Kapitel 11— Beweisführung Kapitel 11— Beweisführung Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 125 / 254 Kapitel 11— Beweisführung Grundsätzlich: ein mathematischer Satz ist eine Aussage der Form wenn ” . . . gilt, dann gilt . . .“, d.h. aus gewissen Aussagen - den sog. Voraussetzungen - wird eine andere Aussage - die sog. Behauptung logisch deduziert. Bezeichnung dieses Vorganges: Beweis. Kurzschreibweise: A =) B, A: Voraussetzung, B: Behauptung, Bezeichnung: Implikation Aufgabe des Beweises: Nachweis der Gültigkeit einer Implikation mit Mitteln der Logik (und nur diesen) A =) B und B =) A: A () B Äquivalenz von Aussagen. 2 Aussagen: Hin- und Rückrichtung. Zum Nachweis einer Implikation gibt es verschiedene Mechanismen, wir nennen sie Beweisprinzipien, auch Beweismethoden. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 126 / 254 Kapitel 11— Beweisführung Direkter Beweis: Bei dieser Beweisform versuchen wir, aus einer Voraussetzung A durch eine Kette von Implikationen eine Behauptung B nachzuweisen: A =) A1 , A1 =) A2 , ..., An 1 =) An , An =) B. Kurz schreiben wir dafür: A =) A1 =) . . . =) An =) B. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 127 / 254 Kapitel 11— Beweisführung Beispiel: Teilbarkeitsregel für n = 3: A: 3 ist Teiler der Quersumme q einer Zahl n 2 n. Die Zahl n bestehe aus den m + 1 Zi↵ern am am =) B: 3 ist Teiler von 1 . . . a1 a0 . Dann ist n = a0 + 10 · a1 + 100 · a2 + . . . + 10m · am = (a0 + a1 + a2 + . . . + am ) + 9 · a1 + 99 · a2 + . . . (10m 1) ·am , | {z } | {z } =q | {z m Neunen } =s also ist n Summe aus der eigenen Quersumme q und einer durch 3 teilbaren Restsumme s. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 128 / 254 Kapitel 11— Beweisführung A: 3 ist Teiler der Quersumme q einer Zahl n = q + s 2 + A1 : n ist Summe zweier durch 3 teilbarer Zahlen + B: 3 ist Teiler von n. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man viel Arbeit in die Umformulierung der Ausgangsaussage(n) A steckt. Die Beweiskette als solche kann dann (wie hier) recht kurz sein. Aufgabe: Welche Modifikationen sind notwendig, um die Teilbarkeitsregel für die Zahl 9 zu beweisen? Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 129 / 254 Kapitel 11— Beweisführung Beweis durch Kontraposition Man nutzt zum Beweis der Implikation A =) B eine äquivalente Formulierung aus: Ist die Aussage B nicht richtig, dann kann A auch nicht richtig sein. Kurz schreiben wir: ¬B =) ¬A. ¬“ heißt dabei Negation. ” Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 130 / 254 Kapitel 11— Beweisführung Wir behaupten, dass für eine Zahl p 2 gilt: A : p2 ist eine gerade Zahl =) B : p ist eine gerade Zahl. Beweis: Wir zeigen ¬B =) ¬A: =) =) ¬B : p ist eine ungerade Zahl A1 : Es ex. eine Zahl n 2 A2 : p2 = 4n2 so, dass gilt: p = 2n 4n + 1 = 2m + 1, m = 2n2 =) ¬A : p2 ist eine ungerade Zahl 1 2n 2 Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 131 / 254 Kapitel 11— Beweisführung Wir behaupten, dass für beliebige Zahlen x, y 2 gilt: A : x2 + y 2 = 0 () B : x = 0 ^ y = 0. (=: O↵enbar ist für x = y = 0 auch x2 + y 2 = 0. =): Statt A =) B zeigen wir: ¬B =) ¬A. Dann gilt: ¬B : x 6= 0 _ y 6= 0. Ist x 6= 0, dann ist x2 > 0. Ist y 6= 0, dann ist y 2 > 0. In beiden Fällen ist x2 + y 2 > 0, also x2 + y 2 6= 0, was gerade Aussage ¬A entspricht. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 132 / 254 Kapitel 11— Beweisführung Widerspruchsbeweis, indirekter Beweis“ Prinzip eines Widerspruchsbeweises zum Nachweis von A =) B: Annahme: Aussage A gilt, aber die Aussage B nicht. Daraus folgert man so lange weitere Aussagen, bis man auf eine Aussage stößt, von der man definitiv weiß, dass sie falsch ist (0 > 1, 1 = 0 etc.) Da die Voraussetzung A richtig war, kann somit die zweite Voraussetzung ¬B nicht richtig gewesen sein, also gilt sowohl A als auch B. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 133 / 254 Kapitel 11— Beweisführung p Wir behaupten: B: 2 ist nicht rational, d.h. es existieren keine p teilerfremden Zahlen p, q 2 mit 2 = p/q, d.h. A : p, q sind beliebige teilerfremde Zahlen aus =) B : p p 6= 2 q Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 134 / 254 Kapitel 11— Beweisführung Wir nehmen an, es gelten A und ¬B, also: p A ^ ¬B : 2 = p/q mit teilerfremden Zahlen p, q 2 =) A1 : p 2 = 2 q 2 =) A2 : p2 ist eine gerade Zahl =) A3 : p ist eine gerade Zahl, p = 2 · m, m 2 =) A4 : p2 = 4 · m2 =) A5 : p 2 = 4 · k = 2 · q 2 , q 2 = 2 · k =) A6 : q 2 ist eine gerade Zahl =) A7 : q ist eine gerade Zahl, q = 2 · m̃, m̃ 2 =) A8 : p und q sind durch 2 teilbar, also nicht teilerfremd! Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 135 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Kapitel 12— Vollständige Induktion Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 136 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Wir betrachten Aussagen A(n), d.h. Aussagen, die von einer Zahl n 2 N abhängen, wie etwa: 1 2 3 n3 n ist für alle n 2 N durch 3 teilbar. Pn n (n+1) , n 2 N. k=1 k = 2 (1 + x)n (1 + x)n , R 3 x 1, n 2 N0 . Für jedes zugelassene n liefert A(n) stets eine andere Aussage. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 137 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Überlegung Nehmen wir an, A(n) erweise sich als richtig für irgendein (erstes) n0 2 N0 . Kann man dann allgemein mit einer unserer bekannten Beweismethoden zeigen, dass die Aussage A(n) stets die Aussage A(n + 1) impliziert, so hätten wir insgesamt folgende Implikationskette: A(n0 ) =) A(n0 + 1) =) A(n0 + 2) =) . . . Also gilt die Aussage A(n) für alle natürlichen Zahlen n0 , n0 + 1, n0 + 2, . . .. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 138 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Beweisprinzip Prinzip der vollständigen Induktion 1 Induktionsanfang, Induktionsverankerung: Es gibt ein n0 2 N0 so, dass A(n0 ) wahr ist 2 Induktionsvoraussetzung: Annahme: A(n) ist wahr (n n0 ) 3 Induktionsschluss: Zeige: A(n) =) A(n + 1) Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 139 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Warum ist ein solches formales Beweisverfahren überhaupt wichtig? (1) Betrachten wir den Ausdruck n2 + n + 41 (n 2 N0 ) und notieren die Ergebnisse für n = 0, . . . , 35: n n2 + n + 41 0 41 1 43 2 47 3 53 4 61 5 71 6 83 7 97 29 911 ... ... 35 1301 Das Ergebnis ist stets eine Primzahl. Wir vermuten, dass der Ausdruck für alle n 2 N0 eine Primzahl ergibt und formulieren die Aussage: Für n 2 N0 liefert der Ausdruck n2 + n + 41 stets eine Primzahl! Aber: Die Aussage ist falsch. Tatsächlich liefert n2 + n + 41 nur für n = 0, . . . , 39 eine Primzahl. Für n = 40 ist 402 + 40 + 41 = 412 , also keine Primzahl. Für n = 41 ist die Teilbarkeit durch 41 ohnehin klar! Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 140 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion (2) Die Behauptung, dass der Ausdruck 2p 1 1 für Primzahlen p nicht durch p2 teilbar ist, bestätigte sich tatsächlich schnell für p < 1000. Erst für p = 1093 erweist sie sich als falsch! Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 141 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Wir behaupten, es gilt für alle n 2 N: n X k= k=1 Induktionsanfang: O↵enbar ist A(1) wahr: n(n + 1) . 2 P1 k=1 k ! 1·2 2 . =1= Wir setzen nun A(n) als wahr voraus (Induktionsvoraussetzung). Dann ist zu zeigen (Induktionsschluss): A(n + 1) ist wahr, d.h. n+1 X k=1 k= (n + 1)(n + 2) . 2 Dies beweisen wir nun unter Verwendung von A(n): n+1 X k=1 k =n+1+ n X k=1 A(n) n(n + 1) = 2 ⇣n ⌘ (n + 1) +1 = 2 k = n+1+ (n + 1)(n + 2) . 2 Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 142 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Bemerkung (1) Technisch betrachtet liegt die Kunst“ des Beweisverfahrens darin, die ” zu beweisende Aussage A(n + 1) so umzuformulieren, dass die Voraussetzung A(n) angewendet werden Pn+1kann. Einfach fällt dies Pnim Falle von Aussagen über Summen, da in k=1 (·) stets die Summe k=1 (·) enthalten ist, auf die dann die Voraussetzung angewendet wird. Im allgemeinen Fall muss man in die Umformulierung von A(n + 1) u. U. viel Arbeit hineinstecken, damit A(n) angewendet werden kann. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 143 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Bemerkung (2) Beim Induktionsanfang handelt es sich häufig um eine Trivialität, und die eigentliche Rechen- und gedankliche, kreative Leistung steckt im Induktionsschluss. Der Induktionsanfang ist dennoch sehr wichtig und darf nicht vergessen werden, sonst ist es möglich, falsche Aussagen zu beweisen“. ” Beispiel A(n): Jede natürliche Zahl ist gleich ihrem Nachfolger, d.h. n = n + 1 (Beh.) ! Induktionsschluss: A(n): n = n + 1 =) A(n + 1): n + 1 = n + 2. Aus n = n + 1 erhält man durch Addition von 1 auf jeder Seite A(n + 1) : n + 1 = n + 2. Aber: A(1), d.h. die Aussage 1 = 1 + 1, ist (zum Glück) nicht nachweisbar! Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 144 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Beispiel Die (häufig benutzte) Bernoullische Ungleichung lautet: (1 + x)n 1 + n · x, I-Anfang: Für n = 0 ist (1 + x)0 = 1 1, n 2 N0 . x 1 + 0 · x. I-Schluss: z.z.: A(n) =) A(n + 1) : (1 + x)n+1 (1 + x)n+1 = (1 + x)n (1 + x) x 1 (1 + n · x) (1 + x) = 1 + (n + 1) · x + n · x}2 | {z 0 1 + (n + 1) · x. 1 + (n + 1) · x. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 145 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Behauptung: Für n 2 N ist der Ausdruck n3 n stets durch 3 teilbar. (Bem.: Es ist auch n5 n durch 5 und n7 n durch 7 teilbar. Aber die Vermutung, für ungerades k ist nk n stets durch k teilbar, ist falsch, denn 29 2 = 510 ist nicht durch 9 teilbar. Leibniz, 17. Jh.) I-Anfang: Für n = 1 ist 13 1 = 0 und somit (ohne Rest) durch 3 teilbar. I-Schluss: z.z.: A(n) =) A(n + 1) : (n + 1)3 (n + 1) ist durch 3 teilbar. (n + 1)3 1 = (n3 (n + 1) = n3 + 3n2 + 3n + 1 n n) + 3n2 + 3n. Also ist gemäß Induktionsvoraussetzung (n + 1)3 (n + 1) Summe von drei durch 3 teilbaren Ausdrücken, also durch 3 teilbar. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 146 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Die Summe der ersten n ungeraden Zahlen ist n2 , d.h. n X (2i 1) = n2 . i=1 P1 1) = 1 = 12 . Pn+1 I-Schluss: z.z.: A(n) =) A(n + 1) : 1) = (n + 1)2 i=1 (2i I-Anfang: Es gilt für n = 1: n+1 X i=1 (2i 1) = n X (2i i=1 (2i 1) + 2(n + 1) 1 = n2 + 2n + 1 = (n + 1)2 . i=1 Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 147 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Die folgenden Aussagen sind typisch für einen Induktionsbeweis. Beispiele 12.2 (Summen, Gleichungen) 1. Für alle n 2 2. Für alle n 2 3. Für alle n 2 4. Für alle n 2 0 gilt n X k= k=0 0 gilt n X n(n + 1) . 2 qk = q n+1 1 . q 1 k2 = n(n + 1)(2n + 1) . 6 k3 = n2 (n + 1)2 . 4 k=0 0 gilt n X k=0 0 gilt 5. Es gilt (x + y)n = n X k=0 n ✓ ◆ X n k=0 k xk y n k für alle n 2 0. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 148 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Beispiele 12.3 (Ungleichungen) 1 eine feste reelle Zahl. Dann gilt: Für alle n 2 6. Es sei x > (1 + x)n 1 + nx 7. Ist x 6= 0 so gilt 6. mit “>” für alle n 2 8. Es sei p 9. Es sei p ist 2. Dann gilt: Für alle n 2 3. Dann gilt: Für alle n 2 10. Für alle n 2 11. Für alle n 2 5 ist 2. ist pn ist pn n. n2 . gilt 2n > n2 . 135 246 · · · 2n2n 1 p 1 . 3n+1 Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 149 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Beispiele 12.4 (Teilbarkeit) 12. 3 teilt 13n + 2 für alle n 2 13. 3 teilt 22n+1 14. 6 teilt n3 . + 1 für alle n 2 n für alle n 2 0. 0. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 150 / 254 Kapitel 12— Vollständige Induktion Beispiele 12.5 (Ableitungen) 15. Es ist f (x) = x 1 x. 16. Für alle n 2 0 n! für alle n 2 (1 x)n+1 xn , dann ist f 0 (x) = nxn 1 . Dann ist f (n) (x) = gilt: Ist f (x) = . 2 17. Es sei f (x) = e x . Dann gilt: Für alle n 2 0 gibt es ein Polynom 2 pn vom Grad n, so dass f (n) (x) = pn (x)e x . 1 ( 1)n n!an 18. Es sei f (x) := . Dann ist f (n) (x) = für alle ax + b (ax + b)n+1 n 2 0. 19. Es sei f (x) = sin(ax) + cos(bx). Dann ist für alle n 2 0 f (n) (x) = an sin ax + n ⇡2 + bn cos bx + n ⇡2 . Z x n 20. Es sei fn (x) = x . Dann ist fn (x) dx = fn (x) + c für alle n+1 n 2 0. Mathematischer Vorkurs – TU Dortmund Seite 151 / 254