Hessischer Rundfunk Hörfunk – Bildungsprogramm Redaktion: Dr. Regina Oehler WISSENSWERT Pflanzenporträt: Weihnachtssterne und ihre Verwandtschaft Von Diemut Klärner Sendung: 06.12.2007, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2-kultur WH: 04.12.2008, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2-kultur 07-121 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Wolfsmilchgewächse 1 Die Blumen im Garten sind verblüht, die bunten Blätter vom Wind verweht, da kommt ein Farbtupfer im Blumentopf gerade recht. Die Vorweihnachtszeit ist die Zeit des Weihnachtssterns, und das nicht bloß hierzulande. Auch in Mexiko, seiner angestammten Heimat, prunkt dieses Wolfsmilchgewächs nur im Winter mit leuchtendem Rot. Dr. Michael Schwerdtfeger vom Botanischen Garten der Universität Göttingen erzählt. O-Ton 01 Der Weihnachtsstern kommt aus Mittelamerika und ist eine Pflanze, die ganz typisch und ganz streng festgelegt darauf ist, dass sie nur blüht, wenn die Tage kurz und die Nächte lang sind. Das heißt, die Gärtnereien, die die Weihnachtssterne produzieren, die achten streng darauf, dass diese Pflanzen sozusagen schon nachmittags in die Nachtruhe geschickt werden. Die Gewächshäuser werden teilweise dann auch abgedunkelt. Und nur dann bilden sich nach vielen Wochen diese roten Hochblätter aus. Hochblätter sitzen hoch oben, dicht an den Blüten. Von den übrigen Blättern unterscheiden sie sich in Form oder Farbe. Oft signalisieren sie von weitem, wo es süßen Nektar gibt. Die prächtig roten Hochblätter des Weihnachtssterns locken in Mexiko hungrige Kolibris herbei. An den unscheinbaren Blüten inmitten der Hochblätter finden die Kolibris kleine Becher, aus denen sie Nektar trinken. Dabei bleibt an ihren Federn Blütenstaub hängen, den sie dann von einer Pflanze zur anderen tragen. Blumenläden und Supermärkte bieten allerdings nicht nur Weihnachtssterne mit roten Hochblättern an, O-Ton 02 sondern auch mit grünen, mit gelben oder dann auch mit hässlichen blauen Farben angesprüht und mit Flitter beklebt, ganz abscheulich. Über Geschmack lässt sich streiten. Doch gleich welche Farbe, schön dekorativ sind die Hochblätter erfreulich lange. Erst nach vielen Wochen beginnen sie zu welken. Wolfsmilchgewächse 2 Atmo Meisen Wenn es allmählich auf den Frühling zugeht, trägt der Weihnachtsstern auf der Fensterbank nur noch unspektakuläre grüne Blätter. O-Ton 03 Manche haben den Ehrgeiz, ihn dann weiter zu kultivieren und auch über den Sommer zu bringen, und warten dann im Herbst wieder auf die Blüten, aber das kann in bewohnten Zimmern nicht klappen, wo man dann abends das Kunstlicht anhat und den Fernseher anhat. Dann haben diese Pflanzen nie lange Nächte, und dann kommen sie auch meistens nicht wieder richtig zur Blüte. In den Gewächshäusern der Gärtnereien bleiben die Weihnachtssterne lange genug im Dunkeln, auf jeden Fall mehr als zwölf Stunden. O-Ton 04 Da wäre es also die größte Katastrophe, wenn da abends noch ein Mitarbeiter eben sagt, was ich am Tag nicht geschafft habe, das hole ich heute Abend nach, und macht dann schön frisch das Licht an. Dann ist der Blüherfolg dahin, und das geht dann richtig ins Geld. Wer seinen Weihnachtsstern auf der Fensterbank noch einmal zum Blühen bringen will, der muss es ebenso genau nehmen wie professionelle Gärtner. O-Ton 05 Es wird in alten Blumenbüchern empfohlen, man muss ihn über sechs Wochen konsequent jeden Abend in einen Schrank stellen, schon am Nachmittag. Den darf man dann aber wirklich auch nicht mehr aufmachen, dann wird das schon wieder gestört. Aber wer kann das schon leisten und vergisst es nie. Also da muss jeder abwägen, ob es diesen Aufwand wert ist. Gewöhnlich ist der Weihnachtsstern eine Wegwerfpflanze. Alle Jahre wieder kauft man sich einen neuen. Wolfsmilchgewächse 3 Ein naher Verwandter, der Christusdorn, blüht dagegen auch ohne Sonderbehandlung bereitwillig. Beim Christusdorn sind die leuchtend roten Hochblätter viel kleiner, aber auch viel zahlreicher. Wie Blutstropfen an einer Dornenkrone sitzen sie an den dornigen Zweigen. Als Zimmerpflanze ist der Christusdorn ein bisschen aus der Mode gekommen. Zu unrecht, meint Michael Schwerdtfeger. O-Ton 06 Der Christusdorn ist im Gegensatz zum Weihnachtsstern eine Pflanze, die man ganz wunderbar auf der Fensterbank halten kann. Sie blüht eigentlich das ganze Jahr über. Man muss sie vielleicht etwas vorsichtiger gießen als andere Pflanzen, also ein bisschen weniger, auch mal Luft an die Wurzeln kommen lassen, ein bisschen austrocknen lassen gelegentlich, und dann blüht der rund ums Jahr. Und wenn einem die Pflanze dann irgendwann zu hässlich und sparrig und hochbeinig geworden ist, kann man wunderbar Kopfstecklinge machen. Die lässt man ein bisschen antrocknen, steckt sie dann in geeignete Blumenerde, vielleicht mit ein bisschen Sand und Lehm vermischt, gießt sie zunächst vorsichtig, und dann bilden sich nach einigen Wochen wieder neue Wurzeln, und dann hat man die Pflanze wieder verjüngt. Also einfach den oberen Teil des alten Christusdorns abschneiden und aus diesen Stecklingen neue Pflanzen heranziehen. So werden alte Erbstücke wieder zu Schmuckstücken auf der Fensterbank. Ursprünglich ist der Christusdorn auf Madagaskar zu Hause, weit entfernt von Mexiko, der Heimat des Weihnachtssterns. Beide Pflanzen sind Wolfsmilch-Arten, zwei von insgesamt zweitausend. Auch hierzulande sind einige in der freien Natur anzutreffen, in Gärten und Feldern, Wiesen und Wäldern. Weitaus zahlreicher sind die Wolfsmilch-Arten allerdings südlich des Mittelmeers. Atmo Meereswellen Etliche wachsen dort zu stattlichen Sträuchern oder gar zu kleinen Bäumen heran. Andere gleichen auf den ersten Blick einem Kaktus, mit grünen säulenförmigen Sprossen und zentimeterlangen Dornen. Einige afrikanische Wolfsmilch-Arten sehen Wolfsmilchgewächse 4 verblüffend ähnlich aus wie die meterhohen Säulenkakteen in den Trockengebieten von Mexiko. Vergleichbare Lebensbedingungen haben vergleichbare Pflanzenformen entstehen lassen, mit Wasserspeichern für lange Dürrezeiten und spitzen Dornen zum Schutz dieser kostbaren Vorräte. Wenn die Pflanzen blühen, ist die Gattung Euphorbia – so der wissenschaftliche Name der Wolfsmilch – allerdings unverwechselbar. O-Ton 07 Da sind die Euphorbien völlig anders als die Kakteen. Vom Körper können sie sich sehr ähneln, aber spätestens wenn sie blühen, dann unterscheiden sich Euphorbien und Kakteen enorm. Die Kakteen, die haben ja diese oft sehr leuchtenden, großen bunten Blüten. Und die Wolfsmilchgewächse haben sehr kleine grünliche, gelbliche oder bräunliche Blüten, nur Millimeter groß. Und jetzt sagt jeder, aber der Weihnachtsstern hat doch 15 cm Durchmesser. Das, was uns da so schön leuchtend ins Auge fällt, das sind eben Hochblätter. Also die Blüten selber bei den Euphorbien sind grundsätzlich winzig klein und unscheinbar, aber bei manchen Arten werden sie mit diesen schönen Hochblättern dekoriert. Bei der Mehrzahl der Wolfsmilch-Arten sind die Hochblätter jedoch weniger dekorativ, nicht rot, sondern gelbgrün oder grünlich gelb. Eine Farbe, die viele Insekten anlockt. Atmo Fliegen Hauptsächlich sind es Fliegen, die Wolfsmilchblüten besuchen und den Blütenstaub von einer Pflanze zur nächsten tragen. O-Ton 08 Das kann man bei unseren heimischen Arten auch draußen im Garten beobachten, die Fliegen, Schwebfliegen manchmal auch Schmeißfliegen, die lecken den Nektar, der dort sich bildet – manchmal sieht man richtig schimmernde Tröpfchen – das sind also nur kleine unscheinbare Blütenbesucher. Wolfsmilchgewächse 5 Die hiesigen Wolfsmilch-Arten sind auch selber recht unscheinbar: Die Kleine Wolfsmilch, ein Wildkraut auf lehmigen Äckern, ist oft nur wenige Zentimeter groß. Und selbst die bis zu anderthalb Meter hohe Sumpf-Wolfsmilch ist leicht zu übersehen. Atmo Bach Meistens verbirgt sie sich zwischen anderen hochwüchsigen Pflanzen auf sumpfigen Wiesen oder direkt am Ufer. Doch wie ist die Familie der Wolfsmilchgewächse eigentlich zu ihrem Namen gekommen? Wolfsmilch, das klingt doch ein bisschen gefährlich. O-Ton 09 Ja, das soll es auch. Das Charakteristikum dieser ganzen riesengroßen Pflanzenfamilie oder eben auch der Gattung Wolfsmilch mit ihren 2000 Arten ist grundsätzlich der weiße Milchsaft. Bei der leichtesten Verletzung läuft ein weißer, blendend weißer Saft aus, und zwar so heftig, dass man denkt, die Pflanze steht unter Druck, so kommt der da rausgequollen. Und dieser weiße Saft enthält eine ganze Anzahl hochgiftiger Stoffe. In mehr oder minder hoher Konzentration. Deshalb sind alle Wolfsmilch-Arten mehr oder weniger giftig. Wer im Garten Unkraut rupft, kann trotzdem unbesorgt zupacken. Wenn der Milchsaft einer Wolfsmilch an den Fingern klebt, ist allerdings Vorsicht geboten. Wer sich dann die Augen reibt, riskiert unliebsame Entzündungen. Einen ganz speziellen Milchsaft liefert der Kautschukbaum, Hevea brasiliensis, ein Wolfsmilchgewächs aus den Regenwäldern der Amazonasregion. O-Ton 10 Da wird der Stamm angeritzt, auch dann läuft dieser weiße Milchsaft aus. Der wird aufgefangen und aus dem wird dann durch ein aufwendiges Verfahren Naturkautschuk hergestellt, Wolfsmilchgewächse 6 ein Rohstoff für so nützliche Dinge wie Fahrradreifen, Gummistiefel und Kondome. Michael Schwerdtfeger präsentiert noch ein besonders skurriles Exemplar der Gattung Euphorbia, das dem Tentakelkranz einer Seeanemone gleicht. O-Ton 11 Das ist eine Pflanze, die einen sehr dicken breiten Stamm hat, eigentlich wie ein kugeliger Kaktus. Und seitlich an diesem Stamm entstehen ganz viele, sehr regelmäßig angeordnete Seitenäste. Je älter sie werden, je länger werden sie. Die weiter unten sitzenden, die liegen schon halbmeterlang links und rechts geschlängelt auf dem Boden. Und die weiter oben sind noch viel jünger, die sind noch kürzer, aber das Ganze bildet einen sehr schönen, wunderschön regelmäßig aufgebauten Pflanzenkörper. Das ist eine Medusenhaupt-Euphorbie, da gibt es also einige Arten in Südafrika, die diesen charakteristischen Wuchs haben, mit Zweigen wie lange, grüne Schlangen. Daneben steht auf einem kleinen Plastikschild der wissenschaftliche Name "Euphorbia esculenta". "Esculenta" heißt "essbar" – also doch eine bekömmliche Wolfsmilch? O-Ton 12 Esculenta, genau, es gibt einige wenige Euphorbien, die in Südafrika sehr geschätzt sind bei den Farmern, weil die kurioserweise relativ ungiftig sind. Also in sehr schlimmen Trockenzeiten – in Südafrika kann die Regenzeit, die sowieso nicht ergiebig ist, durchaus mal ein Jahr ausfallen – und dann haben die Farmer mit ihren Schafen natürlich große Probleme. Und dann ist man froh über Arten wie Euphorbia hamata oder Euphorbia esculenta, die relativ wenig giftig sind, und wo die Schafe dann in den schlimmsten Zeiten eben auch etwas zu beißen haben. Atmo Schafe Die meisten Wolfsmilch-Arten, die in den Trockengebieten Südafrikas wachsen, sind allerdings auch für hungrige Schafe völlig ungenießbar. Zu den wehrhaftesten zählt Euphorbia virosa. Ihre kantigen grünen Sprosse tragen nicht nur lange spitze Wolfsmilchgewächse 7 Dornen, sie enthalten auch ein tödliches Gift. In den Randgebieten der KalahariWüste wird diese Wolfsmilch traditionell für die Jagd verwendet. O-Ton 13 Die wird zu Pfeilgift verarbeitet, die Pflanzen werden getrocknet und dann zermahlen. Und dabei müssen die Leute auf die Windrichtung achten, damit sie nicht bei dieser Pfeilgiftbereitung selber von ihrem eigenen Produkt vergiftet werden, wenn sie das dann versehentlich einatmen. Also so giftig können die durchaus sein. Aber lassen Sie mich auch bitte noch sagen, das soll uns ja nicht diese Pflanzen unsympathischer machen. Es gibt eben Dinge, die zum Essen bestimmt sind, das haben wir alle als Kinder frühzeitig gelernt, und es gibt ganz viele, die wir nicht in den Mund stecken. Und dazu gehören eben die Wolfsmilche, aber trotzdem sind es sehr faszinierende Pflanzen. Das gilt nicht zuletzt für den Weihnachtsstern, der im heimatlichen Mexiko bis zu sechs Meter in die Höhe wächst und sich von munteren Kolibris besuchen lässt. Abmoderation: Weihnachtssterne und ihre Verwandtschaft – Sie hörten einen Beitrag von Diemut Klärner. Die Weihnachtsterne, die bei uns gezüchtet werden, sind übrigens in aller Regel nicht giftig.