MASTERARBEIT / MASTER’S THESIS Titel der Masterarbeit / Title of the Master‘s Thesis „Flüchtlinge“ auf der Bühne. Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen in der Inszenierung von Nicolas Stemann und Michael Thalheimer verfasst von / submitted by Kerstin Bertsch, BA angestrebter akademischer Grad / in partial fulfilment of the requirements for the degree of Master of Arts (MA) Wien, 2016 / Vienna 2016 Studienkennzahl lt. Studienblatt / degree programme code as it appears on the student record sheet: A 066 582 Studienrichtung lt. Studienblatt / degree programme as it appears on the student record sheet: Masterstudium Theater-, Film- und Medientheorie Betreut von / Supervisor: ao. Univ.-Prof. Dr. Monika Meister DANKSAGUNG Ich danke meiner Betreuerin Ao. Univ.-Prof. Dr. Monika Meister sehr für ihre Unterstützung und kontinuierlichen Ermunterungen. Eine inszenierungsanalytische Arbeit ist auch auf die Materialien der Theaterhäuser angewiesen; Konstanze Schäfer, Angelika Loidolt als auch Andreas Bloch vom Burgtheater und Nicolas Stemann, Christine Ratka und Inga Segelmann vom Thalia Theater haben mir dankenswerterweise ihre Materialien (auch unpublizierte) zur Verfügung gestellt. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei der Stadt Wien (MA7-Kultur) bedanken, namentlich bei Herrn Univ.-Prof. Dr. Hubert Ch. Ehalt und Heidi Kadensky, die mittels eines Stipendiums das Verfassen dieser Masterarbeit förderten. Neben inhaltlichem Input und fruchtbaren Diskussionen möchte ich meiner ehemaligen Studienkollegin Sandra Folie für ihr präzises Lektorat danken. Zuletzt möchte ich meinen Eltern einen Dank aussprechen, denn sie standen und stehen ganz hinter mir. Auch beim Verfassen dieser Arbeit waren sie mir eine große Stütze und halfen über Zeiten des Zweifelns mit vielen Gesprächen hinweg. Inhaltsverzeichnis 1 EINLEITUNG ................................................................................................................ 1 1.1 Forschungsstand und -­‐literatur ................................................................................ 4 1.2 Arbeitsmaterialien und Vorgehensweise .............................................................. 9 2 Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek ..................................................... 12 2.1 Titel .................................................................................................................................. 12 2.2 Bilder ............................................................................................................................... 13 2.3 Textentstehung und Kontext .................................................................................. 16 2.3.1 Appendix ................................................................................................................................... 19 2.3.2 Coda ............................................................................................................................................ 21 2.4 Begriffsklärung: Schutzbefohlene / Asylsuchende / Flüchtlinge ............... 23 2.5 Quellen und Bezüge – Intertexte ............................................................................ 25 2.6 Politische Resonanz und Revision ........................................................................ 27 3 Elfriede Jelinek „[...] will kein Theater“ ........................................................... 30 3.1 Jelineks Theaterbegriff ............................................................................................. 31 3.1.1 „Für diejenigen sprechen, für die kein anderer spricht“ ..................................... 33 3.1.2 Das politische Schreiben von Elfriede Jelinek .......................................................... 33 3.1.3 Theater und Politik .............................................................................................................. 35 3.2 Jelineks Sprache .......................................................................................................... 38 3.3 Die Arbeitstechnik der Autorin .............................................................................. 40 3.4 Regisseure als Ko-­‐Autoren ...................................................................................... 41 3.5 Wer (re-­‐)präsentiert wen in welchem Kontext? .............................................. 44 3.6 Das kollektive Subjekt – der Chor ......................................................................... 47 3.6.1 Sprecherinstanzen – wer spricht? ................................................................................. 50 4 ANALYSE ..................................................................................................................... 53 4.1 Material .......................................................................................................................... 55 4.2 Methode ......................................................................................................................... 56 5 Uraufführung in Deutschland ............................................................................ 59 5.1 Ästhetische Verfahren ............................................................................................... 61 5.1.1 Regiekonzept .......................................................................................................................... 62 5.1.2 Bühnenbild .............................................................................................................................. 64 5.1.3 Kostüm ...................................................................................................................................... 65 5.1.4 Musik ......................................................................................................................................... 67 5.1.5 Pöseldorf und Netrebko .................................................................................................... 67 5.1.6 Rassismen auf der Bühne ................................................................................................. 69 5.1.7 Chor der „Flüchtlinge“ – Statements ............................................................................ 71 5.1.8 Politischer Aktivismus ....................................................................................................... 73 5.2 FAZIT ................................................................................................................................ 74 6 „Heimholung“ nach Wien .................................................................................... 75 6.1 Ästhetische Verfahren ............................................................................................... 77 6.1.1 Regiekonzept .......................................................................................................................... 78 6.1.2 Bühnengestaltung ................................................................................................................ 80 6.1.3 Kostüm ...................................................................................................................................... 82 6.1.4 Musik ......................................................................................................................................... 83 6.1.5 Netrebko .................................................................................................................................. 83 6.1.6 Chor der „Flüchtlinge“ ........................................................................................................ 84 6.1.7 Politische Dimension .......................................................................................................... 85 6.2 FAZIT ................................................................................................................................ 87 7 Conclusio und Ausblick ........................................................................................ 89 8 Bibliographie ........................................................................................................... 94 8.1 Primärliteratur ............................................................................................................ 94 8.2 Sekundärliteratur ....................................................................................................... 95 8.2.1 Print ........................................................................................................................................... 95 8.2.2 Online ..................................................................................................................................... 101 9 Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... 107 10 Abstract Deutsch .................................................................................................. 111 11 Abstract English .................................................................................................... 112 1 EINLEITUNG „Der Nobelpreis in Literatur des Jahres 2004 wird der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek verliehen für den musikalischen Fluß von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen.“1 Die Pressemitteilung der Schwedischen Akademie anlässlich der LiteraturnobelpreisVerleihung 2004 an Elfriede Jelinek beschreibt in aller Kürze die sprachlichen Stärken und das vehemente Einmischen der Autorin in zeitnahe politische Auswüchse. In ihrem Theatertext Die Schutzbefohlenen nimmt Jelinek Europa wortgewaltig in die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen. Sie gibt in ‚musikalischem Fluß’ ihre Stimme den Flüchtlingen, unterbricht das litaneihafte2 Flehen und Klagen mit Gegenstimmen aus dem Volk und der Politik und führt die Macht der Medien und Klischees anhand von pointierten Intertexten aus der zynischen Zuwanderungsbroschüre des österreichischen Innenministeriums vor. Der Text orientiert sich an dem antiken Drama Die Schutzflehenden von Aischylos und verknüpft gekonnt philosophische Motive von Heidegger in der Rede des „Flüchtlingsklagechor, der die «Festung Europa» aus dem Blickwinkel ihrer Ausgegrenzten“3 wiedergibt. Die Literatin hält in ihrem jüngsten Theaterstück mit analytischem Blick und virtuoser Sprache der Gesellschaft einen Spiegel vor; hinsichtlich der europäischen Flüchtlingspolitik und den dadurch kommunizierten ‚Werten’ „[r]edet sich «der Westen» in Elfriede Jelineks «Schutzbefohlenen» um Kopf und (Klischee-)Kragen“4. Die Medienlandschaft der letzten Jahre ist geprägt von Berichten zur Asylproblematik in Europa. Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat das Versagen der europäischen Asylpolitik zum Anlass genommen, um in Die Schutzbefohlenen auf die Missstände im Umgang mit Menschen auf der Flucht hinzuweisen. 1 Nobelprize.org Offizielle Homepage. Pressemitteilung (07.10.2004) http://www.nobelprize.org/nobel_plrizes/literature/laureates/2004/press-d.html Letzter Besuch: 07.12.2015. 2 „Litaneihaftes Klagen“ bedeutet, es wird immer wieder monotonartig hervorgebracht. In Zusammenhang mit Die Schutzbefohlenen geht Bärbel Lücke diesem Aspekt des Jelinek-Textes in ihrem Aufsatz Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). Zu Elfriede Jelineks Stück Die Schutzbefohlenen nach. 3 Wahl, Christine: Die Welt und ihre dramatische Haltigkeit. In: Theater Heute Magazin. Mai 2015. S. 46-49, hier S. 48. 4 Ebd. 1 Der Jelinek-Text entfacht sein Feuer am österreichischen tagespolitischen Geschehen und die Autorin gibt „[...] in einem flammenden Plädoyer gegen Ignoranz, unterlassene Hilfeleistung und das Schicksal Tausender inmitten eines Staatenbunds, der nicht nur Träger des Friedensnobelpreises ist, sondern auch alles in seiner Macht stehende dafür tut, die Mauern der Festung Europa zu verstärken“5 den Menschen auf der Flucht eine Stimme. Jelineks Theatertext Die Schutzbefohlenen fungiert aufgrund der gesellschaftspolitischen Aktualität als Stück des Augenblicks, sind doch gerade die darin behandelten Themen Flucht und Asyl „zu umkämpften gesellschaftspolitischen Konfliktfeldern geworden“6. Zunächst werden aufgrund der großen Bandbreite an Forschungsarbeiten zu Elfriede Jelineks Schaffen die theaterwissenschaftlichen Eckpfeiler abgesteckt und die für diese Arbeit relevante fächerübergreifende Forschung erläutert sowie in Bezug zur Thematik gesetzt. Im zweiten Kapitel werden der Entstehungsprozess und der gesellschaftspolitische Kontext des Theaterstücks, die Textänderungen durch Jelinek sowie die Texterweiterungen besprochen. Die Themen Flucht und Emigration hat die Autorin im Text anhand konkreter Fälle erarbeitet. Sie nimmt Bezug auf die Proteste der verzweifelten Flüchtlinge vor und in der Votivkirche im Dezember 2012 in Wien und auf die täglichen Flüchtlingsdramen in Europa. Mit „Wortrhythmen in blitzhaften Bezugnahmen zueinander“ 7 verarbeitet die Autorin die Realität ästhetisch, ergreift dabei Partei, klagt an und gibt Menschen auf der Flucht eine Stimme. Ihren Theatertext hat Jelinek mit Form und Motiven des antiken Dramas Die Schutzflehenden von Aischylos – das lässt bereits der Titel des Stücks erkennen – sowie mit existenzphilosophischen Motiven verschränkt. Der Fokus des dritten Kapitels liegt auf Jelineks Theaterverständnis, der Verbindung von Theater und Politik und ihrer Arbeitstechnik in Bezug auf das Theater; weiters auf ihrem politischen Schreiben und dem Verhältnis von Theater und Wirklichkeit in ihren Texten. 5 Franke, Oliver: Zeugenschaft im Theater – Die Praxis des Bezeugens im Gegenwartstheater. http://theatertreffen-blog.de/tt15/zeugenschaft-theater-2/ Letzter Besuch: 02.12.2015. 6 Dahlvik, Julia; Reinprecht, Christoph: Asyl als Widerspruch – vom Menschenrecht zum Auserwählten? In: Janke, Pia (Hg.): JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2014-2015. Praesens Verlag. Wien: 2015. S. 43-54, hier S. 43. 7 Haß, Ulrike: Theaterästhetik. In: Janke, Pia (Hrsg.): Jelinek-Handbuch. Verlag J. B. Metzler. Stuttgart/Weimar: 2013. S. 62-68, hier S. 62. 2 Anhand der Schutzbefohlenen lässt sich eine Problematik, die in den Fachzeitschriften der letzten Jahre immer wieder aufkommt, hingegen in einer theoretischen Aufarbeitung noch vergleichsweise wenig präsent ist, diskutieren: Wer spricht? Welche SprecherInneninstanzen gibt es? Und wer (re-)präsentiert am Theater wann wen in welchem Kontext? sind die zentralen Forschungsfragen, denen in dieser Masterarbeit nachgegangen wird. Anhand einer punktuellen Analyse von zwei ausgewählten Inszenierungen soll eine theaterwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den konkreten ästhetischen Verfahren und Mitteln der szenischen Umsetzung für das Medium Theater untersucht werden. Zum einen wird in Kapitel fünf die Uraufführung durch Jelinek-Kenner Nicolas Stemann mit einem Flüchtlingschor auf der Bühne analysiert. Stemann lässt neben SchauspielerInnen des Thalia-Theaters auch „echte Flüchtlinge“ auf der Bühne zu Wort kommen, im Chor sprechen, einzeln das Wort erheben oder gemeinsam singen. Im sechsten Kapitel folgt dann die Analyse der Inszenierung des Regisseurs Michael Thalheimer, der bei der Aufführung des Stücks in Wien pragmatisch mit Burgschauspielern am Chorischen arbeitet und die „echten Flüchtlinge“ außen vor lässt, denn sie kommen nicht zu Wort. Thalheimer nimmt den Jelinek-Text beim geschriebenen Wort. Anhand von Jelineks Theaterbegriff, ihrem politischen Schreiben, der Textentstehung und einer punktuellen Inszenierungsanalyse von zwei sehr unterschiedlichen Regiearbeiten der Schutzbefohlenen wird in dieser Masterarbeit ausgearbeitet, inwiefern man Realität künstlerisch auf die Bühne bringen kann. Am Beispiel von Jelineks Theatertext Die Schutzbefohlenen kann ein Diskurs zur (Re-) Präsentation am Theater geführt werden. Der Text wird von einem ‚Wir’ eröffnet, einem kollektiven Subjekt, das auf der Bühne sowohl bei Stemann als auch bei Thalheimer (jedoch in sehr unterschiedlicher Weise) als Chor auftritt und ein handelndes Kollektiv verkörpert. Ziel dieser Arbeit ist es, die Widersprüchlichkeit zwischen Lebenswirklichkeit und der ästhetischen Umsetzung im Medium Theater zu beleuchten. 3 1.1 Forschungsstand und -literatur In Anbetracht der vor allem seit der Nobelpreisverleihung 2004 großen Zahl an Veröffentlichungen, die vom Elfriede Jelinek-Forschungszentrum gesammelt werden, kann heute 8 sehr wohl von einer fachübergreifenden Jelinek-Forschung gesprochen werden. Auffallend ist, dass einerseits die Publikationen vorwiegend von Forscherinnen angeführt sind und andererseits – im Vergleich zu anderen deutschsprachigen Schriftstellerinnen – die Zahl der Publikationen und Symposien zu Jelinek deutlich höher ist.9 Nachfolgend soll eine kurze Verortung der JelinekForschung in der theaterwissenschaftlichen Disziplin erfolgen, wobei auch Eckpunkte aus anderen Fachbereichen (bspw. Politik-, Sozial- und Migrationsforschung) vorwiegend aus der literaturwissenschaftlichen Forschung kompakt in Bezug zum Projekt erläutert werden. Sammelbände, wie ICH WILL KEIN THEATER von Pia Janke aus dem Jahr 2007 oder das 2008 erschienene Werk Elfriede Jelinek – Stücke für oder gegen das Theater von Inge Arteel und Heidy Margrit Müller geben Einblicke in den Forschungsstand, so unter anderem in Resultate der Symposien zu Jelineks Theaterarbeit (Schaffen für das Theater); insbesondere wird auf intermediale Bezüge und die internationale Rezeption eingegangen. Auch die mediale Präsenz von Elfriede Jelinek hat Einzug in die Forschung gehalten, was nicht weiter verwundert, stehen doch ihrer „[...] Anerkennung, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Bücher, der zahlreichen Inszenierungen ihrer Stücke und der Preisverleihung bis zum Literaturnobelpreis 2004 zeigt, [...] aggressive mediale Reaktionen gegenüber“10. Die Person Elfriede Jelinek stützt bis zur Verleihung des Nobelpreises im Jahr 2004 selbst diese mediale Präsenz mit diversen Reden, Interviews, Fotografien und Porträts. Die Nestbeschmutzerin, ein umfassendes Werk von Pia Janke (2002), schafft ein ausführliches Bild der öffentlichen Präsenz von Elfriede Jelinek. Nach der Nobelpreisverleihung war Jelinek in den Medien omnipräsent und vermied daraufhin öffentliche Auftritte, nahm aber auf ihrer Homepage weiterhin Stellung zum gesellschaftspolitischen 8 Marlies Janz hat im Jahr 1995 in der Vorbemerkung ihrer Monographie Elfriede Jelinek noch das Gegenteil festgestellt. Vgl. Janz, Marlies: Elfriede Jelinek. Verlag. J. B. Metzler. Stuttgart/Weimar: 1995. VII. 9 Vgl. Gürtler, Christa: Forschung. In: Janke, Pia [Hrsg.]: Jelinek-Handbuch. Verlag J. B. Metzler. Stuttgart/Weimar: 2013. S. 356-366, hier S. 356. 10 Ebd. S. 363f. 4 Geschehen in Österreich und Europa und klinkt sich bis heute mit Leserbriefen und Stellungnahmen in politische Debatten ein.11 Auch Die Schutzbefohlenen basieren auf gesellschaftspolitischem Nährboden hinsichtlich der Flüchtlingsdebatte in Europa, ausgehend von einem österreichischen Ereignis vor der Votivkirche hat Elfriede Jelinek eine Klageschrift verfasst, die in einem großen europaweiten politischen Zusammenhang steht und eine konkrete zeithistorische Situation beschreibt. Die literaturwissenschaftliche Forschung positioniert sich erstmals zu Beginn der 1970er und 1980er Jahre hinsichtlich einer Jelinek-Forschung; schwerpunktmäßig werden die Themen Feminismus, Frauenliteratur und weibliche Ästhetik sowie poststrukturalistische und postmoderne Schreibweisen der Schriftstellerin untersucht. Seit jeher polarisiert das Schaffen Jelineks und bricht die gängigen Muster der sogenannten „Frauenliteratur“ der 1970er und der Avantgarde auf. Die ästhetischen Verfahrensweisen der Dekonstruktion, wobei unterschieden wird zwischen „der Analyse von spezifischen Überschreibungen Jelineks von literarischen Texten sowie medialen Diskursen und Vergleichsstudien zu anderen AutorInnen“12, beschäftigt die literaturwissenschaftliche Forschung seit den 1980er Jahren. Zentral ist auch die Forschungsarbeit zu Jelineks intertextuellen Bezügen zu anderen AutorInnen, „die von den griechischen Dramatikern bis zu den wichtigen Philosophen der Gegenwart reichen“ Forschungszweig der 13 Jelinek-Forschung , ergeben einen weiteren großen sowohl im literatur- als auch theaterwissenschaftlichen Fachbereich. Auch in den Schutzbefohlenen arbeitet die Literatin mit ausgewiesenen Intertexten. In Kombination mit Jelineks intertextueller und intermedialer Schreibweise wird auch in der Forschung von Marlies Janz die Mythendestruktion der Autorin berücksichtigt. Sie setzt sich in der Monographie Elfriede Jelinek (1995) mit der Ästhetik der Schriftstellerin hinsichtlich ihres intertextuellen Verfahrens auseinander, sieht diese „als grundlegend für Jelineks Schreiben [...] und [kombiniert] dieses häufig mit einer sprachkritischen Analyse von Jelineks intertextueller und intermedialer Schreibweise.“14 Janz deutet das ästhetische Verfahren Jelineks als intertextuell, da es sich auf fingierte kulturelle Modelle stützt und diese als Mythen, 11 Vgl. Ebd. S. 364. Ebd. S. 362. 13 Ebd. 14 Ebd. S. 356. 12 5 „d. h. als Ideologisierungen von sozialen und sexuellen Machtstrukturen, destruiert.“ 15 Bereits in den 1980er Jahren setzte sich die Forschung mit der Theaterästhetik Elfriede Jelineks auseinander und berücksichtigte hierbei vor allem ihre essayistischen Texte Ich möchte seicht sein (1986) und Ich schlage sozusagen mit der Axt drein (1984), in denen sich Jelinek programmatisch zu ihrem Theaterschaffen äußert. In dem Band Gegen den schönen Schein, erschienen 1990 und herausgegeben von Christa Gürtler, finden sich Beiträge zur Prosa Jelineks, zu ihrer Theaterästhetik, die in der Postdramatik anzusiedeln ist, und auch zur medialen Selbstinszenierung der Autorin.16 Seit den 1990er Jahren fokussiert die Jelinek-Forschung vermehrt die Theaterstücke der Schriftstellerin, wobei die Schwerpunkte der Analysen auf ihrer Ästhetik und den konkreten Inszenierungen liegen und die literaturwissenschaftlichen Beiträge methodisch verstärkt „(...) von psychoanalytischen, poststrukturalistischen und dekonstruktivistischen Ansätzen bestimmt [sind]“17. Im Online-Magazin des TextemVerlages findet sich ein Beitrag unter dem Titel „Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). Zu Elfriede Jelineks Stück Die Schutzbefohlenen“ von Bärbel Lücke – der sich in ihre zahlreichen Veröffentlichungen zu Elfriede Jelinek einreiht und den jüngsten Theatertext der Literatin behandelt – , worin sich die promovierte Germanistin einmal mehr mit Jelineks Dekonstruktion in ihrem Werk und in ihrer Sprache (hier insbesondere mit den Schutzbefohlenen und den Menschenrechten) auseinandersetzt. Nach Bärbel Lücke „entzündet“ sich Jelineks dekonstruktivistische und parodistische „vielschichtige postavantgardistische Kunst [...] am sogenannten Tagespolitischen“18 und ‚entlarvt’ Menschenrechtsverletzungen mit Hintergrundwissen und Intertexten: „[...]interessant ist [...]: Die Sprache selbst sprengt die nationalen Grenzen und stellt nicht allein Österreich, sondern das neoliberale Europa an den Pranger.“19 Das Arbeitsbuch stets das Ihre. Elfriede Jelinek (1998) von Brigitte Landes vereint essayistische und literarische Texte zum Theaterschaffen der Schriftstellerin, verfasst von RegisseurInnen, DramaturgInnen, AutorInnen und WissenschaftlerInnen. In der 15 Ebd. S. 357. Vgl. Ebd. 17 Ebd. 18 Lücke, Bärbel: Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). Zu Elfriede Jelineks Stück Die Schutzbefohlenen. In: Textem – Texte und Rezensionen. http://www.textem.de/index.php?id=2519 Letzter Besuch: 17.11.2015. 19 Ebd. 16 6 Studie Elfriede Jelinek – Theater des Nachlebens von Evelyn Annuß (2008) werden Jelineks Theaterstücke „als dekonstruktive Fortschrift der Brecht’schen Lehrstücke [analysiert] und [...] in der sprechenden Instanz die politische Sprengkraft ihrer Texte [ausgemacht].20 Diese ‚politische Sprengkraft’ ist auch ihrem jüngsten Theatertext Die Schutzbefohlenen eingeschrieben und wird in dieser Arbeit in Bezug auf die Repräsentationsdebatte besprochen, wobei nach dem „wer spricht?“ die Verortung der SprecherInneninstanzen bei den Schutzbefohlenen naheliegt. Jelinek eröffnet ihren Theatertext mit einem sprechenden „Wir“ und die Leser merken deutlich, dass hier ein Chor von Flüchtlingen spricht, dem Jelinek ihre Stimme leiht, aus dem aber auch einzelne Instanzen ausbrechen. Im Jahr 2004 wurde das Elfriede Jelinek-Forschungszentrum als Verein gegründet, der als international vernetzte Forschungsstelle fungiert und das Schaffen der einzigen österreichischen Nobelpreisträgerin sowie Kontexte und Rezeption ihres Werks dokumentiert. Durch das umfassende Archiv, die laufenden Forschungsprojekte und schließlich als Forum des wissenschaftlichen Austausches ermöglicht das Elfriede Jelinek-Forschungszentrum eine fundierte Auseinandersetzung mit der Autorin und ihren Werken; es werden laufend Symposien und Diskussionen veranstaltet und Forschungsbeiträge publiziert.21 Seit 2011 erarbeitet das Elfriede Jelinek-Forschungszentrum in Zusammenarbeit mit internationalen WissenschaftlerInnen in lexikonartigen Beiträgen eine umfassende Gesamtdarstellung von Jelineks Leben, ihren Werken und ihrer Wirkung. Das Jelinek-Handbuch, das in der Reihe „Personenhandbücher“ des Metzler Verlags im Herbst 2013 erschienen ist, versammelt biographische Daten, künstlerische Kontexte, das politische und feministische Engagement von Elfriede Jelinek wie auch ihre Schreibverfahren. In dem kompakten Nachschlagewerk werden Jelineks narrative Strategien und ihre Theaterästhetik ebenso beleuchtet wie auch in ihren Werken verankerte, wichtige Themen und Diskurse. Die Forschungsplattform Elfriede Jelinek unter der Leitung von Pia Janke wurde im Juni 2013 in Kooperation mit dem Elfriede Jelinek- Forschungszentrum an der Universität Wien mit „(...) einem international vernetzten, interdisziplinären 20 Gürtler: Forschung. S. 358. Vgl. Elfriede Jelinek- Forschungszentrum http://www.elfriede-jelinek-forschungszentrum.com Letzter Zugriff: 29.10.2015. 21 7 Forschungsschwerpunkt zu Elfriede Jelinek“22 gegründet. Basierend auf dem Werk von Elfriede Jelinek werden fächerübergreifende Forschungsdiskussionen „(...) zu wichtigen ästhetischen Fragen und virulenten Themen unserer Zeit ermöglicht, die mit Hilfe neuer Medien, in Form von Tagungen und Publikationen auch in die Öffentlichkeit wirken“23. Die jüngste Publikation der Forschungsplattform Elfriede Jelinek ist das neue JELINEK[JAHR]BUCH 2014-2015, das mit einem Gespräch mit Ute Nyssen, der Theaterverlegerin, Lektorin und Agentin von Elfriede Jelinek eröffnet und die jüngsten Theatertexte darunter Die Schutzbefohlenen behandelt – u.a. ist ein Interview mit Schutzbefohlenen dem am Regisseur Wiener Michael Burgtheater) Thalheimer (Inszenierung abgedruckt, sowie Die weitere Auseinandersetzungen mit dem Stück und der Thematik „Asyl und Menschenrecht“. Dieses materialreiche Buch fügt sich in eine bereits große Reihe an Veröffentlichungen des Jelinek-Forschungszentrums ein. In dem im Oktober 2015 erschienenen Werk JELINEK[JAHR]BUCH 2014-2015 findet sich ein Beitrag von Luigi Reitani, „’Daß uns Recht geschieht, darum beten wir’ Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen“, weiters ein Gespräch von Björn Hayer mit dem Regisseur Michael Thalheimer unter dem Titel „Die Farben eines schwarzen Bildes – Zur österreichischen Erstaufführung von Die Schutzbefohlenen am Burgtheater“ wie auch eine Analyse zu den Kontexten aus soziologischer Perspektive unter dem Titel „Asyl als Widerspruch – vom Menschenrecht zum Auserwählten“ von Julia Dahlcik und Christoph Reinprecht. Diese vorliegenden Beiträge regen zu einer konkreteren und ausführlicheren Beschäftigung insbesondere mit der Thematik an. Am 19. Oktober 2015 fand im Rahmen der Präsentation des JELINEK[JAHR]BUCH 2014-2015 eine Diskussionsveranstaltung am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft statt, in der sich der Chefdramaturg des Burgtheaters Klaus Missbach, die Regisseurin Tina Leisch, der Migrationsforscher Christoph Reinprecht, die Literaturwissenschaftlerin Christine Ivanovic und die Studienrichtungsvertreterin Catherine Hofbauer unter der Moderation von Silke Felber einerseits mit dem Übersetzungsprojekt „Die, should sea be fallen“ sowie einer Performance des Textes von Flüchtlingen aus Traiskirchen und der 22 Forschungsplattform Elfriede Jelinek. https://fpjelinek.univie.ac.at/home/ Letzter Zugriff: 29.10.2015. 23 Ebd. 8 Burgtheater-Inszenierung auseinandersetzten.24 Es wurde auch allgemein zu Jelineks Flüchtlingsdrama Die Schutzbefohlenen diskutiert, das im Angesicht der jüngsten Ereignisse in Europa und vor der Insel Lesbos (das griechische Pendant zur italienischen Insel Lampedusa) brisanter denn je ist. Die Autorin veröffentlichte auf ihrer Homepage unter der prägenden Wirkung der aktuellen Geschehnissen an den Grenzen zwei Fortsetzungen zu ihrem Bühnenessay Die Schutzbefohlenen. Seit 18. September 2015 ist ein Appendix auf ihrer Homepage zu finden; diesem hat sie nur wenige Tage später, am 29. September 2015, eine Coda hinzugefügt (abermals überarbeitet von der Autorin am 7. Oktober 2015). Zu Die Schutzbefohlenen gibt es aufgrund der Aktualität des Theatertextes – Elfriede Jelinek hat diesen erstmals am 14. Juli 2013 auf ihrer Homepage veröffentlicht und nach dem tragischen Schiffsunglück vor Lampedusa Anfang November desselben Jahres erweitert sowie zuletzt am 29. September 2015 überarbeitet – nur vereinzelt bereits publizierte Sekundärliteratur. Dankenswerterweise hat Silke Felber ihr Paper „Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen“, einen kurzen, aber doch für diese Arbeit sehr richtungsweisenden Beitrag zur Verortung der SprecherInneninstanzen, zur Verfügung gestellt. Er wird in Jelineks Räume, herausgegeben von Monika Szczepaniak und Agnieszka Jezierska, erscheinen und befindet sich gerade in Druck. 1.2 Arbeitsmaterialien und Vorgehensweise Sowohl das Wiener Burgtheater als auch das Thalia Theater Hamburg haben für diese Masterarbeit dankenswerterweise einen Videomitschnitt der Aufführungen, die Premieren-Spielfassungen, ihren Pressespiegel und das Programmheft zur Verfügung gestellt. Primärliteratur ist Elfriede Jelineks Bühnenessay Die Schutzbefohlenen, wobei auch weitere Texte von Jelinek miteinbezogen werden. Der Regisseur Nicolas Stemann wurde mit seiner Inszenierung der Schutzbefohlenen zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen. Das „Theatertreffen-Magazin“ beinhaltet einige interessante Beiträge zu Die Schutzbefohlenen und reißt Fragen nach den 24 Vgl. Forschungsplattform Elfriede Jelinek. PRÄSENTATION UND DISKUSSION „Die Schutzbefohlenen“ im Kontext der Refugee-Bewegung. https://fpjelinek.univie.ac.at/veranstaltungen/diskussion-die-schutzbefohlenen-2015/ Letzter Zugriff: 30.10.2015. 9 Möglichkeiten der Kunst, dem „Spiel mit und ohne Grenzen“25 und dem Kern des Forschungsschwerpunktes der vorliegenden Arbeit auf: „Wer kann hier für wen sprechen? Wie kann man wen spielen, wie das Problem in seiner ganzen Grauenhaftigkeit auch nur annähernd adäquat erfassen, geschweige denn lösen?“26 Begleitend zum Festival in Berlin gibt es seit 2014 den TT-Blog als eine Art Labor für Jetztzeitbetrachtung – sozusagen eine „unabhängige, kritische Membran des Theatertreffens“ 27 mit zahlreichen Interviews und Beiträgen zu einzelnen Schwerpunkten. Vorrangiges Ziel ist es, Fragen aufzuwerfen und einen Dialog herzustellen. Der Blog wird ebenfalls für diese Untersuchung herangezogen. Aufgrund der Aktualität des Jelinek-Texts ist noch kaum Sekundärliteratur erschienen, die sich spezifisch mit dem Stück Die Schutzbefohlenen und dessen Umsetzung auf der Bühne auseinandersetzt, jedoch sind zahlreiche unterschiedliche Publikationen zu den Theatertexten von Elfriede Jelinek vorhanden, die für die nachstehende Arbeit ebenfalls anregend sind und auch auf das Stück Die Schutzbefohlenen zutreffen. Der hier gewählte Zugang zur Thematik soll zeitgenössische Diskurse aufgreifen und in Relation zur Theaterpraxis stellen. Das postdramatische Theater nach Hans-Thies Lehmann wird in neuen Zusammenhängen gesehen und Fragen nach den Grenzen des Theaters sollen anhand eines fokussierten auch aktuellen Themas erörtert werden. Rhizom-artig sollen die Zusammenhänge von Krise, Politik, Gesellschaft und Kunst erörtert und im Kontext gegenwärtiger Theaterästhetik analysiert werden. „Kunst kann in der Krise zur Unruhestifterin und politischen Agitatorin werden. [...] Gemeint ist ein politisches Theater nicht im Sinne eines polarisierenden Einmischens in die Tagespolitik, sondern im Sinne einer Politik der Wahrnehmung, die vertraute Seh- und Deutungsmuster durchbricht, um neue Perspektiven zu öffnen. Politisch im Sinne eines Theaters, das stets die kritische Reflexion der eigenen Bedingungen von Produktion, Rezeption und künstlerischer Praxis herausfordert und als durchlässiges System die Wechselbeziehungen zu Gesellschaft, Künsten und Wissenschaften sucht.“28 Da Kunst immer auch – direkt oder indirekt – aktuelle Konflikte behandelt, auf Missstände aufmerksam macht und sich in unserer unmittelbaren Lebensgegenwart 25 Laudenbach, Peter: Spiel mit und ohne Grenzen. In: Berliner Festspiele (Hrsg.): Theatertreffen Magazin. Berlin: April 2015. S. 14-17, hier S. 14. 26 Burckhardt, Barbara: Die Schutzbefohlenen. In: Berliner Festspiele (Hrsg.): Theatertreffen Magazin. Berlin: April 2015. S. 20-21, hier S. 20. 27 Praetorius, Bianca: Theatertreffen-Blog. In: Berliner Festspiele (Hrsg.): Theatertreffen Magazin. Berlin: April 2015. S. 76-77, hier S. 77. 28 Richter, Daniel: Verästelungs-Zusammenhang. In: Berliner Festspiele (Hrsg.): Theatertreffen Magazin. Berlin: April 2015. S. 78-79, hier S. 78. 10 bewegt, ist sie politisch. Doch die Frage nach der Positionierung der Kunst hinsichtlich des gegenwärtigen Zeitgeschehens bleibt. Diese Arbeit beschäftigt sich mit zwei unterschiedlichen theatralen Umsetzungen von Elfriede Jelineks Bühnenessay Die Schutzbefohlenen und versucht zudem, Jelineks politische Schreibtechnik für das Theater zu beleuchten wie auch die von der Autorin gezogene Konsequenz, „ihre Theatertexte nicht als unantastbare Kunstwerke zu begreifen, sondern als Sprachmaterial eines Theaterabends, bei dem der Regisseur die Rolle des Ko-Autors übernimmt, der den Text durchaus in seinem eigenen Sinne fortschreiben und überschreiben soll.“29 Anhand der Inszenierungsanalysen von Jelineks Theaterstück Die Schutzbefohlenen – zum einen der Urinszenierung des Jelinek-Regisseurs Nicolas Stemann mit Flüchtlingen auf der Bühne und zum anderen die Aufführung des Stücks in Wien am Burgtheater in der ersten Jelinek-Inszenierung von Michael Thalheimer – sollen die unterschiedlichen Herangehensweisen der Ko-Autoren aufzeigen. Jedoch wird in dieser Arbeit keinesfalls ein Vergleich angestrebt, was in künstlerischen Prozessen und im Umgang mit Jelineks Textflächen 30 fatal wäre, gibt die Autorin den Regisseuren doch freie Hand im Umgang mit ihren Texten und sieht die theatrale Umsetzung als eigenes Kunstwerk. Es soll folglich eine Gegenüberstellung erfolgen, die die unterschiedlichen Inszenierungsarbeiten beleuchtet und Deutungsmöglichkeiten für die Bühne beschreibt. Anhand punktuell ausgewählter Motive, sowie einer Analyse von Bühnenbild und Musik wird die Methode der Regisseure im Umgang mit Jelineks Textfläche erörtert und in Bezug zum Forschungsschwerpunkt dieser Arbeit gestellt, spielt nicht zuletzt der Chor eine wichtige Rolle für die Erarbeitung der Repräsentationsthematik im Theater und die Frage nach dem „wer spricht?“. 29 Schmidt, Christopher: Die Zerstückten. Der Theaterautor zwischen Götterfunken und Live-Chat. Süddeutsche Zeitung. 22.6.2007. 30 Das Konzept der Textflächen hat Elfriede Jelinek selbst entwickelt. In ihren jüngeren Theatertexten ist die Abkehr von allgemeinen dramatischen Struktur deutlich erkennbar; es gibt kaum eine Gliederung des Textes und auch auf die Figurenbenennung verzichtet Jelinek. Bereits in ihrem theatertheoretischen Essay Ich möchte seicht sein (1983) postuliert sie ihre eigenen formalen Vorstellungen eines Dramentextes. Aus historischem Material und anhand von Intertexten sowie Medienzitaten und allenfalls auch aus dem eigenen Schreiben baut sich die Essenz ihrer Sprache auf und es bleibt ein verwobenes Textgeflecht. Den gesellschaftspolitischen, medial aufbereiteten Diskursen gibt Jelinek in ihren Textflächen Stimmen, und dadurch entsteht nicht zuletzt häufig ein Moment des Chorischen. 11 2 Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek Den Text Die Schutzbefohlenen hat Elfriede Jelinek am 14. Juni 2013 erstmals auf ihrer Homepage unter der Rubrik „Theater“ veröffentlicht. Impulsgeber für den Text war Nicolas Stemann 31 , der in den letzten Jahren eng mit der Autorin zusammengearbeitet und bereits einige ihrer Theatertexte auf der Bühne inszeniert hat. Elfriede Jelinek greift in ihrer Textfläche das Zusammentreffen von Menschen auf der Flucht vor der Votivkirche in Wien auf und nimmt Bezug auf aktuelle gesellschaftspolitische Ereignisse in Österreich und Europa wie beispielsweise die Auflösung der Bewegung der Schutzsuchenden und das Schiffsunglück vor der Insel Lampedusa im Herbst 2013. 2.1 Titel Elfriede Jelinek verwebt in Die Schutzbefohlenen aktuelle Flüchtlingsschicksale mit der Form und Motiven aus der über 2000 Jahre alten griechischen Tragödie Die Schutzflehenden (griech. Hiketides) von Aischylos. Bereits im Titel lässt die österreichische Schriftstellerin eine Verbindung zum antiken Drama erkennen und dieser „[v]ersteht sich also [...] als eine pointierte Inversion der griechischen Tragödie (um den Schutz wird nicht mehr gefleht, denn die Flüchtlingen [sic!] sind vielmehr dazu befohlen worden) [...]“32. Anstelle die Flüchtlinge in der Rolle der demütigen BittstellerInnen zu sehen, verweist Jelinek auf deren Recht auf Schutz. Bei dem Wort „Schutzbefohlene“ handelt es sich um ein substantiviertes Adjektiv, das heute in der Rechtssprache verwendet wird und allgemein noch in der gehobenen Sprache zu finden ist, jedoch als veraltet gilt. Per Definition sind „Schutzbefohlene“ Personen, die dem Schutz anderer Personen anbefohlen, also anvertraut, sind.33 Durch den bestimmten Artikel und die Kürze wirkt der Titel sehr prägnant und zugleich totalisierend. 31 Vgl. Mitschnitt: Diskussionsveranstaltung zu Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen am 22. Oktober 2015, organisiert von der Forschungsplattform Elfriede Jelinek: Texte – Kontexte – Rezeption der Universität Wien und dem Elfriede Jelinek-Forschungszentrum. https://www.youtube.com/watch?v=j8jTsULi59c Letzter Besuch: 11.12.2015. 32 Reitani, Luigi: „Daß uns Recht geschieht, darum bitten wir“ Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen. In: Janke, Pia (Hg.): JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek Forschungszentrum 2014-2015. Praesens Verlag. Wien: 2015. S. 55-71, hier S. 61. 33 Vgl. Definition Schutzbefohlene. In: Universal Lexikon: http://universal_lexikon.deacademic.com/120150/Schutzbefohlene Letzter Besuch: 22.11.2015. 12 Es entsteht der Eindruck, dass die Erfassung des Begriffes in seiner Ganzheit Gegenstand des Textes ist. 2.2 Bilder Jelinek veröffentlicht mit ihrem Theatertext Die Schutzbefohlenen fünf Bilder auf ihrer Website, die die Textfläche unterbrechen und eine eigene Atmosphäre erzeugen. Es ist ungewöhnlich, das einem Theatertext Bilder hinzugefügt beziehungsweise in den Fließtext eingefügt werden, aber wir sprechen bei Jelinek auch nicht mehr von einem klassischen Text fürs Theater 34 . In ihren jüngeren Arbeiten fürs Theater, die die Autorin auf ihrer Homepage veröffentlicht, sind immer wieder eingefügte Bilder zu finden. Die Bilder beziehen sich auf und unterlaufen ihren Text gleichzeitig, erzeugen damit ein gewisses Spannungsverhältnis und sind möglicherweise im Fall der Schutzbefohlenen Imitation oder Korrektur der Medienberichterstattung. Nach Georges Didi-Hubermann beziehen Bilder ‚Position’, fordern zu etwas auf und ordnen sich in die Gegenwart mit Blick auf die Zukunft ein. Der Kulturwissenschaftler verweist in seinem Buch Wenn die Bilder Position beziehen auf die ästhetische Praxis der Montage: eine Konfrontation der Bilder mit Text (oder doch umgekehrt: des Textes mit Bildern), um Stellung zu beziehen, als Statement zu fungieren oder Textinhalte zu veranschaulichen. 35 Jelineks Text Die Schutzbefohlenen fungiert als entlarvende Montage und fungiert in seiner subtilen Form als Kritik derselben. Die Autorin gibt sich den Massen der Berichterstattung hin und arbeitet ihr Schaffen an dem Einfluss der Medien ab, indem sie deren Darstellungsmacht mit ihrem literarischen und postdramatischen Werk konfrontiert und die kollektiven Bilder aufgreift und dekonstruiert. Diese ästhetische Arbeitsweise mit den ‚entlarvenden’ Bildern ist nicht neu36. Jan Süselbeck stellt in seinem Beitrag „Montagen gegen den Bilder-Terror“ fest, dass „[d]ie Frage, wie die Literatur auf diese mediale Übermacht visueller Alltags-‚Bombardements‘, die durch das Internet seit mindestens 15 Jahren stetig an Geschwindigkeit und Intensität 34 Darauf wird im nachfolgenden Kapitel zu Jelineks Theaterbegriff, ihrem Schreiben und ihrer Arbeitsweise näher eingegangen. 35 Vgl. Didi-Huberman, Georges: Wenn Bilder Position beziehen. Fink Verlag. Paderborn: 2011. 36 Georges Didi-Hubermann stellt fest, dass bereits Karl Kraus in den 1920er Jahren die falsche Gedankenlenkung durch die Medien aufzunehmen und neu zu montieren versucht hat. Vgl. ebd. 13 gewonnen haben, überhaupt noch produktiv reagieren kann, [...] Wissenschaftler verschiedenster geisteswissenschaftlicher Disziplinen [beschäftigt].“37 Im Jelinek[Jahr]Buch 2011 merkt Bazon Brock in seinem Beitrag „Bilderkriege“ den pausenlosen ‚Musik- und Bildterror’ an, der die Gesellschaft zudröhnt.38 Mit ihren Texten, die Jelinek auf ihrer Homepage veröffentlicht, versucht die Literatin andauernd den Medienberichten aber auch –bildern entgegenzuarbeiten. In der kritischen Reflexion der Autorin lässt sich ihre politische Idee erkennen, indem Jelinek ihre Gedanken zu brisanten gesellschaftspolitischen Themen über ihre Sprache vermittelt. Gleich unter dem Titel findet sich eine Tuschezeichnung, die den Text ‚eröffnet’. Darauf zu sehen ist eine Darstellung von Menschen (Sklaven) auf der Flucht vor der Ostküste von Maryland (USA), die die ‚Underground Railroad’, ein informelles, lokales Netzwerk in den Städten von Virginia nach Kanada, nutzten. Elfriede Jelinek gibt dieses Bild an den Beginn ihrer Textfläche Die Schutzbefohlenen und stellt somit einen Bezug zu früheren Flüchtlingsbewegungen und die Solidarisierung mit den Menschen auf der Flucht her. Denn die ‚Underground Railroad’ war ein informelles Netzwerk bestehend aus Gegnern der Sklaverei, das den Menschen auf der Flucht aus den Südstaaten der USA ins sichere Kanada half.39 Abb. 1: Abbildung flüchtiger Sklaven Abb. 2: Schutzbefohlene 37 Süselbeck, Jan: Montagen gegen den Bilder-Terror. Ein kleiner Streifzug durch die Geschichte künstlerischer und wissenschaftlicher Kritik an der Macht audiovisueller Kriegspropaganda: Bertolt Brecht, Elfriede Jelinek, Gerhard Paul. In: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=15976 Letzter Besuch: 01.12.2015. 38 Vgl. Brock, Bazon: Bilderkriege. In: Janke, Pia (Hg.): JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede JelinekForschungszentrum 2011. Praesens Verlag. Wien: 2011. 39 Dieses Bild wurde in dem 1872 erschienen Buch Underground Railroad Records von William Still publiziert. Das 2015 erschienene Werk Gateway to freedom – The Hidden History of the Underground Railroad by Eric Foner wird ebenfalls mit diesem Bild rezensiert. Vgl. https://archive.org/stream/undergroundrailr00stil#page/102/mode/2up (Seite 102) und http://www.nytimes.com/2015/02/01/books/review/gateway-to-freedom-by-eric-foner.html?_r=0 Letzter Besuch: 16.11.2015. 14 Ihre Textfläche wird erstmals unterbrochen mit einem Bild einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen, die mit Kindern zu Fuß unterwegs ist. Zwei Bilder beziehen sich direkt auf den österreichischen Vorfall vor und in der Votivkirche, der Jelinek in erster Linie „als realpolitische Basis für ihre neue Theaterarbeit diente“.40 Abb. 3: Pressekonferenz Abb. 4: Ansprache eines Geistlichen Die Bilder wurden während der Besetzung der Votivkirche aufgenommen und zeigen zum einen eine Pressekonferenz der Asylwerber, die gegen die österreichische Asylpolitik mit der Besetzung der Kirche und Hungerstreiks protestierten, und zum anderen eine Ansprache des Geistlichen Kardinal Schönborn vor den Protestierenden, die auf dem „kalten Kirchenboden“41 sitzen. Abb. 5: Schutzbefohlene auf einem übervollen Boot 40 Felber, Silke: Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen. In: Jezierska, Agnieszka; Szczepaniak, Monika (Hg.): Jelineks Räume. Warschau/Wien: Praesens (in Druck). 41 Jelinek, Elfriede: Die Schutzbefohlenen. www.elfriedejelinek.com datiert mit 14.6.2013 / 8.11.2013 / 14.11.2014 (=Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: Theater) Letzter Besuch: 13.11.2015. 15 Das Ende ihres Textnetzes Die Schutzbefohlenen schließt Elfriede Jelinek auf der Website ebenfalls mit einem Bild ab: ein mit Schutzsuchenden voll besetztes kleines Boot, auf dem Meer treibend; doch es ist ein weißes Tau zu erkennen, das eine Küste in der Nähe und deren Ankunft vermuten lässt. 2.3 Textentstehung und Kontext Den Theatertext verfasst Elfriede Jelinek in Form einer Klageschrift aus der Perspektive eines Flüchtlings-Wir – bereits im Titel ist von einer Gruppe von Schutzbefohlenen die Rede. Im Frühjahr 2013 schreibt Jelinek „ihren wütend in der Wir-Form Partei ergreifenden Text“ 42 als unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse vor der Votivkirche in Wien – wo Asylsuchende einen Kampf um Anerkennung und gegen Abschiebung führten – sowie auf die katastrophale Situation an den europäischen Außengrenzen. „Mit scharfer Polemik attackiert sie die unmenschliche Asylpolitik wohlhabender europäischer Länder [...] und gibt den Geschichten der Asylsuchenden polyphone Stimmen und eine analytische Perspektive. In der Abschiebung Hilfe suchender Menschen, in der Tragödie vor Lampedusa zeigt sich der Zynismus und die Bigotterie Europas im Umgang mit Menschenrechten, die nie für alle gelten, sondern nur für die, die es sich leisten können, an Europa teilzunehmen.“43 Unmittelbarer Anlass waren die Geschehnisse in Österreich, wo eine Gruppe von Asylsuchenden das Aufnahmelager Traiskirchen verlassen hatte und einen Protestzug nach Wien unternahm. Zunächst schlugen sie ein Camp im SigmundFreud-Park auf. Ihre Forderungen waren eine menschenwürdige Unterkunft und Zugang zum Arbeitsmarkt sowie zum Bildungssystem. In Jelineks Textfläche finden sich punktuell immer wieder Bezüge zu in den Medien aufbereiteten und in öffentlichen Debatten geführten Themen (– nicht zuletzt durch die bereits verhandelten beigefügten Bilder). „Aus unseren anspruchslosen Augen werden wir sanftmütig schauen und um eine Decke und etwas zu essen bitten, sehen Sie, werden Sie Stellvertreter von Stellvertretern, die aber auch 42 Burckhardt, Barbara: „Die Heimholung“. In: Theater Heute Magazin. Mai 2015. S. 26-27, hier S. 26. 43 Thalia Theater: Spielplan – Repertoire. Die Schutzbefohlenen http://www.thaliatheater.de/de/spielplan/repertoire/die-schutzbefohlenen/ Letzter Besuch: 22.11.2015. 16 alle nicht hier stehen, die vertreten sich woanders, sagen: Ihre Augen sind ja gar nicht anspruchslos, auch wenn Sie das behaupten, sie stellen ja doch Ansprüche! Heute wollen Sie Decken, Wasser und Essen, was werden Sie morgen verlangen? Unsere Frauen, unsere Kinder, unsere Berufe, unsere Häuser, unsere Wohnungen? Was werden Sie morgen verlangen.“44 Nach der polizeilichen Räumung am 28. Dezember 2012 fanden einige Flüchtlinge Schutz in der Votivkirche, wo sie sogleich in einen Hungerstreik traten. Im März 2013 beendeten die Flüchtlinge die Besetzung der Kirche und ihren Hungerstreik und zogen in ein ehemaliges Servitenkloster im neunten Wiener Gemeindebezirk. „Die spektakuläre Besetzung der Kirche und die Forderungen der Flüchtlinge wurden zu einem politischen und medialen Fall, der die österreichische Öffentlichkeit polarisierte. Zugleich wurde klar, dass die Wiener Ereignisse eigentlich nur eine Manifestation der eigentlichen und dramatischen Situation der Migranten aus konfliktbetroffenen Ländern darstellen.“45 In den Schutzbefohlenen finden sich Bezüge zu diesen Ereignissen, so spricht Elfriede Jelinek z.B. vom „kalten Kirchenboden“46 oder vom „Bagger“47, der das Protestcamp räumt und ihre „geschenkten Habseligkeiten“48 entfernt. „Und wenn wir weg sind, können Sie sich noch einmal freuen und immer wieder freuen, daß wir weg sind, daß Sie diesen Konflikt gewaltfrei gelöst haben, denn eine andre Gewalt hat ihn in Ihrem Namen gelöst, das wollen Sie aber nicht zugeben. Wir würden das gern selber übernehmen, doch es gibt hier immer, wirklich immer, einen Stellvertreter, der die Arbeit macht, die Rechte anderer einzutreten, diesen gespendeten Tisch mit den Plastiktassen zusammenzuhauen, die Campingstühle, auch gespendet, zusammenzutreten, unsere Habseligkeiten, die wenigen, die gar nicht unsre sind, zu zertrampeln und wegzuschaffen, das macht der Bagger, der hilft Ihnen, und auch wenn der nicht lebt: Das ist gelebte Zivilcourage [...]“49 Im Kontrast zu den geschilderten Protesten der Flüchtlinge schildert Jelinek die schnellen Einbürgerungen der berühmten russische Opernsängerin Anna Netrebko und der Tochter des ehemaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin, Tatjana Borissowana Jumaschewa. Es ist eine Spur Sarkasmus und bitterer Spott aus dem Text herauszulesen, wenn die Rede auf wohlhabende Blitz-Eingebürgerte, wie Jelzins Tochter oder die Opernsängerin, kommt. Das sind Gegenbeispiele der österreichischen Immigrantenpolitik. Die genannten Personen bekamen mittels 44 Jelinek: Die Schutzbefohlenen. Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 55f. 46 Jelinek: Die Schutzbefohlenen. 47 Ebd. 48 Ebd. 49 Ebd. 45 17 Blitzeinbürgerung ohne vorhandene Deutschkenntnisse dafür aber gegen Geld oder Stimme die österreichische Staatsbürgerschaft. Möglich waren diese beiden schnellen und problemlosen „Blitzeinbürgerungen“ durch die direkte Intervention der österreichischen Regierung, obwohl sowohl Frau Netrebko als auch Jelzins Tochter weder über einen Hauptwohnsitz in Österreich noch über einen sonstigen engen Bezug zum Land verfügten. Öffentlich bekannt wurde die Einbürgerung von Tatjana Borissowana Jumaschewa, die bereits 2009 erfolgte, erst durch einen Bericht des österreichischen Wochenmagazins News50 im Jahr 2013 – genau zu der Zeit, als auch die Proteste der Refugees in Wien stattfanden. „War der Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Sopranistin Netrebko schon ein fragwürdiger Prestigebegriff, der mit dem verklärenden Bild Österreichs als Land der Musik zusammenhing, so standen hinter der Einbürgerung der Tochter Jelzins obskure Macht- und Geldinteressen“51, die Jelinek in ihrem Textnetz Die Schutzbefohlenen wortwörtlich zu dekonstruieren weiß: „Die Tatsache, dass die Regeln der Einbürgerung nicht für alle gleich sind und dass dabei Geld, Prestige und Politik eine wesentliche Rolle spielen, wird von der Autorin durch viele Anspielungen auf diese Umstände mit gnadenlosem Sarkasmus angeprangert.“52 Dass der vom damaligen Industriellen und späteren Politiker Frank Stronach geführte Magma-Konzern sich für die schnelle Einbürgerung der ganzen Familie Jumaschewa (neben Frau Tatjana auch ihr Mann sowie deren gemeinsame Tochter) einsetzte, hing eng mit einem geplanten Geschäft mit einer russischen Bank zusammen.53 „Unsere Existenz ist unser Zahlungsmittel, ein andres haben wir nicht, kurz und klar, wir haben nichts, wir haben unsere Existenz als Zahlungsmittel, aber wir sind nicht der Zahlungsmittelpunkt, nein, sind wir nicht, der ist die Frau Jumaschewa, hier steht ihr Name, ich hoffe, richtig geschrieben, des Jelzins Tochter, eine Tochter, ja, eine Tochter, eine BlitzEingebürgerte, die hatte es, die hatte die Zahlungen leisten können, die hat sich Zahlungen leisten können, und wenn nicht sie, dann jemand andrer für sie, es muß immer gezahlt werden, um die Einzigartigkeit eines Menschen zu respektieren und anzuerkennen, dafür ist gezahlt worden, [...] um das auszurechnen, muß einer zahlen, um ein Opel-Werk mit der russischen Bank zusammenzustellen, um Autos zusammenzustellen, muß gezahlt werden, und dann noch einmal gezahlt, wenn jemand das Auto dann kauft.“54 50 vgl. Pichler, Petra (Ö1): Blitzeinbürgerung von Jelzins Tochter. http://oe1.orf.at/artikel/338229 (24.04.2013). Letzter Besuch: 14.11.2015. 51 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 58. 52 Ebd. 53 Vgl. Ebd. 54 Jelinek: Die Schutzbefohlenen. 18 Die Politik interveniert, wo ein ökonomischer Nutzen greifbar ist, und Elfriede Jelinek deckt dieses Vorgehen mittels stigmatisierenden Deutungsmustern (würdig vs. unwürdig) auf. „Oder die andre, allen Fremden widmen wir sie, allen gönnen wir sie wohlbedacht. Lorbeergeschmückt ist sie, keine Frucht teilt sie, keine Furcht: Für einen abgerundeten Klangkörper wie den dieser anderen Tochter braucht es viele Stimmen, aber nur eine Summe, und die wurde wiederum beglichen mit ihrer Stimme; wir wollen doch alle miteinander harmonisch klingen, ja, alle, nicht wahr, und dafür brauchen wir nicht nur unsere Stimmen, die wir sowieso nicht haben, sondern die Stimme dieser zweiten Tochter, ja, genau die, die von weither kommt [...] bloß eingebürgert die Frau, ja, die schon, die Russin ungebührlich eingebürgert, wenn auch nicht gebührenfrei [...]“55 Die Rede ist hier von der Sängerin Anna Netrebko, für die eine Einbürgerung in die Festung Österreich kein Problem war. 2.3.1 Appendix Am 18. September 2015 veröffentlicht Jelinek auf ihrer Homepage einen Appendix und ergänzt somit ihren Theatertext Die Schutzbefohlenen mit einem notwendigen Nachtrag, indem sie mit kritischem Blick auf die mediale Berichterstattung und den öffentlichen Diskurs um gesellschaftspolitische Konfliktfelder wie Flucht und Migration, Asylrecht, Grenzschließungen und Zäune – zur aktuellen Thematik rundum die Schutzsuchenden in Europa – Stellung nimmt: „Was Sie nicht fassen können, das fassen dann wir. Ein Zaun ist schließlich auch eine Art Einfassung. [...] Was überhaupt noch glaubhaft ist, das wird später enthüllt werden, morgen, wenn wir die neuen Vorschriften kennen.“56 Angesichts der Ereignisse in Europa und der medialen Präsenz, sowie dem politischen Ausschlachten der Thematik rund um die Menschen auf der Flucht, hat Jelinek auch in diesen Text sechs Bilder eingefügt: Flüchtlinge in Ungarn hinter dem Stacheldrahtzaun, auf der Autobahn oder im Auffanglager Röszke. 55 Ebd. Jelinek, Elfriede: Die Schutzbefohlenen, Appendix. www.elfriedejelinek.com datiert mit 18.09.2015 (=Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: Theater). Letzter Besuch: 10.11.2015. 56 19 Abb. 6: Flüchtlinge in Rözske Abb. 7: Syrische Flüchtlinge in Edirne Unter den Appendix hängt sie eine Handyaufnahme des Auffanglagers Röszke vom 11. September 2015 an. Im Appendix spricht Jelinek beispielsweise die Schließung der ungarischen Grenzen mit Grenzzäunen, die sanitären Zustände in den Lagern, gesperrte Autobahnen und den stockenden Zugverkehr an. Jelinek widmet sich „[...] mit spürbarer Wut und immer wieder durchscheinender Ohnmacht dem Flüchtlingsstrom über den Landweg [...]“. 57 Die intertextuelle Bezugnahme der Autorin ist wie schon bei ihrem Theatertext Die Schutzbefohlenen zu erkennen und am Ende des Textes findet sich auch hier der Hinweis: „Das Übliche, wie vorhin. Dazu noch eine Prise Freud. Na, den haben wir noch gebraucht!“.58 Sprachlich unterscheidet sich der Appendix von dem Theatertext Die Schutzbefohlenen. Es gibt hier nur mehr vereinzelt „[...] eine führende, mächtige Stimme, als Ich- oder Kollektivstimme [...] der Flehenden, der Schutzflehenden und Bittenden“59. „Die Festung Europa bröckelt, aber sie hält stand. In Ungarn stehen Stacheldrahtzäune, Kroatien macht die Grenzen dicht, der Zugverkehr zwischen Wien und München ist immer wieder unterbrochen, und die deutschen Asylgesetze wurden ruckzuck verschärft. Elfriede Jelinek, die mit «Die Schutzbefohlenen» das europäische Drama beschrieben hat, bringt ihren Text mit einem «Appendix» auf den neuesten Stand.“60 Das „Theater Heute“-Magazin hat die Textergänzung von Jelinek aufgegriffen und den Appendix unter dem Titel „FESTUNG EUROPA“ als „ein notwendiger Nachtrag zum Flüchtlingsdrama“ 61 in ihrer Novemberausgabe unkommentiert komplett abgedruckt. 57 wien.orf.at: Jelinek erweitert Flüchtlingswerk mit Texten http://wien.orf.at/news/stories/2734387/ Letzter Zugriff: 04.10.2015. 58 Jelinek: Die Schutzbefohlenen, Appendix. 59 Lücke: Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). 60 Theater Heute Magazin. November 2015. S. 34. 61 Ebd. S. 2. 20 2.3.2 Coda „Da zittert was, das Boot, es zittert, das ist doch Zittern, oder?, nein, dafür gibt es noch ein andres Wort, nein, das paßt mir auch nicht, es wackelt, das Boot, es schwankt, wahrscheinlich weil Hermes und Athene nicht als Pinne im Kompaß eingebaut sind, zwischen ihnen zittert was, das Boot zittert vor Angst, nein, es schaukelt, weil diese Leute nicht ruhig sitzen können; kein Mann hält die Segel, Segel hat es keine, die wären aber praktisch, es hat noch Luft, das Boot, es wird sie auch brauchen, da ist noch Luft drinnen, aber nicht mehr lang.“62 Mit diesen Worten eröffnet Elfriede Jelinek die Coda zu den Schutzbefohlenen, die sich seit dem 29. September 2015 – also zeitgleich mit dem letzten Update des Theatertextes Die Schutzbefohlenen – auf der Website der Autorin in der Rubrik „Aktuelles“ (wie auch in der Rubrik „Theater“ als Zusatz zum Theatertext) befindet. Eine Überarbeitung der Coda nimmt die Autorin nur wenige Tage später vor und veröffentlicht die zweite Version am 7. Oktober 2015 auf der Homepage. Auch in der Coda arbeitet Jelinek mit Intertexten und verweist am Ende des Textes dezidiert auf die von ihr verwendeten Quellen: „Nur ein paar Splitter, wirklich nicht mehr, aus: Ezra Pound, Die Cantos (übers. von Eva Hesse und Manfred Pfister) Euripides: Iphigenie in Aulis Homer: Odyssee Dank auch an Philip Hagmann und dem Deutschen Theater Göttingen und an Wikipedia mit den vielen Autos!“63 Mit drei Bildern unterteilt Elfriede Jelinek auch diese Textfläche, bezieht ‚Position’ und setzt sie als Statement den geschriebenen Worten entgegen. Das erste Bild im wurde auch im Standard (Montag, 13. April 2015 auf Seite 19 unter dem Titel „Flüchtlinge: Europa muss helfen“) – die Fotokredits liegen laut Standard bei AP / Massimo Sestini – abgedruckt. Das dritte Bild im Textzusatz Coda zeigt ein kleines Schlauchboot, wobei nicht zu erkennen ist, ob es ausläuft oder ankommt, einer der Flüchtlinge steht im knietiefen Wasser und alle tragen Schwimmwesten. 62 Jelinek, Elfriede: Die Schutzbefohlenen, Coda. www.elfriedejelinek.com datiert mit 29.9.2015 / 7.10.2015 (=Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: Theater). Letzter Besuch: 10.11.2015 63 Ebd. 21 Abb. 8: Bootsflüchtlinge im Mittelmeer Abb. 9: Kleines Boot mit Flüchtlingen Das zweite Bild im Textzusatz ist ein Bild einer Odysee-Landschaft von römischen Meistern bereits 125 v. Chr. entstanden; hier stellt Jelinek einen Bezug zu ihrem genannten Intertext von Homer her. In der Coda greift Jelinek abermals gesellschaftspolitische Ereignisse rund um die Flüchtlingsthematik in Europa und die verschärfte Situation der letzten Monate auf. In ihrem jüngsten Text webt die Schriftstellerin auch Motive aus Euripides’ „Iphigenie in Aulis“ und Homers „Odyssee“ ein und setzt als Schauplatz des Textes das Meer ein, auf dem man sich als LeserIn auf einem übervollen, schwankenden Boot befindet. ‚Unser’ Schicksal wird bereits am Beginn des Textes von der Autorin vorangestellt: „Da ist noch Luft nach oben, aber nicht mehr lang. Dann geht’s nach unten, dann nehmen wir ein Bad.“64 In den letzten Zeilen wird deutlich, dass noch nicht alles gesagt ist, dass „immer etwas gesagt werden kann“ und Jelinek resigniert mit den Worten: „[dann] kann ich genausogut aufhören.“65 Abb. 10: römische Meister 125 v. Chr. 64 65 Ebd. Ebd. 22 2.4 Begriffsklärung: Schutzbefohlene / Asylsuchende / Flüchtlinge Die Schutzbefohlenen sind Titel und Thema des von Elfriede Jelinek verfassten und zunächst am 14. Juni 2013 auf der Website der Autorin veröffentlichten Theatertextes, der aus einer langen (Klage-) Rede besteht und den die Autorin nach den Ereignissen im Mittelmeer66 im November desselben Jahres überarbeitet und mit einem Appendix und einer Coda erweitert hat. Die Schutzbefohlenen als Sujet des Textes werden gleich eingangs eingeführt. „Die Rede beginnt in der ersten Person Plural [«Wir leben»] und das Subjekt des ersten Satzes lässt sich eindeutig als eine Gruppe von Flüchtlingen [«wir flohen»] identifizieren, die nun in einem fremden Land leben [...]“67. Am 28. Juli 1951 wurde von der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) definiert, dass eine Person als Flüchtling anerkannt wird, „[...] die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann.“68 Daraus ergeben sich fünf Unterscheidungen in Bezug auf den Flüchtlingsbegriff, wobei die Gründe, weshalb Menschen ihr Heimatland verlassen und eine Flucht auf sich nehmen, sehr unterschiedlich sind. Personen, die aus den oben genannten Gründen in ihrer Heimat verfolgt werden, wird in Österreich Asyl gewährt. In der Realität gibt es noch bedeutend mehr Gründe für eine Flucht, die von der GFK tatsächlich nicht erfasst sind und dennoch eine Gefahr für Leib und Leben darstellen, so werden Flüchtlinge aufgrund von Umweltkatastrophen und Armut nicht in der Definition der GFK berücksichtigt.69 66 vgl. Cáceres, Javier: EU-Kommission und Länder streiten über Seenotrettung. Brüssel. 18.10.2013. In: Süddeutsche Zeitung http://www.sueddeutsche.de/politik/nach-fluechtlingsdrama-von-lampedusaeu-kommission-und-laender-streiten-ueber-seenotrettun-1.1798388 Letzter Besuch: 12.11.2015. 67 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 60. 68 The UN Refugee Agency: Wer ist ein Flüchtling? http://www.unhcr.at/mandat/questions-undanswers/fluechtlinge.html Letzter Besuch: 29.01.2016. 69 Vgl.: Asyl Österreich. http://www.menschen-leben.at/asyl/asyl-in-osterreich/ Letzter Besuch: 16.09.2015 23 Wichtig ist die Trennung von MigrantInnen und AsylwerberInnen, die gerade in der aktuellen medialen Berichterstattung und damit in weiten Teilen der Bevölkerung kaum vorgenommen wird, was meist den/die Asylsuchende/n zu Lasten fällt, da ein falsches Bild ihrer Fluchtgründe entsteht. „Der Anteil der Flüchtlinge und Asylsuchenden ist mit drei Prozent der kleinste aller Migrationsbewegungen, [...] [diese] Daten [unterstreichen] den Widerspruch zwischen dem weltweit insgesamt geringen Anteil an Asylsuchenden und Flüchtlingen einerseits und der medial aufbereiteten moralischen Panikmache andererseits.“70 Menschen, die sich auf der Flucht befinden, müssen aufgrund von Gefahr von Leib und Leben ihr Heimatland verlassen und fallen daher in die Definition „Flüchtling“ der GFK. MigrantInnen hingegen wollen freiwillig ihr Land verlassen, meist aus wirtschaftlichen Motiven. Migration „ist jede Ortsveränderung von Personen, der Wechsel der Gruppenzugehörigkeit und der auf Dauer angelegte Wechsel in eine andere Gesellschaft oder eine andere Region von einzelnen oder mehreren Menschen.“71 „Es handelt sich um einen Wechsel des räumlichen und sozialen Bezugssystems verbunden mit Langfristigkeit und Dauerhaftigkeit. Werden dabei internationale Grenzen überschritten, erfolgt auch ein Wechsel des rechtlichen, institutionellen und politischen Bezugssystems.“72 Die Problematik, dass in den aktuellen medialen Berichterstattungen nicht immer eindeutig zwischen Migration und Flucht unterschieden wird, erarbeitet Elfriede Jelinek in ihrem Text Die Schutzbefohlenen: „Den Herrn in diesem Land und den Stellvertretern der Herren in diesem Land und den Stellvertretern der Stellvertreter der Herren in diesem Land würden wir, wir dürfen ja nicht, aber wir würden, würden wir, wies Fremdlingen ziemt, verständig unsere blutschuldlose Flucht erzählen, bereitwillig jedem erzählen, er müßte ein Stellvertreter gar nicht sein, wir würden das machen, Ehrenwort, wir erzählen es jedem, wir erzählen es allen, die es hören wollen, aber es will ja keiner, nicht einmal ein Stellvertreter eines Stellvertreters will es hören, niemand, aber wir würden es erzählen, wir würden über unsere Flucht ohne Schuld, unsre schuldlose Flucht, die Sie ja immer als Flucht vor Schulden darstellen, die Flucht von Schuldlosen also erzählen, in unserer Stimme wird nichts Freches sein, nichts Falsches, wir werden ruhig und freundlich und gelassen und verständig sein, aber verstehen werden Sie uns nicht, wie auch, wenn Sie es gar nicht hören wollen?“73 70 Dahlvik; Reinprecht: Asyl als Widerspruch – vom Menschenrecht zum Auserwählten?, S. 47 Treibel, Annette: Migration in modernen Gesellschaften. Weinheim 2003, S. 21. In: http://www.menschen-leben.at/asyl/asyl-in-osterreich/ Letzter Besuch: 16.09.2015 72 Perchinig, Bernhard: Migration, Migrationstheorie, Migrationspolitik in Europa. S. 6 ff. In: http://www.menschen-leben.at/asyl/asyl-in-osterreich/ Letzter Besuch: 16.09.2015 73 Jelinek: Die Schutzbefohlenen. 71 24 Anhand dieses Ausschnitts aus dem Bühnenessay erkennt man die zentrale Absicht von Elfriede Jelinek, ihre Methode: „Der Redeschwall bringt das Verdrängte, Vergessene hervor, das die Autorin fixiert. Das Ausgelassene wird derart erst sichtbar, durch das ständige Beharren auf dem Nicht-Ausgelassenen. [...] Die Maßlosigkeit ist sozusagen Methode.“74 Jelinek wird nicht müde auf Missstände in der Gesellschaft hinzuweisen, mit ihren Texten Aufklärung zu schaffen und der medialen Berichterstattung sowie ‚Panikmache’ entgegenzuwirken. 2.5 Quellen und Bezüge – Intertexte „Und wenn Elfriede Jelinek die antiken «Schutzflehenden» des Aischylos zu den gegenwärtigen «Schutzbefohlenen» macht, schwingen natürlich ähnlich zentrale (welthistorische wie asylrechtsgeschichtliche) Lektürevoraussetzungen mit.“75 Elfriede Jelinek verschränkt den Text mit Motiven und der Form des antiken Dramas Die Schutzflehenden (griech. Hiketides) von Aischylos und gibt diese Quelle auch dezidiert am Ende ihres Theatertextes an. Es verweist Luigi Reitani darauf, dass die „intertextuelle Bezugnahme auf die Tragödie Aischylos [...] den tagespolitischen Ereignissen einen mythischen Rahmen gibt.“76 Neben der Feststellung, dass „Texte als Collagen [...] [als] ein künstlerisches ‚Markenzeichen’ Jelineks [...]“77 gelten, beschreibt Bärbel Lücke, dass ein Bezug zu den ‚alten Texten’ sowohl ‚formal’ als auch ‚thematisch’ besteht und dass Jelinek „im Zeitgenössischen das uralte Menschheitsdrama von Flucht und Abweisung, Ausweisung“78 anzusiedeln weiß. Silke Felber recherchierte in ihrem Paper „Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen“ ausführlich den Kontext zu Aischylos’ Hiketiden. Sie stellt die „Ursprünge des Staats- und Fremdenrechts“ – auf das sich Jelinek indirekt bezieht – dar und verweist auf das heutige europäische Fremdenrecht, an welchem die Autorin in ihrer Textfläche Kritik übt.79 74 Meister, Monika: „Theater müßte eine Art Verweigerung sein“. Zur Dramaturgie Elfriede Jelineks. In: Lartillot, Francoise; Hornig, Dieter (Hrsg.): Jelinek, eine Wiederholung. Zu den Theaterstücken In den Alpen und Das Werk. Peter Lang Verlag. Bern: 2009. S. 55-71, hier S. 68. 75 Wahl: Die Welt und ihre dramatische Haltigkeit, S. 48. 76 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 66. 77 Lücke: Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). 78 Ebd. 79 Vgl. Felber: Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen (in Druck). 25 Elfriede Jelinek arbeitet mit weiteren ausgewiesenen Intertexten; so nimmt sie einerseits Bezug auf die Broschüre „Zusammenleben in Österreich. Werte, die uns verbinden“ des Bundesministeriums für Inneres, Staatssekretariat für Integration und baut andererseits Verknüpfungen mit Ovids Metamorphosen (expliziter Hinweis am Ende des Textes) in den Schutzbefohlenen ein. Der Professor für Neuere Deutsche Literatur Luigi Reitani erläutert in seinem Beitrag „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“ die Funktionen der einzelnen Intertexte und erkennt in den Zitaten aus der Broschüre „Zusammenleben in Österreich“ die Konfrontation des „kollektiven Subjekt[s]“80 der Schutzsuchenden mit „einer österreichischen (und europäischen) Integrationspolitik“81, wobei es vorwiegend um die „vermeintlichen Werte“82 des Westens geht. Weiters beschreibt Reitani, dass die in der Broschüre geschilderten Grundsätze von Jelinek mittels „abstrakter Begriffe personifiziert oder verdinglicht“83 werden und die Autorin sie somit „als Phrasen entlarvt, die mit der Wirklichkeit der Asylwerber im krassen Widerspruch stehen“84. Wesentlich komplexer erscheinen die intertextuellen Bezüge zu Ovids Metamorphosen und jene zu Heidegger. Bärbel Lücke analysiert in ihrem Beitrag „Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo)“ die verworrenen Strukturen des Mythos der Jungfrau Europa, der sich mit dem Mythos der Io verstrickt: „Verschränkt bilden beiden Mythen ein identitätsstiftendes Narrativ, das Jelinek aktiviert, um einerseits sarkastisch die Situation jener berühmten Frauen darzustellen, die rasch zur österreichischen Staatsbürgerschaft gekommen sind (wobei hier Zeus nicht als Stier, sondern als mächtiger Millionär erscheint), und andererseits den Unterschied zur Situation der Asylwerber zu markieren.“85 Luigi Reitani erläutert in seinem oben genannten Aufsatz in wenigen Sätzen die „angewandte intertextuelle Strategie im Fall der Metamorphosen“86 wie folgt: „Hinterfragt wird somit das mythische Kulturgut der Tradition: Die Entstehung Europas als Liebesakt von Zeus, die Völkerwanderung als Schicksal, das von den Göttern bestimmt wird. Die Flussrede des Chors verwechselt bewusst die Grundelemente der Mythen und macht sie undurchsichtig.“87 80 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 66. Ebd. 82 Ebd. 83 Ebd. S. 67. 84 Ebd. 85 Ebd. S. 68. 86 Ebd. 87 Ebd. 81 26 Schließlich finden sich auch Verschränkungen mit existenzphilosophischen Motiven Heideggers, ohne hier jedoch einen bestimmten Text anzugeben („Und eine Prise Heidegger, die muß sein, denn ich kann es nicht allein.“ 88). In Bezug auf das Heideggersche Denken beschreibt Luigi Reitani – wie auch Silke Felber – die „Bestimmung des menschlichen Daseins“89, wonach ein Dasein allein und isoliert unmöglich ist, denn „die Möglichkeit des Selbstseins gründet seiner [Anmk. d. Verf.: gemeint ist hier Heidegger] Auffassung nach im Mitdasein“.90 Gleich am Anfang der Textfläche lehnt Jelinek sich mit der Ich-Stimme im Flüchtlingschor an Heideggers Dasein an: „ich bin jetzt da [...] Ich bin da, und was machen Sie jetzt mit mir? Ich bin da, was machen Sie jetzt mit mir?“91 Elfriede Jelinek arbeitet anhand formaler Grundstrukturen der antiken Tragödie (bspw. Chor) zeitgeschichtliches Geschehen in neu-gewonnener Form auf und webt existenzphilosophische Ansätze in ihr Textnetz ein, verweist explizit auf Bezugsquellen und wendet sich gerade durch diese Technik von der dramatischen Form ab und hin zu einem Theater der Dekonstruktion, lässt jedoch eine Ästhetik des Dramas weiterwirken. 2.6 Politische Resonanz und Revision Die Geschehnisse in Wien und in Österreich waren nur eine Manifestation der prekären Situation in Europa hinsichtlich der Flüchtlingsbewegungen. In ihrem Stück verweist Jelinek auf eine konkrete historische Situation und reagiert darauf. Von Beginn an fanden Die Schutzbefohlenen große politische Resonanz, so wurde noch am 21. September 2013 eine Lesung der Textfläche in Hamburg in der St.-PauliKirche vom Thalia Theater veranstaltet; es lasen gemeinsam professionelle SchauspielerInnen und afrikanische Flüchtlinge.92 Auch an den häufigen Überarbeitungen des Textes nach der Erstveröffentlichung im Netz und nicht zuletzt an den jüngsten Textzusätzen Appendix und Coda wird 88 Jelinek: Die Schutzbefohlenen. Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 69. 90 Felber: Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen (in Druck). 91 Jelinek: Die Schutzbefohlenen. 92 Vgl. Video der Urlesung in Hamburg von Schauspielern des Thalia Theaters gemeinsam mit Flüchtlingen https://www.youtube.com/results?search_query=urlesung+schutzbefohlenen und Thalia Theater – Spielplan-Archiv „Die Schutzbefohlenen“ http://www.thaliatheater.de/de/extra/archiv/lesung-elfriede-jelinek-die-schutzbefohlenen/ Letzter Besuch: 17.11.2015. 89 27 deutlich „[i]nwieweit die Autorin auf die politischen Ereignisse reagiert hat, [das] ist auch am Revisionsprozess des Stückes erkennbar [...]“93. Die erste Erweiterung des Theatertextes veröffentlichte die Autorin am 8. November 2013. Diese entstand nicht nur aufgrund der Auflösung der Protestbewegung in der Votivkirche, sondern – und vor allem – nach den Geschehnissen vor der Insel Lampedusa am 3. Oktober 2013 mit hunderten Toten, deren Bilder sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt haben. Auch Luigi Reitani weißt darauf hin, dass Jelinek eine Überarbeitung ihres Textes vornahm, nachdem „[d]iese Katastrophe einen tiefen Eindruck in der europäischen Öffentlichkeit [hinterließ] und eine vehemente Diskussion über die Flüchtlingspolitik der Union (und des italienischen Staates) aus[rief].“94 Die Schutzbefohlenen gelangten am 12. September 2014 in der Regie von Nicolas Stemann am Thalia Theater in Hamburg zur Uraufführung; nachdem das Stück bereits im Mai in dieser Inszenierung im Rahmen der Theaterfestivals in Mannheim und Amsterdam gespielt wurde. Die dritte Textversion folgte am 14. November 2014 auf Jelineks Homepage und wurde mit „einem seitenlangen Abschnitt ergänzt, der sich sarkastisch auf die neue Mission «Triton» der Europäischen Union bezieht, welche ab 1. November 2014 deren Außengrenzen kontrollieren und vor illegaler Migration schützen soll.“95 Die „politische Brisanz des Textes“96 war Anstoß für weitere Aufführungen, die zeitnah in Freiburg (Regie Michael Simon, Premiere am 28. November) und Bremen (Regie Mirko Borscht, Premiere am 8. März 2015) stattfanden.97 Zur Aufführung des Stücks der österreichischen Schriftstellerin in Wien kam es am 28. März 2015 in der Regie von Michael Thalheimer am Burgtheater, das in unmittelbarer Nähe zur Votivkirche liegt, wo die Proteste von Asylwerbern im Jahr 2012 Ausgangspunkt für die Textfläche waren. Die letzte Textfassung stammt vom 29. September 2015 und wurde folglich von Elfriede Jelinek nach der Uraufführung des Stücks und der „Heimholung“98 ans Burgtheater noch einmal ausgebaut. 93 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 60. Ebd. 95 Ebd. 96 Ebd. S. 58. 97 Ebd. 98 Barbara Burckhardt hat diese Bezeichnung für die Inszenierung von Michael Thalheimer am Wiener Burgtheater in ihrem „Theater Heute“-Magazinbeitrag vom Mai 2015 gewählt. Dabei bezieht sie sich auf die Nähe des Burgtheaters zum Ausgangsort des Jelinek-Textes: die Votivkirche. Diese 94 28 „Der konkrete Fall der Wiener Asylwerber steht nur am Anfang einer komplexen Reflexion über die Figur des Flüchtlings in der europäischen Gesellschaft, die zu einer Reflexion über die Menschenrechte,99 ja sogar zu ontologischen Problemen führt.“100 Nach Luigi Reitani verdeutlichen die Überarbeitungen des Textes die Absicht der Autorin „[...] den unmittelbaren Anlass ihres Schreibens (den Protest in Wien) in einen viel größeren politischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen.“101 Entwickelt Elfriede Jelinek doch gerade aus dem fundamentalen Material alter Texte in Bezug auf zeitnahe Ereignisse brisante kontemporäre Inhalte. wird von Olaf Altmann in Form eines riesigen schwarzen „Kirchenschiffs“ und einem hellbeleuchteten Kreuz im Bühnenhintergrund auch auf die Bühne des Burgtheaters geholt. 99 Dieser Aspekt wird sowohl von Silke Felber (die sich auf Agamben bezieht), als auch von Bärbel Lücke in ihrer analytischen Interpretation des Stückes hervorgehoben. Vgl.: Felber, Silke: „dentro, fuori, dentro fuori, perché no, è bello che ci sia un po’ di cambiamenteo“. Fenomeni di inclusione ed esclusione nell’opera „Die Schutzbefohlenen“ di Elfriede Jelinek, und Lücke, Bärbel: Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). Zu Elfriede Jelineks Stück „Die Schutzbefohlenen“. http://www.textem.de/index.php?id=2519 (13.2.2015). Fußnote übernommen. 100 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 60. 101 Ebd. 29 3 Elfriede Jelinek „[...] will kein Theater“ Elfriede Jelinek genießt in ihrem Heimatland einen geteilten Ruf, wird sie doch als ‚Nestbeschmutzerin’ geschimpft oder als ‚Störenfriedin’ wahrgenommen, die mit ihrem literarischen Schaffen und dem gleichzeitigen Drang zur Stellungnahme als Autorin im deutschsprachigen Raum eine unverwechselbare Position einnimmt.102 Die 1946 in Mürzzuschlag (Steiermark) geborene Schriftstellerin, deren Wurzeln tief in der österreichischen Literatur verankert sind, „[...] polarisiert mit ihren Theatertexten und Theateransichten“.103 Nach ihren frühen Theaterstücken, die noch eine durchgängige Dialogstruktur hatten (z.B. Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften, 1977), kehrte Elfriede Jelinek sich in ihrem Theaterschaffen nach und nach von traditionellen dramatischen Strukturen – wie Einheit der Handlung, des Ortes und der Zeit nach der aristotelischen Poetik – ab. Seit den 1990er Jahren findet sich in ihren Theatertexten keine Figurenrede mehr, weder auf Rollen aufgeteilte SprecherInneninstanzen noch zwischenmenschliche Dialoge, die eine Handlung suggerieren. Jelinek ersetzt die dramatische Dialogstruktur durch „Sprachflächen“104. In ihren Texten für das Theater fielen fixierte Rollen weg und die kommunikative Struktur wandelte sich von Dialogen hin zu Monologblöcken. Nun lassen Jelineks Theatertexte die Frage offen, inwiefern diese dramatisch sind, lehnen sie sich doch gegen die dramatische Tradition auf. Jelineks Theaterästhetik begreift das Drama nicht als Repräsentation von Welt und Mimesis von Handlung, vielmehr stellt sich die Autorin gegen die klassische Figurenrede bzw. den Dialog und formuliert die Forderung: „Ich will kein Theater“105. 102 Vgl. Heimböckel, Dieter: „dem gesunden humor mit terror begegnen“. Zur DeZentrierungsdramaturgie Elfriede Jelineks. In: Bloch, Natalie; Heimböckel, Dieter (Hg.): Elfriede Jelinek. Begegnungen im Grenzgebiet. Wissenschaftlicher Verlag. Trier: 2014. S. 7-26, hier S. 8f. 103 Jung, Danielle: „Ich will kein Theater!“ Stimmen zu Elfriede Jelineks postdramatischen Texten. In: Bloch, Natalie; Heimböckel, Dieter (Hg.): Elfriede Jelinek. Begegnungen im Grenzgebiet. Wissenschaftlicher Verlag. Trier: 2014. S. 87-98, hier S. 87. 104 Dabei handelt es sich um einen Begriff, der die Textur der Jelinekschen Texte beschreiben soll, die sich einer psychologischen Tiefenstruktur entziehen und in denen die dramatische Figurenrede einer polyphonen Stimmenfläche Platz macht. Vgl. Jelinek, Elfriede: Ich möchte seicht sein. www.elfriedejelinek.com (=Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: zum Theater) datiert mit 1997. (Hinweis: in Theater Heute Jahrbuch 1983, S. 102) Letzter Besuch: 28.09.2015. 105 Jelinek: Ich möchte seicht sein. 30 3.1 Jelineks Theaterbegriff Elfriede Jelinek nimmt Abstand von der Auffassung, dass Theater ein Modell des Realen sei. Die Textgebilde der Autorin regen einen ausgedehnten Theater- wie auch Textbegriff an. Deutlich richtet sich ihr Theaterbegriff gegen die Tradition der Repräsentation, was die Schriftstellerin mit programmatischen Äußerungen zu ihren Theatertexten, wie in ihrem theatertheoretischen Essay Ich möchte seicht sein, erörtert: „Ich will keine fremden Leute vor den Zuschauern zum Leben erwecken. Ich weiß auch nicht, aber ich will keinen sakralen Geschmack von göttlichem zum Leben Erwecken auf der Bühne haben.“106 Mit seinem gleichnamigen Buch führte Hans-Thies Lehmann den Begriff Postdramatisches Theater im Jahr 1999 in die Theaterwissenschaften ein. Er formuliert darin eine neue Tendenz des zeitgenössischen Theaters, bei der die Aufführung selbst im Mittelpunkt steht und die Auffassung, dass die Theateraufführung dem Text diene, verabschiedet wurde. Durch den Verzicht auf eine strukturierte Handlung, psychologische Charaktere und einen offenkundigen Fabelverlauf will das postdramatische Theater einen Zustand erzeugen, der selbst wirklich ist; ganz im Gegensatz zum Repräsentationstheater, das auf die Darstellung einer zweiten Welt, die eine andere Wirklichkeit zeigt, baut und von der Lesbarkeit und Kommunizierbarkeit der dargestellten Bilder und Geschichten lebt, wobei aktuelle Themen unter herrschenden Normen und Sichtweisen erörtert werden.107 Ihre Theaterstücke beabsichtigen keine Illusionsbildung oder Repräsentation der Welt. Das Theater fand in der literarischen Arbeit von Elfriede Jelinek folglich eine neue, ‚postdramatische’ Form, ihre Texte treten stets gesellschafts-, ideologie- bzw. politikkritisch in den Vordergrund und reagieren konsequent auf gesellschaftlich brisante Themen. Die Stilmittel des postdramatischen Theaters wie das Fehlen von Individualitätskonzepten, Handlungsverläufen und konsistenter Figurenentwicklung sind Jelineks Texten für das Theater eingeschrieben. Der postdramatische Theatertext schafft eine neue „Kultur des Lesens und Zuschauens“108 und fordert die 106 Ebd. Vgl. Bloch, Natalie: »ICH WILL NICHTS ÜBER MICH ERZÄHLEN!« In: Ernst, Thomas; Gozalbez Cantó, Patricia; Richter, Sebastian; Sennewald, Nadja; Tieke, Julia (Hg.): SUBversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. [transcript]. Bielefeld: 2008. S. 165-182, hier S. 165. 108 Jirku, Brigitte: Wer spricht? Textform und Textanalyse. In: Forschungsprojekt „Sinn egal. Körper zwecklos“ Postdramatik - Reflexion & Revision. Forschungsplattform Elfriede Jelinek. https://fpjelinek.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/proj_ejfz/PDF-Downloads/Jirku.pdf Letzter Besuch: 26.11.2015. S. 1. 107 31 Institution Theater heraus, ihre Aufgaben neu zu definieren, denn „[o]hne Text kommt auch das postdramatische Theater nicht aus, wobei sich die Materialität und Medialität, nicht nur des Textes, sondern auch der Aufführung, verändert haben“109. „Wer kennt schon die Welt so gut, daß er sie abbilden könnte? Ich jedenfalls nicht. Sie aber auch nicht. Sie glauben es vielleicht, aber Sie kennen sie nicht. [...] Warum sollte also das Theater es versuchen, das gar nichts kennt, sondern nur aus dem schöpft, was die Zuschauer zu kennen glauben? [...] Funktioniert Theater überhaupt erst, wenn man alles losläßt, vielleicht sogar wegwirft, sich selbst und das, was man sieht? [...] Die an uns mühsam festgebundene Wirklichkeit, die uns nicht leiden kann, denn sie hat uns auf dem Buckel und wir sie, und wir mögen sie meist auch nicht, aus demselben Grund [...] wir werden sie nicht los. [...] Aber wir können sie vielleicht, im Wissen, daß wir sie nicht loswerden, auf die Bühnenfiguren werfen [...].“110 Jelineks Stücke „[...] sprengen [...] nicht nur die Theater-Konvention, sondern stellen in äußerst subversiver Art eine mögliche künstlerische Aussagekraft des Theaters und die Sinnhaftigkeit performativer Akte überhaupt in Frage.“111 Das Theater von Elfriede Jelinek versucht „[...] durch den Schock, durch die Suspension alltäglicher Erklärungsmuster den Reizschutz der Erinnerung, die Deckgeschichten des Alltagsbewusstseins zu durchbrechen“112 und die Jelinekschen Theatertexte, „[...] die mit konventionellen Strukturen radikal brechen, zielen häufig auf eine solche Unterbrechung des Regelhaften, [...] um einen politischen Gegenwartsbefund zu liefern.“113 Der Regisseur und Jelinek-Experte Nicolas Stemann äußert sich zu den postdramatischen Theatertexten von Elfriede Jelinek und stellt fest: „Keine andere lebende Autorin hat das moderne Theater so intelligent durchdrungen und zu sich selbst geführt wie sie [...]“114. 109 Ebd. Jelinek, Elfriede: Theatergraben. www.elfriedejelinek.com datiert mit 08.05.2005 (=Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: zum Theater). Letzter Besuch: 10.11.2015. 111 Colin, Nicole: Tod des Autors oder Tod dem Theater? Elfriede Jelineks heimlicher Dialog mit der Bühne. In: Bloch, Natalie; Heimböckel, Dieter (Hg.): Elfriede Jelinek. Begegnungen im Grenzgebiet. Wissenschaftlicher Verlag. Trier: 2014. S. 27-38, hier S. 32f. 112 Schößler, Franziska: Augen-Blicke. Erinnerungen, Zeit und Geschichte in Dramen der neunziger Jahre. Gunter Narr Verlag. Rübingen: 2004. S. 28. 113 Bloch: »ICH WILL NICHTS ÜBER MICH ERZÄHLEN!«, S. 170f. 114 Stemann, Nicolas: „Das Theater handelt in Notwehr, also ist alles erlaubt!“. Ein Interview, in: Gutjahr, Ortrud (Hrsg.): Ulrike Maria Stuart von Elfriede Jelinek, Würzburg: 2007. S. 123-142, hier S. 140. 110 32 3.1.1 „Für diejenigen sprechen, für die kein anderer spricht“ Schon vor ihrer Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis setzte sich Elfriede Jelinek mit ihrer Person und in ihren Texten für ihre politischen Anliegen ein. Neben dem Kampf gegen Rechtsextremismus und wachsende Fremdenfeindlichkeit engagiert sie sich früh für Minderheiten und von der Gesellschaft Ausgeschlossene. So verfasste sie bereits im Jahr 1994 eine Stellungnahme zur Asyl- und Aufenthaltsgesetzgebung in Österreich, in der sie emphatisch „die Verpflichtungen, sich als KünstlerIn für andere zu exponieren und für die, die keine Stimme haben, zu sprechen“115 formulierte: „Wenn wir Künstlerinnen und Künstler in unseren Arbeiten die Moral vergessen, die Verpflichtung, die wir den Fremden gegenüber haben, die sich zu uns geflüchtet haben, dann wird sich unser scharfer Blick letztlich trüben und wir werden überhaupt nichts mehr sagen können, was wahr wäre. [...] Es ist unsere Aufgabe, für diejenigen zu sprechen, für die kein anderer spricht. Denn auch unsere künstlerischen Werke werden uns nicht retten, wenn wir uns abschließen gegen diejenigen, die sich aus ihrer Bedrohung heraus zu uns gerettet haben.“116 Als Schriftstellerin ergreift Jelinek konsequent das Wort für die Schwächeren, die selbst keine Stimme haben oder nicht zu Wort kommen können (z.B. MigrantInnen, AsylantInnen, Frauen). Als Person der Öffentlichkeit scheut sich die Autorin nicht vor einer entschiedenen politischen Meinung und wird nicht müde, diese auch mit den vorhandenen Mitteln zu verbreiten. In den Schutzbefohlenen wie auch in vorhergehenden Theaterstücken intendiert Elfriede Jelinek eindeutig „für diejenigen zu sprechen, für die kein anderer spricht“117. 3.1.2 Das politische Schreiben von Elfriede Jelinek Jelineks politisches Schreiben folgt immer auch ihrem eigenen Anspruch, mit ihren Texten Aufklärung zu schaffen. Sie äußert sich wiederholt sowohl direkt in Interviews, bei Demonstrationen oder Kundgebungen (in den Jahren nach dem Nobelpreis weniger) als auch in ihren Texten öffentlich (z. B. auf ihrer Homepage) 115 Janke, Pia; Kaplan, Stefanie: Politisches und feministisches Engagement. In: Janke, Pia [Hrsg.]: Jelinek-Handbuch. Verlag J. B. Metzler. Stuttgart/Weimar: 2013. S. 9-20, hier S. 9. 116 Jelinek, Elfriede: Stellungnahme zur Asyl- und Aufenthaltsgesetzgebung in Österreich. In: Broschüre zum Trauermarsch zum Asyl- und Aufenthaltsgesetz. 1994. 117 Ebd. 33 zu politischen und gemeinschaftlichen Problemen und nutzt auch das Theater als politisches Medium118. „Keine Kunst lebt so sehr vom unmittelbaren Austausch wie das Theater: Der Theaterabend steht und fällt mit der Interaktion zwischen Bühne und Publikum. Anders als Literatur, Bildende Kunst und Film ist Theater eine Kunst, die jeden Abend neu mit allen Menschen im Raum entsteht. Man könnte Theater also auch zur kollektivsten aller Künste deklarieren. Ganz sicher jedenfalls ist das Theater ein Raum, der Debatten anstoßen, prägen und befeuern kann.“119 Dafür erntete die Autorin von Beginn an Kritik. Sie wurde bald „für bürgerliche Kreise, für die FPÖ und für die Kronen Zeitung zum Feindbild“120. In Jelineks öffentlichem Engagement zeigt sich ihr politischer Protest, in dem sie sich neben ihren Werken auch auf Demonstrationen und Kundgebungen, in zahlreichen Interviews und Reden gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung äußert und dabei auch massiver Hetze ausgesetzt ist. In Österreich ist Elfriede Jelinek bei einigen ihrer Landsleute als ‚Nestbeschmutzerin’ verrufen.121 Die Autorin war nach der Nobelpreisverleihung in den Medien omnipräsent und hat sich in der darauffolgenden Zeit fast vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, äußerte sich aber auf ihrer Homepage weiterhin zu politischen Debatten. Intervenierte die Schriftstellerin in den Jahren vor dem Nobelpreis, indem sie selbst auf die Straße ging und sich für ihre Anliegen einsetzte, Reden auf Demonstrationen hielt und ihre Texte in Zeitungen veröffentlichte, so zieht sie seither eine „virtuelle“ Präsenz vor. „Auch wenn sich die Formen der ‚Interventionen’ in den letzten Jahren geändert haben und die eigene Wirkungsmächtigkeit mit Skepsis betrachtet wird, setzt sich Jelinek auch weiterhin politisch gegen das ein, was sie als Missstand empfindet, und unterstützt das, was sie als wichtig oder schützenswert erachtet.“122 Jelineks Texte sind insofern politisch, da sie einerseits auf aktuelle Themen (wie bei den Schutzbefohlenen die Flüchtlingskrise in Europa mit dem Anlass der Besetzung der Votivkirche in Wien und hunderter Toter im Mittelmeer) eingeht, andererseits in ihrer speziellen Sprache eine besondere Form findet und neue Wege geht. 118 Vgl. Jelinek, Elfriede: „Ich schlage sozusagen mit der Axt drein“. In: TheaterZeitSchrift 7/1984, S. 14-16. 119 Büdenhölzer, Yvonne; Oberender, Thomas: Vorwort. In: Berliner Festspiele (Hrsg.): Theatertreffen Magazin. Berlin: April 2015. S. 6. 120 Janke, Kaplan: Politisches und feministisches Engagement, S. 9. 121 Vgl. Forschungsplattform Elfriede Jelinek: Texte - Kontexte – Rezeption. TABU: Bruch. Überschreitungen von Künstlerinnen. http://jelinektabu.univie.ac.at/politik/protest/ Letzter Zugriff: 24.9.2015. 122 Janke, Kaplan: Politisches und feministisches Engagement, S. 19. 34 Durch ihre konsequente Resonanz auf gesellschaftlich brisante Inhalte schreibt sie ihrer Arbeit einen hohen Bildungswert ein – um mit ihrem Werk umgehen zu können, bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit den darin behandelten Themen. Dies gilt nicht nur für die Inszenierungsarbeit der Regisseure. Ihre Texte sind immer wieder ein Versuch, den Medienbildern und -berichten entgegenzuwirken; in einer kritischen Reflexion verfolgt sie dabei eine humane politische Idee, indem sie ihre Gedanken zu den brisanten Themen über ihre Sprache weitergibt. „Was die Medien dabei aus tagesaktueller Notwendigkeit ebenso behände aufgreifen, wie sie es unvermittelt wieder dem Orkus gestriger Belanglosigkeiten überantworten, gerät bei Elfriede Jelinek zur auf Dauer gestellten Bestandsaufnahme einer aus den Fugen geratenen bzw. beschädigten Welt.“123 Sie gibt sich sprachlichen Experimenten und neuen ästhetischen Formen hin, hält aber an politischen Inhalten fest. In letzter Zeit lässt sich auch erkennen, dass sich die Schriftstellerin Jelinek anstelle der Aufarbeitung nationalsozialistischer Ereignisse vermehrt auf aktuelle politische Geschehnisse und deren mediale Darbietung konzentriert. Die politische Aktualität von Jelineks Bühnenstücken ist neben der montiert-collagierten Form und ihrer zitierten Sprache eine Besonderheit und nicht typisch für das Medium Theater. 3.1.3 Theater und Politik „Das Versagen diplomatischer Strategien und die Ohnmacht internationalen Rechts haben ein Unbehagen gegenüber der Gestaltungskraft von Politik heraufbeschworen, an deren Stelle sich eine Lücke im System geöffnet hat. Aus dieser Krise kann die Kunst ihre schöpferische Kraft beziehen, indem sie die Leerstelle okkupiert und zum utopischen Raum erklärt, über globale Zusammenhänge im internationalen Kontext zu reflektieren und neue Entwürfe von Gemeinschaft zu erproben. Kunst kann in der Krise zur Unruhestifterin und politischen Agitatorin werden.“124 Im gegenwärtigen Theater ist ein wachsendes politisches Bewusstsein zu beobachten, wobei „[...] ein politisches Theater nicht im Sinne eines polarisierenden Einmischens in die Tagespolitik, sondern im Sinne eines utopischen Denkens fern 123 124 Heimböckel: „dem gesunden humor mit terror begegnen“, S. 10. Richter: Verästelungszusammenhang, S. 78. 35 der Realität des Alltags“125 zu verstehen ist. Elfriede Jelinek setzt sich in ihren Theatertexten aufs Schärfste mit der globalisierten Welt auseinander, wobei sie sich nicht davor scheut, begleitend zu ihren Stücken zum öffentlich geführten politischen Diskurs Stellung zu beziehen und in Interviews Rede und Antwort zu stehen. „Politisch im Sinne einer Politik der Wahrnehmung, die vertraute Seh- und Deutungsmuster durchbricht, um neue Perspektiven zu öffnen. Politisch im Sinne eines Theaters, das stets die kritische Reflexion der eigenen Bedingungen von Produktion, Rezeption und künstlerischer Praxis herausfordert und als durchlässiges System die Wechselbeziehungen zu Gesellschaft, Künsten und Wissenschaften sucht.“126 Die Dramaturgin Stefanie Carp stellt fest: „Sie hat sich in die Öffentlichkeit ihres Landes eingemischt bei gleichzeitiger Zurückgezogenheit. [...] Ihre Wirkung ist extrem: Vulgäre Wut oder Hochachtung.“127 Schöne Worte zur Verknüpfung von Theater und Politik fand Prof. Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel, im Grußwort zum Begleitheft des Berliner Theatertreffens 2015: „Spielerisch Konflikte, Leiden und Leidenschaften zu erleben oder politische, soziale und moralische Fragen zu verhandeln, kann nicht nur eine für die Beteiligten wie ihr Publikum gleichermaßen selig machende Kunst sein, sondern auch eine Anregung zum Nachdenken, zum Austausch und zur öffentlichen Debatte. In diesem Sinne trägt eine vielfältige Theaterlandschaft auch zu einer lebendigen Demokratie bei.“128 Dass Elfriede Jelineks Bühnenstück Die Schutzbefohlenen „[...] nicht nur auf formaler Ebene Grenzen sprengend [...]“ ist, sondern auch „[...] Klage [erhebt] gegen ein neoliberales Europa, in dem der Begriff «Integration» regelrecht zum Euphemismus zu verkommen scheint“129, ist an der politischen Brisanz der Thematik auszumachen; der Theatertext fungiert als Stück des Augenblicks. Anlässlich des Theatertreffens 2015 in Berlin wurde Nicolas Stemanns Die SchutzbefohlenenInszenierung eingeladen, was die ‚Verästelung’ von Theater und Politik aufzeigt. In dem Text „[...] verhandelt die Autorin [...] Asylrechtsmissstände, Ein- und Ausschlussmechanismen im Kontext der Migration sowie das xenophobische 125 Ebd. Ebd. 127 Carp, Stefanie: Die Entweihung der heiligen Zonen. Aktualisierte Rede zur Verleihung des Heinrich-Heine-Preises an Elfriede Jelinek im Jahr 2002. In: Carp, Stefanie: Berlin Zürich Hamburg. Texte zu Theater und Gesellschaft. Verlag Theater der Zeit. Berlin: 2007. S. 33-41, hier S. 34. 128 Gütters, Monika: Grußworte. In: Berliner Festspiele (Hrsg.): Theatertreffen Magazin. Berlin: April 2015. S. 8. 129 Felber: Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen (in Druck). 126 36 Sprechen darüber.“ 130 Barbara Burckhardt, Mitglied der Jury des Berliner Theatertreffens, stellte Anfang Februar 2015 die Inszenierung mit folgenden Worten vor: „Das ist eine Inszenierung, die führt uns sehr in die Gegenwart, in die Politik der Gegenwart, in unsere eigene Gegenwart, es geht um die Flüchtlinge [...] [Jelinek schrieb] einen sehr wütenden, starken Text in der Wir-Form, in der diese Flüchtlinge um Sichtbarkeit kämpfen und die auch behaupten.“131 Am 16. Dezember 2014 fand im Thalia Theater in Hamburg eine Podiumsdiskussion zum Thema „Was darf die Kunst? Was darf die Gesellschaft?“ 132 statt. Ausschlaggebend für die Diskussion war die Anzeige gegen die Kampnagel-Chefin Amelie Deuflhard seitens der Alternative für Deutschland (AfD, eine deutsche Partei), weil sie Refugees in einer Kunstinstallation „überwintern“ ließ. Sieghard Wilm, der Pfarrer der St. Pauli Kirche, äußerte sich in diesem Gespräch wie folgt zur Thematik: „Die Kunst muss Wunden offenhalten, das ist sie der Gesellschaft schuldig.“ 133 Das zeitgenössische Theater kann als Ort, an dem eine kollektive Auseinandersetzung gesucht und ein politischer Widerstand deutlich wird, verstanden werden, da es auf die Grenzverschiebung zwischen Bild und Wirklichkeit und zwischen Politik und Ästhetik hinweist. Die politische Schriftstellerin Jelinek nutzt das Theater und den Text als „Sprachrohr“134 und verbreitet damit sowohl ihre persönliche als auch eine öffentlich-medial vertretene Meinung zu gegenwärtigen Ereignissen und zur Vergangenheit. Jelinek glaubt „[...] an das Theater als ein politisches Medium [...]“ 135 . Die Autorin arbeitet mediale und gesellschaftliche Diskurse in montageartigen Sätzen in ihre Arbeit ein und gibt ihrem Werk dadurch einmal mehr eine politische Note. In den Schutzbefohlenen schiebt Jelinek 130 Forschungsplattform Elfriede Jelinek. PRÄSENTATION UND DISKUSSION „Die Schutzbefohlenen“ im Kontext der Refugee-Bewegung. Letzter Besuch 24.09.2015. https://fpjelinek.univie.ac.at/veranstaltungen/diskussion-die-schutzbefohlenen-2015/ 131 Burckhardt, Barbara: über Die Schutzbefohlenen. Theatertreffen 2015 - Die Jury spricht. Die Juroren des Theatertreffens stellen die eingeladenen Inszenierungen vor. http://blog.berlinerfestspiele.de/theatertreffen-2015-die-jury-spricht/ Letzter Besuch: 17.06.2015. 132 mit dem Intendanten Joachim Lux und dem Regisseur Nicolas Stemann sowie mit Amelie Deuflhard von Kampnagel und dem Pfarrer der St. Pauli Kirche Sieghard Wilm (in der Kirche fand eine Urlesung von Jelineks Text Die Schutzbefohlenen statt - ein gemeinsames Projekt des Thalia Theaters in Kooperation mit der St. Pauli Kirche und den dort beherbergten 80 Flüchtlingen) als auch mit Dirk Nockemann von der AfD Hamburg. 133 Podiumsdiskussion am Thalia Theater „Was darf die Kunst? Was darf die Gesellschaft?“ https://www.youtube.com/watch?v=xHKyuw7ttYM (Minute 37). Letzter Besuch: 26.07.2015. 134 Vgl. Lehmann, Hans-Thies: Das politische Schreiben. Essay: zu Theatertexten (Theater der Zeit: Recherchen 12), Berlin: 2002. S. 162. 135 Jelinek: Ich schlage sozusagen mit der Axt drein. 37 verschiedene Zeitebenen ineinander, indem sie Aischylos’ Die Schutzflehenden mit der Flüchtlingssituation in Europa und den gesellschaftspolitischen Ereignissen in Österreich überblendet, wodurch die Autorin in den Schutzbefohlenen die Gegenwart in ihrer historischen Dimension sichtbar macht und gleichzeitig einer politischen Aussage unterordnet. 3.2 Jelineks Sprache Die Jelineksche Dramatik wurzelt in der Tradition der Wiener Gruppe, vor allem ihre ästhetische Methode der Sprachartistik zeigt die Zugehörigkeit der Autorin, wobei Jelinek selbst die Nähe zur Wiener Gruppe in vielen Gesprächen betont und sich in einer „[...] dezidiert österreichische[n] Tradition der Avantgarde, die ihrerseits tief in der Denkgeschichte dieses Landes verwurzelt ist [...]“ 136 sieht. Sehr deutlich formuliert Monika Meister auch Jelineks Schreiben für das Theater und die Wichtigkeit der Sprache: „Jelinek will ein Theater der Wiederholung des Immergleichen, keine Variation. Dieser insistierende Gestus bestimmt das Material. Es geht Jelinek um die Überführung des Denkens in Sprechen.“137 Die politischen Thematiken werden über ihre Sprache und Sprechweisen (z.B. Chorisches Sprechen) sichtbar. „Die Theatertexte Jelineks sind bestimmt von einem radikal gegenwärtigen Zugriff. Die Sprache ist aufs Äußerste zugespitzt; sie trifft die Dinge, Figuren, Zustände und Verhältnisse in ihrer augenscheinlichen (übertriebenen) Verfasstheit und analysiert sie zugleich in ihrer gesellschaftlichen Konstruiertheit.“138 Die Dramaturgin Stefanie Carp sieht in ihrem Text „Die Entweihung der heiligen Zonen“ die Sprachkünstlerin mit poetischem Ausdruck an der Seite Thomas Bernhards und beschreibt ihre Sprache wie folgt: „Elfriede Jelinek hat eine neue Sprache erfunden, die schwierig ist und anstößig ist. Sie ist keine Geschichtenerzählerin, sie ist eine experimentelle Autorin; eine sprachobsessive österreichische Autorin in der Tradition der Autoren und Dichter der Wiener Gruppe, aus der auch Thomas Bernhard kommt.“139 136 Meister: „Theater müßte eine Art Verweigerung sein“, S. 65. Ebd. S. 66. 138 Meister, Monika: Bezüge zur Theatertradition. In: Janke, Pia [Hrsg.]: Jelinek-Handbuch. Verlag J. B. Metzler. Stuttgart/Weimar: 2013. S. 68-73, hier S. 68. 139 Carp: Die Entweihung der heiligen Zonen, S. 33. 137 38 Carp stellt zudem die Frage nach der Sprache der Opfer außerhalb des Zitats und versucht Antwort zu geben: „Elfriede Jelinek fiktionalisiert die Auflösung von eigenem in fremdbestimmtes Sprechen. Sie löst auch ein Autorinnen-Sprechen auf. Es ist, als sollten die Amalgame der affirmativen Diskurse, denen sie ja ihre Kritik immer mit einschreibt, etwas verstecken, die Sprache der Autorin schützen oder verdecken, als würde sie sich unterordnen müssen.“140 Ihr Schreiben hat die Autorin den Dimensionen des fortdauernden globalen Datenstroms angepasst. Sie ahmt diese „Sprachflut“ gewissermaßen nach. Wie ein Richterhammer hämmern ihre Gedanken zu brisanten Themen unaufhörlich auf die Gesellschaft ein. „Jelineks Sprache ist maschinell, ist eine Art Maschinensprache. Das heißt: das Schreiben selbst wird als Technik gehandhabt, [...] ihre Texte sind als mediatisierte Literatur zu bezeichnen.“141 Am Theater sehen sich die Regisseure mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, dieses Sprachmaterial auf die Bühne zu bringen. Dabei setzt sich die Autorin in ihren Texten immer mit unterschiedlichsten Genres auseinander und verwendet die unterschiedlichen Medien, wie das Internet, das ihr das liebste Medium geworden ist; denn „Elfriede Jelinek reagiert unmittelbar und schnell auf große Unglücksfälle mit hoch elaborierten Texten. Sie stellt sie ins Netz als Teil der öffentlichen Debatte [...]“142. Bärbel Lücke geht zu Beginn ihrer Studie „Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). Zu Elfriede Jelineks Stück Die Schutzbefohlenen“ auf das ‚collagenartige’ Schreiben der Autorin ein; besonders interessant ist laut ihr „[...] die Tatsache, dass alle Informationen, alle Zusammenhänge, alle thematischen Verflechtungen und Vernetzungen den Text als Gewebe ausmachen, bei dem das aus der Sprache Herausmodellierte zum Modell selbst, zum Paradigma für alltägliche Menschenrechtsverletzungen in Europa wird [...].“143 Jelinek lässt keine individuellen SprecherInnen mehr erkennen und durch die Textblöcke (die nur durch wenige Absätzen oder Bilder unterteilt werden) entsteht der Eindruck von Sprachkörpern in ihren Arbeiten für das Theater. Das bereits erläuterte unterschiedlichster montageartige Diskurspartikel, Zitate Schreiben und der Autorin Sprechweisen lässt mittels keinen Rückschluss auf ein sprechendes Subjekt mehr zu. Dieser Umstand wird im Kapitel 140 Ebd. S. 40. Meister: „Theater müßte eine Art Verweigerung sein“, S. 56. 142 Carp: Die Entweihung der heiligen Zonen, S. 34. 143 Lücke: Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). 141 39 „Kollektives Subjekt“ näher behandelt, da er sich auf die Rezeptionssituation der Theaterstücke von Jelinek auswirkt (wie bspw. die aus dem Chor heraustretenden SprecherInneninstanzen). In Die Schutzbefohlenen spricht ein chorisches Wir, die SchauspielerInnen sind hierbei TextträgerInnen und werden zu Resonanzkörpern durch die Jelineks Textfläche erst gehört werden kann. 3.3 Die Arbeitstechnik der Autorin Jelineks Arbeitstechnik besteht in der Aneignung verschiedener Genre, welche sie dann mitunter auch parodiert, weshalb sich ihr Werk sehr heterogen gestaltet und nur durch ihren speziellen Zugang zur Sprache zusammengehalten wird. Jelineks genutztes „[...] Material kommt selbst aus sprachlichem Material der Medien. Sie arbeitet mit semantischen Verschiebungen, Mehrdeutigkeiten, Verdichtungen.“ 144 Durch ihre spezielle Sprachtechnik, die sie auf die Massenmedien anwendet, werden die dort behandelten Themen umgelegt und als ‚Verdrängtes’145 offenbart. Mit dieser Methode greift Jelinek politisch auf die Themen zu und trifft immer wieder den Nerv der Gesellschaft bzw. „[...] ins Zentrum öffentlichen Redens und deshalb wird ihr auch so massiv und aggressiv erwidert.“ 146 Monika Meister beschreibt diese montageartige Arbeitsweise von Jelinek folgendermaßen: „Ihre literarische Technik besteht darin, dass sie nicht über die Welt spricht, sondern sich hineinbegibt in Texte über die Welt, diese montiert, weiterschreibt, verschiebt, verdichtet und so erst – jenseits moralischer Wertung – ihr scharfes Urteil fällt. Dies gelingt nur deshalb, weil das Sprachmaterial ein bereits vorgefertigtes ist, in das eingegriffen wird. Dieser Eingriff ist der Zugriff der Jelinek. Politisch sind die Texte aufgrund ihrer poetischen Verfahrensweise.“147 Jelinek verwendet für ihre Texte zumeist gesellschaftliche und öffentliche Diskurse, um daraus „Sprachmaterial“ zu entnehmen, zu sammeln, zu bearbeiten und neu zu komponieren. Sie erarbeitet jede Verarbeitung oder Vorstellung von Geschichte neu und greift aufklärerische Gedanken auf. Mittels „Sprachmontage“, das heißt Montage von vorgefundenem Material, schreibt Jelinek ihren Figuren Aussagen zu, die es schon gibt. 148 Ihre Sprache findet in den Inszenierungen ihren vollen 144 Meister: „Theater müßte eine Art Verweigerung sein“, S. 57. nach Freud: aus dem Unterbewusstsein zum Bewusstsein überführte Themen. 146 Meister: „Theater müßte eine Art Verweigerung sein“, S. 57. 147 Ebd. 148 Vgl. Jelinek: Ich schlage sozusagen mit der Axt drein. 145 40 Ausdruck, durch das Aussprechen können die Worte und Wortspiele herausgekehrt werden. „Meine Stücke wuchern auch, ich weiß nicht, wer was davon hat. Ich habe auf alle Fälle etwas davon, denn ich sehe ja, wie ein Regisseur, eine Regisseurin dies unterirdische Gewuchere zum nach außen hin sichtbaren Leben erweckt [...] Deshalb glaube ich und hoffe ich, daß auch meine Stücke irgendwie leben, aber anders, als wenn sie richtige Menschen und ihre Taten und Untaten imitieren würden.“149 Elfriede Jelinek arbeitet in ihrer literarischen Verfahrensweise mit Destruktion und Verfremdung von vorgefundenem Sprachmaterial. Ästhetisch positioniert sich Jelinek zwischen Satire und Ironie, aber auch die totale Negation als Methode der Entmythologisierung liegt ihr nahe. Die Literatin fühlt sich der Aufklärung verpflichtet und lenkt den Blick auf den gesellschaftspolitischen Kontext. Jelinek nimmt in ihren Textkörpern eine Demontage des Subjektbegriffs vor; die Auflösung des Subjekts in Jelineks Texten ist eine Absage an die realistische Literatur.150 3.4 Regisseure als Ko-Autoren Bereits in ihrem Text Ich möchte seicht sein aus dem Jahr 1990 formuliert Elfriede Jelinek die Macht der „Spielleiter“ mit ihren „Sackerln [...] mit Dichtung“ zu hantieren: „Theater hat den Sinn, ohne Inhalt zu sein, aber die Macht der Spielleiter vorzuführen, die die Maschine in Gang halten. Nur mit seiner Bedeutung kann der Regisseur die leeren Einkaufstüten zum Leuchten bringen, diese schlappen undichten Sackeln mit mehr oder weniger Dichtung drin.“151 Die jüngeren Theatertexte von Elfriede Jelinek gleichen einem ‚Brei’ der vom Regisseur am Theater neu erarbeitet und zu einer Art Handlung werden muss. Brigitte Jirku beschreibt den Wirkungszusammenhang von Jelineks Theatertexten und der Regiearbeit am Theater und erläutert, dass „[d]er Text durch das Regiekonzept neu gelesen [wird]. Im postdramatischen Theater wird der/die DramaturgIn und/oder RegisseurIn zur Ko-AutorIn, wobei der Prozess der 149 Jelinek, Elfriede: Grußwort nach Japan. www.elfriedejelinek.com datiert mit 09.06.2012/09.07.2014 (=Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: zum Theater). Letzter Besuch: 10.11.2015. 150 Vgl. Gürtler, Christa (Hg.): Gegen den schönen Schein. Texte zu Elfriede Jelinek. Verlag Neue Kritik. Frankfurt: 1990. Vorwort S. 7-16. 151 Jelinek: Ich möchte seicht sein. 41 Entstehung und Präsentation des Textes Teil der Aufführung sind.“152 Denn die Jelinekschen Textflächen sind keine abgeschlossenen Arbeiten und daher immer wieder veränderbar; selbst bei der Autorin erfahren sie oft eine Überarbeitung.153 Postuliert Elfriede Jelinek in Ein Sportstück (1999) bereits ihren Rückzug als Autorin, indem sie folgende Regieanweisung formuliert: „Die Autorin gibt nicht viele Anweisungen, das hat sie inzwischen gelernt. Machen Sie doch was sie wollen“154, verzichtet sie in den Schutzbefohlenen gänzlich auf Anweisungen an die Regie, lässt die Form und Umsetzung offen und gibt somit das künstlerische Zepter weiter. So finden sich in Den Schutzbefohlenen weder Hinweise für Auf- bzw. Abgänge noch Figuren im herkömmlichen Sinn, das Bühnenbild wird nicht skizziert und auch Ort oder Zeit bleiben unbesprochen. „Seit Jahren hat sie in RegisseurInnen, DramaturgInnen, DesignerInnen und SchauspielerInnen MitstreiterInnen gefunden, die die Herausforderung ihrer Theatertexte angenommen haben und ihrerseits neue, kongeniale »postdramatische« Theaterformen erfunden und bestehende Konventionen verweigert haben. Die offene Form der Texte hat RegisseurInnen die Freiheit gegeben, eine Vielfalt divergierender Inszenierungsstrategien einzusetzen und dabei unweigerlich zu kreativen Co-AutorInnen zu werden.“155 In Diskussionen und im Spiel entsteht dann erst ein Theaterstück für die Bühne. Bei Jelinek werden somit die Regisseure mit ihren Inszenierungen zu Ko-Autoren: „Der Zugang zu ihren Werken hat sich erst durch die Arbeit der Regisseure entwickelt“156. Evelyn Deutsch-Schreiner bezeichnet die Autorin Jelinek, die Theaterleute geradezu einlädt, als Ko-AutorInnen zu wirken, in diesem Zusammenhang als ‚demokratisch’ und ‚innovativ’157. 152 Jirku, Brigitte: Wer spricht? Textform und Textanalyse. S. 1. Die Schutzbefohlenen wurden von Jelinek insgesamt viermal erweitert, sie hat politische Ereignisse aufgenommen und in ihrem Text verarbeitet. Zudem verfasste sie zunächst einen Appendix, der im „Theater Heute“-Magazin im November 2015 abgedruckt wurde und als Ergänzung zu ihrem Theatertext dient, und die letzte Veröffentlichung auf ihrer Homepage zu den Schutzbefohlenen war eine auf die jüngsten gesellschaftspolitischen Ereignissen an den Grenzen Österreichs und die anhaltende Flüchtlingskrise in Europa eingehende Coda. 154 Jelinek, Elfriede: Ein Sportstück. Rowohlt. Reinbek: 1999. S. 7. 155 Jürs-Munby, Karen: Inszenierungsformen. In: Janke, Pia [Hrsg.]: Jelinek-Handbuch. Verlag J. B. Metzler. Stuttgart/Weimar: 2013. S. 324-334, hier S. 324. 156 Nyssen, Ute: „Wir haben daran geglaubt, dass die Werke wichtig sind“ Zur Arbeit als Elfriede Jelineks Theaterverlegerin. Janke, Pia (Hg.): JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek Forschungszentrum 2014-2015. Praesens Verlag. Wien: 2015. S. 19-28, hier S. 20. 157 Vgl. Deutsch-Schreiner, Evelyn; Fleig, Anna: Über-Setzung, Transkription, Interpretation. Zum Verhältnis von Theatertext und Aufführung. E-Mailwechsel (02.-19.12.2013). In: https://fpjelinek.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/proj_ejfz/PDF-Downloads/Fleig_-_DeutschSchreiner.pdf Letzter Zugriff: 25.09.2015. S. 6. 153 42 „Jelinek gibt ihre Texte frei, zum Eingriff, zu Weiterarbeit. Sie macht ernst mit dem, was Theater heißt, nämlich sich auf ein immer neues Terrain zu begeben, wo nicht von vornherein klar ist, was dabei heraus kommt. Es geht um die Transformation von Text in die Raum-Zeit der Szene.“158 Die Theatertexte Jelineks werden von ihr nicht nur für Eingriffe freigegeben, viel mehr fordern diese selbst bereits ein Eingreifen „[...] und zeigen [...], drehen und wenden die Bedeutung der Worte, des Sprechens“ 159. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass das Theatermachen ein intermedialer Prozess ist, da jeder Bühnenproduktion ein Bearbeitungsprozess des geschriebenen Textes vorangeht und damit die Übertragung von Texten in Bühnenaufführungen dem Theater inhärent ist. Ein Theatertext kann nicht unverändert auf die Bühne gebracht werden. Die Schriftstellerin Jelinek bearbeitet die Wirklichkeit in ihren Textfluten mittels einem Zitations- bzw. Übersetzungsverfahren und betätigt sich somit selbst im Feld der intermedialen Bearbeitung.160 Nicole Colin findet in ihrem Aufsatz „Tod des Autors oder Tod dem Theater?“ treffende Worte für die offene Form der Regieanweisungen Elfriede Jelineks: „Elfriede Jelinek hat nun in der ihr eigenen ironischen Attitüde den Spieß bereits seit langem einfach umgedreht und in einer kontrafaktischen Affirmation zugespitzt. So stellt sie es dem Regisseur nicht nur frei, ihre Texte aus seiner Perspektive zu interpretieren und zu bearbeiten, nein, sie fordert es von ihm und sieht darin keinesfalls eine Verstümmelung ihres Werkes oder Infragestellung ihrer Rolle als Autorin bzw. ihrer künstlerischen Autonomie, sondern bewertet die Bearbeitung im Gegenteil als notwendigen Teil einer produktiven (wenngleich zumeist indirekten) Zusammenarbeit.“161 Der deutsche Regisseur der Uraufführung von Die Schutzbefohlenen Nicolas Stemann arbeitet seit einigen Jahren eng mit der österreichischen Literatin zusammen und schreibt, dass ihre Theatertexte „[...] mehr, als nur gelesen und vielleicht analysiert werden [wollen]. Sie wollen benutzt, beschmutzt, bekämpft und umworben werden. Das ist im Rahmen einer Theaterinszenierung möglich – und nur da.“162 158 Meister: „Theater müßte eine Art Verweigerung sein“, S. 71. Meister: Bezüge zur Theatertradition, S. 68. 160 Vgl. Pewny, Katharina; Martens, Gunther: Bearbeitungen. In: Janke, Pia [Hrsg.]: JelinekHandbuch. Verlag J. B. Metzler. Stuttgart/Weimar: 2013. S. 312-323, hier S. 312. 161 Colin, Nicole: Tod des Autors oder Tod dem Theater?, S. 31. 162 Stemann, Nicolas: Das ist mir sowas von egal! Wie kann man machen sollen, was man will? – Über die Paradoxie, Elfriede Jelineks Theatertexte zu inszenieren. In: Landes, Brigitte: Stets das Ihre, Elfriede Jelinek. Theater der Zeit. Berlin: 2006. S. 62-68, hier S. 68. 159 43 Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek werden in dieser Arbeit in zwei Inszenierungen – zum einen die Uraufführung von Nicolas Stemann in Hamburg, zum anderen die ‚Heimholung’ nach Wien am Burgtheater unter der Regie von Michael Thalheimer – analysiert, da die Jelinekschen Theatertexte als Rohmaterial für die Aufführung dienen, sowohl Jelineks Schreibweise als auch ihr eigener Anspruch fordern eine Überführung in ein realistisches Handeln im Sinne körperlicher Präsenz. Elfriede Jelinek gibt den Regisseuren freie Hand, mit ihren Texten umzugehen, wie sie wollen. 3.5 Wer (re-)präsentiert wen in welchem Kontext? Jelinek bezieht Position: „Mich interessiert das Ungesicherte, Gewagte. Repräsentationstheater saugt den politischen Protest auf, der jetzt nötig ist.“ 163 Beschäftigt man sich mit den Theatertexten Jelineks fällt auf, dass sie sich hinsichtlich Figuration und Formationen an den Mitteln der antiken Tragödie orientiert, in den Schutzbefohlenen beispielweise mit einer chorischen Sprechweise – einem kollektiven WIR – arbeitet. „Jelineks Theatertexte negieren die Repräsentationsfunktion der szenischen Künste und die konventionellen Dramaturgien grundlegend, knüpfen jedoch in vielfacher Form an die Traditionen an, nicht zuletzt an die für die Moderne und Postmoderne maßgeblichen ästhetischen Verfahren [...] Zugleich schöpfen die Texte aus dem kultur- und kunstgeschichtlichen Reservoir, stellen Bezüge zur antiken griechischen Tragödie, der europäischen Theater- und Dramengeschichte, philosophischen Diskursen und gesellschaftlichen Konstrukten her. Jelineks Theater dekonstruiert historische und gegenwärtige Ereignisse und entdeckt in diesen Prozessen verschüttete und verdrängte Formationen von Gewalt und Verbrechen, die mittels ästhetischer Formgebung formuliert und wahrnehmbar werden.“164 Der Jelinek-Text Die Schutzbefohlenen ist in Form einer Klageschrift verfasst. „Durch dieses ästhetische Verfahren werden Diskurse des Dramatischen versus Inszenierten auf der einen Seite sowie des Fiktiven und Wirklichen installiert, die dieses Auseinander unterlaufen.“ 165 Daraus ergibt sich die Annahme, dass die 163 Kovacs, Teresa: Sanktion und Selbstzensur. Elfriede Jelineks Aufführungsverbote für Österreich. In: Forschungsplattform Elfriede Jelinek. https://jelinektabu.univie.ac.at/sanktion/zensur/teresakovacs/ Letzter Zugriff: 26.09.2015. Zitiert nach: Stroh, A. / Kaindl, D.: Jelinek lehnt SalzburgAngebot ab. 164 Meister: Bezüge zur Theatertradition, S. 68. 165 Meister, Monika: „Wie ist es möglich, Theater ausschließlich mit Texten aufzustören?“ EMailwechsel zwischen Ulrike Haß und Monika Meister. In: 44 Autorin im Theater die Trennung von Realem und Imaginärem bezwingen möchte. Ihre Texte stellen die Repräsentation als Gestaltung des Realen bloß. Jelineks Theatertexte bergen die Möglichkeiten des gesellschaftlichen Diskurses und Identifikations-Potentials in sich, wodurch Prozesse der Identitätsbildung in Gang kommen. Wie arbeitet Jelinek aber gegen das Theater? Dem Theater als Kunstform ist das ‚Als-ob’ permanent immanent, denn selbst die Negation des ‚Als-ob’ ist immer auch ein Hinweis auf dieses ‚Als-ob’. Elfriede Jelinek führt in ihrem Bühnenessay Die Schutzbefohlenen ein WIR an, sie sucht den „[...] Abbau autonomer Subjekte (denen die ästhetische Form des individualisierenden Repräsentationstheaters entspricht).“166 Weiters geht aus den Theatertexten Jelineks eine formale Absage an Narration und Figuration des traditionellen Theaters hervor, sie dekonstruiert die üblichen Wahrnehmungs- und Repräsentationsformen und folglich auch das im traditionellen Theater eingeschriebene Einheitssubjekt. Der Theaterraum als Ort der Repräsentation und der Aufbau von stereotypen Identitäten in demselben werden von Elfriede Jelinek hinterfragt. Sie überträgt die Zweifelhaftigkeit von Realität und deren Repräsentation auf die Subjektkonstitution. Darin lässt sich auch ein subversives Potential ihrer Theatertexte erkennen. Jelinek verhandelt die kulturelle Praxis des Theaters als abgeschlossenen Kunstraum, indem das ‚Als-ob’ im Theateralltag immer auch eine zweite Wirklichkeit entstehen lässt, die fiktiv ist im Gegensatz zu einer nicht-fiktiven „wahren“ Wirklichkeit. Im Magazin des Theatertreffens Berlin 2015 beschreibt Peter Laudenbach in Bezug auf die Inszenierung der Schutzbefohlenen von Nicolas Stemann die Situation des Theaters hinsichtlich der Spielbarkeit politisch hoch brisanter Stücke und der Möglichkeiten des Theaters als Kunstraum Fragen aufzuwerfen: „Dem Theater wird offenbar alles zum Spielmaterial, auch die Frage, wie die reichen europäischen Gesellschaften mit Armuts- und Bürgerkriegsmigranten umgehen. Das politische Anliegen ist bestenfalls Stoff, schlimmstenfalls Vorwand für die Entfaltung der eigenen Kunstmittel. Indem Stemann das zuspitzt, fragt er im Medium des Theaters nach den nicht nur sympathischen Eigenlogiken und (politischen, gesellschaftlichen) Grenzen des Mediums wie nach den Grenzen wohlmeinender Empathie-Bekundungen der Mitwirkenden. [...] Wenn Kunst die blinden Stellen der (gesellschaftlichen) Selbstwahrnehmung markieren kann, wird Stemanns Theater hier zu einem spezifischen Erkenntnisinstrument – auch dadurch, dass es Theater-Spielregeln und den geschlossenen Kunstraum in Frage stellt.“167 https://fpjelinek.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/proj_ejfz/PDF-Downloads/Meister_-_Hass.pdf Letzter Zugriff: 26.09.2015. S. 3. 166 Schößler, Franziska; Bähr, Christine: Die Entdeckung der ‚Wirklichkeit’. Ökonomie, Politik und Soziales im zeitgenössischen Theater. In: Schößler, Franziska (Hg.): Ökonomie im Theater der Gegenwart. Transcript-Verlag. Bielefeld: 2009. S. 9-20, hier S. 13. 167 Laudenbach: Spiel mit und ohne Grenzen, S. 14. 45 Elfriede Jelinek greift in ihrem Theatertext Die Schutzbefohlenen auf dokumentarisches Sprach-Material zurück, wodurch die Unterscheidung zwischen Theater und Realität bzw. Inszenierung und Realität in Frage gestellt wird. Lehmann beschreibt ein Theater der Präsenz am Ende des letzten Jahrhunderts, welches eine spezifische Wirklichkeit erzeugte und mit dem Einsatz von Medien einerseits gestaltet und andererseits auch die Möglichkeit der Aufnahme mit sich brachte, jedoch als Ereignis einzigartig und nicht wiederholbar ist. Daraus ergab sich theaterwissenschaftlich die Frage nach der Relation von Theater und Realität und es entwickelte sich ein Diskurs hin zum ‚Theater als Realität’. Und demnach bildet „[...] das postdramatische Theater [...] folglich nicht die sozialen Entwicklungen nach, sondern es bringt die Wirklichkeit des Sozialen mit bestimmten ästhetischen Mitteln hervor.“168 Diese Präsenz ist der Kern des Postdramatischen Theaters, in dem es primär um den Prozess und die Intensität geht und nicht wie im Repräsentationstheater um Information und Resultat.169 Die Dramaturgin Stefanie Carp stellt fest, dass sich gerade durch die Abkehr von der Tradition in Jelineks Theatertexten ein Zugang zu den Bühnen der deutschsprachigen Theater öffnete: „Erstaunlich ist, je mehr Elfriede Jelinek die herkömmliche Form – wie man meint, dass ein Theaterstück geschrieben sein müsste – verließ, desto obsessiver und imaginärer wurden ihre Stücke und desto mehr wurden sie gespielt.“170 Diese Arbeit öffnet anhand der (Re-)Präsentationsfrage den Diskurs, wer wann für wen in welchem Kontext spricht. So kommt man bei dem Bühnenessay Die Schutzbefohlenen nicht umhin, sich zu fragen, wer die Schutzsuchenden darstellt? Können SchauspielerInnen Flüchtlinge ‚spielen’, sollen Flüchtlinge selbst auf der Bühne stehen und somit dem Vorwurf entgegenkommen, dass sie ‚ausgestellt’ werden? Sara Schausberger stellt eben diese Fragen in ihrem Kommentar über Engagement und Voyeurismus: „Darf man Menschen so exponieren? Was ist die empathiestiftende Wirkung eines politisch engagierten Theaters und was Voyeurismus, der sich am Elend von Opfern ergötzt? [...] 168 Pewny, Katharina: Theatrum Europaeum Precarium. Rimini Protokolls Dramaturgie der Ökonomie. In: Schößler, Franziska (Hg.): Ökonomie im Theater der Gegenwart. Transcript-Verlag. Bielefeld: 2009. S. 39-55, hier S. 41. 169 Vgl. Schößler, Franziska: Dramatik/Postdramatik, Theatralität und Installation: Elfriede Jelineks begehbare Landschaften. In: https://fpjelinek.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/proj_ejfz/PDFDownloads/Schößler.pdf Letzter Zugriff: 29.09.2015. 170 Carp: Die Entweihung der heiligen Zonen, S. 37. 46 Muss ein Flüchtling wirklich von einem Flüchtling gespielt werden, damit wir sein existenzielles Drama begreifen?“171 Sie stellt fest, dass auch das Theater in diesen Zeiten Position bezieht und sagt einmal mehr, dass „[...] das Theater [...] zwar ein Spiegel der Gesellschaft [ist], aber eben auch ein Ort des Spiels und der Verstellung.“172 Doch mit dem ‚Kult des Authentischen’ sieht sie für das Theater die Gefahr „[...] Rassismen zu reproduzieren, gegen die es eigentlich angetreten ist.“173 Wie im Theater mit der Thematik der Schutzsuchenden in seiner Form als (Re-)Präsentationsort umgegangen wird, zeigt sich in der Analyse der Inszenierungen und den unterschiedlichen Herangehensweisen der Regisseure Nicolas Stemann und Michael Thalheimer. So ist für Marianna Salzmann „[...] Theater per se Aktivismus, sobald man sich nur auf die Bühne stelle, werde man aktiv“ 174 und Nicolas Stemann bezieht in der Diskussionsrunde "Wie kann Theater der Wirklichkeit von Asylsuchenden und der Politik begegnen?" im Zuge des Thementages ‚Say it loud, say it clear – Ein Thementag zu Flucht, Einwanderungspolitik und Asylgesetzgebung’ beim Berliner Theatertreffens am 2. Mai 2015 Stellung und betont, dass „[...] die selbstkritische Befragung der Repräsentations-Theater-Techniken keineswegs in eine Sackgasse führe, sondern vielmehr die Möglichkeit eröffne, dem Publikum – ganz brechtisch – gesellschaftskritische Denkaufgaben zu stellen“.175 Und für Stemann benötigt diese angesprochene Selbstkritik die Räume der Kunst. 3.6 Das kollektive Subjekt – der Chor Elfriede Jelinek verankert ihr Stück Die Schutzbefohlenen in der politischen und sozialen Wirklichkeit. Das Theater wird so zum Ort der Auseinandersetzung mit dieser, bezieht sich die Autorin in ihrem Theaternetz doch einerseits auf konkrete historische Situationen und knüpft in ihr Netz andererseits intertextuelle Bezüge ein: 171 Schausberger, Sara: „Der Flüchtling im Theater: Ein Kommentar über Engagement und Voyeurismus“. In: Falter Nr.33/15. 12.08.2015, S. 27. 172 Ebd. 173 Ebd. 174 Diesselhorst, Sophie: Nur ein Modethema? In: nachkritik.de (Berlin, 02.05.2015) http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=10928:say-it-loud-sayit-clear-ein-thementag-zu-flucht-einwanderungspolitik-und-asylgesetzgebung-beimtheatertreffen&catid=1515&Itemid=100406 Letzter Zugriff: 04.10.2015. 175 Ebd. 47 „Versteht sich also der Titel Jelineks als eine pointierte Inversion der griechischen Tragödie (um den Schutz wird nicht mehr gefleht, denn die Flüchtlingen sind vielmehr dazu befohlen worden), so ist das sprechende Subjekt des Textanfangs zugleich als aktualisierte Transposition des Chors der Danaiden auszulegen, die als mythisches Paradigma der Asylwerber gelten soll.“176 Reitani verweist hier auf Die Schutzflehenden (Hiketides) von Aischylos mit dem Chor der Danaiden und erkennt im Jelinekschen Flüchtlingschor ein mythisches Paradigma. Und auch Silke Felber wendet sich in ihrer Beschäftigung mit Jelineks Schutzbefohlenen dem Text-eröffnenden WIR zu; „[d]ieses ‚wir’ zitiert bereits auf formaler Ebene einen dezidiert von Jelinek ausgewiesenen Intertext, nämlich Aischylos’ Tragödie Die Hiketiden [...]“177. Aischylos’ Tragödie wird: „[...] nicht durch eine Einzelfigur, sondern durch den Chor eingeleitet [...] – eine Eigenart, die bei Sophokles nicht mehr zu finden ist. Dieser Partikularität entspricht die Funktion, die der Chor in Aischylos’ Hiketiden erfüllt: hier ist er nicht kommentierender Teil der Tragödie, sondern vielmehr Träger der Handlung.“178 Christina Schmidt erkennt in ihrer Analyse Tragödie als Bühnenform den Chor als plurale Figur, die nicht einer subjektivierten und individualisierten Einzelfigur entspricht; das Sprechen liest sich in Jelineks Theatertext immer mehr als ein Chorisches, das Fehlen eines ‚dramatischen’ Dialogs, „dem die Fiktion der Identität von personal konturierter Figur und Schauspielerkörper zugrunde lag, markiert auf dem Theater eine Erinnerung an die chorische Form“179. Mit dem Chor findet sich die „älteste Figur des Theaters, die lange Zeit scheinbar vergessen oder als ‚kultische’ Form von der ‚aufgeklärten’ Bühne verbannt war“180, wieder im Theater der Jetzt-Zeit. In Jelineks Die Schutzbefohlenen lassen sich keine personal konturierten Figuren, keine „dramatis personae“ mehr finden. In ihre Schreibweise ist ein Sprechen eingeschrieben, das nicht protagonistisch ist, also außerhalb der Darstellung spielt181, und erst „[...] mit dem körperlichen Rhythmus des chorischen Sprechens [tritt] die Materialität der Sprache in den Vordergrund.“ 182 Bärbel Lücke erläutert anhand Jelineks Chor der Schutzbefohlenen nicht nur ein Anstimmen eines „litaneihafte[n] 176 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 61. Felber: Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen (in Druck). 178 Ebd. 179 Schmidt, Christina: Tragödie als Bühnenform. Einar Schleefs Chor-Theater. Transcript Verlag. Bielefeld: 2010. S. 10f. 180 Ebd. S. 9. 181 Vgl. ebd. S. 37. 182 Ebd. S. 13. 177 48 Flehen[s]“183 der Flüchtlinge, das teilweise parodiert in „spottgetränkter, resignativer Ohnmacht“184 im Text zum Vorschein kommt, sondern erkennt auch den Bezug auf die „Menschenrechte, deren Wurzeln durchaus ebenso in der Antike zu verorten sind wie das Problem vor Flucht und Asyl.“185 Christina Schmidt stellt fest, dass sich im chorischen Sprechen der gesprochene Text durch das gleichzeitige Sprechen mehrerer Stimmen von „der Möglichkeit des ‚individuellen Ausdrucks’“186 trennt und „[d]er Text insofern ‚autonom’ [wird], als er sich auf eine andere, überpersonale Dimension hin öffnet, die sowohl den sprachlichen Sinn als auch den Status der Figur und den Klang der Sprache betrifft“ 187 . Jelinek hat in ihren jüngeren Textflächen für das Theater den ‚dramatischen’ Dialog, „[...] der mit der Einheit, Einzelheit und Identifizierbarkeit der fiktiven Figur rechnet, welche mittels gestischer Illustration von einem ebenso einzelnen, personal identifizierbaren Schauspieler verkörpert werden sollen [...]“ 188 , überwunden. Elfriede Jelinek thematisiert diese Absage an ein Theater der Darstellung und ihre Abkehr vom sogenannten ‚dramatischen’ Theater auch in ihren theaterästhetischen Schriften, wie beispielsweise in ihrem bereits im Jahr 1990 publizierten Text Ich möchte seicht sein: „Jeder kann ein anderer sein und von einem Dritten dargestellt werden, der mit einem Vierten identisch ist, ohne daß es jemandem auffiele.“189 Daraus folgt eine „Nicht-Identifizierbarkeit des Sprechens“190 und die Absage an das ‚dramatische’ Theater. Durch das Fehlen der Figuren werden die SchauspielerInnen in Jelineks Theaterstücken zu TextträgerInnen und das kollektive Subjekt, das spricht, wird eigentlich gesprochen: „Damit sich das Subjekt als solches konstituieren kann, braucht es den Anschluss an eine Sprache, die ihre Wurzeln in der Kultur der Vergangenheit hat. Dieser Anschluss ist jedoch problematisch geworden, die Tradition erscheint förmlich gebrochen. Keine fließende Rede mehr, sondern nur noch Bruchstücke. Von Anfang an ist der Chor zwiespältig oder zweizüngig. Er spricht nicht einstimmig, sondern als eine Stimmenvielfalt.“191 183 Litaneien sind „Gebete mit wiederholenden Formen der Anrufung“ und „’Litanei’ selbst kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Bitte, Flehen«. Vgl. Lücke, Bärbel: Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). Zu Elfriede Jelineks Stück Die Schutzbefohlenen. In: Textem – Texte und Rezensionen. http://www.textem.de/index.php?id=2519 Letzter Besuch: 17.11.2015. Kapitel 2: Eingebettete parodierte Litanei. 184 Schmidt: Tragödie als Bühnenform, S. 13. 185 Ebd. 186 Ebd. S. 45. 187 Ebd. 188 Ebd. S. 41. 189 Jelinek: Ich möchte seicht sein. 190 Schmidt: Tragödie als Bühnenform, S. 41. 191 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 63. 49 Es spricht ein WIR, ein kollektives Subjekt, das auf der Bühne als Chor in Erscheinung tritt, nicht jedoch als Kommentarebene wie es bei Sophokles’ Stücken üblich war, sondern der Chor verkörpert ein handelndes Kollektiv. Gleich zu Beginn gibt sich das chorische Wir als ein Chor von Flüchtlingen zu erkennen: „[Es] stellt sich zunächst die Frage nach der Verortung der Stimmen[n], die hier zum Wort kommt [kommen]. Wer spricht denn da eigentlich? Die Rede beginnt in der ersten Person Plural [«Wir leben»] und das Subjekt des ersten Satzes lässt sich eindeutig als eine Gruppe von Flüchtlingen [«wir flohen»] identifizieren, die nun in einem fremden Land leben [...]“. 192 Jelineks Absage an die Darstellungsfunktion des Schauspielers entspricht der „Verwertung der Grundlagen des interpersonalen theatralen Dialogs“193, wodurch sich die Theaterfiguren von Jelinek „explizit als nach-dramatische“194 erweisen. 3.6.1 Sprecherinstanzen – wer spricht? „Waren in jüngeren Theatertexten (wieder) Stimminstanzen auszumachen [...], so wird der Text hier [Anmk. d. Verf.: Die Schutzbefohlenen] einmal mehr nicht auf konkrete SprecherInnen aufgeteilt. [...] Schließlich stellt sich in Die Schutzbefohlenen nicht nur die Frage, wer da spricht, sondern vor allem jene nach der Lokalisierung der SprecherInneninstanzen: wer spricht von welcher Position aus?“195 In ihrer Textfläche lässt Jelinek die protestierenden Flüchtlinge der Votivkirche aus Wien zu Wort kommen und gibt den Schutzsuchenden ihre menschliche Stimme zurück. Die Schriftstellerin „verwischt die Stimmen, verzerrt sie“196. Bärbel Lücke geht in ihrem Beitrag zu den Schutzbefohlenen auf die einzelnen Sprecherinstanzen ein: „Diese Stimmen sind zugleich überlagert von anderen Stimmen und Diskursen, und sie gehen zudem in die Stimmen der Gegner, der Finanzmächtigen, der Empörten aus allen Lagern über, [...] sie bringt in den Kunststimmen, den künstlichen Stimmen die Wahrheit zur Sprache, die Wahrheit über diese Gesellschaft, für die sich ‚die’ Gesellschaft selbst blind und taub macht.“197 192 Ebd. S. 60. Schmidt: Tragödie als Bühnenform, S. 41. 194 Ebd. 195 Ebd. 196 Lücke: Aischylos, Aufklärung und Asylproteste in Österreich (und anderswo). 197 Ebd. 193 50 Das kollektive Subjekt – der Chor der Flüchtlinge – wendet sich im Stück fortwährend vergeblich an unterschiedliche Instanzen und diese ‚Bezugslosigkeit’ lässt eine haltlose Lokalisierung im gesellschaftlichen Raum zu, denn: „Wer mit keinem Ansprechpartner rechnen kann, wird aus dem Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen.“ 198 Dadurch schafft Jelinek in den Schutzbefohlenen ein „Bewusstsein des Ausgeschlossen-Seins [...] [und] der Chor der Flüchtlinge befindet sich – wie die Autorin – ‚im Abseits’“199. Ulrike Haß stellt fest, dass „[...] die vielstimmige, plurale Figuration des Chorischen, wie sie in der antiken Tragödie in der Funktion des Schon-da vorliegt [...] [den] wechselhaft gegeneinander und ineinander übergreifenden Sprecherinstanzen bei Jelinek“ 200 gleichkommt und unterstreicht „allgemein in Bezug auf den Chor der griechisch-antiken Tragödie seine Bedeutung für die Konstitution des Subjekts“201. In den Schutzbefohlenen wendet sich der Chor „vergeblich an unterschiedliche Instanzen [...]: an eine postulierte Gottheit, an die Behörden, an die Zuschauer, an eine gleichgültige Öffentlichkeit, für die Migranten und Flüchtlinge nur einen Störfaktor darstellen.“202 Luigi Reitani beschreibt den Chor polyphonisch; in der „Vielfalt der Stimmen“203 offenbart sich auch „die Stimme der Anderen“ 204 als Opponent, der „kein Verständnis für Asylwerber hat“205: „Sie hat keiner gerufen, Sie ewig Umnachteter, gehen Sie zurück mit Ihrem blöden Zweig zu Ihrem Gott, gehen Sie bitte mit Ihrer Sippe, sterben Sie stumm in Schlingen, in Solingen, wo auch immer, oder, wenn euch das lieber ist, verdrahtet euch, stopft euch was in die Ohren. Das ist zu laut, können Sie das nicht leiser drehen? Das können Sie nicht? Unerhört, ihr Götter droben, unerhört euch! Und was soll der grausame Haß hier? Was will der hier? Der ist hier falsch! Hier stehts, der ist hier falsch. Die Freiheit endet dort, wo Ihre beginnt, jawohl, aber Ihre beginnt nicht, dafür werde ich schon sorgen, und meine endet nicht. So. Ihre endet, bevor sie beginnt, und meine beginnt überhaupt immer und endet nie. So. Nein. Nicht so! Bitte kommen Sie mir nicht so!“206 Reitani beschreibt, dass der Chor „durch Diskurse definiert wird, die von außen kommen“207 und dadurch in seiner „Polyphonie auch eine solche (freilich groteske) 198 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 64. Ebd. 200 Haß: Theaterästhetik, S. 67. 201 Felber: Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen (in Druck). 202 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 64. 203 Ebd. 204 Ebd. 205 Ebd. 206 Jelinek: Die Schutzbefohlenen. 207 Reitani: „Daß uns Recht geschieht, darum beten wir“, S. 64. 199 51 Stimme aufnehmen kann“208. Immerzu sieht sich die ‚Identität’ der Flüchtlinge ihren von der Gesellschaft geformten Bildern ausgesetzt; das sprechende ‚ich’ des Stimmengewirrs ist zugleich ein „angreifendes Ich [...], das sich gegen diesen Angriff [Anmk. d. Verf.: der Gesellschaft] zu wehren sucht“209. Einzelne Mitglieder des Chors erheben ihre Stimme, „[o]hne dass sie eine bestimmte Individualität oder eine Psychologie aufweisen [...]“210 und berichten aus einer Einzelperspektive von ihrer gemeinsamen Geschichte von Leid und Flucht; es „artikuliert sich die Stimme des Chors in vielfältigen Variationen“211: „Wir sind längst schmerzbefreundet, ja, aber was haben wir hier getan, daß Sie uns in Angst halten, Angst überall, Angst vor den Meinen, die ich verließ, daß ich wieder zurück muß, vor Ihnen aber noch mehr Angst, daß ich bleiben muß, daß ich nicht bleiben darf, jetzt geben Sie mir gleich recht, jetzt werden Sie mir gleich recht geben [...]“212 Das Subjekt wechselt in diesem Satz vom Plural zum Singular und die Frage nach der Identität der Stimmen wandelt sich zu einer Frage nach deren Zugehörigkeit; man versucht die Stimmen zu lokalisieren und herauszufinden, welche Positionen die SprecherInneninstanzen einnehmen.213 208 Ebd. Ebd. 210 Ebd. 211 Ebd. 212 Jelinek: Die Schutzbefohlenen. 213 Vgl. Felber: Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen (in Druck). 209 52 4 ANALYSE Das Medium Theater und sein Betrieb steht bei Jelineks Flüchtlingsklage im chorischen Wir vor großen Fragen, die die Regisseure Nicolas Stemann und Michael Thalheimer in ihren Inszenierungen sehr konträr zu beantworten versuchen. Das Fachmagazin „Theater Heute“ bezeichnet in seiner Ausgabe vom Mai 2015 das Theaterstück Die Schutzbefohlenen als „meta-theatrale Steilvorlage der Stunde“214 und benennt die Problematik der (Re-)Präsentation: „Denn wer spricht da eigentlich, wenn Flüchtlinge eine österreichische Literaturnobelpreisträgerin rezitieren, die ihrerseits – gleichsam selbst Repräsentantin der europäischen Gated Community – aus der Perspektive eines Flüchtlings-Wirs schreibt?“215 Es kommen Fragen und unterschiedliche Hypothesen an die Jelinek-Inszenierungen auf, die ihren Inhalt aus unserem unmittelbaren Erfahrungsbereich der Gegenwart beziehen: Wer kann wen repräsentieren? Wer kann für wen sprechen? Wie kann man dieses unsagbare Leid thematisieren? Und mit welchem Verfahren das Leiden auf der Bühne darstellen? Für das Theater und die Inszenierung des Textes Die Schutzbefohlenen bedeutet das, dass sich „[e]in starkes Regietheater [...] damit nicht nur als Möglichkeit, sondern geradezu als Notwendigkeit für Jelineks Stücke erwiesen [hat] [...]“216. Mit ihrer Textfläche Die Schutzbefohlenen fordert die Autorin das Medium und seine Bedingungen zur kritischen Reflexion auf. Gemäß dem Forschungsinteresse dieser Arbeit wird der Schwerpunkt in der Analyse auf die Repräsentation gelegt, es werden punktuell Szenen sowie ästhetische Verfahren der Regisseure analysiert und interpretiert. Der Diskurs soll zudem in beiden Inszenierungen anhand des Bühnenbilds näher untersucht und in Zusammenhang mit den medial vermittelten Bildern zur Flüchtlingssituation in Europa sowie den von Jelinek auf ihrer Homepage mit dem Theatertext veröffentlichten Bildern (vgl. dazu Kapitel 2.2 Bilder des Theorieteils) fortgeführt werden. Welches (mediale) Bild / welche Bilder vermitteln die beiden Inszenierungen und welche Bilder aus unserem kollektiven Gedächtnis werden abgerufen? Wie sieht das Bühnenbild aus, welche Assoziationen werden dadurch 214 Wahl, Christine: „Die Welt und ihre dramatischen Haltigkeit“. In: Theater Heute Magazin. Mai 2015. S. 46-49, hier S. 48. 215 Ebd. 216 Jürs-Munby, Karen: Inszenierungsformen. In: Janke, Pia (Hrsg.): Jelinek-Handbuch. Verlag J. B. Metzler. Stuttgart/Weimar: 2013. S. 324. 53 geweckt? Mit der dramatischen Umsetzung auf der Bühne wird die Wirklichkeit der Flüchtlinge am Theater thematisiert. „Dramatische Formen fragen nach einem Bezug zur gesellschaftlichen Realität unter der Bedingung der Thematisierung der Konflikte. Jede Umwandlung dieser Formen im Raum ist zugleich Interpretation; Authentizität und Wahrheit sind als begriffliche Referenzen überholt und unproduktiv, ebenso wie das Individuum als Zeichen aufgelöst ist.“217 Ausgangspunkt ist Jelineks Text Die Schutzbefohlenen, das einen sehr stark systemischen Ansatz verfolgt – die Zusammenhänge sind sehr mittelbar – und das Individuum ausschaltet. Der Theatertext wie auch der von Jelinek genannte Intertext Die Schutzflehenden öffnet mit einem chorischen Wir. Der Chor folgt der antiken Tradition, ist aber gleichzeitig ein dialektischer Zugang: wer bekommt hier eine Stimme? Und wie schreibt sich der Chor in den Text ein? Mittels einiger aussagekräftiger Beispiele aus den Inszenierungen sollen die theatralen Verfahrensweisen der Regisseure aufgezeigt werden. Im nachfolgenden Analyseteil werden die Inszenierungen der beiden Regisseure Nicolas Stemann und Michael Thalheimer hinsichtlich der (Re-)Präsentationsfrage am Theater auf strukturelle Anordnungen und die Übersetzung des Textes auf die Bühne untersucht. Der konzeptionelle Zugang der Regie wie das ästhetische Verfahren, die Arbeit am und der Umgang mit dem Theatertext von Elfriede Jelinek, die theatrale Umsetzung sowie der Erarbeitungs- bzw. Entstehungsprozess der Inszenierungen und die durch die szenische Arbeit erreichte Form (bspw. SchauspielerInnen, Bühne, Kostüm, Musik) wird analysiert. Außerdem soll die politische Dimension des Textgeflechts von Jelinek auch in den Aufführungen entwirrt und punktuell die bereits im Theorieteil angesprochenen Elemente Sprache / Stimme / Chor / Kollektiv auf die repräsentative Wirkung im Theaterraum hin erforscht werden. Beim Gang über den Jelinekschen Textteppich Die Schutzbefohlenen sollen die Umsetzungen der konstitutiven (kollektive Dynamik auf der Bühne, Aufteilung der ‚Figuren’) wie auch der rhythmischen Strukturen des Theaters (Chor / Einzelstimmen) beleuchtet werden. 217 Jirku, Brigitte: Wer spricht? Textform und Textanalyse. In: Forschungsprojekt „Sinn egal. Körper zwecklos“ Postdramatik - Reflexion & Revision. Forschungsplattform Elfriede Jelinek. https://fpjelinek.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/proj_ejfz/PDF-Downloads/Jirku.pdf Letzter Besuch: 26.11.2015. 54 An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass jeder Analyse eine gewisse Subjektivität innewohnt und auch nicht zu vermeiden ist, basieren doch die Untersuchungsergebnisse auf der eigenen Wahrnehmung. 4.1 Material Als Materialien für die Analysen werden zum einen die Premieren-Strichfassungen des Thalia Theaters und des Burgtheaters, zum anderen die von den Theatern zur Verfügung gestellten Video-Mitschnitte218 herangezogen. So können strukturelle Differenzen der Regisseure aufgezeigt werden. Untersucht wird, wie mit der spezifischen Form des Jelinek-Textes am Theater umgegangen wird. Die wohl größte Schwierigkeit bei der Inszenierung eines Jelinek-Textes ist die Handhabung ihrer sperrigen, vielstimmigen und kunstvoll energetisch aufgeladenen Sprachpartituren. Weitere berücksichtigte Materialien sind von den Theatern verfasste Programmhefte zu den Inszenierungen sowie die gesammelten Pressespiegel zu den jeweiligen Premieren-Vorstellungen. Zudem werden auch Theaterkritiken und thematische Beiträge aus Fachzeitschriften in die Analyse einbezogen. Auch Interviews mit den Regisseuren in Tageszeitungen, Fachzeitschriften oder Online sowie Unterlagen vom Theatertreffen Berlin (Magazin und Online) wurden für die Untersuchung gesichtet. An dieser Stelle soll auch ausdrücklich betont werden, dass die Textvorlage von Jelinek in der Analyse immer mitgedacht und für Vergleiche herangezogen wird, denn: „Es ist schwierig die Entstehung von Theatertexten zu verstehen, wenn man dabei die wichtige Tatsache außer acht läßt, daß der Theatertext ohne eine bereits bestehende TheaterKonvention nicht geschrieben worden wäre; [...] man schreibt nicht für das Theater, ohne etwas über das Theater zu wissen. Man schreibt für, mit oder gegen einen bereits existierenden theatralen Kode.“219 Die vorhandenen Analysedokumente lassen sich nach Christopher Balme in zwei Kategorien unterteilen: die Produktions- und Rezeptionsquellen. Die Auswahl der 218 Die Aufzeichnungen der Aufführungen wurden von den Theatern live für eigene Zwecke aufgenommen, sind nicht veröffentlicht und dienen nicht als Fernsehmaterial; folglich sind keine Schnitte oder Kamerabewegungen oder andere künstlerische Filmmerkmale vorhanden. 219 Ubersfeld, Anne: „Der lückenhafte Text und die imaginäre Bühne“ In: Texte zur Theorie des Theaters. Hg. von Klaus Lazarowicz und Christopher Balme. Reclam. Stuttgart: 1991. S. 394-400, hier S. 397. 55 Quellen obliegt keiner vorgegebenen Rangordnung, richtet sich nach der erkenntnisleitenden Problemstellung und erfolgt damit nach analytischen Kriterien. Auf der Produktionsebene stehen für diese Arbeit folglich die Videoaufzeichnungen, die Premieren-Strichfassungen sowie die Programmhefte und Interviews mit den Regisseuren zur Verfügung, auf der Rezeptionsebene werden eigene Notizen, Theaterkritiken sowie Aufführungsfotos berücksichtigt. Beide Inszenierungen werden einzeln betrachtet und mit Hilfe der vorhandenen Materialien analysiert. Sowohl das Thalia Theater Hamburg als auch das Burgtheater haben ihre gesamten vorhandenen Materialien zur Verfügung gestellt, weshalb von einer ausgewogenen Materialgrundlage ausgegangen wird. 4.2 Methode Der methodische Zugang ist einerseits am vorhandenen Material andererseits an der zentralen Fragestellung dieser Arbeit orientiert. Der Fokus liegt auf der (Re-)Präsentation am Theater und schließt damit – auch aufgrund des beschränkten Umfangs – viele andere Gesichtspunkte aus. Als Methodik dient die Inszenierungsanalyse wie von Christopher Balme in Einführung in die Theaterwissenschaft beschrieben; die Abgrenzung zur Aufführungsanalyse soll durch eine kurze Erläuterung der unterschiedlichen Herangehensweisen und der in der Fachliteratur verwendeten Begrifflichkeiten erläutert werden. Zunächst gilt es, die begriffliche Unschärfe von Aufführung und Inszenierung zu thematisieren. Die Begriffe werden in der Theaterwissenschaft oftmals synonym verwendet und haben im letzten Vierteljahrhundert verschiedene Überarbeitungen durchlaufen.220 Die hier vorgenommene terminologische Unterscheidung ist in der Theaterwissenschaft nicht standardisiert und stützt sich auf die 3. Auflage von Christopher Balmes Einführung in die Theaterwissenschaft aus dem Jahr 2003. 220 Zwei Standardwerke in diesem Fachbereich sind: Der theatralische Blick (1993) von Guido Hiß und Erika Fischer-Lichtes Die Aufführung als Text (1983). Beide Werke nehmen jedoch keine terminologische Unterscheidung der Begriffe ‚Aufführung’ und ‚Inszenierung’ vor und hinterfragen diese Gleichsetzung auch nicht. 56 Balme beschreibt die Aufführung als ein „einmaliges Ereignis“221, bei dem es sich „um hoch komplexe Interaktionsmuster handelt“ 222 und bei deren Analyse die „Interaktion zwischen dem theatralen Ereignis und den anwesenden Zuschauern“223 im Zentrum steht. Die Einmaligkeit der Theateraufführung ist unwiederholbar, bei jeder Vorstellung sind andere ZuseherInnen anwesend und auch die AkteurInnen spielen nicht immer gleich. Daher ist das einmalige Ereignis einer Theateraufführung von der Inszenierung deutlich abzutrennen. Im Gegensatz zur Aufführungsanalyse ist bei der Inszenierung der „Gegenstand der Analyse [...] vorrangig das ästhetische Produkt“224. Balme hebt hervor, dass die eindeutige Trennung der beiden Begriffe, obwohl es einige klare Differenzierungen gibt, nicht vollständig möglich ist: „Trotz der hier angestellten systematischen Differenzierungsversuche sollten Inszenierungsund Aufführungsanalyse nicht grundsätzlich streng getrennt voneinander behandelt werden, denn die beiden sind Bestandteil einer komplexen Wechselbeziehung.“225 Schaut man sich nun die von Balme differenzierten Schwerpunkte der „prozessorientierten“ 226 , „produktorientierten“ 227 und der „ereignisorientierten“ Inszenierungsanalyse an, so wird diese komplexe Wechselbeziehung verständlich; wobei letztere – wie auch die Aufführungsanalyse nach Balme – ihr „Hauptaugenmerk auf den Ablauf der Aufführung, die Interaktion zwischen Bühne und Zuschauerraum“228 legt. Diese drei Hauptansätze von Balme überlagern sich in einer Inszenierungsanalyse, wird die Analyse doch immer mit Fokus auf die Arbeitshypothese(n) durchgeführt. In dieser Arbeit soll der konzeptionelle Zugang der Regisseure zur Inszenierung des Jelinek-Textes möglichst objektiv beschrieben werden, wobei als wichtige Voraussetzung angenommen wird, dass „zwischen den vielen Aufführungen soviel Konstanz besteht, daß eine intersubjektive Verständigung unter Wissenschaftlern über die Inszenierung möglich ist.“229 221 Balme, Christopher: Einführung in die Theaterwissenschaft. Dritte Auflage. Erich Schmidt Verlag. Berlin: 2003. S. 82. 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Ebd. 225 Ebd. S. 83. 226 Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Entstehungsprozess einer Inszenierung. Vgl. ebd. S. 88. 227 Hier ist die Inszenierung als fertiges ästhetisches Produkt Mittelpunkt der Analyse. Vgl. ebd. S. 90. 228 Ebd. S. 90. 229 Ebd. S. 83. 57 Kernpunkte der Analyse sind folglich die ästhetischen Verfahren der Regisseure und das daraus entstandenen Inszenierungen. Jelinek verfasste ihr Theaterstück Die Schutzbefohlenen als Klageschrift und daher ist für die Analyse die Umsetzung auf der Bühne wie auch die Einbeziehung der ZuschauerInnen interessant: mit welchen Gefühlen verlassen die ZuschauerInnen das Theater? Ziel ist es, die Bedeutungskonstitutionen der Inszenierungen systematisch zu begreifen und darzulegen. „[B]estimmte Diskurse der zur analysierenden Inszenierung(en) zu erfassen“230 ist nach Balme die Absicht der Analyse; weiters bezieht er sich auf eine Formulierung von Patrice Pavis (1989), nach der es „um die Freilegung des ‚Metatexts der Inszenierung’“231 geht. Der Metatext wird hier als eingeschriebener Kommentar in der Inszenierung begriffen, der nirgends explizit steht, sondern sich aus den Entscheidungen des jeweiligen Regisseurs hinsichtlich der DarstellerInnen und Darstellungen, des Bühnenbildes und des Rhythmus der Aufführung ergibt.232 Das Theater ist ein vermeintlich ‚rationales System’ mit AkteurInnen, die sich mutmaßlich ‚rational verhalten’. Es ist die Aufgabe der Regisseure, geeignete ‚Bilder’ für das Medium zu finden, d.h. zunächst naiv an den Text heranzugehen; es geht nicht darum, das anonyme Sprechen zu individualisieren, sondern damit zu spielen. Das Vorgehen von Jelinek, ihre Texte zwar fürs Theater zu schreiben, gleichzeitig aber die Regisseure zu Zweit-Autoren zu machen, ist ebenso ungewöhnlich wie genial. Das Flüchtige ist der Pluspunkt des Theaters, dadurch bleibt es ein Ort, wo solche Themen ver-/behandelt werden können. Die Schnelligkeit des Schreibens von Jelinek und ihr Bezug zur Echtzeit stellen eine große Herausforderung an das Medium dar. Die Echtzeit des Schreibens der Literatin zeigt sich auch in ihrer Serialität und dem Fortschreiben ihrer Texte (vgl. bei den Schutzbefohlenen: Appendix und Coda). Anhand einer punktuellen Inszenierungsanalyse wird mit der vorliegenden Arbeit versucht, Diskurse der Repräsentation zu erfassen. Der Umfang dieser Masterarbeit ist beschränkt und daher wird keine lückenlose Analyse, sondern eine Annäherung an ausgewählte Aspekte und Motive über einzelne Szenen gemäß des Forschungsinteresses angestrebt. Noch einmal soll betont werden, dass kein Vergleich beabsichtigt wird, sondern eine kritische Gegenüberstellung zweier ganz unterschiedlicher Inszenierungsweisen des Jelinek-Textes Die Schutzbefohlenen. 230 Ebd. S. 90. Ebd. 232 Vgl. ebd. 231 58 5 Uraufführung in Deutschland Der Jelinek-Kenner Nicolas Stemann, der nach eigenen Aussagen Anstifter für die Textfläche Die Schutzbefohlenen war, wurde von der Autorin mit der Uraufführung betraut; Stemann hat im Vorfeld schon viele Texte von Jelinek auf der Bühne zur Uraufführung gebracht, u.a. inszenierte er Das Werk (2003) und Babel (2005) sowie auch Ulrike Maria Stuart (2006) und Die Kontrakte des Kaufmanns (2009).233 Im Jahr 2013 bat der Regisseur Elfriede Jelinek für sein Projekt „Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine“ in Wien um einen gegenwärtigen Theatertext und Jelinek ließ ihm zwei Wochen vor der Premiere Die Schutzbefohlenen zukommen. Nicolas Stemann wusste, dass er den Text nicht mehr in sein Projekt einbinden konnte. 234 Doch die Aktualität und politische Brisanz hinsichtlich der Flüchtlingsproteste in der Wiener Votivkirche war gut geeignet für eine geplante Aktion des Thalia Theaters im Kontext der Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg. Am 21. September 2013 fand in der St.-Pauli-Kirche eine Urlesung des Jelinek-Textes statt – gemeinsam haben 80 dort untergebrachte Flüchtlinge und SchauspielerInnen des Thalia Theaters den Text vorgetragen. In der Mai-Ausgabe 2015 von „Theater Heute“ ist unter der Rubrik ‚Theater ohne Grenzen’ ein Gespräch von Barbara Burckhardt, Eva Behrendt und Franz Wille mit Amelie Deuflhard und Nicolas Stemann abgedruckt, darin beschreibt Nicolas Stemann die Ausgangssituation für die Urlesung als „[...] sehr kurzfristig und in einer damals noch völlig unklaren und prekären Lage [...]. Das war alles noch nicht so freundlich, wie es heute Bürgermeister Olaf Scholz darstellt. Dieses Zeichen der Unterstützung vom Thalia war deshalb sehr wichtig.“235 Auf der Homepage des Thalia Theaters heißt es dazu: „Jelineks jüngster Text ist anlässlich der Vorgänge um das Kirchenasyl in der Wiener Votivkirche entstanden, wo neben Berlin und München vergleichbare Ereignisse stattgefunden haben. Sie selbst hat ihre Unterstützung bei dem Hamburger Projekt zugesagt und wird ebenfalls zu Wort kommen.“236 233 Vgl. Thalia Theater – Regie Nicolas Stemann. http://www.thalia-theater.de/de/regie/nicolasstemann/ Letzter Besuch: 11.12.2015. 234 Vgl. Stemann, Nicolas: Menschenrechte für alle? Ein Gespräch von „Theater Heute“ mit Amelie Deuflhard und Nicolas Stemann. In: Theater Heute Magazin. Februar 2015. S. 21-25, hier S. 23. 235 Ebd. 236 Thalia Theater – Spielplan-Archiv „Urlesung Die Schutzbefohlenen“ http://www.thaliatheater.de/de/extra/archiv/lesung-elfriede-jelinek-die-schutzbefohlenen/ Letzter Besuch: 08.12.2015. 59 Es folgten Koproduktionen des Thalia Theaters mit dem Theater der Welt sowie dem Holland Festival und dafür inszenierte Nicolas Stemann das Stück mit Flüchtlingen auf der Bühne, denn es war von Beginn an die Intention des Regisseurs „[...] die Betroffenen, von denen das Stück handelt, nicht erneut auszugrenzen, sondern ihnen zur Sichtbarkeit zu verhelfen. Sie mitspielen und ihre Stimme erheben zu lassen.“237 Das Vorhaben, den Chor mit „echten“ Flüchtlingen zu besetzen, gestaltete sich schwierig: „wenn man mit Flüchtlingen arbeitet, deren Aufenthaltsstatus, freundlich formuliert, unklar ist. Entweder haben sie Residenzpflicht – oder die Gefahr, dass sie auf der Fahrt ohne gültige Papiere aufgegriffen werden, ist einfach zu groß.“238 Der Teil der Inszenierung mit Flüchtlingen auf der Bühne wurde von Stemann drei mal neu inszeniert; in Mannheim bestand der Chor zu einem großen Teil aus Flüchtlingen, aber auch aus deutschen Laienschauspielern, was nach Stemann „die politische Idee der Inszenierung verunklart“239 hat. Zudem waren die Flüchtlinge in Mannheim aus verschiedenen Heimen und somit nicht wie dann in Hamburg eine geschlossene, organisierte Gruppe; dort holte Stemann die Lampedusa-Flüchtlinge aus der St.-Pauli-Kirche auf die Bühne. In Berlin beim Theatertreffen lud der Regisseur aus einer künstlerischen Überlegung heraus einige Refugees vor Ort stellvertretend für viele ein, die beispielsweise an der Besetzung des Urania-Platzes beteiligt waren, um ihre Situation am Theater zu schildern. Die Besetzung der Votivkirche und die damit zusammenhängenden falschen Versprechungen der Politik und die Abschiebungen in Wien waren Ausgangspunkt für den Text von Jelinek und Nicolas Stemann stellte einen Bezug zu diesen Ereignissen her, indem er Leuten aus diesem Kontext eine Stimme gab zu ihren Erlebnissen. Im Interview beschreibt Stemann eine weitere Problematik der Arbeit mit Flüchtlingen am Theater, denn man stößt schnell an die Grenzen der Legalität: „Von Seiten der Flüchtlinge [war die Zusammenarbeit] optimal, sehr engagiert und zuverlässig. Problematisch war eher die andere Seite. [...] Entweder hält man die Gesetze ein – oder man behandelt diese Leute anständig. Und das bedeutet zuallererst, dass man sie angemessen bezahlt für das, was sie tun.“240 In allen Fällen war genau dieser Punkt schwierig; Nicolas Stemann war bereit eine Strafanzeige zu riskieren doch der Theaterintendant Joachim Lux lehnte jegliche 237 Stemann: Menschenrechte für alle?, S. 23f. Ebd. S. 24. 239 Ebd. 240 Ebd. S. 25. 238 60 nicht legale Lösung ab, konnte – nach dem Dissens am Thalia Theater – aber „mit seinen guten Beziehungen zur Hamburger Politik eine Sondergenehmigung für diese Veranstaltung erwirken.“ 241 Die Flüchtlinge wurden bezahlt und Stemann nimmt genau das auch in seine Inszenierung auf, denn diese „Realität“ soll ja vorgeführt werden. Mit den Flüchtlingen und ihren Berichten erzeugt Stemann eine Kommentarebene; auf der Bühne wird thematisiert, dass sie arbeiten wollen, aber nicht dürfen. Die Premiere der Uraufführung fand am 23. Mai 2014 in Mannheim beim Festival „Theater der Welt“ statt. Von 10. Bis 12. Juni 2014 war die Inszenierung als Gastspiel beim Holland Festival in Amsterdam zu sehen, bevor sie am Thalia Theater in Hamburg am 12. September 2014 Premiere feierte. Die Umsetzung des Bühnenessays von Elfriede Jelinek dauert in der finalen Endfassung der Inszenierung von Nicolas Stemann circa eine Stunde und 50 Minuten und wird ohne Pause aufgeführt. 242 Das Thalia Theater wurde mit dieser Inszenierung zum Berliner Theatertreffen 2015 eingeladen und Die Schutzbefohlenen wurden dort als Eröffnungsstück gezeigt. 5.1 Ästhetische Verfahren Nicolas Stemann kommt in seiner Auseinandersetzung mit dem Jelinek-Text Die Schutzbefohlenen nicht umhin, sich die Frage nach der (Re-)Präsentation zu stellen, „ob und wie das überhaupt geht: dass weiße, komfortable im deutschen Theatersystem gebettete Schauspieler für die Ausgegrenzten und Ungebetteten sprechen, ihr Wir übernehmen, ihre Stimmen.“243 Und noch verstrickter wird es, wenn man – wie bereits im einleitenden Kapitel der Analyse festgestellt wurde – sich überlegt, dass die Autorin selbst als ‚Repräsentantin der europäischen Gated Community’ ihre Stimme den Flüchtlingen gibt und aus der Perspektive der Schutzbefohlenen schreibt. 241 Ebd. Vgl. Thalia Theater (Hg.): Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek. Uraufführung. Programmheft Nr. 99. Hamburg: Spielzeit 2014/2015. S. 7. 243 Burckhardt, Barbara: „Die Heimholung“. In: Theater Heute Magazin. Mai 2015. S. 26-27, hier S. 26. 242 61 Stemann setzt diesen Gedanken komplex und konsequent fort und bildet die unfassbaren Ereignisse an den EU-Außengrenzen im Theater in ihrer NichtDarstellbarkeit ab. 5.1.1 Regiekonzept Der Text ist nicht abstrakt, sondern sprudelt vor Lebendigkeit und diese übernimmt Stemann beim Inszenieren. Die Wirklichkeit der Flüchtlinge wird am Theater thematisiert; es stehen aber nun einmal Schauspieler auf der Bühne und tragen Kostüme; Stemann führt das Theater vor, indem er die Schauspieler vom Blatt lesen und „echte“ Flüchtlinge auf der Bühne auftreten lässt. Die Schwierigkeit ist das „Wir“, denn in Jelineks Text sprechen dieses „Wir“ Schutzsuchende, die der Festung Europa entgegenschauen, und doch ist es eine Kunstsprache. Um Jelineks Sprache gerecht zu werden, braucht es Menschen, die der deutschen Sprache mächtig sind. Gleichzeitig sind das aber eben nicht diejenigen, von denen der Text spricht bzw. die im Text sprechen. Jelineks Text ist politisch, behandelt zeitnahe gesellschaftspolitische Probleme und Diskurse, nimmt Flüchtlingsproteste zum Anlass für den Text, in denen die Schutzsuchenden um Sichtbarkeit und Hörbarkeit kämpfen. Stemann konnte die Flüchtlinge nicht unsichtbar lassen und wollte gleichzeitig das Scheitern an dieser Kunstsprache aufzeigen, dieses macht er zum Teil der Inszenierung. 244 Er agiert in seiner 82 Seiten umfassenden finalen Strichfassung als Ko-Autor und fügt selbst lange Textpassagen und bettet Songs ein, lässt die Flüchtlinge Textteile von Jelinek vortragen und vom Blatt lesen, aber sie erzählen auch in vielen Sprachen selbst ihre Geschichten, die Flüchtlinge kommen zu Wort und erheben in Statements ihre eigenen Stimmen. Die Premieren-Strichfassung ist in zwei Teile unterteilt; im zweiten Teil haben die Flüchtlinge das Wort, beherrschen die Bühne. Für Stemann ist eine Inszenierung das, was sich am Theater ereignet, die Lektüre des Textes im Theaterkollektiv.245 Oft nähert er sich in den Probenarbeiten über das 244 Vgl. Behrendt, Barbara: Diskussion: Elfriede Jelinek «Die Schutzbefohlenen» (25.05.2015) http://www.theaterheute.de/blog/muelheimstuecke/diskussion-elfriede-jelineks-die-schutzbefohlenen2/ Letzter Besuch: 21.12.2015. 245 Vgl. Stemann, Nicolas: im Gespräch mit Monika Meister. „Wie die Frauen wollen die Texte ja umworben werden“ (25.04.2015). Interdisziplinäres Symposium des Jelinek-Forschungszentrum: KAPITAL MACHT GESCHLECHT. Künstlerische Auseinandersetzungen mit Ökonomie & Gender https://www.youtube.com/watch?v=H1OiSFa4mkk Letzter Besuch: 11.12.2015. 62 Lesen vom Blatt an den Text an; bei den Schutzbefohlenen inszeniert er das Lesen aber auch auf der Bühne. Die Inszenierung unterliegt bei dem Spielleiter Nicolas Stemann einem „work-in-progress“, was schon zu Beginn der Aufführung deutlich wird: auf der Bühne herrscht bereits geschäftiges Treiben, wenn das Publikum den Zuschauerraum betritt und langsam Platz nimmt. Die DarstellerInnen gehen mit Textbüchern in der Hand auf der Bühne auf und ab, der Flüchtlingschor bekommt letzte Anweisungen vom Regisseur und im Hintergrund beklagen Schutzbefohlene in Videoclips ihre Situation, berichten von Folter, Verfolgung und ihrer dramatischen Flucht. Die Arbeit mit „echten“ Flüchtlingen und die Struktur von Stemanns Inszenierung bedingen weiters den „work-in-progess“, wodurch auch das Prinzip der Repräsentation aufgehoben wird. Zudem bestimmen die unterschiedlichen Stufen der Inszenierung – zunächst Mannheim, dann Amsterdam, zuletzt die Premiere in Hamburg mit den Lampedusa-Flüchtlingen aus der St.-Pauli-Kirche – den Arbeitsprozess am Text, da immer wieder mit neuen Flüchtlingen gearbeitet wurde. Stemann streicht in seiner Inszenierung zum Teil österreichische Kontexte oder legt sie auf deutsche Ereignisse um, beispielsweise wird die Kanzlerin angesprochen oder ist die Rede von Pöseldorf, einem Hamburger Nobelviertel. Er nähert sich mit kritischen Selbstbefragungen sowohl an die künstlerischen Möglichkeiten im Theater als auch an die gesellschaftlichen Standpunkte an und bewegt sich in seinen Inszenierungen „zwischen Performance, politischem Diskurstheater, popkulturellem Spektakel und Konzert“246. Der Regisseur arbeitet in der Inszenierung Die Schutzbefohlenen auch mit Video-Einspielungen und häufig sind Bildinstallationen auf der Bühne und an der hinteren Bühnenwand zu sehen. Den Text untermalt Stemann immer wieder mit Musik, rhythmischen Bewegungen oder, im zweiten Teil der Inszenierung, mit Songs. Dem Mythenhintergrund sowie dem Leid der Flüchtlinge in Europa, wie es Jelinek in ihrem Textnetz verknüpft, mengt Stemann noch die Frage nach der (Nicht-)Darstellbarkeit des unsagbaren und doch gegenwärtigen Leidens der Flüchtlinge bei.247 Stemanns Inszenierung und seine Text-Interpretation dreht sich um die Frage: Wer kann hier für wen sprechen? Die SchauspielerInnen Dramaturgie 248 fungieren wird die als TextträgerInnen; Arbeitsweise des anhand Regisseurs einer deutlich. 3-StufenIn der Premierenstrichfassung werden diese drei Stufen explizit als Phasen gekennzeichnet, 246 Berliner Festspiele (Hrsg.): Theatertreffen Magazin. Berlin: April 2015. Performing Politics. S. 81. Vgl. Burckhardt: Die Schutzbefohlenen, S. 20. 248 Vgl. Burckhardt: „Die Heimholung“, S. 26. 247 63 die in der Inszenierung immer wieder mit Schnipp-Schnapp-Scherengeräuschen unterbrochen werden. Am Beginn sprechen also drei „weiße“249 Schauspieler (1. Phase) – Daniel Lommatzsch, Felix Knopp, Sebastian Rudolph – des Thalia Theaters auf der Bühne, dann geht ihr Sprechen auf zwei Darsteller mit dunkler Pigmentierung über (2. Phase), die ihrerseits schließlich von authentischen Flüchtlingen (3. Phase) abgelöst werden. 5.1.2 Bühnenbild Das Bühnenbild hat der Regisseur Nicolas Stemann selbst gestaltet und es entspricht seiner Arbeitsweise: es sieht aus wie ein Versuchsgelände. Auf der fast leeren Bühne befinden sich am rechten Bühnenrand ein Klavier und ein Schlagzeug. Im hinteren Bühnenbereich in der Mitte steht eine Reihe roter Plastikstühle und davor in großen weißen Lettern leuchtet die Zahl 23168; links davon erscheint etwas später ein kleineres Schild, auf dem mit roten Buchstaben das Wort OPEN steht. Abb. 11: Drei weiße Thalia-Schauspieler vor den weißen Lettern Später findet sich auch ein meterhoher Stacheldrahtzaun auf der Bühne, der von weißen Männern in Frontex-Anzügen über die Bühne geschoben wird; der Flüchtlingschor wird in der Inszenierung vom Zaun nach hinten gedrängt und „weggesperrt“. Die SchauspielerInnen ziehen sich hinter eben diesen Zaun zurück, wenn der Flüchtlingschor im zweiten Teil die Bühne übernimmt. 249 Hier ist die Pigmentierung gemeint und der Verfasserin der Arbeit ist durchaus bewusst, dass diese Bezeichnung mit Ethnizität und weiteren Diskursen verknüpft ist. 64 Jelinek veröffentlicht den Appendix erst lange nach der Uraufführung von Stemann, doch dort findet sich auch ein Bild vom Grenzzaun in Ungarn; das zeigt die Aktualität und unfassbare Wahrheit des Theatertextes und der Realität. Abb. 12: Rückzug der SchauspielerInnen hinter den Zaun Auf der linken Bühnenseite steht ein Pult, an dem Claudia Lehmann sitzt und mit einer Live-Video-Cam Bilder auf den Bühnenboden und an die Rückwand der Bühne installiert. Dort werden während der Aufführung auch Videos eingespielt: Flüchtlinge erzählen von ihrer Flucht oder es wird eine von den SchauspielerInnen ironisch nachgespielte Umfrage zu einer geplanten Flüchtlingsunterkunft im Hamburger Luxusviertel Pöseldorf gezeigt, die Eingang in Stemanns Regiekonzept gefunden hat und nicht auf Jelineks Vorlage beruht. 5.1.3 Kostüm Die drei weißen DarstellerInnen 250 tragen zu Beginn des Stückes legere Alltagskleidung, Hosen und T-Shirts, und lesen von zerknitterten Textseiten in ihren Händen ab. Es kommt der „farbige“251 Schauspieler Ernest Allan Hausmann sowie die beiden Frauen – die weiße Barbara Nüsse und die dunkelhäutige Thelma Buabeng – dazu, 250 Es sind Männer, aber ab einem gewissen Zeitpunkt tragen sie Frauenkleider, wodurch eine Heteronorm-Debatte angerissen wird. In dem Fall ist das Gendern dadurch gerechtfertigt, da das Binnen-I ja für alles zwischen Mann/Frau stehen soll. 251 Unter „farbig“ ist die dunkle Pigmentierung gemeint und der Verfasserin der Arbeit ist durchaus bewusst, dass diese Bezeichnung mit Ethnizität und weiteren Diskursen verknüpft ist. 65 auch sie tragen gewöhnliche Kleidung. Im zweiten Teil der Inszenierung schlüpfen alle DarstellerInnen – Männer und Frauen – in schillernde bunte Abendkleider und „staksen allerliebst als die Anna Netrebkos dieser Welt durch die Szenen“252. Abb. 13: SchauspielerInnen in Abendroben und Flüchtlinge in Ganzkörperoveralls Später regnet es Hilfspakete oder Almosen vom „Theaterhimmel“, angebliche Kleidergeschenke für die Flüchtlinge: kreativ aus alten Trainingshosen und Kapuzenjacken zusammengenähte Overalls; Ganzkörperanzüge, die sogar die Gesichter bedecken, erinnern auch an Leichensäcke, in die man die Ertrunkenen vor den Küsten Europas hüllt; solche Bilder gingen in Zusammenhang mit der Flüchtlingskatastrophe in Europa durch die Medien und tauchen sogleich vor dem inneren Auge wieder auf. Damit werden die Flüchtlinge wieder zu einer anonymen Masse, die sich selbst nicht äußern kann, zu dem Kollektiv, für das Jelinek mit ihrer zornigen, bitteren Sprache spricht. 252 Wille, Franz: Nur die ganze Welt. Juli 2014. In: http://www.kultiversum.de/Theaterheute/Theaterder-Welt-Mannheim-2014.html Letzter Besuch: 14.12.2015. 66 5.1.4 Musik Stemann arbeitet oft und gerne mit Musik und Rhythmus – so auch bei den Schutzbefohlenen: einzelne Textpassagen werden vom Klavier begleitet, die SchauspielerInnen sprechen gemeinsam, klatschen oder schnippen im Takt und später setzt gar eine ganze Band ein und es wird auf der Bühne gesungen – ein Rockkonzert-Abend, eine Opern-Arie oder Stadel-Klamauk, all das findet in den zwei Stunden Raum. Der mit einem grauen Anzug bekleidete Musiker Daniel Regenberg ist über die gesamte Aufführungsdauer auf der Bühne und begleitet die DarstellerInnen und den Flüchtlingschor mit Live-Musik am Klavier, erzeugt Jazzund Lyrikstimmung und untermalt die gesprochene Kunstsprache Jelineks mit harmonischen Klängen oder ergänzt die rhythmischen Bewegungen auf der Bühne. Im zweiten Teil der Inszenierung werden Songs wie Freiheit kann ein Gefühl sein, Fundamente der Welt oder am Schluss das Bärli-Lied von Jelinek auf der Bühne performt und die SchauspielerInnen von einer Band begleitet. 5.1.5 Pöseldorf und Netrebko Stemann wagt auch Ausflüge ins ironische Fach: so zieht er die Pöseldorfer253 mit einem eingespielten Videoclip satirisch über den Teppich. Auf der Bühne stehen die SchauspielerInnen in schicklichen Abendroben und Barbara Nüsse hält ein Schild mit dem Slogan „Wir sind Pöseldorf“ in Händen, als Bezug und Anspielung auf den Solidaritätsslogan „Wir sind Lampedusa“. Das zuvor eingespielte Video einer ironisch nachgespielten Umfrage zu einem geplanten Flüchtlingsheim im Nobelviertel254, zeigt die „Sorgen“ der Anrainer, die sich mit Argumenten wie ‚die können sich hier ja keinen Kaffee leisten’ gegen die Umsetzung der geplanten Flüchtlingsunterkunft in Pöseldorf stark machten. 253 Pöseldorf ist ein Hamburger Stadtteil, AnwohnerInnen klagten erfolgreich gegen eine Notunterkunft in ihrem Viertel. Stemann nimmt das in seiner Inszenierung kritisch auf. 254 Es hat tatsächlich eine juristische Aktion von Anwohnern gegeben, die sich gegen ein Flüchtlingsheim in der Nachbarschaft aussprachen, und damit auch durchkamen. 67 Für die Aufführung beim Berliner Theatertreffen wurde dieser Teil von Stemann angepasst, denn auch in Berlin gab es in Wilmersdorf eine ähnliche Aktion der Bewohner, die sich nach dem Vorbild Pöseldorf ereignete.255 Abb. 14: Wir sind Pöseldorf Auch Anna Netrebko (gespielt von Thelma Buabeng) lässt Stemann in seiner Inszenierung in Hamburg auftreten, allerdings nicht singend, sondern dümmlich arrogant fragend: „’Wehe dem Fliehenden, Welt hinaus Ziehenden! Fremde durchmessenden, Heimat vergessenden, Mutterhaus hassenden’, Blödsinn, also zu denen gehöre ich nicht, sicher nicht, hätte ich dieses Mutterhaus nicht gehabt, wäre ich jetzt nicht hier; und ich bin auch sicher, für mich und meine Sicherheit wurde schließlich bezahlt [...] Kenn ich nicht, die kenn ich nicht, auch die nicht, nein, kenn ich nicht, nie gehört, was soll das? Wer ist diese Jelinek. [...] Kenn ich nicht, kann ich von mir nicht behaupten, also für mich gilt das nicht, kein Gott hemmt meine Flucht, ich bin doch keine Kuh, ich bin nicht Europa, bin nicht Io, nichts hemmt mich, manch einer fickt mich oder nicht, er hat die Wahl, es wurde bezahlt, und hier bin ich nun, genau dort, wo ich sein wollte.“256 255 Vgl. Berliner Festspiele: Nicolas Stemann im Interview mit Yvonne Büdenhölzer – „Wir können euch nicht helfen, wir müssen euch doch spielen“ (28.04.2015) http://blog.berlinerfestspiele.de/wirkoennen-euch-nicht-helfen-wir-muessen-euch-doch-spielen/ Letzter Besuch: 28.01.2016. 256 Thalia Theater (Hg.): Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek. Uraufführung. PremierenStrichfassung. 16.09.2014. 68 Stemann greift Jelineks Anspielung auf Netrebkos „Blitzeinbürgerung“ im Text auf und verweist gleichzeitig auf viele von Jelinek angeführte Intertexte. Eine groteske Szene, vor allem dann, wenn sie sich pathetisch mit „Servus, Eure Anna Netrebko“ verabschiedet und von „Europa auf dem Stier reitend“ (Ernest Allan Hausmann) über die Bühne geschubst wird. Abb. 15: Netrebko verabschiedet sich 5.1.6 Rassismen auf der Bühne Das bunte Treiben auf der Bühne, wenn die ZuseherInnen den Saal betreten, wird beendet, indem sich aus den kleinen Gruppen der Refugees auf der Bühne ein wütender Chor bildet, der an die Rampe tritt und sich an das Publikum wendet. Als das Licht im Saal ausgeht, rufen die Flüchtlinge der Lampedusa-Gruppe mit großen Gesten ihre Parolen: „We are here, we will fight. Freedom of movement is everybody’s right.“257 Die Gruppe verschwindet aber sogleich wieder von der Bühnenkante ins Dunkle und setzt sich auf die Stühle im Bühnenhintergrund. Der Raum gehört dann zunächst drei weißen männlichen Schauspielern des Thalia Theaters – nun gibt es Platz für Sprechtheater und für Jelineks Kunstsprache: sie sprechen Passagen aus Jelineks 257 Thalia Theater (Hg.): Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek. Uraufführung. PremierenStrichfassung. 16.09.2014. 69 Textfläche und suchen dabei nach einem Sprechduktus – eben dem theatralen Zugang; zugleich hebt sich die „bühnenerprobte Kunstsprache der einzelnen Schauspieler [...] deutlich vom Chor der Flüchtlinge ab [der später die Bühne einnimmt, Anmk. d. Verf.] und löst die kollektiven Intentionen des Jelinekschen Textkanons auf.“258 Sie halten die Manuskripte in der Hand, ihre Blicke wandern zwischen den Blättern und dem Mikrofon hin und her und man spürt ihren Kampf mit dem Text. Zugleich wirken die zerknitterten Seiten wie eine Stütze eines genau musizierten und instrumentalisierten Textes. Auf der Bühne spielt Stemann mit der Frage nach Repräsentation, indem unterschiedliche Formen des Rassismus gezeigt werden: Black-, White-, Red- und Yellowfacing, Kopftuch und Bart, peinlich anmutende Szenen. In parodistischen Einlagen machen die SchauspielerInnen auf Rollenklischees aufmerksam; eine nachgestellte, in der Strichfassung als Produzenten-Impro bezeichnete Szene in gebrochenem Englisch folgt auf die Sprechtheater-Einlage der drei Schauspieler: „We are coming from the Thalia Theater, a Theater in Hamburg Germany. And we are looking for authentic people with Arbeitserlaubnis who can tell us their authentic fleeing stories.“259 Das ist einer der Einschnitte von Stemann in Jelineks Textvorlage und hier spricht er die Problematik offen an, thematisiert den Diskurs rund um Rassismus und Diskriminierung. Der jetzt vierte „farbige“ Schauspieler, Ernest Allan Hausmann, antwortet verdutzt in perfektem Hochdeutsch. Später kommen dann eine schwarze und eine weiße Frau auf die Bühne hinzu; es folgt ein Kampf um Sprechpositionen auf der Bühne, die SchauspielerInnen sprechen mal wütend, mal ironisch und dann auch mit fremdländischen, beispielsweise afrikanischen oder chinesischen Akzenten oder aber ‚kölsch’. Als weiterer ironischer Verweis auf die Blackfacing-Debatte im Theater bemalen sich die etablierten SchauspielerInnen am Ende der Szene ihre Gesichter: schwarz, weiß, gelb und rot, setzen ein Kopftuch auf und hängen sich einen Bart ins Gesicht. In Stemanns Strichfassung heißt es „Vor der Kamera sind alle gleich, wenn sie auch nicht alle die gleiche Kamera haben, aber sie haben alle eine [...] und damit machen 258 Heinicke, Julius: Grenzen (auf) der Bühne. Wie geht Darstellung ohne Zurschaustellung? Flüchtlingstheater in Südafrika und Deutschland. In: Theater Heute Magazin. Februar 2015. S. 26-31, hier 27. 259 Thalia Theater (Hg.): Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek. Uraufführung. PremierenStrichfassung. 16.09.2014. 70 sie jetzt auch noch ein Foto, Achtung, die Menschenwürde“260 und schon wird ein Foto mit der Menschenwürde, die auch noch daherkommt, gemacht: ein Foto Freeze Moment auf der Bühne bis der Kamerablitz auf der Bühne aufleuchtet. Abb. 16: Foto Freeze Moment 5.1.7 Chor der „Flüchtlinge“ – Statements Im zweiten Teil der Inszenierung übernimmt der Chor der „echten“ Flüchtlinge die Bühne. Nicolas Stemann lässt sie selbst zu Wort kommen: einige schildern ihre traumatischen Erlebnisse, ihre Fluchtgründe, ihr individuelles Schicksal, einmal in Englisch, dann Französisch oder Arabisch. Aber auch Jelineks Text wird vom Blatt abgelesen und damit nachdrückliche ans Publikum gerichtete Forderungen formuliert. „An der Urlesung [in der St.Pauli-Kirche am 21. September 2013, Anmerkung d. Verf.] [...] nahmen auch Afrikaner teil, die dem libyschen Bürgerkrieg entronnen waren. Die Erfahrung mit diesen Experten des Asylalltags hat Nicolas Stemann wohl veranlasst, auf dem Weg hin zur Uraufführung des neuen Jelinek-Stücks nicht nur mit Thalia-Schauspielern, sondern auch mit realen Asylsuchenden zu arbeiten.“261 Hier kommt die Frage nach der Authentizität, nach dem Verhältnis von Kunst und Realität, ins Spiel. Das Diktum, um das sich Stemanns Inszenierung dreht, wird auch 260 Ebd. Berger, Jürgen: „Theater der Welt“ startet mit Jelinek: Die Katastrophe namens Lampedusa (26.05.2014) http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/theater-der-welt-startet-mit-jelinek-dieschutzbefohlenen-a-971564.html Letzter Besuch: 27.01.2016. 261 71 hier wieder deutlich: er überlässt den Flüchtlingen die Bühne. Der Regisseur wollte die Probleme im Umgang mit dieser Thematik auf der Bühne verhandeln, gerade weil sie in der Gesellschaft nicht gelöst sind und man im Theater nicht so tun kann, als könnte man diese lösen beziehungsweise gäbe es diese Probleme real nicht. Abb. 17: Flüchtlingschor Für Nicolas Stemann ist es zwar künstlerisch legitim, dass nur SchauspielerInnen den Text Jelineks auf der Bühne sprechen, er findet es in Anbetracht der Thematik und realen Situation jedoch fragwürdig und stellt den ‚Experten des Theaters’ – also den SchauspielerInnen – einen Chor aus Flüchtlingen entgegen. Er betont, dass die „echten“ Flüchtlinge auf der Bühne nicht das Authentische zeigen sollten, sondern dass es ihm vielmehr darum ging das inhaltlich und politisch Fragwürdige am Theater abzubilden.262 Gleichzeitig erfordert die Sprache Jelineks und die Stückumsetzung auf einer großen deutschen Bühne aber auch die ‚Experten des Theaters’. Und diese sind dann auch irritiert von der Gruppe der Geflüchteten. Zunächst haben sie sich mit den Flüchtlingen solidarisiert. Als diese dann jedoch bald eine „anstrengende Eigendynamik“ 263 entwickeln, beginnen die SchauspielerInnen chorisch ihre Zudringlichkeiten gegenüber einem Chor von Flüchtlinge abzuwehren: „Wir können 262 263 Vgl. Berliner Festspiele: Nicolas Stemann im Interview mit Yvonne Büdenhölzer. Laudenbach: Spiel mit und ohne Grenzen. S. 14. 72 Euch nicht helfen, wir müssen euch doch spielen“264, woraufhin die Flüchtlinge zu Boden fallen. Dieser Satz ist von großer Direktheit, ehrlich. Gleichzeitig zeigt sich in eben dieser Szene die politische Dimension in Stemanns Inszenierung sowie deutlich das Scheitern am Repräsentationsdiskurs. 5.1.8 Politischer Aktivismus Die Absicht von Nicolas Stemanns Schutzbefohlenen-Inszenierung ist das Dilemma mit und die Probleme der Flüchtlinge in die Arbeit einzublenden. Der zentrale Punkt seiner Inszenierung sind die Refugees, wobei er bei der Umsetzung des Stückes keine Lösungen sucht, sondern auf der Bühne verschiedene Ansätze ausagiert und die Flüchtlinge sichtbar macht, sie sprechen und berichten lässt –das ist auch der zentrale Kern der Flüchtlingsproteste.265 Im Gespräch mit Uludag Özgür im Umfeld des Berliner Theatertreffens erläutert Stemann, dass der Gedanke der dialektischen Wendung bei Brecht in seiner Inszenierung eine wichtige Rolle spielt. Das Theater soll erst einmal unterhaltsam sein – das ist eine sehr kunstimmanente Argumentation –, aber damit es im wissenschaftlichen und technischen Zeitalter unterhalten kann, muss es sich mit politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen. Stemann möchte ein Theater als Ort der Selbstbefragung, wo die Gesellschaft sich reflektieren kann. Von der Bühne aus sollen keine Antworten gegeben, sondern vielmehr durchaus falsche Gegebenheiten abgebildet werden und es soll den Zusehern überlassen werden damit umzugehen und weiterzudenken.266 Der Regisseur bricht aufkommende Diskurse des Stücks auf der Bühne auf und macht so das Brüchige in unserer Gesellschaft sichtbar und verleiht zugleich den Flüchtlingen öffentlich eine Stimme – hier schwingt politischer Aktivismus mit. Stemann gelingt es in seiner Inszenierung das „wachsende politische Bewusstsein des gegenwärtigen Theaters“267 aufzuzeigen, ein politisches Theater, „[...] das stets die kritische Reflexion der eigenen Bedingungen von Produktion, Rezeption und 264 Thalia Theater (Hg.): Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek. Uraufführung. PremierenStrichfassung. 16.09.2014. 265 Vgl. Berliner Festspiele: Nicolas Stemann im Interview mit Yvonne Büdenhölzer. 266 Vgl. Berliner Festspiele: Nicolas Stemann im Interview mit Uludag Özgür – „Asylrecht & Menschenwürde“ (06.05.2015) http://theatertreffen-blog.de/tt15/stemann-asylrecht-menschenwuerde/ Letzter Besuch: 28.01.2016. 267 Richter: Verästelungszusammenhang, S. 78. 73 künstlerischer Praxis herausfordert und als durchlässiges System die Wechselbeziehungen zu Gesellschaft, Künsten und Wissenschaften sucht.“268 5.2 FAZIT Das „Theater Heute“-Magazin formuliert im Interview mit Nicolas Stemann „Darstellungsfallen“: „Was man macht, macht man falsch: Lässt man die Flüchtlinge von deutschen Stadttheaterspielern darstellen, wirkt es herablassend und paternalisiernd; arbeitet man mit Blackfacing, schreibt man direkt oder indirekt rassistische Praktiken fort; holt man «authentische» Flüchtlinge sieht es sehr schnell nach Exotismus aus. [...] Die Inszenierung hat das ausführlich thematisiert.“269 Er lässt sich auf die Darstellungsproblematiken ein, indem er eben diese im Theater sichtbar macht: er lässt deutsche Schauspieler Jelineks Text vortragen, zeigt rassistische Praktiken wie das Produzenten-Impro mit einem deutschsprachigen „farbigen“ Darsteller und dann auch noch das Black- und Whitefacing. Christine Wahl bringt in wenigen Worten auf den Punkt, was die Inszenierung ausmacht: „Indem Stemann die Unfassbarkeit der Tragödien, die sich an den europäischen Außengrenzen ereignen und die der Text (auch) in entsprechenden Selbstproblematisierungsloops umkreist, konsequent auf deren (Nicht-) Darstellbarkeit im Theater überträgt, inszeniert er die möglicherweise intelligenteste – und wahrscheinlich selbstkritischste – Repräsentationstheater-Bankrotterklärung des Bühnenjahrzehnts: «Wir können euch nicht helfen», lautet der abendfüllende künstlerische Offenbarungseid, «wir müssen euch doch spielen!»“270 Der Regisseur ist sich im Klaren darüber, wo das Theater der Jetzt-Zeit steht, hinterfragt die Strukturen, thematisiert Probleme und bricht Diskurse auf, indem er verschiedene Hautfarben und Rassen auf der Bühne vorführt – als Statement. Stemann ist sich im Klaren darüber, dass dieser hochartifizielle Text von Elfriede Jelinek Experten braucht, die dem Umgang mit der deutschen Sprache mächtig sind. Allerdings spricht in Die Schutzbefohlenen die ganze Zeit über konkret ein Flüchtlings-Wir, das wiederum ein Ihr – also unsere Gesellschaft und Politik – adressiert. 268 Ebd. Theater Heute Magazin. Februar 2015. Menschenrechte für alle? S. 24. 270 Wahl: „Die Welt und ihre dramatischen Haltigkeit“, S. 48. 269 74 6 „Heimholung“ nach Wien Am Burgtheater hat der Regisseur Michael Thalheimer Jelineks Flüchtlingsdrama zu einem großen, emotionalen Abend verwandelt. Parallel zur Erarbeitung der österreichischen Erstaufführung der Schutzbefohlenen am Burgtheater gab es verschiedene Projekte. Unter anderem fand vor der österreichischen Erstaufführung eine Soiree im Kasino – einer weiteren Spielstätte des Burgtheaters – mit dem Titel „Von Aischylos zu Jelinek“ statt. Im Gespräch mit Haide Tenner gaben der Regisseur sowie Catrin Striebeck und Tilo Nest aus dem sechzehn SchauspielerInnen umfassenden Ensemble Einblick in die laufenden Probearbeiten und erläuterten, wie man sich diesem Stoff in den Proben näherte und wie „man auf der Bühne dem Schicksal der Menschen gerecht werden [will], die als heimatlose Bittsteller unter uns leben müssen“ 271 . Das VERSATORIUM – Verein für Gedichte und Übersetzen – präsentierte im Rahmen der Premiere der Schutzbefohlenen im Vestibül (die kleinste Spielstätte des Burgtheaters) sein Übersetzungsprojekt „Die, should sea be fallen in“. In Zusammenarbeit mit der Regisseurin Ivna Zic und dem DRAMA FORUM sprachen, sangen oder lasen Studierende der Universität Wien gemeinsam mit betroffenen Asylsuchenden des „Refugee Protest Camp Vienna“ auf Englisch, Urdu, Pashtu und Georgisch; auf der Homepage des Burgtheaters wird das Projekt folgendermaßen beschrieben: „In diesem Resonanzraum wird die Einsprachigkeit der deutschen Fassung mehrsprachig aufgefasst, [...] Es ist der Versuch, den Asylwerbern, die 2012 an der Besetzung der Votivkirche teilgenommen haben und von denen kaum einer deutsch sprach, Elfriede Jelineks Text näher zu bringen.“272 Am 28. März 2015 fand die ‚Heimholung’ des Stücks an den Ort des Geschehens – das Burgtheater ist nur wenige Gehminuten von der Votivkirche entfernt – mit sechzehn BurgschauspielerInnen auf der Bühne statt. Auch Refugees aus der Votivkirche waren bei der Premiere im Theater anwesend. Für den Regisseur Michael Thalheimer war es seine erste Jelinek-Inszenierung. Er ist nicht für Ur- oder Erstaufführungen bekannt, vielmehr aber als Spezialist für antike 271 Burgtheater – Spielplan-Archiv «Von Aischylos zu Jelinek» http://www.burgtheater.at/Content.Node2/home/spielplan/event_detailansicht.at.php?repertoireView= true&eventid=963970209 Letzter Besuch: 11.12.2015. 272 Ebd. 75 Stoffe. Das wird sogleich auch in seinem Umgang mit den Schutzbefohlenen deutlich; er erläutert in einem Interview, was ihn an seiner ersten Inszenierung eines Jelinek-Textes interessiert: „Ganz pragmatisch interessiert mich das Chorische“ 273, wobei Thalheimer durchaus die unterschiedlichen SprecherInneninstanzen bewusst sind: „Die Perspektiven wechseln, aber das Chorische ist durchgehend“274. Der Dramaturg des Burgtheaters Klaus Missbach betont, dass Jelinek sich in ihrem Text auf ein aktuelles politisches Ereignis sehr konkret bezieht und dass das im Theater nur selten vorkommt; denn das Theater ist nicht unbedingt ein tagespolitisches Medium und dennoch gelingt es der Autorin, die Thematik in eine Form und Sprache zu bringen, die so nur am Theater möglich ist. Das war auch der entscheidende Ansatzpunkt von Regisseur Michael Thalheimer und Dramaturg Klaus Missbach, sich mit dem Text am Burgtheater auseinanderzusetzen. Das Stück noch näher an den Ereignissen 2013 auf die Bühne des Burgtheaters zu bringen war nicht möglich, da die Uraufführungsrechte bei Nicolas Stemann lagen. Dieser wollte es ursprünglich bei den Wiener Festwochen noch im selben Jahr (im Sommer 2013) zeigen, was dann aber aus organisatorischen und künstlerischen Gründen nicht geklappt hat. Abgesehen von der Thematik und von Jelinek gehört das Stück laut Missbach natürlich nach Wien275 und auch Thalheimer sagt: „Dieser Text muss in dieser Stadt einfach gezeigt werden“276. Die Aufführungsdauer am Burgtheater beträgt eine Stunde und 30 Minuten und es wird ohne Pause durchgespielt.277 Auf der 40-seitigen Premieren-Strichfassung ist am Deckblatt vermerkt, dass „alle 16 Schauspieler [...] während des gesamten Stückes anwesend [sind]. Die Sängerin tritt nach ca. 45min auf, singt ihre Arie und geht wieder ab“278. In Wien gibt es noch eine weitere Inszenierung der Schutzbefohlenen, ebenfalls – wie bei Stemann – mit Flüchtlingen auf der Bühne. Das KünstlerInnenkollektiv „Die Schweigende Mehrheit“ hat das Stück von Elfriede Jelinek gemeinsam mit 273 Mayer, Norbert: Thalheimer: »Die Bühne ist kein Zoo« In: Die Presse. 22.03.2015. S. 42-43, hier 42. 274 Ebd. 275 Mitschnitt: Diskussionsveranstaltung zu Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen. 276 Mayer: Thalheimer: »Die Bühne ist kein Zoo«, S. 42. 277 Vgl. Burgtheater (Hg.): Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek. Österreichische Erstaufführung. Programmheft. Wien: Spielzeit 2014/2015. 278 Burgtheater (Hg.): Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek. Österreichische Erstaufführung. Premieren-Strichfassung. 28.03.2015. 76 Geflüchteten, die gerade im Lager Traiskirchen wohnen, und mit der Unterstützung von SchauspielerInnen auf die Bühne gebracht. Im Rahmen des „Festival für Europa“, veranstaltet in der Arena Wien, feierte die Performance am 12. September 2015 Premiere.279 Abb. 18: Schutzbefohlene spielen Die Schutzbefohlenen 6.1 Ästhetische Verfahren Die Herangehensweise von Regisseur Michael Thalheimer verhält sich konträr zu der von Nicolas Stemann. Thalheimer nähert sich dem Jelinek-Text nicht über die (Re-)Präsentationsfrage an, sondern nutzt die Künstlichkeit des Mediums für seine Inszenierung und lässt „’Die Schutzbefohlenen’ im Wiener Burgtheater im Reich der Kunst verschwinden.“280 Im Interview beschreibt Thalheimer die Wichtigkeit des Ereignisortes der Geschehnisse; die Proteste aus dem Jahr 2012, die Jelinek für ihre Textflut zum Anlass nahm, waren in allen österreichischen Medien präsent und lösten viele PolitDebatten aus. Thalheimer wählte daher in seiner Inszenierung eine Form, die sehr nahe am Text und an den beschriebenen aktuellen Ereignissen (wie Votivkirche, 279 Leisch, Tina: 12.9. in der Arena Wien: Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene (02.09.2015) http://www.schweigendemehrheit.at/12-9-arena-wien-schutzbefohlene-spielen-jelinek/ Letzter Besuch: 19.12.2015. 280 Burckhardt, Barbara: „Die Heimholung“. In: Theater Heute Magazin. Mai 2015. S. 26-27, hier S. 26. 77 Netrebko, Jelzins Tochter, Frank Stronach) bleibt.281 Der Text von Elfriede Jelinek ist in einem Flüchtlings-Wir verfasst, was zur Frage anregt, wie man denn „reale“ Flüchtlinge überhaupt auf die Bühne bringen kann bzw. ob und wie SchauspielerInnen für Asylsuchende sprechen können? Nach Stemanns Uraufführung in Deutschland ist eine Diskussion über „Darstellungsrassismus“ entbrannt, denn er hat „echte“ Flüchtlinge auf die Bühne geholt und ihnen einen Raum geboten, ihre Geschichten zu erzählen und die Stimmen zu erheben, zum Teil in den Worten Jelineks, zum Teil in ihrer eigenen Sprache und ihren eigenen Worten. Thalheimer widerspricht an dieser Stelle energisch: „[...] es handelt sich weder um Figuren noch reale Flüchtlinge. Es ist schlicht und ergreifend ein Text und kein Bühnenstück. [...] Es handelt sich um eine Kunstform, die bedient werden muss. Bedient man diese Kunstform, vermeidet man automatisch einen ‚Darstellungsrassismus’. Ebenso irreführend finde ich den Einsatz von ‚echten Exilanten’ auf der Bühne, denn auch dies hat mit Wahrhaftigkeit auf dem Theater nichts zu tun.“282 6.1.1 Regiekonzept Michael Thalheimer hatte nach eigener Aussage in einem Interview 283 vor Probenbeginn einige Schwierigkeiten mit der Transformation der Textfläche ins Theater und wählte eine ganz andere Herangehensweise als Nicolas Stemann. Die Strichfassung, in dem der Jelinek-Text bereits in eine Spielfassung gebracht worden ist, baut auf 16 hochkarätige BurgschauspielerInnen, davon sieben Frauen und neun Männer. Thalheimer bewog vor allem der sekundärdramatische Bezug zur antiken Tragödie Die Schutzflehenden von Aischylos zu seiner ersten JelinekInszenierung, hat er doch in jüngster Vergangenheit einige antike Theaterstücke inszeniert (zuletzt Hofmannsthals Elektra am Burgtheater); auch „Jelineks Verzicht auf klassische dramatische Mittel und auf intrinsisch ausgestaltete Figuren“284 stellte eine große Herausforderung für ihn dar: Jelinek „gibt keine Hilfe, sie überlässt alles 281 Nicolas Stemann näherte sich freier an den Text an, strich einen Großteil des Österreichbezugs und baute eigenständig ähnliche deutsche Ereignisse in seine Inszenierung ein (bspw. Kritik an der Oberschicht „Pöseldorf“, Arbeit mit den Lampedusa-Flüchtlingen) und konzentriert sich mehr auf die Problematiken die Jelinek in ihrem Text aufwirft (Menschenrechte, Rassismus, etc.). 282 Lohs, Lothar: Die Schande Europas. In: Bühne. Nr. 3. März 2015. S. 22-23, hier S. 23. 283 Thalheimer, Michael: Die Farben eines schwarzen Bildes. Zur österreichischen Erstaufführung von Die Schutzbefohlenen am Burgtheater. Michael Thalheimer im Gespräch mit Björn Hayer. In: Janke, Pia (Hg.): JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2014-2015. Praesens Verlag. Wien: 2015. S. 72-80, hier S. 72. 284 Ebd. 78 dem Theater“285. Vor allem das Chorische reizte ihn an dem Stück, die Sprache und Gesten gehen in seiner Inszenierung vom Chor aus. Thalheimer kürzt den Text von Jelinek auf eineinhalb Stunden und legt den Schwerpunkt einerseits auf das Wir der Schutzbefohlenen und andererseits auf Ereignisse in Österreich, die dem Wiener Publikum größtenteils noch präsent sein dürften, wie beispielsweise die beschriebenen Proteste vor und in der Votivkirche (sein Bühnenmeister Olaf Altmann schafft ein himmelhohes dunkles Kirchenschiff) und die Blitzeinbürgerungen der Opernsängerin Anna Netrebko und der Tochter des ehemaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin. Im Interview mit der „Presse“ beschreibt er seine Sicht: „Wir holen uns diese Geschichte noch einmal ins Gedächtnis und fungieren als eine Art Gewissen“.286 Die Auseinandersetzung mit der Repräsentationsthematik ist für ihn nicht notwendig; im Burgtheater-Magazin begründet Thalheimer seinen Zugang folgendermaßen: „Jelinek verändert den Titel in Die Schutzbefohlenen, das heißt für uns richtet sich der Blick nicht auf die Flüchtlinge, sondern auf die Gesellschaft. Sie spielt den Ball zurück“287 ; der Dramaturg Klaus Missbach ergänzt: „Da schreibt Elfriede Jelinek ganz aus der Tradition des Theaters als moralischer Anstalt. “288 Thalheimer nähert sich der Thematik über eine Reduktion an und verdichtet den Text zu einem gerade noch abendfüllenden Theaterstück. Nicolas Stemann fügt eigenmächtig Textteile hinzu, schreibt in Jelineks Text hinein oder ihre Worte um, Michael Thalheimer hingegen nimmt Jelinek beim Wort und komprimiert in Zusammenarbeit mit dem Dramaturgen Klaus Missbach den Theatertext durch viele Streichungen auf einen abendfüllenden Theaterabend; die Struktur und Textmerkmale wie Wiederholungen oder auch das litaneihafte Flehen wurden dabei beibehalten. Thalheimer fügte keine eigenen Textteile bei, sondern konzentrierte sich auf das gesprochene Wort und die Wirkungsmacht von Jelineks Text und die präzise Arbeit der SchauspielerInnen. Einfachheit ist das Credo des Regisseurs, er bleibt puristisch: es dominieren Klagen und Anklagen den Abend. Michael Thalheimer hält sich strikt an Theater-Konventionen und konzentriert sich auf das Chorische; er lässt Einzelstimmen erklingen, aber immer wieder im Chor aufgehen und baut von Beginn an eine Verbindung zum Publikum auf, indem er einen Zeigefinger ins Publikum 285 Ebd. Mayer: Thalheimer: »Die Bühne ist kein Zoo«, S. 42. 287 Burgtheater-Magazin: Die Aktivgewordenen. April/Mai 2015. S. 6-11, hier S. 10. 288 Ebd. 286 79 richtet und den Theaterabend als Anklage der „Flüchtlinge“ gestaltet; doch betont Thalheimer: „Statt um Mitleid geht es um Erfahrung, Erkenntnis und darum, den Diskurs mit dem Publikum während der Aufführung aufbauen zu können.“289 Deutlich macht Thalheimer, dass allen SchauspielerInnen auf der Bühne klar sei, dass sie keine Flüchtlinge sind, sondern gut bezahlte KünstlerInnen und er „fände es anmaßend, würde ein Schauspieler auf der Bühne so tun, als wäre er ein Flüchtling.“290 Nach der Vorstellung vom 23. April 2015 fand im Burgtheater ein Publikumsgespräch mit dem Dramaturgen Klaus Missbach sowie einem Teil des Ensembles der Schutzbefohlenen statt, bei dem die SchauspielerInnen ihre Diskrepanz beschrieben auf der Bühne Flüchtlinge darzustellen und gleichzeitig zu wissen, dass sie dafür bezahlt werden. Andererseits betonten alle, dass es wichtig und richtig sei mit den Worten Jelineks den Flüchtlingen ihre Stimme zu leihen. Betrachtet man die Premierenstrichfassung, so lässt sich gleich ein langes chorisches Intro herauslesen, und später die Unterscheidung in Damen- und Herrenchor. In der gesamten Strichfassung ist jedoch nie die Rede von Flüchtlingen, es herrscht eine Distanz zur Thematik und eine politische Dimension bleibt außen vor. Jelineks Sprache wurde beibehalten: in langen chorischen, aber auch Einzel-Stimmen prasselt sie wie ein Worthagel auf das Publikum ein. 6.1.2 Bühnengestaltung Olaf Altmann schafft ein einfaches, sehr beklemmendes Bühnenbild: den Raum gestaltete er stark perspektivisch und verkleinerte ihn, nach hinten verjüngt sich die Bühne zu einer schwarzen dunklen Szenerie. An der Rückwand sind ein waag- und ein senkrechter Schlitz zu sehen; gemeinsam bilden sie ein meterhohes von hinten beleuchtetes Kreuz, ein christliches Symbol und Verweis auf die Ereignisse in der Votivkirche nur wenige Luftmeter von der Bühne entfernt: „Echoraum einer angeblich christlich geprägten Gesellschaft, in dem die Rufe der Schutzbefohlenen ungehört verhallen.“291 Das Licht, das durch die kreuzartigen Balken auf die Bühne scheint, ist das einzige Licht im Bühnenraum und daraus treten zu Beginn der Aufführung die schwarz gekleideten Schattengestalten hervor. Michael Thalheimer 289 Thalheimer: Die Farben eines schwarzen Bildes, S. 76. Tartarotti, Guido: „Furcht nur vor der Dummheit“ In: Kurier (24.03.2015), S. 23. 291 Burckhardt: „Die Heimholung“, S. 26. 290 80 konzentriert sich in seiner Inszenierung auf die Ereignisse in Wien und in der Votivkirche; das beleuchtete Kreuz in der dunklen Szenerie erinnert an ein Kirchenschiff, doch wird es auch zum Schiff auf hoher See, denn der Bühnenboden ist in seiner ganzen Breite mit Wasser, ca. einen halben Meter hoch, geflutet und die Schatten, die durch den Schlitz, durch den schmalen Durchgang kommen, fallen ins schwarze Meer. Die geflutete Bühne und das meterhohe weiße, leuchtende Kreuz im sonst sehr dunklen Bühnenraum ruft im kollektiven Gedächtnis Bilder der Ereignisse vor Lampedusa und tausender Ertrunkener an den Küsten, aber auch von den Ereignissen in der Votivkirche hervor. Abb. 19: Meterhohes beleuchtetes Kreuz im Bühnenhintergrund mit schwarzer Gestalt und Spiegelung am gefluteten Bühnenboden Das mediale Gedächtnis spielt einem die Bilder des Mittelmeers zu, des Massengrabes vieler Flüchtlinge. Nach und nach finden sich treibende Körper, strampelnd, schwimmend, keuchend in den Wasserfluten und schaffen so ein wogendes Meer: eine theatralisch effektvolle Wellenbewegung auf der Bühne, die sich auch auf der Decke widerspiegelt. Nach und nach arbeiten sich die SchauspielerInnen an den Bühnenrand vor, um die ZuseherInnen mit Jelineks Textfluten zu übergießen. Ganz zur vom Wasser befreiten Bühnenrampe schaffen sie es nicht, dieser Ort bleibt der Sängerin vorbehalten. Der dunkle Nachthimmel über den scheinbar unendlichen Tiefen des Mittelmeeres spiegelt die Bewegungen des Wassers und reflektiert die Lichter im Publikumsraum. 81 Abb. 20: SchauspielerInnen im Bühnenhintergrund, geflutete Bühne 6.1.3 Kostüm Das Kostüm entwarf Katrin Lea Tag; auch sie blieb bei einfacher, einheitlicher Kleidung für die SchauspielerInnen: schwarze Anzüge, Röcke und Hosen, Blusen und Hemden, bodenlange und kniekurze Kleider. Ebenfalls trägt der Flüchtlingschor bei Thalheimer Masken aus bunten Plastiksäcken und wird somit gesichtslos. Erst im Laufe der Aufführung, wenn die SchauspielerInnen ihre orangen, grünen oder türkisen Masken – einmal alle gemeinsam, mal einzelne – runternehmen, sind individuelle Züge in den Gesichtern erkennbar. Abb. 21: SchauspielerInnen an Bühnenrampe mit Plastiksackmasken in den Händen 82 Das Kostüm der Sängerin ist umso pompöser: sie trägt ein elegantes schwarzes Abendkleid mit weitem Reifrock und einer meterlangen Schleppe. Abb. 22: Netrebko in Abendkleid an Bühnenkante 6.1.4 Musik Die Aufführung wird über den gesamten Abend von simplen monotonen Geigenklängen begleitet, die sich dann zu einer bedrohlichen Klangkulisse steigern, mit schweren Bässen wird das Kirchenschiff auf der Bühne erschüttert; immer mehr übertönt der Sound von Bert Wrede die verzweifelte Klage des Chors. Einmal wird der Klangteppich der Inszenierung unterbrochen, die elegische Musik setzt irgendwann aus und es betritt eine Opernsängerin von links die Bühne und singt die Arie von Schicksal und Freiheit. 6.1.5 Netrebko Als die Rede der Schutzbefohlenen auf der Bühne auf wohlhabende BlitzEingebürgerte fällt, wie beispielsweise auf die Tochter des russischen Präsidenten Boris Jelzin, die durch Geld in die Festung Österreich kam, oder auf Netrebko, der 83 ihre Stimme den Weg über die Grenze ebnete; als das Klagen des Chors von den immer lauter werdenden monotonen Geigenklängen übertönt wird und auch einzelne Stimmen sich nicht mehr gegen die bedrohliche Klangkulisse durchsetzten können, wird es dunkel auf der Bühne, die Schutzbefohlenen ziehen sich zurück, die Musik wird leiser; begleitet vom Plätschern des Wassers auf dem Bühnenboden betritt von links die Stellvertreterin „DER russischen Sängerin“ in Riesenreifrockrobe die Bühne, herein schwebt „die Fremde, deren Einbürgerung in die Festung Österreich nie ein Problem war.“292 Die Anspielung auf die Opernsängerin Anna Netrebko hat Michael Thalheimer in Form einer große Rolle für den Abend (auch hier ist der Österreichbezug gegeben) umgesetzt und gestaltet den Auftritt der Sängerin als einen atmosphärischen Höhepunkt des Theaterabends. Thalheimer will die BlitzEinbürgerung von Anna Netrebko nicht nur besprechen und auf der Bühne abhandeln, er möchte sie haptisch, bildlich auf der Bühne präsent haben und einen Kontrast zu den „Flüchtlingen“ herstellen. Von links schreitet die Sängerin mit ihrem pompösen, mächtigen, schwarzen Abendkleid an der Rampe, die den „Flüchtlingen vorenthalten bleibt, entlang bis zur Mitte der Bühne. Sie steht nicht im Wasser und singt aufs Betörendste eine bekannte Sopran-Arie („Lascia ch’io pianga“ aus Georg Friedrich Händels „Rinaldo“). Im knietiefen Wasser im Hintergrund bilden die SchauspielerInnen in ihren nassen schwarzen Zotteln und den Plastikfetzen im Gesicht einen „elegischen Resonanzkörper“293. Barbara Burckhardt liest den Aufritt der Sängerin „als sarkastischen Kommentar auf Thalheimers eigene Anstrengung [...], grausame Flüchtlingsschicksale in höchst kommensurable Schönheit zu übersetzen.“294 6.1.6 Chor der „Flüchtlinge“ Bei Thalheimer tritt der Chor, bestehend aus 16 BurgschauspielerInnen, als geschlossenes Kollektiv auf; das chorische Sprechen wird von Chorleitung Marcus Crome bis zur Perfektion ausgeführt. In einem Interview vor Probenbeginn sagt er: „Den Chor kann man gar nicht umgehen, wenn man Jelineks vielstimmige Texte 292 Burckhardt: „Die Heimholung“, S. 27. Thalheimer: Die Farben eines schwarzen Bildes, S. 79. 294 Burckhardt: „Die Heimholung“, S. 27. 293 84 liest.“295 Die ganze Aufführung konzentriert sich auf den Text von Jelinek, auf Klage und Anklage eines Wir. Nur vereinzelt treten Einzelstimmen aus dem Chor hervor, der eine massive Präsenz auf der Bühne einnimmt. Einzelne Solisten lösen sich aus der choreografierten Chor-Masse und vertreten unterschiedliche Positionen: „von breitem Wienerisch bis zu gebrochenem Pathos“296, um sich dann wieder in die Masse zurückzuziehen. Abb. 23: Solist löst sich aus choreografierten Chor-Masse Das Sprechen des Kollektivs ist rhythmisch und unpersönlich, auf der Bühne entsteht ein komplexer Hör-Raum. Der Chor repräsentiert bei Thalheimer das kollektive Bewusstsein, Thalheimer „will die Protagonisten des Burgtheaters dafür einsetzen und damit das klare Bekenntnis artikulieren, dass das gesamte Theater und nicht nur der Regisseur oder eine Handvoll Schauspieler hinter dem Text steht.“297 6.1.7 Politische Dimension Thalheimer stellt sich der (Re-)Präsentationsthematik auf der Bühne nicht; er erarbeitet aus Jelineks Textfläche eine 90-minütige Aufführung als Kunstwerk; die Realität wird hierbei nicht abgebildet, sondern vom Regisseur ästhetisch mittels Reduktion und Perfektion zu einem dichten Theaterabend verarbeitet: „Sie [die 295 Thalheimer: Die Farben eines schwarzen Bildes, S. 76. Cerny, Karin: Achtung, die Menschenwürde (30.03.2015). http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/burgtheater-wien-jelineks-schutzbefohlene-von-thalheimera-1026143.html Letzter Besuch: 15.12.2015. 297 Thalheimer: Die Farben eines schwarzen Bildes, S. 78. 296 85 Aufführung, Anm. d. Verf.] ergreift Partei, sie klagt an, sie verleiht Stimme. Sie fleht um Schutz. Und sie fragt nach dem Erbarmen.“298 Thalheimer macht pragmatisches Theater, ihn interessiert der Text, der AntikeBezug, das Chorische, nicht aber die politische Dimension; Jelineks Text behandelt zwar einen politischen Stoff, doch bei Thalheimer ist kein politischer Aktivismus erkennbar. Die Inszenierung macht die Frage, wer für wen sprechen darf, kann oder soll, nicht explizit, mehr richtet sich der Zeigefinger aufs Publikum: „ja, ihr seid gemeint!“ 299 Anstatt sich einer bestimmten Lesart zu verschreiben, variiert das Thema Flüchtlinge bei Thalheimer; er arbeitet sehr textzentriert, es geht ihm um den Inhalt und vor allem um den Wien-Bezug, er möchte Assoziationen bei den Zusehern auslösen, Reaktion und Aktivierung des Publikums sind ihm wichtig. Thalheimer arbeitet mit Masken und dem chorischen Kollektiv, das die Passagen mit höchster Präzision spricht. Die BurgschauspielerInnen werden mit kleinen Solos betraut, sodass im Perspektivwechsel verschiedene Gegenpositionen deutlich werden: der Zynismus des politisch-medialen Mainstreams („Das Boot war voll“300), Stammtischparolen („fluchempörte Brut, Brut, Brut! Wie Tiere! Ausländerbrut!“301) sowie die Rede von einer „abstrakten Menschenwürde, die als Allegorie herbeifliegt und schnell auf einem Foto festgehalten werden muss, damit sie nicht sogleich wieder entschwindet“ 302 . Das Gefühl von grotesker Komik und beklemmender Tragik führt dazu, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Zugleich sind auch einzelnen Forderungen der Refugee-Bewegung zu hören. „Zu Wredes ganz großem Pathosdröhnen flüstern sie: «Wir leben!», recken kollektiv die Finger gen Himmel, beklagen das entwürdigende Prozedere der Behörden, bei Jelinek komisch, sarkastisch, wütend, bei Thalheimer in perfekte Form gebrachte, im Rhythmus gezähmte Verzweiflung.“303 Im Vorfeld hat es Gespräche mit Flüchtlingen gegeben: dort tauchte bei einem Flüchtling auch die Frage nach dem ‚Wer spricht’ im Text und auf der Bühne auf und Thalheimer antwortete: „Schauspieler“304. 298 Tartarotti, Guido: Lass mich beweinen: Formschöne Frage nach dem Erbarmen. In: Kurier Online (29.03.2015) http://kurier.at/kultur/die-schutzbefohlenen-lass-mich-beweinen-formschoene-fragenach-dem-erbarmen/122.115.145 Letzter Besuch: 19.12.2015. 299 Jelinek: Die Schutzbefohlenen. 300 Ebd. 301 Ebd. 302 Thalheimer: Die Farben eines schwarzen Bildes, S. 79. 303 Burckhardt: „Die Heimholung“, S. 27. 304 Burgtheater-Magazin: Die Aktivgewordenen, S. 10. 86 Abb. 24: Chor-Kollektiv mit Masken 6.2 FAZIT Gedanken zur Repräsentationsvermeidung (wie Nicolas Stemann) macht sich Thalheimer nicht, er nähert sich Jelineks Text als pragmatischer Regie-Handwerker und strebt Perfektion an. Der antike Hintergrund und der Wien-Bezug haben ihn gereizt, diese Inszenierung am Burgtheater zu machen. Gemeinsam mit Olaf Altmann und dem chorischen Leiter Marcus Cromes erarbeitete er eine konzentrierte Umsetzung, wobei er bewusst nicht plakativ arbeitet (Stemann hingegen stellt einen Grenzzaun auf die Bühne und reale Flüchtlinge) und Jelineks Bilder oder den politischen Fundus aufgreift; vielmehr versucht er bei den ZuschauerInnen Reaktionen und Assoziationen auszulösen. Thalheimer lässt in seiner Inszenierung keine „echten“ Flüchtlinge auf der Bühne auftreten: „Sie kommen nicht vor. Weder in Person noch in Kostüm oder Spielweise. Thalheimer inszeniert einen Jelinek-Text, und er nimmt ihn beim (entschlossen eingestrichenen) Wort. Diese Jelinek-Worte, ob in Wir- oder Sie-Form, sind natürlich keine Worte Geflüchteter. Sie simulieren keinen anderen Duktus als den der Jelinekschen Texterzeugung, sie sind ein wogendes Diskurs-, kein Spielangebot für Repräsentationsakte.“305 305 Ebd. S. 26. 87 Thalheimer wählt die Methode der „Reduktion, um eine klare Aussage zu formulieren“306, vermeidet aber auch „alle Brüche, Konfrontationen und schwierige Annäherung an die Realität“ 307 ; strikt versucht er den Text „mit ästhetischer Formstrenge zu bewältigen“ 308 , wobei er die Sprachspiele von Elfriede Jelinek bezüglich der blitzeingebürgerten Sängerin ins Opernhafte, ins Kunstvolle überhöht. Zum Schluss zeigt auch Michael Thalheimer Resignation: „’Wir sind die Vergessenen. Wir sind gekommen. Doch wir sind gar nicht da.’ Das ist das Schlusswort. Thalheimer hat Elfriede Jelinek beim Wort genommen und diese Abwesenheit im Kunstraum konsequent zu Ende inszeniert.“309 306 Briegleb, Till: Formstreng, schmerzfrei. (30.03.2015) In: http://www.sueddeutsche.de/kultur/burgtheater-wien-formstreng-schmerzfrei-1.2416626 Letzter Besuch: 19.12.2015. 307 Ebd. 308 Ebd. 309 Burckhardt: „Die Heimholung“, S. 27. 88 7 Conclusio und Ausblick „Derzeit befinden sich so viele Menschen wie noch nie auf der Flucht. Die Aufnahmeländer sind vollkommen überfordert von den stetig wachsenden Zuwanderungsströmen. Während die europäischen Grenzen dicht gemacht werden, öffnen sich die Theater einem politischen Diskurs, der sich mit der prekären Situation der Asylsuchenden auseinandersetzt. [...] Was sind angemessene Formen, im Theater über Flucht und Asyl zu reflektieren? Wie kann Theater der Wirklichkeit von Asylsuchenden und der Politik begegnen? Was öffnet Denkweisen und Perspektiven in einem Diskurs jenseits einer theatralen Reproduktion von Rassismen, Ressentiments und Exotismus?“310 In der Auseinandersetzung mit Elfriede Jelineks Theatertext Die Schutzbefohlenen und der langen Beschäftigung mit den beiden sehr konträren Inszenierungen – einerseits mit der Uraufführung des erfahrenen Jelinek-Inszenierers Nicolas Stemann, andererseits mit der österreichischen Erstaufführung und Heimholung nach Wien des Jelinek-Neulings Michael Thalheimer – kann ich durchaus behaupten, dass mir sowohl Jelineks Text und seine Fortschreibungen (Appendix und Coda) als auch die genannten Inszenierungen vertraut sind, ich diese deshalb allerdings noch lange nicht kenne. Der rote Faden, der hier nachzuzeichnen versucht wurde, bezog sich auf Jelineks Begriff des Theaters als ein politisches Medium. Davon ausgehend wurde ihre Theaterfläche Die Schutzbefohlenen im Kontext des postdramatischen Theaters auf seine (für das Theater untypische) Entstehung sowie Serialität311 und Intertextualität untersucht. „Indem Jelinek nun den Flüchtlingshungerstreik in der Votivkirche, der auf den problematischen Umgang mit dem ‚Volk der Ausgeschlossenen’ aufmerksam machen sollte, mit Aischylos’ Hiketiden kontextualisiert, rührt sie an die Ursprünge des Staats- und Fremdenrechts und entspinnt eine Genealogie des heiligen und weltlichen Asyls.“312 Über die politische Resonanz ihrer Textfläche erschloss sich die Frage nach dem ‚wer spricht?’. Und wie gehen die Regisseure mit den Quellen und Bezügen des Textes um? Dass eine österreichische Schriftstellerin den Flüchtlingen eine wütende Stimme leiht und gleichzeitig in einer Kunstsprache voller philosophischer Verweise und mit Wortspielen (bspw. „unerhört“) den gesellschaftlichen Nerv trifft, beruht auf 310 Focus Jury (Theatertreffenmagazin 2015) -Say it loud, say it clear...! Thementag zu Flucht, Einwanderungspolitik und Asylgesetzgebung, S. 40. 311 Jelinek hat aufgrund jüngster Geschehnisse in Österreich und an den EU-Außengrenzen ihren Text während des Verfassens dieser Arbeit um zwei weitere Texte, nämlich zunächst einen Appendix und darauffolgend eine Coda, erweitert. 312 Felber: Verortungen des Marginalisierten in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen (in Druck). 89 der Tatsache, dass Jelinek durch ihr Aufgreifen tagespolitischer Themen in den Theaterkontext einen virulenten Umgang mit ihrem Text im öffentlichen Diskurs und an den Theatern provoziert hat. „Womöglich ist es die Globalität solcher Fragen, die Jelineks Theatertexte über die österreichischen Grenzen hinaus brisant machen und zu zahlreichen performativen Realisierungen führen“313, schreibt Silke Felber in ihrem Beitrag zu den Schutzbefohlenen. Die ‚Globalität’ zeigt sich auch in Jelineks Annäherung an die Thematik über ‚mythische Versatzstücke’: [...] „sie zitiert nicht nur die Schutzflehenden des Aischylos, sondern den Mythos von Io, der schönen Tochter des Flussgottes Inachos, die als Geliebte des Zeus zur Tarnung in eine silberglänzende Kuh verwandelt, in dieser Tiergestalt vor der eifersüchtigen Hera fliehen muss. Die Nobelpreisträgerin verwendet auch wohltönende Passagen über Würde und Freiheit der Menschen aus der staatlichen Broschüre Zusammenleben in Österreich, die sich angesichts des tatsächlichen Umgangs mit den Asylanten gnadenlos als hohle Phrasen entpuppen. Aber wie kann man diese disparaten semantischen Ebenen der Textcollage für den Zuschauer sinnfällig machen?“314 Elfriede Jelinek hat mit ihrem Text den Nerv der Zeit getroffen und auch nach über zwei Jahren nach der Textentstehung und ersten Veröffentlichung von Die Schutzbefohlenen auf ihrer Homepage ist der Text immer noch höchst aktuell. Diese Arbeit versucht aufzuzeigen, wie verwoben Politik und Kunst, Realität und Theaterraum in den Schutzbefohlenen sind und welche Möglichkeiten gerade die sprachversierte Schriftstellerin Jelinek mit ihren zeitpolitischen Stücken dem Theater eröffnet. Sie gibt ihre Textcollagen frei zur Bearbeitung – nein sie fordert geradezu dazu auf – und lässt die Regisseure als Ko-Autoren weitere Diskurse aufbauen, was neue Denkweisen öffnet (das zeigt sich in den unterschiedlichen Umsetzungen für die Bühne von Stemann und Thalheimer) bzw. verschiedene Perspektiven impliziert: Wie kann das Theater politisch intervenieren? Wie Stellung beziehen? Soll es das denn überhaupt? Wie geht das Theater mit der neuen Situation hinsichtlich der Flüchtlinge in der Gesellschaft um? Die Textfläche ist aus der Perspektive eines Flüchtlings-Wir geschrieben, wobei „[...] [i]n virtuoser Rede und Gegenrede sich allerdings in den Chor der Schutzbefohlenen auch die Stimmen der fremdenfeindlichen, besitzstandwahrenden Bürger [mischen], die das uralte Grundprinzip der Gastfreundschaft mit Füßen treten. Jelinek [...] konfrontiert uns mit der bitteren Wahrheit, dass die Menschenrechte eben nicht für alle gelten [...].“315 313 Ebd. Lohs: Die Schande Europas, S. 23. 315 Burgtheater-Magazin: Die Schutzbefohlenen, S. 5. 314 90 Der Regisseur Thalheimer macht Theater „ohne Selbstzweifel, Selbstanklage oder Selbstanwendung“ 316 , ganz im Gegensatz zu Nicolas Stemann, der in seiner Schutzbefohlenen-Inszenierung nicht umhin kommt, die Frage der Repräsentation und Wirklichkeit zu stellen, aufzuzeigen und daran zu scheitern; Stemann führt den Theaterbetrieb und seine Rassismen vor („Schwarzes Casting“) und lässt die SchauspielerInnen und Flüchtlinge mit Textbüchern auf der Bühne spielen. Auch das Problem, dass weiße BurgschauspielerInnen Flüchtlinge darstellen, wird in der Inszenierung von Michael Thalheimer nicht thematisiert. Stemann entfachte hingegen auf der Bühne wieder die Blackfacing-Debatte und dass die Theater in ihren Ensembles keine dunkelhäutigen SchauspielerInnen haben; Michael Thalheimer lässt sich auch auf diese Debatte nicht ein, bei ihm stehen weder dunkelhäutige SchauspielerInnen auf der Bühne noch „reale Flüchtlinge“. Die Beschäftigung mit der Repräsentationsthematik am Theater anhand der Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek und den konträren Übersetzungen auf der Bühne von Nicolas Stemann und Michael Thalheimer schneidet einen Diskurs an, der noch ein weites Forschungsfeld beschäftigen wird, denn: „Wer die Qualität einer Demokratie messen will, darf also nicht nur das Funktionieren der Gewaltenteilung und das Ausmaß der Medienfreiheit beurteilen. Die ‚Theaterfreiheit’ gehört dazu. Sie ist sogar, reizt sie ihre Grenzen aus, ein politischer Motivator.“317 Die in dieser Arbeit betrachteten Inszenierungen zeigen die Freiheit des Theaters und der Regisseure im Umgang mit einer Jelinek-Textfläche.318 Jelinek stellt die Theater mit ihrem jüngsten Theatertext vor ein Repräsentationsproblem: wer kann für wen sprechen und wie wird gesprochen? Dabei bedingt die Kunstsprache Jelineks geradezu die ‚Experten des Theaters’, die der deutschen Sprache mächtig sind. Nicolas Stemann bezieht aber auch „Laien mit ein, Migranten mit prekärem Status. Ein Kunstgriff in die Wirklichkeit.“319 316 Gindlstrasser, Theresa Luise: Aus dem Kreuz gefallen. (28.03.2015) In: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=10742:dieschutzbefohlenen-michael-thalheimer-inszeniert-die-oesterreichische-erstauffuehrung-desfluechtlings-stuecks-von-elfriede-jelinek-am-burgtheater-wien-mit-zeigefinger&catid=80:burgtheaterwien&Itemid=100190 Letzter Besuch: 19.12.2015. 317 Sperl, Gerfried: Die „Theaterfreiheit“ als politischer Motivator. In: Der Standard. 13.04.2015. S. 19. 318 Einen ganz eigenen Zugang wählte beispielsweise Oberhausens Intendant Peter Carp für sein Theater, indem er das ‚Wir’ des Jelinek-Textes schlichtweg in ein ‚Sie’ umschreibt, jedoch die, über die gesprochen wird, als stillen Flüchtlingschor auf die Bühne stellt. 91 In der österreichischen Erstaufführung schlug Michael Thalheimer einen entgegengesetzten Weg ein, um „[d]iese Zwickmühle [...] zu vermeiden [...] und [ergriff] die Flucht nach vorn: mit Volldampf in die Kunst.“320 So wählt Regisseur Nicolas Stemann eine opulente Umsetzung des Textes für die Uraufführung mit Videoeinspielungen und Musik-Livebands; er lässt die SchauspielerInnen ihre Texte vom Blatt lesen und „echte“ Flüchtlinge auftreten und stellt einen meterhohen wirkungsmächtigen Stacheldrahtzaun auf, führt Black-, White- und Redfacing auf der Bühne vor („rassistische Praxis als Kritik der rassistischen Praxis“321) und ironisiert ein Produzenten-Impro mit dem Casting eines dunkelhäutigen Schauspielers. In einer 3-Phasen-Regie wechseln sich die Textträger ab oder ergänzen sich; zu Beginn ist der Text aus dem Off zu hören, dann sprechen drei deutsche Thalia-Schauspieler, zu denen ein farbiger, gut deutsch sprechender Schauspieler hinzukommt, sowie zwei Schauspielerinnen, schließlich mischen sich die Gruppen und werden im zweiten Teil der Inszenierung vom Flüchtlingschor aus Asylsuchenden abgelöst: „[...] zahllose Szenen mit Kritik und Gegenkritik, Selbstkritik und Kritikkritik zum schutzbefohlenen Thema.“ 322 Nicolas Stemann nimmt das Dilemma des „Flüchtlings-Wir“ in seiner Uraufführung auf und hat „die Flüchtlingsproblematik mit ihrer (Nicht-) Darstellbarkeit im Repräsentationsmedium par excellence zu zusammengedacht.“ einer Art Metatheater des strukturellen Scheiterns 323 Der Regisseur Michael Thalheimer stützt sich hingegen in seiner ersten JelinekInszenierung und der österreichischen Erstaufführung auf die Kunst und inszeniert Die Schutzbefohlenen werktreu „ganz ohne postmoderne Ironisierung [...] im Wiener Burgtheater als düsteres Endzeitdrama.“324 Die Produktion von Thalheimer ist sehr textzentriert, jedoch stark verkürzt; er konzentriert sich auf Jelineks Kunstsprache, auf den Text und die SchauspielerInnen, die sich als kollektive Stimme formieren und als chorisches Wir auftreten. Die Frage nach der Repräsentation umgeht er, indem er sie gar nicht erst stellt: Jelineks Textcollage dient als Vorlage für das Theater und die Inszenierung zeigt, dass ein Text wie dieser für die SchauspielerInnen – also für die Experten des Theaters – gemacht ist; „[d]er 319 Villiger, Barbara: Das Nicken im Nacken. In: Neue Zürcher Zeitung. 31.03.2015. S. 20. Ebd. 321 Wille, Franz: Nur die ganze Welt. Juli 2014. In: http://www.kultiversum.de/Theaterheute/Theaterder-Welt-Mannheim-2014.html Letzter Besuch: 14.12.2015. 322 Ebd. 323 Wahl, Christine: An der Wir-Basis. In: Theater Heute Magazin. Februar 2015. S. 10-13, hier S. 10. 324 Cerny, Karin: Achtung, die Menschenwürde (30.03.2015). 320 92 Regisseur vertraut [...] ganz auf die Kraft der Worte und ein virtuoses StarEnsemble.“325 Der Refugee-Hype an den deutschsprachigen Theatern fördert einerseits die Empathie des Publikums, verlangt ihm gleichzeitig aber auch eine Haltung ab. Stemanns Zugang über die Reflexion ist eine große Stärke seiner Uraufführung. Die ZuschauerInnen werden bei ihm zur Selbstbefragung angeregt, hier ist ein politischer Aktivismus spürbar; hingegen liegt die Stärke bei Thalheimers Inszenierung in der Perfektion, aber auch in einer zynischen Ehrlichkeit, wobei am Schluss auf der Bühne und im Publikum ein Gefühl von Resignation vor der politischen Dimension des Themas vorherrscht. Thalheimers Inszenierung wirkt oberflächlicher, wobei das durchaus bewusst geschehen kann und damit etwas provoziert wird. Immer schon werden im Theater „wahre“ Themen verhandelt, aber eben nur stellvertretend; wie das im Fall der Flüchtlingsproblematik zu lösen ist, steht weiterhin offen. Es entsteht dort ein Bedeutungsraum, bei vielen AkteurInnen und RegisseurInnen herrscht ein Gefühl vor, „dass hier etwas geschieht, wofür das Theater wirklich gebraucht wird“326. Die vielen Facetten in Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek, denen im Rahmen dieser Untersuchung längst nicht allen nachgegangen werden konnte, bergen noch großes Potential für weitere Auseinandersetzungen. 325 326 Ebd. Michalzik, Peter: Eine Frage des Taktes. In: Theater Heute Magazin. Dezember 2015. S. 1. 93 8 Bibliographie 8.1 Primärliteratur Jelinek, Elfriede: Die Schutzbefohlenen. www.elfriedejelinek.com datiert mit 14.06.2013 / 08.11.2013 / 14.11.2014 (=Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: Theater) Letzter Besuch: 13.11.2015. Jelinek, Elfriede: Die Schutzbefohlenen, Appendix. www.elfriedejelinek.com datiert mit 18.09.2015 (=Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: Theater). Letzter Besuch: 10.11.2015. Jelinek, Elfriede: Die Schutzbefohlenen, Coda. www.elfriedejelinek.com datiert mit 29.09.2015 / 07.10.2015 (=Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: Theater). Letzter Besuch: 10.11.2015. Jelinek, Elfriede: Ein Sportstück. Rowohlt. Reinbek: 1999. 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Mitschnitt: Diskussionsveranstaltung zu Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen am 22. Oktober 2015, organisiert von der Forschungsplattform Elfriede Jelinek: Texte – Kontexte – Rezeption der Universität Wien und dem Elfriede JelinekForschungszentrum. https://www.youtube.com/watch?v=j8jTsULi59c Letzter Besuch: 11.12.2015. Perchinig, Bernhard: Migration, Migrationstheorie, Migrationspolitik in Europa. S. 6ff In: http://www.menschen-leben.at/asyl/asyl-in-osterreich/ Letzter Besuch: 16.09.2015. 104 Pichler, Petra: Blitzeinbürgerung von Jelzins Tochter. (24.04.2013) In: Ö1 http://oe1.orf.at/artikel/338229 Letzter Besuch: 14.11.2015. Podiumsdiskussion am Thalia Theater „Was darf die Kunst? Was darf die Gesellschaft?“ https://www.youtube.com/watch?v=xHKyuw7ttYM (Minute 37). Letzter Besuch: 26.07.2015. Schößler, Franziska: Dramatik/Postdramatik, Theatralität und Installation: Elfriede Jelineks begehbare Landschaften. In: Forschungsprojekt „Sinn egal. Körper zwecklos“ Postdramatik - Reflexion&Revision. Forschungsplattform Elfriede Jelinek https://fpjelinek.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/proj_ejfz/PDFDownloads/Schößler.pdf Letzter Zugriff: 29.09.2015. Stemann, Nicolas: im Gespräch mit Monika Meister. „Wie die Frauen wollen die Texte ja umworben werden“ (25.04.2015). Interdisziplinäres Symposium des Jelinek-Forschungszentrum: KAPITAL MACHT GESCHLECHT. Künstlerische Auseinandersetzungen mit Ökonomie & Gender https://www.youtube.com/watch?v=H1OiSFa4mkk Letzter Besuch: 11.12.2015. Still, William: Underground Railroad Records. 1872. https://archive.org/stream/undergroundrailr00stil#page/102/mode/2up Letzter Besuch: 16.11.2015. Süselbeck, Jan: Montagen gegen den Bilder-Terror. Ein kleiner Streifzug durch die Geschichte künstlerischer und wissenschaftlicher Kritik an der Macht audiovisueller Kriegspropaganda: Bertolt Brecht, Elfriede Jelinek, Gerhard Paul. http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=15976 Letzter Besuch: 01.12.2015. Tartarotti, Guido: Lass mich beweinen: Formschöne Frage nach dem Erbarmen. In: Kurier Online (29.03.2015) http://kurier.at/kultur/die-schutzbefohlenen-lass-michbeweinen-formschoene-frage-nach-dem-erbarmen/122.115.145 Letzter Besuch: 19.12.2015. 105 Thalia Theater: Regie Nicolas Stemann. http://www.thalia-theater.de/de/regie/nicolas-stemann/ Letzter Besuch: 11.12.2015. Thalia Theater: Spielplan – Archiv „Die Schutzbefohlenen“. http://www.thalia-theater.de/de/extra/archiv/lesung-elfriede-jelinek-dieschutzbefohlenen/ Letzter Besuch: 17.11.2015. Thalia Theater: Spielplan – Archiv „Urlesung Die Schutzbefohlenen“ http://www.thalia-theater.de/de/extra/archiv/lesung-elfriede-jelinek-dieschutzbefohlenen/ Letzter Besuch: 08.12.2015. Thalia Theater: Spielplan – Repertoire. Die Schutzbefohlenen. http://www.thaliatheater.de/de/spielplan/repertoire/die-schutzbefohlenen/ Letzter Besuch: 22.11.2015. The UN Refugee Agency: Wer ist ein Flüchtling? http://www.unhcr.at/mandat/questions-und-answers/fluechtlinge.html Letzter Besuch: 29.01.2016. Treibel, Annette: Migration in modernen Gesellschaften. Weinheim 2003. S. 21. In: http://www.menschen-leben.at/asyl/asyl-in-osterreich/ Letzter Besuch: 16.09.2015. Video der Urlesung von Schauspielern des Thalia Theaters Hamburg gemeinsam mit Flüchtlingen. https://www.youtube.com/results?search_query=urlesung+schutzbefohlenen Letzter Besuch: 17.11.2015. wien.orf.at: Jelinek erweitert Flüchtlingswerk mit Texten http://wien.orf.at/news/stories/2734387/ Letzter Zugriff: 04.10.2015. Wille, Franz: Nur die ganze Welt. (Juli 2014) In: http://www.kultiversum.de/Theaterheute/Theater-der-Welt-Mannheim-2014.html Letzter Besuch: 14.12.2015. 106 9 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Abbildung flüchtiger Sklaven. http://204.200.212.100/ej/schutzbefohlene.jpg Letzter Besuch: 28.11.2015. Abb. 2: Schutzbefohlene http://204.200.212.100/ej/schutzbefohlene7.jpg Letzter Besuch: 28.11.2015. Abb. 3: Pressekonferenz. http://204.200.212.100/ej/schutzbefohlene16.jpg Letzter Besuch: 28.11.2015. Abb. 4: Ansprache eines Geistlichen. http://204.200.212.100/ej/schutzbefohlene15.jpg Letzter Besuch: 28.11.2015. Abb. 5: Schutzbefohlene auf einem übervollen Boot. http://204.200.212.100/ej/schutzbefohlen12.JPG Letzter Besuch: 28.11.2015. Abb. 6: Flüchtlinge in Rözske http://204.200.212.100/ej/fluechtlinge-in-roszke-b.JPG Letzter Besuch: 28.11.2015. Abb. 7: Syrische Flüchtlinge in Edirne. http://204.200.212.100/ej/syrische-fluechtlinge-in-edirne-2.JPG Letzter Besuch: 28.11.2015. Abb. 8: Bootflüchtlinge im Mittelmeer http://204.200.212.100/ej/bootsfluechtlinge-mittelmeer-680.JPG Letzter Besuch: 28.11.2015. Abb. 9: Kleines Boot mit Flüchtlingen http://204.200.212.100/ej/bootsfluechtlinge-mittelmeer-kleines-boot.JPG Letzter Besuch: 28.11.2015. 107 Abb. 10: römische Meister 125 v. Chr. http://204.200.212.100/ej/Roemischer_Meister_um_125_v._Chr._680-wikipedia.JPG Letzter Besuch: 28.11.2015. Abb. 11: Drei weiße Thalia-Schauspieler vor den weißen Lettern. Die Schutzbefohlenen. Regie Nicolas Stemann. Thalia Theater. Foto: Krafft Angerer. http://www.thalia-theater.de/ufile/df6220dd11.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 12: Rückzug der SchauspielerInnen hinter den Zaun. Die Schutzbefohlenen. Regie Nicolas Stemann. Thalia Theater. Foto: Krafft Angerer. http://www.thalia-theater.de/ufile/b9fab685bf.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 13: SchauspielerInnen in Abendroben und Flüchtlinge in Ganzkörperoveralls. Die Schutzbefohlenen. Regie Nicolas Stemann. Thalia Theater. Foto: Krafft Angerer. http://www.thalia-theater.de/ufile/c6f9c0223f.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 14: Wir sind Pöseldorf. Die Schutzbefohlenen. Regie Nicolas Stemann. Thalia Theater. Foto: Krafft Angerer. http://www.thalia-theater.de/ufile/b7e79679c4.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 15: Netrebko verabschiedet sich. Die Schutzbefohlenen. Regie Nicolas Stemann. Thalia Theater. Foto: Krafft Angerer. http://www.thalia-theater.de/ufile/a809d92258.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 16: Foto Freeze Moment. Die Schutzbefohlenen. Regie Nicolas Stemann. Thalia Theater. Foto: Krafft Angerer. http://www.thalia-theater.de/ufile/f6230e06de.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 17: Flüchtlingschor. Die Schutzbefohlenen. Regie Nicolas Stemann. Thalia Theater. Foto: Krafft Angerer. http://www.thalia-theater.de/ufile/36a287839f.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. 108 Abb. 18: Schutzbefohlene spielen Die Schutzbefohlenen. Foto © Schweigende Mehrheit / Daniel Partke. http://www.schweigendemehrheit.at/12-9-arena-wienschutzbefohlene-spielen-jelinek/ Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 19: Meterhohes beleuchtetes Kreuz im Bühnenhintergrund mit schwarzer Gestalt und Spiegelung am gefluteten Bühnenboden. Die Schutzbefohlenen. Burgtheater, Inszenierung: Michael Thalheimer, 2015. Foto: Reinhard Werner. http://www.burgtheater.at/GenticsImageStore/640/400/prop/Content.Node2/bilder/in szenierung/Schutzbefohlenen_01s-001.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 20: SchauspielerInnen im Bühnenhintergrund, geflutete Bühne. Die Schutzbefohlenen. Burgtheater, Inszenierung: Michael Thalheimer, 2015. Foto: Reinhard Werner. http://www.burgtheater.at/GenticsImageStore/640/400/prop/Content.Node2/bilder/in szenierung/Schutzbefohlenen_88s-088.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 21: SchauspielerInnen an Bühnenrampe mit Plastiksackmasken in den Händen. Die Schutzbefohlenen. Burgtheater, Inszenierung: Michael Thalheimer, 2015. Foto: Reinhard Werner. http://www.burgtheater.at/GenticsImageStore/640/400/prop/Content.Node2/bilder/in szenierung/Schutzbefohlenen_17s-017.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 22: Netrebko in Abendkleid an Bühnenkante. Die Schutzbefohlenen. Burgtheater, Inszenierung: Michael Thalheimer, 2015. Foto: Reinhard Werner. http://www.burgtheater.at/GenticsImageStore/640/400/prop/Content.Node2/bilder/in szenierung/Schutzbefohlenen_1_42s.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. Abb. 23: Solist löst sich aus choreografierten Chor-Masse. Die Schutzbefohlenen. Burgtheater, Inszenierung: Michael Thalheimer, 2015. Foto: Reinhard Werner. http://www.burgtheater.at/GenticsImageStore/640/400/prop/Content.Node2/bilder/in szenierung/Schutzbefohlenen_22s-022.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. 109 Abb. 24: Chor-Kollektiv mit Masken. Die Schutzbefohlenen. Burgtheater, Inszenierung: Michael Thalheimer, 2015. Foto: Reinhard Werner. http://www.burgtheater.at/GenticsImageStore/640/400/prop/Content.Node2/bilder/in szenierung/schutzbefohlenen_1_05s.jpg Letzter Besuch: 19.12.2015. 110 10 Abstract Deutsch Die österreichische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek nahm 2012 die Proteste von Refugees und deren UnterstützerInnen vor und in der Votivkirche in Wien zum Anlass für ihren Theatertext Die Schutzbefohlenen. Diesen hat Jelinek mit Form und Motiven des antiken Dramas Die Schutzflehenden von Aischylos – das lässt bereits der Titel des Stücks erkennen – sowie mit existenzphilosophischen Motiven verschränkt. Nach den Ereignissen vor Lampedusa im Jahr 2013 und zahlreichen medialen Debatten zur Flüchtlingssituation in Europa, hat die Autorin ihre Textfläche mehrmals überarbeitet und erweitert. Im Stück verhandelt Jelinek Asylrechtsmissstände in Europa sowie die mediale Berichterstattung darüber. Der Fokus liegt einerseits auf der Arbeitstechnik der Schriftstellerin für das Theater, ihrem politischen Schreiben und dem Verhältnis von Theater und Wirklichkeit in ihren Texten und andererseits auf den konkreten Verfahren und Mitteln der Umsetzung für das Medium Theater durch die Regisseure Nicolas Stemann (Uraufführung in Deutschland) und Michael Thalheimer (Heimholung nach Wien). Der Theaterregisseur und Jelinek-Kenner Nicolas Stemann und Michael Thalheimer, Regisseur mit Schwerpunkt auf antiken Dramen, brachten Die Schutzbefohlenen auf ganz unterschiedliche Weise auf die Bühne. Anhand der Schutzbefohlenen lässt sich eine Problematik, die in den Fachzeitschriften der letzten Jahre immer wieder aufgekommen ist, hingegen in einer theoretischen Aufarbeitung vergleichsweise wenig präsent war, diskutieren: Wer spricht? Welche SprecherInneninstanzen gibt es? Und wer (re-)präsentiert am Theater wann wen in welchem Kontext? 111 11 Abstract English The Austrian writer and Nobel Prize winner Elfriede Jelinek took the protests of Refugees and supporters before and in the Votive Church in Vienna in 2012 as an opportunity for her theatre text Die Schutzbefohlenen. Jelineks text has crossed in shape and featuring the ancient drama The suppliants of Aeschylus. This already indicates the title of the piece. In addition, philosophical motives are processed in the theatre text. After the events in front of Lampedusa in 2013 and numerous media debates on the refugee situation in Europe, the author repeatedly revised and expanded her theatre text. Jelinek negotiates with her text asylum abuses in Europe and the inclusion and exclusion mechanisms in the context of migration and its media coverage. On the one hand the focus is on the working technique of Elfriede Jelinek for the theatre, her political writing and the relationship between theatre and reality in her lyrics and on the other hand on the specific methods for the medium theatre by directors Nicolas Stemann (premiere in Germany) and Michael Thalheimer (repatriation to Vienna). The theatre director and Jelinek connoisseur Nicolas Stemann and Michael Thalheimer brought Die Schutzbefohlenen in very different ways on the stage. Based on a repeatedly issue in the journals of the past years this master thesis asks: Who is speaking? Which instances of voices are there? And who presents whom in which context in the theatre? 112