Wirtschaftspolitik - Jahrbuch der Europäischen Integration

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Wirtschaftspolitik
Wirtschaftspolitik
HENRY KRÄGENAU
Die wirtschaftliche Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft bot 1988 ein
durchaus erfreuliches Bild. Die Zuwachsrate des realen Sozialproduktes lag deutlich über der des Vorjahres und war die höchste in den 80er Jahren. Bei insgesamt
weiter auf Konsolidierung gerichteter Finanzpolitik in der Gemeinschaft wurde
das Wachstum von der Geldpolitik gestützt. Als Motor der Konjunktur wirkte die
Expansion der Investitionstätigkeit. Offenbar ist mit den besseren Absatz- und
Ertragserwartungen die abwartende Haltung überwunden, die die Investitionsneigung in der Gemeinschaft lange beeinträchtigte. Dazu beigetragen hat vermutlich
auch der Europäische Rat in Hannover, als er bestätigte, daß die Vollendung des
Binnenmarktes bis 1992 irreversibel sei. Die Teuerungsrate war zwar mäßig, allerdings besteht kein Anlaß, hier sorglos zu sein. Der Leistungsbilanzüberschuß ging
weiter zurück, jedoch bei sich verschärfenden Ungleichgewichten zwischen den
Gemeinschaftsländern. Auch wenn die Bilanz der Arbeitslosenzahlen insgesamt
weiterhin düster ist, so stellt der leichte Rückgang der Arbeitslosenquote zumindest einen Lichtblick dar.
Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt günstig
Die Expansion der Weltwirtschaft war 1988 überaus kräftig. In den westlichen Industrieländern lag die Zuwachsrate des realen Sozialproduktes mit 4% fast einen
Prozentpunkt über der des Vorjahres. Der reale Welthandel nahm mit 8% um
zweieinhalb Prozentpunkte schneller zu als 1987.
Die Unterschätzung des Konjunkturanstiegs war ein weltweites Phänomen1.
Falsch beurteilt worden ist wohl in erster Linie die Wirkung der monetären Expansion in den vergangenen Jahren; sie wurde von Einflüssen wie den Dollarturbulenzen konterkariert. Hinzu kommt die Verbesserung der Angebotsbedingungen, die viele Länder in den 80er Jahren erzielten.
Das stärkste Wachstumstempo von den drei Industriezentren USA, Japan, EG
verzeichnete wieder das japanische Inselreich mit knapp 6%. Kaum niedriger als
die Expansionsrate der US-Volkswirtschaft war die der EG mit 3,7%. Die EGKommission war im Jahreswirtschaftsbericht 1987/88 noch von einer Zuwachsrate
von knapp 2% ausgegangen. Spanien, Großbritannien und Portugal waren weiterhin die expansionsstärksten Länder der Gemeinschaft (vgl. Tabelle). Getragen
wurde der Aufschwung in der Gemeinschaft weiterhin in erster Linie von der Inlandsnachfrage. Die internationale Konkurrenzfähigkeit der EG-Anbieter hat
sich im vergangenen Jahr aufgrund des wieder etwas höher bewerteten Dollars
Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89
99
c
5
o
r
m
Tabelle: Ausgewählte Wirtschaftsindikatoren der EG-Länder
Jahresdurchschnitte bzw. Jahresangaben
je
tn
n
x
m
a
m
m
p—i
Anstieg
der Verbraucherpreise
gegenüber
dem Vorjahr in %
Realer
langfristiger
Zinssatz
in %
r'
Leistungsbilanzsaldo
in
in<%
Mrd.
des
US-$
BIP
*
Veränderung des
realen BIP/BSP
gegenüber dem
Vorjahr in %
InsInlandsnachfrage
samt
Arbeitslose in
%der
Erwerbsbevölkerung
(nationale
Definitionen)
des
BIP/BSP
Land/Zeitraum
E5:
Oo
Finanzierungssaldo
der öffentlichen
Haushalte2»
Stu
z
BR Deutschland
1987
1988
0,2
1,2
5,9
5,3
45
49
3,9
4,0
1,8
3,4
3,1
3,7
7,9
7,7
- 1,7
- 2,0
Q
W
ffl
Frankreich
1987
1988
3,1
2,7
6,7
6,3
- 4
- 4
- 0,6
- 0,4
2,3
3,5
3,4
3,7
10,6
10,3
- 2,5
- 1,6
z
n
Großbritannien
1987
1988
4,2
4,9
5,1
4,3
- 4
-25
- 0,6
- 3,1
4,3
4,4
4,3
6,2
10,3
8,4
- 1,7
0,3
Italien
1987
1988
4,7
5,0
5,1
5,5
- 1
- 4
0,1
0,5
3,1
3,7
4,6
4,1
11,0
12,0
-10,8
-10,0
Spanien
1987
5,3
4,8
7,1
6,7
0
- 3
0,0
- 0,8
5,5
5,0
8,5
6,8
20,5
19,7
- 4,5
- 3,3
i
I*
Niederlande
1987
1988
- 0,7
0,7
6,9
5,3
3
4
1,5
1,9
1,3
2,8
2,0
2,2
12,6
11,3
- 6,3
- 5,9
Belgien
1987
1988
1,6
1,2
6,2
6,6
2
3
2,0
1,1
2,1
3,3
3,4
3,5
11,2
11,2
- 7,1
- 6,9
Dänemark
1987
1988
4,0
4,5
7,6
5,8
- 3
- 3
- 2,9
- 2,3
-
1,0
0,0
- 3,2
- 1,5
7,7
8,3
1,9
1,2
Griechenland
1987
1988
16,4
13,5
0,7
2,7
- 1
- 1
- 2,7
- 2,4
- 0,4
3,3
-
1,7
3,7
7,4
7,3
-10,4
-13,0
Portugal
1987
1988
9,4
9,7
5,5
4,2
1
0
1,8
0,2
4,6
4,2
9,9
6,5
7,1
5,9
- 8,7
- 6,2
Irland
1987
1988
3,2
2,1
7,9
7,3
0
1
1,5
4,0
4,8
1,8
- 1,5
- 0,4
17,7
18,6
- 8,8
- 3,6
Luxemburg
1987
1988
- 0,1
1,5
8,1
5,7
1
1
16,9
39,0
2,0
3,0
3,5
2,7
1,6
1,4
4,4
5,4
EG insgesamt
1987
1988
2,9
3,2
6,0
5,5
39
18
0,9
0,4
2,7
3,7
3,6
4,2
10,6
10,2
- 3,8
- 3,3
1) Umlaufrenditen langfristiger öffentlicher Anleihen, deflationiert mit dem Index der Verbraucherpreise.
2) Zentralstaat und nachgeordnete Gebietskörperschaften sowie Sozialversicherungen in der Abgrenzung der VGR der UN (SNA).
Quellen: IWF, EG-Kommission, OECD, nationale Statistiken.
DIE POLITIKBEREICHE DER EUROPAISCHEN GEMEINSCHAFT
verbessert. Zum Teil nutzten die Unternehmen diese Verbesserung wohl auch zur
Erhöhung der geschrumpften Gewinnmargen2: Angesichts der zunächst noch anhaltenden Passivierungstendenz der realen Handelsströme hat sich bei leichtverbesserten Terms of Trade das Handelsbilanzdefizit der Gemeinschaft gegenüber
den übrigen Weltregionen erheblich vergrößert3. Der Leistungsbilanzüberschuß 18 Mrd. ECU - hat sich gegenüber dem Vorjahr halbiert (vgl. Tabelle). Er entspricht etwa einem halben Prozent des BSP der Gemeinschaft und dürfte 1989 auf
ein Viertel Prozent zurückgehen. Anlaß zur Besorgnis geben die sich vergrößernden Leistungsbilanzungleichgewichte innerhalb der Gemeinschaft (vgl. Tabelle).
Der private Konsum ist auch 1988 in der Gemeinschaft preisbereinigt mit 3,7%
- also in der Größenordnung des Vorjahres - kräftig angestiegen. Nur Dänemark
wich mit einem deutlichen Rückgang von diesem Schema ab. Der private Konsum
expandierte damit wie 1987 rascher als das reale verfügbare Einkommen. In der
rückläufigen Sparquote spiegelt sich nicht zuletzt die im Zuge der Verbesserung
des wirtschaftlichen Klimas verringerte Furcht vor Arbeitslosigkeit wider. Bei
wohl leichter Verlangsamung der realen Einkommensexpansion dürfte der private Konsum in der Europäischen Gemeinschaft 1989 preisbereinigt um 2,5-3% höher als 1988 liegen. Vieles spricht dafür, daß es zu einer stärker „konvergenten"
Entwicklung zwischen den Mitgliedsländern kommt4.
Als Triebkraft der gegenwärtigen konjunkturellen Aufwärtsbewegung wirkt die
deutliche Ausweitung der Investitionstätigkeit. Die realen Anlageinvestitionen in
der Gemeinschaft waren 1988 gut 7% höher als im Vorjahr5. Angesichts der auf
niedrigem Stand stabilisierten öffentlichen Investitionen ist diese Beschleunigung
auf die Unternehmen zurückzuführen. Dies schlug sich in einer überdurchschnittlichen Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen nieder. Spanien, Portugal und Belgien wiesen dabei zweistellige Zuwachsraten auf. Abgesehen von Dänemark und
Luxemburg, die beide negative Wachstumsraten verzeichneten, lagen die Steigerungsraten bei den übrigen EG-Ländern in einer Bandbreite von 5% (Bundesrepublik Deutschland) bis 9% (Großbritannien). Zur stärkeren Erhöhung der privaten Investitionsneigung in den letzten beiden Jahren trugen eine Reihe von Faktoren bei6: Dazu gehörten eine reichlichere Geldversorgung, die stärkere Verbilligung von Energie nach dem Ölpreissturz und eine Verbesserung der Kapitalrentabilität. Nicht unterschätzt werden darf der stimulierende Einfluß der angestrebten Vollendung des Binnenmarktes auf die Wirtschaft. Anregend auf die Investitionsneigung der Unternehmen dürfte auch die zunehmende Kapazitätsauslastung gewirkt haben: Ende Oktober 1988 erreichte der Auslastungsgrad in der
Verarbeitenden Industrie der Gemeinschaft mit 85,9% den bisher höchsten Wert
im gegenwärtigen Aufschwung und übertraf deutlich den Spitzenwert des vorangegangenen Aufschwungs 1979/807. Die Bauinvestitionen - vor allem bedingt
durch den Wirtschaftsbau - stiegen um gut 6% - ein schon seit Jahren nicht mehr
erreichter Zuwachs. Völlig aus dem Rahmen fielen dabei Dänemark und Irland
mit negativen Raten. Die insgesamt gesehen günstigen Bedingungen in der Gemeinschaft werden wohl auch 1989 anhalten.
102
Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89
Wirtschaftspolitik
Bei dem beträchtlichen Anstieg von Produktion und Auslastung erhöhte sich
die Zahl der Beschäftigten 1988 in der Gemeinschaft um gut 1% gegenüber dem
Vorjahr. Dieser beachtliche Beschäftigungszuwachs brachte allerdings nur eine
bescheidene Senkung der Arbeitslosenquote in der Gemeinschaft von 0,4 Prozentpunkten mit sich (vgl. Tabelle). Dies erklärt sich aus dem Anstieg der Erwerbsquote. Der demographischen Entwicklung kommt angesichts des deutlich
rückläufigen Anstiegs der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter eine abnehmende
Rolle zu. Eine wachsende Bedeutung spielt dagegen die Erwerbsbetätigung. Erwartungsgemäß erhöht sich bei starkem Wachstum die Erwerbsquote. Hinzu
kommt aber, daß viele der neuen Beschäftigungsmöglichkeiten wohl nicht den Bedürfnissen der Arbeitslosen entsprechen und Stellen häufig von Frauen besetzt
werden, die vorher nicht zum Kreis der Erwerbspersonen gehörten8. Nach Angaben der Kommission werden von den etwa 6 Mio. Beschäftigungsverhältnissen,
die zwischen 1987 und 1990 entstehen könnten, rund 174 Mio. verfügbar sein, um
die Arbeitslosenzahlen zu verringern, von den restlichen gehen etwa 23A Mio. an
Personen, die auch ohne erhöhte Erwerbsquote in den Arbeitsmarkt eingetreten
wären, und 2 Mio. an solche, die im Zuge einer steigenden Erwerbsquote eintreten9.
Die vordringliche Aufgabe der Verringerung der Arbeitslosigkeit, so die Kommission, erfordert eine weitere Stärkung der Wachstums- und Investitionsbedingungen gemäß den Leitlinien der Kooperativen Wachstumsstrategie für mehr Beschäftigung in der Gemeinschaft, wie sie in den Jahreswirtschaftsberichten
1985/86 bis 1987/88 eingehend dargelegt wurden10.
Der Anstieg der Verbraucherpreise in der Gemeinschaft war 1988 wie in den
beiden Vorjahren moderat (s. Tabelle). Sieht man von Griechenland und Portugal
ab, so bewegte sich die Inflationsrate der Gemeinschaftsländer in einer Bandbreite von 0,7% (Niederlande) bis 5% (Italien). Insgesamt war eine deutlich konvergente Entwicklung zu verzeichnen. Nicht zuletzt ist es deswegen im EWS - trotz
erratischer Bewegungen des Dollarkurses - kaum zu größeren Spannungen gekommen11. Die zu erwartende Preisentwicklung für 1989 sieht etwas weniger günstig aus. Schon seit dem Herbst 1988 hat sich der Anstieg der Verbraucherpreise
in den Gemeinschaftsländern verstärkt. Gefördert hat dies sicherlich die zunehmende Auslastung der Kapazitäten und damit verbunden eine tendenziell abnehmende Wettbewerbsintensität. Aber auch externe Faktoren, wie steigende Ölund Rohstoffpreise verbunden mit einem Dollaranstieg, spielen eine Rolle. Allerdings wird in einigen EG-Ländern die Verstärkung des Preisanstiegs durch die
Auswirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen überzeichnet. Der durchschnittliche Anstieg der Teuerungsrate in der Gemeinschaft dürfte 1989 bei etwa
4,5% liegen.
Nationale Wirtschaftspolitiken im Überblick
Überwiegend wurde von den EG-Staaten auch 1988 der bisherige Konsolidierungskurs in der Finanzpolitik beibehalten, so daß von ihr keine nennenswerten
Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89
103
DIE POLITIKBEREICHE DER EUROPAISCHEN GEMEINSCHAFT
konjunkturellen Impulse ausgingen. Das Finanzierungsdefizit der Gemeinschaft
bildete sich, gemessen in Relation zum BIP, um etwa einen halben Prozentpunkt
auf gut 3% zurück. Allerdings ist zu vermuten, daß die Verringerung des zusammengefaßten Defizits weitgehend den Auswirkungen der zunehmenden Auslastung des Produktionspotentials auf Staatseinnahmen und -ausgaben entsprach,
mithin der Abbau des strukturellen Defizits nicht vorankam12.
Im Sinne einer Stärkung des wirtschaftlichen und monetären Zusammenhalts
der Gemeinschaft ist eine stärkere Konvergenz der Haushaltssalden in der Gemeinschaft notwendig. Bei Italien mit 10% und Griechenland mit gut 13% sind
die Abweichungen vom Gemeinschaftsdurchschnitt weiterhin erheblich (s. Tabelle). In diesen Staaten wie auch in Belgien, Irland, den Niederlanden und Portugal
erfordern das hohe Niveau der öffentlichen Verschuldung und die erheblichen
Zinslasten (17-20% der Staatsausgaben 1988) anhaltende Bemühungen zur
Rückführung der Budgetdefizite13. Per saldo dürfte die Konsolidierungspolitik in
der Gemeinschaft fortgeführt werden und das Gesamtdefizit tendenziell zurückgehen. Überproportional wird dazu die Bundesrepublik durch die Anfang 1989
vorgenommenen Steuererhöhungen beitragen, mit denen gleichsam ein Teil der
vorgesehenen Steuersenkungen für 1990 „angespart" wird14. Die Finanzpolitik
wird in der Gemeinschaft weiter konjunkturneutral sein, mit der Bundesrepublik
als wichtiger Ausnahme.
Die Geldpolitik der Gemeinschaftsländer - 1987 vor allem auf die Verhinderung eines „Unterschießens" des Dollars ausgerichtet - konnte sich seit der 1988
wieder höheren Bewertung des Dollars primär binnenwirtschaftlichen Zielsetzungen widmen. Angesichts der zu erwartenden amerikanischen Wirtschaftspolitik
dürfte diese Linie weiter gelten. Die Verschlechterung des Preisklimas seit Herbst
1988 hat in der Gemeinschaft zu einem restriktiven und mit Zinserhöhungen verbundenen geldpolitischen Kurs geführt, mit dem einer Ausweitung der Inflationserwartungen vorgebeugt werden soll. Allerdings bestehen entsprechend den jeweiligen konjunkturellen Spannungen von Land zu Land beträchtliche Unterschiede im Ausmaß der Dämpfungspolitik.
Die Einkommenspolitik hat auch 1988 ihren Beitrag zur Verbesserung der investiven Angebotsbedingungen und damit zur konjunkturellen Aufwärtsbewegung
geleistet. Angesichts des weiter moderaten Anstiegs der Reallöhne je Arbeitnehmer (1,4%) bei deutlich höherer Produktivitätszunahme (2,4%) kam es - Ausnahme: Griechenland, Luxemburg, Niederlande - zu rückläufigen realen Lohnstückkosten. Dadurch wurde die Rentabilität des Kapitalstocks verbessert - eine wichtige Voraussetzung für eine höhere Investitionsneigung. Zudem entwickelte sich
das Kapitaleinkommen in Relation zum Arbeitseinkommen so, daß die Tendenz
abnimmt, Arbeit durch kapitalintensivere Investitionen zu ersetzen15.
Bundesrepublik Deutschland
Die wirtschaftliche Bilanz cer Bundesrepublik für das Jahr 1988 kann sich sehen
lassen. Der Aufschwung war nicht nur deutlich stärker als zuvor, sondern auch
104
Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89
Wirtschaftspolitik
ausgewogener. Die Wachstumsrate des realen BSP hat sich mit 3,4% gegenüber
dem Vorjahr fast verdoppelt. Angesichts einer Teuerungsrate von 1,2% - nach
0,2% im Vorjahr - ist die Charakteristik des Aufschwungs durch den Sachverständigenrat mit „Expansion bei Stabilität" durchaus berechtigt16. Die Zahl der Beschäftigten nahm im Verlaufe des Jahres um 170 Tsd. zu. Allerdings ging die Arbeitslosenzahl nicht zurück, weil das Angebot an Arbeitskräften kräftig expandierte. Neben zunehmender Erwerbsbeteiligung der Frauen spielte dabei der verstärkte Zustrom von Zuwanderern aus der DDR und von Aussiedlern aus Osteuropa eine besondere Rolle. Rund 243 Tsd. deutsche Aus- und Umsiedler - überwiegend im erwerbsfähigen Alter - kamen 1988 in die Bundesrepublik17.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Konjunktur 1989 sind ungünstiger18. Das gilt primär für die Finanzpolitik mit ihren restriktiven Effekten aus
der Steuererhöhung. Die Geldpolitik der Bundesbank dürfte eine Verlangsamung
der monetären Expansion bis zur angestrebten Zunahme der Geldmenge erreichen. In der Lohnpolitik sind die Weichen durch mehrjährige Verträge gestellt.
Anzunehmen ist, daß es nicht zu „Lohnnachschlägen" kommt. Die Vorausschätzungen gehen für 1989 von einem Anstieg des BSP um 2,5-3% aus. Es kann mit
deutlich über 200 Tsd. zusätzlichen Beschäftigten gerechnet werden, allerdings
bei weiter stark wachsendem Angebot an Arbeiskräften. Bei dem deutlichen Anstieg der Teuerungsrate um etwa 3% ist zu berücksichtigen, daß ein Teil auf der
wirtschaftspolitisch unpassenden Anhebung indirekter Steuern beruht.
Frankreich
Die wirtschaftliche Entwicklung in Frankreich war gekennzeichnet durch ein
überaus kräftiges Wachstum des BIP bei nur moderatem, unter dem Durchschnitt
der EG-Länder liegendem Anstieg der Verbraucherpreise. Vor dem Hintergrund
des starken Wachstums konnten gut 190 Tsd. neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Allerdings liegt die Arbeitslosenquote nach wie vor bei gut 10%.
Die gesamtwirtschaftliche Expansion wurde von der Inlandsnachfrage getragen.
Eine Reihe von Indikatoren - Marktanteilsverluste auf den Auslandsmärkten im
Jahresverlauf, eine Einfuhr, die rascher steigt als die Ausfuhr - lassen eine noch
immer unzureichende internationale Wettbewerbsfähigkeit französischer Anbieter vermuten19. Haupttriebkraft der Konjunktur waren die gewerblichen Investitionen. Die nachhaltige Stärkung der Investitionsneigung ist nicht zuletzt auch
Konsequenz der seit 1983 primär angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, die ein
umfangreiches Privatisierungsprogramm einschloß. Die Geldpolitik, die günstige
Bedingungen für eine marktorientierte Sanierung der Privatwirtschaft schuf, wird
weiter darauf gerichtet sein, keine Bedingungen für eine Beschleunigung des Kosten- und Preisauftriebs entstehen zu lassen. Der strikte Kurs der Zentralbank
war nicht zuletzt auf das Ziel zurückzuführen, den Wechselkurs des Franc im
EWS zu stabilisieren20. Die Finanzpolitik war zugleich bemüht, den Kapitalmarkt
durch eine Verringerung des Budgetdefizits zu entlasten.
Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89
105
DIE POLITIKBEREICHE DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFT
Bei weitgehend unveränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dürfte
das reale BIP 1989 - bei sich weiter passivierendem Außenbeitrag - um 2,5-3%
wachsen. Die Arbeitslosigkeit dürfte kaum sinken und die Verbraucherpreise sich
um etwa 3,5% erhöhen.
Großbritannien
In Großbritannien hielt der kräftige Konjunkturaufschwung auch 1988 an. Das reale BIP nahm mit gut 4% etwa im gleichen Maße zu wie im Vorjahr. Zusammen
mit Spanien und Portugal gehört Großbritannien zum Trio der wachstumsstärksten Länder in der Gemeinschaft. Der Anstieg der Beschäftigung war beachtlich,
und die Arbeitslosenquote sank gegenüber dem Vorjahr um 2 Prozentpunkte auf
8,4%. Allerdings zeigt die britische Wirtschaft deutliche Überhitzungserscheinungen: Das Defizit der Leistungsbilanz entsprach 1988 - nach 0,6% im Jahr zuvor bereits gut 3% des BSP. Zudem verstärkte sich der Preis- und Kostenauftrieb. Ursache dafür war die aus dem Ruder gelaufene Inlandsnachfrage, die zunehmend
auf ausländische Ressourcen zurückgriff. Nachdem eine weitgehend wechselkursorientierte britische Geldpolitik zu einer Stabilitätsgefährdenden Geldmengenausweitung geführt hat, gab die hohe Auslastung der heimischen Ressourcen dem
Preisauftrieb zusätzliche Impulse21.
Während die Finanzpolitik - trotz Steuersenkungen - im vergangenen Jahr
dämpfend wirkte, verfolgte die Geldpolitik bis zum Frühsommer einen expansiven
Pfad, um mit Zinssenkungen die Aufwärtsbewegung des Pfunds zu begrenzen.
Die konjunkturellen Überhitzungserscheinungen führten dann zu einem radikalen Umschwung der Politik auf Restriktionskurs, in dem die Leitzinsen am Geldmarkt im Laufe des Jahres deutlich angehoben wurden. Auch wenn die Finanzpolitik 1989 auf explizite Dämpfungsmaßnahmen verzichtet, werden sich bremsende
Effekte aus den Entzugswirkungen der Steuerprogression ergeben22. Unter diesen
Bedingungen wird sich dieses Jahr die Produktion deutlich abflachen; das BIP
dürfte - bei wohl kaum sinkender Arbeitslosigkeit - 1989 um etwa 2,5% steigen.
Der Verbraucherpreisanstieg dürfte die 6%-Marke deutlich überschreiten und
das Leistungsbilanzdefizit sich kaum verringern.
Italien
Italien gehörte 1988 - und generell in den 80er Jahren - zu den wachstumsstärksten Ländern der Gemeinschaft. Motor der Konjunktur war 1988 die Inlandsnachfrage. Es gelang nicht, die hohe Arbeitslosenquote zu senken. Mit der bisherigen
Rekordmarke von 12% gehört sie zu den höchsten in der Gemeinschaft. Die ungünstige Lage auf dem Arbeitsmarkt dämpft weiter den Lohnanstieg. Auf das
Jahr gesehen hat sich die Preissteigerungsrate nur gering erhöht, allerdings haben
sich die Preisauftriebstendenzen seit dem Herbst deutlich verstärkt. Das Leistungsbilanzdefizit erhöht sich und macht gemessen am BIP 0,5% aus. Entscheidend für die Leistungsfähigkeit der italienischen Wirtschaft wird es sein, daß der
Staat endlich ein neues Kapitel in der Finanzpolitik beginnt. Das große Budgetde106
Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89
Wirtschaftspolitik
fizit - 1988: 10% des BIP - und das hohe Schuldenniveau müßten in den nächsten
Jahren entscheidend reduziert werden. Ansonsten besteht die Gefahr, daß die
schon heute deutlich über dem EG-Durchschnitt liegende Inflationsrate sich beschleunigt und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der italienischen
Wirtschaft abnimmt. Wichtig gerade auch in Hinblick auf 1992 wird es zudem
sein, daß die in starkem Maße durch Ineffizienz und hohe Kosten charakterisierten öffentlichen Dienste reformiert werden23.
Benelwcländer
Für Belgien war 1988 ein gutes Konjunkturjahr. Das BIP nahm um 3,3% zu. Die
Expansion vollzog sich auf breiter Basis mit überdurchschnittlich zunehmenden
Bruttoanlageinvestitionen, die Arbeitslosenquote ging allerdings nicht zurück.
Der Preisanstieg lag mit 1,2% deutlich unter dem Durchschnitt der EG-Länder.
Die Leistungsbilanz blieb weiterhin aktiv. Eine überaus hohe Verschuldung
(1988: 115% des BIP) und ein hohes, wenngleich tendenziell sinkendes Budgetdefizit erfordern weiterhin eine straffe konsolidierungs- und stabilitätsorientierte
Wirtschaftspolitik, wie sie 1982 eingeleitet wurde. Der mit der Verfassungsänderung vom Juli 1988 gesetzte Schlußstein der seit 1963 betriebenen Föderalisierung
Belgiens dürfte sich per saldo und auf längere Sicht günstig auf die wirtschaftliche
Entwicklung auswirken24.
In den Niederlanden war die wirtschaftliche Entwicklung 1988 recht gut und
dürfte auch 1989 günstig bleiben. Das ist nicht zuletzt auch Ergebnis des gesamtwirtschaftlichen Sanierungskurses, der 1982 eingeschlagen wurde25. Mit Entlastungen bei Steuern und Sozialabgaben zugunsten der Unternehmen sowie Einsparungen in den öffentlichen Haushalten einerseits und Kürzungen der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte andererseits konnte die internationale
Wettbewerbsfähigkeit verbessert, das Finanzierungsdefizit des Staates in Relation
zum BIP tendenziell zurückgeführt26, die unternehmerische Ertragslage und damit
die Investitionstätigkeit wesentlich gestärkt und der Preisanstieg sehr gering gehalten werden. Auf dem Arbeitsmarkt - die Zahl der Arbeitslosen ist statistisch
überhöht27 - besserte sich die Lage. Der Sanierungs- und Konsolidierungskurs
wird 1989 fortgeführt.
Luxemburg wies auch 1988 eine ausgezeichnete Wirtschaftsbilanz auf: Wachstum des realen BIP um 3%, mit 1,4% die niedrigste Arbeitslosenquote der Gemeinschaft, Leistungsbilanzüberschuß, geringer Preisauftrieb, Anstieg des Haushaltsüberschusses. Auch im laufenden Jahr dürfte die günstige Entwicklung anhalten, wenngleich die Wachstumsrate sich leicht abflachen dürfte.
Übrige EG-Länder
Dänemarks wirtschaftliche Lage war 1988 wenig rosig, gekennzeichnet durch
Wachstumsschwäche, einen deutlich über dem EG-Durchschnitt liegenden Preisanstieg und eine sich verschlechternde Arbeitsmarktlage. Einen Lichtblick stellte
der deutliche Rückgang des Fehlbetrags in der Leistungsbilanz dar. Der 1987 weJahrbuch der Europäischen Integration 1988/89
107
DIE POLITIKBEREICHE DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFT
gen der wachsenden Leistungsbilanzdefizite und der zunehmenden hohen Auslandsverschuldung eingeleitete gesamtwirtschaftliche Sanierungskurs wird fortgeführt. Bei stabilisierter Binnennachfrage soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden. Erreicht werden soll dies durch mittelfristiges Einfrieren der realen Staatsausgaben, Abbau des im internationalen Vergleich hohen
Steuerdrucks, allmählichen Stellenabbau im weit überbesetzten Öffentlichen
Dienst und einen mittelfristig mäßigen Nominallohnanstieg28. Allerdings erfordert
dieser Ansatz einen erheblichen sozialen Konsens auf nationaler Ebene.
Im ersten Jahr nach Ablauf des zweijährigen Stabilisierungsprogramms verlief
die wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland 1988 günstiger als vielfach erwartet. Das reale BIP nahm, nach einem Rückgang 1987, um 3,3% zu. Entscheidend
wurde diese Entwicklung von der Binnennachfrage getragen. Das Leistungsbilanzdefizit, gemessen in Relation zum BIP, nahm leicht ab auf 2,4%. Die Arbeislosenquote - allerdings statistisch unzureichend erfaßt29 - ist leicht gestiegen. Die
Inflationsbekämpfung hat zuletzt nur noch wenige Fortschritte gemacht; und der
zweistellige Preisanstieg ist weiterhin mit Abstand der höchste in der EG. Belastend für die griechische Volkswirtschaft bleibt die Entwicklung des öffentlichen
Sektors, dessen Ausbreitung und Defizite zunehmen: Die Absorption großer Teile der Bankeinlagen - bei weitgehendem Fehlen eines Kapitalmarktes - durch den
öffentlichen Sektor, zu Lasten produktiver Investitionen der Privaten, wird sich
auch 1989 fortsetzen30.
Nach langer Rezessionsperiode 1975-1985, in der die Investitionen stagnierten
und die Arbeitslosenquote sich von 2 auf 22% erhöhte, befindet sich Spanien seit
drei Jahren in einer Phase dynamischen Wachstums. Die neue Dynamik ist in beträchtlichem Maße auf die günstigen Auswirkungen des EG-Beitritts auf das Konjunkturklima zurückzuführen. Spanien war auch 1988 das Land mit der höchsten
Wachstumsrate in der Gemeinschaft. Allerdings zeigen sich deutliche Zeichen
konjunktureller Überhitzungserscheinungen. Die Leistungsbilanz geriet 1988
nach langer Zeit wieder ins Defizit. Die Inflationsrate blieb mit etwa 5% beträchtlich über dem EG-Durchschnitt und hat sich zuletzt deutlich beschleunigt. Die
Arbeitslosenquote verharrte auf ihrem hohen Niveau von 20%, weil Erwerbsbevölkerung und Beschäftigung parallel zunahmen. Für die spanische Regierung
sind die rasche Eingliederung in die währungspolitische Zusammenarbeit im EWS
und die möglichst baldige Partizipation am Prozeß der Kapitalverkehrsliberalisierung in der EG vorrangig31. Daher ist es wichtig, daß das Gefälle verringert wird,
welches das Land beim Pro-Kopf-BIP vom Gemeinschaftsdurchschnitt trennt. Ein
weiterhin günstiges Investitionsklima ist somit notwendig. Deutliche Erfolge bei
der Bekämpfung der Inflation, Dämpfung der Lohnkostenentwicklung und Verbesserung der internationalen Wettbewerbsposition sind dafür die strategischen
Schlüsselelemente32.
Portugal wies 1988 mit 4,2% bereits im vierten aufeinanderfolgenden Jahr ein
kräftiges Wachstum des realen BIP auf. Die Inlandsnachfrge expandierte um
6,2%. Die im Vergleich zu den anderen EG-Ländern niedrigere Arbeitslosenquo108
Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89
Wirtschaftspolitik
te sank um etwa einen Prozentpunkt. Die Inflationsrate - 1984 noch bei 28% - ist
zwar auf einen einstelligen Wert geschrumpft, war aber mit 9,7% 1988 die zweithöchste in der Gemeinschaft. Eine Verlangsamung des Preisanstiegs ist schon
deswegen notwendig, weil die Verringerung des Inflationsgefälles zu den anderen
EG-Staaten Voraussetzung ist für die erfolgreiche Eingliederung Portugals in die
Gemeinschaft und insbesondere für eine etwaige Teilnahme am EWS33. Die
Rückführung der Inflationsrate erfordert eine Verlangsamung des Anstiegs der
Pro-Kopf-Löhne. Vor allem muß die Geld- und Fiskalpolitik weit stärker in den
Dienst der Inflationsbekämpfung gestellt werden. Angesichts des erheblichen Anstiegs der öffentlichen Schulden ist eine deutliche Rückführung des Kreditbedarfs
der öffentlichen Hand notwendig. Die Kommission weist darauf hin, daß eine
Haushaltskonsolidierung auch deshalb erforderlich ist, damit die erheblich aufgestockten Transfers aus den Strukturfonds an Portugal nicht inflationäre Auswirkungen haben34.
Die Konstitution der irischen Wirtschaft hat sich im Zuge der energisch voranschreitenden Politik der Haushaltskonsolidierung 1988 in einer Reihe von Punkten verbessert. Das Haushaltsdefizit ging, gemessen in Relation zum BIP, um 5
Prozentpunkte auf 3,6% zurück. Allerdings spielt dabei auch der „Zufallsgewinn"
aus einer Steueramnestie eine Rolle35. Die Teuerungsrate lag deutlich unter dem
EG-Durchschnitt. Die leicht rückläufige Binnennachfrage - teilweise eine Konsequenz der Stabilitätspolitik - wurde durch einen nicht zuletzt auf die verbesserte
irische Wettbewerbsfähigkeit zurückgehenden positiven Außenbeitrag deutlich
überkompensiert, so daß das reale BIP um knapp 2% stieg. Die überaus ungünstige Arbeismarktlage hat sich nicht verbessert. Angesichts der hohen öffentlichen
Verschuldung - sie machte gemessen in Relation zum BIP 1988 gut 120% aus,
und das Verhältnis verschlechterte sich weiter - ist die Haushaltsanpassung wirtschaftspolitisch weiter vorrangige Aufgabe.
Perspektiven
Der bisher schon längste Aufschwung der Nachkriegszeit wird sich - seit 1988 gekräftigt - weiter fortsetzen, auch über 1989 hinaus. Nach einem Zuwachs des realen BSP von 3,7% 1988 geht die Kommission in ihren Vorausschätzungen für die
beiden Folgejahre von Zuwachsraten von jeweils 3% aus. Dieser positive Befund
gibt Hoffnung, daß der überaus hohen Arbeitslosigkeit von mehr als 10% der Erwerbsbevölkerung mit mehr Erfolg als bisher begegnet werden kann. Im Gegensatz zu den Verlaufsmustern der Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den anderen
Industrieländern war es der Gemeinschaft weder möglich, in der Rezession ein
hohes Beschäftigungsniveau zu erhalten, noch im Zuge der anschließenden wirtschaftlichen Erholung die Arbeitslosigkeit rasch zurückzuführen. Der jetzt endlich gelungene Bruch des Trends steigender Arbeitslosenquoten ist sicherlich
auch auf die Mitte der 80er Jahre von der Kommission eingeführte Kooperative
Wachstumsstrategie für mehr Beschäftigung zurückzuführen. Notwendig ist, daß
man an diesem Konzept festhält. Neben dem Abbau administrativer Hemmnisse
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DIE POLITIKBEREICHE DER EUROPAISCHEN GEMEINSCHAFT
bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze gilt es, die Flexibilität der Arbeitnehmer zu
erhöhen und die Kapitalrentabilität durch einen maßvollen Anstieg der Lohnkosten zu verbessern. Die Reallöhne müssen in dieser Phase weiter deutlich hinter
der Produktivitätsentwicklung zurückbleiben.
Würde sich das gegenwärtige erhöhte Wachstum von gut 3% als mittelfristiger
Trend einstellen, könnte sich unter Berücksichtigung des potentiellen einmaligen
Wachstumsgewinns aus dem Projekt „Binnenmarkt '92" ein Sozialproduktzuwachs von 4% in der Gemeinschaft nach 1992 ergeben. Der sich aus dem Liberalisierungsprogramm für den Binnenmarkt ableitende Wachstumsgewinn wird nämlich in dem von der Kommission initiierten Cecchini-Bericht für den Sechsjahreszeitraum 1993-98 in Abhängigkeit vom wirtschaftspolitischen Verhaltensmuster
auf 4,5-7,5% des BSP geschätzt36. Wichtig für den Erfolg des Programms ist, daß
die abzubauenden nationalen Hemmnisse nicht auf europäischer Ebene wieder
auftauchen. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf den Außenschutz („Festung
Europa"). Herbert Giersch, einer der geistigen Väter der Kooperativen Wachstumsstrategie für mehr Beschäftigung37, sieht in der sich möglicherweise herausbildenden Prosperität eine Chance für die Liberalisierung, mit der man den Aufschwung verlängern könnte in der Hoffnung, den anfänglichen Einmalgewinn aus
dem „Projekt '92" zur Stufe für einen steileren Wachstumspfad zu machen. Gestützt wird dieser Optimismus auf historische Erfahrungen38.
Anmerkungen
1 Vgl. Schmahl, Hans-Jürgen: Bundesrepublik.
Probleme und Perspektiven, in: Konjunktur
von morgen (Hrsg. HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung/Hamburg) Nr. 779 vom
26. 1. 1989.
2 Vgl. Großer, Günter u. Günter Weinert: Die
wirtschaftliche Lage Westeuropas, in: Weltkonjunkturdienst (Hrsg. HWWA-Institut für
Wirtschaftsforschung/Hamburg) 1 (1989), S.
38.
3 Aussage über Größe und Struktur der Handelsströme sind in diesem Jahr mit Unsicherheiten behaftet. Ursache dafür sind die Umstellung der Anmeldeformulare im EG-Außenhandel („EG-Einheitspapier") und Umstellungen der Außenhandelsstatistik.
4 Vgl. Großer/Weinert, a.a.O., S. 37.
5 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Entwicklungen der Investition in der
Gemeinschaft, in: Europäische Wirtschaft,
Beiheft A, 11 (1988); Wirtschaftliche Vorausschätzungen für 1989 und 1990, in: Europäische Wirtschaft - Beiheft A, 2 (1988).
6 Vgl. Großer/Weinert, a.a.O., S. 36; Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Jah-
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reswirtschaftsbericht 1988-89 (Mitteilung der
Komission an den Rat), Europäische Wirtschaft 38 (1988), S. 19.
Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Kapazitätsauslastung in der Industrie, in: Europäische Wirtschaft, Beiheft B,
11 (1988) S. 2 f.
Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Wirtschaftliche Vorausschätzungen
für 1989 und 1990, in: Europäische Wirtschaft, Beiheft A, 2 (1989), S. 5.
Vgl. ebd.
Vgl. Krägenau, Henry: Wirtschaftspolitik, in:
Jahrbuch der Europäischen Integration
1985-1987/88.
Vgl. Interview mit Leonhard Gleske, in: Zeitschrift für Export- und Import-Branchen und
Märkte, Stuttgart 1/89, abgedruckt in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln
Nr. 8 (1989), S. 2; Rahmsdorf, Detlev W.:
Währungspolitik, in diesem Band.
Vgl. Großer/Weinert, a.a.O., S. 29.
Vgl. Jahreswirtschaftsbericht (EG) 1988-89,
S. 51.
Vgl. Großer/Weinert, a.a.O., S. 29.
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Wirtschaftspolitik
15 Vgl. Jahreswirtschaftsbericht (EG), a.a.O., S.
42.
16 Vgl. Jahresgutachten 1988/89 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Deutscher Bundestag, Drucksache 11/3478 vom 24. 11. 1988.
17 Vgl. Jahreswirtschaftsbericht 1989 der Bundesregierung; Deutscher Bundestag, Drucksache 11/3917 vom 25. 1. 1989, Ziffer 3.
18 Vgl. Schmahl, Hans-Jürgen, a.a.O.
19 Vgl. Großer/Weinert, a.a.O., S. 43.
20 Vgl. Weinert, Günter: Deutlicher Aufschwung in Frankreich, in: Konjunktur von
morgen, Nr. 776 vom 8. 12. 1988.
21 Vgl. Großer/Weinert, a.a.O., S. 47.
22 Vgl. ebd., S. 49.
23 Vgl. Fischer, Heinz-Joachim: Italien unter
dem Druck Europas, in: FAZ v. 6. 1. 1989.
24 Vgl. Kuntze, O.-E.: Belgien, in: ifo-schnelldienst 8 (1989), S. 31; Woyke, Wichard: Belgien, Niederlande, Luxemburg, in diesem
Band.
25 Vgl. Kuntze, O.-E.: Niederlande, in: ifoschnelldienst 9 (1989), S. 18.
26 Allerdings von der Nationalbank wurde die
Haushaltspolitik in der Vergangenheit kritisiert. Vgl. Krägenau, Henry: Wirtschaftspolitik, in: Jahrbuch der Europäischen Integration 1987/88, S. 129.
27 Vgl. Hetzel, Helmut: Statistik und die völlig
neue Realität, in: Die Welt vom 10. 1. 1989;
Die Arbeitslosigkeit wird sich in den Nieder-
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landen zudem durch eine neue Definition verringern.
Vgl. Kuntze, O.-E.: Dänemark, in: ifo-schnelldienst 7 (1989), S. 25.
Vgl. Marks, Michael: Griechenland am Jahreswechsel 1988/89, in: Bundesstelle für Außenhandelsinformation: Wirtschaftslage, Februar 1989, S. 5.
Vgl. ebd., S. 2; Griechenland: Defizite gefährden die Belebung, in: Blick durch die Wirtschaft vom 6. 1. 1989.
Vgl. Jahreswirtschaftsbericht (EG) 1988-89,
a.a.O., S. 68.
Vgl. ebd.
Vgl. ebd., S. 82.
Vgl. ebd.
Vgl. Die Stabilisierung des Etats hat Dublin
nahezu erreicht, in: Handelsblatt vom
21./22. 10. 1988.
Vgl. Emerson, Michael u. a.: The economics
of 1992. An assessment of potential economic
effects of completing the internal market of
the European Community, in: European Economy, 35 (1988), S. 165.
Vgl. Kipp, Helmut: Deregulierung ist die
wichtigste Aufgabe für die neunziger Jahre,
in: Handelsblatt vom 23. 3. 1989.
Vgl. Giersch, Herbert: Anmerkungen zum
weltwirtschaftlichen Denkansatz, in: Weltwirtschaftliches Archiv (Hrsg. Institut für
Weltwirtschaft an der Universität Kiel) Bd.
125 (1989), S. 12.
Weiterführende Literatur
Bieber, Roland u. a. (Eds.): 1992. One European
Market? Baden-Baden 1988.
Emerson, Michael, unter Mitarbeit von Aujean,
Michel u. a.: The economics of 1992. An assessment of the potential economic effects of completing the internal market of the European
Community, in: European Economy 35 (1988).
Giersch, Herbert: Anmerkungen zum weltwirtschaftlichen Denkansatz, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 125 (1989), S. 1 ff.
HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung/Hamburg: Die wirtschaftliche Lage Westeuropas, in:
Weltkonjunkturdienst 1 (1989).
Kommission der Europäischen Gemeinschaften:
Jahreswirtschaftsbericht 1988/89, (Mitteilung
der Kommission an den Rat), Europäische
Wirtschaft 38 (1988); Ad-hoc-Studien zu wirtschaftlichen Fragen der Gemeinschaft: A. Der
Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89
Arbeitsmarkt in der Gemeinschaft; B. Einige
gesamtwirtschaftliche Überlegungen über die
Chancen und Bedingungen für den Aufholprozeß der anderen Länder der Gemeinschaft; C.
Der europäische Finanzraum: Verwirklichung
und Aussichten, in: Europäische Wirtschaft 38
(1988).
Mestmäcker, Ernst-Joachim, Möller, Hans,
Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Eine Ordnungspolitik für Europa. Festschrift für Hans von der
Groeben zu seinem 80. Geburtstag, Baden-Baden 1987.
Nölling, Wihelm: Festung Europa? Hamburger
Beiträge zur Wirtschafts- und Währungspolitik
in Europa (Hrsg.: Wilhelm Nölling), Heft 5,
Hamburg 1988.
OECD: Economic Outlook, Paris, No. 44, December 1988.
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