2 Zum Geleit Studium Generale Wintersemester 2009/10 400 JAHRE NEUZEITLICHE ASTRONOMIE - ANFÄNGE, NACHWIRKUNGEN UND PERSPEKTIVEN – Das Jahr 2009 ist das Internationale Jahr der Astronomie. Vierhundert Jahre ist es her, dass Galileo Galilei im Jahre 1610 in seiner Schrift „Sidereus Nuncius“ (Nachricht von den Sternen) Beobachtungen beschrieb, die er im Herbst und Winter 1609/1610 gemacht hat, als er das eben erst erfundene Fernrohr zum Himmel richtete. Er sah Berge und Täler auf dem Mond, vier Satelliten, die den Jupiter umkreisen, zahllose Sterne in der Milchstraße, die Phasengestalten der Venus und Flecken auf der Sonne. Wenngleich Galilei manche dieser Entdeckungen nicht als Erstem gelangen, hat er mehr als andere zur Verbreitung dieser neuen Kunde von den Sternen und zu seiner eigenen Popularität beigetragen, wobei ihm seine beachtlichen Fähigkeiten als Zeichner und Schriftsteller sehr zugute kamen. Ebenfalls im Jahre 1609 erschien Johannes Keplers „Astronomia Nova“, enthaltend die ersten beiden der nach ihm benannten Gesetze der Himmelsmechanik. Für Kepler war die Astronomie eine „Anbetung des Schöpfers durch das Medium der Mathematik“ (C.-F. v. Weizsäcker). Die Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung, in mehrjähriger Arbeit auf neunhundert Seiten handgeschriebener Berechnungen aus einer Analyse der Beobachtungen von Tycho Brahe, des bedeutendsten beobachtenden Astronomen der vorteleskopischen Ära, gewonnen, verhalfen mehr noch als manche von Galileis Beobachtungen dem Heliozentrismus zum Durchbruch. Ihnen zufolge bewegen sich die Planeten mit ungleichförmigen Geschwindigkeiten auf Ellipsenbahnen mit der Sonne in einem der Brennpunkte und nicht – wie es bis dahin den göttergleichen Wandelsternen zustand – auf idealen Kreisbahnen. Durch Keplers Gesetze und Galileis Beobachtungen wurde die seit Aristoteles bestehende Kluft zwischen himmlischer Astronomie und irdischer Physik allmählich überwunden, waren die Him 3 melskörper doch nun der Erde in vielem ähnlich und die Erde in den Rang eines Himmelskörpers aufgestiegen. Ein Menschenalter später wurde diese Erste Große Vereinheitlichung des physikalisch-astronomischen Weltbildes durch Isaac Newton, auf den Schultern von Galilei und Kepler stehend, vollendet, indem er die Kraft angab, die am Himmel wie auch auf der Erde wirkt, und die schon Kepler postulierte und „gravitas“ nannte. Es war Friedrich Schiller, der für ein Kepler-Denkmal die Inschrift „Kepler trägt Newton die Fackel voran“ vorgeschlagen hat. Soll man den bedeutendsten Astronomen des beginnenden 17. Jahrhunderts nennen, so ist es Kepler. Galilei kommt diese Ehre unter den Physikern seiner Zeit zu. Wie Kepler die Bewegungen am Himmel beschrieb, so Galilei die auf der Erde. Das nach ihm benannte Trägheitsgesetz und sein Gedankenexperiment über das gleich schnelle Fallen der Körper gehören zu den kühnsten Geistesleistungen am Beginn der Neuzeit. Kühn deshalb, weil sie die Natur beschreiben, wie wir sie sinnlich nicht erfahren. Dies sollte fortan den Denkstil der Naturwissenschaft prägen und damit nicht minder einflussreich werden wie der neue, durch das Fernrohr charakterisierte Beobachtungsstil der Astronomie. Wissenschaft wird von Menschen gemacht und ist nicht nur von deren Können, Ausdauer und ihrer Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, abhängig, sondern auch von philosophisch-religiösen Hintergrund-Überzeugungen, ja auch von Eitelkeit und anderen menschlichen Schwächen. So war der Wissenschaftler Kepler nicht minder auch ein Mystiker, und auf seiner Suche nach Harmonien in den himmlischen Sphären war das Mystische sogar Teil seiner Wissenschaft. Und sollte eines Tages über den „Fall Galilei“ als kirchengeschichtliches Ereignis ein abschließendes Wort gesprochen sein, so wird die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft auch danach 4 immer wieder neu gestellt werden und beantwortet werden müssen. Es entspricht der Idee des Studium Generale, wenn die Anfänge der neuzeitlichen Astronomie nicht auf den Beginn des teleskopischen Zeitalters reduziert, sondern in ihrer thematischen Fülle und methodischen Tragweite, im geistigen Umfeld ihrer Zeit und in ihren Auswirkungen bis auf den heutigen Tag dargestellt werden. Nicht weniger als dies haben sich unsere Referenten vorgenommen, und dazu laden wir Studenten und Kollegen aller Fakultäten, die wissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit und Lehrer mit ihren Schülern herzlich ein. Karl-Heinz Lotze 5 Das Vorlesungsprogramm auf einen Blick 6 06.01.2010 Der „Fall Galilei" gestern und heute Prof. Dr. Michael Segre, Chieti/Italien 21.10.2009 400 Jahre moderne Astronomie Johannes Kepler, der Beginn des Umbruchs Prof. Dr. Fritz Krafft, Marburg 20.01.2010 Von Galileis Fernrohr bis zum European Extremely Large Telescope – eine kurze Geschichte des Teleskops Dr. Markus Kissler-Patig, Garching 04.11.2009 Galileo Galilei – der Kolumbus des Himmels Prof. Dr. Jürgen Teichmann, München 03.02.2010 Perspektiven astronomischer Entdeckungen Prof. Dr. Hans-Walter Rix, Heidelberg 18.11.2009 Keplers kosmische Musik: Harmonisch – aber schön? PD Dr. Rainer Bayreuther, Weimar 02.12.2009 Wenn Wahrheiten miteinander kollidieren: Kepler und Galilei im Dialog Thomas de Padova, Berlin Die Vorlesungen finden in der Aula im Universitätshauptgebäude, Fürstengraben 1, mittwochs 17:15 Uhr statt. Änderungen vorbehalten. Der Eintritt ist frei. 7 21.10.2009, 17:15 Uhr 400 Jahre moderne Astronomie - Johannes Kepler, der Beginn des Umbruchs Prof. Dr. Fritz Krafft, Marburg Die Astronomie stand stets auf zwei Säulen: der Beschaffung neuen Beobachtungsmaterials und dessen systematischer theoretischer Erfassung. Beim Umbruch vor 400 Jahren waren es einerseits die Fernrohrentdeckungen Galileis und anderer, die im Anschluss an die von Copernicus vorgeschlagene Heliozentrik vor allem der empirischen Widerlegung des kosmologischen Dualismus im überkommenen, seit fast zwei Jahrtausenden bewährten astronomischen Weltbild dienten – nicht aber dem Beweis der Heliozentrik, wie Galilei es sah. Kepler andererseits war sofort gewahr geworden, dass die von Brahe erkannte Subtilität des „Äthers“ eine völlig andersartige Physik des Himmels erforderte. Statt mittelbar durch riesige rotierende Äthersphären mussten die als erdähnlich gedeuteten Planeten unmittelbar von zwischen den Himmelskörpern wirkenden „Kräften“ bewegt werden. Die Verwirklichung dieser Idee, die Kepler auf verschiedenen Ebenen seit 1595 bis an sein Lebensende verfolgte, wird mit ihren wichtigsten Stationen bis hin zur Entdeckung der Planetengesetze im Vortrag „nachgedacht“. Hintergrund und Anlass der Überlegungen Keplers war die Überzeugung vom trinitatischen Aufbau des ja als sein Ebenbild vom trinitatischen Gott erschaffenen Kosmos gewesen. Astronomie war für den studierten Theologen daraufhin Gottesdienst; und den im Sinne des Neuplatonismus notwendig mathematischen Archetypen für Gottes Schöpfungsplan gilt deshalb seine lebenslange Suche. Sie mussten nicht nur ausgezeichneten mathematischen Sachverhalten genügen (Platonische Körper, Harmonik), sondern auch sowohl 8 aus dem von Gott zu ihrer Entstehung und Einhaltung verwendeten „Werkzeug“, der Physik, begründend abgeleitet als auch empirisch nachvollziehbar und a posteriori zu bestätigen sein. Durch diese Vereinigung von platonischer und aristotelischer Denkweise sowie jüdischchristlicher Schöpfungsidee schuf Kepler die intellektuellen und methodischen Grundlagen neuzeitlicher Naturwissenschaft, die dann allerdings ebenso wie ihre ersten neuartigen Erkenntnisse, die Keplerschen Gesetze, ihre Wirkung weitgehend unabhängig von dem zeitbedingten persönlichen Begründungszusammenhang bei Kepler entfalteten. Der einmalige komplexe Zugang hatte ihm aber einen Innovationsschub geschaffen, um dessen Priorität er nicht zu bangen brauchte – sein Werk möge hundert Jahre auf einen Leser warten, habe doch Gott seit der Schöpfung auf sein (Keplers) Erkennen warten müssen –, während Galilei ängstlich und streitsüchtig sowie nicht immer berechtigt sich die Priorität für jede teleskopische Entdeckung am Himmel erst erstreiten musste. Prof. Dr. Fritz Krafft, 1935 in Hamburg geboren; war 1988–2000 Professor für Geschichte der Naturwissenschaft und der Pharmazie sowie Direktor des in Deutschland einmaligen Instituts für Geschichte der Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg. Er hatte sich nach einem Studium der Klassischen Philologie (Promotion 1962), Philosophie und Physik 1968 in Hamburg für Geschichte der Naturwissenschaft habilitiert und war danach von 1970 bis 1988 Professor für dieses Fachgebiet am Fachbereich Mathematik der Universität Mainz gewesen. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt sowie der Académie Internationale d’Histoire des Sciences und war Präsident unter anderem der Gesellschaft für Wis- 9 senschaftsgeschichte (1976-1983) und des Nationalkomitees der Bundesrepublik Deutschland in der International Union of the History and Philosophy of Science (1983-1989). Seine Arbeiten zur allgemeinen Wissenschaftsgeschichte betreffen vornehmlich Umbruchsituationen in den Wissenschaften sowie Entstehungsphasen neuer Disziplinen, Theorien und des naturwissenschaftlichen Denkens überhaupt; sie reichen zeitlich von der Antike über die Renaissance und die Frühe Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert, inhaltlich von der Physik und Astronomie bis hin zur Pharmazie und allgemeinen Wissenschaftsgeschichte und haben ihren Niederschlag gefunden in mehr als 350 Aufsätzen und Beiträgen zu Handbüchern und Sammelwerken. Darüber hinaus ist er Autor und Herausgeber von mehr als 50 Büchern, Gründer und Herausgeber (1978–2007) der wissenschaftlichen Zeitschrift „Berichte zur Wissenschaftsgeschichte“ und Mitherausgeber von „Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte“ sowie Herausgeber der Reihen „Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie“, „Natur – Wissenschaft – Theologie. Kontexte in Geschichte und Gegenwart“ und der „Bibliothek des verloren gegangenen Wissens (Naturwissenschaften)“. 10 04.11.2009, 17:15 Uhr Galileo Galilei – der Kolumbus des Himmels Prof. Dr. Jürgen Teichmann, München Galilei hat mit seinem Fernrohr 1609 und der Entdeckung der Mondgebirge, der Jupitermonde, der Sternenvielfalt der Milchstraße und mit einigem mehr das Tor zum Weltall weit aufgestoßen. Vor ihm war es nur einen Spalt weit offen, durch den wir mit unseren bloßen Augen blinzeln konnten. Er war nicht der Erste bei diesen Entdeckungen, aber mit seinen Publikationen, Briefen und Disputen wurden sie zur Weltsensation. Galilei war ein begnadeter Forscher, temperamentvoller wissenschaftlicher Abenteurer und raffinierter Höfling. So schaffte er es zum – damals – bestbezahlten Naturwissenschaftler aller Zeiten. Schon zeitgenössische Dichter verglichen ihn mit Kolumbus. Sein tiefer Fall 1633 mit der Verurteilung durch die Inquisition der katholischen Kirche und der Abschwörung des kopernikanischen Weltbildes ist bis heute Gegenstand heftiger Pro- und Contra-Diskussionen geblieben. Der Vortrag soll seine wichtigsten astronomischen Entdeckungen vorstellen und auch die turbulente Szene der damaligen Zeit lebendig machen. Prof. Dr. Fritz Krafft 11 Prof. Dr. Jürgen Teichmann 1941 geboren, ist Professor für Geschichte der Naturwissenschaften. Er leitete bis 2005 die Hauptabteilung Bildung am Deutschen Museum München. Auch die große Ausstellung Astronomie dort ist unter seiner Leitung entstanden. Er war Gastprofessor in Hamburg, Göttingen und Pavia (Italien). Seine Forschungsgebiete sind die Geschichte der Physik und Astronomie in der Neuzeit sowie der Nutzen der Wissenschaftsgeschichte im Unterricht. Neben seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat Prof. Teichmann auch populäre Bücher für Erwachsene und Jugendliche geschrieben. 12 18.11.2009, 17:15 Uhr Keplers kosmische Musik: Harmonisch – aber schön? PD Dr. Rainer Bayreuther, Weimar Die Erkenntnis aus Keplers Astronomia nova (1609), dass die Planeten sich nicht auf kreisförmigen, sondern elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen, war für die musikalische Theorie ein Schock. Im Platonismus und vor allem im Humanismus der Renaissance herrscht die Überzeugung, dass den musikalischen Konsonanzen und der Maschinerie der Himmelskörper ein und dieselben harmonischen Prinzipien zugrunde liegen. Anhaltspunkte dafür waren die Radien der Planetenkreise und die Längenverhältnisse der musikalischen Intervalle, die verblüffend ähnliche Zahlenverhältnisse aufweisen. Mit den Ellipsenbahnen war diese Übereinstimmung dahin. Der Platoniker Kepler wollte eine solche Ernüchterung aber nicht hinnehmen. Er entwickelte in der Harmonice mundi (1619) ein völlig neues Verfahren, zu bestimmen, was eigentlich musikalische Harmonie ist. Bisher verstand man musikalische Harmonie als Verhältnisse ganzer Zahlen. Musik war eine Sache der rationalen Zahlen. Prof. Dr. Jürgen Teichmann Kepler nun fasste musikalische Harmonie analog zu Verhältnissen von Größen in geometrischen Figuren auf. Musik wurde damit zu einer Sache der reellen Zahlen - eine Blasphemie! Mit dieser Methode wollte Kepler einem weiteren musikalischen Problem begegnen, das sich mit den Erkenntnissen der Astronomia nova ergeben hatte. Vom Planet Erde aus gesehen zeichnen sich die Bahnen der anderen Planeten weder als schöne Kreise noch als regelmäßige Ellipsen an den Himmel, sondern verzerrt als Parabeln - und zwar von jedem Standpunkt der Beobachtung aus andere. Ist es womöglich in der Musik genauso? Hört jeder Mensch die Harmonien anders oder gar 13 andere Harmonien? Auch darauf gibt Keplers geometrische Auffassung der musikalischen Harmonie eine Antwort. Anders als den drei Keplerschen Planetengesetzen war seiner Musiktheorie kein langes Leben beschert. Keine zehn Jahre nach Keplers Tod wurde eine akustische Entdeckung gemacht, die seine genialische Musiktheorie hinfällig werden ließ. Privatdozent Dr. Rainer Bayreuther, 1967 in Esslingen am Neckar geboren, studierte von 1989 bis 1994 in Heidelberg Musikwissenschaft, Theologie und Philosophie. Erteilung der venia legendi für Musikwissenschaft 2004 von der Universität Halle/Wittenberg. Danach Vertretungsdozenturen und -professuren an den Universitäten Jena, Frankfurt/Main, Göttingen und Freiburg i.Br. In den Semestern Winter 2008/09 und Sommer 2009 Junior Fellow am Alfred Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald. Die gegenwärtigen Forschungsschwerpunkte sind die Musikalische Wissensgeschichte im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Geschichte und Theorie religiöser Musik und die Theorie der Sprachlichkeit von Musik. PD Dr. Rainer Bayreuther 14 02.12.2009, 17:15 Uhr Wenn Wahrheiten miteinander kollidieren: Kepler und Galilei im Dialog Thomas de Padova, Berlin Im Jahr 1609 durchbrechen Johannes Kepler und Galileo Galilei die Grenzen der damals bekannten Welt. Der eine blickt in Venedig durchs Fernrohr zu den Sternen, der andere veröffentlicht in Prag seine Planetengesetze. Ihre mehrfach abgebrochene und wieder aufgenommene Korrespondenz hat bisher wenig Beachtung gefunden. Darin begegnen sich die beiden Forscher auf einem schmalen Grat zwischen schwärmerischer Begeisterung und nüchterner Analyse, zwischen offenem Gedankenaustausch und Geheimhaltung, zwischen Kooperation und Konkurrenz. Im Spiegel des jeweils anderen zeigen sich ihre Weitsicht und Engstirnigkeit. Eine Gegenüberstellung der beiden schillernden Figuren eignet sich in besonderer Weise dazu zu erkunden, was Wissenschaftler bis heute dazu treibt, vertraute Sichtweisen hinter sich zu lassen und ein unbekanntes Terrain zu betreten. Und wie das Neue in die Welt kommt. 15 16 Thomas de Padova, 06.01.2010, 17:15 Uhr geboren 1965 in Neuwied am Rhein als Kind deutsch-italienischer Eltern. Er hat in Bonn und Bologna Physik und Astronomie studiert. Der "Fall Galilei" gestern und heute Von 1995 bis 2005 war er Redakteur beim „Tagesspiegel“ in Berlin, für den er nach wie vor eine wöchentliche Wissenschaftskolumne schreibt. Als freier Wissenschaftspublizist hat er mehrere Bücher veröffentlicht. Zuletzt im Piper-Verlag von ihm erschienen „Das Weltgeheimnis – Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels“, 2009. Prof. Dr. Michael Segre, Chieti /Italien Das Jahr 2009 wurde weltweit zum Jahr der Astronomie erklärt, weil es 400 Jahre her ist, dass Galilei seine ersten teleskopischen Beobachtungen machte. Während Galilei ein ganzes Universum eröffnete, legte die römische Kirche den Beginn eines langen Schattens über ihre eigene Geschichte, indem sie den Kopernikanismus als häretisch erklärte und Galilei verurteilte. Der Fall Galilei ist komplex, da im Schnittpunkt von vielen Faktoren gelegen: wissenschaftlichen, theologischen, philosophischen, politischen und anderen. Er setzt sich aus zwei Vorkommnissen zusammen: dem Dekret von 1616, das den Kopernikanismus verbot und dem Prozess und der Verurteilung von Galilei von 1633. Das letzte Vorkommnis überschattet häufig das erste, dieses ist jedoch der Kern der ganzen Angelegenheit. Thomas de Padova Zwischen 1979 und 1992 versuchte Papst Johannes Paul II im Zeichen des 2. Vatikanums, die Angelegenheit abzuschließen, indem er eine Kommission beauftragte, den Fall zu klären, mögliche Fehler anzuerkennen und die Harmonie zwischen Wissenschaft und Glauben zu fördern. Eine aufmerksame Lektüre der Ansprache des Papstes zeigt jedoch, dass der Fall keineswegs abgeschlossen ist. Darüber hinaus drücken die Schlussfolgerungen der Kommission und die Schlussrede des Papstes einen reaktionären Blick aus. 17 Prof. Dr. Michael Segre, geboren 1950 in Rom, Studium der Physik und Philosophie, Promotion in Wissenschaftsgeschichte, 1993 Habilitation in Geschichte der Naturwissenschaften an der Universität München. Seit 2002 Ordinarius für Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik an der „Gabriele d' Annunzio" Universität in Chieti. Einer der Forschungsschwerpunkte: Galilei und seine Nachfolger. 1994 war Prof. Segre der Erste, der auf einer Galilei-Tagung in Berlin Kritik an der sog. "Rehabilitierung" Galileis durch Johannes Paul II übte. Segre wies darauf hin, dass die Reden des Papstes nicht nur unschlüssig seien, die Abschlussrede sei sogar reaktionär. Diese Kritik wurde 1997 von Isis veröffentlicht und ist heute breit akzeptiert, auch in Kirchenkreisen. Prof. Dr. Michael Segre 18 20.01.2010, 17:15 Uhr Von Galileis Fernrohr bis zum European Extremely Large Telescope – eine kurze Geschichte des Teleskops Dr. Markus Kissler-Patig, Garching Vor 400 Jahren wurde das Fernrohr erfunden und kurz darauf von Galileo auf den Himmel gerichtet. Damit erschloss sich ein vollkommen neues Weltbild. Seitdem wurden Teleskope stets verbessert und mit jedem Schritt wurden auch neue, revolutionäre Entdeckungen gemacht. Der Vortrag wird die Geschichte des Teleskops durch vier Jahrhunderte begleiten, mit speziellem Blick auf die Techniken, die den Fortschritt ermöglicht haben. Die daraus folgenden Beobachtungen und unser verändertes Weltbild werden im historischen Kontext beschrieben. Enden wird der Vortrag in diesem Jahrzehnt mit einer Beschreibung des derzeit leistungsfähigsten Teleskops, des ESO Very Large Telescope, sowie mit einem Ausblick auf das European Extremely Large Telescope, das größte optische Teleskop, das die Menschheit jemals gebaut hat. 19 Dr. Markus Kissler-Patig, Dr. Kissler-Patig ist in der Schweiz und in Frankreich aufgewachsen, bevor er Physik und Astronomie in Bonn studierte. Nach seiner Promotion 1997 hat er in Kalifornien für die University of California Observatories im Auftrag der NASA gearbeitet, bevor es ihn wieder nach Europa an das European Southern Observatory (ESO) gezogen hat, wo er seit 10 Jahren tätig ist. Seit 2007 ist er wissenschaftlicher Leiter des European Extremely Large Telescope (http://www.eso.org/public/astronomy/projects/e-elt.html), das mit 42 m Durchmesser das größte optische Teleskop sein wird, das die Menschheit jemals gebaut hat. Zuvor hat Dr. Kissler-Patig Kameras für das Very Large Telescope (VLT) der ESO entwickelt und viele hundert Nächte an Observationen in der Atacama-Wüste verbracht. Dr. Kissler-Patig war Stipendiat der Alexandervon-Humboldt-Gesellschaft und erhielt 1999 den Ludwig-Biermann-Preis der Astronomischen Gesellschaft. Seine wissenschaftlichen Interessen liegen in der Erforschung der Galaxienentstehung und Entwicklung sowie der Studie von Schwarzen Löchern in Sternhaufen. Dr. Markus Kissler-Patig 20 03.02.2010, 17:15 Uhr Perspektiven astronomischer Entdeckungen Prof. Dr. Hans-Walter Rix, Heidelberg Astronomische Erkenntnisse basieren zum einen auf der Anwendung bekannter physikalischer Gesetze, die wir als universell annehmen. So kann zum Beispiel die Existenz von Planetensystemen um andere Sterne erschlossen werden. Andererseits kann unser Universum auch als „Labor“ dienen, um neue physikalische Phänomene zu erschließen, wie z. B. die Dunkle Energie. Der Vortrag wird das Entdeckungspotential der Astronomie in beiden Richtungen beleuchten. Einerseits sollte es möglich werden, Leben auf anderen Planeten zu entdecken, andererseits können wir bald die Frage, ob es auch „andere Universen“ gibt, wissenschaftlich angehen. 21 Prof. Dr. Hans-Walter Rix, geboren 1964 in Erlangen, studierte Physik und Astronomie in Freiburg, München und Tucson/Arizona. Promotion an der University of Arizona (1991). Nach weiteren Stationen in den USA (Institute for Advanced Study, Princeton, 19911994) und Deutschland (Max-Planck-Institut für Astrophysik, 1995-1995) Rückkehr als Assistent Professor, später Associate Professor an der University of Arizona (1995-1998). Seit 1999 ist Prof. Rix Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Sein Forschungsgebiet umfasst die Struktur und Dynamik von Galaxien sowie die Galaxienentstehung, die Struktur unserer Milchstraße, den Gravitationslinsen-Effekt sowie Schwarze Löcher in Galaxienkernen. Prof. Rix gehört zum Science Team des „Hubble“Nachfolgers, des James Webb Space Telescope, und ist als Mitglied der LBT-Beteiligungsgesellschaft am Bau und Betrieb des bisher größten bodengebundenen Einzelteleskops, des „Large Binocular Telescope“ (LBT), auf dem Mt. Graham/Arizona beteiligt. 22 Zum Weiterlesen: Von den Referenten empfohlene und selbst verfasste Literatur Bayreuther, R: Die Harmonie der Welt – nach Rücksprache mit der Musikwissenschaft, in: Röser, H.-P., Uhl, E. (Hrsg.): Kepler und das Weltbild des modernen Menschen, LIT-Verlag Münster, Hamburg, Berlin, Wien 2010 Kepler, J., Caspar, M. (Übers.), Krafft, F. (Hrsg.): Astronomia Nova – Neue, ursächlich begründete Astronomie, Marix Verlag, Wiesbaden 2005 Kepler, J., Krafft, F.: Was die Welt im Innersten zusammenhält. Antworten aus Schriften von Johannes Kepler, Marix Verlag, Wiesbaden 2005 Krafft, F.: „... denn Gott schafft nichts umsonst!“ Das Bild der Naturwissenschaft vom Kosmos im historischen Kontext des Spannungsfeldes GottMensch-Natur, LIT Verlag, Münster 1999 De Padova, Th.: Das Weltgeheimnis – Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels, PiperVerlag, München 2009 Rix, H.-W.: Perspektiven astronomischer Entdeckungen, in: Sterne und Weltraum 47(2008)(8)3240 Segre, M.: In the wake of Galileo, Rutgers University Press, New Brunswick 1991 Segre, M.: Light on the Galileo Case, in: Isis 88(1997)484-504 Prof. Dr. Hans-Walter Rix Segre, M.: Galileo: a “rehabilitation” that has never taken place, in: Endeavour 23(1999)(1)20-23 23 Segre, M.: Hielt Johannes Paul II sein Versprechen?, in: M. Segre u. E. Knobloch (Hrsg.), Der ungebändigte Galilei, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, S. 107-111 Segre, M.: Zwischen Trient und Vatikanum II: Der Fall Galilei, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26(2003)1-8 Teichmann, J.: Moment mal Herr Galilei, GNTVerlag, Diepholz 1992 24 Foto und Bildnachweise Privat: PD Dr. Rainer Bayreuther Dr. Markus Kissler-Patig Prof. Dr. Fritz Krafft Thomas de Padova Prof. Dr. Hans-Walter Rix Prof. Dr. Jürgen Teichmann Umschlag innen: Teichmann, J.: Wandel des Weltbildes, B.G. Teubner Verlag, Stuttgart u. Leipzig 1999 Logo: http://www.astronomy2009.org/resources/ branding/ Teichmann, J.: Mit Einstein im Fahrstuhl – Physik genial erklärt, Arena-Verlag, Würzburg 2008 Mit freundlicher Genehmigung durch Herrn Lars Lindberg Christensen (ESO), Leiter des Büros zur Koordinierung der Internationalen Aktivitäten zum Weltjahr der Astronomie 2009. Teichmann, J.: Die unglaublich fantastische Reise zum Urknall – Astronomie von Galilei bis zur Entdeckung der Schwarzen Löcher, Arena-Verlag, Würzburg 2009 Anlässlich der Veranstaltung am 2. Dezember 2009 wird in Zusammenarbeit mit der Universitätsbuchhandlung Thalia im Foyer der Aula der Universität ein Büchertisch organisiert, wo einige der hier aufgeführten Bücher käuflich erworben werden können.