Zusammenfassung Allgemeine Psychologie (Spada) S

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Zusammenfassung Allgemeine Psychologie (Spada) S. 154188 (Kap. 3.3.3 - Kap. 4)
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3.3.3 Missglückter Zugriff als Ursache des „Vergessens“
Im alltäglichen Leben sagen wir, wenn wir uns an etwas nicht erinnern können „hab es vergessen“ und
meinen damit, dass die Information aus dem Gedächtnis verschwunden sein muss.
→ Vergessen ist im Alltagsverständnis automatisch an Verstreichen von Zeit gekoppelt
- in der Psychologie ist umstritten, ob es den rein zeitabhängige Zerfall von Gedächtnisspuren wirklich
gibt (empirische Antwort nicht in Sicht)
→ Erkenntnistheoretisches Problem: Effekt der Zeit „an sich“ lässt sich nicht bestimmen, da in
dieser Zeit auch immer andere Ereignisse auftreten, die das Gedächtnis beeinflussen können
→ Konzentration auf zwei solche „Ereignisse“, die Großteil des „Vergessens“ erklären können:
3.3.3.1 Vergessen durch zeitabhängige Veränderung der Enkodierspezifität
- Passung zwischen enkodierter Repräsentation und Zugriffshinweis: Im Laufe der Zeit ändert sich
der interne ebenso wie der externe Kontext, in dem man lernt.
→ Zugriffshinweis nicht mehr hinreichend ähnlich zur ursprünglich abgelegten Gedächtnisspur
Bsp.: Erinnerung an gelernte Wortliste am gleichen Tag oder eine Woche später überprüft. Bei
letzterem: Wetter anders, andere Stimmung, andere Gedanken…
→ solche Aspekte können in beteiligte Repräsentationen eingehen und ihre Passung bestimmen
→ nach einer Woche weniger Wörter reproduzierbar
3.3.3.2 Vergessen durch Interferenz
- Erfolg des Gedächtniszugriffs ist v.a. eine Funktion der Ähnlichkeit der abgelegten Gedächtnisspur
und der während des Zugriffs erzeugten Repräsentation (des Zugriffssignals). Im Gedächtnis
wartet aber nicht nur eine einzige Spur auf Anregung durch das passende Zugriffssignal: Die
Menge der Spuren ist unzählbar, kritischer ist aber, dass einige Spuren der gesuchten Spur sehr
ähnlich sein können.
- Manchmal ist diese Ähnlichkeit ein Vorteil: Zu vielen Wissensbeständen im semantischen
Gedächtnis gibt es viele, weitgehend redundante Spuren, die einen schnellen und zuverlässigen
Zugriff auf die gewünschte Information ermöglichen
Bsp.: „Was ist die Hauptstadt der USA?“ → egal, welche der vielen Gedächtnisspuren aktiviert wird
- Multiple Ähnliche Spuren sind nur von Vorteil, wenn man nicht auf eine ganz bestimmte Spur
zugreifen muss: Wenn man selbst mehrmals in Washington war und sich an Einzelheiten des
ersten Besuchs erinnern will: Zugriffshinweis (enthält z.B. „Washington“, Tatsache, dass selbst
involviert, Inf. zu zeitlichem Kontext) ist nicht nur guter Zugriffshinweis für gesuchte Spur, sondern
auch für Einträge späterer Besuch (außer zeitlicher Hinweis).
→ Quellenkonfusion (source confusion): Einzelheiten eines späteren Besuchs werden dem Ersten
zugeordnet (die gesuchte Spur ist aber nicht unbedingt „weg“. Eindruck des „Vergessens“ entsteht, weil die Spur aufgrund der Konkurrenz durch ähnliche Spuren schwieriger aufzufinden ist
→ Interferenz: Effekte der Konkurrenz ähnlicher Gedächtnisspuren
(Beschreibung in Bezug auf ein Gedächtnissystem, in dem Spuren unabhängig voneinander
bewahrt werden. Dieser Exemplartheorie steht die Auffassung gegenüber, dass sich verschiedene, ähnliche Einträge mischen und dann selbst mit bestem Zugriffssignal nicht mehr auseinander gehalten werden können. Unklar, welches Modell korrekt ist, da meist ähnliche Vorhersagen)
3.3.3.3 Retroaktive und proaktive Interferenz
- Das gerade beschriebene Erinnern eines Ereignisses gegen die Konkurrenz nachfolgender
Ereignisse ist ein Fall retroaktiver Interferenz (retroaktiv: spätere Gedächtnisspuren erschweren
rückwirkend das Auffinden einer früheren Spur) (siehe Abbildung 3.13).
→ kann „zeitabhängiges Vergessen“ erzeugen, da mit der Zeit die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass
neue Spuren abgelegt werden, die Interferenz zu einer früheren Spur erzeugen.
- Proaktive Interferenz bedeutet hingegen, dass frühere Erinnerungen nachfolgende Erinnerungen
stören → Quellenkonfusion mit früheren Ereignissen
Bsp.: Versuch, sich an Details des Washingtonbesuchs im letzten Jahr zu erinnern, wobei man
früher schon einige male da war
- Proaktive Interferenz kann zeitabhängiges Vergessen nicht ganz so leicht erklären, da hier alles
kritische schon vor dem Abspeichern der relevanten Erinnerung passiert ist.
- Allerdings spielt proaktive Interferenz eine wichtige Rolle in Aufgaben zur Erfassung der Kapazität
des Arbeitsgedächtnisses:
In der Regel werden in solchen Aufgaben viele kurze Listen mit sehr ähnlichem Material vorgegeben,
die Gedächtnisleistung wird nach jeder Liste gleich erhoben. Die durchschnittliche Wiedergabeleistung wird als Maß der AG-Kapazität gewertet.
Dabei wird jeder Lern-Testdurchgang als in sich abgeschlossenes Ereignis betrachtet. Allerdings
könnten Fehler auch auf eine Konfusion zwischen den kontextuell sehr ähnlichen Lernvorgängen
zurückgehen → AG-Aufgaben spiegeln auch die Fähigkeit wider, proaktive Interferenz aus früheren
Testdurchgängen abzuwehren. Passend dazu gibt es einen Zusammenhang zwischen AGKapazität einer Person und ihrer Anfälligkeit für proaktive Interferenz beim Lernen von Wortlisten
Abbildung 3.13: Prototypische Designs zur Erfassung retroaktiver und proaktiver Interferenz. Während der Testphase wird das
erste Wort eines Paares vorgegeben, und das zweite Wort aus einer bestimmten Liste soll reproduziert werden („Cued Recall“).
In Experimentalbedingung bleiben Cue-Wörter konstant. Zur Erfassung retroaktiver Interferenz: Frage nach assoziiertem Wort
aus Liste 1. Zur Erfassung proaktiver I.: Frage nach assoziiertem Wort aus Liste 2. Interferenz drückt sich aus durch Leistungseinbuße in Experimentalbedingung sowie durch Intrusionen aus der jeweils falschen Liste (z.B. bei retroaktiver Interferenz
„Garten – ?“ mit Teppich vervollständigt anstelle mit „Musik“)
[cued oder probed? im Spada steht cued…]
3.3.3.4 Interferenz und Generalisierung
- Interferenz: Hauptursache von Vergessen, aber: Interferenz ist unumgängliche Begleiterscheinung
eines Gedächtnissystems, in dem der Gedächtniszugriff nach dem Prinzip der Ähnlichkeit geschieht
(inhaltsadressierbar ist). Dieses Prinzip ermöglicht es aber auch, gelerntes Wissen auf neue
Situationen zu generalisieren.
Bsp.: Suche nach Post in fremder Stadt → Erinnerung an eine andere Stadt: neben Bahnhof
→ proaktive Interferenz, „Intrusion“ eines früheren Ereignisses
- Sind wir den negativen Folgen von Interferenz wehrlos ausgesetzt?
→ zwei Gegenstrategien: Erzeugen distinkter Gedächtnisspuren während Enkodierung und Inhibition
(Unterdrückung) von ungewollten Gedächtnisspuren beim Zugriff
3.3.3.5 Interferenz und die Enkodierung distinkter Gedächtnisspuren
- Einen Gedächtniseintrag mit zusätzlichen, möglichst einzigartigen Informationen anzureichern erhöht
die Distinktheit der Gedächtnisspuren und reduziert die Interferenzgefahr.
- Um gute Erinnerungsleistungen angesichts von Interferenzgefahr zu produzieren, muss man sich
also bemühen, das Besondere hervorzuheben, oder es sogar aktiv dazuzudichten
(→ „Eselsbrücken“). Sätze mit bizarrem Inhalt werden besonders gut erinnert.
Aber: Bizarres hilft nur, wenn Sätze mit bizarren und gewöhnlichen Inhalten gemischt sind. Besteht
die ganze Liste aus bizarren Sätzen, dann ist der Effekt weg
→ Das Bizarre ist nicht mehr distinkt, wenn es zur Norm wird.
- Neben der Enkodierspezifität ist die Distinktheit ein zweites sehr generelles Prinzip, das die
Erinnerungsleistung beeinflusst. Beide sind potentiell unabhängig voneinander: Während die
Enkodierspezifität die Ähnlichkeit zwischen Enkodierspur und Zugriffsspur beschreibt, bezieht sich
Distinktheit auf die Ähnlichkeit zwischen gesuchter Spur und konkurrierenden Spuren.
Manchen Theoretikern zufolge lassen sich die meisten Gedächtnisphänomene letztlich durch diese
beiden Faktoren erklären.
3.3.3.6 Interferenz und Inhibition während des Gedächtniszugriffs
- V.a. bei Versuch auf Schwache Spuren zuzugreifen: Gefahr, dass stärkere konkurrierende Spuren
sich vordrängen (z.B. Name von unbekanntem Präsident vs bekannten Präsident)
- scheinbar existiert ein inhibitorischer Mechanismus, der die Repräsentation konkurrierender,
starker Spuren unterdrückt und so schwachen Spuren Gelegenheit gibt, hinreichend Stärke zu
gewinnen.
- empirische Befunde: zugriffsbedingtes Vergessen („retrieval-induced forgetting“): Zugriff auf
Information, die mit bestimmtem Zugriffssignal assoziiert ist, erschwert späteren Zugriff auf andere
Information, die mit dem selben Signal assoziiert ist.
- Bsp.: VPN mussten nach Erinnerungsphase wiederholt die Assoziation „Rot-Blut“ reproduzieren
(Zugriffssignal: „Rot-Bl…“). Die VPN hatten danach größere Schwierigkeiten, den Zugriffshinweis
„Rot“ mit den Namen anderer roter Dinge zu vervollständigen (z.B. „Rot-To…“ → mit „Tomate“).
→ scheinbar konkurrierende Information (Tomate auch rot) unterdrückt und nicht so leicht aktivierbar
3.3.4 Wiedererkennen
- Bei Gang durch die Stadt: Häuser sind einem bekannt, man muss aber nicht aktiv darauf zugreifen
→ Gedächtnisspuren können wohl auf zwei verschiedene Weisen zum Vorschein kommen: in Form
eines aktiven Zugriffsprozesses und als weniger klar bestimmbares Gefühl der Vertrautheit
3.3.4.1 Das Gefühl der Vertrautheit
- Reproduktionsleistungen beruhen auf Gedächtnisspuren, die sowohl die gesuchte Information, als
auch den Kontext, in dem sie gelernt wurde, enthalten.
→ Wenn Wörter aus einer Liste reproduziert werden sollen, dient die Liste als Kontext, auf den
zuerst zugegriffen wird, um dann die assoziierten Wörter zu aktivieren
- Wenn das Gedächtnis für die gleiche Wortliste durch Wiedererkenntest erfasst wird (durch Wortliste
gehen und Wörter als „alt“ identifizieren, die schon in der gefragten Liste waren):
→ Präsentation eines Wortes kann bewusste Erinnerung an Lernepisode auslösen, oder aber
lediglich ein Gefühl der Vertrautheit („familiarity“), ohne dass man sich erinnern kann, das Wort
tatsächlich gesehen zu haben (→ Bezug zu Kontext nicht mehr verfügbar)
→ dieses Gefühl reicht oft, um ein Wort als „alt“ zu identifizieren
- Wiedererkennensleistungen sind viel höher, als Leistungen der freien Widergabe, da:
- Reprodukt. ist relativ pures Maß des Gedächtnisses für Verknüpfung eines Inhalts mit Kontext
- Wiedererk.-Leistung ist Mischung aus Zugriff auf kontextgebundene Erinnerungen im episodischen
Gedächtnis einerseits und dem Gefühl der Vertrautheit des Stimulus andererseits
→ Reprod.-Leistungen hängen viel stärker als Widererk.-Leistungen von Enkodieraktivitäten ab, mit
denen die Wörter einer Liste an den Lernkontext gebunden werden.
→ Kontextuelle Manipulationen der Enkodierspezifität (z.B. Stimmung während der Lern- und / oder
Zugriffsphase) beeinflussen Wiederg.-Leistungen viel stärker als Wiedererk.-Leistungen. Das
Wiedererkennen beruht also zum Teil auf einer Repräsentation, die keine Verbindung zum
Kontext hat
3.3.4.2 Implizite Gedächtniseffekte
- VPN sollen Wortliste lesen, später erhalten sie Wortfragmente, z.B. „A_T_B_H_“, die sie zu Wörtern
ergänzen sollen. Lösungswörter, die in der anfänglichen Wortliste enthalten waren („Autobahn“),
werden besonders häufig produziert. Dies passiert auch, wenn VPN keine Beziehung zwischen
den Aufgaben sehen → handelt sich um unbewusste Gedächtniseinflüsse, „Priming“
- Implizites Gedächtnis: Gedächtniseinflüsse, die in indirekten Tests auftreten (Gedächtniseinflüsse
für in einer für VPN nicht erkennbaren Weise untersucht)
- Die Effekte verschwinden wenn die Wörter der Lernliste gehört und nicht gelesen werden, oder sie
sind reduziert, wenn die Schrift sich zwischen Lern- und Testphase verändert. Ähnliche Effekte
ergeben sich auf für nichtsprachliches Material.
→ Primingeffekte sind stark davon abhängig, dass relevantes Material auf der perzeptuellen Ebene
in gleicher Art und Weise während der Lern- und Testphase verarbeitet wird. Sie reagieren
sensibel auf Veränderungen des perzeptuellen Formats zwischen den Phasen.
- Explizites Gedächtnis (etwa Reproduktionsleistungen) viel weniger von perzept. Format beeinflusst
- Empirisch: Die verschiedenen Aspekte, die ein Gesamtereignis ausmachen, sind über den gesamten
Kortex jeweils dort repräsentiert, wo die primäre Verarbeitung eines bestimmten Aspekts geschieht.
Diejenigen Regionen, die üblicherweise mit der Verarbeitung von perzeptuellen Wortinformationen
befasst sind, sind weniger aktiv, wenn das zu verarbeitende Wort „geprimed“ ist.
Genau dies wäre zu erwarten, wenn die an der Verarbeitung beteiligten Repräsentationen schon
vorbereitet sind und daher weniger neuronale „Arbeit“ geleistet werden muss, um sie aufzubauen.
→ Repräsentationen, die impliziten Gedächtniseinflüssen zugrunde liegen, sind also sehr stark an
spezifische Verarbeitungsprozesse gebunden. Man kann daher kaum von dem impliziten
Gedächtnis sprechen. Vielmehr handelt es sich um so viele verschiedene „Gedächtnisse“, wie
unterscheidbare Verarbeitungsmodule vorliegen
3.3.4.3 Implizites Gedächtnis und das Gefühl der Vertrautheit
Was haben implizite Gedächtniseffekte mit Gefühl der Vertrautheit beim Wiedererkennen zu tun?
→ selbes Phänomen
- Implizite Gedächtnisspuren stellen eine Anpassung kortikaler Netzwerke an die Verarbeitung eines
Stimulus dar (Lesen eines Wortes). Daher fällt es beim nächsten Mal etwas leichter, das geübte
Wort zu lesen → erhöhte Verarbeitungsflüssigkeit („fluency“). Diese erhöht Verarbeitungsflüssigkeit
kann vom Leser registriert werden und ist die Grundlage für das Gefühl der Vertrautheit.
- Whittlesea, Jacoby & Girard (1990): VPN wurden in jedem Durchgang 7 Wörter in so schneller
Abfolge präsentiert, dass viele von ihnen nicht klar erkannt werden konnten. Dann sollte bei einem
gezeigten Wort entschieden werden, ob es zu den 7 gehörte, oder nicht. Zusätzlich wurde die
Sichtbarkeit des Wortes (ohne Wissen der VPN) manipuliert, indem ein mehr oder weniger dichtes
Zufallsmuster über das Wort gelegt wurde.
→ Wörter wurden eher als „alt“ bezeichnet, wenn sie leicht zu lesen waren. Dies war auch der Fall,
wenn die Wörter nicht aus der Lernliste stammten. Das Gefühl der Bekanntheit kann also durch
eine rein stimulusbedingte Erhöhung der Verarbeitungsflüssigkeit ausgelöst werden.
→ Verarbeitungsflüssigkeit wird registriert. Ist ein unspezifisches Signal, wird je nach Situation auf
Lernprozess oder perzeptuelle Gegebenheiten zurückgeführt
- Implizites Gedächtnis: Ansammlung von hochspezifischen Fertigkeiten (z.B. Wort / Gesicht /
Tonfolge zu verarbeiten) → wichtige Rolle bei alltäglichen Dingen. Zudem wird die erhöhte
Verarbeitungsflüssigkeit vom kogn. System als Information behandelt, gibt Information über
Ausmaß unseres Wissens zu bestimmtem Sachverhalt
3.3.5 Besseres Gedächtnis durch Gedächtnisforschung?
3.3.5.1 Verstehen = Lernen
- Ein verstandener Zusammenhang wird mit hoher Wahrscheinlichkeit im Langzeitgedächtnis
enkodiert, unabhängig von der Lernabsicht an sich
- Elaborative Prozesse, die zu Einsicht führen, hängen von Aufmerksamkeit ab. Lernsituationen, die
helfen, Aufmerksamkeit zu fokussieren und Ablenkung zu vermeiden, sind daher anzustreben
- Verarbeitungstiefenparadigma: Je mehr Verstehensarbeit vom Lernenden selbst geleistet wird, desto
besser ist die Lernleistung
→ Lernmaterial, dass den Lernprozess zu stark vereinfacht möglicherweise kontraproduktiv:
Mannes und Kintsch (1987) variierten die Art der strukturierenden Zusammenfassung vor
Textabschnitten: kongruent mit Struktur des Haupttextes, oder mit gleichem Inhalt, aber
inkongruenter Struktur.
- Kongruent: besser, wenn Textwissen relativ direkt abgefragt
- Inkongruent: besser, wenn Textwissen in schlussfolgernder Weise zu benutzen(Transferaufgaben)
→ Notwendigkeit, selber Kongruenz zwischen Zusammenfassung und Haupttext herzustellen,
erfordert umfassende Elaboration → bessere Vorbereitung für flexible Nutzung des Wissens
3.3.5.2 Techniken zur Verbesserung des Gedächtnisses
- Mnemotechniken: zur Erhöhung der Gedächtnisleistung: An neues Material mit zuvor gelerntem
Enkodierschema herantreten.
z.B. Methode der Orte: Als Enkodierschema fungiert ein bestimmter Weg durch eine bekannte
Räumlichkeit (etwa eigenes Haus). Rede merken: Inhalt verschiedener Abschnitte / Worte der Rede
mit Stationen auf Weg assoziieren. Beispielsweise liegt vor Haustür eine Banane, ein Pferd steht im
Garten…
→ Kombination von Prinzipien: bedeutungsvolle, gelegentlich bizarre Beziehungen zwischen Orten
und Lernmaterial gestiftet. Zudem identische Enkodier- und Abrufstruktur, die es erlaubt, das
Material in der gewünschten Sequenz zu lernen und wiederzufinden
- Derartige Strategien eignen sich am besten für Erwerb von Information, die für sich genommen
wenig Struktur hat und daher von Enkodier- und Abrufstruktur profitiert. Im pädagogischen und
alltäglichen Kontext (selten Lernen zufälliger Wortlisten) sind diese Strategien viel weniger nützlich.
Wenn konzeptuelle Zusammenhänge gelernt werden sollen, sind die Techniken mit ihrer willkürlichen
Strukturierung des Materials dem Lernen durch verstehen eher abträglich
3.3.5.3 Tests als Lerngelegenheiten
- Nach verständnisorientierter Verarbeitung von Prüfungsmaterial: Wie weiter Lernen?
→ Text immer wieder lesen (dabei hoffentlich weiterhin semantisch verarbeiten)
→ Sich selbst Prüfungsfragen stellen. Führt zu besseren Leistungen. Nachdenken über das zu
lernende Material im Kontext der Fragen führt zu Verknüpfungen zwischen dem Material und
potentiellen Fragestellungen. Die Fragen werden zu potenten Zugriffsignalen. Prinzip der
Enkodierspezifität: Erinnern wird erleichtert, indem man das Erinnern selbst übt.
3.3.5.4 Verteilung von Übung und der trügerische Effekt des Gefühls der Bekanntheit
- Starke Wirkung auf Lernleistung: Verteilung von Lerndurchgängen über die Zeit. Lange Pausen
zwischen Lerndurchgängen führen oft zu doppelt so guten Lernleistungen wie kurze Pausen,
besonders, wenn gelerntes lange behalten werden soll.
- Die Wirksamkeit derartiger Verteilungseffekte („spacing“) hat sich an jeder Art von Material, über alle
Altersgruppen hinweg und auch in pädagogischen Kontexten erwiesen.
- Hypothese: Wenn man Lernmaterial zum ersten Mal durchgeht, dann wird es relativ aktiv
verarbeitet, etwa durch semantisches Elaborieren. Wenn man das Material kurz darauf noch mal
durchgeht, dann führen die abgelegten Gedächtnisspuren zu einem Gefühl der Vertrautheit
(→ Primingeffekte). Dieses Gefühl könnte Grundlage eines Metagedächtnisprozesses sein
(Prozess, der den Einsatz von Gedächtnisprozessen moduliert), da Elaboration ressourcenintensiv
ist: Vertrautheit dient als grobes Signal, ob man über einen Stimulus schon genügend weiß, ob
„tiefere“ Verarbeitung sich lohnt. Nach kurzer Pause zwischen zwei Lerndurchgängen ergibt sich
Gefühl der Vertrautheit, wird als „weiß ich schon“ interpretiert.
→ aktive Beschäftigung mit Material findet nicht statt
→ nach langer Pause ist Gefühl der Vertrautheit geringer, mehr aktive Beschäftigung mit Material
- Empirische Unterstützung: Unterschied zwischen verteilter und direkt aufeinanderfolgender Übung
verringert sich, wenn zwischen Lerngelegenheiten Oberflächenmerkmale der Stimuli verändert
werden (→ weniger Vertrautheit). Aktivierung im linken präfrontalen Kortex (semantische
Elaboration) nach kurzer Pause geringer als nach langer Pause.
→ Gefühl der Vertrautheit kann zur Illusion von Wissen und Kompetenz führen und damit notwendige
aktive Lernbemühungen verhindern. → Argument für Verwendung von Tests als Lerngelegenheit.
3.4 Die Repräsentation von Wissen – Formate und Inhalte
Alle Inhalte unseres Geistes (auch Gedächtnisinhalte) sind im Gehirn repräsentiert. Man nimmt an,
dass diese mentalen Repräsentationen zwei Formate haben:
- Propositionale Repräsentationen lehnen sich an das Vorbild der Sprache an. Womöglich wird die
Bedeutung gesprochener und geschriebener Sprache zunächst (und vielleicht ausschließlich) in
diesem Format repräsentiert.
- Analoge Repräsentationen sind von bildlichen Darstellungen inspiriert. Sind wahrnehmungsnah,
weil sie den Repräsentationen unserer Wahrnehmung ähnlich sein sollen. Jedes Element der
Repräsentation entspricht einem Objekt oder Ereignis des repräsentierten Gegenstandes. Die
Beziehungen zwischen den Elementen in der Repräsent. entsprechen den Beziehungen zwischen
den repräsentierten Objekten oder Ereignissen. Ein Element in einer analogen Repräsentation kann
daher, anders als ein Symbol in einer propositionalen Repräs., nicht für eine ganze Menge von
Objekten stehen. Aus demselben Grund kann ein Element einer analogen Repräsentation nicht für
eine Klasse oder einen Begriff stehen (etwa den Begriff „Apfel“ im Gegensatz zu einem einzelnen
Apfel).
Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Repräsentationen ist, dass Relationen (z.B. „ist
rechts von“, „ist Ursache von“) in Propositionen als eigene Elemente ausgedrückt werden, während
sie in analogen Repräsentationen durch die Relation zwischen den Elementen der Repräsentation
von selbst enthalten sind.
→ durch Kombinationen von analogen Repräs. können sich neue Beziehungen ergeben, ohne dass
es zu einem konkreten Schlussfolgerungsschritt kommen muss. In der entsprechenden
propositionalen Repräs. muss dieser Schluss durch Anwendung einer Inferenzregel erst gezogen
und dann als neue Proposition repräsentiert werden
Bitte Kasten 3.5 auf Seite 165 lesen. Das schreibe ich nicht alles ab.
3.4.1 Propositionale und analoge Repräsentationen
- Debatte, ob es analoge mentale Repräsentationen überhaupt gibt, oder ob alle Kognition
ausschließlich auf symbolischen Repräsentationen beruht. Dazu viele Experimente, z.B. Kosslyn,
Ball und Reiser (1978): VPN mussten schematische Karte einer fiktiven Insel auswendig lernen.
Dann sollten sie sich die Karte vorstellen und in Vorstellung die Aufmerksamkeit auf einen Ort (z.B.
Kirche) richten. Dann sollten sie einen zweiten Ort in ihrem Vorstellungsbild suche und Taste
drücken, wenn sie ihn gefunden hatten. Zeit bis zum Tastendruck entsprach in etwa der Entfernung
zwischen Ausgangs- und Zielort auf der Landkarte
→ metrische Information (Winkel, Entfernungen) in der mentalen Repräsentation der VPN
näherungsweise erhalten geblieben. Bei einer Repräsentation der Karte durch Propositionen wie
„NÖRDLICH (Kirche, Strand, 20 km)“ wäre nicht einzusehen, warum die Verfügbarkeit des
Symbols für den Strand, ausgehend von der Kirche, von dem Symbol für die Distanz abhängen
sollte.
- Als Nachweis für metrische Information in mentalen Repräs. gelten auch Experimente zur mentalen
Rotation. Cooper & Shepard, 1973:
- VPN bekamen Buchstaben gezeigt, die zur Hälfte gespiegelt waren. Zusätzlich waren die
Buchstaben um einen variablen Winkel aus der Vertikalen heraus rotiert. Die Zeit für die
Entscheidung, ob ein Buchstabe spiegelverkehrt ist, oder nicht, steigt annähernd linear mit dem
Rotationswinkel an, wie man es erwarten würde, wenn die VPN den Buchstaben in ihrer Vorstellung
zurück in die aufrechte Position drehen würden.
- Visuelle Vorstellung eines Objekts aktiviert ähnliche Hirnareale wie die visuelle Wahrnehmung.
→ (Visuelle) Vorstellungen scheinen viele, wenngleich sicher nicht alle Merkmale mit (visuellen)
Wahrnehmungen gemeinsam zu haben. (Kritiker analoger Repräsentation bezweifeln allerdings
auch, dass Wahrnehmungen auf analoger Repräsentation beruhen)
- in unserem Gehirn befinden sich keine Bilder oder Buchstaben, das Format unserer Repräs. ist
neuronal. Die Unterschiede zwischen propositionalen und analogen Repräs. sind Unterschiede im
repräsentierten Inhalt. Analoge Repräs. enthalten eine andere Klasse von Informationen als
propositionale, beispielsweise metrische Information über Objekte und räumliche Anordnungen.
Dies ermöglicht unterschiedliche Verarbeitungsoperationen (Bsp.: Eine Negation kann auf
propositionale, nicht auf analoge Repräs. angewandt werden).
- Für eine ganze Reihe von Kategorien mentaler Repräs. gibt es in unserem Gehirn spezialisierte
Bereiche und / oder Verarbeitungsprozesse. Beispielsweise wird die visuelle Information über
Objekteigenschaften (Form, Farbe,…) im Gehirn recht weit separat von der Information über den
Ort eines Objekts im Raum verarbeitet.
3.4.2 Konnektionistische Modelle des Gedächtnisses
3.4.2.1 Grundprinzipien konnektionistischer Modelle
Konnektionistische Modelle sind Netzwerke aus stark vereinfachten Nervenzellen („units“) und ihren
Verbindungen („connections“). Sie sind in der Regel in Schichten organisiert (Abb.3.1.7)
- Input-Schicht nimmt Informationen auf, indem Teilmenge ihrer abstrakten Neuronen aktiviert wird
- Diese Informationen werden über Verbindungen zu einer ersten Zwischenschicht weitergeleitet. In
der Regel gibt es von jedem Neuron der Input-Schicht eine Verbindung zu jedem Neuron der ZS.
Die Verbindungen haben unterschiedliche Verbindungsstärken, von denen abhängt, wie viel
Aktivierung von einem Neuron zum anderen geleitet wird (Verbindungsstärken können auch negativ
sein → inhibitorisch). Diese Transformation von Aktivitätsmustern auf dem Weg von einer Schicht in
die nächste ist die Informationsverarbeitung in einem neuronalen Netzwerk.
- Aktivitätsmuster wird von der ersten Zwischenschicht zu einer Outputschicht gleitet, wo das
Ergebnis der Inf.-Verarbeitung repräsentiert wird.
- In vielen Netzwerken: zusätzlich Verbindungen zwischen Neuronen innerhalb einer Schicht sowie
rückläufige Verbindungen von späteren zu früheren Schichten → Verarbeitung ist dann ein
Wechselspiel von „bottom-up“ –Prozessen (vom Input zum Output), „top-down“ –Prozessen (von
höheren Schichten zurück zum Input) und lateralen Effekten (innerhalb einer Schicht).
- Zwei Formen der Repräsentation von Objekten oder Ereignissen in konnektionistischen Netzen:
- lokal: eindeutige Zuordnung zwischen Neuronen und zu repräs. Einheiten, ein Neuron entspricht
einem Buchstaben / Wort / Gesicht… In Abb. 3.17 sind die Phoneme der Wörter in Input- und
Outputschicht lokal repräsentiert
- Die Wörter sind dagegen verteilt repräsentiert: jedem Wort entspricht ein ganzes Muster von
Aktivierungen
- In der Zwischenschicht sind die Repräs. noch deutlicher verteilt. Was sie repräsentiert, ist zunächst
nicht festgelegt - sie dient v.a. dazu, das Lernen der Paarassoziationen zu erleichtern. Die
Aktivierungsmuster spiegeln oft bestimmte Regelhaftigkeiten im Lernmaterial wider.
3.4.2.2 Lernen in konnektionistischen Netzen
- Die Aktivierungsmuster in den Neuronenschichten repräs. nur die aktuell zu verarbeitende
Information. Das Gelernte steckt in den Verbindungsstärken (Gewichte), die bestimmen, wie die
Aktivierung von einer Schicht zur nächsten weitergeleitet wird. Lernen besteht in der Anpassung der
Gewichte. Man unterscheidet zwei Arten des Lernens:
- Lernen ohne Rückmeldung („unsupervised learning“): Beruht auf einfachem Mechanismus,
genannt Hebb´sches Lernen. Immer, wenn zwei Neuronen gleichzeitig aktiv sind, wird das
Verbindungsgewicht zwischen ihnen um einen kleinen Betrag erhöht. Nur eines der Neuronen aktiv,
anderes inaktiv: Gewicht um kleinen Betrag verringert. Beide Neuronen inaktiv: nichts passiert.
→ assoziatives Lernen. Vorgang im Gehirn: „long-term potentiation“ (LTP, Durchlässigkeit von
Synapsen für neuronale Signale modifiziert)
→ Aktivierungsmuster können gelernt werden: Input aktiviert Teilmenge von Neuronen → alle
Verbindungen zwischen diesen Neuronen verstärkt, die zu Inaktiven hingegen geschwächt → Wenn
später derselbe Input noch einmal, aber unvollständig gezeigt wird (z.B. verwaschenes Foto, Wort
bei dem ein Buchstabe fehlt): entsprechendes Aktivierungsmuster entsteht zunächst unvollständig
→ aktivierte Neuronen aktivieren nun mittels der gelernten Verbindungsgewichte die fehlenden
Neuronen → Muster wird vervollständigt
- Lernen mit Rückmeldung („error-driven-learning“): vollzieht sich in zwei Phasen
- Erste Phase: Netz bekommt Input, generiert Output auf Grundlage der vorhandenen Gewichte
- Zweite Phase: Netz erhält den gewünschten Output (die „richtige“ Antwort) als Rückmeldung. An
jedem Neuron der Output-Schicht wird die Differenz zwischen selbst generiertem und
gewünschtem Output (Differenz zwischen Aktivierung in Phase 1 und Phase 2) berechnet
→ Differenz ist ein Fehlersignal. Dieses wird von jedem Empfängerneuron (beginnend mit OutputSchicht) an seine Sendeneuronen zurückgemeldet. Die Fehlerrückmeldung („back propagation“)
geschieht über alle Schichten bis zur Inputschicht.
→ Verbindungsstärken werden in Abhängigkeit von Fehlersignalen angepasst:
Lautet Signal „zu klein“ → Gewicht erhöht; Lautet Signal „zu groß“ → Gewicht verringert
Verwendung der beiden Lernmechanismen bei typischen Gedächtnisaufgaben:
- Erinnerungen an Ereignisse aufgrund Hebb´schen Lernens sind Rekonstruktionen von früheren
Aktivierungsmustern anhand unvollständiger Inputs (→ inhaltsadressierbares Gedächtnis):
Bei Wiedergabe mit Hinweisen („cued recall“) wird ein Wort der Lernliste als Hinweis gegeben,
das Netzwerk muss aufgrund der Assoziationen zwischen den Wörtern der Liste die übrigen Wörter
rekonstruieren. Bei freier Widergabe besteht Input nur aus Kontextmerkmalen (z.B. Repräsentation
der Listennummer). Beim Wiedererkennen wird ein komplettes Wort präsentiert, Netz kann mit
diesem Input die fehlende Kontextrepräsentation rekonstruieren und so entscheiden, ob Wort
tatsächlich in der zuletzt gelesenen (anstelle einer früheren) Liste enthalten war.
- Fehlerbasiertes Lernen eignet sich besonders zum Erlernen von Paarassoziationen (z.B.
Vokabellernen) und zum Erwerb von prozeduralem Wissen
3.4.2.3 Generalisierung und Konzeptbildung
- Verteilte Repräsentationen sind nicht nur effizient, sondern auch für Erwerb von Wissen
unverzichtbar: Sie haben zur Folge, dass ähnliche Inputs sich erheblich überlappen. Zu ihrer
Repräs. werden zu gutem Teil dieselben Neuronen verwendet, zudem werden beim Lernen solcher
Inputs weitgehend dieselben Gewichte modifiziert → In Netzwerk Gelerntes kann automatisch auf
ähnliche Inputs generalisiert werden. Ein neuer, einem alten Input i1 ähnlicher Input i2 kann in ein
ähnliches Outputmuster übergeführt werden.
Außerdem führt die Verarbeitung von i2 wieder zur Modifikation an den Gewichten, die auch an
Verarbeitung von i1 beteiligt waren. Wo i2 i1 ähnlich ist: Modifikationen in selbe Richtung. Wo i2
von i1 abweicht: Modifikation in andere Richtung
→ Lerneffekte kumulieren über mehrere Erfahrungen ähnlicher Inputs. Effekte übereinstimmender
Merkmale addieren sich auf, werden robust in Verbindungsstärken repräsentiert. Individuell
verschiedene Merkmale werden in der Summe der Lernerfahrungen herausgemittelt.
→ Netzwerk entwickelt von selbst eine generalisierte Repräsentation, die nicht mehr das Ereignis
ix, sondern das Konzept I repräsentiert. So kann in einem Netzwerk mit verteilter Repräsentation
eine Menge ähnlicher episodischer Erinnerungen allmählich in ein Stück semantisches
Gedächtnis übergehen. Dabei geht allerdings Erinnerung an die einzelnen Episoden verloren, das
neue Lernen modifiziert das alte.
→ Dieser Effekt ist für das menschliche Gedächtnis nicht ungewöhnlich, er ist in neuronalen
Netzwerken jedoch stärker als beim Menschen: Katastrophale Interferenz
Dilemma zwischen Lernen einzelner Episoden mit all ihren Details einerseits und Generalisierung
und Erwerb abstrakter Konzepte andererseits. Beides scheint in begrenztem Maß dennoch möglich,
wobei der Hippocampus wohl eine wichtige Rolle spielt. Erinnerungen an einzelne Episoden wären mit
lokalen Repräsent. viel besser zu realisieren, das Gehirn kann aber nicht für jedes Ereignis ein neues
Neuron zur Verfügung stellen. Vermutlich bedient sich unser Gehirn einer Arbeitsteilung zwischen
Hippocampus und Kortex. Der Kortex repräsentiert Ereignisse durch hochgradig überlappende
verteilte Repräsentationen. Im Hippocampus werden dieselben Ereignisse dagegen viel stärker
(wenngleich nicht vollständig) separiert, seine Repräsent. überlappen einander viel weniger. Das wird
erreicht durch sparsame verteilte Repräsentationen. Dazu wird für die Repräsent. eines Inputs in
jeder Schicht des Netzwerkes nur ein kleiner Teil der Neuronen aktiviert.
3.5 Episodisches Gedächtnis: Erinnerung an Erlebnisse
- Darunter versteht man die Erinnerung an erlebte Ereignisse, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an
einem bestimmten Ort stattgefunden haben. Abgrenzung: Semantisches Gedächtnis = Wissen über
die Welt unabhängig vom eigenen Erleben.
- Tulving, 1972: Episodisches Gedächtnis zeichnet sich durch seine spezielle Beziehung zur
erinnernden Person aus: „autonoetisches Bewusstsein“. Die Erinnerung an selbst Erlebtes ist
demnach immer verbunden mit dem Bewusstsein, selbst das Subjekt des Erlebens gewesen zu
sein und aufgrund dieses Erlebens nun eine Erinnerung zu haben. Das autonoetische Bewusstsein
gibt Erinnerungen ein Gefühl der Authentizität und Gewissheit, die mit semantischem Wissen in der
Regel nicht verbunden ist (was aber täuschen kann).
- Scheinbar Verbindung zwischen autonoet. Bewusstsein und Aktivität des frontalen Kortex:
- Linksseitiges Frontalhirn bei Erwerb episodischer Erinnerungen (dem Enkodieren) besonders aktiv
- Rechte Seite des Frontallappens stärker aktiviert beim Versuch, episodische Erinnerungen
abzurufen, unabhängig davon, ob Erinnerungsversuch erfolgreich ist.
→ Aktivierung spiegelt nicht Vorgang des Erinnerns, sonder Bemühen um Erinnerung wieder:
Person begibt sich in „retrieval mode“
- Traditionelle Gedächtnispsychologie versteht unter episodischem Gedächtnis die Erinnerung daran,
dass VPN ein bestimmtes Element (z.B. das Wort „Hund“) in einer best. Liste zu einer best. Zeit an
einem best. Ort (z.B. Labor) gehört oder gelesen hat (Semant. Gedächtnis: VPN kennt Bedeutung
des Wortes „Hund“, verbindet damit Assoziationen)
→ Ein Großteil der Forschung mit den klassischen Paradigmen ist daher dem episodischen
Gedächtnis zuzurechnen. Diese Form von Erinnerung ist aber nicht typisch für unsere
Erinnerungen an Ereignisse aus dem täglichen Leben
→ autobiographisches Gedächtnis (ein Beispiel für episodisches Gedächtnis)
3.5.1 Autobiographisches Gedächtnis
- Über die Definition dieses Begriffs besteht keine Einigkeit. Das „Selbst“ kann im autobiographischen
Gedächtnis sowohl als Subjekt, als auch Gegenstand der Erinnerung vorkommen. Es kann daher
definiert werden als Erinnerung an Ereignisse, die eine Person erlebt hat – dann wäre der Begriff
gleich mit dem des episodischen Gedächtnisses – oder als Erinnerung an Ereignisse, die die
Person betreffen – wozu auch Inhalte des semantischen Gedächtnisses zählen, etwa Wissen, an
welchem Tag man Geburtstag hat
→ Begriff in umfassendem Sinn verwendet (Tab. 3.1): kann sich auf spezifische Episoden beziehen
oder auf generelle Klassen von Ereignissen im eigenen Leben, und kann als lebhafte Erinnerung
oder als abstraktes Wissen vorliegen
→ Autobiographisches Gedächtnis setzt sich sowohl aus episodischen Erinnerungen (mit autonoet.
Bewusstsein) und Wissen im semantischen Gedächtnis zusammen
3.5.1.1 Der Zahn der Zeit – Vergessenskurven für das autobiographische Gedächtnis
- Vergessenskurven über die Zeit: Genauigkeit der Erinnerung fällt erst steil, dann immer flacher ab
- Zur Untersuchung des langfristigen Vergessens greifen Forscher auf zwei Methoden zurück:
Retrospektive Befragungen und Tagebuchstudien
- Bei der retrospektiven Methode bekommen VPN Wörter als Hinweisreize vorgelegt, die geeignet
sind, viele Assoziationen auszulösen („Was fällt Ihnen zu Kuchen ein?“)
→ Bei dieser Methode: Vergessenskurve hat
ungewöhnliche Form (Abb. 3.18). Häufigkeit von
Erinnerungen nimmt zwar mit Distanz zur Gegenwart
ab, weist aber für die Zeit, in der die VPN 20
bis 30 Jahre alt waren, eine auffällige Häufung auf.
Zudem wurden Erinnerungen aus den ersten
drei Jahren nach Geburt sehr selten und aus den
ersten zwei Jahre fast nie genannt.
- Erklärungsmodell: 1) Normaler Verlauf des Vergessens
(wie in Laborstudien), 2) häufige Reminiszenzen an
die „besten Jahre“, durch die Erinnerungen aus dem
jungen Erwachsenenalter oft wiederholt und dadurch
gestärkt werden, und 3) infantile Amnesie
(Phänomen, dass Erwachsene praktisch keine
Erinnerungen aus den ersten Lebensjahren haben)
- Nachteil retrospektive Methode: nicht überprüfbar → bei Tagebuchstudien möglich
Bsp. Wagenaar (1986): Schrieb über 6 Jahre täglich das bemerkenswerteste Ereignis nach festem
Schema auf. Notierte für jedes Ereignis 5 Informationen: Was passiert, wo, welcher Tag, mit wem,
sowie ein „kritisches Detail“, von dem er glaubte, dass er sich daran erinnern müsse, wenn er die
Episode als ganzes erinnern können würde. Zudem: Intensität der mit Ereignis verbunden
Emotionen, wie unangenehm, wie äußergewöhnlich. Anschließend fragte er sich selbst ab, indem
er sich zu jedem Ereignis die ersten vier Informationseinheiten Stück für Stück als Hinweis vorlegte
→ Ergebnisse zeigten wieder die charakteristische allmählich abflachende Vergessenskurve über die
Jahre. Die einzelnen Hinweisreize waren unterschiedlich effizient: Am besten half die Information,
was passierte, um die übrigen Informationen zu einer Episode ins Gedächtnis zu rufen. Das Datum
war als „cue“ praktisch nutzlos. Außergewöhnliche Ereignisse wurden besser erinnert als sich oft
wiederholende. Stärkere emotionale Beteiligung führte zu etwas besserer Erinnerung, Angenehmes
wurde besser erinnert als Neutrales, Unangenehmes hingegen schlechter, wenn es ein oder zwei
Jahre zurücklag (→ Verdrängung?). Unangenehme Erlebnisse, die länger als zwei Jahre
zurücklagen, konnten hingegen wieder besser als Neutrales erinnert werden.
3.5.1.2 Die Struktur des autobiographischen Gedächtnisses
- Autobiographische Erinnerungen haben oft eine komplexe Struktur, die der von Geschichten ähnelt –
in der Tat äußert sich autobiog. Gedächt. häufig als erzählte Lebensgeschichte.
→ Einige Autoren vertreten Ansicht, dass a.G. grundsätzlich narrativ (als Geschichte) organisiert ist.
Unsere Lebenserinnerungen erlauben oft, anders als herkömmliche Texte, zwischen allgemeinen,
zusammenfassenden und sehr spezifischen, detaillierten „Beschreibungen“ zu wechseln. Das a.G.
ähnelt eher einem Hypertext als einer klassischen linearen Erzählung
- Autobiog. Erinnerungen sind in Wissensstrukturen eingebettet, die wahlweise Schemata, Skripts,
Themen, Pläne oder MOPs („memory organization packages“) genannt werden. Sie enthalten
allgemeines Wissen über Kategorien von Handlungen und Ergebnisse ebenso wie Information über
spezifische Fälle.
Bsp.: Restaurantskript: Besteht aus typischer Abfolge von Handlungen beim Restaurantbesuch:
Hinfahren, Tisch aussuchen, etc. Jede dieser Handlungen lässt sich in Teilhandlungen aufgliedern
(das Kapitel „Essen“ etwa in Vorspeise, Hauptgang, Nachtisch). Das Skript enthält Variations-
möglichkeiten (etwa vor Essen zahlen). Es enthält außerdem zahlreiche Variablen, die in jedem
Fall anders belegt werden können (etwa „Nationalität“: italienisch, griechisch,…), zudem Zeit und
Ort des Geschehens.
- Ein bestimmter Restaurantbesuch wird als Instantiierung des allgemeinen Skripts oder Schemas im
Gedächtnis abgelegt → Variablen werden mit bestimmten Werten belegt, die dieses Ereignis von
anderen Restaurantbesuchen unterscheiden
→ Die Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis besteht aus einer allgemeinen Struktur, die die
Kategorie des Ereignisses repräsentiert, sowie spezifischen Details, die das Einzigartige der
Episode definieren. Nach dieser Vorstellung sind in autobiographischen Erinnerungen
episodisches und semantisches Gedächtnis eng verknüpft.
- Zwei Arten von Beziehungen bei Schemata: Partonomisch: Einzelne Komponenten eines
Ereignisses werden durch zeitliche, kausale, und funktionale (Mittel-Zweck-) Beziehungen
miteinander verbunden. Dadurch ergibt sich zugleich eine Hierarchie der Einbettung von Teilen in
übergreifende Ganze.
- Daneben gibt es taxonomische Beziehungen zwischen spezifischen und allgemeinen
Schemata, durch die eine Hierarchie zunehmend abstrakter Repräsentationen aufgebaut wird
(Schema „Zahnarztbesuch“ kann man dem allgemeineren Schema „Arztbesuch“ unterordnen und
dieses wiederum dem noch abstrakteren Schema „Dienstleistungen“, zu dem auch Besuche beim
Anwalt oder Friseur gehören).
3.5.2 Die Zuverlässigkeit episodischer Erinnerungen
- Gedächtnis: Rekonstruktion, beeinflusst von Faktoren, die uns unbewusst und unkontrollierbar sind
3.5.2.1 Erinnerung als Rekonstruktion
- Schemata dienen nicht dazu, Erinnerungen zu strukturieren und einander zuzuordnen, sie gestalten
die Erinnerungen auch. Sie helfen uns, Erinnerungen zu rekonstruieren, weil mit ihnen
Gedächtnislücken (oft unbewusst) überbrückt werden können. Es ist oft nicht möglich zu entscheiden,
ob eine Erinnerung auf eine Gedächtnisspur oder eine automatische Ergänzung zurückgeht.
→ Schemata können Erinnerungen systematisch verzerren
- Bower, Black und Turner (1979): Vpn sollten Geschichten lesen, die Routineereignisse schilderten
(z.B. Zahnarztbesuch). Dann sollten VPN Sätze, die einzelne Tätigkeiten beschrieben, darauf
beurteilen, ob sie in den Geschichten vorkamen. Skript-konforme Handlungen wurden großteils als
„gelesen“ wiedererkannt, auch wenn gar nicht in den Geschichten standen. Neue Sätze, die keine
Skript-konformen Handlungen beschrieben, wurden recht zuverlässig als „neu“ erkannt.
- Bei freier Wiedergabe skript-konformer Handlungen neigen Personen dazu, diese in der typischen
Reihenfolge aufzuzählen, auch wenn sie in anderer Reihenfolge dargeboten wurden. Analoge
Effekte genereller Erinnerungen auf die Rekonstruktion episodischer Erinnerungen gibt es auch für
Beschreibungen räumlicher Anordnungen (z.B. Teller, Messer, Gabel)
→ Dilemma zwischen generellem Wissen und Erinnerung an spezifische Episoden. In dem Maß, in
dem einzelne Erfahrungen zusammengefasst werden, besteht die Gefahr, dass einzelne
Erinnerungen mit dem Schema verschmelzen oder daran angepasst werden.
3.5.2.2 Manipulation der Erinnerung: Die Beeinflussbarkeit von Augenzeugen
- Schon subtile Variationen in der Formulierung einer
Frage können die Aussagen von Augenzeugen
deutlich beeinflussen. Loftus und Palmer (1974):
- VPN sahen Film mit realistischem Ereignis (z.B.
Autounfall). Anschließend gefragt „Wie schnell
fuhr das Auto, als es [Verb]?“; dabei wurden für
verschiedene Gruppen verschiedene Verben
eingesetzt, die unterschiedliche Intensitäten des
Zusammenstoßes nahelegten (Abb. 3.19). Die
geschätzte Geschwindigkeit stieg mit zunehmend
heftigeren Verben stetig an.
- Andere Untersuchungen führten vor Befragung direkt
falsche Informationen ein: Nachdem VPN gesehen
hatten, dass ein roter Datsun vor Stoppschild hielt
gefragt: „Fuhr ein anderes Auto vorbei, als der rote
Datsun am Vorfahrtsschild hielt?“. Später sollten VPN angeben, ob Datsun vor Stopp- oder
Vorfahrtschild gehalten hatte. Mehr als die Hälfte wählte das Vorfahrtsschild. Die irreführende
Information beeinflusste die Angaben also stärker als die zuvor gesehene Szene.
→ Verzerrende Wirkung der nach dem Ereignis gegebenen Information ist ein Fall von retroaktiver
Interferenz, kann durch mehrere Mechanismen erklärt werden: Fehlinformation kann Erinnerung an
Ereignis überschreiben. Alternativ (Exemplartheorie): Im Gedächtnis bleiben sowohl die
Originalfassung als auch die untergeschobene falsche Version unabhängig voneinander erhalten
und werden bei der abschließenden Frage verwechselt
- Zum theoretischen Verständnis des Einflusses von Fehlinformation auf episodisches Gedächtnis:
Konzept des Quellengedächtnisses („source memory“): Darunter versteht man die Erinnerung
daran, woher eine Repräsentation stammt (Ereignis selbst erlebt / in Zeitung gelesen / vorgestellt).
Erinnerungen an tatsächlich erlebte Episoden unterscheiden sich tendenziell von erzählten oder
vorgestellten Episoden durch einige Kriterien, anhand derer wir entscheiden, ob eine Repräs. eine
echte Erinnerung ist. Diese enthalten relativ viele sensorische Details (Farben, Gerüche,
Klänge,…), sind in einen räumlichen und zeitlichen Kontext eingeordnet und sind kohärent und mit
dem übrigen Wissen Kompatibel (≠ Träume). Fehlinformation kann in dem Maß teil echter
Erinnerungen werden oder ganz an deren stelle treten, in dem die Repräs. der echten Erinnerung
diese Merkmale verliert und in dem die Repräsentation der falschen „Erinnerung“ diese Merkmale
gewinnt. Die sensorischen Details einer Erinnerung und ihr raumzeitlicher Kontext gehen leicht
verloren, wenn man viele ähnliche Ereignisse erlebt
→ Erinnerung wird schematisch. Schemata wiederum sind selbst Quellen von Information, die sich
in Erinnerung einschleichen können. Verzerrungen von Erinnerungen im Sinne eines Schemas
sind demnach auch ein Fall von Quellenverwechslung.
- Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit falscher Erinnerungen erhöhen:
- Fragen, die eine Antwort nahelegen: „Du hast doch gesehen, dass…, oder?“ (VS offene Fragen)
- Besonders bei Kindern führen Fragen, auf die man mit Ja / Nein antworten soll zu falschen
Antworten, weil für Kinder „Nein“ auch „Kann / will mich nicht erinnern“ bedeuten kann. Generell
ist die Suggestibilität jüngerer Kinder größer.
- Aufforderung, sich ein Ereignis, an das man sich nicht erinnern kann, vorzustellen (lebhafte
Vorstellung → Anreicherung der Repräsentation mit sensorischen Details). Ähnlicher Effekt bei
mehrmaligem Wiederholen derselben Fragen, wenn diese irreführende Information enthalten
- Vergleichsweise zuverlässige Gewinnung von Augenzeugenberichten: „kognitives Interview“:
Verzerrende Faktoren gering gehalten. Basiert auf Gedächtnisprinzipien → Wahrnehmungskontext
der Erinnerung wieder herstellen (→ Enkodierspezifität), Geschehen aus mehreren Perspektiven /
Reihenfolgen erzählen (→ viele verschiedene Zugriffssignale („cues“) generieren)
3.5.2.3 Erinnerungen an traumatische Erlebnisse: Verdrängt und Wiedergefunden?
- Anschuldigungen Erwachsener gegen ihre Eltern wegen sexuellen Missbrauchs in ihrer Kindheit. Die
Erinnerungen wurden oft im Zuge einer Psychotherapie zu Bewusstsein gebracht. Frage: Können
solche Erinnerungen über Jahre vollständig verdrängt und wieder aufgedeckt werden, und können
solche Erinnerungen, einschließlich lebhafter visueller Vorstellungen, durch Suggestion im Zuge
einer Therapie erzeugt werden? Loftus und Pickrell (1995):
- VPN wurden vier Ereignisse aus ihrer Kindheit genannt, über die man sich vorher bei Verwandten
erkundigt hatte. Es sollten so viele Details wie möglich zu Ereignissen aufgeschrieben werden.
Danach noch zwei mal mündlich befragt. Drei der Ereignisse hatten tatsächlich stattgefunden,
viertes war Erfindung (VPN seien im Kaufhaus verloren Gegangen, nach längerer Zeit von alter
Frau zurückgebracht worden).
→ Ein viertel der VPN „erinnerte“ zu erfundener Geschichte zusätzliche Details. Erinnerungen an
tatsächliche Ereignisse waren ausführlicher und „klarer“. Dennoch waren einige VPN so
überzeugt, dass sie nach Aufklärung über Suggestion nicht errieten, welches Ereignis fiktiv war.
→ Untersuchungen zeigen, dass zumindest bei manchen Menschen durch intensive Suggestion
Erinnerungen an Ereignisse erzeugt werden können, die niemals stattgefunden haben, auch wenn
sie eine hohe persönliche Bedeutung für die Betroffenen haben.
Andererseits gibt es auch Belege dafür, dass Menschen traumatische Ereignisse vorübergehend
vergessen können Williams (1994): 16 von 129 Frauen, die als Kinder wegen sexuellen
Missbrauchs in ein Krankenhaus eingeliefert wurden, berichteten als Erwachsene keine Erinnerung
an Missbrauch. Bleibt allerdings offen, ob die Ereignisse aktiv verdrängt oder wie harmlosere
Ereignisse vergessen wurden.
- Ist aktive Verdrängung von Gedächtnisinhalten überhaupt möglich? In letzter Zeit mehren sich
Hinweise auf Inhibition als ein grundlegender Prozess in der Dynamik von Erinnern und Vergessen.
- Anderson und Greene (2001): In erster Phase lernten VPN eine Reihe willkürlicher Wortpaare. In
zweiter Phase wurde Gedächtnis getestet, indem VPN die ersten Wörter eines Paares als „cue“
bekamen. Dafür wurden die Wortpaare in drei Gruppen unterteilt: Eine Gruppe wurde gar nicht
mehr abgefragt, eine wurde mehrmals abgefragt (möglichst schnell aussprechen). Für die dritte
Gruppe von „cues“ bekamen VPN hingegen die Anweisung, die damit assoziierten Wörter nicht
auszusprechen. Im Gegenteil sollten sie aktiv verhindern, dass diese Wörter aktiv in ihr
Bewusstsein treten. Am Ende sollten die VPN alle Wortpaare erinnern.
→ Wörter, die in der Testphase aktiv unterdrückt wurden, waren am Ende schlechter erinnerbar als
die Wörter, die in der Testphase gar keine Rolle spielten.
→ Aktive Verdrängung ist für im Labor erzeugte episodische Erinnerungen möglich. Offen, ob dieser
Mechanismus stark genug ist, persönlich bedeutsame, gar traumatische Episoden zu unterdrücken
3.6 Semantisches Gedächtnis – Wissen über die Welt
Das semantische Gedächtnis umfasst unser generelles Wissen, von persönlichen Erfahrungen
abstrahiert. Seine Inhalte gehen zwar zum Teil auf eigene Erlebnisse zurück, diese Herkunft ist ihnen
aber nicht mehr anzumerken. (Die meisten wissen, dass Elefant Rüssel hat, aber nicht mehr, woher
dieses Wissen stammt). Generelles Wissen besteht hauptsächlich aus Begriffen und den
Beziehungen zwischen ihnen.
3.6.1 Begriffe
Begriffe (oder Konzepte) können definiert werden als mentale Repräsentationen von Kategorien.
Kategorien sind Klassen von Gegenständen (Objekten, Ereignissen, Personen, etc), die in irgendeiner
Hinsicht gleich sind. Begriffe sind die Bausteine des Wissens. Sie bringen Ordnung in unsere Welt,
reduzieren die Vielfalt des Wahrgenommenen und ermöglichen uns, Gelerntes auf neue Erfahrungen
anzuwenden. Ein Objekt oder Ereignis unter einen Begriff zu fassen geht mit einer Reihe
automatischer Schlüsse über das Objekt oder Ereignis einher, z.B. Objekt als Kuh erkannt: man
weiß, dass es lebendig ist, Hufe hat, Gras frisst,…
- Wissenschaftliches Ideal: ordentlich definierter Begriff: gekennzeichnet durch eine begrenzte Menge
definierender Eigenschaften, die zugleich eine Regel für die Zugehörigkeit eines Gegenstands zu
dem Begriff bilden. Hat ein Gegenstand alle definierenden Eigenschaften, fällt er darunter, fehlt ihm
eine, so fällt er nicht darunter. Einige Begriffe in semant. Gedächtnis sind so (z.B. Definition von
„Dreieck“). Viele psychologische Experimente arbeiten mit künstlichen Begriffen, die durch ein oder
wenige Merkmale definiert sind.
- Die meisten Begriffe (einschließlich wissenschaftlicher) haben jedoch unscharfe Ränder und lassen
sich nicht in wenigen Sätzen definieren (z.B. Definition „Begriff“). Auch gar nicht klar, wo die
Definition aufhört und die Theorie anfängt. Alles, was über einen Begriff ausgesagt werden kann,
trägt auch zur Bedeutung des Begriffs, also zu seiner Eingrenzung („Definition“) bei. Begriffe sind
also nicht nur Bausteine des Wissens, sie werden selbst durch das Wissen, in das sie eingehen,
geformt. Man weiß also mit jedem Satz besser, was in Psychologie mit „Begriff“ gemeint ist.
3.6.1.1 Prototypen
- Die unscharfen Grenzen von Begriffen sind Ausdruck der abgestuften Typikalität von Gegenständen
für auf sie angewandte Begriffe (Amsel = typischer Vogel, Strauß = untypischer Vogel).
- Unterschiede in der Typikalität äußern sich in den Urteilen von Personen oder Reaktionszeiten
(Akzeptanz bestimmter Sätze). Abgestufte Typikalität gibt es auch für klar definierte Begriffe: Eine
2 ist eine typischere gerade Zahl als 324.
- Die Typikalität eines Gegenstands für einen Begriff hängt ab von der Nähe des Gegenstands zum
Mittelwert aller Merkmale über alle Gegenstände, die unter diesen Begriff fallen (z.B. mittlere
Größe eines Vogels). Bei manchen Begriffen hat auch die Nähe zu einem Ideal Einfluss auf das
Typikalitätsurteil: Das typische Diätnahrungsmittel ist eher eines, das 0 Kalorien enthält, als eines,
dessen Kaloriengehalt dem Mittelwert der Diätnahrung entspricht.
- Posner und Keele (1968) ließen VPN Punktmuster in zwei Klassen sortieren und gaben nach jedem
Exemplar Rückmeldung, ob richtig zugeordnet wurde. Alle Punktmuster einer Klasse waren durch
kleinere oder größere Verschiebungen der Punkte aus einem von zwei zufällig erzeugten
Urmustern abgeleitet, den Prototypen der Klassen. In Lernphase wurde Urmuster selber nicht
gezeigt. In Testphase sollten VPN neue Muster, die von gleichen Prototypen abgeleitet wurden,
klassifizieren. Der Transfer auf neue Muster war umso besser, je weniger diese vom Prototypen
abwichen, am besten für Prototyp selbst. In späteren Experimenten blieb Klassifikationsleistung für
Prototyp über längere Zeit hinweg stabiler, als für die Muster, die in Lernphase dargeboten wurden.
- Mögliche Interpretation: Beim Lernen eines Begriffs aus einer Menge von Exemplaren wird
allmählich eine Repräsentation des Prototyps herausdestilliert. Begriff wird dann als Prototyp
repräs. Die Zuordnung eines neuen Gegenstands zu einem Begriff geschieht dann dadurch, dass
die Ähnlichkeit des Gegenstands zu verschiedenen repräs. Prototypen eingeschätzt wird
(Zuordnung zu Ähnlichstem).
- Annahme feststehender Prototypen gerät durch erstaunliche Flexibilität und Kontextabhängigkeit von
Typikalitätsurteilen in Schwierigkeiten: Wenn VPN „typisches Tier“ nennen sollen: Nach gelesener
Bauernhofgeschichte andere Nennungen als nach Safarigeschichte.
3.6.1.2 Begriffe als Mengen von Exemplaren
- Barsalou (1987): Begriffe haben gar keine feste Repräsentation im Gedächtnis, sie werden je nach
Kontext und Fragestellung ad hoc konstruiert.
→ Exemplartheorien: Im Gedächtnis sind nur Erinnerungsspuren einzelner wahrgenommener
Exemplare abgelegt → gibt keine Eigenständige Repräsentation von Begriffen, daher auch kein
eigenständiges semantisches Gedächtnis (Erinnerungen an wahrgenommene Exemplare:
episodisches Gedächtnis)
→ Begriff ist beobachtbare Fähigkeit von Menschen, gleichartige Gegenstände gleich zu behandeln.
Was dabei als gleichartig betrachtet wird, kann vom jeweiligen Kontext abhängen → Begriffe
können je nach Kontext unterschiedlich ausfallen
- Erklärung der Fähigkeit zur Kategorisierung: Wahrgenommener Gegenstand (z.B. Punktmuster) wird
mit allen Repräs. ähnlicher Exemplare im Gedächtnis verglichen. Die Repräs. eines Exemplars
wird in dem Maß aktiviert, in dem es dem Gegenstand ähnlich ist (Zahl übereinstimmender
Merkmale gemessen). Aktivierte Repräs. ergeben zusammen ein „Echo“ (gewichtetes Mittel der
aktivierten Repräs., wobei stärker aktivierte Exemplare mit höherem Gewicht eingehen). Echo ist ad
hoc konstruierter Prototyp. Eines der Merkmale in jeder Repräs. ist die Begriffsbezeichnung des
Exemplars. Die „mittlere“ Bezeichnung im Echo wird für die Kategorisierung des neuen Exemplars
verwendet.
→ Selbe Logik wie konnektionistische Modelle (diese mitteln allerdings nicht erst beim Abruf).
Exemplarmodelle haben aber das Problem der katastrophalen Interferenz nicht: Erinnerung an
einzelne Episoden ist ihre Grundlage, die nicht verloren gehen kann. Allerdings unklar, wie die
unerschöpfliche Fülle von Erinnerungsspuren ohne Interferenz realisiert werden kann.
3.6.1.3 Begriffe und Theorien – das Problem mit der Ähnlichkeit
- Begriffe sollen Ähnliches zusammenfassen. Unter welchen Umständen werden Gegenstände als
ähnlich aufgefasst? → Kognitionspsychologie: „Gegenstände mit großem Anteil gemeinsamer
Merkmale.“ Aber: Auch Pflaume und Rasenmäher haben gemeinsame Merkmale (hören nicht gut,
passen in Garage,…) → nicht alle Merkmale relevant. Welche wählt das kognitive System zur
Bestimmung der Ähnlichkeit zweier Dinge aus?
- Beschränkung auf perzeptuelle Merkmale? Delphin sieht Fischen aber ähnlicher als Säugetieren
→ Relevante Merkmale hängen von theoretischem Wissen über die Gegenstände ab. Kausale
Zusammenhänge, in denen ein Gegenstand steht, bestimmen wesentlich mit, was wir als ähnlich
Ansehen. Bsp: Bei von Menschen hergestellten Dingen: funktionale Merkmale (Lampe ist
Gegenstand zum Lichtmachen, auch wenn sie kaputt ist), Biologie: Wissen über Ernährung,
Fortpflanzung,…
- Murphy und Medin (1985): Begriffe werden grundsätzlich durch die Wissensstrukturen, deren
Bausteine sie sind, geformt und bestimmt. Bildung und Verwendung von Begriffen geschieht analog
zur wissenschaftlichen Theoriebildung: Menschen haben subjektive Theorien über die Welt. Ihr
Wissen bildet ein Netzwerk von weitgehend kohärenten (zusammenhängenden) und konsistenten
(widerspruchsfreien) Annahmen über die Welt. Von diesen Annahmen hängt ab, welche Merkmale
der Gegenstände wichtig sind (die eine wichtige kausale Rolle spielen). z.B. bei Tieren laut
Evolutionstheorie die Herkunft → wichtig für Menschen, die diese Theorie teilen.
- Begriffe werden anhand theoretisch relevanter Merkmale der Gegenstände gebildet, weil sie dann
am besten ihre Funktion erfüllen können: Ermöglichen uns, Wissen auf neue Gegenstände zu
verallgemeinern. Ein Begriff ist umso nützlicher, je mehr Annahmen über Gegenstände, die unter
ihn fallen, gültig sind → Die Annahmen können zuverlässig auf neue Gegenstände angewendet
werden, die unter den Begriff fallen (Käse hält sich länger in Kühlschrank, auch unbekannter).
-„Theory view“: Wissen wird nicht „bottom up“, ausgehend von den wahrnehmbaren Eigenschaften
der Dinge und Ereignisse aufgebaut, sondern „top down“, ausgehend von theoretischen
Annahmen über die Welt. Begriffe sind die Bausteine unseres Wissens, aber wir konstruieren nicht
erst die Bausteine und dann das Gebäude, sondern beide entwickeln sich Hand in Hand.
3.6.2 Semantische Netzwerke
- Wie sehen die Wissensstrukturen aus, durch die Begriffe miteinander verknüpft werden?
Alte Idee: semantisches Netzwerk (Abb. 3.21), in dem die Begriffe Knoten bilden, die durch Kanten
miteinander verbunden werden. Wichtig für Struktur: Beziehungen zwischen Ober- und
Unterbegriffen. Der Knoten für den Begriff „Hai“ wird mit dem seines Oberbegriffs „Fisch“ verknüpft,
der wiederum mit seinem Oberbegriff „Tier“.
Merkmale werden auf der jeweils höchstmöglichen Ebene an die Begriffe angehängt (alle Tiere
atmen). Die Unterbegriffe erben die Merkmale der Oberbegriffe → Wissen ökonomisch
repräsentiert. Das kognitive System kann aus dem Netzwerk ablesen, dass z.B. ein Kanarienvogel
atmet, indem es den Kanten vom Kanarienvogel bis zu seinen Oberbegriffen folgt und die damit
assoziierten Merkmale auf den Begriff „Kanarienvogel“ anwendet.
- Experimentelle Prüfung: VPN sollen Aussagen wie „ein Kanarienvogel atmet“ als wahr / falsch
klassifizieren. → Dauert um so länger, je mehr Kanten zwischen den beiden Knoten, die in dem
Satz verbunden werden, stehen. Problem: Falsche Sätze werden schneller zurückgewiesen, wenn
die darin verbundenen Konzepte im semant. Netzwerk denkbar weit auseinander liegen (z.B. „Auto
ist ein Vogel“). Das hierarchische Modell kann auch Effekte der Typikalität nicht erklären.
Beispielsweise wird „Eine Amsel ist ein Vogel“ schneller akzeptiert als „Ein Emu ist ein Vogel“,
obwohl für beide Antworten nur eine Kante zu überwinden ist.
- Collins & Loftus lockerten die strengen Annahmen des Modells: Mit Oberbegriffen verknüpften
Merkmale können auch mit einigen Unterbegriffen verbunden werden, Kanten können
unterschiedlich stark sein (so z.B. Amsel-Knoten stärker mit „Vogel“ verknüpft als Strauß-Knoten).
Letztlich ist nach diesem Modell fast alles möglich, mit allem vereinbar → nicht mehr empirisch
prüfbar
- Heute: meisten Theorien machen keine Annahmen mehr über Struktur semantischer Netzwerke.
Was blieb ist vor allem die Annahme der Aktivierungsausbreitung: Jeder Knoten hat zu jedem
Zeitpunkt einen bestimmten Grad an Aktivierung. Je größer die Aktivierung, desto eher kann der
Knoten aus dem LZ-Gedächtnis abgerufen werden. Aktivierung wird entlang er Kanten von Knoten
zu Knoten weitergeleitet. Je stärker eine Kante, desto mehr Aktivierung wird zum assoziierten
Knoten geleitet. → Diese Annahmen sind Grundlage vieler Gedächtnistheorien (z.B. ACT-R)
- Unterstützung erhält die Idee der Aktivierungsausbreitung durch das Phänomen des semantischen
Primings (Neely, 1991): VPN lesen Wörter, treffen schnell einfache Entscheidungen (z.B. ob es
sich überhaupt um ein Wort handelt). Beurteilt VPN „Butter“, nachdem sie zunächst „Brot“ gelesen
hat, ist die Reaktion schneller, als wenn sie zuerst „Pfarrer“ gelesen hat → Aktivierung des Knotens
„Brot“ breitet sich auf alle Knoten aus, die mit dem Brot-Knoten direkt verbunden sind
→ Knoten für Butter schon voraktiviert → kürzere Reaktionszeit, da Butter-Knoten die nötige
Aktivierung schneller erreicht.
- Idee der Aktivierungsausbreitung ist dem Konzept eines konnektionistischen Netzwerkes ähnlich.
Unterschied: In semantischen Netzwerken ist die Aktivierungsausbreitung nur ein Teil der
Informationsverarbeitung beim Gedächtnisabruf. Zusätzlich wird ein Prozessor angenommen, der
die Information im Netzwerk „liest“. Dieser Prozessor beurteilt z.B. anhand der Aktivierung, die sich
von den Knoten „Kanarienvogel“ und „Tier“ ausbreitet, ob die Aktivierungsquellen sich treffen,
verfolgt dann die entsprechenden Kanten und ermittelt aus dem gefundenen Verbindungsweg, ob
der Satz „Ein Kanarievogel ist ein Tier“ wahr ist. Dabei müssen auch die unterschiedlichen Arten
der Kanten berücksichtigt werden (z.B. „ist“ vs. „hat“).
In einem konnektionistischen Netzwerk gibt es keine verschiedenen Arten von Verknüpfungen
zwischen den Neuronen, die von einem Prozessor unterschieden werden könnten. Es gibt keine
Prozessor, der Informationen aus dem Netzwerk liest – die Ausbreitung der Aktivierung durch das
Netz ist die Informationsverarbeitung.
3.6.3 Mentale Modelle und subjektive Theorien
- Falsches Wissen besteht typischerweise nicht aus hier und da auftretenden falschen Verknüpfungen
(„Katze hat Flügel“). Es ist vielmehr systematisch – es besteht aus einer Menge kohärenter, teils
sogar einander stützender Annahmen.
→ Wissen von Menschen ist ähnlich wie wissenschaftliche Theorien organisiert. Es besteht aus
Annahmen, die in einem Begründungszusammenhang stehen. Bsp. Biologisches Wissen über
Vögel besteht nicht in einer Menge unabhängiger Verknüpfungen („Vogel kann fliegen“; „Vogel hat
Federn“). Man hat vielmehr eine Theorie, die erklärt, dass Vögel fliegen können, weil sie Federn
haben, die durch ihre Form und Anordnung….
→ Menschliches Wissen kann als subjektive Theorie oder mentales Modell beschrieben werden
- Beispiel für die Analyse von mentalen Modellen: Kempton (1985): Subjektive Theorien über die
Funktionsweise von Thermostaten an Heizungen (Spada S. 187, wäre doof das abzutippen)
Beide Theorien sind Vereinfachungen, beide führen zu teils richtigen, teils zu falschen Annahmen
- Manche Menschen können einander widersprechende subjektive Theorien zum selben Gegenstand
haben. Lewandowsky und Kirsner (2000): Wissenspartionierung
Ausführliche Interviews und Tests mit australischen Feuerwehrleuten, die für die Bekämpfung von
Buschfeuern zuständig waren (langjährige Experten). Diese schätzten die Ausbreitungsrichtung
von Buschfeuern ganz unterschiedlich ein, je nachdem, ob ihnen das Feuer als natürlich
entstandener Brand oder als von Feuerwehrleuten absichtlich angezündetes Feuer zur
Bekämpfung eines anderen Brandes beschrieben wurde. Auch das Wissen von Experten ist also
nicht unbedingt wohl integriert und widerspruchsfrei.
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