SP Schweiz 3 Potenzial – aber die falschen Rezepte erstaunlich hohe Akzeptanz. Mit ihrer überholten Klassenkampf-Rhetorik schrecken sie jedoch potenzielle Wähler ab Der Rückhalt der SP in der Schweiz Die SP spricht im Zusammenhang mit dem Linkskurs von «Überwindung des Kapitalismus» und «Klassenkampf» Welche Partei verteidigt Ihrer Ansicht nach die Interessen des Mittelstandes am besten? 18 23 23 16 in Prozent 11 19 11 37 13 SVP FDP andere SP CVP weiss nicht Die Fragen wurden im Rahmen einer Tamedia-Umfrage bei 18 929 Teilnehmern gestellt. Sie wurde von den Politologen Fabio Wasserfallen und Lucas Leemann durchgeführt und gewichtet. Der Stichprobenfehler beträgt +/–2,2% SoZ web 29 Einverstanden, es ist immer noch Aufgabe der SP, gegen die Macht des Kapitalismus zu kämpfen. Das sind alte Parolen, bedeuten aber nichts. Wichtig sind die Vorschläge, die die Partei macht. Das sind alte Zöpfe, das interessiert heute niemanden mehr. Das ist ein Skandal, es zeigt, dass die SP unser System umstürzen will. Parteienforscher Andreas Ladner sagt: «In der Mitte gibt es ein Potenzial für die SP.» Doch mit ihren Ideen für eine «demokratische Wirtschaft» ist die SP dabei, ihre Chancen zu vertun. Denn die Umfrage zeigt eben auch, dass sich die Partei mit der neuen Klassenkampfrhetorik bei ihren potenziellen Wählern disqualifiziert. Die überdeutliche Mehrheit sieht darin bedeutungsloses, überholtes oder systemgefährdendes Gerede. Daniel Schwarz, Politikwissenschaftler und Wahlforscher an der Uni Bern, spricht von einem «kommunikativen Fiasko». Die Rhetorik sei «schräg» und schrecke ab. «Es brauche eine moderne Sprache und keine altlinke Revolutionsrhetorik», sagt Schwarz. Ändert die Partei ihren Kommunikationsstil nicht, wird die SP mit den neu entdeckten Umverteilungsrezepten aus dem traditionellen linken Arsenal den Mittelstand nicht weiter an sich binden können. Auch die letzten nationalen Projekte der SP – die Einheitskrankenkasse oder die 1-zu-12-Initiative – lassen an einem Erfolg zweifeln. Die Genossen erreichten damit zwar Achtungserfolge. Mehr aber nicht. lastungen die Lebensqualität steigert.» Tatsächlich zeigt die SP in den von ihnen dominierten Städten, wie es geht. In Bern, Basel oder Zürich feiert sie Erfolge mit einer pragmatisch linken Sozialpolitik, die den Bewohnern moderne ­In­frastrukturen zur Verfügung stellen will: zum Beispiel bei der Mobilität, der Kinderbetreuung oder beim Wohnen. Auf nationaler Ebene gelingt eine solche Politik nur selten. Es ist schon lange her, dass die damalige SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr zusammen mit den Arbeitgebern die Mutterschaftsversicherung realisierte. Noch früher ­hatte Peter Bodenmann die SP als Miterfinderin einer neuen Verkehrspolitik positioniert. Von den da- maligen fast 24 Prozent Wähleranteil können die Genossen heute nur träumen. Im Wahlkampf wollte man zwar mit einer Agglomerationspolitik auf sich aufmerksam machen. Das geschah aber nur mit halber Kraft und deshalb bescheidenem Erfolg: Weder hat sich die SP damit nachhaltig positioniert, noch ist es ihr gelungen, die SVP mit deren Ruf nach Abschottung zu bremsen. Das alles kümmert die Genossen nicht. Gestern verhinderten die Delegierten in Thun die Versuche der Parteirechten, den Linkskurs zu stoppen. Jubelnd feierten sie ihre Klassenkampfrhetorik und altlinken Rezepte. Der Mittelstand wird nicht mitjubeln. Steht für eine moderne, urbane und streitbare SP: Jacqueline Badran Fotos: Joseph Khakshouri In den Städten zeigt die SP, wie sie Erfolg haben kann Für Politwissenschaftler Schwarz ist klar: «Der Kampf für Arbeitergrundrechte ist für den modernen Mittelstand weniger wichtig als eine Politik, welche ohne Mehrbe- Am Ende gibt es Kaffee und Kuchen für alle Natascha Wey, Co-Präsidentin der SP Frauen Schweiz Plenum. Für die Generation von Netflix und Snapchat ist das eine Sprache, die doch sehr tief aus der ideengeschichtlichen Mottenkiste stammt. Doch die Verlierer des Tages verfallen nicht etwa in Agonie. Claude Janiak etwa kommentiert seine Niederlage mit einem breiten Lächeln. Und der Berner Nationalrat Matthias Aebischer, der seine Partei via «Aargauer Zeitung» für ihre unverständliche Sprache kritisiert hat, versichert an diesem Samstag, dass er «nur positives Feedback» erhalten habe. Wobei, wie er anfügt, jene nicht zu ihm kämen, die etwas anderes von ihm halten. Was Aebischers Partei in Thun durchexerziert, ist ein Spagat, wie er wohl nur in der Schweiz möglich ist: Die Delegierten sind linker als die durchschnittlichen Parteimitglieder und ihre Wähler, was an solchen Parteitagen zelebriert wird. Von «ideologischer Folklore» redet ein anwesender Parlamentarier. Gleichzeitig bringt die SP Schweiz ihre Kandidaten bei Mehrheits- und Personenwahlen komfortabel durch. Jede Bundesratspartei ist immer auch ein bisschen Oppositionsbewegung Im Ständerat und in den kantonalen und städtischen Exekutiven ist die Linke gut vertreten. Dieser Spagat ist deswegen möglich, Christian Levrat, Simonetta Sommaruga, Alain Berset (v. l.) weil in der Schweiz jede Bundesratspartei immer auch ein bisschen Oppositionsbewegung ist. Man trägt die Regierungsverantwortung mit, aber bleibt immer in einer Minderheit. Das lässt den Spielraum für parteiideologische Rituale offen. Deshalb ist die SP im Vergleich mit anderen sozialdemokratischen Parteien des Westens besonders links anzusiedeln. Dass SP-Leute in der Realität der Regierungsämter zu Pragmatikern werden und trotzdem die Partei-DNA behalten, zeigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga oder die Regierungsrätin Jacqueline Fehr. Die Winterthurerin verkörpert diese Turnübung perfekt: Sie leitet die Justizdirektion des Kantons Zürich, wo sie rasch den Respekt der Bürgerlichen erarbeitet hat. Für das urlinke Papier hat sie aber nur Lob übrig: Es sei doch wunderbar, wenn die SP der Gesellschaft «eine Politik der Alternativen» aufzeigen könne. Auch ihre junge Kollegin Natascha Wey ist begeistert. Es sei doch «super, dass wir neue Wege bieten». Die Co-Präsidentin der SP Frauen steht für den Aufbruch trotz Retrosprache. Heute geht der Zukunftsparteitag in Thun weiter – und die Genossen widmen sich der Europapolitik. Auch darüber lässt sich hervorragend streiten. Reza Rafi SP Schweiz ist linker als viele europäische Linksparteien Link s SchweizerischesMitte-Links Politsystem fördert eine radikalere Positionierung Mitte Links Mitte-links SP Schweiz Mitte SPÖ PS (F) SPD S (DK) PD (IT) PvdA (NL) Lab (GB) SoZ web; Quelle: smartvote Bern Die SP Schweiz gehört im europäischen Vergleich zu den am weitesten links positionierten Linksparteien. Das zeigt eine Studie der Wahlplattform Smartvote. Die SP Schweiz präsentiert sich als vergleichsweise gesellschaftsliberal und ist vor allem in wirtschaftsund sozialpolitischen Fragen deutlich links positioniert. So ist die deutsche SPD beispielsweise offen für die Reduktion von Staatsausgaben als Mittel gegen Wirtschaftskrisen, während die SP wie Frank- reichs Sozialisten nichts von der Austeritätspolitik hält. Politikwissenschaftler und Smartvote-Co-Leiter Daniel Schwarz erklärt die linke Positionierung der SP mit dem Schweizer Politsystem: «In Regierungsoppositionssystemen muss man in Wahlen Mehrheiten holen. Das hat etwa die SPD und in England Labour unter Reformdruck gebracht.» Um auch die Mitte anzusprechen, habe man sozialistische Positionen abgelegt und sich zu Sozialdemokratien entwickelt, die sich an der sozialen Marktwirtschaft orientieren. In der Schweizer Konkordanzdemokratie sei der Reformdruck deutlich kleiner. Ähnlich argumentiert der Politologe Andreas Ladner. In der Schweiz würden politische Lösungen als Kompromiss zwischen den Parteien ausgehandelt. Deshalb würden sich Parteien extremer positionieren, um sich dann im politischen Prozess einzumitten. Denis von Burg