Fundamentale Gesetze der Mechanik

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2.5 Die fundamentalen Gesetze der Mechanik
2.5.1 Einleitung
Die mit soviel Muhe und mathematischem Aufwand denierten kinematischen Grossen Ort ~r,
Geschwindigkeit ~v und Beschleunigung ~a beschreiben den Bewegungsablauf quantitativ und
vollstandig. Wir konnen sie im Einzelfall messen, wie wir dies z. B. bei der Bewegung des
Reiters auf der Luftkissenschiene getan haben. Mit dem Sammeln von Daten wollen wir uns
aber nicht begnugen. Als \homo sapiens" fragen wir nach der Ursache eines bestimmten Bewegungsablaufs. Wir suchen das dynamische Gesetz, mit dessen Hilfe die Bewegungen erklart
und die kinematischen Grossen berechnet werden konnen. Dazu benotigen wir neue Begrie.
Es sind dies Kraft und Masse.
In der historischen Perspektive benden wir uns etwa an dem Punkt, an dem sich Isaac
Newton [1643 ; 1727] befand am Anfang seiner Forschertatigkeit. Die Beobachtungen der Astronomen Tycho Brahe [1546 ; 1601] und Nikolaus Kopernikus [1473 ; 1543] waren durch Johannes
Kepler [1571 ; 1630] interpretiert worden und fuhrten zu den Kepler'schen Gesetzen uber Planetenbahnen. Galileo Galilei's Untersuchungen zum freien Fall und zur Pendelbewegung, boten
Newton die Moglichkeit uber die quantitative Beschreibung der Bewegung hinauszugehen und
nach den Ursachen zu forschen.
Kraft und Masse sind Grossen, die sich nicht in einigen wenigen Satzen denieren lassen.
Wir fuhren sie vielmehr auf Grund unserer taglichen Erfahrung in einem mehr oder weniger
anthropomorphen Sinne ein, um sie anschliessend, verallgemeinernd, als etwas Gegebenes zu
akzeptieren.
Subjektiv sprechen wir von wirkenden Kraften, wenn wir unsere Muskeln spannen, wenn wir
Korper deformieren, wenn wir ruhende Korper in Bewegung bringen. Die subjektive Erfahrung
zeigt uns ferner, dass Krafte eine Grosse bzw. eine Starke besitzen und dass ihre Wirkung
gerichtet ist. Einfache Beobachtungen verdeutlichen dies:
i) Wir dehnen eine elastische Feder mit Hilfe von Kraften. Wir vermuten sogar, dass in guter
Naherung die Verlangerung proportional der Grosse der Kraft ist. Wir vermuten ein
lineares Kraftgesetz:
Kraft / Federauslenkung
ii) Wir beschleunigen einen ruhenden Korper, wenn wir eine Kraft anbringen. Wir vermuten
hier einen quantitativen Zusammenhang zwischen der Starke der Kraft und der Beschleunigung. Der einfachste Zusammenhang ware die Proportionalitat:
Kraft / Beschleunigung
Oensichtlich hangt die Richtung der Geschwindigkeit und die der Beschleunigung davon
ab, in welcher Richtung wir unsere Kraft wirken lassen. Fur die Denition der Kraft
ist also neben der Grosse auch deren Richtung wichtig. Kraft wird vermutlich auch eine
Vektorgrosse sein.
iii) Wenn wir zwei verschieden grosse Korper aus gleichem Material so in Bewegung versetzen,
dass die Beschleunigungen gleich sind, so sind die benotigten Krafte verschieden. Wir
2.25
erklaren diese Beobachtung wie folgt: jeder Korper hat eine bestimmte Tragheit, die wir
durch eine skalare Grosse, die Masse, charakterisieren. Bei gegebener Beschleunigung ist
die benotigte Kraft klein, wenn die Masse klein ist, und gross, wenn die Masse gross ist. Wir
vermuten, dass Kraft, Masse und Beschleunigung in einem gesetzmassigen, funktionalen
Zusammenhang stehen:
Kraft / Masse
Die Tragheit des Korpers scheint unabhangig davon zu sein, in welcher Richtung die Kraft
wirkt, d. h. die physikalische Grosse Masse ist vermutlich eine skalare Grosse.
Was wir suchen, ist eine quantitative Formulierung der obigen qualitativen Befunde und
damit des dynamischen Bewegungsgesetzes. Unsere Vorstellung uber Krafte ist allerdings noch
zu rudimentar und zu subjektiv, um dies durchzufuhren. Der Kraftbegri muss objektiviert und
verfeinert werden. Dazu lassen wir uns wieder einzig von experimentellen Erkenntnissen fur das
weitere Vorgehen leiten.
i) Zwei Objekte, die aufeinanderstossen, andern ihre Geschwindigkeit, d. h. sie werden be-
schleunigt. Wenn es sich um Billardkugeln handelt, werden wir vor und nach dem Stoss
keinen Unterschied an den Kugeln feststellen, aber wir vermuten dennoch, dass wahrend
des Stosses eine von uns nicht beobachtbare kleine Deformation der Kugel auftritt, die
Kugel nach dem Stoss wieder ihre alte Form zuruckgewinnt. Wir assoziieren die Geschwindigkeitsanderung mit dieser elastischen Deformationskraft. Die Existenz dieser Kraft ist
fur jedermann beobachtbar (siehe Abbildung 2.20), also nicht an unsere subjektiven Erfahrungen gebunden. Es muss also moglich sein, Krafte auch objektiv zu fassen.
ii) Bis jetzt haben wir Krafte und ihre Wirkung verbal umschrieben. Wir mochten aber den
Kraftbegri quantitativ fassen. Wir gehen schrittweise vor. Wir denken uns einen starren
Korper, der unter diversen Krafteinwirkungen steht (siehe Abbildung 2.21). Wir drucken
ihn mit den Handen, ein Hammer schlagt auf oder wir lagern ihn auf Federn. In der
Umgangssprache ausgedruckt wirken \Muskelkrafte", \Stosskrafte" und \Federkrafte".
Nun nehmen wir an, dass die hochst komplizierten Kraftwirkungen in Einzelkrafte zerlegt
werden konnen, und dass jede Einzelkraft physikalisch aquivalent durch einen gespannten
Faden (entsprechend einer eindimensionaler Feder) in einer bestimmten Richtung und mit
einem bestimmten Angrispunkt ersetzt werden darf, wie bei Marionetten. Mit anderen
Worten, die verschiedenen Krafte werden in einem ersten Schritt durch entsprechende
Zugkafte ersetzt, anstelle der Hande, des Hammers und der Stutzfedern wirken Faden
und dazu gehorende Fadenkrafte. In einem zweiten Schritt denken wir die Faden ersetzt
durch abstrakte Symbole F~ , die wir Kraftvektoren nennen, deren Lange, Richtung und Angrispunkt die physikalische Wirkung von Faden reprasentieren. Die Lange entspricht der
Zugkraft des Fadens und die Angrispunkte von Kraftvektoren und Faden sind identisch.
i
Kraftvektoren sind quantitative Grossen, durch Vergleich mit einem geeigneten Standard
konnen Krafte miteinander verglichen werden. Starke und Richtung konnen experimentell bestimmt werden, sobald wir uber eine geeignete Krafteinheit verfugen.
2.26
Stoss zweier Kugeln
0
0.4
x
[m]
v
m
[s]
-0.1
0
-0.2
-0.4
0
0.5
1.0
0
t
0.5
1.0
t
0
a
[ sm2 ]
-2
F
[N]
-4
-4
-6
-6
0
-2
0
0.5
1.0
t
0
0.5
1.0
t
Abbildung 2.20: Ort (oben, links), Geschwindigkeit (oben, rechts), und Beschleunigung (unten,
links) einer Kugel beim Stoss mit einer zweiten als Funktion der Zeit. Nur wahrend des Stosses,
bei dem sich die Kugel ein klein wenig elastisch verformt, beobachtet man eine Beschleunigung,
die zur Umkehrung der Geschwindigkeitsrichtung fuhrt, und eine dazugehorige Kraft (unten,
rechts).
2.27
L
F
S
F
S
L
Abbildung 2.21: Illustration zur Abstraktion des Kraftbegris. Stoss-, Last- und Federkrafte
werden durch aquivalente Zugkrafte ersetzt und diese dann durch die mathematischen Symbole
der Kraftvektoren.
Weiterhin nehmen wir an, dass Kraftvektoren unter Umstanden wie mathematische Vektoren
behandelt werden konnen. Wir schreiben z. B. (Kraft = force)
F~ = F~1 + F~2
Die Summe von zwei Vektoren ist wieder ein Vektor. Physikalisch bedeutet diese mathematische Beziehung: Zwei Einzelkrafte F~1 und F~2 konnen durch eine Gesamtkraft F~ ersetzt
werden, wenn diese die gleiche Wirkung hat wie die Einzelkrafte zusammen. Diese Aussage ist
nicht vollstandig trivial, wie wir sofort einsehen konnen:
Greifen an einem starren Korper zwei gleich starke, entgegengesetzt wirkende Krafte an, so gilt mathematisch
F1
F~ = F~1 + F~2 = 0
F2
Liegen F~1 und F~2 in der gleichen Wirkungslinie, so ist ihre resultierende Wirkung in der Tat Null. Die Summe ist sinnvoll.
Haben F~1 und F~2 dagegen verschiedene Wirkungslinien, so ist die
F1
resultierende Wirkung beschleunigend, der Korper beginnt sich
zu drehen. Die Summe F~ = 0 zu bilden macht fur die Drehung
F2
keinen Sinn.
Die Vorstellung, dass Kraftwirkungen durch Vektoren dargestellt werden durfen, die mathematisch manipuliert werden konnen, erscheint plausibel und einfach. Trotzdem ist und bleibt
sie eine Hypothese, die durch eine grosse Zahl von Experimenten bestatigt wurde. Eine einfache
U berprufung hier in der Anfangsphase der Dynamik ist das sogenannte Krafteparallelogramm
von Abbildung 2.22.
2.5.2 Die Newton'schen Prinzipien
Die Entdeckung der fundamentalen Kraftgesetze verdanken wir wie erwahnt Isaac Newton. Obwohl die Newton'sche Mechanik nicht in allen Bereichen der Physik die konkrete Antwort gibt,
2.28
F2
F1
F
Abbildung 2.22: Krafteparallelogramm: Die
beiden Einzelkrafte sind parallel zu den Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks. Die Gesamtkraft ist daher parallel zur Hypotenuse dieses
Dreiecks, und ihre Grosse kann mit dem Satz
von Pythagoras ermittelt werden.
F~ + F~1 + F~2 = 0
ist der Bereich, in dem sie die experimentellen Befunde mit grosser Genauigkeit vorhersagt, riesig. Er erstreckt sich von einzelnen Molekulen bis zu astrophysikalischen Systemen. Im atomaren
Bereich mussen wir, wenn wir z. B. die Bewegung der Elektronen im Atom beschreiben, die
Newton'sche Mechanik durch die Quantenmechanik ersetzen. Wenn die Geschwindigkeiten der
Teilchen merkbare Bruchteile der Lichtgeschwindigkeit erreichen, muss die Newton'sche Mechanik durch die Einstein'sche, spezielle Relativitatstheorie ersetzt werden. Die Physiker sehen die
Newton'sche Mechanik als Spezialfall dieser beiden, allgemeiner gultigen Theorien an, allerdings
als einen fur das Verstandnis unserer Umwelt extrem wichtigen Spezialfall.
Das erste Newton'sche Prinzip ist das sogenannte
Tragheitsprinzip: Ein Korper verharrt in seinem Zustand der Bewegung,
wenn auf ihn von aussen keine Krafte wirken.
Das Verharren im vorgegebenen Bewegungszustand bedeutet, dass er, wenn er ruht, dies
auch weiter tun wird, und dass er, wenn er sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt seine
Geschwindigkeit nicht verandern wird. Ein kraftefreier starrer Korper fuhrt also eine geradlinige
Translationsbewegung aus, Richtungsanderungen und A nderungen der Schnelligkeit sind nicht
moglich. Eine Rotation mit konstanter Winkelgeschwindigkeit kann der Translation jedoch
uberlagert sein. Ein kraftefreier Korper ist im Gleichgewicht.
Das zweite Newton'sche Prinzip ist das sogenannte
Aktionsprinzip: Wirkt auf ein Teilchen (Massenpunkt) eine Kraft F~ , so andert
sich der Impuls ~p m~v des Teilchens (Massenpunkts).
Die Impulsanderung pro Zeiteinheit ist gleich der Kraft.
Dieses Prinzip gibt den Zusammenhang zwischen Kraft, Masse und Geschwindigkeitsanderung. Wir haben dabei neu den Begri Impuls (momentum) eingefuhrt:
Impuls ~p = m~v
2.29
Da ~v eine Vektorgrosse ist, ist auch p~ eine Vektorgrosse.
F~ kann auch eine resultierende Kraft sein, die sich aus vielen Einzelkraften F~ zusammensetzt:
i
X
F~ = F~
i
i
Fur genugend kleine Geschwindigkeiten ist die Masse (mass) m konstant, somit ist
F~ = d~p = d(m~v) = m d~v = m~a
dt
dt
dt
Abgesehen from Vektorpfeil haben wir hier die bekannte Beziehung aus der Mittelschulphysik
\Kraft = Masse Beschleunigung" gefunden. Ist speziell
X
v
F~ = 0 so folgt m~a = 0 ! d~
dt = 0 ! ~v(t) = const:
i
i
Das erste Newton'sche Prinzip ist also eine Konsequenz des zweiten.
Was bedeutete die Einschrankung \kleine Geschwindigkeiten" ? Die korrekte Denition des
Impulses in der Einstein'schen, speziellen Relativitatstheorie lautet
~p = p m 2 2 ~v
1 ; v =c
Das Aktionsgesetz ist immer noch in der Form F~ = d~p=dt gultig. c ist die Lichtgeschwindigkeit
im Vakuum, c = 3 108 m/s.pUm z. B. eine Abweichung von etwa 1 % von der Newton'schen
Formel zu erreichen, d. h. 1= 1 ; v 2=c2 = 1:01, muss mit 1 ; v 2=c2 = 0:98 gelten: v=c = 0:14,
d. h. v = 42000 km/s. Diese Geschwindigkeit ist etwa 400 grosser als die Geschwindigkeit,
die man einer Rakete im Minimum geben muss, damit sie Kurs auf Mars oder Venus nehmen
kann. Andererseits muss man die relativistischen Korrekturen schon berucksichtigen, wenn man
die Bahn eines Elektronenstrahls in einer Fernsehrohre berechnen will.
Im Gegensatz zu den Denitionsgleichungen, wie wir sie in der Kinematik kennen gelernt
haben, ist die Beziehung
p oder F~ = m~a
F~ = d~
dt
eine Gleichung, die eine wesentliche Aussage macht uber den Zusammenhang von ganz verschiedenen Grossen. Sie ist das Ergebnis von vielen prazisen Experimenten, ein sogenanntes
Erfahrungsgesetz. Allerdings lehrt uns die Erfahrung nur, dass die Proportionalitat F~ / m bei
~a, oder F~ / ~a bei festem m gilt, bzw. zusammengefasst F~ / m ~a. Es ist willkurlich, aber
bequem, den Proportionalitatsfaktor gleich Eins und dimensionslos zu wahlen, und damit die
Einheit und die Dimension der Kraft festzulegen:
[F ] = [Masse Lange=Zeit2 ] = [kg m=s2] = [Newton] = [N]
Die Einheitskraft 1 Newton erteilt einer Masse, die derjenigen des Urkilogramms entspricht,
die Beschleunigung 1 m/s2.
Der Unterschied eines solchen Grundgesetzes gegenuber einer Denitionsgleichung wird besonders deutlich, wenn wir es in Worten ausdrucken. Kraft ist nicht dasselbe wie eine Impulsanderung, sondern wir konnen etwa sagen: Kraft bewirkt eine Impulsanderung, und zwar so,
2.30
dass die beiden Grossen dieselbe Richtung haben und der Betrag der Kraft gleich dem Betrag
der Ableitung des Impulses nach der Zeit ist.
d~p k F~
d~p = jF~ j
dt Umgekehrt konnte auch gesagt werden: Stellen wir an einem Korper eine Impulsanderung d~p
fest, so schliessen wir daraus, dass auf ihn eine Kraft F~ wirkt, und zwar so, dass die beiden
Grossen ....
Schliesslich bleibt uns noch das dritte Newton'sche Prinzip, das sogenannte
Reaktionsprinzip: U bt irgendein Korper 1 auf einen Korper 2 eine Kraft F~12 aus,
so ubt der Korper 2 auf den Korper 1 auch eine Kraft F~21 aus,
so dass gilt
F~12 = ;F~21
Dieses Prinzip macht eine Aussage uber Krafte die an verschiedenen Korpern angreifen. Es
spielt dabei keine Rolle, ob sich die beiden Korper beruhren oder beliebig weit voneinander
entfernt sind, ob sie gleiche oder verschiedene Masse und Form besitzen. Immer ist F~12 = ;F~21 .
Wichtig ist die Einsicht, dass die beiden Reaktionspartner F~12 und F~21 an verschiedenen
Korpern angreifen. Sie heben sich in ihrer Wirkung nicht auf. Es ware sinnlos sie zu addieren,
wenn wir die Bewegungen der Korper einzeln untersuchen wollten. F~12 greift im Korper 2 an
und F~21 im Korper 1, oder allgemeiner deniert kurzen wir ab:
F~von
i
auf
k
F~
ik
Zusammenfassung: Die Newton'schen Prinzipien
Tragheitsprinzip: Ein Korper verharrt in seinem Zustand der Bewegung, wenn auf
ihn von aussen keine Krafte wirken.
Wenn er in Ruhe ist, bleibt er in Ruhe, wenn er sich mit konstanter Geschwindigkeit
bewegt, wird er dies auch weiter tun.
1. Newton'sches Prinzip
Aktionsprinzip: Wirkt auf ein Teilchen (Massenpunkt) eine Kraft F~ , so andert sich
der Impuls ~p m~v des Teilchens (Massenpunkts). Die Impulsanderung pro
Zeiteinheit ist gleich der Kraft F~ .
p , d~p = F~ dt
F~ = d~
dt
2: Newton sches Prinzip
0
Reaktionsprinzip: U bt ein Korper 1 auf einen Korper 2 eine Kraft F~12 aus, so ubt
der Korper 2 auf den Korper 1 eine Kraft F~21 aus, so dass gilt F~12 = ;F~21
F~12 greift am Korper 2 an, F~21 greift am Korper 1 an.
2.31
3. Newton'sches Prinzip
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