Das Phonem

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GRAMMATIK I / 1
Programm
GRAMMATIK I / 2
Stimmungsvoller Einstieg
Phonologie
• Stimmungsvoller Einstieg
• Das Phonem: die Grundeinheit der phonologischen Beschreibung
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GRAMMATIK I / 3
I got der dress und der hat.
Now ve'll need some
chewlery.
Vot iss you veasels up to?
Bestimmte Laute des
Englischen kommen im
Deutschen schlichtweg
nicht vor und werden
durch Approximationen
ersetzt:
[ð] wird als [d] realisiert.
[w] wird als [v] realisiert.
[dʒ] wird als [tʃ] realisiert.
[θ] wird als [t] oder [s] realisiert.
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[ð] o [d]
[w] o[v]
[dʒ] o[tʃ]
[θ] o
[t]
[s]
GRAMMATIK I / 4
Stimmungsvoller Einstieg
Stimmungsvoller Einstieg
Ein im Kontext 'fremder Akzent' häufig belächeltes Phänomen ist
der Umstand, dass viele Sprecher asiatischer Sprachen
Schwierigkeiten haben bei der genauen Differenizierung von [l]
und [r]:
Hully Potter und Eric Crapton - können wir aus diesen Daten
schließen, dass, ähnlich wie das englische [w] nicht im Deutschen
oder das deutsche [ç] nicht im Englischen vorkommt, [l] und [r] in
asiatischen Sprachen wie Chinesisch oder Koreanisch nicht
auftreten?
Interessanterweise lautet die Antwort 'Nein': tatsächlich kommen
beide Laute sowohl im Chinesischen wie im Koreanischen und
anderen asiatischen Sprachen vor. Wie ist dann zu erklären, dass
viele Sprecher Schwierigkeiten haben, sie voneinander zu
differenzieren?
Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir erkennen, dass
Sprachlaute in verschiedenen Sprachen unterschiedlichen Status
im Lautsystem haben können.
Um diesen Punkt zu präzisieren, müssen wir das Konzept
'Sprachlaut' genauer analysieren.
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GRAMMATIK I / 5
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GRAMMATIK I / 6
Phone vs Phoneme
Phone vs Phoneme
Sprecher einer Einzelsprache ignorieren in vielen Fällen die
substantiellen Eigenschaften von Sprachlauten, was dazu führt, dass
unterschiedliche Laute als derselbe Laut wahrgenommen werden:
Physisch, also artikulatorisch und akustisch betrachtet, mögen X und
Y zwei verschiedene Laute sein, psychologisch betrachtet können sie
aber für Sprecher bestimmter Sprachen ein- und denselben Laut
darstellen. Hierfür spielt die Funktion der fraglichen Laute eine
entscheidende Rolle.
Um terminologisch zwischen einem Sprachlaut als tatsächlicher,
physischer Einheit und einem Sprachlaut als wahrgenommener
Einheit zu differenzieren, unterscheiden wir zwischen Phonen auf
der einen Seite und Phonemen auf der anderen Seite.
Während das phonetische Alphabet universal ist, vaiiert das
phonemische Alphabet von Sprache zu Sprache.
[p]:
[ʁ]:
[z]:
[m]:
[f]:
[t͡s]:
stimmloser bilabialer Plosiv
stimmhafter uvularer Frikativ
stimmhafter alveolarer Frikativ
stimmhafter bilabialer Nasal
stimmloser laviodentaler Frikativ
stimmlose alveolare Affrikate
pɪnə
ʁɪnə
zɪnə
mɪnə
fɪnə
t͡sɪnə
Die Laute [p, ʁ, z, m, f, t͡s] haben
im Deutschen kontrastive
Funktion: werden sie in derselben
Umgebung füreinander
ausgetauscht, entstehen jeweils
neue sprachliche Zeichen.
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GRAMMATIK I / 7
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phonetische
Beschreibung, nimmt
Bezug auf Artikulationsort
und Artikulationsart,
betrachtet Sprachlaute
als isolierte, physische
Ereignisse.
phonologische
Beschreibung, nimmt
Bezug auf die Funktion
von Sprachlauten in
Sprache X und
betrachtet sie im Kontext
anderer Sprachlaute.
GRAMMATIK I / 8
Phoneme
Phoneme
In describing the sound-system of any language it is necessary to
distinguish between speech-sounds and what are called phonemes.
A speech-sound is a sound of definite organic formation and
definite quality which is incapable of variation.
A phoneme may be described roughly as a family of sounds
consisting of an important sound of the language (i.e. the most
frequently used member of that family) together with other related
sounds which 'take its place' in particular sound-sequences or under
particular conditions of length or stress. (Daniel Jones 1957)
Bei einer phonologischen Untersuchung spielt die Funktion eines
Sprachlautes in einer Einzelsprache die entscheidende Rolle: wenn
zwei Laute X und Y in derselben Umgebung dazu führen, dass ein
neues sprachliches Zeichen entsteht, können diese Laute
verschiedenen Phonemen der Einzelsprache zugerechnet werden.
In diesem Kontext findet man auch häufig die Aussage, dass
Phoneme bedeutungsunterscheidende Funktion in einer Sprache
haben.
Um zu ermitteln, ob Laute kontrastive Funktion haben, wird das
Verfahren der Minimalpaaranalyse eingesetzt.
GRAMMATIK I / 9
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Minimalpaaranalyse
Minimalpaaranalyse
Ein Minimalpaar besteht aus zwei sprachlichen Zeichen, die sich in
genau einem Element unterscheiden.
Im Rahmen der Phonologie ist ein Minimalpaar ein Paar von
Wörtern, das sich in einem Laut unterscheidet. Die fraglichen Laute
müssen an derselben Stelle im Syntagma stehen, sie müssen also in
identischer Umgebung auftreten.
pɪnə
ʁɪnə
zɪnə
mɪnə
fɪnə
t͡sɪnə
viːɐ
fiːɐ
[v]
__iːɐ
[f]
mʊtɐ bʊtɐ
[m]
__ʊtɐ
[b]
aːlə
aːnə
[l]
aː__ə
[n]
gəbraʊt gətraʊt
[b]
gə__raʊt
[t]
[d]
baː__
[n]
fluːk
baːd baːn
fluːt
[k]
fluː__
[t]
GRAMMATIK I / 11
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Minimalpaaranalyse
ʁɪnə
rɪnə
ʀɪnə
ʁɪnə rɪnə
rɪnə ʀɪnə
'Rinne'
ʀɪnə ʁɪnə
Wie diese Paare zeigen, haben die Laute [ʁ, r, ʀ] im Deutschen keine
kontrastive Funktion: sie können an derselben Position füreinander
ausgetauscht werden, ohne dass ein neues Zeichen entsteht bzw.
ohne dass sich die Bedeutung ändert.
Damit repräsentieren diese Laute im Deutschen dasselbe Phonem,
sie sind Allophone des Phonems /r/.
pɪnə
pɪnə
pɪnə
pɪnə
pɪnə
ʁɪnə
zɪnə
mɪnə
fɪnə
t͡sɪnə
ʁɪnə zɪnə zɪnə mɪnə
ʁɪnə mɪnə zɪnə fɪnə
ʁɪnə fɪnə zɪnə t͡sɪnə
ʁɪnə t͡sɪnə
GRAMMATIK I / 10
mɪnə fɪnə
mɪnə t͡sɪnə
fɪnə t͡sɪnə
Jedes dieser Wortpaare unterscheidet sich in genau einem Element.
Die fraglichen Laute treten dabei jeweils in der gleiche Position im Syntagma auf:
sie teilen dieselbe Umgebung, nämlich _ɪnə.
Da wir bei jedem dieser Minimalpaare einen Bedeutungsunterschied festellen, die
fraglichen Laute also kontrastive Funktion haben, können wir folgende Aussage
treffen:
Die Laute [p, ʁ, z, m, f, t͡s] repräsentieren im Deutschen verschiedene
Phoneme: /p/, /ʁ/, /z/, /m/, /f/, / t͡s/.
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GRAMMATIK I / 12
Audience Participation: Minimalpaaranalyse
Welches der folgenden Wortpaare hat Minimalpaarstatus im
Deutschen? Welche Laute sind jeweils als Phoneme etabliertɁ
Hase - hasse
[haːzə] [hasə]
Kein Minimalpaar
bieten - bitten
[biːtn̩ ] - [bɪtn̩]
[iː] - [ɪ]
Fracht - Nacht
[fʁaxt] - [naxt]
Kein Minimalpaar
Ziel - Siel
[t͡siːl] - [ziːl]
[t͡s] - [z]
kosten - kosen
[kɔstn̩] - [koːzn̩ ] Kein Minimalpaar
Spanne - Spanier [ʃpanə] - [ʃpaːnjɐ] Kein Minimalpaar
heule - Heute
[hɔılə] - [hɔıtə]
[l] - [t]
Rolle - Rosse
[rɔlə] - [rɔsə]
[l] - [s]
Rosen - Hosen
[ʁoːzn̩] - [hoːzn̩ ] [ʁ] - [h]
Bahn - Ball
[baːn] - [bal]
Kein Minimalpaar
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GRAMMATIK I / 13
Audience Participation: Minimalpaaranalyse
Welches der folgenden Wortpaare hat Minimalpaarstatus im
Englischen? Welche Laute sind jeweils als Phoneme etabliertɁ
bear - hear
[bɛə] [hɪə]
Kein Minimalpaar
rude - route
[ruːd] - [ruːt]
[d] - [t]
air - heir
[ɛə] - [ɛə]
Kein Minimalpaar
fool - feel
[fuːl] - [fiːl]
[u:] - [i:]
leg - lock
[lɛg] - [lɔk]
Kein Minimalpaar
zeal - sole
[ziːl] - [səʊl]
Kein Minimalpaar
count - found
[kaʊnt] - [faʊnd] Kein Minimalpaar
fame - shame
[feɪm] - [ʃeɪm] [f] - [ʃ]
grow - know
[grəʊ]- [nəʊ]
Kein Minimalpaar
pass - part
[paːs] - [paːt]
[s] - [t]
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GRAMMATIK I / 15
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GRAMMATIK I / 14
Phonemdefinition: Phoneme als Klassen von Lauten
Eine Phonem ist eine Klasse phonetisch ähnlicher Laute, die
entweder
• äquivalent verteilt sind, also in freier Variation stehen, oder
• komplementär verteilt sind.
Was bedeutet 'phonetisch ähnlich'?
Was bedeutet 'äquivalent verteilt' bzw. 'freie Variation'?
Was bedeutet 'komplementär verteilt'
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GRAMMATIK I / 16
Phonetische Ähnlichkeit
Äquivalente und komplementäre Verteilung: Distribution
Je mehr artikulatorische Merkmale zwei Laute teilen, desto
phonetisch ähnlicher sind sie.
So sind sich die nachstehenden Lautpaare zunehmen unähnlicher:
teilen sich die Laute in der ersten Gruppe noch 2, ist es in der
zweiten Gruppe nur noch ein traditionelles Artikulationsmerkmal, in
der dritten Gruppe keines:
Die beiden Konzepte 'äquivalente Verteilung' und 'komplementäre
Verteilung' beziehen sich auf die Umgebung, in der ein sprachliches
Element auftreten kann, bzw. auf dessen Verteilung.
Wie Sie noch feststellen werden, spielt die Verteilung - auch
Distribution genannt - sprachlicher Elemente eine zentrale Rolle,
wenn es darum geht, in der Sprachwissenschaft Klasen zu bilden.
Das Konzept findet sich also nicht nur im Rahmen der der
Phonologie, in der es für die Ermittlung der Phoneme eingesetzt
wird, sondern auch in der Syntax oder der Morphologie.
Um dieses so wichtige Konzept einzuführen, betrachtet wir zunächst
ein Beispiel, das nichts mit sprachlichen Daten zu tun hat.
1. [p] und [b]: biliabial, plosiv
[b] und [m]: bilabibial, stimmhaft
2. [d] und [s]: alveolar
[z] und [x]: frikativ
3. [m] und [k]: [θ] und [ŋ]: -
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GRAMMATIK I / 17
GRAMMATIK I / 18
S. Hackmack Uni Bremen FB 10
Distribution
Distribution
Der Begriff Distribution bezieht sich auf die Verteilung von
Elementen in einem System. Er ist definiert als die Menge aller
Umgebungen, in der ein Element auftreten kann.
Die Umgebung eines Elementes ist durch diejenigen Elemente
definiert, die ihm unmittelbar vorausgehen und unmittelbar folgen.
Der Begriff Distribution bezieht sich auf die Verteilung von
Elementen in einem System. Er ist definiert als die Menge aller
Umgebungen, in der ein Element auftreten kann.
Die Umgebung eines Elementes ist durch diejenigen Elemente
definiert, die ihm unmittelbar vorausgehen und unmittelbar folgen.
„|‘6‘
6‘„|‘6
„|‘6‘
6‘„|‘
6„<‘„
„ 6 „<‘
„<‘ 6
6‘„<‘
|6<„
„6‘ ~ Nirgends, wo | vorkommt,
|<‘<6 kann ~ vorkommen und
|‘<6 ~ umgekehrt.
„<‘ ~
| folgt immer „
| geht immer‘ voraus
Überall, wo | auftreten
kann, kann auch <
auftreten.
< folgt immer „
< geht immer‘ voraus
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|/ „__‘
| / „__‘
<
< / „__‘
GRAMMATIK I / 19
| kommt nur in erster
Position vor und nie in
letzter Position
~ kommt nur in letzter
Position vor und nie in
erster Position
GRAMMATIK I / 20
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Distribution
Zurück zur...Phonemdefinition
Zwei Elemente X und Y können
• äquivalente Distribution aufweisen: in allen Umgebungen, in
denen X auftreten kann, kann auch Y auftreten. Diese Art der
Distribution wird auch freie Variation genannt. Dieses war der Fall
bei | und <.
• komplementäre Distribution aufweisen: in keiner Umgebung, in
der X auftreten kann, kann Y auftreten - und umgekehrt. Dieses
war der Fall bei | und ~.
• partiell äquivalente Distribution aufweisen: Y kann in einigen,
aber nicht in allen Umgebungen auftreten, in denen X auftritt,
und umgekehrt.
Eine Phonem ist eine Klasse phonetisch ähnlicher Laute, die
entweder
• äquivalent verteilt sind, also in freier Variation stehen, oder
• komplementär verteilt sind.
[r]
[ʀ] /__ɪnə
[ʁ]
sind äquivalent verteilt,
stehen in freier Variation
/r/
Phonem
[r] [ʀ] [ʁ] Allophon(e)
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GRAMMATIK I / 21
GRAMMATIK I / 22
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Zurück zur...Phonemdefinition
Zurück zur...Phonemdefinition
Eine Phonem ist eine Klasse phonetisch ähnlicher Laute, die
entweder
• äquivalent verteilt sind, also in freier Variation stehen, oder
• komplementär verteilt sind.
Eine Phonem ist eine Klasse phonetisch ähnlicher Laute, die
entweder
• äquivalent verteilt sind, also in freier Variation stehen, oder
• komplementär verteilt sind.
[ç] vs [x]
Dort, wo [ç] vorkommt, kann [x] nicht vorkommen, und umgekehrt:
Phonem
/ç/
• [ç] steht nach einem Vorderzungenvokal, den Diphtongen [aɪ] und
[ɔɪ] oder [l], [r] und [n].
• [x] steht nach einem Hinter- oder Zentralvokal oder dem Diphtong
[aʊ].
[ç]
[x]
Allophon(e)
Damit sind diese Laute im Deutschen komplementär verteilt und
repräsentieren dasselbe Phonem.
Dieses Phonem wird nach demjenigen Allophon benannt, das die
größte Verbreitung hat, in unserem Falle also nach [ç].
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GRAMMATIK I / 23
Phoneme und Allophone
Funktional betrachtet dienen Phoneme dazu, Bedeutungen zu
unterscheiden
Dabei ist ein Phonem eine relativ abstrakte Einheit, die je nach
Kontext durch verschiedene 'reale' Einheiten repräsentiert sein
kann. Diese Einheiten sind die Allophone des Phonems. Somit
stellen Phoneme Klassen von Lauten dar, oder, wie Jones es nennt,
families of sounds.
Damit ist nicht gesagt, dass jedes Phonem notwendigerweise mehr
als ein Allophon umfasst.
Da dieser Punkt bzw. die Unterscheidung zwischen abstraktem
Konzept und dessen Realisierung(en), die auch auf anderen
sprachlichen Ebenen eine Rolle spielt, oft nicht wirklich erfasst wird,
eine etwas hinkende Illustration:
GRAMMATIK I / 24
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Phoneme und deren Allophone
Neuer
Torwart
Höwedes
Boateng
Hummels
Lahm
Verteidiger
Schweinsteiger
Mittelfeldspieler
Kroos
Khedira
Müller
Klose
Konkrete
Instanzen der
jeweiligen Klasse
Özil
Stürmer
Funktional
definierte Klassen
von Spielern
Klasse, die durch
ein Element
realisiert ist
GRAMMATIK I / 25
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GRAMMATIK I / 26
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Distributionsregeln
Distributionsregeln
Die Verteilung der Allophone in einer Sprache kann über Regeln
erfasst werden.
Vielleicht ist Ihnen das Grundprinzip solcher Regeln schon bekannt,
wenn sie sich beispielsweise einmal mit der Grammatik fremder
Sprachen beschäftigt und Aussagen wie die folgenden gelesen
haben:
• Im Englischen geht das Adjektiv dem Nomen voraus: big tree.
• Im Swahili folgt das Adjektiv dem Nomen: mti mkubwa.
• Im Englischen steht die Adposition vor der Nominalphrase, ist
also eine Präposition: on the table.
• Im Chinesischen folgt die Adposition der Nominalphrase, ist also
eine Postposition: zhuōzi shàng 'table on'.
Auch die Regelhaftigkeiten der stellungsbedingten Allophone eines
Phonems werden über derartige Distributionsregeln erfasst.
Es ist wichtig, dass Sie solche Regeln lesen und erstellen können.
Grundprinzip:
in der
GRAMMATIK I / 27
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[Allophon1] Umgebung
[Allophon1]
/
/PHONEM α/
Das Phonem α
ist realisiert
als
[Allophon2]
/
[Allophon2]
in der
Umgebung
__ x vor x
y__
__c
d__
a__b
oder
hinter y
vor c
oder
hinter d
oder
zwischen a
und b
GRAMMATIK I / 28
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Distributionsregeln
Audience Participation: Distributionsregeln
Das Phonem /ç/ wird als [ç] realisiert, wenn es nach einem
Vorderzungenvokal, den Diphtongen [aɪ] und [ɔɪ] oder [l], [r] und [n]
steht.
Das Phonem /ç/ wird als [x] realisiert, wenn es nach einem
Hinterzungen- oder Zentralvokal oder dem Diphtong [aʊ] steht.
Übersetzen Sie die nachstehenden Distributionsregeln in Fließtext:
/ç/
[α] /
/δ/
[δ] sonst
V[VORNE]
[ç] / {[aɪ], [ɔɪ]}
{[l], [r], [n]}
[α] /
/δ/
[x] / V[{HINTEN,ZENTRAL}]
[aʊ]
V __ V
γ__
__V[VORNE]
γ__π
[β] / C[PLOSIV] __
[δ] sonst
Das Phonem /δ/ wird als [α]
realisiert, wenn es zwischen
zwei Vokalen oder nach einem γ
steht. In allen anderen Fällen
wird es als [δ] realisiert.
Das Phonem /δ/ wird als [α]
realisiert, wenn es vor einem
Vorderzungenvokal oder
zwischen γ und π steht.
Es wird als β realisiert, wenn es
nach einem Plosivlaut steht.
In allen anderen Fällen wird es
als [δ] realisiert.
GRAMMATIK I / 29
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GRAMMATIK I / 30
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Audience Participation: Distributionsregeln
Phoneme als sprachspezifische Konstrukte
Daten aus dem Cree 1 (Cowan & Rakušan 1998: 21):
pahki
'partly'
u̯ aːbameːu
'he sees him'
niːsosaːp
'twelve'
naːbeːu̯
'man'
taːnispiː
'when'
aːbihtaːu̯
'half'
pasku̯ aːu̯
'prairie'
nibimohtaːn 'I walk'
asabaːp
'thread'
siːsiːbak
'ducks'
Beispiel 1: [pʰ] vs [p]
Repräsentieren die Laute [p] und [b] dasselbe Phonem oder
verschiedene Phoneme? Wie ist die genaue Verteilung?
[b] / V __ V
/p/
[p] sonst
GRAMMATIK I / 31
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Englisch: pin - spin
Deutsch: patzen - Spatzen
[pɪn] [spɪn]
[patsn̩] [ʃpatsn̩]
[pʰɪn] [spɪn]
[pʰatsn̩] [ʃpatsn̩]
[p] und [pʰ] sind im Deutschen und Englischen
komplementär verteilt: [pʰ] erscheint am
Wortanfang und -ende, besonders vor dem
betonten Vokal in einer betonten Silbe, wenn
dieser kein [s] oder [ʃ] vorausgeht: Pack, prall,
Pneu, Pause, Pisa usw.
Selbst wenn [p] und [pʰ] nicht in ihrer kanonischen
Form auftreten, sondern frei variieren, entsteht
kein neues Sprachzeichen.
Damit repräsentieren [pʰ] und [p] dasselbe
Phonem /p/ im Englischen und im Deutschen, wo
Aspiration kein distinktives Merkmal ist.
Phoneme als sprachspezifische Konstrukte
Beispiel 1: [pʰ] vs [p]
Beispiel 2: [l] vs [ɫ] bzw. [lˠ]
[tʃal]
'turn'
[tʃʰal] 'bark'
[kal] 'era'
[kʰal] 'skin'
Koreanisch:
[pul] 'fire'
[pʰul] 'grass'
[tal] 'moon'
[tʰal] 'mask'
Im Hindi, Koreanischen und vielen
weiteren Sprachen dagegen haben
[pʰ] und [p] bzw. Aspirkation
bedeutungsunterscheidende
Funktion.
In diesen Sprachen repräsentieren
[pʰ] und [p] verschiedene Phoneme:
/p/
/pʰ/
[p]
[pʰ]
[p]
[pʰ]
GRAMMATIK I / 32
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Phoneme als sprachspezifische Konstrukte
Hindi:
/p/
[li:f]
Englisch: leaf – feel
[fiːɫ] bzw. [fiːlˠ]
love, like, lost, lame: [lʌv], [laɪk], [lɒst], [leɪm]
heel, roll, bail, vile: [hiːɫ], [roʊɫ], [beɪɫ], [vaɪɫ]
/l/
[l]
[ɫ]
Velarisiertes und nicht-velarisiertes [l] sind im Englischen komplementär
verteilt: sie repräsentieren dasselbe Phonem im Englischen.
Russisch:
столь
стол
по́лька
по́лка
[stɔl]
[stɔɫ]
[pɔlka]
[pɔɫka]
'so'
'Tisch'
'Polka'
'Regalbrett'
/l/
/l/
[l]
[ɫ]
Velarisiertes und nicht-velarisiertes [l] haben im Russischen bedeutungsunterscheidende Funktion: sie repräsentieren verschiedene Phoneme im
Russischen.
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GRAMMATIK I / 33
GRAMMATIK I / 34
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Phoneme als sprachspezifische Konstrukte
Phoneme als sprachspezifische Konstrukte
Beispiel 3: [f] vs [v]
Beispiel 4: [l] vs [r]
Altenglisch: lif 'Leben', stæf 'Buchstabe', wif 'Weib', hrof 'Dach'
[liːf] [stæf] [wiːf] [hroːf]
/f/
Genitivformen: lifes, stæfes, wifes, hrofes
[liːvəs] [stævəs] [wiːvəs] [hroːvəs]
Deutsch: Rüge - Lüge, Rasse - lasse, harre - Halle, Ware - Wale
[f] und [v] sind im Altenglisch komplementär verteilt:
[v] erscheint zwischen Vokalen, in allen anderen Fällen
erscheint [f]. Damit repräsentieren sie dasselbe
Phonem.
[v]
PDE: vat - fat, veal - feel, very - ferry, leave - leaf usw.
/v/
[f] und [v] haben im Present Day English kontrastive,
also bedeutungsunterscheidende Funktion: sie repräsentieren somit verschiedene Phoneme.
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[v]
[f]
/f/
[f]
GRAMMATIK I / 35
[r] und [l] haben im Deutschen kontrastive, also
bedeutungsunterscheidende Funktion: sie repräsentieren somit verschiedene Phoneme.
Koreanisch:
[tʰalta] 'sweet'
[pul] 'fire'
[ɔlma] 'how much'
[nal] 'day'
/l/
[ʁ] [r] [ʀ] [l]
[kɔɾi] 'mask'
[haɾu] 'day'
[doɾɛ] 'song'
[saɾam] 'person'
/l/
[r] und [l] sind im Koreanischen komplementär
verteilt: [r] erscheint zwischen Vokalen bzw. Vokalen
und [h], ansonsten erscheint [l]. Damit repräsentieren
sie dasselbe Phonem im Koreanischen.
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/r/
[ɾ]
[l]
GRAMMATIK I / 36
Phoneme als sprachspezifische Konstrukte
Phoneme als sprachspezifische Konstrukte
Das, was in einer Sprache Phonemstatus hat, hat dieses nicht
notwendigerweise in einer anderen Sprache:
Kontrastiv betrachtet können sich Sprachen also wie folgt
unterscheiden:
• [p] vs [pʰ]: repräsentieren dasselbe Phonem im Deutschen,
verschiedene Phoneme im Hindi,
• [l] vs [ɫ]: repräsentieren dasselbe Phonem im Englischen,
verschiedene Phoneme im Russischen,
• [f] vs [v]: repräsentieren dasselbe Phonem im Altenglischen, verschiedene Phoneme im present day English,
• [l] vs [r]: repräsentieren dasselbe Phonem im Koreanischen, verschiedene Phoneme im Deutschen.
usw.
• in ihrem jeweiligen Phoneminventar (bestimmte Phoneme
sind in Sprache X vertreten, nicht aber in Sprache Y)
Beispiel: engl. [w], dt. [ç] usw.
• in Anzahl und Art der Allophone, durch die ein Phonem
repräsentiert sein kann,
Beispiel: engl. /l/— {[l], [ɫ]}, dt. /l/—{[l]}
• im Status einzelner Sprachlaute hinsichtlich der Frage, ob
diese Phonemstatus haben oder nicht.
Beispiel: dt. /l/ /r/ kor. {[l] [ɾ]}
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GRAMMATIK I / 37
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GRAMMATIK I / 38
Phoneme als sprachspezifische Konstrukte
Zusammenfassung
In dem Maße, in denen die Sprecher einer Sprache das 'eigene'
phonologische System verinnerlichen, kann die Wahrnehmung
für andersartige Systeme leiden: man hört die Unterschiede gar
nicht mehr richtig, die für andere Sprachen phonemisch, in der
eigenen Sprache aber allophonisch sind.
Gegenstand der Phonetik ist die genaue, physische Beschreibung
von Sprachlauten, also ihre artikulatorische und akustische Form.
Die Phonologie dagegen beschäftigt sich mit der Funktion von
Sprachlauten, die darin besteht, sprachliche Zeichen
voneinander zu differenzieren bzw. Bedeutungsunterschiede zu
realisieren.
Beide Disziplinen haben viel miteinander zu tun: die Phonetik
stellt die substantielle Basis für die phonologische Betrachtung
von Sprachlauten dar. Um es informell auszudrücken:
Phonetics gathers the raw materials.
Phonemics cooks it. (K. Pike)
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GRAMMATIK I / 39
Zusammenfassung
Zentrale Konstrukte der Phonologie sind Phonem und Allophon.
Ein Phonem kann als eine funktionale Klasse von ähnlichen
Lauten gesehen werden, die je nach Umgebung durch
verschiedene Allophone realisiert sein kann.
Entscheidend für phonologische Analyse einer Sprache und also
die Distinktion zwischen Phonemen und Allophonen ist die Frage
nach dem genauen Status, den ein Laut im phonologischen
System dieser Sprache innehat, ob er also konstrastiv, sprich
bedeutungsunterscheidend wirkt und wie seine Distribution
aussieht.
Unterschiede zwischen den Sprachen können sowohl auf der
phonematischen wie auf der allophonischen Ebene ausgemacht
werden.
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GRAMMATIK I / 40
Zum nächsten Mal:
Lesen Sie bitte die Abschnitte 2.1 - 2.4 (Seiten 37-62) im
2. Kapitel von Hall gründlich.
Sehen Sie sich die PC-Übungen zu Minimalpaaren und
Datenanalyse an.
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