität. Ihr Wert ist im Rahmen der Definition der Lichtgeschwindigkeit exakt festgelegt: N N µ0 = π · 4 · 10−7 2 = 12,566370614... · ·10−7 2 A A Wir haben bereits die Stromdichte j kennen gelernt, welche über Z I = j dA definiert ist. Damit lässt sich das Ampèrsche Gesetz mithilfe des Satz von Stokes in differentieller Form (4.7) schreiben. rot B = µ0 · j (4.7) Dieses Gesetz reicht bereits aus, um das Magnetfeld einiger einfacher Beispiele zu berechnen. Beispiel 1: Magnetfeld eines stromdurchflossenen Leiters Dieses Beispiel haben wir bereits zu Beginn angesprochen. Mit Hilfe des Ampèrschen Gesetz (4.6) sind wir nun in der Lage, das Magnetfeld eines realen Leiters zu berechnen. Real bedeutet hier, dass der Leiter nicht als unendlich dünn, sondern als ein Zylinder angenommen wird. Wir betrachten dazu Abbildung 4.3. Es bezeichnet r0 den Radius des Leiters und r > r0 einen Radius, der außerhalb des Zylinders liegt. Wir wenden Gleichung (4.6) an und wählen als Integrationsweg eben jenen Kreis um den Leiter, welcher sich aus 4.2. Magnetfelder stationärer Ströme 104 Kapitel 4. Magnetostatik Abbildung 4.3: Der graue Bereich kennzeichnet den Querschnitt des Leiters. Die beiden gewählten Integrationswege sind mit rot (r < r0 ) beziehungsweise blau (r > r0 ) eingezeichnet. dem Radius r > r0 ergibt: I B · ds = µ0 I Zur Berechnung dieses Integrals wechseln wir in Polarkoordinaten. Dies bietet sich an, da wir eine Zylindersymmetrie vorliegen haben. Statt den Integrationsweg mit zwei kartesischen Koordinaten parametrisieren zu müssen, vereinfacht sich das Integral in Polarkoordinaten zu einem eindimensionalen Integral. Es gilt: ds = rdϕ Dabei ist ds ein Vektor, welcher an jedem Punkt des Kreises mit dem Radius r in Richtung der Tangente an diesem Punkt zeigt. In Polarkoordinaten zeigt er also in Richtung von eϕ . Gleichzeitig wissen wir aus den vorigen Betrachtungen, dass - abhängig von der Richtung des Stromfluss - das Magnetfeld ebenfalls in diese Richtung zeigt. Es gilt also B k ds. Damit vereinfacht sich das Integral erheblich: I B · ds = I2π (4.6) r · B(r) · dϕ = 2πB(r)r = µ0 I 0 Umgestellt ergibt sich damit: µ0 I r > r0 2πr Da wir r > r0 beliebig gewählt haben, gilt diese Formel für jedes beliebige r > r0 . B(r) = Es bleibt noch das Magnetfeld innerhalb des Leiters zu berechnen. Hierbei muss zwangsweise die endliche Ausdehnung des Leiters berücksichtigt werden. Wenn man eine konstante Stromdichte j annimmt (deren Vektorcharakter wir hier vernachlässigen, es sollte 4.2. Magnetfelder stationärer Ströme 105 Kapitel 4. Magnetostatik klar sein, in welche Richtung j zeigt), dann gilt: I = j · πr02 Für das Feld bei r < r0 trägt nun allerdings nur der Anteil I ′ des gesamten Stroms I bei, welcher innerhalb der von r eingeschlossenen Kreisfläche fließt. Damit ist I ′ gegeben durch: I ′ = j · πr2 Es ergibt sich also ganz analog zum vorigen Fall: I B · ds = µ0 I ′ µ0 I ′ 2πr µ0 j · πr2 r02 = · 2 2πr r0 |{z} ⇒ B(r) = =1 = µ0 I ·r 2πr02 r < r0 Im letzten Schritt wurde eine sogenannte nahrhafte Eins eingefügt. Insgesamt ist die Lösung unseres Problems also: ( µ0 I r > r0 (4.8) B(r) = 2πr µ0 I · r r < r 2 0 2πr 0 Das Magnetfeld steigt also innerhalb des Leiters linear mit r an, außerhalb des Leiters fällt es mit r−1 ab. 4.2.4 Das Vektorpotential Bis auf die Tatsache, dass es keine magnetischen Monopole gibt, sind die Theorien zu Elektostatik und Magnetostatik symmetrisch zueinander. In der Elektrostatik wird das elektrostatische Potential Φ eingeführt, da sich damit die Berechnungen wesentlich vereinfachen. Das elektrostatische Feld bestimmt sich dann aus dem Gradienten des Potentials. Auch in der Magnetostatik führt man ein Potential ein, das sogenannte Vektorpotential A. Wie der Name bereits andeutet, handelt es sich in diesem Fall nicht um ein skalares Potential, sondern um einen Vektor A ∈ R3 . Auch dieses Potential kann zur Bestimmung des eigentlichen Magnetfeldes herangezogen werden, es gilt nämlich: B = rot A (4.9) Die Divergenz eines solchen Feldes verschwindet wie vom Gaußschen Gesetz (4.5) verlangt 4.2. Magnetfelder stationärer Ströme 106 Kapitel 4. Magnetostatik (nachrechnen!). Durch diese Bestimmungsgleichung ist das Vektorpotential jedoch noch nicht eindeutig festgelegt. Für ein Vektorpotential A gilt B = rot A, für ein Vektorpotential A′ = A + grad f gilt dies allerdings auch, da immer rot grad f = 0 gilt. Man benötigt daher noch eine sogenannte Eichung/Eichbedingung, in unserem Fall ist das die Coulomb-Eichung: div A = 0 (4.10) Diese beiden Gleichungen definieren das Vektorpotential eindeutig. 4.2.5 Biot-Savart-Gesetz Praktischerweise hatten wir im elektrostatischen Fall eine Formel zur Hand, welche uns das elektrische Potential bei einer beliebigen Ladungsverteilung ρ gegeben hat. Diese ergibt sich aus der Definition des elektrischen Feldes über den Gradienten des elektrischen Potentials eingesetzt ins Gaußsche Gesetz: ρ ǫ0 ρ ⇔ ∇ · (−∇φe ) = ǫ0 ∇·E= ⇔ ∆φe = − ρ ǫ0 Hierbei bezeichnet ∆ = ∇2 den Laplace-Operator. Die letzte Gleichung nennt man auch Poisson-Gleichung, ihre Lösung haben wir bereits besprochen. Innerhalb der Magnetostatik haben wir bisher nur eine Formel, die uns die Rotation der magnetischen Induktion bei gegebener Stromdichte gibt. Jedoch können wir auch hier eine passende Formel herleiten. Wir setzen unsere Definition des Vektorpotentials in unsere aus dem Ampèrschen Gesetz gewonnene Formel ein: ∇ × (∇ × A) = µ0 · j ⇔ ∇ (∇ · A) −∆A = µ0 · j | {z } =0 ⇔ ∆A = −µ0 · j Hierbei haben wir die Graßmann-Identität des Kreuzproduktes und die Coulomb-Eichung ausgenutzt. Heraus kommt eine Gleichung, welche die selbe Struktur besitzt wie die Gleichung für das elektrische Potential (abgesehen vom vektoriellen Charakter, welchen man aber auch einfach als eine Gesamtheit von drei skalaren Gleichungen interpretieren kann). Also ergibt sich völlig analog zum elektrischen (bis auf die Konstante) das magnetische Potential: Z µ0 j(r′ ) 3 ′ A(r) = dr (4.11) 4π |r − r′ | Für die magnetische Induktion muss man nun nur noch die Rotation auf Gleichung (4.11) anwenden. Diese lässt sich in das Integral hinein ziehen und wirkt dann auf den gesamten 4.2. Magnetfelder stationärer Ströme 107 Kapitel 4. Magnetostatik Bruch. Insgesamt ergibt sich folgender Ausdruck: Z µ0 j(r′ ) × es 3 ′ B(r) = dr 4π |s|2 (4.12) Hierbei gilt die Abkürzung s = r − r′ , es ist der Einheitsvektor in Richtung von s. Diese Formel gilt für alle Stromdichteverteilungen! Oftmals betrachtet man Stromdichten, welche auf dünne Drähte begrenzt sind. Man kann dann für genügend homogene Ströme die Integration der Stromdichte herausziehen, wodurch sich das Volumenintegral in ein Linienintegral verwandelt: Z es × dl µ0 ·I (4.13) B(r) = − 4π |s|2 Dieses Gesetz nennt man nun das Biot-Savart-Gesetz! 4.2.6 Magnetische Dipole Innerhalb des Elektrostatik lassen sich viele Situationen durch Punktladungen, sogenannte Monopole beschreiben. Das Vorhandensein dieser Monopole, welche wie der Name schon sagt entweder positiv oder negativ geladen sein können, ergibt sich aus der nicht verschwindenden Divergenz des elektrischen Feldes bei vorhandener Ladung (Gaußsches Gesetz). In der Magnetostatik jedoch verschwindet die Divergenz, sodass es keine Monopole geben kann. Die nächst höhere, bereits aus der Elektrostatik bekannte Anordnung ist der Dipol, welcher innerhalb der Magnetostatik den Grundbaustein aller magnetischen Probleme darstellt. In der Elektrostatik war der einfachste Dipol eine Anordnung aus zwei entgegengesetzt gleich geladenen Monopolen. Der Verbindungvektor d und der Betrag der Ladung q charakterisierten das Dipolmoment vollständig. Abbildung 4.4: Darstellung der Definition des magnetischen Dipols. n ist hierbei der Flächennormalenvektor der vom Kreisstrom I umschlossenen Fläche A. In der Magnetostatik existieren jedoch keine Monopole, über deren Ladung und Abstand man einen Dipol definieren könnte. Speziell das Biot-Savart-Gesetzt sagt uns, dass im statischen Fall nur ein Strom, also die gleichförmige Bewegung einer elektrischen Ladung, 4.2. Magnetfelder stationärer Ströme 108 Kapitel 4. Magnetostatik ein Magnetfeld verursachen kann. Daher wählt man folgende Definition des Dipolmoments (siehe Abbildung 4.4): pm = IA · n (4.14) Eine praktische Umsetzung dieser Definition wäre eine einfache Leiterschleife oder ein Leiterrechteck. Speziell letzteres wollen wir uns nun anschauen, dazu betrachten wir ein Leiterrechteck mit den Seitenlängen u und v. Es ist frei drehbar aufgehängt und wird von einem Strom der Stärke I durchflossen. Abbildung 4.5: Ein Beispiel für ein frei aufgehängtes Leiterrechteck mit Seitenlängen u und v, das von einem Strom der Stärke I durchflossen wird. Man schaltet nun zusätzlich ein äußeres Magnetfeld B ein, welches die Fläche durchströmt (aber nicht notwendigerweise parallel zum Flächennormalenvektor ist), so wird das Dipolmoment, welches das Leiterrechteck aufgrund seines Stromes besitzt, auf das Magnetfeld reagieren. Die gegenüberliegenden Seiten der Länge u erfahren eine Lorentz-Kraft: FL = u · I · (ea × B) Die Lorentz-Kraft auf die Seiten v würde nun eine Kraft ausüben, welche nicht zur Drehung um die freie Achse führen würde, daher brauchen wir sie hier nicht zu berücksichtigen. Das Leiterrechteck bildet einen starren Körper. Greift eine Kraft an einem starren Körper nicht im Schwerpunkt an, so erzeugt sie ein Drehmoment! Dies ist auch hier der Fall, für das Drehmoment ergibt sich insgesamt: D = pm × B (4.15) Das Leiterrechteck richtet sich also innerhalb des Magnetfeldes so aus, dass des Flächennormalenvektor letztendlich senkrecht auf dem Magnetfeld steht. 4.2. Magnetfelder stationärer Ströme 109 Kapitel 4. Magnetostatik 4.3 Kraftwirkung des magnetischen Feldes Auf ein geladenes Teilchen - beispielsweise ein Elektron - wirkt im elektrischen Feld die Coulombkraft. Diese übt auf das Teilchen abhängig von dessen Ladung eine Kraft in Richtung oder entgegen der Richtung des elektrischen Feldes aus, es gilt E = q · E. Auch magnetische Felder üben unter bestimmten Umständen eine Kraft auf ein geladenes Teilchen aus, welches sich durch sie hindurch bewegt. Als Beispiel sei wie in Abbildung XYZ dargestellt ein Elektron gegeben, welches mit einer Geschwindigkeit v = v0 ·ex in ein Magnetfeld B = B0 ey fliegt. Experimentell kann man eine solche Situation beispielsweise in einem Fadenstrahlrohr beobachten. Eine genauere Beobachtung zeigt: • Das Teilchen wird durch das Magnetfeld in eine Kreisbahn abgelenkt. Es muss also eine Kraft wirken, welche senkrecht zur Geschwindigkeit und zum Magnetfeld steht. • Je größer die Ladung des Teilchens ist, desto geringer ist der Radius der Kreisbahn, folglich steigt die wirkende Kraft mit der steigender Ladung. |F| ∝ q • Je kleiner die Geschwindigkeit, desto größer ist der Radius der Kreisbahn, folglich sinkt die wirkende Kraft mit sinkender Geschwindigkeit. |F| ∝ |v| • Je kleiner das Magnetfeld, desto größer ist der Radius der Kreisbahn, folglich sinkt die wirkende Kraft mit sinkender Magnetfeldstärke. |F| ∝ |B| Insgesamt ergibt sich daraus die sogenannte Lorentz-Kraft, welche die auf ein geladenes Teilchen im Magnetfeld wirkende Kraft angibt. FL = q · (v × B) (4.16) Zusammen mit dem elektrischen Feld ergibt sich die allgemeine Lorentzkraft, welche die Kraftwirkung auf ein elektrisch geladenes Punktteilchen (Monopol) in einem elektromagnetischen Feld vollständig beschreibt: FL = q · (E + v × B) 4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes (4.17) 110 Kapitel 4. Magnetostatik 4.3.1 Das Fadenstrahlrohr Ein Beispiel für ein Fadenstrahlrohr ist in Abbildung 4.62 dargestellt. Mit Hilfe einer Anordnung aus Glühkathode und Lochanode werden - wie in alten Röhrenbildschirmen - freie Elektronen erzeugt und mittels der Lochanode in eine Richtung beschleunigt und gebündelt - daher der Name Fadenstrahl. Abbildung 4.6: Darstellung eines Fadenstrahlrohrs2 . Dies geschieht innerhalb eines Glaskolbens, welcher mit einem Gas bei niedrigem Druck gefüllt ist. Die Elektronen des Fadenstrahls können dieses Gas zum Leuchten anregen, womit sich die Spur der Elektronen und damit ihre Flugbahn visualisieren lässt. Die Spannung zwischen Anode und Glühkathode UB bestimmt die Energie der Elektronen beim Austritt aus dem Anodenloch. Ein Vergleich mit der kinetischen Energie liefert die Geschwindigkeit der Elektronen. 1 e · UB = me v 2 2 r 2eUB ⇒v= me Hierbei ist me die Elektronenmasse. Nun wird das Fadenstrahlrohr senkrecht zur Austrittsrichtung der Elektronen von einem homogenen Magnetfeld durchflutet. Dies kann beispielsweise durch ein Helmholtz-Spulenpaar realisiert werden. Wie wir bereits wissen, werden die Elektronen nun vom Magnetfeld auf einen Kreisbahn gezwungen, deren Radius wir nun berechnen wollen. Dazu setzen wir die Zentripetalkraft mit der Lorentz-Kraft gleich. Innerhalb des Kolbens soll kein elektrisches Feld herrschen und wir behandeln die Kräfte betragsmäßig: me v2 = e · |v × B| = e · |v| · |B| · sin (∠v, B) r Weiterhin wissen wir, dass der Geschwindigkeitsvektor senkrecht zum magnetischen Feld 2 Aus: Demtröder, Wolfgang: Experimentalphysik 2 : Elektrizität und Optik. 6. Aufl.. Berlin Heidelberg New York: Springer-Verlag, 2014. 4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes 111 Kapitel 4. Magnetostatik steht, womit der Sinus des eingeschlossenen Winkels 1 wird. v2 = e · |v| · |B| r me v ⇒r= eB me Mit der bereits bestimmten Geschwindigkeit der Elektronen ergibt sich insgesamt: r √ 2UB me · r= B e Der Quotient aus Masse und Ladung wird auch spezifische Ladung genannt und ist eine mit einem Fadenstrahlrohr bestimmbare Größe des Elektrons, da die Stärke des Magnetfelds und die Beschleunigungsspannung von außen vorgegeben werden, wohingegen der Radius gemessen werden kann. Eine elektrische Ladung kann in einem elektrischen Feld beschleunigt werden, beim magnetischen Feld haben wir jedoch angenommen, dass die Geschwindigkeit betragsmäßig konstant bleibt und die von der Lorentzkraft ausgeübte Beschleunigung lediglich die Richtung der Geschwindigkeit ändert. Um dies zu zeigen betrachten wir die zeitliche Änderung der kinetischen Energie eines Teilchens mit Ladung q mit einer Geschwindigkeit v in einem Magnetfeld B. Es gilt: Ekin = m 2 m v ⇒ Ėkin = · 2 · v · v̇ = m · v · v̇ 2 2 (4.18) Mittels des 2. Newtonschen Gesetzes F = m · a können wir die wirkende Kraft, die Lorentzkraft FL = q · (v × B) einführen: Ėkin = q · v · (v × B) = 0 (4.19) Das Kreuzprodukt in Klammern erzeugt einen Vektor, welcher senkrecht zu B und auch senkrecht zu v steht. Damit muss das äußere Skalarprodukt mit v verschwinden, womit die zeitliche Änderung der kinetischen Energie einer Punktladung in einem Magnetfeld verschwindet. Ein räumlich und zeitlich konstantes Magnetfeld verrichtet an einer Punktladung keine Arbeit. Der Wien-Filter Als letztes Beispiel soll noch eine Kombination aus elektrischem und magnetischen Feld betrachtet werden, die genaue Anordnung ist in Abbildung 4.7 dargestellt. Ein Plattenkondensator erzeugt ein statisches und homogenes elektrisches Feld zwischen seinen Platten. Senkrecht dazu wird ein ebenfalls statisches und homogenes Magnetfeld erzeugt. Werden nun geladene Teilchen, beispielsweise Ionen von Elementen beliebiger Masse und Geschwindigkeit, senkrecht zu beiden Feldern in den Kondensator geleitet, so erfahren sie zum einen eine elektrostatische Kraft zu einer der beiden Kondensatorplatten (abhängig 4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes 112 Kapitel 4. Magnetostatik vom Vorzeichen ihrer Ladung). Zum anderen werden sie jedoch vom Magnetfeld ebenfalls in eine der beiden Richtung abgelenkt. Wir wollen nun bestimmen, in welchem Fall ein Kräftegleichgewicht zwischen elektrostatischer Kraft und Lorentzkraft vorliegt. Es soll also gelten: FL = q · (E + v × B) = 0 (4.20) Dazu legen wir das Koordinatensystem so, dass die Ionen in Richtung der z-Achse fliegen, es gilt also v = v0 ez . Das elektrische Feld liegt in x-Richtung, das magnetische Feld in y-Richtung an, womit E = E0 ex und B = B0 ey gilt. Damit folgt: FL = q · (E + v × B) = q · (E0 ex + v0 B0 ez × ey ) = q · (E0 − v0 · B0 )ex Damit die wirkende Kraft verschwindet muss der Term in Klammern verschwinden. Daraus folgt: E0 E 0 − v0 · B 0 = 0 ⇒ v0 = B0 Alle Teilchen mit dieser Geschwindigkeit werden von der Anordnung nicht beeinflusst und passieren den Kondensator ohne abgelenkt zu werden. Damit eignet sich diese Anordnung hervorragend, um Teilchen nach ihrer Geschwindigkeit zu sortieren. Man nennt eine solche Anordnung daher auch Geschwindigkeitsfilter. Abbildung 4.7: Darstellung eines Wien-Filters. Die geladenen Teilchen treten auf der linken Seite ein und können den Spalt auf der rechten Seite nur passieren, wenn ihre Geschwindigkeit nah an v0 liegt. 4.3.2 Hall-Effekt Die Lorentzkraft bewirkt eine Ablenkung der Ladungsträger eines Leiters senkrecht zum Magnetfeld und zur Stromrichtung wie im vorigen Abschnitt diskutiert wird. Diese Ablenkung führt zu einer Ladungstrennung, die wiederum ein elektrisches Feld EH erzeugt. Die Ladungstrennung schreitet so lange fort, bis das sich aufbauende elektrische Feld eine der Lorentzkraft FL = nq(v × B) entgegen gerichtete gleich große elektrische Kraft Fc = nqEH bewirkt. Bei einem Leiter mit rechteckigem Querschnitt A = bd führt dieses 4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes 113 Kapitel 4. Magnetostatik elektrische Feld zu einer Hall-Spannung UH = Z EH · ds zwischen den gegenüberliegenden Seitenflächen im Abstand b. UH soll hier die Spannung zwischen oberer und unterer Seitenfläche sein. Aus der Relation qEH = −q(v × B) folgt mit der Beziehung j = nqv für die Hall-Spannung. Mit Hilfe der Abbildung und unter Berücksichtigung von I = jbd ergibt sich UH = − (j × B)b nq In Metallen und in den meisten Halbleitern sind die Ladungsträger Elektronen mit der Ladung q = −e, so dass man eine positive Hallspannung misst: UH = IB ned Manche Halbleiter zeigen jedoch eine negative Hallspannung! Dies lässt sich folgendermaßen verstehen: Bei diesen Halbleitern tragen überwiegend Elektronen-Defektstellen, so genannte Löcher, zur Leitung bei. Ein Elektron besetzt bei seiner Bewegung im elektrischen Feld ein Loch neben seinem bisherigen Platz. Das Loch, welches dieses Elektron hinterlässt, wird von einem anderen Elektron besetzt usw. Das Loch wirkt wie ein positives Teilchen, welches sich mit einer Driftgeschwindigkeit v+ D bewegt, die entgegengesetzt zur − Driftgeschwindigkeit vD der Elektronen ist und deren Betrag sich von |v− D | unterscheidet. Die Messung der Hall-Spannung ist eine empfindliche Methode, Magnetfeldstärken zu bestimmen. Dazu benutzt man kalibrierte Hall-Sonden mit bekannter Empfindlichkeit der Sonde S = UR /B. Bei vorgegebener Stromdichte j wird die Hall- Spannung umso größer, je kleiner die Ladungsträgerdichte n ist! Dann ist nämlich die Driftgeschwindigkeit vD und damit die Lorentzkraft größer. Halbleiter haben etwa 106 -mal kleinere Werte für n als Metalle. Hallsonden werden unter anderem in zerstörungsfreien Prüfverfahren z. B. bei Streuflussverfahren verwandt. UH e - B + + + + + + + + + j = n e vD b d Abbildung 4.8: Hall Effekt 4.3. Kraftwirkung des magnetischen Feldes 114 Kapitel 4. Magnetostatik 4.4 Magnetismus in Materie Je nach Aufbau eines Festkörpers reagiert dieser unterschiedlich auf ein äußeres, ihn durchsetzendes Magnetfeld. Man unterscheidet dabei mögliche Verhaltensweisen des Körpers auf die Anwesenheit des Magnetfelds, die wichtigsten sind dabei der Dia- , Para- und Ferromagnetismus. Diese Eigenschaften machen sich dadurch bemerkbar, dass in allen Gesetzen und Formeln, welche die magnetische Vakuumpermeabilität µ0 beinhalten, diese durch die magnetische Permeabilität µ ersetzt wird: µ = µ0 µr Diese ergänzt somit die Vakuumpermeabilität um eine materialspezifische, dimensionslose Permeabilitätszahl µr , welche quasi eine Verstärkung (µr > 1) oder Abschwächung (µr < 1) der magnetischen Effekte angibt. Abhängig vom Wert dieser Zahl unterscheidet man die jeweiligen Verhaltensweisen. Ursache dieser Verstärkung oder Abschwächung ist die Ausrichtung der Elementarmagnete als Antwort auf die Anwesenheit eines äußeren Feldes. Qualitativ wird diese Ausrichtung als Magnetisierung M beschrieben. Abbildung 4.9: Oben: Mit µr < 1 richten sich die Elementarmagnete so aus, dass das von ihnen erzeugte Magnetfeld, die Magnetisierung M, das äußere Feld Ba im Innern kompensiert, sodass das resultierende Feld Bi im Innern entsteht. Unten: Der umgekehrte Fall, hier wird das äußere Feld verstärkt. Da die Magnetisierung also durch die Ausrichtung der Elementarmagnete, in unserem Fall vereinfacht der Ausrichtung der Dipolmomente pm , verursacht wird, können wir die Magnetisierung als Dipolmoment pro Volumen V definieren: M= 1 X pm V V (4.21) Abhängig von µr kann man nun Stoffe in verschiedene Arten des Magnetismus einordnen. 4.4. Magnetismus in Materie 115 Kapitel 4. Magnetostatik 4.4.1 Diamagnetismus Diamagnetische Substanzen zeichnen sich dadurch aus, dass ein äußeres Magnetfeld, welches in den Festkörper eindringt, ein inneres Magnetfeld induziert, welches dem Äußeren entgegengesetzt gerichtet ist. Ausschlaggebend ist hier der Begriff induziert, da Diamagnete kein permanentes Dipolmoment besitzen. Erst das äußere Feld erzeugt (induziert) diese Dipolmomente. Effektiv ergibt sich somit eine Abschwächung des äußeren Magnetfelds innerhalb der Substanz (Superposition der Feldlinien). Die Substanz versucht damit, das äußere Magnetfeld wieder aus ihrem Verbund hinaus zu drängen. Für einen Diamagneten gilt also 0 ≤ µr < 1, er erzeugt mit den induzierten Dipolmomenten eine Magnetisierung welche dem äußeren Magnetfeld entgegen gerichtet ist. Im Grunde sind alle chemischen Elemente diamagnetisch, da der Diamagnetismus (wie alle magnetischen Eigenschaften) ein quantenmechanischer Effekt der Elektronen im Atom ist, welche jedes Element besitzt. Besonders ausgeprägt ist er beispielsweise bei Kohlenstoff. Dies führt dazu, dass man Kohlenstoff in Form von dünnen Graphit-Plättchen sogar über starken Dauermagneten schweben lassen kann (magnetische Levitation). Perfektioniert wird diese Eigenschaft im supraleitenden Zustand. Gebräuchlich ist, dass ein Supraleiter sich dadurch auszeichnet, dass er unterhalb einer charakteristischen Sprungtemperatur seinen elektrischen Widerstand verliert und zum idealen Leiter wird. Dies ist allerdings nur die halbe Wahrheit, der supraleitende Zustand ist nur dann erreicht, wenn der Körper dann auch zum idealen Diamagneten wird. Das bedeutet, dass für seine Permeabilitätszahl µr = 0 gilt. Er verdrängt ein äußeres magnetisches Feld also vollständig dadurch, dass er ein inneres Feld aufbaut, welches das äußere vollständig kompensiert. Dieser als Meißner-Ochsenfeld bekannte Effekt sorgt dafür, dass ein Supraleiter über einem starken Magnetfeld schwebt. 4.4.2 Paramagnetismus Zwar ist der Diamagnetimus eine intrinsische Eigenschaft jedes Elements, jedoch existieren weitere magnetische Eigenschaften, deren Ausprägung wesentlich stärker sein kann und somit den Diamagnetismus überwiegen. Ein Beispiel dafür ist der Paramagnetismus. Er wohnt allen Elementen und Verbindungen inne, welche ein permanentes, magnetisches Dipolmoment besitzen. Dieses Dipolmoment ist von der Elektronenkonfiguration des Elements abhängig, was erklärt, wieso manche Elemente Para- und andere Diamagneten sind. Somit kann ein Paramagnet theoretisch auch eine Magnetisierung aufweisen, ohne dass ein äußeres Magnetfeld anliegt. Praktisch beobachtet man jedoch, dass aufgrund der thermischen Bewegung der Atome keine Anordnung der Dipolmomente zustande kommt, welche eine makroskopisch messbare Magnetisierung erzeugt. Ohne äußeres Feld gilt also: M= 4.4. Magnetismus in Materie 1 X pm = 0 V V 116 Kapitel 4. Magnetostatik Auch beim Diamagneten stimmt diese Gleichung für ein verschwindendes äußeres Magnetfeld. Der wichtige Unterschied ist jedoch, dass beim Diamagneten jedes einzelnen pm ebenfalls verschwindet, beim Paramagneten jedoch verschwinden diese jedoch nicht, sondern kompensieren sich jeweils zu Null. Abbildung 4.10: Links: Ba = 0: Die thermischen Energie sorgt dafür, dass die Richtungen dieser Momente statistisch gleich verteilt sind. Alle Momente addieren sich zu einer verschwindenden Magnetisierung. Rechts: Ba > 0: Die permanenten, magnetischen Dipolmomente orientieren sich am äußeren Feld und richten sich aus, sodass sich eine Magnetisierung verschieden von Null ergibt. Durchflutet nun ein äußeres Magnetfeld einen Paramagneten, so richten sich die magnetischen Dipole wie bereits bekannt in Richtung des Feldes aus und verstärken es somit. Es gilt damit also für einen Paramagneten µr > 1. Die Dipole sind jedoch nicht untereinander gekoppelt, sodass die Ausrichtung nur schwach ist. Außerdem kann die eigene Wärmebewegung der Atome (Gitterschwingungen im Festkörper, Phononen) diese Ausrichtung stören, sodass µr insgesamt nie sehr viel größer als Eins wird. Die Magnetisierung eines Paramagneten verschwindet nach Abschaltung des äußeren Magnetfelds aufgrund von thermischen Bewegungen rasch wieder. 4.4.3 Ferromagnetimus Der bekannteste Vertreter des Magnetismus ist der Ferromagnetismus. Fälschlicherweise werden solche Stoffe oftmals selbst als magnetisch deklariert, was aber nicht der Wahrheit entspricht. Vielmehr zeigen Ferromagnete nur eine weitaus stärkere, makroskopische Reaktion auf ein magnetisches Feld. Die Magnetisierung ist hier ein vielfaches höher als bei einem Paramagneten. Im Unterschied zum Paramagneten behalten Ferromagnete jedoch einen Teil ihrer Magnetisierung auch nach abschalten des äußeren Feldes. Ferromagnete verstärken das äußere Feld durch gekoppelte Ausrichtung ihrer intrinsischen magnetischen Momente, deren Träger die Spins der Elektronen sind. Diese Verstärkung ist weitaus stärker als beim Paramagnetismus, Werte von µr >> 1 sind üblich. Die bekanntesten ferromagnetischen Elemente sind Kobalt (µr ≈ 150), Nickel (µr ≈ 1000) und Eisen (µr ≈ 6000). Die angegebenen Werte sind nur Mittelwerte, die genaue Permeabilität ist wesentlich vom Reinheitsgrad und der Art der Verunreinigung abhängig. Daher ist beispielsweise auch Edelstahl, welcher zum Großteil aus Eisen besteht, nicht ferromagnetisch (wird nicht von einem Magneten angezogen). 4.4. Magnetismus in Materie 117 Kapitel 4. Magnetostatik Verhalten eines Ferromagneten Legt man spontan ein äußeres Magnetfeld an einen Ferromagneten an, so steigt die Magnetisierung erst linear mit der Feldstärke, später flacht der Verlauf ab und konvergiert gegen die Sättigungsmagnetisierung. In diesem Zustand sind alle Dipole vollständig in Richtung des äußeren Magnetfelds ausgerichtet, die Magnetisierung ist maximal. Schaltet man nun das äußere Feld Ba ab, so bleibt auch für Ba = 0 eine Magnetisierung bestehen, die sogenannte Remanenz oder Restmagnetisierung. Sie ist es, welches einem mit einem Dauermagneten behandelten Stück Eisen ermöglicht, als provisorische Kompassnadel zu dienen. Fährt man das äußere Magnetfeld nun jedoch langsam hoch, so erkennt man, dass der vermeintlich lineare Verlauf eine eher treppenförmige Struktur aufweist. Diese Sprünge von Stufe zu Stufe nennt man Barkhausen-Sprünge. Sie lassen sich damit erklären, dass sich immer nur Gruppen von magnetischen Momenten gleichzeitig ausrichten, nie einzelnen Momente allein. Diese Gruppen nennt man Weiß’sche Bezirke oder (ferro)magnetische Domänen. Da diese Bezirke statistisch beliebig geformt sind und mal mehr, mal weniger Dipole einschließen, klappen sie alle bei verschiedenen Stärken des äußeren Magnetfelds um. Dies verursacht dann die Barkhausen-Sprünge. Bei hohen Temperaturen, genauer bei Temperaturen über der charakteristischen CurieTemperatur TC (für Eisen TC ≈ 1000 K), verliert ein Stoff seine ferromagnetischen Eigenschaften. Er bleibt aber für alle T > TC weiter paramagnetisch. Verdampft man einen Ferromagneten, so sind die Moleküle bzw. Atome der Gasphase paramagnetisch. Dies deutet darauf hin, dass der Ferromagnetismus ein Anordnungsphänomen der Paramagnete ist, also auf der Anordnung magnetischer Momente beruht. Genauere Betrachtung des Ferromagnetismus Wie bereits angedeutet koppeln beim Ferromagnetismus die magnetischen Momente und richten sich parallel in Richtung des äußeren Feldes aus, man bezeichnet dies als Ordnungsphänomen. Da die magnetischen Momente aus den Spins der Elektronen resultieren, ist der Ferromagnetismus also die makroskopische Erscheinung der kollektiven, mikroskopischen Ausrichtung der Elektronenspins. Klassisch könnte man nun vermuten, dass die Wechselwirkung der magnetischen Dipole diese Ausrichtung erzwingt. Nehmen wir für eine Beispielrechnung an, dass sich zwei magnetische Momente, beispielsweise zwei Elektronenspins, im Abstand von einigen Å parallel zueinander ausrichten. Damit ergibt sich eine Wechselwirkungsenergie von E ≈ 100 µeV. Die Wechselwirkungsenergie ist hierbei ein Maß für die Stärke der Kopplung der Spins. Daraus ergibt sich mit E = kB T eine korrespondierende Temperatur von rund 1,2 K. Solange wir uns also nicht in der Nähe des absoluten Nullpunkts aufhalten, sollten wir keine Ordnungsphänomene aufgrund des magnetischen Moments und dessen Wechselwirkung erwarten, da jeder Anordnungsversuch direkt von thermischen Schwingungen zerstört würde. Diese Wechselwirkung ist also viel zu schwach (um einen Faktor 1000 im Vergleich zur thermischen Energie beispielsweise des Elektronengases im Eisen), 4.4. Magnetismus in Materie 118 Kapitel 4. Magnetostatik um gegen die allseits vorhandenen, thermischen Wechselwirkungen zu bestehen. Dies erkennen wir allein schon daran, dass Ferromagnetismus auch bei Zimmertemperatur an unserer Magnettafel funktioniert. Die Ursache des Ferromagnetismus ist ein quantenstatistischer Effekt, der klassisch (also mit der bisher bekannten klassischen Elektrodynamik) nicht erklärbar ist (beachten Sie hierbei, dass Sie also beim Anheften einer neuen Notiz an ihre Magnetpinnwand einen makroskopischen Quanteneffekt ausnutzen!). Physikalische Systeme aller Art sind immer bestrebt, ihre Gesamtenergie zu minimieren. Dies gilt auch für einen ferromagnetischen Festkörper. Einen entscheidenden Beitrag zu dieser Gesamtenergie liefert hier die Austauschwechselwirkung. Diese Wechselwirkung ist zwar quantenmechanisch induziert, ihr Beitrag zur Gesamtenergie ist jedoch rein elektrostatisch. Um die Herkunft dieser Wechselwirkung zu verstehen, ist es nötig, die quantenstatistische Natur von Elektronen näher zu beleuchten: Elektronen sind Fermionen. Als Fermionen werden alle Teilchen bezeichnet, welche eine halbzahligen Spinquantenzahl aufweisen (1/2, 3/2, 5/2,...). Das Elektron hat die Spinquantenzahl 1/2. Teilchen mit ganzzahligem Spin werden Bosonen genannt, beispielsweise sind Photonen mit ihrer Spinquantenzahl von 1 Bosonen. Mit Hilfe der Quantenstatistik kann man nun zeigen, dass sich Bosonen und Fermionen im Kollektiv fundamental unterscheiden. Bosonen bevorzugen es, gemeinsam im selben Zustand zu sein. Fermionen hingegen mögen es nicht, im selben Zustand zu sein. Diese Eigenschaft der Fermionen ist im sogenannten PauliPrinzip definiert. Gleichzeitig sind die Elektronen im Festkörper ununterscheidbar. Das Pauli-Prinzip und die Ununterscheidbarkeit der Elektronen führen nun zur sogenannten Austauschwechselwirkung. Zur Erklärung gilt es nun noch, den Begriff des Zustands näher zu beleuchten. Wie bereits gesagt hat das Elektron die Spinquantenzahl 1/2. Das Elektron kann bezüglich dieses Spins nun zwei Zustände einnehmen, welche über die Spinprojektionsquantenzahl gekennzeichnet sind. Für das Elektron kann sie ±1/2 betragen, man spricht auch von Spin-Up (+1/2) und Spin-Down (-1/2). Damit verbunden ist auch die Ausrichtung des magnetischen Dipolmoments des Elektrons. Vereinfacht gesagt entsprechen dann zwei Elektronen mit entgegengesetzter Spinprojektion zwei elementaren Stabmagneten, welche umgekehrt zueinander angeordnet sind. Ihr erzeugtes Magnetfeld kompensiert sich also. Wir betrachten nun zwei exemplarische Fälle: • Zwei Elektronen sind in unterschiedlichen Zuständen, sprich eines in Spin-Up, das andere in Spin-Down. Somit können sie sich beliebig nahe kommen, das PauliPrinzip greift nicht. Diese gegenseitige Nähe erzeugt eine Coulomb-Abstoßung, da beide Elektronen negativ geladen sind. Diese Abstoßung erhöht die Gesamtenergie des Systems. Sprich der Fall, dass die magnetischen Momente der Elektronen sich gegenseitig kompensieren, ist energetisch hoch. • Zwei Elektronen sind im gleichen Zustand. Aufgrund des Pauli-Prinzips halten diese Elektronen von Natur aus Abstand zueinander (dies hat NICHTS mit Elektrostatik zu tun, sondern ist ein rein quantenmechanischer Interferenzeffekt). Aufgrund dieses natürlichen Abstandes ist die elektrostatische Abstoßung zwischen ihnen geringer, damit ist auch die Gesamtenergie geringer. Sprich der Fall, dass magnetischen Momente der Elektronen parallel ausgerichtet sind, ist energetisch niedrig. 4.4. Magnetismus in Materie 119 Kapitel 4. Magnetostatik Damit gilt, dass in bestimmten Konfigurationen von Elektronensystemen im Festkörper eine parallele Ausrichtung der Spins bevorzugt wird, da sie energetisch günstiger ist. Auch die Ausbildung von magnetischen Domänen (Weiß’sche Bezirke) hat ihren Ursprung in der Minimierung der Gesamtenergie des Ferromagneten. Zuletzt liefert noch das vom Ferromagneten selbst erzeugte Magnetfeld einen Beitrag zur Gesamtenergie. Die Minimierung dieser drei Beiträge Austauschenergie, Energie der magnetischen Domänen und Feldenergie führt zur Tatsache, dass Ferromagneten existieren und mikroskopisch so aufgebaut sind, wie man sie vorfindet. 4.4. Magnetismus in Materie 120 5 Elektromagnetismus Dieses Kapitel befasst sich nun mit dem Brückenschlag zwischen elektrischen und magnetischen Feldern. Das zwischen diesen beiden Feldern ein tieferer Zusammenhang besteht, lässt sich bereits anhand des in Kapitel 3.1.1 besprochenen ohmschen Gesetz erkennen, welches lautet: j=σ·E (5.1) Es besagt, dass die Stromdichte - beispielsweise in einem Draht - proportional zum elektrischen Feld ist, wobei der Proportionalitätsfaktor als Leitfähigkeit bezeichnet wird. Gleichzeitig haben wir in Kapitel 4.2 berechnet, dass ein zeitlich konstant stromdurchflossener Leiter ein zeitlich konstantes Magnetfeld erzeugt. Laut ohmschen Gesetz entspricht eine konstante Stromdichte einem jedoch auch einem konstanten elektrischen Feld. Somit hängen elektrostatisches und magnetostatisches Feld eng miteinander zusammen. Dieser Zusammenhang wird umso deutlicher, wenn wir nun zeitabhängige Felder betrachten. 5.1 Das Faradaysche Induktionsgesetz Zur Herleitung dieses Gesetzes benötigen wir den magnetischen Fluss Φm : Z Φm = B dA (5.2) Wir haben diese Größe bereits in der Magnetostatik kennen gelernt. Wird das Integral über eine geschlossene Oberfläche ausgeführt (Sphäre, Würfel, ...), so verschwindet das Integral und damit der magnetische Fluss. Dies ist die mathematische Beschreibung der Tatsache, dass magnetische Feldlinien immer geschlossen sind. Michael Faraday (1791 - 1867) fand das nach ihm benannte Induktionsgesetz, welches die in einem Leiter induzierte Spannung mit dem magnetischen Fluss in Verbindung setzt. Es lautet: Uind = −Φ̇m (5.3) In Worten: Die in einem Leiter induzierte Spannung ist gleich der negativen zeitlichen Änderung des magnetischen Flusses. Für ein homogenes Magnetfeld vereinfacht sich der magnetische Fluss: Φm = B · A 121 (5.4) Kapitel 5. Elektromagnetismus Die Produktregel liefert dann für die zeitliche Ableitung des Flusses: Φ̇m = Ḃ · A + B · Ȧ Eine Spannung wird also induziert, wenn: • sich das die Leiteranordnung durchsetztende Magnetfeld zeitlich ändert. • sich die vom Magnetfeld durchsetzte Fläche der Leiteranordnung zeitlich ändert. Wir wollen dies an zwei Beispielen verdeutlichen. Beispiel 1: Leiterschleife durch Magnetfeld Gegeben sei nun eine Situation, wie sie in Abbildung 5.1 dargestellt ist. Abbildung 5.1: Eine rechteckige Leiterschleife wird mit konstanter Geschwindigkeit geradliniggleichförmig durch ein räumlich scharf begrenztes Magnetfeld geführt. Dabei wird die in ihr induzierte Spannung gemessen. Durch ein räumlich scharf begrenztes Magnetfeld wird eine Leiterschleife mit konstanter Geschwindigkeit v gefahren. Wir wollen berechnen, wie der Spannungsverlauf der induzierten Spannung, welche an einem hypothetischen Messgerät angezeigt würde, aussieht. 1. Die Schleife tritt in das Magnetfeld ein Da das Magnetfeld zeitlich konstant und homogen ist, gilt: Ḃ = 0. Berührt die rechte Seite der Schleife das Magnetfeld zum Zeitpunkt t = 0, so gilt für die durchsetzte Fläche: A(t) = h · b(t) · n =h·v·t·n 5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz 122 Kapitel 5. Elektromagnetismus Hierbei ist n der Flächennormalenvektor. Dies gilt bis zum dem Zeitpunkt, wo die gesamte Schleife in das Magnetfeld eingetaucht ist. Dieser Vorgang dauert bis zum Zeitpunkt t1 = b/v. Die induzierte Spannung ist in dieser Phase also wie folgt gegeben: Uind = −Φ̇m = −ḂA − BȦ = −BȦ = −B · n · hv = −Bhv Da das Magnetfeld parallel zum Flächennormalenvektor liegt, reduziert sich das Skalarprodukt zu B, was dem Betrag des Magnetfelds entspricht. 2. Die Schleife ist vollständig im Magnetfeld Während dieser Zeit ändert sich die durchsetzte Fläche nicht, es gilt A(t) = bh = const. Während die Schleife vollständig im Magnetfeld ist wird damit keine Spannung induziert, da auch das Magnetfeld weiterhin konstant bleibt. Dies gilt vom Zeitpunkt t1 = b/v bis zum Zeitpunkt t2 = (L − b)/v. 3. Die Schleife verlässt das Magnetfeld Zum Zeitpunkt t2 = (L − b)/v verlässt die Leiterschleife das Magnetfeld, weiterhin mit der konstanten Geschwindigkeit v. Damit gilt für die durchsetzte Fläche A(t): A(t) = h · b(t) · n = h · (b − v · (t − t2 )) · n = h · (L − vt) · n Dies gilt solange, bis die Schleife das Magnetfeld vollständig verlassen hat, was zum Zeitpunkt t3 = L/v geschieht. Die induzierte Spannung ist in dieser Phase also wie folgt gegeben: Uind = −Φ̇m = −ḂA − BȦ = −BȦ = +B · n · hv = Bhv Der gesamte Verlauf ist in Abbildung 5.2 dargestellt. 5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz 123 Kapitel 5. Elektromagnetismus Abbildung 5.2: Verlauf der induzierten Spannung. Beim Eintritt in das magnetische Feld (t = 0) steigt die durchsetzte Fläche linear an, die Ableitung davon entspricht einem konstanten Wert, daher die konstante Spannung. Zum Zeitpunkt t1 ist die Schleife vollständig in das Magnetfeld eingetaucht, die durchsetzte Fläche ändert sich zeitlich also nicht mehr. Umgekehrt, aber in völliger Analogie verhält es sich beim Austritt. Beispiel 2: Rotierende Leiterschleife im Magnetfeld In dieser Situation ist die Leiterschleife vollständig im vom Magnetfeld durchsetzten Bereich angeordnet, Abbildung 5.3 zeigt diese Anordnung. Die Leiterschleife soll dabei jedoch mit einer festen Kreisfrequenz ω rotieren. 1. Ausgangslage Zu Beginn soll gelten n k B. Damit ist die von der Schleife aufgespannte Fläche A = b · h vollständig vom Magnetfeld durchsetzt. 2. Die Schleife dreht sich Nach einer Zeit t hat sich die Schleife um einen Winkel φ = ω · t weiter gedreht. Damit wächst der Winkel zwischen Magnetfeldvektor und Flächennormalenvektor. Daraus folgt: B · A = |B| · |A| · cos(φ) = B · A · cos(ωt) | {z } =A(t) Hierbei ist A = b · h und B der Betrag des Magnetfelds. Wir identifizieren die zeitliche Abhängigkeit als den zeitlichen Verlauf der durchsetzten Fläche. 3. Induzierte Spannung Es gilt also A(t) = A · cos(ωt) 5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz 124 Kapitel 5. Elektromagnetismus Für die zeitliche Änderung des magnetischen Flusses gilt somit: ✓ · A + B · Ȧ Φ̇m = ✓ Ḃ = B · A · ω · cos(ωt) Damit ist die induzierte Spannung ebenfalls harmonisch: Uind = B · A · ω · cos(ωt) Weiterhin hängt sie von der Frequenz ab: Je schneller sich die Leiterschleife dreht, desto größer ist die induzierte Spannung - das Prinzip jedes Generators. Abbildung 5.3: Die Leiterschleife wird um eine Achse senkrecht zur Magnetfeldrichtung mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω gedreht. Dabei ändert sich die durchsetzte Fläche und eine Spannung wird induziert. 5.1.1 Verbindung zwischen magnetischem und elektrischem Feld Wir betrachten nun den Fall einer Leiterschleife, deren Fläche A vollständig von einem Magnetfeld durchdrungen wird. Dabei nehmen wir an, dass diese Fläche in Betrag und Orientierung zeitlich konstant bleibt und lediglich das Magnetfeld eine Zeitabhängigkeit besitzt. Gemäß des Faradayschen Gesetzes gilt also: Z (5.5) Uind = − Ḃ dA A Wir kennen jedoch aus früheren Kapiteln eine genaue Definition der elektrischen Spannung mittels des elektrischen Feldes: I U= E ds L 5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz 125 Kapitel 5. Elektromagnetismus Hierbei soll das Linienintegral über den Umfang L der Leiterschleife ausgewertet werden. Wir setzen die beiden Ausdrücke für U gleich und wenden den Satz von Stokes an: I Z E ds = − Ḃ dA L Z Z A ⇒ rot E dA = (−1) · Ḃ dA A A Da beide Integrale über die selbe Fläche integrieren, müssen beide Integranten für jedes infinitesimale Flächenelement gleich sein, womit wir schreiben können: rot E = − dB dt (5.6) Ein zeitlich veränderliches, magnetisches Feld erzeugt ein elektrisches Wirbelfeld! Dies ist eine weitere der vier Maxwell-Gleichungen. Zu beachten ist, dass die hier erzeugten elektrischen Felder Feldlinien aufweisen, die in sich geschlossen sind. Dieses elektrischen Felder gehen nicht von einer Ladung aus, sondern von einem zeitlich veränderten Magnetfeld. Dies kann leicht gezeigt werden, da elektrische Felder, welche aus Ladungen entstehen, sich als Gradientenfeld eines elektrostatischen Potentials darstellen lassen, E = −grad φ. Jedoch verschwindet die Rotation eines Gradientenfeldes immer, es gilt rot grad φ = 0. Somit kann das durch ein zeitlich veränderliches Magnetfeld erzeugte elektrische Feld nicht durch eine Ladung erzeugt sein, seine Feldlinien sind in sich geschlossen. Abbildung 5.4 verdeutlicht dieses Verhalten. Abbildung 5.4: In Abbildung (a) ist das elektrische Feld einer elektrostatischen Anordnung gezeigt. Die Ladungen sind ortsfest, das elektrische Feld ist zeitlich konstant und kann durch den Gradienten eines von den Ladungen erzeugten, elektrostatischen Potentials dargestellt werden - die Rotation verschwindet folglich, die Feldlinien starten und enden bei den Ladungen. In Abbildung (b) sind keine Ladungen vorhanden, lediglich ein sich zeitlich änderndes Magnetfeld. Dieses induziert nun ein elektrisches Wirbelfeld (welches in einem nahegelegenen Leiter eine Spannung induzieren könnte), dessen Feldlinien geschlossen sind und somit eine nicht verschwindende Rotation aufweist. 5.1. Das Faradaysche Induktionsgesetz 126 Kapitel 5. Elektromagnetismus 5.1.2 Lenzsche Regel Das negative Vorzeichen innerhalb von Gleichung (5.6) bezeichnet man auch als Lenzsche Regel. Es rührt vom Induktionsgesetz (5.3) her. Wir nehmen wieder an, dass Ȧ = 0 gilt, daher können wir sagen Φm ∝ |Ḃ| und damit Uind ∝ −|Ḃ|. Im elektrotechnischen Fall, sprich wenn wir tatsächlich mit Leiterschleifen und Spulen hantieren, ist dies eine geeignete Näherung, da diese eine feste Fläche haben. Nun muss man jedoch bedenken, dass eine induzierte Spannung, beispielsweise in einer Drahtspule, ihrerseits wieder ein magnetisches Feld erzeugt. Man kann nun zeigen, dass dieses induzierte magnetische Feld immer dem verursachten magnetischen Feld entgegen wirkt. Die durch Induktion entstehenden Wirkungen (Ströme, Kräfte, Felder) sind immer dem einleitenden Vorgang entgegen gerichtet. 5.2 Selbstinduktion In Kapitel 3.3.2 hatten wir bereits die Spulengleichung verwendet, um den Stromfluss durch eine Spule zu untersuchen. Wir wollen den Ursprung dieser Gleichung nun etwas näher beleuchten. Fließt ein Strom durch eine Spule, so können wir dies als den Stromfluss durch einen langen Draht betrachten, welcher wie ein Telefonkabel wendelförmig aufgerollt ist. Gleichzeitig wissen wir jedoch aus frühere Kapiteln, dass das magnetische Feld eines stromdurchflossenen Leiters in konzentrischen Kreise um den Leiter angeordnet ist. Abbildung 5.5 verdeutlicht dieses Verhalten für eine Ansammlung von Leiterschleifen, als welche wir uns die Spule gut vorstellen können. Wir sehen, dass sich innerhalb der Spule ein starkes Magnetfeld aufbaut, in welchem - wie wir später sehen werden - magnetische Feldenergie konzentriert gespeichert werden kann. Dies ist bereits eine erste Analogie zum elektrischen Feld in einem Kondensator. Der magnetische Fluss durch diese Spule beinhaltet das magnetische Feld: Z Φm = B dA (5.7) Das magnetische Feld wiederum ist abhängig von der Stärke des in der Spule fließenden Stroms, genauer gesagt proportional zu diesem, wie wir in vorigen Kapiteln gezeigt haben. 5.2. Selbstinduktion 127 Kapitel 5. Elektromagnetismus Abbildung 5.5: Die grauen Kreise stellen die Drähte der Spule dar. Im inneren bildet sich ein stark konzentriertes, räumlich nahezu homogenes Magnetfeld aus. Damit stellt die Spule bezüglich der magnetischen Eigenschaften das Analogon zum Kondensator dar. Die Proportionalitäten fasst man in einem Faktor L zusammen: ⇒ Φm = Z |B| ∝ I B dA ∝ |B| ⇒ Φm ∝ I ⇒ Φm = L · I Diesen Faktor bezeichnet man als Selbstinduktionskoeffizient oder schlicht Induktivität. Aus dem Induktionsgesetz erhalten wir dann: Uind = −L · I˙ (5.8) Hierbei haben wir angenommen, dass L ein zeitunabhängiger Parameter der Spulengeometrie ist. Dies ist auch fast immer der Fall. Wir bezeichnen dieses Gesetz als Selbstinduktionsgesetz oder Spulengleichung. Es quantifiziert den Gedankengang, dass ein zeitlich veränderter Strom durch die Spule ein Magnetfeld erzeugt. Dies entspricht einer zeitlichen Änderung des magnetischen Flusses durch die Spule, welcher seinerseits wieder eine Spannung in die Spule induziert. Diese Spannung ist aufgrund der Lenzschen Regel der Spannung, welche den Strom durch die Spule erzeugt, entgegengesetzt. Die Induktivität der Spule hemmt damit also ihren eigenen Stromfluss. 5.2. Selbstinduktion 128 Kapitel 5. Elektromagnetismus 5.2.1 Magnetfeld einer Zylinderspule Am Feldlinienbild sieht man, dass das Magnetfeld im Inneren der vom Strom I durchflossenen Spule (Abb. 5.5) mit N Windungen praktisch homogen ist und im Außenraum demgegenüber vernachlässigbar klein ist, wenn der Durchmesser der Spule mit n Windungen pro Länge klein gegenüber ihrer Länge l ist. Wir integrieren auf dem in Abb. 5.5 gestrichelten Wege. Da nur die Strecke im Inneren einen merklichen Beitrag liefert, wird I Z A Bds ≈ Bds = BL = µ0 N I (5.9) B H Dabei benützen wir, dass das H-Feld Hds = Ieingeschlossen ist. Hier ist n = N/l die vorher erwähnte Windungszahl pro Länge. Für die Abschnitte AC und DB ist B ⊥ ds und außen kann der Integrationsweg beliebig weit von der Spule entfernt gewählt werden, damit B sehr klein wird. Das magnetische Feld im Spuleninneren ist bei dieser vereinfachten Betrachtung homogen, d. h. unabhängig vom Ort! 5.2.2 Selbstinduktionskoeffizient einer Zylinderspule Der magnetische Fluss durch die Querschnittsfläche A der Zylinderspule ist gegeben durch Φ = BA = µ0 N I Bei einer Änderung des Spulenstroms wird eine Änderung des Flusses induziert: dΦ dI = µ0 N A dt dt Dabei wird an den Enden der Spule eine Spannung induziert: U = −N Φ = −µ0 n2 lA dI dI = −L dt dt (5.10) Den Koeffizienten L = µ0 n2 V nennt man den Selbstinduktionskoeffizienten wobei V = lA das Volumen der Spule ist. 5.2.3 Ein- und Ausschaltvorgang einer Spule Einschaltvorgang einer Spule Nun können wir analog zum Ein- und Ausschaltvorgang eines Kondensators auch den einer Spule behandeln, wie im unteren Schaltbild dargestellt. 5.2. Selbstinduktion 129 Kapitel 5. Elektromagnetismus ŨR (t) R U0(t) Ũind(t) L Abbildung 5.6 Im Gleichstromfall gilt gemäß den Kirchhoffschen Gesetzen: U0 + Uind = UR U0 = I · R + L · I˙ Dies ist eine inhomogene Differentialgleichung 1. Ordnung. Inhomogen deshalb, da der Term auf der linken Seite weder von I noch von einer Ableitung von I abhängt. Zur Lösung geht man wie folgt vor: 1. Bestimmung der homogenen Lösung Die homogene Lösung ergibt sich als Lösung der inhomogenen DGL mit verschwindender Inhomogenität, sprich U0 = 0. Daraus folgt: I ·R+L· dI =0 dt Dies ist eine separierbare Differentialgleichung, welche wir bereits im Zusammenhang mit dem Aufladen eines Kondensator gelöst haben. Umstellen liefert: 1 R dI = − dt I L Die Lösung dieser Gleichung ist durch R Ihom (t) = c · exp − t L gegeben. Der Index kennzeichnet die Tatsache, dass es sich hierbei um die homogene 5.2. Selbstinduktion 130 Kapitel 5. Elektromagnetismus Lösung handelt. Mit Hilfe dieser Lösung kann die Lösung der inhomogenen DGL bestimmt werden. 2. Bestimmung der inhomogenen Lösung Ein Verfahren zur Bestimmung dieser inhomogenen Lösung, also der Lösung der Ausgangsgleichung mit U0 6= 0, ist die Methode der Variation der Konstanten. Bei dieser wird angenommen, dass die Konstante c der homogenen Lösung eine zusätzliche Zeitabhängigkeit aufweist. Daraus resultiert dann der folgende Ansatz für die inhomogene Lösung: R Iinh (t) = c(t) · exp − t L Die erste zeitliche Ableitung wird mit Hilfe der Produktregel bestimmt: ˙Iinh (t) = ċ(t) · exp − R t − R c(t) · exp − R t L L L Wir setzen diese beiden Ausdrücke nun in die inhomogene DGL ein: U0 = Iinh (t) · R + L · I˙inh (t) R R R R = c(t) · exp − · t · R + L · ċ(t) · exp − · t − c(t) · exp − · t L L L L ✘✘ ✘ ✘✘✘ ✘ R R R R ✘ ✘ ✘ ✘ · t · R + L · ċ(t) · exp − · t − L c(t) · exp ✘− ✘✘ − · t = c(t) · exp ✘✘ ✘✘✘ ✘ L L L L ✘ ✘ ✘ ✘ R = L · ċ(t) · exp − · t L Damit muss c folgende DGL erfüllen: U0 exp ċ(t) = L R ·t L Diese DGL ist wiederum separierbar, die Lösung lautet: U0 R c(t) = · exp ·t R L Insgesamt ergibt sich damit die inhomogene Lösung zu: R R U0 · exp · t · exp − · t Iinh (t) = R L L U0 = R 3. Bestimmung der Gesamtlösung 5.2. Selbstinduktion 131 Kapitel 5. Elektromagnetismus Die Gesamtlösung ist nun die Summe aus homogener und inhomogener Lösung: U0 R I(t) = + c · exp − · t R L Zu Beginn soll kein Strom durch die Spule fließen. Technisch gesehen können wir sagen, dass wir bei t = 0 den Schalter umlegen und damit den Stromkreis schließen. Daher gilt I(t = 0) = 0. Mit dieser Anfangsbedingung können wir endgültig die Gleichung für den Verlauf der Stromstärke beim Einschalten der Spule angeben: I(t = 0) = 0 = U0 U0 +c⇒c=− R R Damit folgt als Lösung des Anfangswertproblems: R U0 · 1 − exp − · t I(t) = R L (5.11) Abbildung 5.7 zeigt den Verlauf. Physikalisch gesehen sorgt die Lenzsche Regel für den Verlauf. Wenn man die Spule einfach nur als Draht auffasst, dann sollte der Strom direkt beim Umlegen des Schalters auf den Maximalwert U0 /R ansteigen (vorausgesetzt der Draht hat keinen Widerstand). Berücksichtigt man jedoch die Tatsache, dass die Spule ein räumlich lokalisiertes Magnetfeld erzeugt, welches seinerseits wieder Spannungen und somit Ströme induziert, ergibt sich zusätzlich der Exponentialfaktor. Der induzierte Strom wirkt dem das Magnetfeld erzeugende Strom entgegen. Ausschaltvorgang einer Spule Den Ausschaltvorgang haben wir mathematisch gesehen mit der Berechnung des Einschaltvorgangs bereits abgedeckt. In der Ausgangssituation ist der Schalter schon seit langer Zeit geschlossen, durch die Spule fließt der Strom I0 = U0 /R. Nun wird der Schalter geöffnet, damit verschwindet die Spannungsquelle U0 und der Strom baut sich über den Widerstand R ab. Mathematisch ergibt sich damit die selbe DGL wie bereits beim Einschaltvorgang, lediglich die Inhomogenität U0 verschwindet, da der Stromkreis SpuleWiderstand nun nicht mehr mit der Spannungsquelle verbunden ist. Die Lösung dieser homogenen DGL haben wir bereits berechnet: R I( t) = c · exp − t L Die Konstante c bestimmen wir diesmal über die Anfangsbedingung I(t = 0) = I0 = U0 /R, da im Moment t = 0, wenn der Schalter geöffnet wird, der volle Strom durch den Stromkreis Spule-Widerstand fließt. Damit ergibt sich: R U0 · exp − t I( t) = R L 5.2. Selbstinduktion 132 Kapitel 5. Elektromagnetismus Der Strom baut sich also exponentiell gedämpft über den Widerstand ab. In diesem Fall versucht die Spule also, den vorigen Zustand - einen konstanten Strom U0 /R - aufrecht zu erhalten. Zusammengefasst besagt die Lenzsche Regel also auch, dass die Spule immer versucht, ihren aktuellen Stromfluss konstant zu halten. Abbildung 5.7: Verlauf des in der Schaltung fließenden Stroms beim Einschaltvorgang (rot) und Ausschaltvorgang (grün) einer Spule mit 1 mH in Serie mit einem Widerstand mit 1 kΩ. Die Zeitkonstante liegt im einstelligen Mikrosekundenbereich. 5.3 Energie des Magnetischen Feldes Die beim Abschalten der Spule, Abb. 5.7, verbrauchte Energie muss im Magnetfeld der Spule gespeichert gewesen sein. Z ∞ Z ∞ Wmagn = IU dt = I 2 Rdt (5.12) 0 Mit Gleichung 5.10 wird dies zu Z Wmagn = ∞ 0 0 1 I02 exp −(2R/L)/tRdt = I02 L 2 (5.13) Da L = µ0 n2 V ist, wird die Energiedichte wmagn = 1 1 B2 Wmagn = µ0 n2 I02 = V 2 2 µ0 5.3. Energie des Magnetischen Feldes (5.14) 133 Kapitel 5. Elektromagnetismus Wir vergleichen die früher abgeleiteten Ausdrücke für die Energie W und die Energiedichte w des elektrischen und des magnetischen Feldes: 1 Wmagn = LI 2 2 1 Wel = CU 2 2 1 wel = ε0 E 2 2 1 B2 wmagn = 2 µ0 (5.15) Benutzt man die Beziehung ε0 µ0 = 1/c2 , so folgt für die Energiedichte des elektromagnetischen Feldes: 1 wem = ε0 E 2 + c2 B 2 (5.16) 2 In Materie mit relativer Dielektrizitätskonstante ε (D = εε0 E und B = µµ0 H) und relativer Permeabilität µ wird Gleichung 5.16 wem = 1 (ED + BH) 2 (5.17) 5.4 Verschiebungsstrom Verschiebungsstrom I Leitungsstrom I E-Feld E Abbildung 5.8 In Abbildung 5.8 ist ein Stromkreis mit zeitlich veränderlichem Strom gezeigt. Von Clark Maxwell wurde der sogenannte Verschiebungsstrom eingeführt. Wenn in den Leitungen in der Abbildung 5.8 Strom I fließt, muss sich die Ladung Q auf den Kondensatorplatten ändern. Diese Ladungen führen zu einer Änderung des elektrischen Feldes zwischen den 5.4. Verschiebungsstrom 134 Kapitel 5. Elektromagnetismus Platten. Mit der Beziehung I= dQ d ∂E = (ε0 AE) = ε0 A dt dt ∂t (5.18) kann diese Änderung berechnet werden. Diese Größe stellt einen Strom dar und wird Verschiebungsstrom genannt. Die zugehörige Stromdichte ist dann: jv = ε 0 ∂E ∂t (5.19) Addiert man diesen Ausdruck zur Stromdichte des Amperschen Gesetz (Gl. 4.7), so erhält man I Z Bds = µ0 I = µ0 (j + jv )dA (5.20) Wir werden in der Vorlesung zur Optik noch lernen, dass ε0 µ0 = 1/c2 ist, wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist. Damit kann die Gl. 5.20 in differentieller Form geschrieben werden 1 ∂E (5.21) rotB = µ0 j + 2 c ∂t Dieses Ergebnis besagt dass Magnetfelder nicht nur von Strömen erzeugt werden, sondern auch von zeitlich veränderlichen elektrischen Feldern. Ohne diese Tatsache gäbe es keine elektromagnetischen Wellen, die in der Vorlesung Optik behandelt werden. Damit haben wir im Laufe dieser Vorlesung alle Maxwell-Gleichungen behandelt bzw. abgeleitet: ∂B rotE = − ∂t 1 ∂E rotB = µ0 j + 2 (5.22) c ∂t ρ divE = ε0 divB = 0 Mit Hilfe von B = µ0 H und D = ε0 E kann man die Gleichungen verallgemeinern: ∂B ∂t ∂D rotH = j + ∂t divD = ρ divB = 0 rotE = − (5.23) Zusammen mit der Lorentzkraft F = q(E + v × B) und der Newtonschen Bewegungsgleichung F = mb = ṗ (p ist der Impuls) beschreiben diese Gleichungen alle elektromagnetischen Phänomene. 5.4. Verschiebungsstrom 135