S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 1 Programm GRAMMATIK I / 2 Stimmungsvoller Einstieg Phonologie • Stimmungsvoller Einstieg • Das Phonem: die Grundeinheit der phonologischen Beschreibung S. Hackmack Uni Bremen FB 10 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 3 I got der dress und der hat. Now ve'll need some chewlery. Vot iss you veasels up to? Bestimmte Laute des Englischen kommen im Deutschen schlichtweg nicht vor und werden durch Approximationen ersetzt: [ð] wird als [d] realisiert. [w] wird als [v] realisiert. [dʒ] wird als [tʃ] realisiert. [θ] wird als [t] oder [s] realisiert. S. Hackmack Uni Bremen FB 10 [ð] o [d] [w] o[v] [dʒ] o[tʃ] [θ] o [t] [s] GRAMMATIK I / 4 Stimmungsvoller Einstieg Stimmungsvoller Einstieg Ein im Kontext 'fremder Akzent' häufig belächeltes Phänomen ist der Umstand, dass viele Sprecher asiatischer Sprachen Schwierigkeiten haben bei der genauen Differenizierung von [l] und [r]: Hully Potter und Eric Crapton - können wir aus diesen Daten schließen, dass, ähnlich wie das englische [w] nicht im Deutschen oder das deutsche [ç] nicht im Englischen vorkommt, [l] und [r] in asiatischen Sprachen wie Chinesisch oder Koreanisch nicht auftreten? Interessanterweise lautet die Antwort 'Nein': tatsächlich kommen beide Laute sowohl im Chinesischen wie im Koreanischen und anderen asiatischen Sprachen vor. Wie ist dann zu erklären, dass viele Sprecher Schwierigkeiten haben, sie voneinander zu differenzieren? Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir erkennen, dass Sprachlaute in verschiedenen Sprachen unterschiedlichen Status im Lautsystem haben können. Um diesen Punkt zu präzisieren, müssen wir das Konzept 'Sprachlaut' genauer analysieren. S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 5 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 6 Phone vs Phoneme Phone vs Phoneme Sprecher einer Einzelsprache ignorieren in vielen Fällen die substantiellen Eigenschaften von Sprachlauten, was dazu führt, dass unterschiedliche Laute als derselbe Laut wahrgenommen werden: Physisch, also artikulatorisch und akustisch betrachtet, mögen X und Y zwei verschiedene Laute sein, psychologisch betrachtet können sie aber für Sprecher bestimmter Sprachen ein- und denselben Laut darstellen. Hierfür spielt die Funktion der fraglichen Laute eine entscheidende Rolle. Um terminologisch zwischen einem Sprachlaut als tatsächlicher, physischer Einheit und einem Sprachlaut als wahrgenommener Einheit zu differenzieren, unterscheiden wir zwischen Phonen auf der einen Seite und Phonemen auf der anderen Seite. Während das phonetische Alphabet universal ist, vaiiert das phonemische Alphabet von Sprache zu Sprache. [p]: [ʁ]: [z]: [m]: [f]: [t͡s]: stimmloser bilabialer Plosiv stimmhafter uvularer Frikativ stimmhafter alveolarer Frikativ stimmhafter bilabialer Nasal stimmloser laviodentaler Frikativ stimmlose alveolare Affrikate pɪnə ʁɪnə zɪnə mɪnə fɪnə t͡sɪnə Die Laute [p, ʁ, z, m, f, t͡s] haben im Deutschen kontrastive Funktion: werden sie in derselben Umgebung füreinander ausgetauscht, entstehen jeweils neue sprachliche Zeichen. S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 7 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 phonetische Beschreibung, nimmt Bezug auf Artikulationsort und Artikulationsart, betrachtet Sprachlaute als isolierte, physische Ereignisse. phonologische Beschreibung, nimmt Bezug auf die Funktion von Sprachlauten in Sprache X und betrachtet sie im Kontext anderer Sprachlaute. GRAMMATIK I / 8 Phoneme Phoneme In describing the sound-system of any language it is necessary to distinguish between speech-sounds and what are called phonemes. A speech-sound is a sound of definite organic formation and definite quality which is incapable of variation. A phoneme may be described roughly as a family of sounds consisting of an important sound of the language (i.e. the most frequently used member of that family) together with other related sounds which 'take its place' in particular sound-sequences or under particular conditions of length or stress. (Daniel Jones 1957) Bei einer phonologischen Untersuchung spielt die Funktion eines Sprachlautes in einer Einzelsprache die entscheidende Rolle: wenn zwei Laute X und Y in derselben Umgebung dazu führen, dass ein neues sprachliches Zeichen entsteht, können diese Laute verschiedenen Phonemen der Einzelsprache zugerechnet werden. In diesem Kontext findet man auch häufig die Aussage, dass Phoneme bedeutungsunterscheidende Funktion in einer Sprache haben. Um zu ermitteln, ob Laute kontrastive Funktion haben, wird das Verfahren der Minimalpaaranalyse eingesetzt. GRAMMATIK I / 9 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Minimalpaaranalyse Minimalpaaranalyse Ein Minimalpaar besteht aus zwei sprachlichen Zeichen, die sich in genau einem Element unterscheiden. Im Rahmen der Phonologie ist ein Minimalpaar ein Paar von Wörtern, das sich in einem Laut unterscheidet. Die fraglichen Laute müssen an derselben Stelle im Syntagma stehen, sie müssen also in identischer Umgebung auftreten. pɪnə ʁɪnə zɪnə mɪnə fɪnə t͡sɪnə viːɐ fiːɐ [v] __iːɐ [f] mʊtɐ bʊtɐ [m] __ʊtɐ [b] aːlə aːnə [l] aː__ə [n] gəbraʊt gətraʊt [b] gə__raʊt [t] [d] baː__ [n] fluːk baːd baːn fluːt [k] fluː__ [t] GRAMMATIK I / 11 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Minimalpaaranalyse ʁɪnə rɪnə ʀɪnə ʁɪnə rɪnə rɪnə ʀɪnə 'Rinne' ʀɪnə ʁɪnə Wie diese Paare zeigen, haben die Laute [ʁ, r, ʀ] im Deutschen keine kontrastive Funktion: sie können an derselben Position füreinander ausgetauscht werden, ohne dass ein neues Zeichen entsteht bzw. ohne dass sich die Bedeutung ändert. Damit repräsentieren diese Laute im Deutschen dasselbe Phonem, sie sind Allophone des Phonems /r/. pɪnə pɪnə pɪnə pɪnə pɪnə ʁɪnə zɪnə mɪnə fɪnə t͡sɪnə ʁɪnə zɪnə zɪnə mɪnə ʁɪnə mɪnə zɪnə fɪnə ʁɪnə fɪnə zɪnə t͡sɪnə ʁɪnə t͡sɪnə GRAMMATIK I / 10 mɪnə fɪnə mɪnə t͡sɪnə fɪnə t͡sɪnə Jedes dieser Wortpaare unterscheidet sich in genau einem Element. Die fraglichen Laute treten dabei jeweils in der gleiche Position im Syntagma auf: sie teilen dieselbe Umgebung, nämlich _ɪnə. Da wir bei jedem dieser Minimalpaare einen Bedeutungsunterschied festellen, die fraglichen Laute also kontrastive Funktion haben, können wir folgende Aussage treffen: Die Laute [p, ʁ, z, m, f, t͡s] repräsentieren im Deutschen verschiedene Phoneme: /p/, /ʁ/, /z/, /m/, /f/, / t͡s/. S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 12 Audience Participation: Minimalpaaranalyse Welches der folgenden Wortpaare hat Minimalpaarstatus im Deutschen? Welche Laute sind jeweils als Phoneme etabliertɁ Hase - hasse [haːzə] [hasə] Kein Minimalpaar bieten - bitten [biːtn̩ ] - [bɪtn̩] [iː] - [ɪ] Fracht - Nacht [fʁaxt] - [naxt] Kein Minimalpaar Ziel - Siel [t͡siːl] - [ziːl] [t͡s] - [z] kosten - kosen [kɔstn̩] - [koːzn̩ ] Kein Minimalpaar Spanne - Spanier [ʃpanə] - [ʃpaːnjɐ] Kein Minimalpaar heule - Heute [hɔılə] - [hɔıtə] [l] - [t] Rolle - Rosse [rɔlə] - [rɔsə] [l] - [s] Rosen - Hosen [ʁoːzn̩] - [hoːzn̩ ] [ʁ] - [h] Bahn - Ball [baːn] - [bal] Kein Minimalpaar S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 13 Audience Participation: Minimalpaaranalyse Welches der folgenden Wortpaare hat Minimalpaarstatus im Englischen? Welche Laute sind jeweils als Phoneme etabliertɁ bear - hear [bɛə] [hɪə] Kein Minimalpaar rude - route [ruːd] - [ruːt] [d] - [t] air - heir [ɛə] - [ɛə] Kein Minimalpaar fool - feel [fuːl] - [fiːl] [u:] - [i:] leg - lock [lɛg] - [lɔk] Kein Minimalpaar zeal - sole [ziːl] - [səʊl] Kein Minimalpaar count - found [kaʊnt] - [faʊnd] Kein Minimalpaar fame - shame [feɪm] - [ʃeɪm] [f] - [ʃ] grow - know [grəʊ]- [nəʊ] Kein Minimalpaar pass - part [paːs] - [paːt] [s] - [t] S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 15 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 14 Phonemdefinition: Phoneme als Klassen von Lauten Eine Phonem ist eine Klasse phonetisch ähnlicher Laute, die entweder • äquivalent verteilt sind, also in freier Variation stehen, oder • komplementär verteilt sind. Was bedeutet 'phonetisch ähnlich'? Was bedeutet 'äquivalent verteilt' bzw. 'freie Variation'? Was bedeutet 'komplementär verteilt' S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 16 Phonetische Ähnlichkeit Äquivalente und komplementäre Verteilung: Distribution Je mehr artikulatorische Merkmale zwei Laute teilen, desto phonetisch ähnlicher sind sie. So sind sich die nachstehenden Lautpaare zunehmen unähnlicher: teilen sich die Laute in der ersten Gruppe noch 2, ist es in der zweiten Gruppe nur noch ein traditionelles Artikulationsmerkmal, in der dritten Gruppe keines: Die beiden Konzepte 'äquivalente Verteilung' und 'komplementäre Verteilung' beziehen sich auf die Umgebung, in der ein sprachliches Element auftreten kann, bzw. auf dessen Verteilung. Wie Sie noch feststellen werden, spielt die Verteilung - auch Distribution genannt - sprachlicher Elemente eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, in der Sprachwissenschaft Klasen zu bilden. Das Konzept findet sich also nicht nur im Rahmen der der Phonologie, in der es für die Ermittlung der Phoneme eingesetzt wird, sondern auch in der Syntax oder der Morphologie. Um dieses so wichtige Konzept einzuführen, betrachtet wir zunächst ein Beispiel, das nichts mit sprachlichen Daten zu tun hat. 1. [p] und [b]: biliabial, plosiv [b] und [m]: bilabibial, stimmhaft 2. [d] und [s]: alveolar [z] und [x]: frikativ 3. [m] und [k]: [θ] und [ŋ]: - S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 17 GRAMMATIK I / 18 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Distribution Distribution Der Begriff Distribution bezieht sich auf die Verteilung von Elementen in einem System. Er ist definiert als die Menge aller Umgebungen, in der ein Element auftreten kann. Die Umgebung eines Elementes ist durch diejenigen Elemente definiert, die ihm unmittelbar vorausgehen und unmittelbar folgen. Der Begriff Distribution bezieht sich auf die Verteilung von Elementen in einem System. Er ist definiert als die Menge aller Umgebungen, in der ein Element auftreten kann. Die Umgebung eines Elementes ist durch diejenigen Elemente definiert, die ihm unmittelbar vorausgehen und unmittelbar folgen. |6 6|6 |6 6| 6< 6 < < 6 6< |6< 6 ~ Nirgends, wo | vorkommt, |<<6 kann ~ vorkommen und |<6 ~ umgekehrt. < ~ | folgt immer | geht immer voraus Überall, wo | auftreten kann, kann auch < auftreten. < folgt immer < geht immer voraus S. Hackmack Uni Bremen FB 10 |/ __ | / __ < < / __ GRAMMATIK I / 19 | kommt nur in erster Position vor und nie in letzter Position ~ kommt nur in letzter Position vor und nie in erster Position GRAMMATIK I / 20 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Distribution Zurück zur...Phonemdefinition Zwei Elemente X und Y können • äquivalente Distribution aufweisen: in allen Umgebungen, in denen X auftreten kann, kann auch Y auftreten. Diese Art der Distribution wird auch freie Variation genannt. Dieses war der Fall bei | und <. • komplementäre Distribution aufweisen: in keiner Umgebung, in der X auftreten kann, kann Y auftreten - und umgekehrt. Dieses war der Fall bei | und ~. • partiell äquivalente Distribution aufweisen: Y kann in einigen, aber nicht in allen Umgebungen auftreten, in denen X auftritt, und umgekehrt. Eine Phonem ist eine Klasse phonetisch ähnlicher Laute, die entweder • äquivalent verteilt sind, also in freier Variation stehen, oder • komplementär verteilt sind. [r] [ʀ] /__ɪnə [ʁ] sind äquivalent verteilt, stehen in freier Variation /r/ Phonem [r] [ʀ] [ʁ] Allophon(e) S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 21 GRAMMATIK I / 22 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Zurück zur...Phonemdefinition Zurück zur...Phonemdefinition Eine Phonem ist eine Klasse phonetisch ähnlicher Laute, die entweder • äquivalent verteilt sind, also in freier Variation stehen, oder • komplementär verteilt sind. Eine Phonem ist eine Klasse phonetisch ähnlicher Laute, die entweder • äquivalent verteilt sind, also in freier Variation stehen, oder • komplementär verteilt sind. [ç] vs [x] Dort, wo [ç] vorkommt, kann [x] nicht vorkommen, und umgekehrt: Phonem /ç/ • [ç] steht nach einem Vorderzungenvokal, den Diphtongen [aɪ] und [ɔɪ] oder [l], [r] und [n]. • [x] steht nach einem Hinter- oder Zentralvokal oder dem Diphtong [aʊ]. [ç] [x] Allophon(e) Damit sind diese Laute im Deutschen komplementär verteilt und repräsentieren dasselbe Phonem. Dieses Phonem wird nach demjenigen Allophon benannt, das die größte Verbreitung hat, in unserem Falle also nach [ç]. S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 23 Phoneme und Allophone Funktional betrachtet dienen Phoneme dazu, Bedeutungen zu unterscheiden Dabei ist ein Phonem eine relativ abstrakte Einheit, die je nach Kontext durch verschiedene 'reale' Einheiten repräsentiert sein kann. Diese Einheiten sind die Allophone des Phonems. Somit stellen Phoneme Klassen von Lauten dar, oder, wie Jones es nennt, families of sounds. Damit ist nicht gesagt, dass jedes Phonem notwendigerweise mehr als ein Allophon umfasst. Da dieser Punkt bzw. die Unterscheidung zwischen abstraktem Konzept und dessen Realisierung(en), die auch auf anderen sprachlichen Ebenen eine Rolle spielt, oft nicht wirklich erfasst wird, eine etwas hinkende Illustration: GRAMMATIK I / 24 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Phoneme und deren Allophone Neuer Torwart Höwedes Boateng Hummels Lahm Verteidiger Schweinsteiger Mittelfeldspieler Kroos Khedira Müller Klose Konkrete Instanzen der jeweiligen Klasse Özil Stürmer Funktional definierte Klassen von Spielern Klasse, die durch ein Element realisiert ist GRAMMATIK I / 25 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 26 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Distributionsregeln Distributionsregeln Die Verteilung der Allophone in einer Sprache kann über Regeln erfasst werden. Vielleicht ist Ihnen das Grundprinzip solcher Regeln schon bekannt, wenn sie sich beispielsweise einmal mit der Grammatik fremder Sprachen beschäftigt und Aussagen wie die folgenden gelesen haben: • Im Englischen geht das Adjektiv dem Nomen voraus: big tree. • Im Swahili folgt das Adjektiv dem Nomen: mti mkubwa. • Im Englischen steht die Adposition vor der Nominalphrase, ist also eine Präposition: on the table. • Im Chinesischen folgt die Adposition der Nominalphrase, ist also eine Postposition: zhuōzi shàng 'table on'. Auch die Regelhaftigkeiten der stellungsbedingten Allophone eines Phonems werden über derartige Distributionsregeln erfasst. Es ist wichtig, dass Sie solche Regeln lesen und erstellen können. Grundprinzip: in der GRAMMATIK I / 27 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 [Allophon1] Umgebung [Allophon1] / /PHONEM α/ Das Phonem α ist realisiert als [Allophon2] / [Allophon2] in der Umgebung __ x vor x y__ __c d__ a__b oder hinter y vor c oder hinter d oder zwischen a und b GRAMMATIK I / 28 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Distributionsregeln Audience Participation: Distributionsregeln Das Phonem /ç/ wird als [ç] realisiert, wenn es nach einem Vorderzungenvokal, den Diphtongen [aɪ] und [ɔɪ] oder [l], [r] und [n] steht. Das Phonem /ç/ wird als [x] realisiert, wenn es nach einem Hinterzungen- oder Zentralvokal oder dem Diphtong [aʊ] steht. Übersetzen Sie die nachstehenden Distributionsregeln in Fließtext: /ç/ [α] / /δ/ [δ] sonst V[VORNE] [ç] / {[aɪ], [ɔɪ]} {[l], [r], [n]} [α] / /δ/ [x] / V[{HINTEN,ZENTRAL}] [aʊ] V __ V γ__ __V[VORNE] γ__π [β] / C[PLOSIV] __ [δ] sonst Das Phonem /δ/ wird als [α] realisiert, wenn es zwischen zwei Vokalen oder nach einem γ steht. In allen anderen Fällen wird es als [δ] realisiert. Das Phonem /δ/ wird als [α] realisiert, wenn es vor einem Vorderzungenvokal oder zwischen γ und π steht. Es wird als β realisiert, wenn es nach einem Plosivlaut steht. In allen anderen Fällen wird es als [δ] realisiert. GRAMMATIK I / 29 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 30 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Audience Participation: Distributionsregeln Phoneme als sprachspezifische Konstrukte Daten aus dem Cree 1 (Cowan & Rakušan 1998: 21): pahki 'partly' u̯ aːbameːu 'he sees him' niːsosaːp 'twelve' naːbeːu̯ 'man' taːnispiː 'when' aːbihtaːu̯ 'half' pasku̯ aːu̯ 'prairie' nibimohtaːn 'I walk' asabaːp 'thread' siːsiːbak 'ducks' Beispiel 1: [pʰ] vs [p] Repräsentieren die Laute [p] und [b] dasselbe Phonem oder verschiedene Phoneme? Wie ist die genaue Verteilung? [b] / V __ V /p/ [p] sonst GRAMMATIK I / 31 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Englisch: pin - spin Deutsch: patzen - Spatzen [pɪn] [spɪn] [patsn̩] [ʃpatsn̩] [pʰɪn] [spɪn] [pʰatsn̩] [ʃpatsn̩] [p] und [pʰ] sind im Deutschen und Englischen komplementär verteilt: [pʰ] erscheint am Wortanfang und -ende, besonders vor dem betonten Vokal in einer betonten Silbe, wenn dieser kein [s] oder [ʃ] vorausgeht: Pack, prall, Pneu, Pause, Pisa usw. Selbst wenn [p] und [pʰ] nicht in ihrer kanonischen Form auftreten, sondern frei variieren, entsteht kein neues Sprachzeichen. Damit repräsentieren [pʰ] und [p] dasselbe Phonem /p/ im Englischen und im Deutschen, wo Aspiration kein distinktives Merkmal ist. Phoneme als sprachspezifische Konstrukte Beispiel 1: [pʰ] vs [p] Beispiel 2: [l] vs [ɫ] bzw. [lˠ] [tʃal] 'turn' [tʃʰal] 'bark' [kal] 'era' [kʰal] 'skin' Koreanisch: [pul] 'fire' [pʰul] 'grass' [tal] 'moon' [tʰal] 'mask' Im Hindi, Koreanischen und vielen weiteren Sprachen dagegen haben [pʰ] und [p] bzw. Aspirkation bedeutungsunterscheidende Funktion. In diesen Sprachen repräsentieren [pʰ] und [p] verschiedene Phoneme: /p/ /pʰ/ [p] [pʰ] [p] [pʰ] GRAMMATIK I / 32 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Phoneme als sprachspezifische Konstrukte Hindi: /p/ [li:f] Englisch: leaf – feel [fiːɫ] bzw. [fiːlˠ] love, like, lost, lame: [lʌv], [laɪk], [lɒst], [leɪm] heel, roll, bail, vile: [hiːɫ], [roʊɫ], [beɪɫ], [vaɪɫ] /l/ [l] [ɫ] Velarisiertes und nicht-velarisiertes [l] sind im Englischen komplementär verteilt: sie repräsentieren dasselbe Phonem im Englischen. Russisch: столь стол по́лька по́лка [stɔl] [stɔɫ] [pɔlka] [pɔɫka] 'so' 'Tisch' 'Polka' 'Regalbrett' /l/ /l/ [l] [ɫ] Velarisiertes und nicht-velarisiertes [l] haben im Russischen bedeutungsunterscheidende Funktion: sie repräsentieren verschiedene Phoneme im Russischen. S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 33 GRAMMATIK I / 34 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 Phoneme als sprachspezifische Konstrukte Phoneme als sprachspezifische Konstrukte Beispiel 3: [f] vs [v] Beispiel 4: [l] vs [r] Altenglisch: lif 'Leben', stæf 'Buchstabe', wif 'Weib', hrof 'Dach' [liːf] [stæf] [wiːf] [hroːf] /f/ Genitivformen: lifes, stæfes, wifes, hrofes [liːvəs] [stævəs] [wiːvəs] [hroːvəs] Deutsch: Rüge - Lüge, Rasse - lasse, harre - Halle, Ware - Wale [f] und [v] sind im Altenglisch komplementär verteilt: [v] erscheint zwischen Vokalen, in allen anderen Fällen erscheint [f]. Damit repräsentieren sie dasselbe Phonem. [v] PDE: vat - fat, veal - feel, very - ferry, leave - leaf usw. /v/ [f] und [v] haben im Present Day English kontrastive, also bedeutungsunterscheidende Funktion: sie repräsentieren somit verschiedene Phoneme. S. Hackmack Uni Bremen FB 10 [v] [f] /f/ [f] GRAMMATIK I / 35 [r] und [l] haben im Deutschen kontrastive, also bedeutungsunterscheidende Funktion: sie repräsentieren somit verschiedene Phoneme. Koreanisch: [tʰalta] 'sweet' [pul] 'fire' [ɔlma] 'how much' [nal] 'day' /l/ [ʁ] [r] [ʀ] [l] [kɔɾi] 'mask' [haɾu] 'day' [doɾɛ] 'song' [saɾam] 'person' /l/ [r] und [l] sind im Koreanischen komplementär verteilt: [r] erscheint zwischen Vokalen bzw. Vokalen und [h], ansonsten erscheint [l]. Damit repräsentieren sie dasselbe Phonem im Koreanischen. S. Hackmack Uni Bremen FB 10 /r/ [ɾ] [l] GRAMMATIK I / 36 Phoneme als sprachspezifische Konstrukte Phoneme als sprachspezifische Konstrukte Das, was in einer Sprache Phonemstatus hat, hat dieses nicht notwendigerweise in einer anderen Sprache: Kontrastiv betrachtet können sich Sprachen also wie folgt unterscheiden: • [p] vs [pʰ]: repräsentieren dasselbe Phonem im Deutschen, verschiedene Phoneme im Hindi, • [l] vs [ɫ]: repräsentieren dasselbe Phonem im Englischen, verschiedene Phoneme im Russischen, • [f] vs [v]: repräsentieren dasselbe Phonem im Altenglischen, verschiedene Phoneme im present day English, • [l] vs [r]: repräsentieren dasselbe Phonem im Koreanischen, verschiedene Phoneme im Deutschen. usw. • in ihrem jeweiligen Phoneminventar (bestimmte Phoneme sind in Sprache X vertreten, nicht aber in Sprache Y) Beispiel: engl. [w], dt. [ç] usw. • in Anzahl und Art der Allophone, durch die ein Phonem repräsentiert sein kann, Beispiel: engl. /l/— {[l], [ɫ]}, dt. /l/—{[l]} • im Status einzelner Sprachlaute hinsichtlich der Frage, ob diese Phonemstatus haben oder nicht. Beispiel: dt. /l/ /r/ kor. {[l] [ɾ]} S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 37 S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 38 Phoneme als sprachspezifische Konstrukte Zusammenfassung In dem Maße, in denen die Sprecher einer Sprache das 'eigene' phonologische System verinnerlichen, kann die Wahrnehmung für andersartige Systeme leiden: man hört die Unterschiede gar nicht mehr richtig, die für andere Sprachen phonemisch, in der eigenen Sprache aber allophonisch sind. Gegenstand der Phonetik ist die genaue, physische Beschreibung von Sprachlauten, also ihre artikulatorische und akustische Form. Die Phonologie dagegen beschäftigt sich mit der Funktion von Sprachlauten, die darin besteht, sprachliche Zeichen voneinander zu differenzieren bzw. Bedeutungsunterschiede zu realisieren. Beide Disziplinen haben viel miteinander zu tun: die Phonetik stellt die substantielle Basis für die phonologische Betrachtung von Sprachlauten dar. Um es informell auszudrücken: Phonetics gathers the raw materials. Phonemics cooks it. (K. Pike) S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 39 Zusammenfassung Zentrale Konstrukte der Phonologie sind Phonem und Allophon. Ein Phonem kann als eine funktionale Klasse von ähnlichen Lauten gesehen werden, die je nach Umgebung durch verschiedene Allophone realisiert sein kann. Entscheidend für phonologische Analyse einer Sprache und also die Distinktion zwischen Phonemen und Allophonen ist die Frage nach dem genauen Status, den ein Laut im phonologischen System dieser Sprache innehat, ob er also konstrastiv, sprich bedeutungsunterscheidend wirkt und wie seine Distribution aussieht. Unterschiede zwischen den Sprachen können sowohl auf der phonematischen wie auf der allophonischen Ebene ausgemacht werden. S. Hackmack Uni Bremen FB 10 GRAMMATIK I / 40 Zum nächsten Mal: Lesen Sie bitte die Abschnitte 2.1 - 2.4 (Seiten 37-62) im 2. Kapitel von Hall gründlich. Sehen Sie sich die PC-Übungen zu Minimalpaaren und Datenanalyse an.