WS 09/10 - Die Physikalisch

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Zum Geleit
Studium Generale
Wintersemester 2009/10
400 JAHRE NEUZEITLICHE
ASTRONOMIE
- ANFÄNGE, NACHWIRKUNGEN
UND PERSPEKTIVEN –
Das Jahr 2009 ist das Internationale Jahr der Astronomie. Vierhundert Jahre ist es her, dass Galileo Galilei im Jahre 1610 in seiner Schrift „Sidereus Nuncius“ (Nachricht von den Sternen) Beobachtungen beschrieb, die er im Herbst und Winter 1609/1610 gemacht hat, als er das eben erst
erfundene Fernrohr zum Himmel richtete. Er sah
Berge und Täler auf dem Mond, vier Satelliten, die
den Jupiter umkreisen, zahllose Sterne in der
Milchstraße, die Phasengestalten der Venus und
Flecken auf der Sonne. Wenngleich Galilei manche dieser Entdeckungen nicht als Erstem gelangen, hat er mehr als andere zur Verbreitung dieser neuen Kunde von den Sternen und zu seiner
eigenen Popularität beigetragen, wobei ihm seine
beachtlichen Fähigkeiten als Zeichner und Schriftsteller sehr zugute kamen.
Ebenfalls im Jahre 1609 erschien Johannes Keplers „Astronomia Nova“, enthaltend die ersten
beiden der nach ihm benannten Gesetze der Himmelsmechanik. Für Kepler war die Astronomie
eine „Anbetung des Schöpfers durch das Medium
der Mathematik“ (C.-F. v. Weizsäcker). Die Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung, in
mehrjähriger Arbeit auf neunhundert Seiten handgeschriebener Berechnungen aus einer Analyse
der Beobachtungen von Tycho Brahe, des bedeutendsten beobachtenden Astronomen der vorteleskopischen Ära, gewonnen, verhalfen mehr noch
als manche von Galileis Beobachtungen dem
Heliozentrismus zum Durchbruch. Ihnen zufolge
bewegen sich die Planeten mit ungleichförmigen
Geschwindigkeiten auf Ellipsenbahnen mit der
Sonne in einem der Brennpunkte und nicht – wie
es bis dahin den göttergleichen Wandelsternen
zustand – auf idealen Kreisbahnen.
Durch Keplers Gesetze und Galileis Beobachtungen wurde die seit Aristoteles bestehende Kluft
zwischen himmlischer Astronomie und irdischer
Physik allmählich überwunden, waren die Him
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melskörper doch nun der Erde in vielem ähnlich
und die Erde in den Rang eines Himmelskörpers
aufgestiegen. Ein Menschenalter später wurde
diese Erste Große Vereinheitlichung des physikalisch-astronomischen Weltbildes durch Isaac Newton, auf den Schultern von Galilei und Kepler stehend, vollendet, indem er die Kraft angab, die am
Himmel wie auch auf der Erde wirkt, und die
schon Kepler postulierte und „gravitas“ nannte. Es
war Friedrich Schiller, der für ein Kepler-Denkmal
die Inschrift „Kepler trägt Newton die Fackel voran“ vorgeschlagen hat.
Soll man den bedeutendsten Astronomen des
beginnenden 17. Jahrhunderts nennen, so ist es
Kepler. Galilei kommt diese Ehre unter den Physikern seiner Zeit zu. Wie Kepler die Bewegungen
am Himmel beschrieb, so Galilei die auf der Erde.
Das nach ihm benannte Trägheitsgesetz und sein
Gedankenexperiment über das gleich schnelle
Fallen der Körper gehören zu den kühnsten Geistesleistungen am Beginn der Neuzeit. Kühn deshalb, weil sie die Natur beschreiben, wie wir sie
sinnlich nicht erfahren. Dies sollte fortan den
Denkstil der Naturwissenschaft prägen und damit
nicht minder einflussreich werden wie der neue,
durch das Fernrohr charakterisierte Beobachtungsstil der Astronomie.
Wissenschaft wird von Menschen gemacht und ist
nicht nur von deren Können, Ausdauer und ihrer
Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, abhängig, sondern auch von philosophisch-religiösen
Hintergrund-Überzeugungen, ja auch von Eitelkeit
und anderen menschlichen Schwächen. So war
der Wissenschaftler Kepler nicht minder auch ein
Mystiker, und auf seiner Suche nach Harmonien
in den himmlischen Sphären war das Mystische
sogar Teil seiner Wissenschaft. Und sollte eines
Tages über den „Fall Galilei“ als kirchengeschichtliches Ereignis ein abschließendes Wort gesprochen sein, so wird die Frage nach dem Verhältnis
von Wissenschaft und Gesellschaft auch danach
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immer wieder neu gestellt werden und beantwortet werden müssen.
Es entspricht der Idee des Studium Generale,
wenn die Anfänge der neuzeitlichen Astronomie
nicht auf den Beginn des teleskopischen Zeitalters
reduziert, sondern in ihrer thematischen Fülle und
methodischen Tragweite, im geistigen Umfeld
ihrer Zeit und in ihren Auswirkungen bis auf den
heutigen Tag dargestellt werden. Nicht weniger
als dies haben sich unsere Referenten vorgenommen, und dazu laden wir Studenten und Kollegen aller Fakultäten, die wissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit und Lehrer mit ihren Schülern herzlich ein.
Karl-Heinz Lotze
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Das Vorlesungsprogramm
auf einen Blick
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06.01.2010 Der „Fall Galilei" gestern und heute
Prof. Dr. Michael Segre, Chieti/Italien
21.10.2009 400 Jahre moderne Astronomie Johannes Kepler, der Beginn des
Umbruchs
Prof. Dr. Fritz Krafft, Marburg
20.01.2010 Von Galileis Fernrohr bis zum European Extremely Large Telescope –
eine kurze Geschichte des Teleskops
Dr. Markus Kissler-Patig, Garching
04.11.2009 Galileo Galilei – der Kolumbus des
Himmels
Prof. Dr. Jürgen Teichmann,
München
03.02.2010 Perspektiven astronomischer
Entdeckungen
Prof. Dr. Hans-Walter Rix, Heidelberg
18.11.2009 Keplers kosmische Musik:
Harmonisch – aber schön?
PD Dr. Rainer Bayreuther, Weimar
02.12.2009 Wenn Wahrheiten miteinander kollidieren: Kepler und Galilei im Dialog
Thomas de Padova, Berlin
Die Vorlesungen finden in der Aula im Universitätshauptgebäude, Fürstengraben 1, mittwochs
17:15 Uhr statt. Änderungen vorbehalten.
Der Eintritt ist frei.
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21.10.2009, 17:15 Uhr
400 Jahre moderne Astronomie - Johannes Kepler, der Beginn des Umbruchs
Prof. Dr. Fritz Krafft, Marburg
Die Astronomie stand stets auf zwei Säulen: der
Beschaffung neuen Beobachtungsmaterials und
dessen systematischer theoretischer Erfassung.
Beim Umbruch vor 400 Jahren waren es einerseits die Fernrohrentdeckungen Galileis und anderer, die im Anschluss an die von Copernicus
vorgeschlagene Heliozentrik vor allem der empirischen Widerlegung des kosmologischen Dualismus im überkommenen, seit fast zwei Jahrtausenden bewährten astronomischen Weltbild dienten – nicht aber dem Beweis der Heliozentrik, wie
Galilei es sah. Kepler andererseits war sofort gewahr geworden, dass die von Brahe erkannte
Subtilität des „Äthers“ eine völlig andersartige
Physik des Himmels erforderte. Statt mittelbar
durch riesige rotierende Äthersphären mussten
die als erdähnlich gedeuteten Planeten unmittelbar von zwischen den Himmelskörpern wirkenden
„Kräften“ bewegt werden. Die Verwirklichung dieser Idee, die Kepler auf verschiedenen Ebenen
seit 1595 bis an sein Lebensende verfolgte, wird
mit ihren wichtigsten Stationen bis hin zur Entdeckung der Planetengesetze im Vortrag „nachgedacht“.
Hintergrund und Anlass der Überlegungen Keplers war die Überzeugung vom trinitatischen Aufbau des ja als sein Ebenbild vom trinitatischen
Gott erschaffenen Kosmos gewesen. Astronomie
war für den studierten Theologen daraufhin Gottesdienst; und den im Sinne des Neuplatonismus
notwendig mathematischen Archetypen für Gottes
Schöpfungsplan gilt deshalb seine lebenslange
Suche. Sie mussten nicht nur ausgezeichneten
mathematischen Sachverhalten genügen (Platonische Körper, Harmonik), sondern auch sowohl
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aus dem von Gott zu ihrer Entstehung und Einhaltung verwendeten „Werkzeug“, der Physik, begründend abgeleitet als auch empirisch nachvollziehbar und a posteriori zu bestätigen sein.
Durch diese Vereinigung von platonischer und
aristotelischer
Denkweise
sowie
jüdischchristlicher Schöpfungsidee schuf Kepler die intellektuellen und methodischen Grundlagen neuzeitlicher Naturwissenschaft, die dann allerdings ebenso wie ihre ersten neuartigen Erkenntnisse,
die Keplerschen Gesetze, ihre Wirkung weitgehend unabhängig von dem zeitbedingten persönlichen Begründungszusammenhang bei Kepler
entfalteten. Der einmalige komplexe Zugang hatte
ihm aber einen Innovationsschub geschaffen, um
dessen Priorität er nicht zu bangen brauchte –
sein Werk möge hundert Jahre auf einen Leser
warten, habe doch Gott seit der Schöpfung auf
sein (Keplers) Erkennen warten müssen –, während Galilei ängstlich und streitsüchtig sowie nicht
immer berechtigt sich die Priorität für jede teleskopische Entdeckung am Himmel erst erstreiten
musste.
Prof. Dr. Fritz Krafft,
1935 in Hamburg geboren; war 1988–2000 Professor für Geschichte der Naturwissenschaft und
der Pharmazie sowie Direktor des in Deutschland
einmaligen Instituts für Geschichte der Pharmazie
an der Philipps-Universität Marburg. Er hatte sich
nach einem Studium der Klassischen Philologie
(Promotion 1962), Philosophie und Physik 1968 in
Hamburg für Geschichte der Naturwissenschaft
habilitiert und war danach von 1970 bis 1988 Professor für dieses Fachgebiet am Fachbereich
Mathematik der Universität Mainz gewesen.
Er ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt sowie der Académie
Internationale d’Histoire des Sciences und war
Präsident unter anderem der Gesellschaft für Wis-
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senschaftsgeschichte (1976-1983) und des Nationalkomitees der Bundesrepublik Deutschland in
der International Union of the History and Philosophy of Science (1983-1989).
Seine Arbeiten zur allgemeinen Wissenschaftsgeschichte betreffen vornehmlich Umbruchsituationen in den Wissenschaften sowie Entstehungsphasen neuer Disziplinen, Theorien und des naturwissenschaftlichen Denkens überhaupt; sie
reichen zeitlich von der Antike über die Renaissance und die Frühe Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert, inhaltlich von der Physik und Astronomie bis
hin zur Pharmazie und allgemeinen Wissenschaftsgeschichte und haben ihren Niederschlag
gefunden in mehr als 350 Aufsätzen und Beiträgen zu Handbüchern und Sammelwerken. Darüber hinaus ist er Autor und Herausgeber von
mehr als 50 Büchern, Gründer und Herausgeber
(1978–2007) der wissenschaftlichen Zeitschrift
„Berichte zur Wissenschaftsgeschichte“ und Mitherausgeber von „Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für
Wissenschaftsgeschichte“ sowie Herausgeber der
Reihen „Quellen und Studien zur Geschichte der
Pharmazie“, „Natur – Wissenschaft – Theologie.
Kontexte in Geschichte und Gegenwart“ und der
„Bibliothek des verloren gegangenen Wissens
(Naturwissenschaften)“.
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04.11.2009, 17:15 Uhr
Galileo Galilei –
der Kolumbus des Himmels
Prof. Dr. Jürgen Teichmann, München
Galilei hat mit seinem Fernrohr 1609 und der Entdeckung der Mondgebirge, der Jupitermonde, der
Sternenvielfalt der Milchstraße und mit einigem
mehr das Tor zum Weltall weit aufgestoßen. Vor
ihm war es nur einen Spalt weit offen, durch den
wir mit unseren bloßen Augen blinzeln konnten. Er
war nicht der Erste bei diesen Entdeckungen,
aber mit seinen Publikationen, Briefen und Disputen wurden sie zur Weltsensation.
Galilei war ein begnadeter Forscher, temperamentvoller wissenschaftlicher Abenteurer und
raffinierter Höfling. So schaffte er es zum – damals – bestbezahlten Naturwissenschaftler aller
Zeiten. Schon zeitgenössische Dichter verglichen
ihn mit Kolumbus. Sein tiefer Fall 1633 mit der
Verurteilung durch die Inquisition der katholischen
Kirche und der Abschwörung des kopernikanischen Weltbildes ist bis heute Gegenstand heftiger Pro- und Contra-Diskussionen geblieben.
Der Vortrag soll seine wichtigsten astronomischen
Entdeckungen vorstellen und auch die turbulente
Szene der damaligen Zeit lebendig machen.
Prof. Dr. Fritz Krafft
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Prof. Dr. Jürgen Teichmann
1941 geboren, ist Professor für Geschichte der
Naturwissenschaften. Er leitete bis 2005 die
Hauptabteilung Bildung am Deutschen Museum
München. Auch die große Ausstellung Astronomie
dort ist unter seiner Leitung entstanden. Er war
Gastprofessor in Hamburg, Göttingen und Pavia
(Italien).
Seine Forschungsgebiete sind die Geschichte der
Physik und Astronomie in der Neuzeit sowie der
Nutzen der Wissenschaftsgeschichte im Unterricht. Neben seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat Prof. Teichmann auch populäre
Bücher für Erwachsene und Jugendliche geschrieben.
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18.11.2009, 17:15 Uhr
Keplers kosmische Musik:
Harmonisch – aber schön?
PD Dr. Rainer Bayreuther, Weimar
Die Erkenntnis aus Keplers Astronomia nova
(1609), dass die Planeten sich nicht auf kreisförmigen, sondern elliptischen Bahnen um die Sonne
bewegen, war für die musikalische Theorie ein
Schock. Im Platonismus und vor allem im Humanismus der Renaissance herrscht die Überzeugung, dass den musikalischen Konsonanzen und
der Maschinerie der Himmelskörper ein und dieselben harmonischen Prinzipien zugrunde liegen.
Anhaltspunkte dafür waren die Radien der Planetenkreise und die Längenverhältnisse der musikalischen Intervalle, die verblüffend ähnliche Zahlenverhältnisse aufweisen. Mit den Ellipsenbahnen war diese Übereinstimmung dahin. Der Platoniker Kepler wollte eine solche Ernüchterung aber
nicht hinnehmen. Er entwickelte in der Harmonice
mundi (1619) ein völlig neues Verfahren, zu
bestimmen, was eigentlich musikalische Harmonie
ist. Bisher verstand man musikalische Harmonie
als Verhältnisse ganzer Zahlen. Musik war eine
Sache der rationalen Zahlen.
Prof. Dr. Jürgen Teichmann
Kepler nun fasste musikalische Harmonie analog
zu Verhältnissen von Größen in geometrischen
Figuren auf. Musik wurde damit zu einer Sache
der reellen Zahlen - eine Blasphemie! Mit dieser
Methode wollte Kepler einem weiteren musikalischen Problem begegnen, das sich mit den Erkenntnissen der Astronomia nova ergeben hatte.
Vom Planet Erde aus gesehen zeichnen sich die
Bahnen der anderen Planeten weder als schöne
Kreise noch als regelmäßige Ellipsen an den
Himmel, sondern verzerrt als Parabeln - und zwar
von jedem Standpunkt der Beobachtung aus andere. Ist es womöglich in der Musik genauso?
Hört jeder Mensch die Harmonien anders oder gar
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andere Harmonien? Auch darauf gibt Keplers
geometrische Auffassung der musikalischen Harmonie eine Antwort. Anders als den drei Keplerschen Planetengesetzen war seiner Musiktheorie
kein langes Leben beschert. Keine zehn Jahre
nach Keplers Tod wurde eine akustische Entdeckung gemacht, die seine genialische Musiktheorie hinfällig werden ließ.
Privatdozent Dr. Rainer Bayreuther,
1967 in Esslingen am Neckar geboren, studierte
von 1989 bis 1994 in Heidelberg Musikwissenschaft, Theologie und Philosophie. Erteilung der
venia legendi für Musikwissenschaft 2004 von der
Universität Halle/Wittenberg. Danach Vertretungsdozenturen und -professuren an den Universitäten
Jena, Frankfurt/Main, Göttingen und Freiburg i.Br.
In den Semestern Winter 2008/09 und Sommer
2009 Junior Fellow am Alfred Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald.
Die gegenwärtigen Forschungsschwerpunkte sind
die Musikalische Wissensgeschichte im Mittelalter
und in der Frühen Neuzeit, Geschichte und Theorie religiöser Musik und die Theorie der Sprachlichkeit von Musik.
PD Dr. Rainer Bayreuther
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02.12.2009, 17:15 Uhr
Wenn Wahrheiten miteinander kollidieren:
Kepler und Galilei im Dialog
Thomas de Padova, Berlin
Im Jahr 1609 durchbrechen Johannes Kepler und
Galileo Galilei die Grenzen der damals bekannten
Welt. Der eine blickt in Venedig durchs Fernrohr
zu den Sternen, der andere veröffentlicht in Prag
seine Planetengesetze.
Ihre mehrfach abgebrochene und wieder aufgenommene Korrespondenz hat bisher wenig Beachtung gefunden. Darin begegnen sich die beiden Forscher auf einem schmalen Grat zwischen
schwärmerischer Begeisterung und nüchterner
Analyse, zwischen offenem Gedankenaustausch
und Geheimhaltung, zwischen Kooperation und
Konkurrenz. Im Spiegel des jeweils anderen zeigen sich ihre Weitsicht und Engstirnigkeit.
Eine Gegenüberstellung der beiden schillernden
Figuren eignet sich in besonderer Weise dazu zu
erkunden, was Wissenschaftler bis heute dazu
treibt, vertraute Sichtweisen hinter sich zu lassen
und ein unbekanntes Terrain zu betreten. Und wie
das Neue in die Welt kommt.
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Thomas de Padova,
06.01.2010, 17:15 Uhr
geboren 1965 in Neuwied am Rhein als Kind
deutsch-italienischer Eltern. Er hat in Bonn und
Bologna Physik und Astronomie studiert.
Der "Fall Galilei" gestern und heute
Von 1995 bis 2005 war er Redakteur beim „Tagesspiegel“ in Berlin, für den er nach wie vor eine
wöchentliche Wissenschaftskolumne schreibt. Als
freier Wissenschaftspublizist hat er mehrere Bücher veröffentlicht. Zuletzt im Piper-Verlag von
ihm erschienen „Das Weltgeheimnis – Kepler,
Galilei und die Vermessung des Himmels“, 2009.
Prof. Dr. Michael Segre, Chieti /Italien
Das Jahr 2009 wurde weltweit zum Jahr der Astronomie erklärt, weil es 400 Jahre her ist, dass
Galilei seine ersten teleskopischen Beobachtungen machte. Während Galilei ein ganzes Universum eröffnete, legte die römische Kirche den Beginn eines langen Schattens über ihre eigene
Geschichte, indem sie den Kopernikanismus als
häretisch erklärte und Galilei verurteilte.
Der Fall Galilei ist komplex, da im Schnittpunkt
von vielen Faktoren gelegen: wissenschaftlichen,
theologischen, philosophischen, politischen und
anderen. Er setzt sich aus zwei Vorkommnissen
zusammen: dem Dekret von 1616, das den Kopernikanismus verbot und dem Prozess und der
Verurteilung von Galilei von 1633. Das letzte Vorkommnis überschattet häufig das erste, dieses ist
jedoch der Kern der ganzen Angelegenheit.
Thomas de Padova
Zwischen 1979 und 1992 versuchte Papst Johannes Paul II im Zeichen des 2. Vatikanums, die
Angelegenheit abzuschließen, indem er eine
Kommission beauftragte, den Fall zu klären, mögliche Fehler anzuerkennen und die Harmonie zwischen Wissenschaft und Glauben zu fördern. Eine
aufmerksame Lektüre der Ansprache des Papstes
zeigt jedoch, dass der Fall keineswegs abgeschlossen ist. Darüber hinaus drücken die
Schlussfolgerungen der Kommission und die
Schlussrede des Papstes einen reaktionären Blick
aus.
17
Prof. Dr. Michael Segre,
geboren 1950 in Rom, Studium der Physik und
Philosophie, Promotion in Wissenschaftsgeschichte, 1993 Habilitation in Geschichte der Naturwissenschaften an der Universität München. Seit
2002 Ordinarius für Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik an der „Gabriele d' Annunzio" Universität in Chieti. Einer der Forschungsschwerpunkte: Galilei und seine Nachfolger.
1994 war Prof. Segre der Erste, der auf einer Galilei-Tagung in Berlin Kritik an der sog. "Rehabilitierung" Galileis durch Johannes Paul II übte. Segre
wies darauf hin, dass die Reden des Papstes
nicht nur unschlüssig seien, die Abschlussrede sei
sogar reaktionär. Diese Kritik wurde 1997 von Isis
veröffentlicht und ist heute breit akzeptiert, auch in
Kirchenkreisen.
Prof. Dr. Michael Segre
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20.01.2010, 17:15 Uhr
Von Galileis Fernrohr bis zum European
Extremely Large Telescope – eine kurze
Geschichte des Teleskops
Dr. Markus Kissler-Patig, Garching
Vor 400 Jahren wurde das Fernrohr erfunden und
kurz darauf von Galileo auf den Himmel gerichtet.
Damit erschloss sich ein vollkommen neues Weltbild. Seitdem wurden Teleskope stets verbessert
und mit jedem Schritt wurden auch neue, revolutionäre Entdeckungen gemacht.
Der Vortrag wird die Geschichte des Teleskops
durch vier Jahrhunderte begleiten, mit speziellem
Blick auf die Techniken, die den Fortschritt ermöglicht haben. Die daraus folgenden Beobachtungen
und unser verändertes Weltbild werden im historischen Kontext beschrieben. Enden wird der Vortrag in diesem Jahrzehnt mit einer Beschreibung
des derzeit leistungsfähigsten Teleskops, des
ESO Very Large Telescope, sowie mit einem Ausblick auf das European Extremely Large Telescope, das
größte optische Teleskop, das die
Menschheit jemals gebaut hat.
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Dr. Markus Kissler-Patig,
Dr. Kissler-Patig ist in der Schweiz und in Frankreich aufgewachsen, bevor er Physik und Astronomie in Bonn studierte. Nach seiner Promotion
1997 hat er in Kalifornien für die University of California Observatories im Auftrag der NASA gearbeitet, bevor es ihn wieder nach Europa an das
European Southern Observatory (ESO) gezogen
hat, wo er seit 10 Jahren tätig ist. Seit 2007 ist er
wissenschaftlicher Leiter des European Extremely
Large Telescope (http://www.eso.org/public/astronomy/projects/e-elt.html), das mit 42 m Durchmesser das größte optische Teleskop sein wird,
das die Menschheit jemals gebaut hat.
Zuvor hat Dr. Kissler-Patig Kameras für das Very
Large Telescope (VLT) der ESO entwickelt und
viele hundert Nächte an Observationen in der
Atacama-Wüste verbracht.
Dr. Kissler-Patig war Stipendiat der Alexandervon-Humboldt-Gesellschaft und erhielt 1999 den
Ludwig-Biermann-Preis der Astronomischen Gesellschaft. Seine wissenschaftlichen Interessen
liegen in der Erforschung der Galaxienentstehung
und Entwicklung sowie der Studie von Schwarzen
Löchern in Sternhaufen.
Dr. Markus Kissler-Patig
20
03.02.2010, 17:15 Uhr
Perspektiven astronomischer
Entdeckungen
Prof. Dr. Hans-Walter Rix, Heidelberg
Astronomische Erkenntnisse basieren zum einen
auf der Anwendung bekannter physikalischer Gesetze, die wir als universell annehmen. So kann
zum Beispiel die Existenz von Planetensystemen
um andere Sterne erschlossen werden. Andererseits kann unser Universum auch als „Labor“ dienen, um neue physikalische Phänomene zu erschließen, wie z. B. die Dunkle Energie.
Der Vortrag wird das Entdeckungspotential der
Astronomie in beiden Richtungen beleuchten.
Einerseits sollte es möglich werden, Leben auf
anderen Planeten zu entdecken, andererseits
können wir bald die Frage, ob es auch „andere
Universen“ gibt, wissenschaftlich angehen.
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Prof. Dr. Hans-Walter Rix,
geboren 1964 in Erlangen, studierte Physik und
Astronomie in Freiburg, München und Tucson/Arizona. Promotion an der University of Arizona (1991). Nach weiteren Stationen in den USA
(Institute for Advanced Study, Princeton, 19911994) und Deutschland (Max-Planck-Institut für
Astrophysik, 1995-1995) Rückkehr als Assistent
Professor, später Associate Professor an der University of Arizona (1995-1998). Seit 1999 ist Prof.
Rix Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.
Sein Forschungsgebiet umfasst die Struktur und
Dynamik von Galaxien sowie die Galaxienentstehung, die Struktur unserer Milchstraße, den Gravitationslinsen-Effekt sowie Schwarze Löcher in
Galaxienkernen.
Prof. Rix gehört zum Science Team des „Hubble“Nachfolgers, des James Webb Space Telescope,
und ist als Mitglied der LBT-Beteiligungsgesellschaft am Bau und Betrieb des bisher größten bodengebundenen Einzelteleskops, des „Large Binocular Telescope“ (LBT), auf dem Mt. Graham/Arizona beteiligt.
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Zum Weiterlesen:
Von den Referenten empfohlene und selbst
verfasste Literatur
Bayreuther, R: Die Harmonie der Welt – nach
Rücksprache mit der Musikwissenschaft, in: Röser, H.-P., Uhl, E. (Hrsg.): Kepler und das Weltbild
des modernen Menschen, LIT-Verlag Münster,
Hamburg, Berlin, Wien 2010
Kepler, J., Caspar, M. (Übers.), Krafft, F. (Hrsg.):
Astronomia Nova – Neue, ursächlich begründete
Astronomie, Marix Verlag, Wiesbaden 2005
Kepler, J., Krafft, F.: Was die Welt im Innersten
zusammenhält. Antworten aus Schriften von Johannes Kepler, Marix Verlag, Wiesbaden 2005
Krafft, F.: „... denn Gott schafft nichts umsonst!“
Das Bild der Naturwissenschaft vom Kosmos im
historischen Kontext des Spannungsfeldes GottMensch-Natur, LIT Verlag, Münster 1999
De Padova, Th.: Das Weltgeheimnis – Kepler,
Galilei und die Vermessung des Himmels, PiperVerlag, München 2009
Rix, H.-W.: Perspektiven astronomischer Entdeckungen, in: Sterne und Weltraum 47(2008)(8)3240
Segre, M.: In the wake of Galileo, Rutgers University Press, New Brunswick 1991
Segre, M.: Light on the Galileo Case, in: Isis
88(1997)484-504
Prof. Dr. Hans-Walter Rix
Segre, M.: Galileo: a “rehabilitation” that has never
taken place, in: Endeavour 23(1999)(1)20-23
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Segre, M.: Hielt Johannes Paul II sein Versprechen?, in: M. Segre u. E. Knobloch (Hrsg.), Der
ungebändigte Galilei, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, S. 107-111
Segre, M.: Zwischen Trient und Vatikanum II: Der
Fall Galilei, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte
26(2003)1-8
Teichmann, J.: Moment mal Herr Galilei, GNTVerlag, Diepholz 1992
24
Foto und Bildnachweise
Privat:
PD Dr. Rainer Bayreuther
Dr. Markus Kissler-Patig
Prof. Dr. Fritz Krafft
Thomas de Padova
Prof. Dr. Hans-Walter Rix
Prof. Dr. Jürgen Teichmann
Umschlag innen:
Teichmann, J.: Wandel des Weltbildes, B.G.
Teubner Verlag, Stuttgart u. Leipzig 1999
Logo: http://www.astronomy2009.org/resources/
branding/
Teichmann, J.: Mit Einstein im Fahrstuhl – Physik
genial erklärt, Arena-Verlag, Würzburg 2008
Mit freundlicher Genehmigung durch Herrn Lars
Lindberg Christensen (ESO), Leiter des Büros zur
Koordinierung der Internationalen Aktivitäten zum
Weltjahr der Astronomie 2009.
Teichmann, J.: Die unglaublich fantastische Reise
zum Urknall – Astronomie von Galilei bis zur Entdeckung der Schwarzen Löcher, Arena-Verlag,
Würzburg 2009
Anlässlich der Veranstaltung am 2. Dezember
2009 wird in Zusammenarbeit mit der Universitätsbuchhandlung Thalia im Foyer der Aula der
Universität ein Büchertisch organisiert, wo einige der hier aufgeführten Bücher käuflich erworben
werden können.
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