Erschienen in: Herzog W, Beutel M, Kruse J (Hrsg) Psychosomatische Medizin und Psychotherapie heute. Schattauer, Stuttgart, 2012, S. 68-73 Konsiliar-/Liaisondienste – Von der Feuerwehrfunktion zu integrierten Versorgungsmodellen Wolfgang Söllner 1. Einleitung Die Konsiliar-Liaisonpsychosomatik dient der Behandlung (a) psychischer Störungen bei körperlich kranken Patienten (somato-psychische Störungen) und (b) somatischer Beschwerden bei psychischen Störungen (psycho-somatische Syndrome) im Krankenhaus oder in daran angegliederten ambulanten Strukturen. Sie ist die Schnittstelle der Psychosomatischen Medizin zu anderen medizinischen Fächern. Der Ausdruck Liaison soll eine besonders enge Kooperation mit einer „somatischen“ Krankenhausabteilung beschreiben, welche neben patientenzentrierten Leistungen (Konsultation) auch teamzentrierte Leistungen umfasst. Die historischen Wurzeln der Konsiliar-Liaisonpsychosomatik sind einerseits die Consultation- Liaison (C-L) Psychiatry in den USA und andererseits die Entwicklung der Psychosomatischen Medizin als wissenschaftlicher Disziplin, deren Forschungsgegenstand die Zusammenhänge zwischen somatischen und psychosozialen Faktoren in der Medizin ist (Lipsitt 2001). In Deutschland entstanden psychosomatische Abteilungen mit Konsiliar-Liaisondiensten (CLDiensten) zunächst an akademischen und einigen großen kommunalen Krankenhäusern (Pontzen 1994). Durch die Einführung des Facharztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Deutschland und die in der Folge stattfindende Anpassung der Landesbettenpläne wurden psychosomatische Abteilungen mit CL-Diensten auch zunehmend in Allgemeinkrankenhäusern eingerichtet. 2. Die gesundheitspolitische Relevanz von psycho-somatischen Störungen und komorbiden psychischen Störungen bei körperlich Kranken Ca. ein Drittel aller Krankenhauspatienten mit primär somatischem Beschwerdeangebot weist krankheitswertige psychische Symptome auf (Arolt et al. 1995, Krautgartner 2006). Im Folgenden sind die gesundheitspolitisch wichtigsten Störungen skizziert: Angststörungen und affektive Störungen als Komorbidität bei „körperlichen“ Erkrankungen: Depressive Syndrome können begleitend zu jeder schweren oder chronischen Erkrankung auftreten, bei bestimmten internistischen (Herzinfarkt, Diabetes), neurologischen (Apoplex, Parkinson, Multiple Sklerose) und onkologischen Erkrankungen treten sie jedoch gehäuft auf. Sie sind in ihrem Erscheinungsbild heterogen, oft nicht direkt mit der Schwere der körperlichen Erkrankung korreliert und multifaktoriell bedingt. Vorhergehende affektive Störungen, Probleme der Krankheitsbewältigung, mangelnde Unterstützung aus dem sozialen Netzwerk und hormonelle und neuroimmunologische Veränderungen tragen zu ihrer Entstehung bei. Angststörungen und affektive Störungen erhöhen das Risiko an einer Koronaren Herzerkrankung und an Diabetes zu erkranken (Roest et al. 2010a,Campayo et al. 2010). Bei Patienten mit Koronarer Herzerkrankung führt eine begleitende Angststörung oder Depression zu einer erhöhten Re-Infarktrate und zu einer signifikant gesteigerten Mortalität (3 mal so hoch bei ausgeprägter Depression) (Roest et al. 2010b, Lesperance et al. 2002). Der „somatisierende“ Patient: Patienten mit Somatisierungsstörungen, funktionellen und dissoziativen Syndromen sind das „tägliche Brot“ in medizinischen Notaufnahmen. Da ihre diagnostische Abklärung schwierig ist, landen sie – je nach Hauptsymptomatik - häufig zur weiteren Diagnostik auf internistischen, neurologischen oder anderen Stationen. Der psychosomatische CL-Dienst wird – wenn überhaupt – meist kurz vor der Entlassung hinzugezogen, wenn somatisch „nichts gefunden“ wurde. Dies führt zur Frustration aller Beteiligten, vor allem aber des Patienten, der sich im Stich gelassen und als „Psychofall“ stigmatisiert fühlt. Eine enge Liaisonkooperation mit der Notaufnahme und der daran angeschlossenen Psychosomatischen fast-track-Station Medizin bei kann diesen zu einer Patienten frühzeitigen führen, Mitwirkung unnötige der diagnostische Mehrfachabteilungen und unnötige Behandlungen vermeiden helfen (siehe Kapitel „Somatoforme Störungen“) und zu einer integrierten psycho-somatischen Sichtweise bei den behandelnden Kollegen und beim Patienten beitragen. Der akut-traumatisierte Patient: Obwohl ca. 20% aller verunfallten Patienten eine akute Belastungsreaktion zeigen und bei ca. 15 % ein Jahr nach dem Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung festzustellen ist, werden akuttraumatisierte Patienten selten psychosomatisch betreut. Gezielte Krisenintervention und supportive Entlastung zeitnah 2 nach dem Unfall kann dazu beitragen, die Entwicklung einer psychischen Störung bei Patienten und Angehörigen zu vermeiden. Psychische Störungen werden bei körperlich kranken Patienten häufig nicht erkannt (Smith et al. 1995a, Söllner et al. 2001). Die mangelnde Identifikation und Berücksichtigung psychischer Störungen führt zu einer deutlichen Verlängerung der stationären Aufenthaltes und zu einer Erhöhung der Behandlungskosten im Krankenhaus (Friederich et al. 2002) wiederholten Krankenhausaufenthalten sowie zu unnötigem Leiden von Patienten und ihren Angehörigen (Friederich et al. 2002, Burgmer et al. 2004) einer kostenintensiven „Fehlinanspruchnahme“ somatischer Diagnostik und Behandlung (Smith et al. 1995b, Gündel et al. 2000, Kathol et al. 2006). 3. Ziele und Organisationsformen von Konsiliar-/ Liaisondiensten Ziel der Konsiliar-/Liaisonversorgung ist die Verbesserung der psychosozialen Versorgung von Patienten und die Förderung einer bio-psycho-sozialen Sichtweise der Behandler im Allgemeinkrankenhaus. Dies kann durch zwei unterschiedliche Strategien erreicht werden: Konsilimodell: Dieses Modell entspricht der im Krankenhaus üblichen ärztlichen Konsultation und zielt vorrangig auf eine bessere direkte Versorgung und Unterstützung der Patienten und Angehörigen, indem patientenbezogen psychosoziale Aspekte bei Diagnose- und Indikationsstellung berücksichtigt und in den Behandlungsplan integriert werden bzw. eine klinisch relevante psychische Komorbidität behandelt wird. Diese konsiliarische Kooperation kann auch bei umschriebenen Erkrankungen und Behandlungsangeboten (z. B. in onkologischen Zentren, in der Transplantationsmedizin) vertraglich vereinbart sein (Kontraktmodell). Es schließt bei entsprechender Indikationsstellung die Förderung der Motivation zu einer poststationären psychosozialen Behandlung ein. Eine problemspezifische Kurzpsychotherapie kann vom CL-Dienst während der stationären Behandlung begonnen und ev. ambulant weitergeführt werden. Liaisonmodell: Dieses Modell strebt zusätzlich zur konsiliarischen Mitbehandlung die Verbesserung der psychosozialen Kompetenz der Behandler durch Fort- und Weiterbildung an. Liaisonmodelle streben eine strukturelle Verankerung in den Alltagsbetrieb der somatischen Klinik an. Dazu gehört eine regelmäßige Präsenz des Konsiliars auf Station. Je enger der Kontakt zum ‚somatischen’ Behandlungspersonal ist, desto eher wird ein Fortbildungseffekt erreicht, werden die Empfehlungen des CLMitarbeiters befolgt und desto effektiver ist das Konsil (Huyse et al 1993). An 3 Abteilungen, Stationen oder ambulanten Einheiten, in denen viele Patienten behandelt werden, deren Therapie für alle beteiligten Berufsgruppen (Ärzte, Pflege, medizinischtechnisches Personal) schwierig und belastend ist, ist eine enge und konstante Liaisonkooperation empfehlenswert. Dieser Kooperation mit dem Behandlungsteam der zuweisenden Abteilung kann mittels folgender Interventionen erfolgen: Gemeinsame Fallbesprechungen Teilnahme an Visiten Supervisions- und Balintgruppen Mitwirkung an der internen Fortbildung der Abteilung Strukturierte Fortbildungskurse in ärztlicher Gesprächsführung und kommunikativer Kompetenz: Die Evaluation der Fortbildung zeigt, dass dadurch Patienten mit psychischer Belastung oder Komorbidität eher erkannt werden und die Ärzte/das Pflegepersonal sich im Umgang mit schwierigen Interaktionen sicherer fühlen (Langewitz et al. 1998, Söllner et al. 2007). 4. Unterschiede zu psychiatrischen Konsildiensten Die von der Europäischen Union (BIOMED 1) geförderte European Consultation-Liaison Workgroup Collaborative Study zur Evaluation der CL-Tätigkeit (Huyse et al. 2000) und die nachfolgende multizentrische deutsche Qualitätsmanagement-Studie im CL-Dienst (Herzog & Stein 2003) zeigten, dass psychiatrische und psychosomatische CL-Dienste unterschiedliche Profile aufweisen. Psychosomatische Dienste behandeln mehr Patienten mit Angststörungen, Belastungsreaktionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen, Anpassungsstörungen und somatoformen Störungen, während psychiatrische Dienste häufiger Patienten mit organisch bedingten psychischen Störungen, Abhängigkeitserkrankungen und psychotischen Störungen behandeln. In psychosomatischen CL-Diensten war die Zahl der Patientenvisiten und der Zeitaufwand pro pharmakologische Patient höher Interventionen und es wurden durchgeführt häufiger als in psychotherapeutische psychiatrischen als Diensten. Psychosomatische Dienste fokussierten auch stärker auf die Kommunikation mit den zuweisenden Ärzten und dem Pflegepersonal (Herzog und Hartmann 1990, Herzog et al. 2004). Insgesamt kann man daraus schließen, dass psychosomatische Dienste eher den Gedanken einer integrativen psychosomatischen Versorgung in den Krankenhäusern verfolgen und Liaisondienste favorisieren, während psychiatrische Dienste mit wenigen Ausnahmen als Konsiliardienste organisiert sind, welche in Krisensituationen rasch und punktuell intervenieren, um psychische Komorbidität zu behandeln. 4 5. Die Behandlung von komplex Kranken und die Bedeutung der KonsilLiaisondienste als Bestandteil einer integrativen Patientenversorgung Patienten mit vielen Komorbiditäten und medizinischen Komplikationen und einem dadurch erhöhten Behandlungsaufwand werden als komplex krank bezeichnet. Darunter fallen insbesondere Patienten mit körperlichen Erkrankungen und psychischer Komorbidität. Solche Patienten benötigen eine interdisziplinäre und integrative Behandlung durch verschiedene medizinische Disziplinen. Sie erzeugen stark erhöhte Kosten im medizinischen System (Kathol und Clarke 2005). Das amerikanische Institute of Medicine kritisiert in seinem Bericht über die Zukunftsaufgaben des Gesundheitswesen („Crossing the Quality Chasm: A New Health System for the 21st Century“; 2001) die bestehende Fragmentierung der medizinischen Versorgung in verschiedene Spezialbereiche: „Physician groups, hospitals, and other health care organizations operate as silos, often providing care without the benefit of complete information about the patient’s condition, medical history, services provided in other setttings, or medication prescribed by other physicians. Trying harder will not work. Changing systems of care will!” Das Institute of Medicine fordert eine stärkere Vernetzung und Integration der verschiedenen medizinischen Dienste insbesondere bei der Behandlung von chronischen Erkrankungen. Frits Huyse, einer der Pioniere der CL-Arbeit in Europa, betont in einem programmatischen Editorial mit dem Titel ‚Farewell to C-L? Time for a Change?’ (Huyse 2009), dass die Behandlung von komplex kranken Patienten die Mitwirkung von CL-Diensten dringend erfordere. Dabei würden rein konsiliarische Interventionen zur Behandlung psychischer Komorbidität zu kurz greifen und die Weiterentwicklung, Implementierung und Evaluation integrative Versorgungsmodelle (Liaisonmodelle, stepped-care-Modelle) dringend nötig sein. Aufgrund der Aufgabe des CL-Dienstes, eine eingehende bio-psycho-soziale Gesamtsicht des Patienten und seines Umfelds zu entwickeln, kann der CL-Mitarbeiter häufig eine Vernetzungsfunktion zwischen organmedizinischen und psychosozialen Behandlern, sowie zwischen der ambulanten und stationären psychosozialen Versorgung wahrnehmen. Horizontale Vernetzung im Krankenhaus: Die Akzeptanz einer psychosomatischen CLKooperation nimmt deutlich zu, wenn eine psychosomatische Abteilung Patienten, die eine intensivere psychosomatische Behandlung benötigen, zeitnah in (teil-) stationäre Behandlung übernehmen kann. Da dies häufig Patienten sind, welche gleichzeitig an einer behandlungsbedürftigen körperlichen Erkrankung leiden, sind dafür in die Innere Medizin integrierte psychosomatische Betten vorteilhaft (der OPS-Katalog sieht dafür die sog. Integrierte klinisch-psychosomatische Behandlung in speziellen stationären Einheiten vor). Daneben ist die rasche (teil-)stationäre Behandlung von Patienten in 5 akuten Krisensituationen und Patienten mit somatoformen Störungen bedeutsam. Eine psychosomatische Kurzbehandlung im Akutkrankenhaus kann bei Patienten mit somatoformen Störungen in einer akuten Phase der Krankheit und in einer Umgebung, die dem Patienten Sicherheit und eine rasch verfügbare somatisch-medizinische Kompetenz vermittelt, sehr viel eher ein psychosomatisches Krankheitsverständnis mit nachfolgender Motivation für eine intensivere psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung herstellen, als die Überweisung zu einer ambulanten Psychotherapie, die in vielen Fällen nicht zustande kommt. Aufgrund der ausgeprägten Spezialisierung und Partikularisierung in Großkrankenhäusern übernimmt der psychosomatische CL-Dienst nicht selten auch die Funktion, die Kommunikation zwischen dem Patienten, seinen Angehörigen und verschiedenen medizinischen Spezialisten zu verbessern. Ein sinnvolles case management im Krankenhaus (horizontale Vernetzung) und übergreifend auf den ambulanten Sektor (vertikale Vernetzung) ist nur dann möglich, wenn es in Kooperation mit den anderen daran beteiligten Berufsgruppen (Krankenhaus- und Hausärzte, stationäre Pflege, Übergangs- und Hauskrankenpflege, Sozialarbeiter) erfolgt. Vertikale Vernetzung mit dem ambulanten und rehabilitativen Versorgungssektor: Interventionen im CL-Dienst sind meist sehr begrenzt. Häufig können sie die Motivation zu einer weiterführenden Rehabilitation oder einer ambulanten psychosomatischen Grundversorgung, psychotherapeutischen Behandlung, sozialpädagogischen Beratung oder der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe schaffen oder stärken. Damit diese Angebote dann auch tatsächlich in Anspruch genommen werden, ist eine aktive Unterstützung durch den Konsiliar vorteilhaft (Jordan et al. 1989). In den letzten Jahren wurden insbesondere iin den USA Modelle entwickelt, bei denen CL-Mitarbeiter in ambulanten Polikliniken spezielle Kooperations- und Beratungsaufgaben in der Behandlung von körperlich Kranken mit psychischer Komorbidität oder von psychosomatischen Störungen übernehmen. Dabei werden im Sinne einer stepped care ambulant tätige Ärzte bei der Behandlung dieser Patienten zunächst beraten und die Behandlungsergebnisse durch eine CL-Nurse überprüft. Bei Fortbestehen der psychosomatischen oder somato-psychischen Störung erfolgt eine direkte Intervention durch den Konsilarzt in der Poliklinik (Katon et al. 1996). Durch die Implementierung solcher stepped-care-Modelle bei der Behandlung von Diabetikern mit depressiven Störungen kann nicht nur die Depression wirkungsvoll behandelt werden, sondern auch die Behandlung des Diabetes verbessert und Komplikationen der Zuckerkrankheit verringert werden (Katon et al. 2006, Williams et al. 2004) 6 6. Die Bedeutung der Konsiliar-Liaisonarbeit für die psychosomatische Forschung und Lehre Durch ihre Schnittstellenfunktion in der Patientenversorgung und die andauernde Kooperation mit den anderen medizinischen Disziplinen sind CL-Dienste sehr gut in der Lage, die psychosomatische Forschung zu fördern. Der Aufbau einer vertrauensvollen Kooperation – insbesondere von Liaisondiensten - über Jahre ermöglicht die Erforschung des Zusammenwirkens von somatischen und psychosozialen Faktoren bei der Krankheitsentstehung, Krankheitsverarbeitung Forschungsinteresse die und Gesunderhaltung. klinische Kooperation. Anderseits Beispiele fördert dafür ein sind gemeinsames multizentrische Forschungsprojekte zur Untersuchung psychosomatischer Behandlungsansätze bei Patienten mit Koronarer Herzkrankheit (z. B. SPIRR-CAD, Albus et al. 2010) oder in der Onkologie (z. B. KOMPASS). CL-Dienste sind als Kooperationsmodell in der Medizin in der Lage, Studenten, ärztlichen Weiterbildungsassistenten und psychologischen Praktikanten in der Psychotherapieausbildung das Zusammenwirken somatischer und psychosozialer Faktoren bei der Entstehung und Bewältigung von Krankheit zu verdeutlichen und die Bedeutung und die praktischen Möglichkeiten integrativer Behandlungsansätze zu vermitteln. Sie können ein wertvoller Bestandteil der Weiterbildung von „somatischen“ Ärzten sein, welche die Integration psychosozialer und psychosomatisch-psychotherapeutischer Diagnostik und Behandlungsansätze im Rahmen der praktischen Kooperation kennen lernen. Durch eine Rotation zwischen posychosomatischen und „somatischen“ Kollegen im Rahmen von integrierten klinisch-psychosomatischen Stationen (Med-Psych Units) können erlebens- und praxisnahe wesentliche Elemente der psychosomatischen Grundkompetenzen und Grundversorgung vermittelt werden. 7. Effektivität von Konsil-Liaisondiensten Die den Leitlinien zur Konsiliar-Liaisonversorgung zugrundeliegenden Analysen der bestehenden Literatur (AWMF-Leitlinie in Deutschland, Herzog et al. 2003; holländische Leitlinie, Leentjens et al. 2009) zeigen, dass CL-Interventionen in der Lage sind: psychische Komorbidität (insbesondere Angststörungen und depressive Störungen) bei chronisch Kranken zu vermindern; somatoforme Störungen zu erkennen und die damit einhergehenden Beschwerden und Einschränkungen zu verringern; 7 die psychosoziale und kommunikative Kompetenz der Ärzte der zuweisenden Abteilungen durch die andauernde Liaison-Kooperation und/oder spezielle Communication skills Trainings zu verbessern; die Verweildauer bestimmter Patientengruppen mit langer Liegedauer im Krankenhaus – insbesondere die von geriatrischen Patienten – zu verkürzen (Strain et al. 1994, deJonge et al. 2003). Fehlbelegungen und unnötige Wiederaufnahmen auf somatischen Abteilungen von Patienten mit somatoformen Störungen durch rasche Liaisontätigkeit insbesondere in den Aufnahmebereichen von Krankenhäusern zu vermeiden (Ehlert et al. 1999). Die Leitlinien empfehlen, in die medizinische Behandlung eng integrierte Konsiliar-Liaisondienste in Allgemeinkrankenhäusern einzurichten (die holländischen Leitlinien empfehlen auch die Einrichtung von CL-Diensten in Pflegeheimen); psychische Belastung und psychische Störungen bei bestimmten ‚komplex kranken’ Patientengruppen durch Screeningmethoden zu erfassen und Patienten mit erhöhter Belastung anhand eines festgelegten Protokolls von Konsiliar- und Liaisonaktivitäten zu behandeln; insbesondere stärker integrative Liaisonaktivitäten zu fördern, welche einen positive Wirkung auf die Compliance der Patienten mit der medizinischen Behandlung, die Zufriedenheit der Zuweiser und eine stärker integrierte Behandlung haben können; Follow-up Kontakte durch den CL-Dienst zur Verbesserung der Patientencompliance durchzuführen. Die Leitlinien zeigen, dass Interventionen im CL-Dienst effektiver sind, wenn die Mitarbeiter im CL-Dienst eine spezielle Schulung durchlaufen haben und ein fortlaufendes Qualitätsmanagement im CL-Dienst etabliert wurde (Stein et al. 2000). Eine dafür nötige Basisdokumentation für die CL-Arbeit wurde von den deutschen psychosomatischen Fachgesellschaften erarbeitet (Söllner et al. 2005, Stein et al. 2006). Die European Association of Consultation-Liaison Psychiatry and Psychosomatics hat Richtlinien für das Training von CLMitarbeitern publiziert (Söllner et al. 2007). Fachärzte für Psychosomatische Medizin sind aufgrund ihrer intensiven Weiterbildung im Bereich der Diagnostik und Behandlung von körperlich Kranken mit psychischer Komorbidität und von Patienten mit somatoformen Störungen besonders gut geeignet diese Aufgaben zu erfüllen. 8 8. Künftige Entwicklung Für die künftige Entwicklung sehen wir kurzfristig durch die Finanzierungslücken der CLVersorgung im DRG-System Probleme. Gleichzeitig sehen wir auch Chancen: An zahlreichen Krankenhäusern sind psychosomatische Abteilungen mit CL-Aktivitäten nicht zuletzt auch deshalb entstanden, weil die Einrichtung medizinischer Zentren (onkologische Zentren, HerzKreislauf-Zentren, Transplantationszentren, Schmerzzentren, Palliativstationen etc.) eine begleitende psychosomatisch-psychotherapeutische Versorgung vorsieht. In etlichen Fällen ist diese Mitbehandlung aus gesetzlichen Gründen (z. B. Lebendspenden bei Transplantationen) oder zur Abrechnung bestimmter Komplexziffern (wie der multimodalen Schmerztherapie und der palliativmedizinischen Behandlung) zwingend erforderlich. Mittelfristig werden sich bei der Behandlung multimorbider, chronisch kranker „komplexer Patienten“, die Behandlungsansätze eine multidisziplinäre durchsetzen. Da Therapie integrierte benötigen, vermehrt Versorgungsmodelle eine integrierte frühzeitige Identifizierung dieser Patienten erfordern, wird es nötig sein, komplexe Patienten hinsichtlich psychischer Störungen und Belastungen zu screenen und gezielt psychosoziale Unterstützung anzubieten. Als Screeningmethoden kommen einfache Fragebögen (Loewe et al. 2004) oder kurze strukturierte Interviews, wie das INTERMED (Huyse et al. 1999, de Jonge et al. 2005) in Frage. Bisher sind solche Versorgungsmodelle auf onkologischen (Söllner et al. 2004), neurologischen und internistischen Stationen (deJonge et al. 2003; Stiefel et al. 2007) getestet worden. Diese Untersuchungen zeigen, dass das Screening psychischer Komorbidität zu einer besseren multidisziplinären Therapieplanung und zu einem effektiveren case management führt, wenn die Ergebnisse des Screenings unmittelbar den behandelnden Ärzten rückgemeldet werden oder bei Vorliegen erhöhter Werte direkt der CL-Dienst beigezogen wird. Durch seine Vernetzungsfunktion kommt dem CL-Dienst bei der Therapieplanung und Behandlung komplexer Patienten eine Schlüsselrolle zu. Einerseits muss die horizontale Vernetzung im Krankenhaus gestärkt werden. Integrierte klinisch-psychosomatische Stationen können zu einer verbesserten simultanen psychosomatischen und internistischen Behandlung von komplex kranken Patienten beitragen und zur Kostenreduktion im somatischen Sektor führen (Kathol und Clarke 2005, Wulsin et al. 2006). Diese Vernetzungsfunktion sollte aus unserer Sicht auch dazu führen, dass die CL-Aktivität sich auf den ambulanten Bereich ausdehnt und niedergelassene Ärzte bei der Behandlung komplexer Patienten unterstützt. Exemplarische Versorgungsmodelle, wie ein stepped-care-Modell zur Behandlung von depressiven Diabetikern in den USA, bei dem der CL-Mitarbeiter je nach Schwere der depressiven Störung den niedergelassenen Arzt bzgl. der Behandlung berät oder selbst die Behandlung übernimmt 9 (Katon et al. 2006), zeigten, dass so nicht nur die psychische Störung, sondern auch die somatische Erkrankung effektiver und kostensparender behandelt werden kann. Literatur Albus C, Beutel ME, Deter HC, Fritzsche K, Hellmich M, Petrowski K, Jordan J, Jünger J, Krauth C, Ladwig KH, Michal M, Mueck-Weymann M, Pieske B, Ronel J, Soellner W, Waller C, Weber C, Herrmann-Lingen C for the SPIRR-CAD study group (2011) A stepwise psychotherapy intervention for reducing risk in coronary artery disease (SPIRR-CAD) – Rationale and design of a multicenter, randomised trial. 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