Somatische Komorbidität Virale Infektionserkrankungen mit Fallbeispielen 28.11.2015 Dr. Matthias Reisinger Arzt für Allgemeinmedizin Facharzt für Lungenkrankheiten Additivfacharzt (i. A.) Intensivmedizin Suchthilfe Wien Otto Wagner Spital Wien, 2. Lungenabteilung, Onkologie Agenda - HIV • Fallbeispiel • Epidemiologie • Natürlicher Verlauf • Therapie – Substanzgruppen, Therapiebeginn Agenda – HCV • Fallbeispiel • Epidemiologie • Natürlicher Verlauf • Therapie – Überblick, Ausblick HIV Quelle: Ian Smith, Postmedia News, National Post Quelle: www.areyouatrisk.ca 1981 1983-1987 1983 wurde das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), ein Retrovirus, als Ursache von AIDS (Aquired Immuno Deficiency Syndrome) entdeckt 1987 wurde Zidovudine als erstes Therapeutikum zugelassen, jedoch mißglückte eine erfolgreiche Behandlung mittels Monotherapie, nur eine zeitliche Verzögerung des natürlichen Verlaufs der Erkrankung trat ein. 1996 In den kommenden Jahren erlebte die HIV-Forschung (es gibt nichts vergleichbares in der Medizin bis zum heutigen Tag) einen wahrlichen Quantensprung. Eine einst todbringende Erkrankung wurde nach Einführung von HAART (Highly Active Anti-Retroviral Treatment) 1996 zur chronischen Infektion. Durch dauerhafte Virussuppression ist ein Voranschreiten der Erkrankung zu stoppen. Heute geht es mehr um Therapievereinfachung, Vermeiden von Langzeit-Toxizitäten und Behandlung von Komorbiditäten. HIV – Prävalenz, Late Presenter Seit Bekanntwerden erster Fälle erworbener Immunschwäche in den 1980er-Jahren in den USA und der Entdeckung des hierfür verantwortlichen HI-Virus ist es zu einer Verbreitung der Infektion mit einer geschätzten weltweiten Prävalenz von 35 Millionen HIVinfizierten Menschen gekommen (WHO-Schätzung 2013). Problematisch sind nach wie vor „Late Presenter“, die bei Erstdiagnose bereits eine CD4-Zellzahl von < 200/µL aufweisen. HIV - Situation in Österreich Die Zahl der Neudiagnosen ist in Österreich rückläufig. Im Jahr 2014 zählte man 403 Fälle. 2013 waren es 481, 2012 noch 523 Fälle. Laut der seit Jahren laufenden österreichischen Kohortenstudie erhalten derzeit etwa 4.000 Personen eine Therapie. Wenn die HIV-positiven, unbehandelten Patienten einbezogen werden, und angenommen wird, dass 25 Prozent aller HIV-Infizierten bis jetzt noch nicht diagnostiziert sind, käme man derzeit auf rund 8.000 mit HIV/AIDS lebende Menschen in Österreich. HIV – Prävalenz, Ansteckungswege Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass in Österreich derzeit rund 1.700 Menschen an der erworbenen Immunschwäche erkrankt sind. Die Zahl der Patienten, die seit 1983 an Aids verstorben sind, wurde mit Anfang Dezember 2011 mit 1.945 Personen angegeben. Hauptrisiko ist der heterosexuelle Übertragungsweg (43%), knapp gefolgt von MSM (42%), der i.v.Drogenkonsum ist mit 9% die kleinste Risikogruppe. Ca. 70% der Patienten sind Männer. HIV - Fallbeispiel H.N., 31j Frau, HIV pos. seit 04/2005, regelmäßige Kontrollen auf der Immunambulanz des OWS bis 07/2006, therapie-naiv, Z.n. Hepatitis B Kommt 03/2013 zu mir und fragt mich wegen Kontrolle/Therapie lebt mit LG (HIV pos.), früher IVDU, jetzt stabil substituiert Labor 03/2013: CD4+: 277 Zellen/µl (23%), HIV-RNA (PCR) 45.500 cp/ml HBV s-AG neg., HBV s-Ak neg., HBV c-AK pos., HBV-DNA (PCR) neg. HCV-Ak pos., HCV-PCR neg. TPHA neg., Quantiferon-Test pos., HLA-B5701 neg. HIV - Fallbeispiel Würden Sie mit einer Therapie beginnen? HIV - Natürlicher Verlauf der Erkrankung Akute HIV Infektion Leitsymptome der akuten HIV-1-Infektion Quelle: Hecht 2002 Symptom Häufigkeit Odds Ratio (95% CI) Fieber > 38°C Hautausschlag Orale Ulzera Arthralgie Pharyngitis Appetitverlust Gewichtsverlust > 2,5 kg 80 % 51 % 37 % 54 % 44 % 54 % 32 % 5,2 (2,3-11,7) 4,8 (2,4-9,8) 3,1 (1,5-6,6) 2,6 (1,3-5,1) 2,6 (1,3-5,1) 2,5 (1,2-4,8) 2,8 (1,3-6,0) Allgemeine Abgeschlagenheit 68 % 2,2 (1,1-4,5) Myalgie Fieber und Hautausschlag 49 % 46 % 2,1 (1,1-4,2) 8,3 (3,6-19,3) Typisches makulopapulöses, stammbetontes Exanthem Quelle: www.hivandmore.de 50 bis 90% entwickeln klinische Symptome in der akuten HIV-Infektion (ca. 2-4 Wochen nach der Ansteckung). Obwohl diese Grippe-ähnlichen Symptome oft übersehen werden, wäre hier die Früherkennung, Testung und Therapie besonders hilfreich um weitere Transmissionen zu verhindern! Fortgeschrittene HIV-Infektion: AIDS CD4-Schwellenwerte von opportunistischen Infektionen (Richtwerte) Ohne Grenze Kaposi-Sarkom (HHV-8-assoziiert), Lungen-TBC, Herpes-zoster-Virus, bakterielle Pneumonie, Lymphom (EBV- oder HHV-8-assoziiert) ab < 250/μl Pneumocystis jiroveci Pneumonie, Soor-Ösophagitis, Progressive multifokale Leukenzepholpathie (JC-Virus), Herpes-simplex-Virus ab < 100/μl Zerebrale Toxoplasmose, HIV-Enzephalopathie, Kryptokokkose, Miliartuberkulose ab < 50/μl CMV-Retinitis, atypische Mykobakteriose Herpes zoster tritt bei Immundefizienz häufig auf, ist aber keine opportunistische Infektion. Miliar-TBC Kaposi-Sarkom Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie Quellen: radiopaedia.org, pdrhealth Ziele der Therapie VirusSuppression <50 copies/mL Anstieg der CD4 Zellzahl Verbesserte immunologische Funktion Verhinderung von Übertragung Reduktion von opportunistischen Infekten und Tumoren ART verbessert die Lebenserwartung Kumulative Mortalität 1.0 0.8 HIV infiziert vor 1996 0.6 0.4 0.2 0.0 0 Annahmen: 2 HIV infiziert 2004–2006 Gesamtbevölkerung 4 6 8 10 12 14 2004–2006 Zeit nach Serokonversion (Jahre) Beginn der ART bei CD4 Zellzahl <350/µL 90% virologisch supprimiert (<50 Kopien/mL) Quelle: Hammer SM et al, ACTG 320, N Engl J Med, 2007; Egger et al, SHCS, BMJ 2007; Bhaskaran K et al, CASCADE, JAMA 2008; Hogg et al The ART-CC, Lancet 2008; Elzi L et al, Arch Int Med 2010 When to start? Symptomatische HIV Erkrankung CDC Stadium B/C Schwangerschaft Readiness / Bereitschaft HIV-Neuinfektion Asymptomatische HIV Infektion Beginn der ART in therapie-naïven Patienten 2012 2009 500 2007 350 200 2003 Veränderungen der CD4-Grenze in den DHHS Guidelines DHHS: United States Department of Health and Human Services START Study (vorzeitig beendet 2015) • • • • • Große internationale, randomiserte, klinische Studie 4685 therapie-naive Pat. wurden entweder sofort oder ab CD4-Zellzahl < 350 mit ART behandelt Endpunkte: AIDS-assoz. und nicht AIDS-assoz. Ereignisse, Tod Interimsanalyse 03/2015: generelle Risikoreduktion 53%, bei AIDS-assoz. Ereignissen -70% -> Stopp der START Studie Diese Erkenntnisse verändern die Therapie-Leitlinien weltweit. When to start ART? • “ART is now recommended for all HIV-positive persons, irrespectively of CD4 cell count. The main reasons for this change are the results of the START trial showing more favourable clinical outcomes among HIV-positive persons initiating ART at high CD4 cell counts as compared to persons initiating ART at lower CD4 cell counts. Along with this change, the recommendation of what to start has also changed.” • EACS Guidelines 8.0, Oktober 2015 HIV - Fallbeispiel 31j Frau, HIV pos. seit 04/2005, regelmäßige Kontrollen auf der Immunambulanz des OWS bis 07/2006, therapie-naiv, Z.n. Hepatitis B Kommt 03/2013 zu mir und fragt mich wegen Kontrolle/Therapie lebt mit LG (HIV pos.), früher IVDU, jetzt stabil substituiert Labor 03/2013: CD4+: 277 Zellen/µl (23%), HIV-RNA (PCR) 45.500 cp/ml HBV s-AG neg., HBV s-Ak neg., HBV c-AK pos., HBV-DNA (PCR) neg. HCV-Ak pos., HCV-PCR neg. TPHA neg., Quantiferon-Test pos., HLA-B5701 neg. HIV - Fallbeispiel • Bei unserer Patientin ist ein Therapiebeginn indiziert • Aufklärung über Möglichkeiten: • Einnahme einmal täglich v. zweimal täglich • Pillenzahl (1 bis 5) • Verschiedene Medikamentenklassen • Potentielle Nebenwirkungen HIV - Therapie HIV – therapeutische Ansatzpunkte Protease-Inhibitoren: Atazanavir, Lopinavir, Darunavir, Ritonavir CCR5-I.: Maraviroc Fusions-Inhibitor: Enfuvirtide NNRTI: Efavirenz Nevirapine Etravirine Rilpivirine NRTI: Tenofovir, Abacavir, Lamivudine, Emtricitabine, Didanosin, Zidovudine Integrase-I.: Raltegravir Elvitegravir Dolutegravir Volberding et al., Lancet 2010 HIV-Therapie 2015 6 verschiedene Medikamenten-Klassen NRTI’s NNRTI’s Protease-Inhibitoren Integrase-Inhibitoren Nukleosidische ReverseTranskriptase-Inhibitoren Nicht-nukleosidischen ReverseTranskriptase-Inhibitoren (PI): (INSTI): • Abacavir • Efavirenz • Atazanavir • Raltegravir • Didanosine • Nevirapine • Darunavir • Elvitegravir • Emtricitabine • Etravirine • Fos-Amprenavir • Dolutegravir • Lamivudine • Rilpivirine • Indinavir • Stavudine • Lopinavir • Tenofovir • Nelfinavir • Zidovudine • Ritonavir Fusion-Inhibitoren • Enfuvirtide • Saquinavir CCR5-Inhibitor • Tipranavir • Maraviroc HIV - Fallbeispiel Patientinwunsch: 2 NRTI‘s + INSTI, 2x tgl. Einnahme Kivexa© 1-0-0 + Isentress© 1-0-1 ab 11.04.2013 • Ausgezeichnete Verträglichkeit, keine ComplianceProbleme (Handy-Alarm alle 12 Stunden!) Labor: 05.06.13: CD4+-Zellzahl: 605 (28%), HIV-RNA < 20 cp/ml (Virus noch detektiert) 15.01.2014: 718 (37%), HIV nicht nachgewiesen 09.04.2014: 836 (38%), HIV < 20 cp/ml (Virus noch detektiert) 11.06.2014: 728 (34%), HIV nicht nachgewiesen HIV – Fallbeispiel (Fortsetzung) Labor: 03.12.2014: CD4+-Zellzahl: 432 (23%), HIV-RNA: 72.100cp/ml Vermutlich „drug holiday“ / Therapiepause 07.01.2015: 669 (28%), HIV-RNA: 76,4 cp/ml 18.03.2015: 917 (38%), HIV nicht nachgewiesen 26.08.2015: 966 (34%), HIV nicht nachgewiesen HIV - Fallbeispiel • Pneumokokken-Impfung (Prevenar-13, Pneumovacc-23) • Jährliche Influenza-Impfung • 9 Monate INH-Prophylaxe indiziert, wegen deutlich erhöhtem TBC-Risikos bei LTBI • Lebensgefährte anfänglich ebenfalls erfolgreich auf demselben Regime, jedoch bei ihm schwere Compliance-Probleme – major resistance gegen INI und NRTI, deswegen nun umgestellt auf 1x tgl. PIgeboosterte ART mit Truvada als Backbone – aktuell VL deutlich gefallen, d.h. Therapie greift. „License to love“ - HIV diskordante Paare mit Kinderwunsch • Serodiskordantes Paar: Mann HIV +, Frau HIV – • Info hinsichtlich Transmissionsrisiko • Ausschluss anderer STD‘s • Fertilität • Fortsetzung der effizienten ART • Zeitpunkt des ungeschützen GV 36h nach LH-peak (Harnstreifentest) • HIV-Pre-Exposure-Prophylaxe (TDF) 2 Dosen 0 und 24h nach LH-peak Vernazza, P. et al. 4th IAS Conference on HIV pathogenesis, treatment and prevention, 22-25 July 2007, Sydney, Abstract No.MOPDC01 PrEP – Pre Exposure Prophylaxis • PROUD-Studie und IPERGAY-Studie (1,2) • 86% weniger neue HIV Infektionen Präventionsstrategie in Risikogruppen, bei denen übliche Safer-Sex-Strategien versagen. Offen bleibt die Remuneration/Erstattung. FDA hat PrEP bereits zugelassen, in der EU noch nicht zugelassen. 1. Numerous presentations at IAS 2015, see http://i-base.info/htb/28920 2. McCormick S et al. The Lancet, September 2015. HCV Quelle: Ian Smith, Postmedia News, National Post Quelle: dpa / Friso Gentsch HCV – Fallbeispiel A.M., 46-jähriger Mann, HCV pos., ED: 03/2009, HCV-Genotyp 3a, HCV-PCR 618.000 cp/ml, HIV pos., ED: 09/2009 (ART seit 2009, CD4-Nadir 37); bei uns seit 01/2010 in Substitutionsbehandlung, kein IVDU, Benzodiazepin regelm. von uns verordnet; Kokain-Beikonsum früher regelm., nun länger abstinent. Psoriasis mit Arthritis, derzeit nur lokale Therapie. Sono Oberbauch 06/2014: Leber eher klein, Befund spricht für Zirrhose, kein Aszites, keine umschriebene RF, Milz vergrößert (Länge 15,1 cm). Laborwerte 10/2014: Thrombos 95.000 G/l, PTZ 68%, GPT 35, GOT 42, GGT 70, Albumin 44 g/dl, HIV-Viruslast wiederholt nicht nachgewiesen, CD4-Zellzahl 267 (16%) – sehr langsame immunolog. Rekonstitution. HCV – Fallbeispiel Ab Mitte 10/2014 HCV-Therapie für 24 Wochen : Sovaldi© 400mg 1-0-0 Daklinza© 30mg 1-0-0 (Dosis reduziert wg. ART) HIV-Therapie (ART) blieb unverändert: Truvada© 1-0-0 Prezista© 800mg 1-0-0 Norvir© 100mg 1-0-0 HCV - Fallbeispiel Diese Therapie kostet ca. 130.000€ (nur MedikamentenKosten), dies wird von der WGKK nur wegen unserer engen Kooperation mit einem Gastroenterologischen Zentrum genehmigt (in diesem Fall: 4. Med. Abt., WSP, Prof. Gschwantler). Der Pat. bekam sämtliche Hepatitis-C- und Substitutionsmedikamente bei uns tgl. in der Abgabe. So stellten wir die Compliance sicher, sahen den Pat. jeden Tag und konnten auf etwaige Nebenwirkungen sofort reagieren, regelm. das Labor kontrollieren usw. HCV – einige Fakten • Weltweit ca. 170 Mio. Menschen infiziert, in Europa ca. 4 Mio., in Österreich wird die Prävalenz auf 0,7% der Gesamtbevölkerung geschätzt (Quelle: BMG) • Mögliche Folgen: Dekompensation, Leberzellkarzinom • Bei IDU‘s heute Todesursache Nummer 2 (nach Überdosis) IDU: injecting drug user Leberversagen (2 – 5% / Jahr) ~55-85% 25-30 Jahre 2 - 4% / Jahr HCV - Diagnostik • HCV-AK-Test (kann nur Virus-Exposition bestätigen, sagt nichts über aktuelle Situation aus; diagnostisches Fenster 2 Wochen bis 6 Monate!) • HCV-RNA-Nachweis mittels PCR • Qualitativ (detected / not detected) • Quantitativ (Viruslast) • Genotyp HCV - Genotypen HCV - Therapieziele • Maximale dauerhafte Virussuppression/-elimination (SVR = sustained virological response) • Verminderung von Leber-Folgeerkrankungen • Senkung der Mortalität und Morbidität • Einschränkung der Ausbreitung • Verbesserung der Lebensqualität HCV - Therapieevolution Quelle: GI report, 27.06.2013 HCV – Therapieoptionen 2015 GT 1/4 Sofosbuvir + Simeprevir Sofosbuvir + Daclatasvir Sofosbuvir + Ledipasvir Paritaprevir/Ritonavir + Ombitasvir + Dasabuvir GT 2/3 Sofosbuvir + Ribavirin Sofosbuvir + Daclatasvir Sofosbuvir + Lepdipasvir + Ribavirin HCV – Fallbeispiel Laborverlauf: 06.08.2014 HCV 84.800 (vor Therapie) Mitte Oktober 2014 Start: Sofosbuvir + Daclatasvir 05.11.2014 HCV < 15 17.12.2014 HCV n.nachgew. 14.01.2015 HCV n.nachgew. 04.03.2015 HCV n.nachgew. März 2015 Ende (nach 24 Wochen) 02.09.2015 HCV n.nachgew. SVR HIV und HCV: Wechselwirkungen www.hiv-druginteractions.org www.hcv-druginteractions.org Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!