ZUKUNFT H O L Z Statusbericht zum aktuellen Stand der Verwendung von Holz und Holzprodukten im Bauwesen und Evaluierung künftiger Entwicklungspotentiale Auszug bestehend aus: Kapitel 14 – Gebäudekonzepte, Bauen im Bestand ZUKUNFT H O L Z 1177 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND INHALTSVERZEICHNIS 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND INHALTSVERZEICHNIS 14 Gebäudekonzepte, Bauen im Bestand Inhaltsverzeichnis 14.1 Besondere Gebäudekonzepte Mehrgeschossiger Holzbau – heute und in naher Zukunft S. 1185 Nachhaltige, energetische Gebäudekonzepte S. 1193 Bauen mit Raummodulen S. 1199 Anforderungen an den Wohnungsbau der Zukunft S. 1209 Holz in temporärem Einsatz S. 1215 Hochhäuser aus Holz S. 1221 14.2 Bauen im Bestand Bauen in der Stadt S. 1227 Dachaufstockungen S. 1231 Sanierung auf Passivhausstandard S. 1239 Gebäudeupdate S. 1247 Erhaltung und Ertüchtigung von Holztragwerken S. 1253 Bestand geometrisch erfassen S. 1259 Baubegleitendes 3D-Laserscannen S. 1267 14.3 Besondere Einsatzgebiete Sperrholz – Ein Werkstoff im Gerüstbau S. 1273 14.4 Gebäudetechnik Zukünftige Gebäude S. 1277 Photovoltaik und Holz – Eine Verbindung mit Zukunft S. 1285 Zeitgemäße Gebäudeautomation – Aktueller Stand und Potenziale S. 1293 Wärmepumpen S. 1299 1178 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1179 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND EINLEITUNG 14 Gebäudekonzepte, Bauen im Bestand Einleitung Neben den direkt ökologischen und logistischen eine sorgfältige Planung und hohe Kompetenz Vorteilen des Bauens mit Holz gewinnt der Bau- bei den beteiligten Partnern am Bau. Die Praxis stoff Holz als komplex leistungsfähiges Rohbau- lehrt, dass die Produkte der industriellen Holzbau- material aufgrund seines geringen Gewichts im- Systemhersteller einen flexiblen und unabhängi- mer mehr an Bedeutung bei der Sanierung von gen Einsatz zulassen und mit anderen Bauweisen Bestandsgebäuden, aber auch bei der qualitätvol- stärker vernetzbar sein müssen, um den weiterhin len Nachverdichtung bestehender Stadtquartiere. bestehenden vielschichtigen Anforderungen an Das geringe Gewicht der Holzbaukonstruktionen die Ausbaugewerke standzuhalten. hilft nicht nur die Bauzeit vor Ort zu verkürzen, sondern auch die Baukosten zu reduzieren. Wohnen in der Zukunft Im Beitrag „Anpassungsfähig, funktional, kom- Aufstockungen lassen sich oft überhaupt nur in mod, nachhaltig: Anforderungen an den Woh- Holzbauweise realisieren, da der Bestand nicht nungsbau der Zukunft“ (Robert Kaltenbrunner) für weitere große Belastungen ausgelegt ist und werden grundsätzliche Überlegungen zur Funkti- Lasten aus zusätzlichen Konstruktionen nur in on des Wohnens und den sich daraus ableiten- wenigen Bereichen abgeleitet werden können. den Strukturen für die Zukunft angestellt. Haus Auch bei Anbauten und der Schließung von Bau- und Wohnung stehen heute am Schnittpunkt von lücken können werkseitig erstellte Bauteile wie serieller Produktion und individueller Erschei- Wände, Decken und Dächer mit Hilfe von Mobil- nungsform. Mangelnde Spektakularität und Un- kränen in einem Arbeitsgang montiert werden. aufgeregtheit werden den künftigen Wohnungs- Bauteile aus Holz lassen sich mit leichtem Gerät bau prägen. Und neuartig wäre seine Bauform auch in unzugängliche Bereiche bewegen und nur insofern, als der Rhythmus ihrer Primärstruk- schnell montieren. Umbaumaßnahmen tragen im tur und das freie Maßwerk ihres Ausbaus jene Idealfall zum Klimaschutz bei, senken anfallende Funktionen übernehmen können, die seinerzeit Kosten für Heizenergie und sorgen für eine Wert- das Denkmodell des Fachwerks erfüllt hat: Näm- steigerung der Immobilie. lich ein zeittypisches, allgemein verständliches und akzeptiertes Ordnungsprinzip darzustellen, Gerade die Wohnungswirtschaft steht vor einem dass den Rahmen und Maßstab individueller umfassenden Wandel und damit vor neuen Her- Selbstverwirklichung bildet. ausforderungen. Der Rückgang der Bevölkerung in allen Regionen und zeitversetzt der Rückgang Beim künftigen Wohnungsbau werden die Ambi- der Haushalte fordern einen verstärkten Wettbe- tionen durchaus ins Grundsätzliche gehen, wobei werb um Standorte und Kunden. Heute gelten das Spiel stets auf der Möglichkeit vielfältiger bereits über 60 % der Wohnungen in Deutsch- Verwendungen weniger gleichförmiger Elemente land als überaltert, hinzu kommen neue Anforde- beruhen sollte. Nur so werden sich Kostendruck, rungen an Qualitäten und differenzierte Nutzer- Nachhaltigkeitserfordernis und sozialpsychologi- gruppen und Nutzungen. Damit müssen die Pro- sche Bedürfnisse unter einen Hut bringen lassen. dukte der Wohnungswirtschaft mehr denn je auf Nach Lage der Dinge kann eben dies für den Nachhaltigkeit ausgerichtet sein. Holzbau eine große Chance darstellen. Beim Bauen im Bestand bietet der Holzbau vielfältige Möglichkeiten zur Schaffung attraktiven Wohnraums. Voraussetzung dafür ist vor allem 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND EINLEITUNG Mehrgeschossiger Holzhausbau Das Holz kommt mit dem Bauen im Bestand in tuellen Entwicklung die schrittweise Eroberung die Stadt. Bei Nachverdichtungsmaßnahmen be- bauweisen für mehrgeschossige Bauten. Erforder- stehender Gebäude kommt oft aus statischen lich dafür ist eine konsequente Weiterentwick- Gründen nur ein Holzbau in Frage. Auch beim lung der Brandschutzvorschriften, aber auch von mehrgeschossigen Holzbau sind die Vorteile wie Konstruktionen, die alle bauphysikalischen Eigen- kurze Bauzeiten, koordinierter und trockener schaften (Schallschutz, Wärmeschutz) und die er- Bauablauf ausschlaggebend. Das ist eine große forderlichen brandschutztechnischen Eigenschaf- Chance für den Holzbau. Diese Unterschiede ten optimiert kombinieren. eines wichtig werdenden Marktes durch Holz- müssen herausgestellt und vermittelt werden. Durch immer bessere und weiter getriebene Vor- In Kombination mit Fertigstellungen auf der Bau- fertigung kann sich der Holzbau gerade in Bezug stelle und mit Vorkonfektionierungen sind hierbei auf Bauablauf und -zeit noch konsequenter von noch administrative Fragen der Verantwortlich- den anderen Baustoffen absetzen. keit und der Überwachungsfähigkeit zu klären. Vielgeschossige Holzbauweisen werden aber in der Lage sein, einen wesentlichen Beitrag zur Baugeschwindigkeit, Qualitätssicherheit und Energieeffizienz der Gebäude zu leisten. Die neuen Erkenntnisse müssen allerdings in baurechtliche Regelungen Eingang finden. Die Diskussionen zu einer neuen Muster-Holzbau-Richtlinie wird man nur mit einer gemeinsamen Anstrengung aller interessierter Kreise voranbringen können. Hochhäuser aus Holz Noch einen Schritt weiter gehen die Schweizer Kollegen der ETH Zürich und der Schweizer Holzbauindustrie. Im Beitrag „Hochhäuser aus Holz“ (Hermann Blumer) wird eine Projektstudie beschrieben, die den Bau eines Hochhauses mit 40 Geschossen und damit etwa 120 m Höhe in Holz vorsieht. Das anspruchsvolle Vorhaben sollte Konzepte und Strategien hervorbringen, um ein Siebengeschossiges Wohngebäude in Berlin, Es- solches Gebäude sicher und trotzdem wirtschaft- marchstraße. Architekt: Kaden u. Klingbeil lich bauen zu können. Das derzeit wohl berühmteste mehrgeschossige Am vielversprechendsten erscheint die Option ei- Wohngebäude in Deutschland (7 Geschosse) nes Tragwerkes in Mischbauweise. Die unter- wurde durch die Architekten Kaden und Klingbeil schiedlichsten in der Großstadt Berlin geplant und realisiert. Der Standfestigkeit, Beitrag „Mehrgeschossiger Holzbau – heute und und Ökologie verlangen geradezu nach Baustoff- in naher Zukunft“ (Stefan Winter) sieht in der ak- allianzen. Die Kernbereiche aus Beton und Stahl, Systemleistungen Brandsicherheit, im Bereich Behaglichkeit 1180 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1181 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND EINLEITUNG die Wohnbereiche aus Holz, Holzwerkstoffen und tes Handeln, auch und ganz besonders im Bau Verbundbauteilen. Eine besondere Herausforde- und Betrieb von Gebäuden. Die Baubranche ist rung ergibt sich aus der Brennbarkeit, die das nun verbindlich gefordert, neben den techni- Material aus vielen Bereichen verdrängt hat, heu- schen Eigenschaften eines Gebäudes auch die te aber mit technischen Maßnahmen wettge- ökologischen Qualitäten zu verantworten. Die macht werden kann. Mit den vorgesehenen Holzwirtschaft ist im einhergehenden politischen Maßnahmen erreicht das Hochhaus aus Holz ein Willensprozess gefordert, noch stärker als bisher Brandsicherheitsniveau, das über dem Standard Holz als nachwachsenden Baustoff und Energie- liegt. Mit der Entwicklung einer adäquaten Lösch- träger in den Blick der Betrachtungen zu rücken. technik können sich Ingenieure, Architekten und Handwerker den Weg zu mehr Holz am Bau er- Der Beitrag „Nachhaltige, energetische Gebäu- schließen. dekonzepte“ (Jörg Wollenweber) erinnert als Ausgangslage an den Fortschrittsglauben der Moderne, die letztendlich isolierte, von den vielfältigen Wechselbeziehungen abgelöste Architekturen mit enormen Energieverbräuchen hervorgebracht hat. Um diesem Weg dauerhaft und nachhaltig für die kommenden Generationen entgegenzutreten, sind neue Überlegungen und Konzepte für ressourcenschonende Bauweisen und das damit verbundene architektonische Erscheinungsbild erforderlich. Die grundlegenden Eigenschaften einer optimierten Bauweise sind die Minimierung des Energiebedarfs und die Optimierung der Energieversorgung. Für die Entwicklung effizienter und nachhaltiger Gebäudekonzepte ist das optimierte Zusammenspiel von aktiven und passiven Systemen erforderlich. Hierbei ist den passiven Systemen Vorrang einzuräumen, um in der Regel die besten Ergebnisse zu erzielen. Raummodule Der Beitrag „Bauen mit Raummodulen“ (Gerhard Studie Dock Tower, Hochhaus aus Holz Lutz) beschreibt die Errichtung eines fünfgeschossigen Studentenwohnheims in Konstanz aus 170 Effiziente Gebäudekonzepte Nachhaltiges und energieeffizientes Bauen ist das Raummodulen in Holzbauweise, bei dem in zentrale Thema in der Bauwirtschaft geworden. teressant ist die Feststellung, dass die in Deutsch- Vor dem Hintergrund explodierender Rohstoff- land in den letzten 50 Jahren entstandenen Fer- und Energiepreise verlangt der Klimawandel in- tigteilwerke für Holzhäuser fast ausschließlich in- folge hoher CO2-Emissionen ein radikal veränder- dividuell geplante Einzelstücke für den Ein- oder mehrfacher Hinsicht Neuland betreten wurde. In- 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND EINLEITUNG Zweifamilienhausmarkt liefern. Die ursprüngliche industrielle Herstellung von gleichförmigen Ty- Bauen in bestehender Substanz Die Bauwirtschaft trifft auf ein reichhaltiges Betä- penhäusern ist dabei einer fast handwerklichen tigungsfeld in bestehender Substanz: Bereits heu- Fertigung gewichen. Das hat dazu geführt, dass te sind über 60 Prozent der Projekte in Deutsch- der noch vor 20 Jahren vorhandene Kostenvorteil land diesem Segment zuzuordnen. Bis ins Jahr der seriellen Fertigung im Wettbewerb zur Bau- 2050 werden in Deutschland über 90 % des Ge- stellenproduktion verloren gegangen ist. bäudeenergiebedarfs durch Gebäude verursacht, die vor dem Jahr 2000 erstellt wurden. Bauen im Bestand weist also ein signifikant wachsendes Auftragsvolumen auf. Modernisierung, Umnutzung oder auch Aufstockung und Nachverdichtung gewinnen wieder an Bedeutung. Holz spielt hierbei eine besondere Rolle. Die große Bandbreite von Holzprodukten erlaubt individuelle Lösungen, die gerade im Altbau gefragt sind. Die trockene Bauweise mit ihrer hohen Maßhaltigkeit sorgt für kurze Bauzeiten und damit eine ge- Studentenwohnheim in Konstanz ringstmögliche Störung der Anwohner – Faktoren, die schon immer beim Bauen im Bestand ei- Biegesteife, sich selbsttragende Raumeinheiten ne Rolle spielten. aus holzbasierten Bauteilen lassen sich aber sowohl technisch als auch wirtschaftlich hergestel- Der Beitrag „Gebäude-Update“ (Richard Adri- len, wie der Bau des Studentenwohnheims be- aans) ermittelt das ungeheure Potenzial auf der legt. Auffällig war hier die Einrichtung einer Feld- Basis bestehender politischer Vorgaben: 20 % fabrik. Die Raummodule wurden über ein Fließ- weniger Energie zu verbrauchen, 20 % weniger band auf einer eigenen Fertigungstrasse unter ei- CO2-Ausstoß zu verursachen und eine 20 % hö- nem Zelt vor Ort hergestellt. Die Produktion der here Energie-Effizienz aufzuweisen. So hätte man Module erfolgte „Just-in-time“ in acht Arbeits- in Deutschland bis 2020 ca. 1,1 Mio. Wohnun- wochen. Für diese Art der Fertigung ist nach Auf- gen mit dem Faktor 10 (Heizwärmebedarf ca. fassung des Autors noch großes Entwicklungspo- 2 l/m²) jährlich zu sanieren! Die höchste Wirt- tenzial vorhanden. schaftlichkeit wird bei steigendem Energiepreis mit der Wärmedämmung der äußeren Gebäudehülle, vor allem der Wände erreicht. Aus technischen Gründen ist neben dem Dach und den Fenstern vor allem auch die Haustechnik zu erneuern. Der Autor entwickelt in der Theorie ein System, bei dem bestehende Außenwände von außen mit hochwärmegedämmten Holzfertigbauelementen renoviert werden. Diese Elemente bieten so gro- Überdachte Linienfertigung vor Ort ße Hohlräume, dass in ihnen neben der Wärmedämmung die technische Gebäudeausrüstung 1182 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1183 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND EINLEITUNG verlegt werden kann. Positive Konsequenzen: Bereichen abgeleitet werden können. Den Werk- weitgehende Vorfertigung durch CAD-unter- stoff Holz zeichnet dabei die Eigenschaft aus, bei stützte Arbeitsvorbereitung nach elektronischer geringem Eigengewicht über hohe Festigkeit zu Gebäudeaufnahme durch 3D-Scanner, dadurch verfügen, so dass Holz auch noch bei großen höchstmögliche Qualität der Elemente, sehr Spannweiten ausreichend tragfähig ist und damit schnelle, effektive und trockene Montage mit eine wirtschaftliche Überbrückung ermöglicht. dem Effekt, dass die Bewohner in den Wohnungen bleiben können, weil die Verlegung der neu- Die in dem Beitrag „Dachaufstockungen“ (Joa- en TGA weitgehend von außen geschieht. chim Seinecke) beschriebene Siedlung in Köln steht für viele Wohnungsbauten dieser Zeit. Der So erlebt Holz an der Fassade wieder eine Renais- dort anzutreffende Haustyp ist durch massive sance, und zwar nicht als primärer Konstrukti- Schlichtbauweise und fehlende Wärmedämmung onswerkstoff, sondern für den Schutz vorhande- gekennzeichnet. Da die letzte Geschossdecke ner Gebäude, die aus Gründen der Dauerhaftig- keine Lasten aufnehmen konnte, wird sie durch keit ursprünglich mineralisch ausgeführt wurden, eine neue Tragkonstruktion komplett überbrückt. im Sinne der Energie-Effektivität aber größte Eine neue Brettsperrholzdecke mit Auflagerpunk- Schwächen aufweisen. Wenn sich im Laufe der ten an den Außen- und Mittelwänden kragt um- kommenden Jahre die Lebenszykluskosten an laufend über die Außenwände aus. Sämtliche den wirklichen, umweltrelevanten Kosten orien- tragenden Wände und Dächer der Aufstockung tieren werden, sind solche Fassaden ökonomisch sind als Holztafelelemente mit montierten Fens- kaum zu schlagen. tern und eingebauter Dämmung vorgefertigt und montiert worden. Dachaufstockungen Die den Städtebau der 1950er bis 1970er Jahre prägenden flachgedeckten Gebäude benötigen Historische Holztragwerke Bei Erhalt und Umnutzung bestehender Bausub- größtenteils eine energetische Sanierung der Au- stanz ist der Blick aber auch auf den Umgang mit ßenfassaden, wobei sich im Zuge der Baumaß- historischen Holzkonstruktionen zu richten. Die nahmen zusätzlich die Möglichkeit der Aufsto- Bautechnik des Holzbaues hat in ihrer langen ckung anbietet. Die umfassende Sanierung von Entwicklungsgeschichte eine Vielfalt von Kon- Siedlungen dieser Art unter Gewinnung neuer struktionen und Tragwerken hervorgebracht, die Wohnfläche ermöglicht es, die Gebäude wieder in vielen Fällen prägender Bestandteil der Baukul- dem Immobilienmarkt zuzuführen. Die techni- tur Deutschlands sind. Man denke in diesem Zu- schen Möglichkeiten, die der Holzbau hierfür bie- sammenhang nur an die ca. 2 Millionen Fach- tet, müssen von der Holzwirtschaft deutlicher als werkbauten, aber auch an historische Dachkon- bisher an die jeweiligen Bauherren – zumeist struktionen, die nach über 800 Jahren immer Wohnungsbaugesellschaften noch ihre Tragfunktion erfüllen oder die histori- – herangetragen werden. schen Blockbauten, die als Wohn- oder Wirtschaftsgebäude ganze Regionen Deutschlands Gerade bei Aufstockungen werden die ange- prägen. Über die lange Zeit der Nutzung wurden strebten Lösungen durch den Holzbau überhaupt diese Holztragwerke auch immer neuen Bedin- erst möglich. Oft ist der Bestand nicht für weitere gungen und Ansprüchen angepasst. große Belastungen ausgelegt, so dass die Lasten aus zusätzlichen Konstruktionen nur in wenigen 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND EINLEITUNG Der Beitrag „Erhaltung und Ertüchtigung von Wer den zukünftigen Holzabsatz verbessern will, Holztragwerken“ (Wolfgang Rug) fordert ein kla- muss in der Bildung der zukünftigen Verbraucher res Bekenntnis zu dem baukulturellen Erbe, das ansetzen und das durchgängig vom Kleinkind bis historische Holzbauten vermitteln. Die Erhaltung zur Schul- und Hochschulbildung organisieren. historischer Konstruktionen erfordert eine Ausei- Die Bedeutung des Waldes und des Holzbaus als nandersetzung mit der Geschichte des Bauens, Wirtschaftsfaktor kann in jedem Geschichtsunter- seiner konstruktiven Entwicklung, seiner kultur- richt auch unter dem Aspekt der jeweiligen regi- geschichtlichen und sozialen Bedeutung. Das onalen Entwicklung (gerade in Baden-Württem- Wissen hierüber ist in der Bevölkerung nur wenig berg) ein spannender Lehrstoff sein. Wie sich ein vorhanden und nimmt immer weiter ab. Fachwerkhaus oder eine Dachkonstruktion zusammensetzt, wie aus Holzstäben zusammen mit zimmermannsmäßigen Verbindungen eine standsichere Konstruktion entsteht – das sollte man durch entsprechende Bausätze spielend erlernen. Puppenhäuser oder Spielhäuser sollten nicht aus Kunststoffen, sondern aus Fachwerk- oder Blockbauten bestehen. Die Erhaltung und Ertüchtigung von Holztragwerken ist eine anspruchsvolle fachliche Aufgabe, denn sie umfasst neben einer sorgfältigen Prüfung der Erhaltungswürdigkeit Kenntnisse zu den historischen Holzbautechniken, zum Werkstoff und zu den Methoden einer substanzgerechten und -schonenden Erhaltung. Nach Einschätzung des Autors wird die Ausbildung der Architekten und Bauingenieure diesen Ansprüchen nicht umfassend gerecht. Hier muss in jedem Fall die Ausbildung und vor allem auch das Studien- und Lehrmaterial verbessert werden. Wenn schon die Holzbauausbildung in den letzten Jahrzehnten Rathaus Esslingen- herausragendes Beispiel für wesentlich verringert wurde, so sollte unbedingt den alemannischen Fachwerkbau, 1430 erstmals die Möglichkeit der gezielten Zusatzqualifizierun- erwähnt gen ausgeweitet werden. 1184 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1185 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE MEHRGESCHOSSIGER HOLZBAU – HEUTE UND IN NAHER ZUKUNFT 14.1 Besondere Gebäudekonzepte Mehrgeschossiger Holzbau – heute und in naher Zukunft Stefan Winter Esmarchstraße geplant und realisiert. Der vielleicht prominenteste Verwaltungsbau in Europa 1 Allgemeines Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich ist im Moment die Zentrale von Finnforest Metsäliitto in Helsinki. insgesamt auf Gebäude mittlerer Höhe, d.h. die Gebäudeklassen 4 und 5 entsprechend der derzeit in Deutschland geltenden Musterbauordnung (MBO 2002). Sie beleuchten insbesondere die Aspekte von Holzhäusern an der Hochhausgrenze (mittlere Geschosshöhe des obersten Geschossfußboden ≤ 22 m). Es ist eine alte Wahrheit, aber man kann sie nicht oft genug wiederholen: Mehrgeschossiger Holzhausbau bis zur Hochhausgrenze ist eigentlich eine Bauweise mit sehr langer Tradition. Auf vielen Marktplätzen im deutschsprachigen Raum findet man repräsentative, mittelalterliche Fachwerkbauten mit teilweise sieben oder acht Geschossen, zählt man die ausgebauten und genutzten Geschosse in den spitzen, großen Dächern mit. In der Schweiz findet man im oberen Rhônetal im Wallis bis zu siebengeschossige Blockbohlenbauweisen, die ebenfalls schon seit vielen Jahrhunderten bestehen. Erst in der neue- Abb. 1: Wohngebäude in Berlin, Esmarchstraße ren Baugeschichte nach dem zweiten Weltkrieg (Foto: Kaden u. Klingbeil Architekten, Berlin) hat man sich von den vielgeschossigen Holzhäusern, insbesondere wegen der vermeintlich hohen In Deutschland wurden baurechtlich zunächst in Brandgefahren, abgewendet. Und – der Wahrheit der Musterbauordnung 2002 und darauf folgend Ehre – in den letzten 20 Jahren wären sie wohl durch Umsetzung in den einzelnen Landesbau- auch aus wirtschaftlichen Gründen kaum mit den ordnungen bis zu fünfgeschossige Holzgebäude sehr billigen Stahlbeton- und Mauerwerkskon- mit einer Höhe des obersten Geschossfußbodens struktionen konkurrenzfähig gewesen. von nicht mehr als 13 m über mittlerer Geländehöhe eingeführt. Diese Gebäude der Gebäude- In den letzten Jahren allerdings hat es vermehrt klasse 4 sind in hochfeuerhemmender Bauweise wieder Holzhausbauten im Wohnungs- und im (F60) zu errichten. Die Musterrichtlinie für hoch- Verwaltungsbau gegeben, die die übliche Höhe feuerhemmende Holzbauweisen (M-HFHHolzR) von Gebäuden mit geringer Höhe (Höhe des o- schreibt allerdings ergänzend vor, dass die Holz- bersten Geschossfußbodens i.M. ≤ 7 m gegen- bauteile durchgehend durch eine nichtbrennbare über Geländeoberkante) deutlich übertreffen. Bekleidung so zu schützen sind, dass sie über den Das derzeit wohl berühmteste siebengeschossige Zeitraum der Schutzklasse, also 60 Minuten, nicht Wohngebäude in Deutschland wurde durch die mitbrennen dürfen. Diese sogenannte „Kapsel- Architekten Kaden und Klingbeil in Berlin in der klasse“ (K60) führt allerdings de facto dazu, dass 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE MEHRGESCHOSSIGER HOLZBAU – HEUTE UND IN NAHER ZUKUNFT der Feuerwiderstand der Bauteile im Regelfall 90 in Helsinki ist auch von außen deutlich als Holz- Minuten oder deutlich mehr beträgt und der ei- bau erkennbar. gentlich gewünschte Effekt - die Einführung einer zusätzlichen Feuerwiderstandsklasse von 60 Mi- Zu den besonders wichtigen Fragen des Brand- nuten, die bis dahin nicht existierte, und das ge- schutzes treten bei vielgeschossigen Holzgebäu- ringere Risikopotential bei Gebäuden mittlerer den bis zur Hochhausgrenze statische und ökolo- Höhe widerspiegeln sollten - nicht realisiert wur- gische Fragen hinzu. Letztere fokussieren sich be- de. Die nichtbrennbare Bekleidung auf allen Bau- sonders auf den Primärenergiegehalt der Kon- teilen führt zudem dazu, dass die Holzbauweise struktionen, d.h. auf den zur Herstellung der Bau- optisch und haptisch nicht wahrgenommen wer- stoffe, der Fertigung der Bauteile und der Errich- den kann und dadurch die positiven gestalteri- tung des Gebäudes erforderlichen Energieeinsatz. schen und auch psychologischen Effekte der Verwendung von Holz verloren gehen. 2 Bautechnische Aspekte Bei Häusern bis zur Hochhausgrenze werden im Erdgeschoss und in den beiden darauffolgenden Geschossen häufig Beanspruchungen erreicht, die den üblichen Traglastbereich heutiger Holztafel und Holzskelettkonstruktionen deutlich überschreiten. Insbesondere muss in diesen Bereichen der Einbau quer zur Faser druckbeanspruchter Hölzer praktisch vermieden werden, da die auftretenden Querpressungen die charakteristischen Festigkeitseigenschaften meist deutlich überschreiten. Hier sind also Pfosten-Riegel-Konstruktionen einzusetzen, bei denen entweder die Stützenkonstruktionen vertikal durchlaufen oder entsprechende Stahlbauteile als Zwischenbauteile eingesetzt werden müssen. Eine Kombination von Holz- und Stahlbauteilen ist hier in vielen Fällen unvermeidlich. Sofern die Lasten über Wandbauteile abgetragen werden sollen, sind häufig Materialien als Schwelle einzusetzen, die wesentlich höhere Querdruckbeanspruchbarkeiten auf- Abb. 2: Verwaltungsbau in Holzbauweise in weisen. In Zukunft könnte hier z.B. eine vermehr- Helsinki te Verwendung von Harthölzern zu höher beanspruchbaren Bauteilen führen. An dieser Stelle also besteht Handlungsbedarf, der nachfolgend weiter beschrieben werden soll. In den unteren Geschossen können alternativ Die oben erwähnten Gebäude im Übrigen weisen Brettsperrholz oder verwandte Bauweisen einge- teilweise sichtbare Holzoberflächen in ihren De- setzt werden, die eine Abtragung großer Bean- cken und Stützenkonstruktionen auf und sind spruchungen auf kleinen Grundrissflächen er- daher von innen heraus auch deutlich als Holzge- möglichen. bäude wahrnehmbar. Das Verwaltungsgebäude 1186 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1187 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE MEHRGESCHOSSIGER HOLZBAU – HEUTE UND IN NAHER ZUKUNFT Für die Erdgeschosse solcher vielgeschossigen Bauwerke sowie gleichzeitig einen guten Feuch- Bauwerke sollte man jedoch eine andere Kon- teschutz der Holzbauteile während der Montage- struktionslösung zumindest einmal grundsätzlich vorgänge. abwägen. Gemeint ist der Einsatz eines Erdgeschosses in Betonbauweise, da mit einer Stützen- Ebenso häufig wird man eine Grundsatzentschei- Flachdecken-Konstruktion sehr häufig die nut- dung treffen müssen, wie die Treppenräume in zungsbedingt aufgelösten Grundrisse in den Erd- diesen Gebäuden an der Hochhausgrenze ausse- geschossen besser realisiert werden können. hen sollen. Auch hier bietet sich - derzeit zumindest - eine Kombination mit Betonbauteilen an. Außerdem war es schon immer gute Bautraditi- Sie sollten aus Gründen der Maßgenauigkeit, der on, den Holzbau nicht bis zu den erdberührten Geschwindigkeit des Baufortschrittes und der Fü- Bauteilen zu führen und einen ausreichenden Ab- gungen mit den Holzbauteilen ebenfalls aus Fer- stand zur Geländeoberfläche zu gewährleisten. tigteilen hergestellt werden. Die heute häufig zu Bei vielen traditionellen Holzbauten ist dieses hörenden Einwände, dass dadurch zu große oder Prinzip des massiven Unter- oder Halbgeschosses zu schwere Bauteile entstehen, sollen durch realisiert worden. Da in den Erdgeschossen durch Abb. 3, die Montage von Treppenturmfertigtei- Ladennutzungen oder durch die Anforderung des len, widerlegt werden. behindertengerechten Bauens meist stufenlose Eingangssituationen geschaffen werden sollen, ist dies ein weiterer Grund, den Holzbau erst ab Oberkante der Erdgeschossdecke beginnen zu lassen. Kein Dogma – aber eine wohl abzuwägende Grundsatzentscheidung bei jedem individuellen Bauvorhaben! Auch der Einsatz von Holz-Beton-Verbundbauteilen sollte immer am Beginn einer Planung sorgfältig im Grundsatz überlegt werden. Die Verbundbauweisen helfen, weit gespannte Deckensysteme zu realisieren, führen aber auch zu höheren Lasten. Andererseits gewährleisten sie durch die höhere Massebelegung der Decken auf relativ einfache Art und Weise die Sicherstellung der erforderlichen Schallschutzeigenschaften der Bauteile. Das Argument, dass das Einbringen eines nassen Baustoffs wie Ortbeton wenig mit dem Abb. 3: Montage von 12 m hohen Fertigteilbau- Holzbau harmoniert, kann man sicher in Zukunft teilen eines Stahlbetontreppenhauses dadurch eliminieren, dass eine Holz-Beton-Fertigteilbauweise entwickelt wird. Diese kommt mit Durch die geschickte Kombination elementierter relativ geringen Anteilen von Fugenverguss aus Bauweisen können Baugeschwindigkeiten reali- und gewährleistet eine trockene Errichtung der siert werden, die heute noch ein wenig außerhalb 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE MEHRGESCHOSSIGER HOLZBAU – HEUTE UND IN NAHER ZUKUNFT des Vorstellungsbereichs liegen. Hier muss es ein Natürlich spielt die Energieeffizienz der Gebäude Ziel sein, insbesondere in innerstädtischer Lage zu bereits heute aber noch viel mehr in naher Zu- einem sehr schnellen Montagefortschritt zu kunft eine wesentliche Rolle. Vielgeschossige kommen und damit die störenden Einflüsse von Holzgebäude sollten zumindest den Standard von Baustellen auf die gesamte Umgebung drastisch Drei-Liter-Häusern erreichen, d.h. einen Heizener- zu minieren. giebedarf von nicht mehr als 30 kWh/m²a benötigen. Während in den Innenbereichen – wie oben Die Errichtung eines siebengeschossigen Wohn- erwähnt – massive Bauweisen auch wegen ihres gebäudes in einer innerstädtischen Baulücke soll- positiven Einflusses auf das Raumklima einzuset- te in einem Zeitraum von zwei bis vier Wochen zen sind, sind für die Außenwände hochge- problemlos möglich sein. dämmte Tafelbauweisen vorzuziehen. Sie vermeiden auch den Einsatz sehr dicker Wärme- Und wie soll sich das Holzhaus nach außen dar- dämm-Verbundsysteme, deren Dauerhaftigkeit ja stellen? Natürlich ist es wünschenswert, wenn auch noch nachzuweisen ist. auch in der Fassadengestaltung ablesbar wird, dass es sich um ein Gebäude aus dem ökologi- Schwierig ist derzeit (noch) die Bewertung des schen Baustoff Holz handelt. Allerdings gilt es Primärenergieeinsatzes zur Herstellung der Holz- auch hier sorgfältig zu gewichten! Zwar können bauweisen. Vergleichsrechnungen [1] mit dem aus brandschutztechnischen Gründen Holz- oder Programmsystem LEGEB haben zwar gezeigt, Holzwerkstofffassaden bis zur Hochhausgrenze dass deutliche Energieeinsparpotentiale bei der sicher realisiert werden (vgl. nachfolgenden Ab- Errichtung möglich sind, allerdings relativiert sich schnitt), aber es müssen Materialien eingesetzt der Anteil dieses Energieaufwandes im Vergleich werden, die nicht einer wiederkehrenden Pflege zur 60 - 80jährigen Lebensdauer und des in die- in kurzen Intervallen bedürfen. Resistente unbe- ser Zeit verbrauchten Energiebedarfs erheblich. handelte Hölzer, wie Lärche oder Douglasie, sind Dennoch – eine realistische und nachvollziehbare dafür durchaus geeignet. Mit der daraus entste- Bewertung der Energieeffizienz der Bauteile henden Optik allerdings muss man bewusst und selbst sollte in Zukunft auch bei Vergabeverfah- wollend umgehen. Holzwerkstoffe, die mit ent- ren berücksichtigt werden. Ebenso sollte die sprechenden versehen Energieeffizienz der Gebäude während der Nut- sind, müssen ihre Dauerhaftigkeit noch nachwei- zung bei der Bewertung der erforderlichen Her- sen. Hier ist definitiv weiterer Forschungs- und stellungspreise einfließen. Eine grundsätzliche Prüfbedarf erforderlich. Modifizierte Hölzer oder Überarbeitung des Vergaberechts ist hier von Werkstoffe aus modifizierten Hölzern, z.B. aus höchster Notwendigkeit! Beschichtungssystemen Thermoholz, sind ebenfalls sicher sehr gut beständig. Auch hier sind aber die Fragen der dau- Und wie gestaltet man die Gebäudeaccessoires? erhaften optischen Gestaltung nicht endgültig In Wohngebäuden und natürlich auch in Büroge- gelöst. Einsetzbar sind natürlich Glasfassaden o- bäuden sind Freibereiche erforderlich – Balkone- der Wärmedämm-Verbundsysteme mit Putzober- oder Terrassenanbauten. Was die Beläge angeht, flächen, die damit die gleichen Wartungsinterval- so kann man sich uneingeschränkt für Holz ent- le aufweisen wie bei allen anderen Bauarten scheiden. Was allerdings frei bewitterte und frei auch. Oder hinterlüftete Fassaden mit zementge- stehende Konstruktionen angeht, so sollte man bundenen Fassadenplatten. die Grenzen des Werkstoffs Holz erkennen. 1188 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1189 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE MEHRGESCHOSSIGER HOLZBAU – HEUTE UND IN NAHER ZUKUNFT Sofern es möglich ist, aus gestalterischen und konstruktiven Gründen einen durchgehenden 3 Brandschutz Wie bereits erwähnt, ist in der Gebäudeklasse 4 baulichen Holzschutz, wie bei modernen gedeck- derzeit eine gekapselte Bauweise baurechtlich ten Holzbrücken, zu gewährleisten, so kann man uneingeschränkt möglich. Die beiden Projekte, auch bei diesen vorgestellten Bauweisen auf die in der Einleitung genannt sind, weisen aller- Holzbau zurückgreifen. Frei bewitterte, unge- dings sichtbare Bauteile auf. Das Berliner Projekt schützte Balkone in Holzbauweise sollten aller- beispielsweise eine von unten sichtbare Holz- dings der Vergangenheit angehören. Hier ist es Beton-Verbunddecke und sichtbare Brettschicht- wieder wesentlich sinnvoller, auf einen guten holzstützen. Das Projekt in Helsinki ebenfalls Materialmix zurückzugreifen und beispielsweise sichtbare Stützenkonstruktionen und Deckenkon- Stützen, Querträger und Geländer in Stahlbau- struktionen. Das deutsche Projekt konnte nur auf weise und die Balkonbodenplatten in Betonfertig- der Grundlage eines Brandschutzkonzeptes und teilbauweise zu realisieren. mit Einsatz einer entsprechenden Brandmeldeanlage realisiert werden. Auskragende Bauteile sollten tunlichst vermieden werden. Aus energetischen Gründen aber auch Von Bedeutung ist in den vielgeschossigen Bau- aus konstruktiven Gründen sind gerade die viel- werken vor allen Dingen die Vermeidung von geschossigen Holzhäusern mit einer durchgehen- Hohlraumbränden in Konstruktionen. Sie sind den möglichst ungestörten Hülle zu versehen. von der Feuerwehr kaum zu erkennen und zu Tab. 1: Notwendige brandschutztechnische Bekleidung für hochfeuerhemmende Bauteile (Vorschlag für neue M-HolzR) 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE MEHRGESCHOSSIGER HOLZBAU – HEUTE UND IN NAHER ZUKUNFT bekämpfen. Insofern ist die Kapselung von Kon- den, wie sie auch in Berlin im Bauvorhaben Es- struktionen mit gedämmten oder ungedämmten marchstraße verwendet wurden. Hohlräumen durchaus sinnvoll. Beim Einsatz von massiven flächigen Bauteilen, wie Brettsperrholz oder Brettschichtholzdecken und –wänden, oder von massiven linearen Bauteilen, wie Brettschichtholz- oder Furnierschichtholzunterzügen und –stützen, sollte jedoch eine deutlich differenzierte Bewertung einsetzen. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens aus dem Großprojekt „Holzbau der Zukunft“ [2] wurde daher ein Vorschlag für eine neue Muster-Holzbau-Richtlinie (M-HolzR) erarbeitet, in der eine Reihe von Vorschlägen enthalten sind, das derzeitige Baurecht weiter zu entwickeln. So sollte beispielsweise zukünftig zwischen linearen und flächigen Bauteilen unterschieden werden und es sollten klare Regeln eingeführt werden, mit welchen Zusatzmaßnahmen eine Reduzierung der Kapselzeiten möglich wird. Tab. 1 zeigt einen Vorschlag für Leistungsanforderungen an Bauteile von Gebäuden bis zur Abb. 4: Fensteranschluss in gekapselter Holzrah- Hochhausgrenze. menbauwand (Zeichnung: bauart, Lauterbach) Für raumabschließende Wand- und Deckenbau- Es ist auch zu bedenken, dass die Erhöhung der teile werden danach natürlich immer noch Kap- Brandlasten in Holzgebäuden mit üblicher Wohn- selanforderungen gestellt. Allerdings nicht immer oder Büronutzung durch sichtbare Konstrukti- zwangsweise mit nichtbrennbaren Bekleidungen onsbauteile nur unwesentlich ist. An der Holz- und – je nach Einsatz von Elementen des techni- oberfläche bildet sich sehr schnell eine schützen- schen Brandschutzes – mit deutlich reduzierten de Holzkohleschicht aus. Bei den umfangreichen Schutzzeiten. Auch dann aber sind im Grundsatz Versuchen in der Schweiz zur Anwendung von die Bauteile rundum zu schützen. Ein Beispiel für Fassaden bis zur Hochhausgrenze konnte immer einen Fenstereinbau zeigt Abb. 4. wieder beobachtet werden, dass eine Ausbreitung von Flammen über verkohlte Holzoberflä- Ebenso sollten zukünftig vermehrt Verbundkon- chen eben nicht weiter stattfindet. struktionen untersucht werden. Durch den Verdung von Geschoss zu Geschoss sind hier noch 4 Zusammenfassung Es darf erwartet werden, dass die vielgeschossi- wesentlich bessere Brandschutzeigenschaften zu gen Holzbauweisen bis zur Hochhausgrenze sich erwarten als bisher angenommen werden. Unter schrittweise einen zunehmenden Markt erobern. bestimmten konstruktiven Randbedingungen ist Erforderlich dafür ist eine konsequente Weiter- bei Verbundbauteilen auch vorstellbar, dass sicht- entwicklung der Brandschutzvorschriften, aber bare Holzkonstruktion geregelt eingesetzt wer- auch von Konstruktionen, die alle bauphysikali- guss der Bauteile und die damit luftdichte Ausbil- 1190 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1191 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE MEHRGESCHOSSIGER HOLZBAU – HEUTE UND IN NAHER ZUKUNFT schen Eigenschaften (Schallschutz, Wärmeschutz) und die erforderlichen brandschutztechnischen Quellen [1] Wolf, A.: Vergleichende Bewertung eines 5- Eigenschaften optimiert kombinieren. Der Einsatz geschossigen Mehrfamilien-Passivhauses in sichtbarer Holzoberflächen muss bei linearen Stahlbeton bzw. in Massivholzbauweise un- Bauteilen und bei flächigen massiven Holzbautei- ter ökonomischen und ökologischen Ge- len möglich werden. sichtspunkten. Diplomarbeit, TU München, November 2008. Selbstverständlich ist dabei eine Erhöhung des [2] Merk, M; Winter, S.: High-Tech-Offensive Brandrisikos nicht vertretbar und auch nicht ge- Bayern – Holzbau der Zukunft. Teilprojekt 02 wünscht. Das Brandentstehungsrisiko wird da- – durch sowieso nicht erhöht werden. Die Vorferti- Holzbau, TU München, 2008. gung solcher Konstruktionen muss weiter optimiert werden und mit sinnvoller Vorkonfektionierung verbunden werden. Allerdings gehören zur Vorfertigung auch Zertifizierungsverfahren und eine intensive Eigen- und Fremdüberwachung der Betriebe. In Kombination mit Fertigstellungen auf der Baustelle und mit Vorkonfektionierungen sind hierbei noch administrative Fragen der Verantwortlichkeit und der Überwachungsfähigkeit zu klären. Vielgeschossige Holzbauweisen werden aber in der Lage sein, einen wesentlichen Beitrag zur Baugeschwindigkeit, Qualitätssicherheit und Energieeffizienz der Gebäude zu leisten. Diese Vorzüge auch in bewertbare Kriterien in Ausschreibungsverfahren umzusetzen, ist eine zusätzliche besondere Herausforderung. Zuvor aber müssen die neuen Erkenntnisse in baurechtliche Regelungen Eingang finden. Die Diskussionen zu einer neuen Muster-Holzbau-Richtlinie wird man nur mit einer gemeinsamen Anstrengung aller interessierter Kreise voran bringen können. Brandsicherheit im mehrgeschossigen 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE MEHRGESCHOSSIGER HOLZBAU – HEUTE UND IN NAHER ZUKUNFT 1192 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1193 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE NACHHALTIGE, ENERGETISCHE GEBÄUDEKONZEPTE 14.1 Besondere Gebäudekonzepte Nachhaltige, energetische Gebäudekonzepte Jörg Wollenweber Die Vergegenwärtigung der prägenden Klimafaktoren und -elemente bildet die Voraussetzung, 1 Ausgangslage In der Architekturgeschichte verfügten Gebäude um energieeffiziente immer über vielfältige Wechselbeziehungen mit wickeln zu können. Entwurfskonzepte bei gleichzeitig optimalen Komfortbedingungen ent- ihrer natürlichen Umgebung. Der Städtebau und die Architektur entwickelten sich im Wesentlichen aus dem Kontext lokaler Klimabedingungen sowie vorhandener Material- und Energieressourcen. Seit wenigen Generationen und nur für eine kurze Zeitspanne hat sich das Bauen durch die übermäßige Nutzung fossiler Energieträger vermeintlich von diesen Rahmenbedingungen losgesagt. Abb. 2: Durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge in Deutschland [Quelle: TU Darmstadt, FG_ee] Noch in den 1940er Jahren verstand man hohen Energieverbrauch als Ausdruck überlegener Kultur. Amerikanische Statistiken verwiesen damals Abb. 1: Durchschnittliche jährliche Globalstrah- stolz auf die Fähigkeit der USA, mehr Energie er- lung in Deutschland zeugen und verbrauchen zu können als andere [Quelle: TU Darmstadt, FG_ee} Staaten. Vor der Industrialisierung, als das Komfortniveau Als im Vergleich zum heutigen Standard deutlich 20. Jahrhunderts verdeutlicht die Neue National- niedriger lag und nur wenige technische Mög- galerie in Berlin symptomatisch das Denken dieser lichkeiten zur Verfügung standen, ein von den Zeitepoche. In den Jahren 1962–68 realisierte Umfeldeinflüssen unabhängiges Raumklima zu Mies van der Rohe mit diesem Projekt seine Ideal- erzeugen, waren besonders die Hüllbauteile von vorstellung des »Universalraums«. Die nutzungs- Gebäuden unmittelbar vom Einfluss der jeweils neutrale, monumentale Eingangshalle im Oberge- standortspezifischen Bedingungen geprägt. schoss (allseitige Einfachverglasung) und die aus- eines der bekanntesten Gebäude des 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE NACHHALTIGE, ENERGETISCHE GEBÄUDEKONZEPTE 1194 kragende, ungerichtete Dachtragstruktur (ohne thermische Trennung) gelten in konstruktiver Hinsicht als Meisterwerke der Moderne. Die haustechnischen Anlagen im Keller des Gebäudes weisen jedoch eine gänzlich andere Formensprache als die Ausstellungsräume auf. Nur durch den immensen Einsatz leistungsstarker Kli- Abb. 5: Integrale Planungsprozess / Einfluss [TU Darmstadt, FG_ee] matechnik lässt sich das für Museumsräume erforderliche Raumklima herstellen. Die Abbildung zeigt die Einflüsse, die ein energieoptimiertes Gebäudekonzept beeinflussen und die eine effiziente und nachhaltige Architektur prägen. Die grundlegenden Eigenschaften einer optimierten Bauweise sind die Minimierung des Energiebedarfs und die Optimierung der Energieversorgung. Die aufgeführten Randbedingungen können in Informationen und deren Handlungsfelder aufgeteilt werden. Als Beispiel werden hier kurz zu jedem Bereich der Randbedingungen zwei Themen Abb. 3 (links): Teilansicht Neue Nationalgalerie, dargestellt. Abb. 4 (rechts): Technikzentrale, Neue Nationalgalerie, Berlin (1968) Mies van der Rohe 2.1 Klima Sonnenbahnverlauf - Optimierung des sommerli- Der Fortschrittsglaube der Moderne, die Bereit- chen Wärmeschutzes stellung komfortabler Lebensbedingungen durch Hohe Temperaturwerte - Thermische Qualität der Technik zu gewährleisten – unabhängig von äu- Gebäudehülle ßeren Bedingungen und inneren Anforderungen – hat letztendlich isolierte, von den vielfältigen Wechselbeziehungen abgelöste Architekturen mit 2.2 Nutzung Zielvorgaben für sommerlichen Wärmeschutz – enormen Energieverbräuchen hervorgebracht. Raumtemperatur und Temperaturspreizung Anforderung an beheizte Flächen – minimale und 2 Grundlagen für effiziente Gebäudekonzepte Um diesem Weg dauerhaft und nachhaltig für die maximale Temperatur kommenden Generationen entgegen zu treten, 2.3 Recht Bebauungsplan – Optimierung der Flächennut- sind neue Überlegungen und Konzepte für eine zung und Orientierung ressourcenschonende Bauweise und somit einer DIN 18599 – Wärmequellen und –senken nachhaltigen und effizienten Architektur erforderlich. ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1195 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE NACHHALTIGE, ENERGETISCHE GEBÄUDEKONZEPTE 2.4 Gestaltung Umgebende Bebauung und Makroklima – Gestal- Für die Entwicklung effizienter und nachhaltiger tung in Verbindung mit Nutzung von Umwelt- spiel von aktiven und passiven Systemen erforder- energien lich. Hierbei ist den passiven Systemen Vorrang Verhältnis Nutzfläche zu potentieller Solarfläche – einzuräumen um in der Regel die besten Ergeb- Anteil transparenter Wandflächen nach Himmels- nisse zu erzielen. Im Folgenden werden die richtungen 10 Bausteine des energieoptimierten Baues näher Gebäudekonzepte ist das optimierte Zusammen- dargestellt. Die nachfolgenden Grafiken stellen die Abhängigkeiten und die erforderlichen Randbedingun- 3 Anwendung der Energiethemen gen und Maßnahmen sowie die betreffenden Energiethemen für die Planung effizienter Ge- 3.1 Wärme erhalten Grundlage für effiziente Gebäudekonzepte ist im bäudekonzepte dar. Bereich Wärme der Erhalt und die optimierte Wärmegewinnung. Die Minimierung des Wärme- Tab. 1: integraler Planungsprozess / Anforderungen [TU Darmstadt, FG_ee] bedarfes lässt sich im Holzbau sehr gut umsetzen. Im Verhältnis zur Massivbauweise werden auf gleicher Wandgrundfläche wesentlich bessere Dämmstandards erreicht. Gleiche Dämmleistungen lassen sich im Holzbau mit geringeren Wandquerschnitten erzielen. Somit wird auf gleicher Gebäudegrundfläche mehr nutzbare Fläche generiert. Die fünf Energiethemen können in die Bereiche Energiebedarf und Energieversorgung unterteilt werden, wobei zu beachten ist, dass der Energiebedarf zu minimieren und die entsprechende Energieversorgung für den Restenergiebedarf zu optimieren ist. Nachhaltige energetische Gebäudekonzepte können so bereits in der Entwurfsphase generiert werden. Tab. 2: 10 Bausteine des energieoptimierten Bauens nach Energiethemen [TU Darmstadt, FG_ee] 3.2 Wärme effizient gewinnen Die Gewinnung des Restwärmebedarfes sollte möglichst effizient und ressourcenschonend gedeckt werden. Dies kann durch thermische Solaranlagen oder durch geothermische Wärmepumpenanlagen erfolgen. Kombinierte Systeme können entsprechende Synergien für Wärmeversorgung und Warmwasserbereitung erzeugen. Die Anwendung von Pellet-Anlagen ist im Bereich der Niedrigstenergiehäuser oder Passivhäuser nur schwer möglich. Da der Pelletkessel wesentlich höhere Temperaturen erzeugt als für die genannten Gebäudetypen erforderlich ist. Daher ist diese Anlage für diese Gebäudetypen als nicht optimal einzustufen. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE NACHHALTIGE, ENERGETISCHE GEBÄUDEKONZEPTE 3.3 Überhitzung vermeiden Abb. 8: Semitransparente Überdachung als solaraktivierter Sonnenschutz [TU Darmstadt, FG_ee] Dies lässt sich in den meisten Fällen im Holzbau Abb. 6: ähnlicher Sonnenverlauf auf der Nordhalbkugel [Hegger et al. 2007, S. 54] nur in abgeminderter Form erreichen. Der Holzmassivbau bietet hier das größte Potential. Aber auch hier ist die Speicherfähigkeit nur begrenzt verfügbar. Neue technische Möglichkeiten mit PCM Materialien (Phase Change Material) ermöglichen eine gleichwertige Speicherfähigkeit wie im Massivbau. Entsprechende Forschungen im Bereich der Plattenwerkstoffherstellung versuchen die Integration dieser Materialien in Holzfaserplatten. Somit wäre eine Anwendung im Innenraum ohne Gipsbauplatte möglich, was dem Holzbau zu gute käme. Abb. 7: Sonnenstanddiagramm für 51° nördlicher Breite (jeweils am 21. jeden Monats) [Hegger et 3.4 Wärme effizient abführen Die aufgeladenen Speichermassen müssen in der al. 2007, S. 54] Nacht durch eine ausreichende Querlüftung wie- Einer Überhitzung der Innenräume muss im über Kühldeckensysteme erfolgen, die z.B. über Sommer zwingend vorgebeugt werden. Dies ist am effizientesten durch Verschattungssysteme oder bauliche Maßnahmen zu erreichen. Sofern diese Maßgaben nicht greifen oder nicht im erforderlichen Maße vorhanden sind, ist eine Einspeicherung der überschüssigen Wärme in Massespeichern im Innenraum erforderlich. der entladen werden. Die Entladung kann auch bivalente Wärmepumpensysteme im Sommer mit Kaltwasser versorgt werden. Nur bei einem optimalen Zusammenspiel dieser Systeme kann die gewünscht Wirkung dieser Materialien und Bauteile sicher gestellt. 3.5 Natürlich lüften Mit dem Bereich, Wärme effizient über eine ausreichende natürliche Querlüftung abzuführen, ist ein wichtiger Beitrag der natürlichen Lüftung von Gebäude beschrieben. In den Zeiten, einer geringen Temperaturdifferenz zwischen Innen- und 1196 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1197 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE NACHHALTIGE, ENERGETISCHE GEBÄUDEKONZEPTE Außenluft ist die natürliche Lüftung soweit möglich, der maschinellen Lüftung vorzuziehen. Dies reduziert den Energieaufwand und schafft einen Bezug zwischen Außen und Innen. 3.6 Effizient maschinell lüften Zukünftige gesetzliche Anforderungen an Gebäude fordern eine weitere Reduzierung der aufzuwendenden Energie im Bereich der Gebäudeunterhaltung und damit auch eine höhere Dichtheit der Gebäudehülle. Dies führt zu einer ausgeprägteren technischen Lösung zur Lüftung des Gebäudes. Diese ist aber in der Regel nur für extreme Situationen erforderlich, wie bei hohen oder niedrigen Außentemperaturen. In diesen Fällen ist das Gebäude mit entsprechend temperierter Frischluft zu versorgen um einen Behaglichkeitsverlust zu vermeiden. 3.7 Tageslicht nutzen Mit der Positionierung von transparenten oder transluzenten Bauteilen in der Gebäudehülle wird wesentlich auf die Tageslichtnutzung eingewirkt. Die richtige Anordnung von Öffnungen erhöht die Tageslichtausbeute bei diffusen Wetterlagen sowie in Wintertagen auch die solaren Gewinne. Dies führt zu einer Reduzierung des Energiebedarfes für Wärmeerzeugung und Beleuchtung. Abb. 10: Nachtsimulation, geschlossene Fassade mit Innenraumbeleuchtung [TU Darmstadt, FG_ee] 3.8 Kunstlicht optimieren Die Optimierung des Kunstlichteinsatzes bezieht sich im Wesentlichen auf die Anwendung im gewerblichen Bereich wie Bürogebäude oder Shoppingmalls, da hier bis zu 80 % der Energie für die Beleuchtung aufgewendet werden muss. Im Wohnungsbau nimmt der Strombedarf durch Beleuchtung im Verhältnis auch weiter zu. Die immer geringer werdenden Energiebedarfe sorgen für eine Verschiebung der Verhältnisse, sodass Strom eine immer größere Rolle in der Gesamtbilanz einnimmt. 3.9 Strom effizient nutzen Gebäude ohne einen Strombedarf sind heute noch nicht vorstellbar. Umso wichtiger ist der effiziente und reduzierte Einsatz dieser Energiequelle. Strom wird im deutschen Strommix mit einem Primärenergiefaktor von 2,7 angegeben. Das bedeutet, dass für eine Kilowattstunde Strom in Deutschland 2,7 Kilowattstunden Energie für die Produktion aufgewendet werden müssen. 3.10 Strom dezentral gewinnen Die stetig steigende Zahl von privaten Photovol- Abb. 9: Ansicht Südfassade, Solardecathlon taikanlagen auf oder am Gebäude lässt die de- 2007, TU Darmstadt [TU Darmstadt, FG_ee] zentrale Stromversorgung permanent ansteigen. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE NACHHALTIGE, ENERGETISCHE GEBÄUDEKONZEPTE Abb. 11: Bildausschnitt der Photovoltaikfassade, Beitrag Solardecathlon 2009, TU Darmstadt [TU Darmstadt, FG_ee] Die privaten Betreiber speisen den erzeugten Strom in das öffentliche Netz und beziehen dafür die gesetzlich geregelte Einspeisevergütung. Im Gegenzug entnehmen Sie dem öffentlichen Stromnetz den erforderlichen Strombedarf. Die Differenz zwischen Einspeisevergütung und Strompreis dient der Finanzierung und der Rendite der Anlage. Somit wird durch die dezentrale Stromproduktion der CO2 Ausstoß gemindert. 1198 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1199 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN 14.1 Besondere Gebäudekonzepte Bauen mit Raummodulen Gerhard Lutz aber fast ausschließlich in konventioneller Mauerwerks oder Betonbauart errichtet wird. Die Er- 1 Ausgangslage Die Menschen in Deutschland sind mobiler ge- richtung von Mehrfamilienhäusern, selbst solche worden. Arbeitsplätze sind nicht mehr dort wo ne Domäne der herkömmlichen Bauindustrie ge- der Wohnort ist, das Berufseintrittsalter hat sich blieben. von Bauhöhen unter 15 m, ist in Deutschland ei- erhöht und Berufsbiographien gravierend verändert. Dazu kommen der demoskopische Wandel und die damit verbundene Alterung der Gesell- 3 Mobiles Bauen mit Containern Parallel zu dem regulären Baugeschehen hat sich schaft. Dieser Umstand verlangt auch von Ge- eine Branche etabliert die mit mobilen Einheiten bäuden mehr Flexibilität. Wo heute ein Gebäude temporären Raumbedarf befriedigt. Dabei sind als Kindergarten genutzt ist, wird morgen die die ursprünglich sehr einförmigen Baustellencon- Kindertagesstätte gebraucht, aus der Schule wird tainer einer beachtlichen Formen und Formatviel- vielleicht eine Hochschule oder am Ende die Al- falt gewichen. Allein in Deutschland bieten tentagesstätte. 123 Firmen ihre Dienste als Lieferanten von Raummodulen an. Der Jährliche Markt für neu Die landläufige Vorstellung, dass Gebäude für die produzierte Container wird auf 170.000 Einhei- „Ewigkeit“ gebaut sind, muss revidiert werden ten geschätzt. Dabei werden nicht mehr nur Lö- auch Angesicht der Tatsache, dass wir relativ sung für den Baustellen oder Werkseinsatz gebo- neue Bausubstanz bereits nach wenigen Jahr- ten sondern durchaus auch individuell gestaltete zehnten Standzeit aufwändig beseitigt haben. Gebäude zusammengestellt. Dies waren nicht nur die Plattenbauten der ehemaligen DDR sondern auch unflexible, nicht wirt- Das für die Herstellung von Containern überwie- schaftlich umnutzbare Mauerwerks- und Stahlbe- gend verwendete Material ist dem Vorbild „See- tongebäude in ganz Deutschland. container“ geschuldet: der Baustahl. Typischerweise sind die Produzenten der Container in dem 2 Holzfertigteilwerke produzieren Einzelstücke Die in Deutschland in den letzten 50 Jahren ent- industriellen Bereich des Stahlbaues, Maschinen- standenen Fertigteilwerke für Holzhäuser liefern durch werden die relativ hohen Kosten des Bau- fast ausschließlich individuell geplante Einzelstü- stahls offensichtlich noch aufgefangen. Die typi- cke für den Ein- oder Zweifamilienhausmarkt. Die schen Nachteile des Werkstoffes Stahl: Hohe ursprüngliche industrielle Herstellung von gleich- Wärmeleitfähigkeit, geringer Brandschutz, hoher förmigen Typenhäuser ist dabei einer fast hand- Herstellaufwand und geringe „Wohnakzeptanz“ werklichen Fertigung gewichen. Das hat dazu ge- beschränken allerdings eine weiterverbreitete führt, dass der noch vor 20 Jahren vorhandene wohnwirtschaftliche Verwendung der „Stahlcon- Kostenvorteil der seriellen Fertigung, im Wettbe- tainer“. oder Fahrzeugbau angesiedelt und gewohnt serielle Herstellungsverfahren anzuwenden. Da- werb zur Baustellenproduktion verloren gegangen ist. Dies führt zu der paradoxen Situation, dass das freistehende individuelle Einfamilienhaus 4 Alternative: Holzbasierte Raummodule Biegesteife, sich selbsttragende Raumeinheiten als Einzelfertigung in hochmechanisierten Fabri- können sowohl technisch als auch wirtschaftlich ken produziert wird, das gleichförmige, aus wie- aus holzbasierten Bauteilen hergestellt werden. derholenden Bauteilen bestehende, Reihenhaus 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN Die dafür notwendigen Technologien sind im Holzbau vorhanden: - 6 Konstruktion des Raummodules (eingetragene Marke: StudyCase) Großserielle, hocheffiziente Herstellung von Holzgroßtafeln - Industrielle Ausformung von Tragwerksstäben - Hoher Vorfertigungsgrad in den bewährten Holzfertigteilwerken - Hochbelastbare Systemverbinder für die Ausbildung von Tragwerksknoten - Zulassung von Gebäuden in den deutschen Landesbauordnungen - bis zur Gebäudeklasse 4 (in Baden-Württemberg bis zur GKL 5) und damit - bis zur Hochhausgrenze von zur Zeit 22 m - neue Holztechnologien wie z.B. Brettsperrholz, Holzkastenelemente - sind wirtschaftlich verfügbar - Kombinationsfähigkeit mit Metall und / oder Stahlbetonkonstruktionen Dabei kann Holz seine werkstoffspezifischen Vorteile anwenden: - extrem günstiges Gewicht / Nutzlastverhältnis - hohe Elastizität - gute Wärmedämmeigenschaften - geringster Primärenergieaufwand aller Kon- Abb. 1: Prototyp Juli 2005 Jedes der verbauten 170 Raummodule besteht aus einer Bodenplatte aus Stahlbeton. Die in „Kopflage“ hergestellten Fertigbetonplatten wurden werkseitig mit der Heizleitung für die Fußbodenheizung ebenso versehen wie mit geschweißten Stahlschlössern die als Montagehilfe und Auflagerelement die übereinander zu stapelnden Module verbinden. Durch das Rütteln des Betons in der Schalung entsteht auf der „Gutseite“ der Platte eine belagsfertige Oberfläche. struktionsbaustoffe - leichte Bearbeitbarkeit - hohe, weltweite Verfügbarkeit - systembedingte Zerlegbarkeit 5 Über den Prototypansatz hinaus Bespiel: Studentenwohnheim Konstanz, Baujahr 2007 Bisherige serielle Holzraummodule sind häufig Abb. 2: Stahlbetonbodenplatte - Fußbodenhei- nicht über den Prototypstatus hinaus zur bau- zung technischen Verwendung gekommen. Deshalb lohnt es das Bauprojekt in Konstanz bei einem fünfgeschossigen Wohngebäude für 167 Studenten näher zu betrachten. Dabei sind gleich mehrere „Neuigkeiten“ umgesetzt worden die es lohnt dem Fachpublikum vorzustellen. 1200 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1201 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN Auf der Fensterseite des Appartements ist in die Holztafel ein raumhohes doppelflügliges Element verbaut, das im Rastermaß die Plattenfassade aufnimmt. Den Außenabschluss bildet ein neuentwickeltes Rolladenaufsatzbauteil, das die Funktion Fensterabdeckung, Fensterleibung und französischer Balkon in einem übernimmt. Mit einer angeformten umlaufenden Blechschürze ist die neuralgische Fuge zwischen Fenster und FasAbb. 3: Stahlbetonbodenplatte – 16 cm stark Die tragenden Seitenwände der Räume bestehen aus klassischen Holzgroßtafeln nach DIN 1052. Damit die hohen Einzellasten aufgenommen werden können sind an den Raumecken und je in der Mitte des Moduls die Holzstützen durchgehend. sade höchst einfach und dauerhaft entschärft. Auf der Flurseite sind neben der Apartmenttür die Versorgungsleitungen für Heizung, Lüftung, Sanitär und Elektroinstallation angeordnet. Der werkseitige Vorfertigungsgrad mit in die Wandelemente eingebauten Rohrlängen beschleunigt die Modulmontage. Dabei in mit einer max. Anmessung der Mittelstütze von 12 / 42 cm kein für Brettschichtholz unübliches Maß erreicht. Durch die innenseitige Beplankung der Tafeln mit zwei Gipsfaserplatten, der Füllung der Wandgefache mit Mineralfaserdämmung und der Beplankung der Modulaußenseite mit Holzwerkstoffplatten wurden die Tafeln F90 B tauglich. Die Gipsfaserplatten konnten erstmalig im großtechnischen Einsatz von dem Lieferanten in Raumhö- Abb. 5: Installationswand - Verlegung der Leitun- he und 6 m Länge geliefert werden, so dass in gen den Räumen kein Plattenstoß entsteht.) Jedes der Einzelapartments und jedes zweite Model der Doppelapartments ist mit einem voll ausgerüsteten Duschbad versehen. Dazu wurden fertig vormontierte Badezellen verbaut, die auf der Innenseite bezugsfertig sind und mit den Steigsträngen der Ver- und Entsorgungsleitung gekoppelt werden. Die raumseitige Verkleidung der Nasszelle übernimmt das Einbaumöbel für Pantryküche, Garderobenschrank, Bettschrank und integrierter den Abb. 4: Längswand - Wendetisch am Band Wohnbereich abteilenden Schiebetür. (Abb. 6, 7) Für die Zweiraumappartements wird eine wand- 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN dicke Feinspanplatte als nichttragende Innenmen Tafeln aus KVH und beidseitiger Gipsfaser- 7 Herstellung der Raummodule mittels Feldfabrik Für das Zusammensetzen der Einzelbauteile zu plattenschale zum Einbau. einer montagefertigen Einheit wurde eine Pro- wand verwendet, für den Deckenabschluss kom- duktionsmethode entwickelt, die aus der Serienfertigung besonders des Fahrzeugbaues bekannt ist: das Fließband. Einheiten mit gleichen oder ähnlichen Abmessungen lassen sich durch eine verkettete Abfolge von Tätigkeiten deutlich preiswerter herstellen als es die Einzelfertigung ermöglicht. Dabei lohnt sich ab einer Losgröße von >100 Einheiten auch das separate Einrichten einer eigenen Fertigungstrasse. Dazu bietet sich häufig, so auch in Konstanz, die unmittelbare Nähe zum Aufstellort der Module an. Für die Baustelle an der Rheingutstraße wurde dazu die zukünftige Parkplatzfläche des Wohnheimes genutzt. (Abb. 8) Die Baustelle Studentenwohnheim benötigte arbeitstäglich bis zu acht Raummodule auf die, die Produktionskapazität der Feldfabrik auszulegen war. Für die witterungsgeschützte Produktion der Raumzellen wurden dazu zwei Abb. 6: Pantryküche Zelte errichtet, mit unterschiedlichen Traufhöhen. Während das erste Zelt giebelseitig offen aufgestellt wurde, hat das zwei, niedrigere Zelt allseitig geschlossene Wände und wurde witterungsbedingt beheizt. Abb. 7: Wohnraum Die Größe der Raummodule richtete sich nach den Vorgaben des Bauherrn der für jeden Studenten eine Wohnfläche von ca. 20 qm gefordert hatte. Die sich daraus ergebenden Außenabmessungen bei einem Achsraster 3,25 x 3,25 m ergibt bei einer Transportbreite von 3,40 m, einer Länge von Ca. 6,80 m und einer Masse von 13 t (130 KN) die Möglichkeit zwei Module auf mit einer LKW Fuhre zu versenden. Abb. 8: Feldfabrik / Studentenwohnheim 1202 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1203 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN Der Weitertransport der Module erfolgt auf einer „Gleisanlage“ aus Kanthölzer mit einer Spurweite von 2,50 m und je Modul vier untergelegte Schwerlastrollen. Durch die Verlegung Bahn im Gefälle konnte weitgehend manuell geschoben werden. Die Betriebzeit der Fabrik betrug acht Arbeitswochen wobei je eine Woche für den Aus- und Abbau der Einrichtung und eine Woche für das Teamtraining an den Arbeitsplätzen verwendet wurden. Abb. 10: Linienfertigung aus insgesamt sieben Montageplätzen An sieben eingerichteten Spezialarbeitsplätzen wurden je zwischen zwei und vier Mitarbeiter eingesetzt um die nach REFA Grundsätzen geplanten Arbeitsgängen zu verrichten. Das Montieren der schweren Boden, Wand und Raumzelle erfolgte mittels Mobilkran am Arbeitsplatz ein und zwei, das Auflegen der Deckenelemente am Arbeitsplatz drei mittels ortsfestem Klein- schwenkkran, das Innenfinish und die Installationsarbeiten in den Modulen an den Plätzen fünf Abb. 11: Transport Raummodul: 20 t Schwerlast- und sechs sowie das Aufnehmen der Module am stapler Arbeitsplatz sieben und das Zuführen zur Baustelle mittels geländegängigem Containerstapler. Für Konnte in den ersten Arbeitswochen die Planvor- den Platzwechsel wurde eine Taktzeit von zwei gaben der Fabrik noch nicht erreicht werden, war Stunden vorgegeben. nach drei Wochen Einlaufzeit aber die Kapazität erreicht. Die Herstellung der Module erfolgte im Wesentlichen „Just in Time“, d.h. die Produktionsfolge der Fabrik war mit der Montagefolge an der Baustelle abgestimmt. Allerdings waren Lieferengpässe der Vorlieferanten durch die besondere Situation der „Jahresendralley“ 2006 unvermeidlich. Deshalb musste zum Beispiel das Anbringen der Unterkonstruktion und der Außenfassade von der Feldfabrik auf die Baustelle verlegt werden. Abb. 9: Montage der Sanitärzelle 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN Außenabmessungen 8.2 Aufstapeln der Raummodule Die vorgefertigten Studentenapartments sind 62 x 19 m und einer Bauhöhe von 14 m einem Stockwerksweise beginnend auf der Bodenplatte Bauvolumen von ca. 17.500 cbm umbautem reihum mittels Mobilkran zu versetzen. (Abb. 7) Raum schafft Raum für 166 Studenten Dazu werden die Module an den die Module 8 Hochbaukonzept Das Gebäude mit den „überragenden“ Holzstützen oben angehängt. Vor dem Aufsetzen wird zwischen die Auflagerpunkte der Module exakt dimensionierte Sylomerlager gelegt, die eine Schallentkopplung der einzelnen Apartments bewirken. (Abb. 1) Vorgabe an den Schallschutz ist Mehrfamilienhausstandard. Deshalb wird zwischen Oberkante Deckenplatte und Unterkante der darüber liegenden Bodenplatte ein Scheibenabstand ca. 15 cm hoher Scheibenabstand gewählt. Nachdem täglichen Arbeitspensum von acht Modulen kann der MoAbb. 12: Tragwerksplanung bilkran umgesetzt werden. (Abb. 11, 12) Die Arbeiten sind in fünf zum Teil gleichzeitig laufende Baulose realisiert. 8.1 Gründungsarbeiten Der am Seerhein gelegene Bauplatz in Konstanz hat den bekannt schwierigen Baugrund, der eine Baugrundverbesserung mittels Rüttelstopfpfählen erforderte. Die auf ca. 100 Pfählen und einem verdichteten Kiesbett gelagerte Stahlbetonbodenplatte mit einer Stärke von 35 cm konnte Abb. 14: Feldfabrik zwei Monate nach dem 1. Spatenstich im Oktober 2006 an einem Stück gegossen werden. Abb. 15: Aufbau des 5. Geschosses Abb. 13: Bewehrung Bodenplatte 1204 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1205 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN 8.3 Montage der Treppenhäuser und Flure Zwischen die Raummodulzeilen werden Stahlbetonwandelemente, Deckenplatten und Treppenläufe so montiert, dass diese selbsttragend, ohne Kontakt zu den Raummodulen stehen. Auch hier ermöglicht eine ausgeklügelte Bauteilgeometrie, dass mit wenigen Plattenformaten gearbeitet werden kann. Die Verwendung von Stahlbeton für die Treppen und Flur stellt sich als die ökoAbb. 16: 170 montierte Raummodule nomisch günstigste Baumethode dar die hohen Anforderungen des Gebäudebrandschutzes zu erfüllen. Das Gebäudekonzept sieht unbeheizte, Außenluft durchströmte Flure zu mit zwei jeweils an den Gebäudegiebeln angeordneten Treppenhäusern. Abb. 18: Etagenflur In der Gebäudemitte wird ein Brandabschnitt angeordnet. Dazu werden die angrenzenden Apartments je einseitig zusätzlich mit Gipsfaserplatten und eingelegten dünnen Stahlblechen „aufgerüstet“, in die Flure geschlossene Stahlbetonscheiben und geforderte Türen eingesetzt. Abb. 17: Detailzeichnung- Elastomerauflager 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN Abb. 19: Grundriss Abb. 20: Verblockung Schnitt durch vier Module Abb. 21: Vertikalschnitt durch Lagesicherung 1206 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1207 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN Am Ende der Hochbaumontage Anfang Dezember 2006 werden je vier Raummodule mittels „Zugstange“ in Deckenebene an die Stahlbetonflure rückverankert. Abb. 24: Dachbegrünung Die Entwässerung des Daches erfolgt mittels in den Fluren sichtbar angeordneten Fallrohren. Die Montage des Daches endete im Dezember 2006. 8.5 Versorgung des Gebäudes Die Versorgung der Apartments erfolgt SteigAbb. 22: Detailzeichnung- Zugstab Sichtbetonscheiben am Haupt- und Nebeneingang tragen die Vordachanlagen. und Fallsträngen je auf der Flurseite angeordnet für die fünf übereinander stehenden Module. Dabei wurde der Elektroanschlussraum in dem letzten Obergeschoß in dem giebelseitigen Eckmodul angeordnet und die Zuleitungen unter der Dachebene im Flur geführt. Eine abgehängte Decke sichert den Fluchtweg. Die Wasser- und Heizungszuleitungen sind auf der statischen Bodenplatte verlegt und im Flurbereich mit einem Glattstrich abgedeckt. Die Heizzentrale und der Wasseranschluss sind im Erdgeschoßeckmodul vorgenommen. Das darüber liegende Modul im ersten Geschoss nimmt den Raum für die Waschmaschinen der Bewohner Abb. 23: Hauszugang auf. Für die Hausverwaltung ist das Eckmodul am Haupteingang vorbehalten. 8.4 Dach Den Gebäudeabschluss nach oben bildet ein auf- Die hoch wärmegedämmte Gebäudehülle und gelegtes begrüntes Flachdach aus einer im A- die in den Modulbodenplatten eingebauten Heiz- partmentbereich wärmegedämmten Holzbalken- schlangen ermöglichen die Beheizung des Ge- lage. Rauchoffene Oberlichter sollen zusätzlich bäudes mittels Sole-Wasserwärmepumpe. Die da- Tageslicht in die darunterliegenden Flure bringen. für notwendigen Bohrungen wurden nach Abbau der Feldfabrik niedergebracht und mittels Erdleitung an das „Heizmodul“ angeschlossen. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE BAUEN MIT RAUMMODULEN Der Bezug des Gebäudes erfolgte Anfang April Das eine Hochbaustelle auch mit einem „Kletter- 2007. zelt“ witterungsgeschützt werden kann machen uns jüngst die Schweden bei dem neungeschos- 9 Resümee und Ausblick Ein Gebäude in derart kurzer Zeit zu bauen stellt sigen Wohngebäude vor. Hier ist noch Entwicklungspotential vorhanden. allein eine beachtliche Leistung dar. Rechnet man dazu, dass sowohl während der Planung als auch Die Baustelle in Konstanz aber hat gezeigt, dass während der Bauphase ständig noch Neuland be- mit der Fertigungsmethode „Feldfabrik“ und treten wurde und „Erfindungen“ gemacht wur- „Raummodulen aus Holz / Beton an beliebigen den wird die Größe der Aufgabe klar. Bauorten (nicht nur in Deutschland), auf schlechtem Baugrund und in Erdbebenzonen rasch Wo die Planer gemeint hatten auf die Zulieferin- hochwertiger dustrie zurückgreifen zu können (Steckelemente kann. Nicht nur für Studenten! für Wasser und Elektroverbindungen oder Stahlverbinder für die Module) wurde Sie nicht oder noch nicht fündig. Wohnraum hergestellt werden 1208 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1209 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE ANFORDERUNGEN AN DEN WOHNUNGSBAU DER ZUKUNFT 14.1 Besondere Gebäudekonzepte Anpassungsfähig, funktional, kommod, nachhaltig: Anforderungen an den Wohnungsbau der Zukunft (… und was der Baustoff Holz dazu beitragen mag …) Robert Kaltenbrunner graphischer Wandel‘: In immer mehr Regionen Deutschlands besteht kein baulicher Erweite- 1 Allgemeines Der Kulturkritiker Wend Fischer hat einmal mit rungsbedarf mehr. Wie kann das Wohnen sol- Blick auf den Wohnungsbau empfohlen, „dass gebaut ist? Darf man sich der Hoffnung hinge- das Brauchen dem Machen vorangeht, dass der ben, dass bei geringerer wirtschaftlicher Dynamik Gebrauch die Gestalt bestimmt, dass die Brauch- mehr Aufmerksamkeit für Qualität einkehrt, dass barkeit das Kriterium der Qualität ist. Diese Wahr- das Schlagwort von der „Masse statt Klasse“ sich heit konzentriert die Dinge und Bauten auf den umkehrt? Oder muss man damit rechnen, dass Menschen, der sie braucht; der Mensch ist der die lahmende Nachfrage bloß durch billigere Bau- Sinn ihrer Zweckbestimmung, hierin beruht ihre produktion angeschoben wird? Es wäre auszulo- selbstverständliche Humanität.“ Ganz in diesem ten, ob der Wohn- und Baubedarf sich nach den Sinne muss die Wohnarchitektur an jene Bautra- Regeln der Produktinnovation gestalten lässt, wo ditionen anknüpfen, die weniger fertige Lösun- über Produktdesign ziemlich zuverlässig neue gen anbieten, als vielmehr den Rahmen vorge- Nachfrage in Gang gesetzt wird. Wobei jede In- ben, der von den Nutzern erst noch auszufüllen novation das weit verbreitete Unbehagen gegen- ist. Weil die Individualisierung unter dem Stich- über dem Neuen berücksichtigen muss. chen Bedingungen folgen, wenn (fast) alles schon wort der ‚Erlebnisgesellschaft’ auch einen so sehr von Standardisierung bestimmten Bereich wie Um die weiteren Entwicklungen abschätzen zu den Geschosswohnungsbau erfasst hat, braucht können, muss man einen kurzen Blick zurück es zukunftstaugliche Konzepte. Und dabei kann werfen. Denn Rationalisierung und Standardisie- der Baustoff Holz durchaus eine gewichtige Rolle rung im Wohnungsbau begannen in Deutschland spielen. bereits in den ersten beiden Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts. Walter Gropius, der als damali- Obwohl ungefähr 60 % der Deutschen zur Miete ger Bauhaus-Direktor in Dessau-Törten mit dem wohnen, sind sie ein Volk von ‚Luxuswohnern‘. Thema Vorfertigung laborierte, hatte es 1924 Im Vergleich zu allen früheren Zeiten, in denen programmatisch formuliert: „Die menschliche Be- ein Großteil der Gesellschaft in vergleichsweise hausung ist eine Angelegenheit des Massenbe- katastrophalen Verhältnissen lebte, wurde im darfs. Genauso, wie es heute 90 Prozent der Be- 20. Jahrhundert der demokratische Traum wahr völkerung nicht mehr einfällt, sich ihre Beschu- gemacht, (fast) jeder Familie eine menschenwür- hung nach Maß fertigen zu lassen, sondern Vor- 1 dige Wohnung zu verschaffen. Was jedoch nicht ratsprodukte bezieht, die infolge verfeinerter Fab- heißt, dass man nicht auch anders wohnen, dass rikationsmethoden die meisten individuellen Be- man sich „verbessern“ möchte. Stichwort ‚Demo dürfnisse befriedigt, so wird sich in Zukunft der einzelne auch die ihm gemäße Behausung vom 1 1950 standen für 15,5 Millionen Haushalte nur 10 Millionen Wohnungen zur Verfügung (Bundesgebiet ohne Saarland), jede davon war von knapp fünf Personen belegt. Nur 20 % dieser Wohnungen hatte Bad oder Dusche. 1998 wohnten - bei rund 39 qm Wohnfläche pro Person, statistisch 2,2 Personen in einer Wohnung. Noch 1965 betrug die verfügbare Wohnfläche in der Bundesrepublik 22 qm/ Person, sie hat sich also in etwas mehr als dreißig Jahren noch einmal fast verdoppelt, obwohl inzwischen das Gebiet der DDR hinzugekommen ist. Lager bestellen können. Die heutige Technik wäre vielleicht schon dafür reif, die heutige Bauwirtschaft aber ist noch fast ganz an die alten handwerklichen Baumethoden gebunden, die Maschine spielt in ihr erst eine geringe Rolle. Die grundlegende Umgestaltung der gesamten Bauwirtschaft nach der industriellen Serie hin ist daher 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE ANFORDERUNGEN AN DEN WOHNUNGSBAU DER ZUKUNFT zwingendes Erfordernis für eine zeitgemäße Lö- ner Zwangsjacke. Minimalmaße wurden oft ge- sung des wichtigen Problems.“ nug als notwendige Maße missverstanden und mussten als Ausgangspunkt für den Entwurf her- Ideelle Ansätze dieser Provenienz bildeten eine halten. Die „Wohnung für das Existenzmini- neue Basis, wobei das Auto zum Inbegriff und mum“, so hieß es schon in den frühen 30er Jah- Katalysator eines übergreifenden Zukunftsmo- ren, ist zur Richtschnur, ja zum Ausgangspunkt dells wurde. Etwa zu dieser Zeit hatte Henry Ford für den Gestaltungswillen geworden. Das mag mit seiner Unternehmensphilosophie einen welt- überzeichnet erscheinen; andererseits jedoch weiten Prozess angeschoben, der auch und gera- muss man fragen: Warum ist die Binnendifferen- de auf der Ebene des Bauens seinen Niederschlag zierung unserer heutigen Sozialbau- oder Miet- fand. Der ‘Fordimus’ wurde, zumindest in wirt- wohnungen oder auch des Eigenheims in der Re- schaftlicher und politischer Hinsicht, enthusias- gel kaum weiter fortgeschritten als im Nürnber- tisch aufgenommen. Als Fords Buch „Mein Leben ger Stadthaus der Dürerzeit oder ein Jahrhundert und Werk“ 1923 in Deutschland erschien, galt es später in den Niederlanden? in der von Verarmung und Inflation gekennzeichneten Nachkriegszeit vielen als eine Heilslehre. Aller Intensität und Kreativität zum Trotz, die Die Analogie der Wohnung „als Maschine“ ging namhafte Architekten seit einem Jahrhundert im dabei auf den Ford-Verehrer Le Corbusier zurück. Entwurf von Wohnungen und Wohnhäusern an Wobei in diesem Assoziationsbereich ein Aspekt den Tag gelegt haben, sind deren Grundkonstan- eine ganz wesentliche Rolle spielte: Das Durch- ten nicht aus den Angeln gehoben worden. Bei setzen der sozialen Massenwohnung. Dahinter allen kulturellen Differenzierungsleistungen im Er- stand die Vorstellung, Häuser wie Autos zu pro- scheinungsbild und im Gebrauch, ist das Wohnen duzieren. Zunächst konnte man damit durchaus eine anthropologische Konstante, ein Teil des Be- Erfolge zeitigen; spätestens mit dem Bau von dürfnishaushaltes geblieben. Mit Sicherheit hat Großsiedlungen aber wurde viel Akzeptanz ver- IKEA das zeitgenössische Wohnen stärker beein- spielt. Die Unbedingtheit des industriellen Bau- flusst als die Werke und Konzepte irgendeines ens, die Rigidität einer Bauform, die in scheinbar Baumeisters. endloser Addition gleicher Bauelemente den Schwellenwert einer überschaubaren und be- Wobei das mit den Wohnbedürfnissen so eine greifbaren Ordnung häufig überschritt, desa- Sache ist. Nicht nur ausreichend groß, bezahlbar vouierten Aspekte wie Vor- oder Serienfertigung und kommod, auch flexibel soll es sein, das eige- beim Bauen recht nachhaltig. ne Heim. Sich in stärkerem Maße an sich verändernde Lebenssituationen anzupassen, ist als De- Nicht sehr viel besser war es um die Grundrissge- 2 siderat seit langem erkannt und benannt. Die staltung bestellt. Zwar hatten die Architekten seit den 20er Jahren das Wohnen als ‚ihre’ Aufgabe entdeckt: Sie wollten Haus und Wohnung nach rationell-funktionalen, ihnen als vernünftig erscheinenden Gesichtspunkten gestaltet wissen. Aber ganz selbstverständlich nahmen sie an, dass sich die Menschen ebenfalls nach diesen Maßstäben erziehen lassen werden. Was als „befreites Wohnen“ proklamiert wurde, ähnelte alsbald ei- 2 Im allgemeinen ist unter Flexibilität die größenmäßige Veränderung der, Binnenstruktur‘ einer Einheit angesprochen. Stellt man sich die Wohnfläche als konstante Größe vor, ihre Umfassung als fixiert, so obliegt es dem Bewohner, durch Nutzungs- und Zustandsänderungen (wie Durchbrechen einer Tür; Einziehen einer Wand etc.) veränderte Bedingungen zu artikulieren. Dazu müssen die ‚konstanten‘ konstruktiven Elemente möglichst reduziert und die Installationsanschlüsse an optimalen Punkten angeordnet werden. Demgegenüber meint Variabilität die Expansions- und Reduktionsmög- 1210 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1211 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE ANFORDERUNGEN AN DEN WOHNUNGSBAU DER ZUKUNFT nicht determinierten Räume von Gründerzeit- ken. Neben dem wachsenden Stellenwert, den wohnungen mit ihren mehrfachen Erschließun- die kostenminimierenden und flächensparenden gen bieten hier fraglos mehr als die - auf die ver- Aspekte einnehmen (müssen), liegt es nahe, für meintlichen Gebrauchsmuster der Kleinfamilie unübersehbare Individualitäten private Spielräu- abzielenden - Grundrisse des modernen Woh- me des Wohnens auszureizen. nungsbaus. Auch die Popularität, der sich Lofts bei einem bestimmten, meist freiberuflichem Unter solchen Bedingungen stehen Haus und Klientel erfreuen, spricht diesbezüglich Bände. Wohnung heute am Schnittpunkt von serieller Trotzdem muss man konstatieren, dass sich im Produktion und individueller Erscheinungsform; Wohnungsbau fast nur im „gehobenen“ Markt- sie sind damit zugleich professionell entwickeltes segment etwas bewegt - und dann eher im Servi- Produkt wie Heimat für einen Lebensabschnitt. ce-Bereich mit Doorman- oder in Boarding- Dabei stellt heute die Erweiterung des Rauman- House-Konzepten als bei der Realisierung flexibler gebots den Dreh- und Angelpunkt dar, von dem Wohnformen. der vorwiegend auf funktionalen Zusammenhän- 4 gen beruhende Standard in Frage gestellt wird. Offenkundig setzt die ‚Wohnungsproduktion‘ in Die Wohnung ist nicht mehr ausschließlich im Be- sich – programmatisch und entwerferisch – eine reich der Bedürfnisbefriedigung anzusiedeln, viel- Auseinandersetzung mit Widersprüchen voraus: mehr erwartet man heute von seiner Wohnung Individualisierung versus Massenproduktion, kul- Unterstützung bei der eigenen Selbstverwirkli- turelle Heterogenität versus regionale Identitäten, chung. Erlebnisansprüche, so der Soziologe Ger- gemeinsamer Raum versus funktionale Flächen- hard Schulze, „wandern von der Peripherie ins nutzung. Insofern kann der Wohnungsbau weni- Zentrum der persönlichen Werte; sie werden zum ger „Lösungen“ in Aussicht stellen, als mit wider- Maßstab über Wert und Unwert des Lebens sprüchlichen schlechthin und definieren den Sinn des Le- Besonderheiten experimentieren. Will man darin eine Standortbestimmung vorneh- 5 bens.“ . men, dann wäre das Machbare irgendwo zwischen Traumhaus und Fertighaus anzusiedeln. Nachdem bis in die 70er Jahre hinein der Wohnungsbau einem fordistischen Konzept folgte und Produzenten wie Architekten sich an der Durchschnittsfamilie und -wohnung leitbildhaft orientierten, müssen sich heutige Vorstellungen auf dem schmalen Grat zwischen ‘Norm’ und ‘Wunsch’ bewegen. Der Wandel gesellschaftli3 cher Rahmenbedingungen erzwingt ein Umden- lichkeiten einer Wohnung, d.h. ein wechselndes Flächenreservoir, um unterschiedlichen Anforderungen an den je nach Gusto und Belegung verschiedenen Flächenbedarf realisieren zu können. Da diese Unterscheidung im diskutierten Zusammenhang kaum relevant ist, werden beide Begriffe hier synonym benutzt. 3 Als Stichworte mögen genügen: sinkende Bevölkerungszahl, fortschreitende Alterung, kleinere Haushaltsgrößen, Veränderung der Arbeitswelt, zunehmende Mobilität, steigender Kostendruck, Individualisierung und Globalisierung, verschärfte Zweiteilung der Gesellschaft usw. 4 Als gedankliche Analogie sei hier nur auf das Reihenhaus im niederländischen Kontext verwiesen: Es steht für stadtnahes Wohnen ohne verpflichtende Nachbarschaft; zwar stiftet es wohl weniger Identität als das freistehende Haus, ist aber als Lebensabschnittshaus höchst alltagstauglich für eine Gesellschaft im Aufbruch. Relativ niedrige Baulandpreise werden durch eine zentrale Steuerung sichergestellt; rationelle Planung und Standardisierung, eine Bauorganisation und der Bauteam-Gedanke, die sich stark abheben beispielsweise vom deutschen System der Spezialisierung und Handwerksordnungen: Das sind die Hintergründe für die verhältnismäßig preiswerten, und damit gut vermarktbaren Ergebnisse im Nachbarland. (Wobei allerdings ein deutlich niedrigerer Ausbaustandard - geringere Achsbreiten, abgemagerte Grundstücke, kleinere Zimmer, keine Keller, fehlende Drehkippbeschläge, Weichholztreppen etc. - zu berücksichtigen ist.) 5 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt a.M. 1997, S. 59 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE ANFORDERUNGEN AN DEN WOHNUNGSBAU DER ZUKUNFT Gleichwohl, mittels ‚Funktionalisierung’ wird das lange Frist Geltung behalten, auf einen abge- vielschichtige mentale und psychologische Phä- schlossenen Kanon von Funktionen und Bedürf- nomen menschlicher Wohnbedürfnisse noch im- nissen zu beziehen. mer auf objektivierbare und messbare Zweckkategorien reduziert. „Zusehends werden die Be- In diesem Zusammenhang stellen sich zudem ei- dürfnisse des Menschen analysiert und kategori- nige Fragen, die vielleicht banal klingen, für den siert, und der Wohnungsbau wird auf ‚rationelle Erfolg aber von zentraler Bedeutung sind: Wie Bebauungsweisen‘ reduziert. Dies hat zur Folge, ordnet sich das eigene Haus ein in ein größeres dass die entwickelten Wohnungsgrundrisse un- Gefüge? Wie entstehen einfache Orientierungen? möglich noch etwas anderes beherbergen kön- Wo gibt es besondere Merkpunkte oder Wahr- nen als das unmittelbar vorgesehene Programm, zeichen der eigenen Lebenswelt? Welche Arten 6 das ihnen zugrunde liegt.“ Mit dieser von Max von Stadträumen werden durch die Gebäude ge- Weber als ‚Entzauberung der Welt’ bezeichneten schaffen? In welcher Form werden sie für die Be- Entwicklung verkümmert die Teilhabe des Men- wohner nutzbar? Wie werden sie erlebt und be- schen an seiner Wohnumwelt. Letztendlich wird wertet? In welcher räumlichen Beziehung sollen aus dem ‚Bewohner’ damit der ‚Nutzer’, dessen Autoverkehr und Fußgänger zueinander stehen? vitale Ansprüche an den Wohnbereich in der Wo kann man spazieren gehen, sich ausruhen, Scheinobjektivität einer planungskonformen Be- zuschauen, wo kann man am öffentlichen Leben dürfnis-Interpretation verlustig gehen. teilnehmen? Ist die Kinderwelt in die Lebenswelt der Erwachsenen integriert oder werden die Kin- Freilich gibt es eine Reihe objektiver Barrieren. So der abgedrängt in monofunktionale Spielberei- lässt es sich etwa empirisch nicht ableiten, ob che? Welcher Zusammenhang besteht zwischen man neue Wohnquartiere in ihrem äußeren Er- Bauformen, Materialwahl und der Veränderung scheinungsbild an möglichst egalitären Wertvor- der Umwelt mit dem Verlauf der Zeit? Wie wird stellungen orientiert oder ob man ein größeres eine Qualitätsstruktur der Wohnung und eine in- Maß an Differenzierungen der Wertigkeit einzel- nere Differenzierung von Siedlungen möglich? ner Gebiete und Gebäude zulässt. Auch die Entscheidung für offene, auf Kommunikation ange- Daraus lässt sich ableiten, dass „Neutralität“ der legte oder stärker die Privatheit betonende Bau- Bau- und Siedlungsstruktur ein ganz wesentliches formen ist das Ergebnis einer Wertung. Beide Kriterium ist. Sie mag auf dem ersten Blick den Komponenten, normative Vorstellungen und em- immer wieder geäußerten Bedürfnissen der Men- pirische Analyse von Nutzerbedürfnissen und schen nach konkreten, figürlichen, gutverständli- Nutzerverhalten, gehen als Rohstoff in den Ent- chen architektonischen und städtebaulichen Zei- wurf ein und bilden den Rahmen für den Einzel- chen, nach Vertrautheit, Wärme und Gefühl wi- investor. Dabei bleibt jede Empirie denknotwen- dersprechen. Doch gerade indem sie sich der un- dig auf Vorgegebenes bezogen. Sie kann insbe- mittelbaren sinnlichen Aneignung entzieht, be- sondere neue, noch in der Zukunft liegende Ent- freit sie das Bauen von der Einengung einer be- wicklungen nicht erfassen. Gerade weil es hier sonderen Aussage für eine besondere Kundschaft keine abgeschlossenen Antworten gibt, bleibt es in einem besonderen historischen Augenblick. immer gefährlich, sich bei Investitionen, die auf Zudem lädt diese Neutralität dadurch, dass sie an – oft vermeintlichen – Bedürfnissen rüttelt, zum 6 Kommentar von Felix Claus, in: Bauwelt 18/19, 2002, S. 15 kritischen Nachdenken ein; zuweilen zwingt sie sogar dazu. Den Bauträgern und Wohnungsun- 1212 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1213 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE ANFORDERUNGEN AN DEN WOHNUNGSBAU DER ZUKUNFT ternehmen aber wird damit einiges abzuverlan- nicht besser und nicht schlechter geworden, nicht gen sein: Dass nicht nur angeboten wird, was höherentwickelt und nicht degeneriert. Auch die gewünscht ist. Geräte des täglichen Lebens in seiner Umgebung sind deshalb die gleichen geblieben. - F: Und das Das Fundament eines heute zeit- und aufgaben- Automobil und das elektrische Licht? – A: Das adäquaten Wohnungsbaus müsste demnach eine Automobil ist noch immer nichts anderes als der größtmögliche Nutzungsneutralität bilden, was Sitz mit den vier Rädern darunter, und das elekt- jedoch Verschwommenheit rische Licht ist der leuchtende Punkt. Wie sie er- oder gar Indifferenz bedeutet. Sie erfordert im nicht strukturelle zeugt werden und mit welcher Geschwindigkeit Gegenteil typologische Festlegungen, die den Ge- sie funktionieren, ist nebensächlich. Das Haus brauch einer Baustruktur sinnvoll antizipieren aber ist das primitive Gerät geblieben, das es war, können. Es geht mit anderen Worten darum, eine weil sich sein Zweck nie geändert hat. Alle Neue- Lösung zu finden, die die jeweils möglichen Ver- rungen technischer Art können leicht hinzuge- wendungen der Baustruktur (auch) nach architek- fügt werden. Die Wohnart gleichgearteter Men- tonischen Gesichtspunkten konfiguriert: Erschlie- schen war immer die gleiche, sie können in alten ßung, Belichtung, Unterteilbarkeit, Möglichkeiten Häusern gleicher Art ebenso gut wohnen wie in der Zusammenlegung usw. 7 neuen, wenn sich die Lebensbedingungen nicht geändert haben. Das aber ist selten der Fall, wes- Mit großer Sicherheit werden die Wohnhäuser halb wir zu unseren raum- und zeitsparenden Er- der Zukunft vernetzt und in sich ‚mobil‘ sein, wird findungen greifen.“ 8 die Einbeziehung modernster Informations- und Kommunikationstechniken schon deswegen un- Ohnehin hat das Haus gegenüber öffentlichen abdingbar, weil das ‚Arbeiten‘ von zuhause aus Dienstleistungen immer wieder erstaunlichste In- zunimmt. Die Wohnwelt aber muss dafür nicht tegrationsleistungen vollbracht. Die wichtigste neu erfunden werden. Just das hatte der österrei- war vielleicht die Privatisierung des WC, das lan- chische Architekt Josef Frank bereits 1927 in ge noch ein externes Reglement auf der Etage pointierter Form deutlich gemacht, in seinem Es- erforderte. Auch die öffentlichen Wasch-, Bade- say ‚Vom neuen Stil‘, der als fiktives Interview und Saunaanstalten sind längst in der Wohnung verfasst wurde: „A: Der Mensch hat sich seit privatisiert. Und sie hat auch die Eigenküche ge- hunderttausend Jahren nicht verändert, er ist gen alle rationalistischen Vorschläge verteidigt, mit enormen technischen Aufwand sogar ausge- 7 In gewisser Weise geht es dabei auch um die Anknüpfung an ein traditionelles – und lang tradiertes – Wissen beim Bauen. Beispielsweise wird die autochthone Volksarchitektur äußerlich von der Form und den örtlich verfügbaren Baustoffen geprägt. Betrachtet man sie unter dem Gesichtspunkt des Energiesparens, so entpuppt sie sich in der Regel als meisterhaft durchdacht und wirkungsvoll. So hat die Halbkugel des Iglu, der Schneehütte der Eskimos, die kleinste Oberfläche bei gegebenen Rauminhalt und somit den geometrisch geringstmöglichen Wärmeverlust. Der alpine Bauernhof ist ein Musterbeispiel für solches dem örtlichen Klima gerechtwerdendes Bauen: nach Süden gerichtet (für passive Solarnutzung), oft in einen Hang eingebettet, kleine und gedrungene Hausform einbezogen, darüber wärmedämmender Heuboden, Nadelbäume (und Hügel) als Windbrecher usw. baut. Warum sollten bei dieser ‚Absorbtionsfähigkeit‘ der Wohnung nun deren Grundfesten ins Wanken geraten, wenn seit zwanzig Jahren Techniker und Marktstrategen sich mit dem ‚Smart House‘ beschäftigen? Ein high-tech-Regel- mechanismus, die intelligente Vernetzung von Zentralheizung über Waschmaschine, Rollläden, Dusche bis Kaffeekocher, ist als künftige Grundausstattung durchaus denkbar – als eine Art Intranet für das eigene Haus –, ohne dass deswegen 1214 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE ANFORDERUNGEN AN DEN WOHNUNGSBAU DER ZUKUNFT das tradierte Wohnmuster selbst in Frage gestellt schiedlichkeit anders als im funktionalen Grund- wird. Die grundsätzlichen Ansprüche an das riss vielfältige Bespielungen und Kodierungen Wohnen bleiben, nur verfeinern sie sich gegebe- durch den jeweiligen Benutzer ermöglicht. Das nenfalls. Sie finden ihre Bestätigung, indem sie bedeutet jedoch keineswegs, dass es um singulä- sich technischer Innovationen bedienen. 9 re Architekturen geht. Im Gegenteil: Mangelnde Spektakularität und Unaufgeregtheit werden 11 Sie erschöpfen sich aber weder darin, noch in (auch) den künftigen Wohnungsbau prägen. gutgemeinten Architekturen. Denn zuvorderst Und neuartig wäre seine Bauform nur insofern, muss man „verstehen, dass die Bausteine solcher als der Rhythmus ihrer Primärstruktur und das Lebensqualitäten, wie Wohnlichkeit oder Kultur, freie Maßwerk ihres Ausbaus jene Funktionen nicht einzelne, in bestimmten Quantitäten auftre- übernehmen können, die seinerzeit das Denkmo- tende Objekte sind, etwa Wohnraum oder Grün- dell des Fachwerks erfüllt hat: Nämlich ein zeitty- fläche, sondern kleine Subsysteme, die organisa- pisches, allgemein verständliches und akzeptier- torische, gestalthafte und materielle Komponen- tes Ordnungsprinzip darzustellen, dass den Rah- ten haben. ‚Nächtliche Sicherheit‘ ist beispiels- men und Maßstab individueller Selbstverwirkli- weise solch ein System, das sich nicht mit der Ab- chung bildet. wesenheit von Verbrechen definieren lässt; ‚Ruhe‘ ein anderes, das sich nicht in der Unterschrei- Mit anderen Worten: Beim künftigen Wohnungs- tung eines bestimmten Geräuschpegels auf der bau werden die Ambitionen durchaus ins Grund- Dezibel-Skala erschöpft. Schließlich müssen wir sätzliche gehen dürfen (oder gar: müssen), wobei noch verstehen, dass die Wohnlichkeit, selbst das Spiel stets auf der Möglichkeit vielfältiger wenn es uns gelänge, sie vollkommen zu definie- Verwendungen weniger gleichförmiger Elemente ren, nicht verordnet werden kann, dass sie kein beruhen sollte: Dass aus industriell standardisier- Wohlfahrtsprinzip ist, sondern aktive gesellschaft- ten Einzelteilen nicht zwangsläufig jene normier- 10 Die allerdings ten Bauwerke resultieren müssen, die allenorts kann der Baumeister allenfalls stimulieren, nicht beklagt werden; dass der Innenausbau nicht von erzeugen oder gar steuern. Naheliegend ist im- einzelnen Fachleuten oder fabrikmäßig vorgege- merhin, besonderen Wert zu legen auf die atmo- ben ist, sondern eine vielfältig variable Raumbil- sphärische Qualität einzelner differenzierter Räu- dung durch die Bewohner und Benutzer selbst me, deren nicht funktional begründete Unter- zulässt. Nur so werden sich Kostendruck, Nach- liche Beteiligung voraussetzt.“ haltigkeitserfordernis und sozialpsychologische 8 Zit. in Johannes Spalt u. Herman Czech (Hrsg): Josef Frank 1885-1967. Wien 1981, S. 179f. 9 Dass Innovation sich auch über vermeintlich traditionelle Methoden materialisieren kann, illustriert ein kleines Beispiel: Unlängst ist in Berlin, in der Esmarchstraße im nördlichen Prenzlauer Berg, ein immerhin siebengeschossiges Wohnhaus als Baulückenschließung fertig gestellt worden. Die Architekten Tom Kaden und Tom Klingbeil haben mit einer kreativen Interpretation der Bauordnung einen massiven urbanen Holzbau geschaffen, wobei es ihnen nicht um einen ästhetischen Imperativ ging – dem Haus sieht man gar nicht an, dass es aus Holz ist –, sondern um die gleichsam selbstverständliche Verwendung eines Rohstoffs mit vorteilhafter Ökobilanz. 10 Lucius Burckhardt: Die Kinder fressen ihre Revolution. Köln 1985, S. 102 Bedürfnisse unter einen Hut bringen lassen. Nach Lage der Dinge kann eben dies für den Holzbau eine 11 große Chance darstellen. Hier sei ein zusätzlicher Hinweis gestattet: In Zeiten des demografischen Wandels werden innerstädtische Wohnlagen (nicht nur) für Betagte wieder attraktiver. Entsprechend geeignete Baugrundstücke sind jedoch knapp. Eine Lösung könnten „Wohnungen obendrauf“ sein, wie sie etwa auf der Veranstaltung plan08 in Köln (September 2008) vorgestellt wurden. Nachverdichtungen – auch und gerade in Form von Aufbauten – werden für die weitere Bestandsentwicklung von strategischer Bedeutung sein, und der Holzbau könnte hierzu einen genuinen Beitrag leisten. ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1215 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOLZ IN TEMPORÄREM EINSATZ 14.1 Besondere Gebäudekonzepte Holz in temporärem Einsatz Andreas Theilig rungsanlagen zum Heizen der Räume verwendet. Die Heizsysteme sind inzwischen so weit, dass in 1 Holz in seinen unterschiedlichen Zuständen Holz ist nicht Holz. Holz hat ganz unterschiedli- Kombination mit dem Holz verwendete Materia- che Facetten in Gestalt, Materialität, Oberfläche, Probleme für die Umwelt weiterverarbeitet wer- Festigkeit, etc. Es ist geradezu ein Zyklus von unterschiedlichen Materialeigenschaften im Verlauf des Lebens von Holz: Der Baumstamm in seinem rohen und unveränderten Zustand (Abb. 1, 2). Das geometrisch aufbereitete Holz: gesägt, gehobelt, geschnitten. Verleimte Strukturen, um auch kompliziertere lien (PVC oder sonstige Beschichtungen) ohne den können. Gelegentlich sind einzelne Bauteile für Wand, Boden und Decken genormt, ohne dass man direkt und gestalterisch ablesbar von modularen Systemen reden muss. So entsteht die Möglichkeit der unmerklichen Wiederverwendung von Unterkonstruktionen aufgrund von ähnlichen geometrischen Verhältnissen (Abb.8 - 10). Geometrien erstellen zu können. Die Spanplatte in unterschiedlichen Graden der Feinheit als Holzwerkstoff (Abb. 5). Natürlich die Wellpappe in der Verarbeitung von Holz zu Papier (Abb. 6, 7). 3 Holz als idealer Baustoff für den temporären Einsatz Holz ist im Gewicht leicht, schnell bearbeitbar hat aber dennoch ausreichende physikalische Eigen- Holz in unterschiedlicher Materialität, in ein- schaften wie beispielsweise Tragfähigkeit und zelnen Schritten - viele Zwischenschritte sind Abriebfestigkeit. Dies hat erhebliche Vorteile in noch gar nicht erwähnt. der Bearbeitung von typischen Messeprojekten: Holz in seinen unterschiedlichen Zuständen findet Eine Messe als temporärer Raum hat, wie der bei temporären Installationen wie beispielsweise Name schon sagt, nicht nur eine beschränkte Messen, bevorzugt Einsatz. Entweder gestalte- Dauer der Nutzung (zwischen 3 und 14 Tagen) risch aktiv oder als Unterkonstruktion – in jedem sondern auch eine beschränkte Aufbauzeit. Dies Fall aber sehr leistungsfähig, warum? liegt an dem dicht gedrängten Kalender der Veranstalter, die möglichst viele Messen hintereinan- 2 Holz als recycelbarer, nachwachsender der in den Hallen stattfinden lassen wollen. Man Baustoff Holz ist ein recycelbarer nachwachsender Bau- muss also in kürzester Zeit möglichst meist an- stoff und damit ökologisch zunächst unkritisch. max. Vorfertigung notwendig, d.h. auch, dass So lässt sich manch ein extremer Einsatz auch max. große Bauteile vor Ort montiert werden rechtfertigen: eine Messe von z.T. erheblicher müssen. Vor diesem Hintergrund ist ein geringes Größe – der Messestand eines renommierten Zu- Gewicht und eine leichte Addierbarkeit von er- stellers im Rahmen der Automobilausstellung in heblichem Vorteil. Das Material ist änderungs- Frankfurt hat 15.000 m² Fläche auf bis zu vier freundlich, d.h., es können Korrekturen und Ver- Ebenen. Holz und Holzwerkstoffe werden bis zu änderungen noch vor Ort und ohne einschrän- 5x verwendet ohne Berücksichtigung der techno- kende Bedingungen umgesetzt werden. Auch logischen Verarbeitungsprozesse, die danach das entspricht in hohem Maße einer für den Mes- kommen. Die Formate werden immer wieder neu sebau notwendige Eigenschaft. Die vorbereiteten zugeschnitten und erst am Ende wird das Mate- Planungen können nicht alle Details vor Ort be- rial geschreddert und oft in firmeneigene Feue- rücksichtigen. Manch eine Situation muss „ange- spruchsvolle Projekte umsetzen. Dazu ist eine 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOLZ IN TEMPORÄREM EINSATZ passt“ werden. Aufwand der Planung und Er- 1216 ZUKUNFT H O L Z Holz in seinen unterschiedlichen Zuständen gebnis müssen in einem vernünftigen Verhältnis bleiben (Abb. 11, 12). Der Baustoff hat, wie gesagt, eine ausreichende Festigkeit und gleichzeitig eine gute Handhabbarkeit. So lassen sich filigrane Konstruktionen erstellen, welche dennoch eine für die Verwendung ausreichende Stabilität erhalten. Die Lamellenkonstruktionen sind aus strukturierten Holzbaustoffen, quasi wie ein Flugzeugflügel erstellt und mit dem so erzielten geringen Gewicht von den Hallendecken abgehängt. So entsteht ein stützenfreier, aber dennoch räumlich gefasster Messestand (Abb.13, 14). 4 Holz in seinen visuellen und haptischen Qualitäten Holz hat nicht nur optimale Eigenschaften. Bei temporären Projekten, vorzugsweise in Messehallen, werden jedoch ausschließlich die positiven Eigenschaften des Holzes abgerufen. Oder anders herum, es ist nicht der Witterung, der Jahreszeiten und der wechselnden Temperaturen ausgesetzt. Dies kommt den Oberflächen, vor allem aber den Führungspunkten zu gute. Die Benutzung der Flächen und Oberflächen ist definiert, funktional und zeitlich. So kann Holz seine positiven Eigenschaften ausspielen: eine freundliche, atmosphärische Oberfläche, gelegentlich scheinbar weich mit guten haptischen Eigenschaften, ein warmer und freundlicher Grundton prägt das Bild im Sinne von Wärme und Gemütlichkeit aber auch Wertigkeit und Qualität (Abb.15 - 18). Abb. 1,2: Baumstämme, Messe Tokyo 1997: Vielzählige Baumstämme schaffen ein besonderes und verblüffendes Bild und ziehen die Aufmerksamkeit und die Besucher in der unruhigen und großen Messehalle auf sich: Sie dienen zur räumlichen Gliederung, zur Wegeführung, zur Markierung, zur Raumbegrenzung und zur Identitätsbildung. Angeordnet sind sie auf einer großzügigen, geneigten Fläche. ZUKUNFT H O L Z 1217 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOLZ IN TEMPORÄREM EINSATZ Abb. 5: Spanplatte, AAA Berlin 1996: Eine Arena aus Spanplatten bildete den neutralen Hintergrund für tausende bunter Stühle. Die Besucher hatten die Möglichkeit als Tausch für einen alten, ausgedienten Stuhl, eine Eintrittskarte zu erhalten. Die Stühle wurden vor dem Brandenburger Tor gesammelt und aufgestellt. In der Messe wurden Sie als Teil des Messestandes integriert. Abb. 3, 4: Spanplatte, IAA Nutzfahrzeuge Hannover 1998: Leicht verarbeitbare und großflächig verlegbare Spanplatten, bilden die Oberflächen für diesen Messeauftritt. Bis vor die Messehalle hinaus signalisieren und zonieren signethafte Bäume im Außenbereich aus Vollholz und im Innenbereich aus Wellpappe. Abb. 6,7: Wellpappe, Autowelt Paris 1994: Hunderte Kubikmeter Wellpappe bilden die Standfläche für einen außergewöhnlichen Messeauftritt. Das Material ist über die überraschende Wirkung hinaus auch ungewöhnlich tragfähig. Bis ins Detail brachte der Umgang mit dem besonderen Baustoff interessante Ergebnisse und überraschende Wirkungen. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOLZ IN TEMPORÄREM EINSATZ Holz als recycelbarer, nachwachsender Baustoff Abb. 8: Aufbau: Unterkonstruktion, IAA Festhalle Frankfurt: Auch unter der Oberfläche wird Holz umfangreich und kunstvoll verarbeitet. Die Holzzuschnitte sind meist durch Erfahrungswerte normiert und können deshalb bei weiteren Messen ohne Probleme eingesetzt werden. Auch besondere Formen sind mit Holz kein Problem. Abb. 9,10 (r. S.): Aufbaubild und fertige Messe, IAA Festhalle Frankfurt 1995: Die hölzernen Flächen der unterschiedlichen Ebenen dominieren das gesamte Erscheinungsbild. Es entsteht der Eindruck einer großen temporären Werkstatt als homogenes Erscheinungsbild und Hintergrund im Kotrast zu einer glänzenden und detailgenauen Automobilwelt. Die Unterkonstruktion aus Stahl, die die mehrstöckige Struktur trägt gerät in den Hintergrund. Als Attraktionen werden eine Lichtröhre und eine Rolltreppe inszeniert. 1218 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1219 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOLZ IN TEMPORÄREM EINSATZ Holz als idealer Baustoff für den temporären Einsatz Abb. 11, 12: Formen und Zuschnitte, Autosalon Genf 2005: Der Besucher bewegt sich durch eine Biomasseskulptur hindurch: Parallele Scheiben aus rohem Holzwerkstoff über die gesamte Standfläche verteilt bilden die Biomasse ab. Auf den begehbaren Abb. 13,14: Lamelle, Autowelt Paris 2004: Bereichen sind die Streifen lediglich Bodenintarsien. In der Standmitte Eine schwebende horizontale Lamellenstruktur werden die Scheiben zum skulpturalen Element. Kommunikationspunkte (sechs Lamellen, 90 cm tief, 10 cm dick, 40 cm und die Theke können über diese Struktur gebildet werden. Über dem Abstand) erzeugen eine halbtransparente Umfas- gesamten Bereichen ist die so entstehende Figur symbolhaft weithin sung: die Blicke von Innen nach Außen werden sichtbar als weißes Lichtbild auch in der Hallendecke abgebildet. ebenso gefiltert, wie die Blicke von Außen nach Innen. Je näher man dem Lamellenvorhang kommt, je blickdichter wird er, dennoch ist der Stand ringsum laufend geöffnet und einladend. Im Zusammenspiel mit den dreieckförmigen metallischen Volumen, die Büro-, Lager- und Restaurantfunktionen aufnehmen, entsteht ein räumlich schlüssiges und aufgeräumtes zeichenhaftes Bild nach außen. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOLZ IN TEMPORÄREM EINSATZ 1220 ZUKUNFT H O L Z Holz in seinen visuellen und haptischen Qualitäten Abb. 15, 16: Bambusstämme, Auto China 2006: Die Inszenierung mit Bambusstämmen unterschiedlicher Größe schafft Atmosphäre und die individuelle Aussage, sozusagen den lokalen Bezug zum Ort. In die Rückwand eingefügt sind schaufensterartige, mit warmem Holz ausgeschlagene Vitrinen, in denen die Themen bzw. Exponate wirkungsvoll platziert werden. Die Ausstellungsfläche bleibt frei und die Infrastruktur mit Restaurant, Büro, VIP-Bereich, etc. befindet sich hinter der Rückwand und ist für die Öffentlichkeit nur kontrolliert zugänglich. Abb. 17, 18: Unterschiedliche Räume, IAA Festhalle Frankfurt 2003: Hinter einer medial bespielten Lamellenstruktur erkunden die Besucher im Weg durch die Ausstellung unterschiedliche Themenräume der Markenwelt. Jede Baureihe wird in einer von der Positionierung hergeleiteten Raumatmosphäre präsentiert. Der Besucher erlebt jede Baureihe in einem anderen Licht und das Portfolio insgesamt in seiner im Wettbewerb einmaligen Vielfalt. Holz als wertige Oberfläche spiegelt hier Qualität wieder und bildet einen besonderen Hintergrund. ZUKUNFT H O L Z 1221 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOCHHÄUSER AUS HOLZ 14.1 Besondere Gebäudekonzepte Hochhäuser aus Holz Hermann Blumer Die allgemeinen Anforderungen für die Schweiz lauten: 1 Einleitung Ein Hochhaus mit 40 Geschossen und damit etwa - Brennbare Baustoffe sind in Hochhäusern nur beschränkt zulässig (z.B. Wand- und Decken- 120 m hoch in Holz zu bauen, führt bei vielen verkleidungen in Einzelräumen, Bodenbeläge Menschen intuitiv zu einem ungläubigen Kopf- in Räumen und Korridoren, Rohrleitungen und schütteln. Sie können sich das nicht vorstellen -isolationen in feuerwiderstandsfähige Schäch- und glauben nicht, dass der Baustoff Holz dazu die Festigkeit hat. Außerdem taucht immer wie- ten). - der die Frage auf, ob diese Bauten dem Feuer ausreichend Widerstand leisten können. Dessen Tragwerke von Hochhäusern sind mit einem Feuerwiderstand von R 90 (nbb) zu erstellen. - In Hochhäusern sind die erforderlichen Trep- ungeachtet wachsen Mammutbäume im Westen penanlagen als Sicherheitstreppenhäuser mit von Amerika bis in Höhen von 120 m. Diese Rie- einem Feuerwiderstand von REI 90 (nbb) zu sen erreichen zudem ein Alter von 3000 Jahren. erstellen. Doch wie schaffen es diese Bäume, Stürmen, Waldbränden, Erdbeben, Trockenzeiten und an- Der Zusatz „nbb“ bedeutet nicht brennbar. Da- derem mehr zu trotzen? Wie schaffen es diese mit scheidet Holz eigentlich klar aus. Riesen zudem, ihre Nadeln in der Baumspitze mit Nährstoffen aus dem Erdreich zu versorgen? Die Natur vollbringt solche Wunder– die Menschen zögern. Die Schriftstellerin Tanja Grassecker brachte es auf den Punkt: „Manchmal sieht man vor Zweifel und Kleinmut die Chancen nicht, die einem entgehen, wenn man das Wagnis nicht imstande ist einzugehen.“ 2 Grenzen der Rechtsprechung Was bedeutet „Hochhaus aus Holz“ ganz genau? Wie hoch lässt sich solch ein Gebäude errichten, wie viele Geschosse soll es aufweisen und wie steht es mit der Standfestigkeit sowie der Brandund Erdbebensicherheit? In der Schweiz und in Deutschland beginnt die Hochhausgrenze ab 22 m Höhe. Gemeint sind Bauten, die nach der Baugesetzgebung als Hochhaus gelten oder deren oberstes Geschoss mehr als 22 m über dem der Feuerwehr dienenden angrenzenden Terrain liegt bzw. mehr als 25 m Traufhöhe aufweisen. Diese Festlegungen stammen von der Vereinigung Kantonaler Feuerversi- Abb. 1: Mammutbäume wachsen bis zu 120 m cherer. hoch. Warum sollten nicht auch Hochhäuser aus Holz diese Höhen erklimmen können? 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOCHHÄUSER AUS HOLZ 3 Sonderschau „Dock Tower“ wirft Fragen auf Bereits vor fünf Jahren diskutierte das internatio- scher, nachwachsender Baustoff, der in unseren nale Publikum das Thema auf der Swissbau. Hier mit Holz ist für Hochhäuser noch eine Vision, für zog die Sonderschau „Dock Tower“ die Besucher mittlere Höhen aber bereits ein Trend, der förde- in ihren Bann. Mit den visionären Hochhäusern rungswürdig ist.“ Wäldern im Überfluss vorhanden ist und besser genutzt werden sollte. Mehrgeschossiges Bauen aus Holz, Kunststoff und Massivbau zeigten die Veranstalter, wie innovatives Bauen der Zukunft aussehen könnte. Zu sehen gab es auch einen 40-geschossigen Holz-Wolkenkratzer, ein Projekt der ETH Zürich sowie der Schweizer Holzbauindustrie. Im Vorfeld zu dieser Ausstellung meldete sich Prof. Dr. Mario Fontana, Professor für Baustatik und Konstruktion – Stahl-, Holz und Verbundbau – an der ETH Zürich zu Wort: Er schrieb: „Der Bau eines 120 m hohen Hochhauses aus Holz er- Abb. 2: Grundriss im Dock Tower mit vier Brandabschnitten pro Geschoss und dem inneren massiven Treppenhauskern scheint zunächst als eine etwas absurde Idee der Initiatoren der Swissbau-Sonderschau. Holzhäuser dürfen nach den heute gültigen Brandschutzvorschriften mit maximal zwei Geschossen gebaut werden, in Gebieten mit traditioneller Holzbauweise bis viergeschossig und im Kanton Aargau auch etwas höher. Mit der Revision der VKFBrandschutzvorschriften sollen dann ab etwa 2003 auch in den übrigen Kantonen Gebäude mittlerer Höhe für Wohn-, Dienstleistungsgebäude und Schulen in Holzbauweise möglich sein. Und nun ein 120 m hohes Hochhaus! Mit welchen Konzepten und Strategien kann man ein solches Gebäude sicher und trotzdem wirtschaft- Abb. 3: Vergleich des Aufstandsflächenanteils im Erdgeschoss bei einem 120 m hohen Haus für verschiedene Baustoffen 4 Faszination Hochhausbau Seit 2004 erlauben die Schweizer Baugesetze die Errichtung von 6-geschossigen Bauwerken aus Holz. lich bauen? Am vielversprechendsten erscheint die Option eines Tragwerkes in Mischbauweise. Die Kernbereiche aus Beton und Stahl, die Wohnbereiche aus Holz, Holzwerkstoffen und Verbundbauteilen. Dieser Ansatz entspricht auch der Strategie des Instituts für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich, welches sich dem materialübergreifenden Entwerfen und Konstruieren von Abb. 4: „Dock Tower“: Das Projekt sorgte 2002 Tragwerken verpflichtet hat, mit dem Ziel, ökolo- auf der Swissbau für viel Aufsehen. Es gab Ent- gisch, ressourcensparend, dauerhaft und wirt- würfe aus Kunststoff, massiven Baustoffen und schaftlich zu bauen. Holz ist zudem ein einheimi- aus Holz zu sehen (rechts) 1222 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1223 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOCHHÄUSER AUS HOLZ Wo aber liegt das Potenzial des Werkstoffes Holz wirklich? Die Meinung des Schweizer Architekten 6 Baustoffe im Vergleich Das Vordringen des Holzbaus in schwindelerre- Heinrich Degelo anlässlich einer ETH- Tagung aus gende Höhen entfesselt die Kreativität der Inge- dem Jahr 2002 gibt Hoffnung: „Hochhäuser fas- nieure. Sie ersinnen technische Lösungen mit der zinieren viele Menschen, sind Wahrzeichen einer Ambition, den Architekten Freiräume zu erschaf- Stadt und zeugen von der Leistungsfähigkeit der fen, ihre Visionen der materialgerechten Aus- Unternehmen und der Innovation der Kreateure. drucksform realisieren zu können. Wenn es gelingt, ein Hochhaus in Holz zu ökonomisch vergleichbaren Bedingungen zu erstel- Der Werkstoff Holz besitzt den Vorteil, dass mit len, übertragen sich diese positiven Eigenschaften ihm wegweisende Leichtkonstruktionen entste- auf den Werkstoff Holz. Es kann außerdem ohne hen können. Dazu gesellen sich Vorzüge der kur- ideologische Reden aufgezeigt werden, was Holz zen Bauzeit, die Überlegenheit des Trockenbaus, leisten kann. Die Brennbarkeit, die das Material günstige Ökobilanzen bzw. Nachhaltigkeit wer- aus vielen Bereichen verdrängt hat, kann heute den erzielt und die Häuser lassen sich einfacher mit technischen Maßnahmen wettgemacht wer- zurückbauen. Gefordert sind Stand und Brandsi- den. Zu Unrecht haftet der „Makel“ dem Holz cherheit, Langlebigkeit, Energieeffizienz und ho- immer noch an, auch wenn heute in Europa her Lebenskomfort. Wohnbauten bis 6- oder gar 10-geschossig in Holz gebaut werden.“ In Ingenieurkreisen ist bekannt, dass Holz im Verhältnis zum geringen Eigengewicht eine hohe 5 Holzbauten zeigen Größe In der ganzen Welt gibt es genügend Beispiele Festigkeit aufweist. Für die Grundfläche einer für neue und historische Holzbauten, die in ihren ßere Aufstandsfläche als eine Massivkonstruktion Abmessungen ihresgleichen suchen: in Beton, in einer Stahlkonstruktion ergeben die - - Säule benötigt eine Holzkonstruktion keine grö- Sehr lange waren die höchsten Bauwerke aus Umrisse der unten ankommenden Stahlprofile ei- Holz, wie auch der Turm der Peterskirche in ne nur wenig geringere Fläche (Abb. 3). Auch bei Riga aus dem Jahre 1491 mit 136 m Höhe. der Beanspruchung durch Erdbeben hat Holz mit Die Pagode im Tempel Kaiyuan bezeichneten seiner geringen Schwingungsmasse, den duktilen die Chinesen als „Pagode Nr. 1“. Sie wurde Verbindungsmittel und der großen Zähigkeit gute im Jahr 1054 während der Song- Dynastie er- Karten. richtet. Sie ist 83,7 m hoch und damit die höchste aus Holz gebaute Pagode. - - Der höchste je gebaute Holzturm stand im 7 Projektstudie Dock Tower Der sogenannte „Dock Tower“ in Holz nahm baden-württembergischen Mühlacker. 190 m noch nicht für sich in Anspruch, das Vollendete hoch, diente er von seiner Fertigstellung 1934 zu zeigen, sondern er war eine Metapher für die bis zu seiner Zerstörung am 6. April 1945 als Vorstellung des „Wohnens mit dem effizienten Sendeturm für die Mittelwellenfrequenzen. Umgang begrenzter Landressourcen“. Man hegte Der Jahrtausendturm in Magdeburg mit 60 m noch nicht den Ehrgeiz der vollkommenen Archi- gilt als höchstes Holzgebäude der Welt mit ei- tektur. Der Dock Tower in Holz sollte nicht in den ner Aussichtsplattform auf 43 m Höhe. Himmel wachsen oder protzen, etwa höher sein als die größten Bäume unserer Erde. Mit diesem Projekt wurde 2001 an der ETH eine Vision entwickelt, welche dazu beitrug, im mehrgeschossi- 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOCHHÄUSER AUS HOLZ gen Holzbau Systemlösungen anzudenken und Die dreigeschossigen Wohneinheiten sind ge- Vorurteilen zu begegnen. schossweise durch Holz-Beton-Verbunddecken und durch die Zimmerwände in sekundäre Bran- Das Brandschutzkonzept stand im Mittelpunkt dabschnitte unterteilt. Die Lüftungen sind pro aller Überlegungen, denn ein Hochhaus darf auch Wohnung mit Brandschutzklappen getrennt. Jede nach Stunden eines Flammenmeers noch nicht Wohnung verfügt über sichere direkte Zugänge einstürzen. zu mindestens zwei Sicherheitstreppenhäusern. Zusätzlich schützt jeden Turm eine Löschanlage. In einem Hochhaus sehen die Ingenieure in der Um den Brandübergriff im Fassadenbereich zu Regel neben den baulichen Vorkehrungen auch verhindern, sind nach jedem dritten Geschoss technische Maßnahmen vor, um ein hohes auskragende Betondecken angeordnet und die Brandsicherheitsniveau zu erreichen. Für die Si- Hinterlüftung ist geschossweise unterbrochen. cherheit der Bewohner und der Feuerwehr ist der Einbau von redundanten (Anm. d. Red.: zusätzli- Mit den vorgesehenen Maßnahmen erreicht das chen) Systemen, welche beim Ausfall einer Maß- Hochhaus aus Holz ein Brandsicherheitsniveau, nahme nicht zu einer Katastrophe führen, unab- das über dem Standard liegt. Der Schlüssel beim dingbar. Insbesondere sollte den Benutzern mehr mehrgeschossigen Bauen liegt also im Brand- als nur ein sicherer, rauchfreier Fluchtweg zur schutz: Mit der Entwicklung einer adäquaten Verfügung stehen. Löschtechnik könnte sich Ingenieure, Architekten und Handwerker den Weg zu mehr Holz am Bau erschließen. Die Ausführungen der JOMOS Brandschutz GmbH, Sissach CH, deuten an, wie die Brandschutzmaßnahmen beim Dock Tower in der Praxis ausgeführt werden könnten. Bei einem hohen Haus aus Holz müssen sich die Planer auf folgende drei Punkte konzentrieren: Abb. 5: Hochhaus als Hybrid: Ein Skelett aus Beton oder Stahl und den Ausfachungen mit vorfabrizierten Holzmodulen könnte das Konzept Wirklichkeit werden lassen 8 Brandschutz im Detail Das Brandschutzkonzept des Dock Towers setzte auf eine primäre Brandabschnittsbildung durch den Betonkern und die auskragenden Betonplatten nach jeweils drei Geschossen. Jedes Geschoss wird zudem durch die vier äußeren Treppenhäuser, Lift und Steigzonen in vier Abschnitte geteilt. - Verhinderung der Hitzeentwicklung - sichere Fluchtwege - Redundanzen (zusätzliche Sicherheitssysteme) Ein Brand muss bereits in der Entstehungsphase, also innerhalb weniger Minuten, gelöscht oder eingedämmt werden. Die Flucht und Rettungswege müssen möglichst rauchfrei und eindeutig gekennzeichnet und beleuchtet sein. 1224 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1225 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOCHHÄUSER AUS HOLZ Abtragung der Kräfte beeindruckte auch der Entwurf von Heinrich Degelo. Dieser hatte ein Hochhaus mit 200 m Höhe entworfen. Die Studie basiert auf kompletter Energieautarkie. Im Innern sind wie bei einem Termitenbau Lüftungskamine zur Kühlung vorgesehen. Nach Ansicht des Autors liegt der erste Schritt zum Hochhaus in Holz in der hybriden Bauweise. Das Gebäude besteht dabei aus zweierlei BauAbb. 6: Aufbruch in luftige Höhen. Mit ihrem ers- stoffen, um erweiterte Funktionalitäten zu schaf- ten Sechsgeschosser in Holz setzten die Schwei- fen. zer im vergangenen Jahr Maßstäbe Im Bausektor sind hybride Konstruktionen alltäg9 Wege zum Holzhochhaus Im November 2002 veranstaltete die ETH Zürich lich. Das Fenster ist eine Kombination aus opa- eine Tagung, bei der namhafte Architekten ihre schiedlichsten Vorstellungen über das Bauen von Hochhäusern Standfestigkeit, in Holz präsentieren konnten. Die Projekte konn- und Ökologie verlangen geradezu nach Baustoff- ten unterschiedlicher nicht sein. allianzen. Der „hybride“ Denkansatz kann dabei kem Rahmen und transparentem Glas. Die unterSystemleistungen Brandsicherheit, im Bereich Behaglichkeit helfen, mit dem Holz im Hochhausbau Fuß zu Die Entwürfe zeigten sehr kreative Ansätze für fassen. So würden sich massive Stahl- oder Be- das Bauen mit Holz im Hochhausbereich. Neben tonskelette für den Bau von Treppenhäusern und den Strukturstudien für Holzbauten der MDRVD- Schächten eignen. Die eigentlichen Wohnberei- Architekten mit unterschiedlichen Holzarten zur che könnten komplett aus Holz erstellt werden. aus Mikado 7/2007, S. 16-19 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.1 BESONDERE GEBÄUDEKONZEPTE HOCHHÄUSER AUS HOLZ 1226 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1227 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BAUEN IN DER STADT 14.2 Bauen im Bestand Bauen in der Stadt Anja Niemeier, Ludger Dederich Zudem fordert derartiges Siedeln ein hohes Maß an Mobilität, die immer teurer wird. Hinzu Bauland ist teuer. Nicht nur in Ballungszentren ist kommt, dass die in der jüngeren Vergangenheit der Wohnraum knapp. Das macht das Bauen kos- ausgewiesenen Neubaugebiete sich nur langsam tenträchtig und hindert Bauwillige an der Reali- – wenn überhaupt – füllen lassen [1]. sierung ihrer Vorhaben. Die beinahe schon klassische Vorgehensweise, Dachgeschosse auszubau- Im Hinblick auf zukunftsfähige Konzepte stellen en, ist nur noch bedingt umsetzbar. Baulücken, die in den Ballungszentren zahlreich vertreten sind, eine Herausforderung der besonderen Art dar: ein- oder zweigeschossige Gebäude, die als Provisorien auf den Grundstücken kriegsbedingter Baulücken errichtet wurden. Und doch sind diese Bauten in den Innenstadtzonen nicht auf den ersten Blick wahrnehmbar, da die ablenkenden, die Perspektive des Passanten unten haltenden visuellen Eindrücke zu vielfältig sind, als dass der Blick über das Erdgeschoss hinaus weiter nach oben schweifen würde. Abb. 1: Gelungener Dachgeschossausbau in Sankt Augustin [Foto: Holzabsatzfonds] 1 Trend der Studie Die Nachverdichtung von bestehenden Rest-, Brach- und Dachflächen sowie die Umnutzung von ehemals industriell-gewerblich oder militärisch genutzten Flächen bieten ausreichend Opti- Häufig sind diese Bauten durch die in den Jahren nach 1945 unzureichende Bauqualität geprägt. Sie lassen schwergewichtige Ergänzungen zur z.B. höhenmäßigen Anpassung an die Nachbarbebauung nicht zu. Bei einer eventuellen Schließung solcher Lücken kommen nur leichte Konstruktionen in Betracht. onen für erweiterte oder neue Nutzungskonzepte. Konzepte, die darauf abzielen, die Stadtränder und Speckgürtel von Großstädten weiter auszufransen, haben ausgedient: Den damit verbundenen Flächenverbrauch und die bezogen auf die generierte Gebäudenutzfläche unverhältnismäßigen Aufwendungen zur Gewährleistung der Verund Entsorgungsinfrastruktur können wir uns nicht mehr leisten: Im Vergleich zu einer Wohneinheit mit ca. 120 m² ist der Grundstücksbedarf Abb. 2: Lücke geschlossen: Wohn- und Ge- für ein freistehendes Einfamilienhaus durch- schäftshaus in Berlin [Foto: Holzabsatzfonds] schnittlich dreimal so groß. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BAUEN IN DER STADT 2 Trendzonen statt Schmuddelkinder Fast könnte man meinen, dass der vorrangige Mehrnutzen aus Maßnahmen der Nachverdichtung ausschließlich ein optischer ist: Bei vertikaler Nachverdichtung auf den Bestandsgebäuden bleiben die Flächen zwischen den Bauten, die in der Regel Grünzonen sind, unverbaut. Werden in „gewachsenen“ Siedlungsgebieten rückwärtige Flächen erschlossen, so bleibt das oft als angenehm wahrgenommene Quartiersbild erhalten. Das Füllen von Baulücken sorgt für geschlossene Straßenzüge und wertet das Erscheinungsbild auf. Faktisch sind die Auswirkungen eines intakten oder vollständigen „Quartierbildes“ nicht zu unterschätzen: Aus Schmuddelkindern werden Trendzonen wie im Düsseldorfer Medienhafen oder am Prenzlauer Berg in Berlin. Abb. 4: „Klassische“ Aufstockung der Erlanger Siemenssiedlung [Foto: Holzabsatzfonds] 4 Das Zeitlose der Baugeschichte Gefordert ist die Besinnung auf Wissen und Konzepte der Vorfahren, die gezwungen waren, unmittelbar den regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Die waren und sind topograAbb. 3: Oft gesehene innerstädtische Situation: Mehr Lücke als Bebauung 3 Aufstockung macht attraktiv Die den Städtebau der 1950er bis 1970er Jahre prägenden flach gedeckten Gebäude bieten sich zur Aufstockung an. Ungeachtet der städtebaulichen Qualität tragen die Maßnahmen dazu bei, Gebäude jener Zeit – ob es sich nun um Wohnungsbauten oder gewerblich genutzte Immobilien handelt – wieder dem Immobilienmarkt zuzuführen. phisch oder klimatisch bedingt oder der Verfügbarkeit bestimmter Rohstoffe geschuldet. Sicherlich, der globale Handel von Waren und Dienstleistungen ist nicht mehr aufzulösen. Doch sind die Voraussetzungen für das alltägliche Tun an keinem Ort der Welt mit denen an einem zweiten identisch. Also muss gelten, aus zeitgemäßen Konzeptionen heraus im Umgang mit überliefertem Wissen, spezifische mikrokosmische Lösungen zu finden. 5 Nachhaltige Glaubwürdigkeit Nicht das scheinbare Idyll der mittelalterlichen Stadt darf Ziel sein, sondern eine klar definierte Herangehensweise, die glaubwürdig nachhaltiges Bauen spiegelt: Schonender Umgang mit endli- 1228 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1229 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BAUEN IN DER STADT chen Ressourcen und verstärkte Nutzung erneuerbarer Ressourcen. 6 Wohnsiedlung auf dem Dach Nicht zuletzt lassen sich in diesem Sinne Großbauten monofunktionaler Ausrichtung nutzen, Je mehr die Globalisierung und das Vernetzsein die in den Jahren nach 1945 errichtet wurden Einzug in das tägliche Leben nehmen, umso mehr und das Bild der Innenstädte prägen. Konzeptio- orientiert sich der Mensch an Lösungen auf Basis nell beispielhaft sei hier auf das Projekt „Klara der Traditionen vor Ort. Nichts anderes waren in Zenit“ hingewiesen: Während einer Umstruktu- ihrer Zeit die Fachwerkhäuser Mitteleuropas: Sie rierung eines Viertels in der City von Stockholm wurden entwickelt als zeitgemäße Antwort auf wurde ein ehemaliges Postbank-Gebäude, das die Frage „Wie sollen wir zukünftig bauen?“ Aus einen ganzen Block einnimmt, unter Beibehal- einer nicht weniger unbewusst-konsequent mor- tung seiner Kubatur aufgewertet. Im Zuge des phologischen Herangehensweise hat sich die Umbaus wurde die in historischen Stadthäusern Nutzungsform des mittelalterlichen Handelshau- übliche vertikale Funktionsstruktur in zeitgemäßer ses entwickelt: Im Erdgeschoss wechselte Ware Interpretation wieder hergestellt: Im Erdgeschoss ihren Besitzer, im Geschoss darüber wurde ver- befinden sich Ladenlokale für den Einzelhandel, waltet und unter dem Dachgeschoss wohnte der darüber sind Büroflächen für Dienstleistungen Kaufmann mit seiner Familie [2]. eingerichtet und oben auf den Bestand planten die Architekten eine Wohnsiedlung in Holzbauweise mit einem Netz von Gassen, mit halbprivaten Höfen und Straßenbeleuchtung – eine eigenständige Quartierstruktur auf der zweiten Ebene in hochverdichteter Innenstadtlage. Abb. 5: Hanseatisches Handelshaus mit traditio- Abb. 6: Klara Zenit in Stockholm: Wohnen auf neller Nutzungsstaffelung: Ladenlokal im Erdge- zweiter Ebene in der City schoss, darüber Büroflächen, im Obergeschoss [Foto: Skogs-Industrierna] Wohnfläche 1230 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BAUEN IN DER STADT 7 Maßstab Mensch Die Anforderung an Akteure und Entscheidungs- Wenn zukunftsfähiges Bauen nachhaltig sein soll, träger von heute und morgen hat Alexander Mit- fordert, über den Schatten des uneingeschränk- scherlich bereits Mitte der 1960er Jahre formu- ten Fortschrittsglaubens zu springen. Es gilt da liert: „Nichts anderes als ein in Städten geschultes anzuknüpfen, wo die Generation der Großeltern Bewusstsein hat die technische Welt hervorge- unserer Großeltern gestanden hat. Unerlässlich ist bracht – und diese technische Welt verlangt nun die Reflexion darüber, was sich seitdem zugetra- ihrerseits hohes Bewusstsein als Integrationsleis- gen hat und als eindeutige Fehlentwicklung iden- tung.“ [3] tifiziert werden kann. Für die anstehenden Her- dann sind die Menschheit und die Bauleute ge- ausforderungen hat der Holzbau Lösungen anzuDie physikalischen Zusammenhänge sind unver- bieten und auch schon umgesetzt, die konzepti- ändert gültig und werden es bleiben. Dampfdich- onell wie technisch zukunftsfähig sind. Der Holz- te Baustoffe hingegen sind Produkte der jünge- bau ist die einzige Konstante, die es bereits vor ren Vergangenheit. Sie bedingen unangenehme der industriellen Revolution gegeben hat, und der Nebenerscheinungen und den Einsatz hochkom- auch das postindustrielle Bauen und Leben prä- plexer technischer Installationen, um fundamen- gen wird. tale Lebensbedingungen, also thermische Behaglichkeit und hygienische Innenraumluft, gewährleisten zu können. Fachwerkhäusern des Mittelal- Quellen [1] Neppl, M., Die Zukunft der Stadt, Tagungs- ters waren solche Anlagen fremd: Die Bauteile gewährleisteten auf der Basis einer Gemengelage band 13. IHF 2007, Biel [2] Oliver, P., Dwellings – The Vernacular House von Diffusion und Konvektion die Bedingungen immerhin ansatzweise. Heutzutage wird in der World Wide, London, New York 2003 [3] Mitscherlich, A., Die Unwirtlichkeit unserer Regel auf Konvektion allein gesetzt – und das maschinengestützt. Städte, Frankfurt 1965 [4] Matzig, G., Die Dinosaurier sind unter uns, in: Süddeutsche Zeitung, 6. Nov. 2008, Vor allem stellt sich die entsprechende Architek- München tur in all ihrer Individualität nicht marktschreierisch dar, sondern zeigt sich alltagstauglich. Der Maßstab der umgesetzten Struktur ist entscheidend. Und Maßstab kann nur der Mensch an sich sein! [4] aus: mikado 5 / 2009, S. 24 ff ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1231 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND DACHAUFSTOCKUNG 14.2 Bauen im Bestand Dachaufstockungen 14.712 m² Wohnfläche). 81 Wohnungen mit Joachim Seinecke 6.354 m² Wohnfläche kommen im Bereich der 1 Von der schlichten „Fordsiedlung“ der 50er Jahre zur innovativen „Solarsiedlung“ des Aufstockung hinzu, so dass insgesamt den Mie- 21sten Jahrhunderts Die „Fordsiedlung der LEG“ ist eine von vielen fügung steht. tern ein vielfältiges Wohnungsangebot zur Ver- Siedlungen aus den 50er Jahren, schnell gebaut, und das oft in Schlichtbauweise, Sie schufen in den frühen 50er Jahren in kurzer Zeit den notwendigen Wohnraum für viele Menschen. Ein Haustyp, wie er in vielen deutschen Städten zu finden ist. Diese Siedlung, mit 11 Wohnblöcken, steht in Köln-Niehl, in der Nähe der Ford-Werke. 14.210 m² Wohnfläche verteilen sich auf 310 Wohnungen mit überwiegend sehr kleinen Grundrissen, ein Wohnkomfort, der unseren heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt. Bedingt durch die Schlichtbauweise und die fehlende Wärmedämmung, besteht ein sehr hohe Heizwärmebedarf von 246 kWh/(m²a). Die Energieeinsparziele werden definiert über das Programm „50 Solarsiedlungen NRW“ und die KfW-Programme „Ökologisch Bauen, Energiesparhaus 40“ für den Bereich der Aufstockung. Für den Bestand greift das Programm „CO2Gebäudesanierungsprogramm, Hieran wird bildhaft deutlich, warum 40 % des Energieverbrauchs zur Beheizung der Gebäude benötigt wird. Ebenso deutlich wird auch, dass die Energieeinspar- und CO2-Minderungsziele im Wesentlichen im Bestand erreicht werden können. Kategorie A, Neubau- Niveau minus 30 %“. Gerade das Solarsiedlungsprogramm verbindet die Themen Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien ideal. Das Energieangebot der Sonne gilt es passiv und aktiv zu nutzen. Um den solaren Deckungsgrad (nutzbarer solarer Zu- So schlicht die Wohnbauten sind, so hoch die Nebenkosten aufgrund des hohen Heizwärmebedarfs auch ausfallen, die Infrastruktur (Verkehr, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten) ist hervorragend, das Umfeld begrünt mit einem hohen Freiflächenanteil. Dies motivierte die Eigentümerin, die LEG, sowohl die Bestandsbauten zu modernisieren und energetisch zu sanieren, neue Grundrissaufteilungen zu schaffen und gleichzeitig die Bestandsfläche aufzustocken. Die Neuaufteilung der Wohnungen schuf einen neuen, Abb. 1: Teilansicht Königsberger Strasse vielfältigen Wohnungsmix (264 WE, gewinn im Verhältnis zum Jahresheizwärmebedarf möglichst hoch zu gestalten, gibt es zwei Möglichkeiten: Ausrichtung und Optimierung der Gebäude und Fenster und deutliche Reduzierung des Heizwärmebedarfs. Ersteres war im Bestand nur begrenzt möglich, folglich wurde um so mehr durch Wärmedämmung und den Einbau von Lüftungsanlagen der Heizwärmebedarf reduziert. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND DACHAUFSTOCKUNG men überprüft, um die Schwachstellen zu erkennen. Abb. 2: Isometrie von Süden Für die aktive Nutzung musste planerisch ein anderer Weg gegangen werden. Bei den rein NordSüd ausgerichteten Gebäuden waren 1.000 m² Solarthermie-Anlage nicht wirksam auf den Dachflächen unterzubringen. Die Lösung: die Kopfbauten erhielten ein südorientiertes Pultdach zur Aufnahme der Solarthermie-Anlage. Um den 3-Liter-Haus Standard (Berechnung nach dem Passivhausleitfaden) zu erreichen, erhielt die Aufstockung eine Gebäudehülle aus Holztafelbauelementen in Passivhausbauweise. Ausgenommen davon sind die Fenster. Alle Bauteilübergänge im Bereich der Aufstockung sind wärmebrückenfrei. Mit der Holztafelbauweise ist es recht unkompliziert, wärmebrückenfrei zu bauen. Im Bestand ist diese Aufgabe nicht so einfach zu lösen. Alle Bauteilübergänge wurden erfasst und berechnet, um den Wärmebrückeneffekt deutlich zu reduzieren. Ziel ist es, nicht nur den Wärmeabfluss zu reduzieren - die Einhaltung des Schimmelpilzkriteriums zur Sicherstellung des hygienischen Komforts hat ebenso einen sehr hohen Stellenwert. Um die Wärmebrückenvermeidung auch praktisch umzusetzen, wurden zahlreiche Leitdetails mit klaren Vorgaben für das Handwerk entwickelt. Letzteres ist im Bereich der Luftdichtheit der Gebäudehülle besonders wichtig. Im Bestand wurden die Häuser vor den Sanierungsmaßnah- Abb. 3: Fassadenschnitt altbauspezifischen 1232 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1233 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND DACHAUFSTOCKUNG Die Umsetzung bedarf der guten handwerklichen - Handhabe - insbesondere im Bereich der Luft- erreicht HT´ i.M. 46,6 zul. HT´ i.M.= 70,5 -66% dichtheit und Wärmebrückenvermeidung. In einer wöchentlichen Qualitätskontrolle durch das 2 Konstruktion Büro ARCHPLAN (Staatl. anerkannten Sachverständigen für Schall- und Wärmeschutz) werden 2.1 Voruntersuchung Die vorhandenen Planunterlagen aus den 50er die Mängel zeitnah erfasst und an die Bauleitung Jahren sind nicht aussagekräftig genug um die weitergeleitet. Bausubstanz schlüssig zu bewerten, es sind deshalb sorgfältige Untersuchung der wesentlichen Die planerische Optimierung der Gebäude, hohe Bauteilkomponenten in der Konzeptphase nötig. Wärmedämmung, Wärmebrückenfreiheit/ Ver- Diese reichen von der Überprüfung des Baugrun- meidung und die Luftdichtheit der Gebäudehülle des in unmittelbarer Nähe der Innen- und Außen- reduzieren deutlich den Heizwärmebedarf und fundamente durch den Bodengutachter bis zu sichern den passiven solaren Wärmeeintrag. Dies Querschnittuntersuchungen ist die Basis, um erneuerbare Energie, aktive So- Bauteile. der konstruktiven larenergienutzung, sinnvoll umzusetzen. Diese Voruntersuchungen sind auch für die wei- Ziele/Vorgaben Solarsiedlung NRW - Solarer Deckungsgrad: > 0,25 teren Baukomponenten notwendig, zumal in diesem Fall in mehreren Punkten Abweichungen von erzielt: > 0,27 - Wärmedämmung: HT´ ≤ 0,4 (für Aufstockung und Bestand) erzielt 0,38 - bauweise erstellt worden und aufgrund des Bau- 2 Heizwärmebedarf: ≤35 kWh/m a grundes waren die Fundamente noch ausrei- erzielt: ≤ 26,5 kWh/m2a - Aktives Solarsystem: mind. 60 % Deckung für Solarthermische Anlagengröße: 1000 m - 2 chend dimensioniert, dass eine Aufstockung in der leichten Holztafelbauweise möglich wurde. Die oberirdischen Außenwände bestanden aus- Basis: PHPP, Passivhausleitfaden nahmslos aus Bimsstein-Mauerwerk, allerdings Ziele nach KfW- Programm - Aufstockung: „ökologisch Bauen, Energiespar- waren abweichend von den Planunterlagen deutlich weniger Ringbalken eingebaut bzw. nicht vollständig erstellt worden. Die Geschossdecken haus 40“ - führungsart festgestellt werden mussten. 2.2 Die Untersuchung ergab folgendes Bild Die Kelleraußenwände waren in Stampfbeton- Emission: ≤ 40 CO2/m2 erzielt: > 40 CO2/m2a - der, in den Planunterlagen vorgegebenen Aus- 2 Qp < 40 KWh/(m a) (Jahres- Primärenergiebe- wurden als Holzbalkendecken ausgeführt, in den darf) Bereichen der Küchen und Bäder mit Betonträ- 2 erreicht Qp i.M 34,2 kWh/(m a) gern und Bimsdielen erstellt. Die letzte Geschoss- - decke (Holzbalken) war als nicht tragfähig anzu- HT´ -45% erreicht HT´ -65,6 % sehen und für die geplante Aufstockung nicht - geeignet. Bestand: „CO2-Gebäudesanierungspro- gramm“ Kategorie A, Neubau- Niveau minus 30 % - 2 zul. Qp i.M.= 80,67 kWh/m a 2 erreicht Qp i.M. 47,3 kWh/m a -58% 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND DACHAUFSTOCKUNG Abb. 4: Statisch, konstruktives Konzept Ausführung Die Erkenntnis, dass die letzte Geschossdecke Außenwänden und den Mittelwänden kragt über keine Lasten aufnehmen kann, führte zu der Lö- die Außenwände um 0,45 m umlaufend aus, ei- sung diese Decke komplett durch eine neue nerseits zum Ausgleich eventueller Maßtoleran- Tragkonstruktion zu überbrücken. Die gewählte zen bei den bis zu 80 m langen Blöcken, anderer- Brettsperrholzdecke, mit Auflagerpunkten an den seits um den Detailpunkt Übergang des Wärme- 1234 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1235 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND DACHAUFSTOCKUNG dämmverbundsystems des Bestandes zur Aufsto- sind, z.T. sind diese Grundrisse auch Haus über- ckung fehlertolerant zu gestallten. Als ein weite- greifend. rer positiver Nebeneffekt ergaben sich durch die Auskragung insgesamt ca. 1000 m² mehr Wohn- Sämtliche tragenden Wände der Aufstockung fläche in der Aufstockung gegenüber den Nor- sind als vorgefertigten Holztafelelementen mit malgeschossen. montierten Fenstern und eingebauter Dämmung gefertigt und montiert, alle nicht tragenden Die Ausrichtung der Brettsperrholzdecke durch Wände werden örtlich in Trockenbauweise er- Richtschwellen auf den Ringbalken an den Au- stellt. ßen- und der Mittelwand sorgt für eine zügige Montage, was im Hinblick auf die darunterliegenden, zum Teil bewohnten Wohnungen einen enormen Vorteil im Hinblick auf die Bauwassersicherung ergab. Als Fixpunkte für den Aufbau der Aufstockung sind die vier Innenecken der Treppenhäuser und die Position der Sanitärstränge vorab durch einen Vermesser erfasst und in die Ausführungs- und Werkplanung übernommen worden. Die statisch notwendige Verankerung der Aufstockung erfolgt in die Ringbalken. Abb. 6 Die Begrenzung der gedämmten Hülle ist die Decke über den Wohnräumen, ebenfalls als vorgefertigte „liegende“ Elemente mit Dämmung konstruiert. Im Bereich der Maisonette wird die Zwischendecke durch eine Brettsperrholzplatte gebildet, das Pultdach wiederum ist aus gedämmt Elementen errichtet. Die Dachkonstruktion des Satteldaches besteht aus längs laufenden Bindern, die die selbsttragenden Trapez-Dachelemente unterstützen. Abb. 5 Potentiale für die Verwendung von Holztafelbau: - Durch die neue, durchgehende tragfähige Ebene ideal für Bauten mit geringen statischen Re- ergibt sich die Möglichkeit, in der Aufstockung größere Grundrisse zu realisieren, als in den Normalgeschossen des Bestandes vorhanden Holztafel- oder Holzbauelemente sind leicht, serven - Weitgehende Vorfertigung beschleunigt die Montage und den gesamten Bauprozess 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND DACHAUFSTOCKUNG - Insbesondere wichtig in Innenstädten und Bauordnungsrechtlich ergibt sich folgende Situa- weiter genutzten Bauten während der Bauzeit tion: Gute Voraussetzungen für energiesparende Bauweisen, hohe Dämmwerte der Bauteile bei geringem Flächenverbrauch 3 Brandschutzkonzept Durch Aufstockung ist das Gebäude kein „Gebäude geringer Höhe“ mehr und damit nach Landesbauordnung NRW in Holz nicht machbar, deshalb wurde das Büro Dehne beauftragt ein Orientierend: Musterbauordnung (MBO) Fassung November 2002 Einführung der Gebäudeklassen G1-G5, Holzbauweise bis zur GK4 (5 Geschosse) Einführung von hoch feuerhemmenden Bauteilen in F60 Orientierend: Brandschutzkonzept für die gesamte Gebäude- Muster-Richtlinie für Brandschutztechnischen substanz zu erstellen. Dieses Konzept sieht vor, Anforderungen an hoch feuerhemmenden dass durch einen erweiterten baulichen Brand- Bauteilen schutz, auch in den Normalgeschossen, das Ge- Fassung Juli 2004 samtgebäude ertüchtigt wird. Dies trifft vor allem Beherrschung auf die Geschossdecken (Holzbalkendecken) zu. BA-Bauweise Die im Bestand vorhandenen Holzbalkendecken Hochfeuerhemmende Bauteile (F60-BA) weisen in Anlehnung an DIN 4102-4 die Qualität Bauteiloberfläche nichtbrennbar F30-B auf. Durch die Ertüchtigung mit Gipsfaser- Kapselung der brennbaren Tragkonstruktion platten an der Unterseite wird die Qualität auf F60-BA/K30 nach DIN 13501-2 erhöht. Das gilt auch für die Holztreppenläufe der Treppenhäuser, die nachträglich vollständig F60/K30 gekapselt werden müssen. in Holzbauweise des (M-HFHHolzR) „Brandrisikos“ durch Grundlage: Landesbauordnung: Einführung der MBO und der M-HFHHolzR nur in einigen Bundesländern Empfehlung: In Abstimmung mit den Genehmigungsbehörden Jeweils individuelles Brandschutzkonzept und der Feuerwehr Köln wurde auf der Grundla- Abstimmung des Brandschutzkonzeptes mit ge des Konzeptes eine Zustimmung im Einzelfall den beteiligten Behörden, der Feuerwehr durch die oberste Bauaufsichtsbehörde die Ge- und den Herstellern möglichst in einem frü- nehmigung erteilt. hen Planungsstadium und unter Leitung des Brandschutzsachverständigen. Sämtliche konstruktiven Bauteile der Aufstockung sind in F60-AB/K30 ausgeführt. Für die Treppenhauswände und die Brandersatzwände wurde ei- 4 Wohnumfeld Ein wesentlicher Bestandteil des zukunftsfähigen ne Qualität von F90-BA/K60 nachgewiesen. Wohnens ist ein schönes, aber auch individuell gestaltbares Wohnumfeld. Mit verschiedenen Bausteinen werden wir diesem Ziel Rechnung tragen. 1236 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1237 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND DACHAUFSTOCKUNG rassen, die den Bewohnern für eine gemeinsame Nutzung zur Verfügung stehen. Wegeverbindungen werden barrierefrei und mit ausreichender Beleuchtung gestaltet. Spiel- und Kommunikationsbereiche werden neu belebt und heutigen Bedürfnissen entsprechend ausgestattet. Abb. 7: Archivaufnahme Ford-Siedlung 6 Eingangsplatz – Platz zum Schwatz Die Hauseingänge werden zu kleinen barrierefreien Eingangsplätzen erweitert. Sie bieten die Möglichkeit, vorübergehend Fahrräder, Kinderwagen oder Gehhilfen trocken und geschützt abzustellen. Auch die Vorgärten bieten reichliche Möglichkeiten, je nach Gebäudeausrichtung die Abendsonne für den nachbarlichen Treff zu nutzen. Entlang der Hausfronten werden niedrige Heckensockel gepflanzt. Abb. 8: Mietergärten – „grüne Zimmer“ am Balkon 7 Regenwasser Das Dachflächenniederschlagswasser wird in Rigolen auf dem Gelände versickert. Es kann aber Die Erdgeschossbalkone erhalten Treppenzugän- auch für die Gartenbewässerung aufgefangen ge in eine Gartenparzelle zur freien Verfügung werden. Ein weiterer kleiner Beitrag zur Wohn- der Mieter. Hecken bilden die robusten, räumlich kostenminderung. stabilen Konstanten der Gärten, die der individuellen Nutzung und Ausstattung durch die Mieter gestalterisch Freiraum lassen und in die Gesamt- 8 Gestaltung Das markanteste Merkmal ist die städtebauliche siedlung einbinden. Anordnung der Gebäuderiegel mit einer klaren Nord-Süd-Orientierung der Wohnblocks. Die da- Bei Bedarf besteht die Möglichkeit für einige zwischen liegenden großzügigen Freiflächen sind Obergeschossmieter ebenfalls einen privaten Gar- zwischenzeitlich üppig mit Baumbestand ausges- tenraum einzurichten, ohne dass auf allgemein- tattet. Die Anordnung in Verbindung mit dem zugängliche Freiflächen verzichtet wird. Grün ergibt den Charakter der Siedlung. 5 Hausterrassen – für die Hausgemeinschaft Zu den Kellereingängen werden schmale Gartenwege geführt. Hier entstehen kleine Hauster- 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND DACHAUFSTOCKUNG einem großen, nach Süden geneigten Pultdach. Neben der Notwendigkeit, hier Sonnenkollektoren zu installieren, soll diese Form städtebaulich die Blocks deutlich orientieren. So ergibt sich an der Haupterschließungsstraße, der Königsberger Straße, eine Abfolge von Kopfbauten, die der geschwungenen Straßenform folgen und so hier ganz neue Blickpunkte und Einfassung des FläAbb. 9 chenraumes mit sich bringen. Die neuen Bauteile werden farblich deutlich gegenüber dem Bestand abgesetzt, wodurch die Aufsattelung und deren Kopfbauten noch einmal zusätzlich betont werden. Die Balkone neben zum Teil die Farbgebung auf, die sich zusätzlich dann noch in den neuen Eingangsbauwerken widerspiegelt. Es wird allerdings mit nur drei Farbtönen – mit unterschiedlichen Nuancierungen – gespielt. Abb. 10 Durch Sanierung und Aufstockung soll die Chance genutzt werden, dieser Siedlung bei Beibehaltung der städtebaulichen Struktur ein modernes Gesicht zu geben. Während die bestehende Substanz durch Wärmedämmverbundsystem und zum Teil neue Fenstereinteilung in ihrer Form Abb. 11 trotzdem aber erhalten bleibt, ergibt das Obergeschoss – auch farblich abgesetzt – dem Gebäude- Abschließend sollen die Freiflächen unter Ausnut- riegel eine neue Gesamtform. Die neuen Balkone zung des großzügigen Zwischenraumes neu auf- unterstützen die neuen Proportionen zusätzlich. geteilt und durch Mietergärten gegliedert werden. Allerdings werden hierbei die vertrauten Die Aufstockung erhält an den südlichen Enden Randeinfassungen durch Hecken erhalten blei- der Wohnblocks eine turmartige Erhöhung mit ben. 1238 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1239 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND SANIERUNG AUF PASSIVHAUSSTANDARD 14.2 Bauen im Bestand Sanierung auf Passivhausstandard Dieter Herz, Florian Lang, Simon Schmerker Familie Kaiser wollte eigentlich ein Passivhaus bauen und hatte sich mit dem Thema im Neubau schon intensiv auseinandergesetzt. Als sie das großzügige, allerdings bebaute Grundstück mit optimaler Lage kaufen konnten, beschlossen sie, dieses Haus zu sanieren. Abb. 2: Gebäude nach der Dena Modellsanierung EnEV -50 % Gesamtkonzept Energieeffizienz für das Haus der Zukunft Sanierung auf Passivhausstandard bedeutet genauer Sanierung mit Passivhauskomponenten. Die Ansätze des bewährten und wirtschaftlichen Standards im Neubau werden auf den Altbau übertragen. Der Heizwärmebedarf von 15 kWh/m²a, der das Passivhaus mit definiert, Abb.1: Bestandsgebäude Die Denkansätze, die sie mit der intensiven Auseinandersetzung zum Thema Passivhaus gewonnen hatten, übernahmen sie mit in die Sanierung. Dazu gehörten: Hohe Wärmedämmung aus ökologischen Baustoffen, Fenster mit 3-fach Verglasung, wärmebrückenfreie und luftdichte Ausführung sowie zu guter letzt eine Komfortlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Hierzu wurde ein Passivhaus-Kompaktgerät verwendet, das als Abluftwärmepumpe auch zur Beheizung des Gebäudes beiträgt. Die darüber hinaus noch nötige wird dabei nicht immer ganz erreicht. Es geht im Bestand vielmehr um eine Verbrauchsreduktion um Faktor 10, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Also beispielsweise eine Reduktion vom durchschnittlichen Standard in Deutschland mit 250 kWh/m²a auf 25 kWh/m²a. Der Ansatz dabei ist: 1. Energie sparen um Faktor 10 2. Energie effizient und regenerativ erzeugen 3. Energie effizient verteilen und nutzen 4. Energieeffizienz nutzbar machen: Qualität sichern Restenergie wird vom Kaminofen, der sowieso gewünscht war, geliefert. Das bestehende Gebäude wurde gestalterisch den modernen Bedürfnissen der Bewohner angepasst. Die Südseite, die mit großen Glasflächen geöffnet wurde, macht die Wohnräume hell und freundlich. Abb. 3: Tachometerdarstellung Energieausweis 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND SANIERUNG AUF PASSIVHAUSSTANDARD 1 Energie Sparen um Faktor 10 1.1 Hochgedämmte Bauteile Hochgedämmte Bauteile sorgen für hohen Wär- Dach: Aufsparrendämmung im Holzbausystem: meschutz und höchste Behaglichkeit durch war- - Beplankung mit 4 cm Holzweichfaserplatte me Oberflächen. Warme Oberflächen wirken sich - U-Wert: 0,16 W/(m²K) - 24 cm Aufdachsparren mit Zellulosedämmung dabei positiv auf die gefühlte Temperatur aus. Ein Wohlfühlklima im Haus der Zukunft ist also mit Kellerdecke: geringeren Lufttemperaturen möglich wie im Be- - stand. schiert WLG 025, unterhalb der Kellerdecke - Bauteile beim Bauvorhaben Kaiser: Außenwand: Holzbausystem: 8 cm Dämmung auf Basis Polystyrol, AlukaTrockenestrich Gesamtstärke 8 cm mit Lattung und Mineralfaser WLG 035 - U-Wert: 0,13 W/(m²K) - 20 cm Ständerwerk mit Zellulosedämmung - Beplankung mit 6 cm Holzweichfaserplatte Energiesparfenster: - U-Wert: 0,14 W/(m²K) Energiesparfenster sorgen für hohe Oberflächentemperaturen und optimalen Wärmeschutz durch: - Verbesserte Rahmen - Dreifachverglasung - Verbesserter Glasrandverbund: Warme Kante - UW, berechnet 0,78 W/(m²K) - Optimierte Einbausituation (Bsp. Leibung) Abb. 5: links: Energiesparfenster, Quelle: Optiwin; rechts: Wärmebrückenberechnung Lei- bungsdetail 1.2 Wärmebrückenreduktion Je besser Bauteile gedämmt und hocheffiziente Abb.4: Außenwand (oben) und Dach (unten) im Bauelemente eingesetzt werden, desto höher Bauzustand wird der Einfluss der Wärmebrückeneffekte am Gesamtenergiebedarf. Es muss folglich bei effizienten Gebäuden ein großes Augenmerk auf die Verbesserung der Details gelegt werden. 1240 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1241 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND SANIERUNG AUF PASSIVHAUSSTANDARD Negativbeispiel für ein Sockeldetail: Über den Sockelanschluss geht mehr Energie verloren wie über die Wandfläche des darüber liegenden Geschosses Abb. 7: rechts: Schimmelfrei auch in der Ecke bei der effizienten Variante (Ecktemperatur berechnet nach DIN EN ISO 10211-2 Anhang B) Abb. 6: Wärmebrücke Sockeldetail Randbedingungen der Berechnung: - Sockelanschluss mit Versatz, keine Perimeterdämmung (ψ = 0,59 W/(mK)) - WDVS mit 16 cm WLG 035 (U-Wert = 0,198 W/(m²K)) - Wandfläche: 2,75 m x 0,198 W/(m²K) = 0,54 W/(mK) < 0,59 W/(mK) 1.3 Luftdichtheit Die Herstellung einer luftdichten Hülle geht seit der 1. Wärmeschutzverordnung, durch die Bilanzierung von Gewinnen und Verlusten gemäß DIN EN 832, in die Berechnung des Heizwärmebedarfes von Gebäuden ein. Seit 1998 ist luftdichtes Bauen allgemein anerkannter Stand der Technik, durch die zur Verfügung gestellten Produkte und entsprechende Schulungen der Planer Konsequenz: Optimierung der Details Positiver Effekt: Steigerung der Wohnhygiene Erhöhte Wärmeabflüsse im Bereich von Wärmebrücken führen zu niedrigen Temperaturen an Innenoberflächen. Tauwasserausfall und Schimmelpilzbildung können die Folge sein. Um dem und Handwerker. Luftdichtes Bauen ist eine große Chance zur Reduzierung von Energiekosten und zur Vermeidung von Bauschäden. Hier werden jedoch immer noch Chancen verschenkt und Pflichten seitens des Baurechts und des Stands der Technik nicht erfüllt. Vorzubeugen ist nach DIN 4108-2 eine raumseitige Oberflächentemperatur von > 12,6 °C einzuhalten. Die Nachweise nach DIN 4108 werden jedoch nur für Flächen und Kanten geführt. Im Schadensfall: Schimmel in der Ecke, zählt jedoch die Ecktemperatur. Wie folgende Darstellung aufzeigt können die Differenzen von der Kante zur Ecke über 4 Kelvin betragen. Kritische Bereiche sollten daher einen erhöhten Wärmeschutz aufweisen. Abb. 8: Prinzip Luftdichtheit 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND SANIERUNG AUF PASSIVHAUSSTANDARD Vorteile der luftdichten Hülle: Planer müssen letztlich in Gebäuden nach - höhere Bauqualität und “Mehrwert” DIN 1946 einen Mindestluftwechsel ohne Fens- - Energieverbrauch erheblich senken terlüftung garantieren, was ohne mechanische - Behaglichkeit erhöhen, Zugluft vermeiden Lüftung nur mit Sonderlösungen möglich ist. - Bauschäden durch Feuchte-Eintrag verhindern - Effizienz der Lüftungsanlage gewährleisten - Schallschutz verbessern - Brandübertrag / Rauchgaseintrag vermeiden - Geringerer Schadstoffeintrag 1.4 Mechanische Lüftung mit Wärmerückgewinnung Mit der Reduzierung der Wärmeverluste durch Dämmung, die Vermeidung von Wärmebrückeneffekten und der luftdichten Gebäudehülle steigt der Anteil der Wärmeverluste durch unkontrolliertes Fensterlüften überproportional an. Fensterlüftung stellt zudem für die Bewohner einen Zwang zur regelmäßigen Beschäftigung mit dem Thema Lüftung dar und verlangt häufige Querlüftung des Wohnbereichs. Im Alltag wird dies oft nicht konsequent durchgeführt mit negativen Auswirkungen auf Raumluftqualität und mögliche Kondensatschäden an Bauteilen, durch hohe Luftfeuchtigkeit. Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung bringt nicht nur Effizienz in die Energieeinsparung, sondern auch für jede Abb. 9: links: Führung der Lüftungsleitungen im Altbau, abgehängte Decke im hohen Flur; rechts: Kompaktgerät wie bei Gesamtsanierung Kaiser 2 Energie effizient erzeugen Eine gut geplante Gebäudehülle, luftdicht und wärmebrückenfrei, bildet die Basis, um effizient erzeugte Energie auch so zu nutzen. Die Sonne ist dabei der Lieferant dieser Energie, durch direkte Einstrahlung, gebunden in Erdwärme oder in Biomasse. Geräte mit hohen Wirkungsgraden in Verbindung mit niedrigen Stromverbräuchen fügen sich in das effiziente Gebäudekonzept mit ein. Form der geistigen und körperlichen Arbeit durch einen konstant niedrigen CO2 Gehalt der Innenluft. Dies sorgt auch für einen erholsamen Schlaf. Pollen und Schadstoffe wie Rußpartikel bleiben außen vor. Die Frischluft ist „warm’’, dadurch entsteht hoher Komfort. Gegen mechanische Lüftungsanlagen gibt es unzählige Vorurteile: Verkeimung in Leitungen, Zugluft, erhöhter Schallpegel, zu trockene Luft und nicht zuletzt mit geschlossenen Fenstern leben zu müssen. Diese Vorurteile können alle widerlegt werden, Grundlage ist „lediglich’’ eine gute Fachplanung unter Einsatz von effizienten Geräten in ebensolchen Gebäuden, sowie der qualifizierten Ausführung. Abb. 10: Sonnenenergie, Zitat: Güssing 1242 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1243 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND SANIERUNG AUF PASSIVHAUSSTANDARD 3 Energie effizient verteilen und nutzen Im Gebäudebereich stehen uns dabei vor allem gegebenenfalls können Baumessungen schon in Niedertemperatur-Heizkreise, durch die geringen sind vor der Endabnahme die Zielvorgaben mit- Verteilungsverluste tels Baumessungen zu prüfen. und Lüftungssysteme mit Rohbauphase Schwachstellen aufdecken. Zuletzt Wärmerückgewinnung, durch die Nutzung der Abwärme zur Verfügung. Die Integration dieser Systeme in hochgedämmten Gebäuden bedarf speziellem Know-how, um den Anspruch an Effizienz und damit an Energieeinsparung zu genügen. Ein sparsames Gebäude macht die Technik jedoch auch einfach und kostengünstig. Abb. 12: Qualitätskonzept 5 Wirtschaftlichkeit der Faktor 10 Sanierung Abb. 11: Wandflächenheizung in der Sanierung 4 Energieeffizienz nutzbar machen: Qualität sichern Steht das Sanierungsziel fest ist die Erreichung des Ziels in der Planungs- und Ausführungsphase sicher zu stellen. Die geplanten Energieeinsparungen müssen sich nach der Sanierung auch in Abb. 13: Wirtschaftlichkeit Bauvorhaben Kaiser der Nutzung einstellen, dafür bedarf es eines Randbedingungen: Qualitätskonzepts. Für die Ausführung der Ge- - Förderung: 2 x 50.000 € = 100.000 €, bäudehülle müssen Wärmeflüsse allen Beteiligten - Zins 1,41 % eff. (Tilgungszuschuss 20 %), bewusst sein. Kritische Punkte wie Wärmebrü- - Zinsbindung 10 Jahre, danach 6 %, cken sind entsprechend zu detaillieren, die Luft- - Laufzeit 20 Jahre dichtheit ist zu planen. Das Planungsteam muss - Grundzins: Weitere Investition: 50.000 € integral zusammenarbeiten, Kommunikation ist - Zins 4,00 %eff., Laufzeit 20 Jahre, Zinsbindung 10 Jahre, danach 6 % der alles entscheidende Punkt. Starke ausführende Partner realisieren das Gebäudekonzept. Energiekosten: - Bestand: Heizölpreis 6 Cent/kWh, Bei Wissensdefiziten können Schulungen des Pla- - Preissteigerung 12 %/a nungs- oder Ausführungsteams die Qualität stei- - Sanierung: Wärmepumpe eff. 4 Cent/kWh, gern. Die Sanierung ist konsequent zu begleiten, Preissteigerung 10 % 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND SANIERUNG AUF PASSIVHAUSSTANDARD Die Sanierung amortisiert sich im Finanzierungs- wiegen die Vorteile des sommerlichen Hitze- zeitraum und das bei konservativen Ansätzen der schutzes und des Schallschutzes von Holzfaser- Preissteigerung und ohne Betrachtung der Wert- platten gegenüber Systemen aus Polystyrol. Diese steigerung des Gebäudes oder notwenige Sowie- Vorteile sind zwar auch im Bereich der Fassade somaßnahmen! Durch optimale Ausnutzung der gegeben, der Einsatz von Holzbausystemen schei- Förderprogramme, beispielsweise der KfW, kann tert hier jedoch meist am Preis. zudem erreicht werden, dass durch die tilgungsfreien Anlaufjahre die monatliche Belastung nur 8.1 Beispiele von Holzbausystemen in der unerheblich höher ist als die Energiekosten im Fassade Bestand. Damit rechnet sich die Sanierung vom ersten Tag und das bei enormen Komfort und Wertgewinn! 6 Ausblick: Sanierung zum Passivhaus mit vorgefertigten Holzbausystemen Vorgefertigte Holzbausysteme können ihre Vor- Abb. 15: Kreuzlattung mit Hanfdämmung, Beplankung mit Holzweichfaserplatten teile vor allem bei der Sanierung im bewohnten Zustand oder bei öffentlichen Gebäuden, wie Schulen, durch die kurzen Bauzeiten ausspielen. Abb. 16: Einfaches Ständerwerk mit Mineralwolle, Beplankung mit Holzweichfaserplatten Abb. 14: Sanierung zum Passivhaus im bewohnten Zustand mit vorgefertigten Holzbausystemen, Klimahauspreisträger 2008, Bildquelle: Ambros Abb. 17: Ständerwerk mit KVH oder Stegträgern, GmbH Gefachdämmung Zellulose, Beplankung mit Holzweichfaserplatten 7 Ökologie und Ökonomie von Holzbausystemen In der Ökobilanz und regionalen Wertschöpfung 8.2 Vorteile des Holzbausystems bei der bieten Holzbausysteme mit ökologischen Dämm- Montage Vorteile sind durch das Holzbausystem unter an- stoffen enorme Potenziale. Diese sollen im fol- derem bei Unebenheiten in der Fassade gegeben. genden am Beispiel von Fassadensystemen erläu- Beim Ständerwerk lassen sich diese leichter aus- tert werden. gleichen als durch Ausbesserungsmaßnahmen zum Kleben des WDVS. Weitere Vorteile ergeben 8 Holzbausysteme an der Fassade Holzbausysteme finden bisher in der Sanierung meist Anwendung im Dachbereich. Hier über- sich durch Befestigungsmöglichkeiten bei vorgehängten Fassaden. 1244 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1245 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND SANIERUNG AUF PASSIVHAUSSTANDARD Bei Komplettsanierungen bei denen die Fenster in wahl ab. So wurde beispielsweise von der Stadt die Dämmebene gesetzt werden ergibt sich zu- München (Bauzentrum München) eine Broschüre dem der Vorteil, dass für die Fenster kein zusätz- aufgelegt: Ökologische Wärmedämmstoffe im licher Blindstock gesetzt werden muss (Abb. 5). Vergleich. Die Darstellungen und Rückschlüsse Werden diese Vorteile in den Kostenvergleich auf der folgenden Seite wurden auf Basis der miteinbezogen bleibt jedoch trotzdem eine nicht vom Bauzentrum München recherchierten Kenn- unerhebliche Differenz. werte zur Ökobilanz erstellt. 8.3 Kosten Betrachtet wird im Folgenden das System aus 8.4 Ökobilanzierung des Holzbausystems Abb. 17: Einfaches Ständerwerk, Gefachdämmung aus Zellulose und Beplankung mit Holzweichfaser. Der Wandaufbau soll die Kriterien an das Maßnahmenpaket des CO2-Sanierungsprogramms erfüllen. Es ergeben sich folgende Werte für die Fassade mit Putz und Anstrich rein netto: System 1: WDVS Polystyrol 18 cm WLG 040, mit Dübelung (U = 0,22 W/(m²K): 93 €/m² System 2: Holzbausystem 16 + 4 cm WLG 040 + 042 (U = 0,21 W/(m²K): 125 €/m² Abb. 18: Vergleich Primärenergieaufwand bei Holzbau- (links) und Wärmedämmverbundsyste- Bei 270 m² Außenwandfläche am Beispielgebäu- men (rechts) de belaufen sich die Mehrkosten netto auf 8.640 €. Bei dieser Größenordnung ist es verständlich warum sich Holzbausysteme in der Fas- 8.4.1 Primärenergieaufwand Die Abb. 18 zeigt den Primärenergieaufwand der sade in der Breite noch nicht etabliert haben. zwei Systeme im Vergleich. Das Ergebnis erzeugt Zum 31.12.2007 lief zudem das Marktanreizpro- noch keinen Aha-Effekt, man ist eher überrascht, gramm für Naturfaserdämmstoffe aus. Dieses dass die Holzweichfaserplatte (Basis Nassverfah- Programm galt für neuere Produkte, um sich am ren) einen so hohen Primärenergieaufwand hat. Markt zu etablieren. Für einzelne Dämmstoffe Nun ist dazu zum einen zu sagen, dass Holz- gab es Investitionszuschüsse durch das Bundes- weichfaserplatten im Trockenverfahren herge- verbraucherschutzministerium in Höhe von 25 bis stellt wesentlich weniger Energieaufwand benö- 35 €/m². Dadurch waren Holzbausysteme noch tigen, wer sich also den Hersteller nach diesem attraktiver. Ein Nachfolgeprogramm wurde nicht Kriterium aussucht, kann hier noch weiteres Ein- aufgelegt. Die Potentiale von Holzbausystemen in sparpotenzial ausschöpfen. Zum anderen scheint Bezug auf Energieeinsparung und Ressourcen- dem Autor jedoch der Primärenergieaufwand schutz sind jedoch enorm und sollten nach Mei- auch nicht die richtige Kennzahl zu sein, um die nung der Autoren wieder Berücksichtigung in der Systeme miteinander zu vergleichen. Dies sah Förderung finden. auch das Bauzentrum München so und hat in ihrer Broschüre das Erderwärmungspotenzial (Glo- Einzelne Städte haben die Potenziale bereits er- bal Warming Potenzial = GWP) der Baustoffe mit kannt und geben Empfehlungen zur Baustoff- aufgenommen. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND SANIERUNG AUF PASSIVHAUSSTANDARD 8.4.2 Erderwärmungspotenzial 4.4.3 Schlussfolgerung zur Ökobilanzierung des Holzbausystems In Zukunft werden CO2-Emissionen in allen Lebensbereichen Berücksichtigung finden, Holzbausysteme haben dadurch enormes Potenzial. Konsequenterweise sollte wieder eine Förderung für ökologische Dämmstoffe eingeführt werden. Bis zur besseren Konkurrenzfähigkeit was die Herstellungskosten angeht, im Vergleich zum WDVS auf Basis Polystyrol, könnte die Förderung die Marktfähigkeit steigern. Schließlich wird auch der Einsatz erneuerbarer Energien enorm bezu- Abb. 19: CO2 Ausstoß und Einsparung bei Holz- schusst, was denselben Zweck der CO2-Reduk- bausysteme im Vergleich tion verfolgt. Holzbausysteme können zusätzlich die regionale Wertschöpfung steigern und durch kurze des CO2 Emissionshandels und wird in kg/CO2 Emissionen und Primärenergieaufwand weiter angegeben. steigern. Ökologische Dämmstoffe haben durch ihre Speicherung von CO2 meist negative Werte. Durch die Tabellenwerte des Bauzentrums lassen sich wiederum die Systeme vergleichen. Es ergeben sich dabei erhebliche Einsparpotenziale. Durch die Verwendung eines Holzbausystems anstatt eines WDVS auf Basis Polystyrol können am Beispielgebäude knapp 4 to CO2 eingespart werden. Dies entspricht dem CO2 -Ausstoß durch die Beheizung des Beispielgebäudes in 10 Jahren. Wege die Gesamtbilanz von CO2- Das Erderwärmungspotenzial ist eine Grundlage 1246 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1247 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND GEBÄUDEUPDATE 14.2 Bauen im Bestand Gebäudeupdate Richard Adriaans te Strecken kalt bleiben und es deshalb unwiegerlich zu Reklamationen der Bewohner kommt. 1 Einleitung Die Bedeutung der bestehenden Gebäudesubstanz für eine nachhaltige Entwicklung ist unbestritten. Bis ins Jahr 2050 wird in Deutschland über 90 % des Gebäudeenergiebedarfs durch Gebäude verursacht, die vor dem Jahr 2000 erstellt wurden. Wenn man für etwa 39 Mio. Wohnungen in 17 Mio. Gebäuden die 20-20-20 Regel der EU bzw. des Deutschen Kabinetts-Beschlusses bis 2020 Abb. 1 - 20 % weniger Energie brauchen - 20 % weniger CO2-Ausstoß verursachen Wenn bisher in solchem Umfang Sanierungen - eine 20 % höhere Energie-Effizienz aufwei- vorgenommen wurden, wurde die betroffene Im- sen, mobilie fast bis in den Zustand des Rohbaus zu- auch im Bereich der Heizenergie für Gebäude rückgesetzt. erzielen will, gibt es verschiedene Szenarien: - - man könnte bis 2020 ca. 700.000 Wohnun- Da ist es nicht verwunderlich, dass selbst die gen schlicht abreißen und den Rest wie bisher Deutsche Bank in einer Studie feststellt, dass die weiter beheizen – nicht insgesamt, sondern deutsche Bauwirtschaft und verwandte Branchen jährlich… angesichts des Klimawandels zu den doppelten man könnte bis 2020 ca. 1,1 Mio. Wohnun- Gewinnern gehören. gen mit dem Faktor 10 (Heizwärmebedarf ca. 2 l/m²) sanieren – nicht insgesamt, sondern Die Frage ist sicher nicht, dass es sinnvoll wäre, jährlich… einige zigtausend oder sogar hunderttausend Wohnungen abzureißen, die so schlecht sind, Die höchste Wirtschaftlichkeit wird mit steigen- dass sie nicht wirtschaftlich seriös saniert werden dem Energiepreis mit der Wärmedämmung der können… . äußeren Gebäudehülle, vor allem der Wände erreicht. Aber 700.000 Wohnungen im Jahr abzureißen, wird ebenso sicher von niemandem wirklich er- Aus technischen Gründen ist aber neben dem wogen. Dach und den Fenstern vor allem auch die Haustechnik zu erneuern. Ein Abriss muss schließlich genau wie Neubau und Sanierung in einen städtebaulichen Kontext Dies ist in allen Gebäuden, deren Heizenergiever- passen und ist vor allem unter Gesichtpunkten brauch um Faktor 10 gesenkt werden soll schon des Rechts am Eigentum zu sehen und nicht deshalb notwendig, weil die Heizungsanlage für zuletzt auch aus Sicht der Bewohner, für die den neuen sehr niedrigen Bedarf erheblich über- natürlich adäquaten Ersatz-Wohnraum vorhan- dimensioniert ist, die Heizkörper damit über wei- den sein muss. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND GEBÄUDEUPDATE Abb. 2: Gewinner- und Verliererbranchen des Klimawandels (Quelle: DB Research 6/07) 2 Aufgabenstellung Die Aufgabenstellung ist also, 1,1 Mio. Wohnungen im Jahr zu sanieren. - Wie sollen die Wohnungseigentümer es schaffen, jährlich 2,2 Mio. Menschen zu transluzieren? Angesichts der bisherigen Leistungsfähigkeit von - Malern, die Wärmedämmverbund-Systeme anbringen, - Heizungsbauern die neue Heizungs- und Lüf- - Wie sollen die Dachdecker und Zimmerer und die Heizungsbauer und Sanitärleute an einem solchen Objekt koordiniert und „gebauleitet“ werden? tungsanlagen einbauen, - und / oder Zimmerern und Dachdeckern, die die neuen Dächer erstellen müssen, Angesichts dieser Fragen hätte ein System, - in dem eine weitgehende Koordinierung (durch die Ausführung durch Generalunter- muss allerdings die Frage erlaubt sein, ob das überhaupt mit den derzeit erprobten Systemen geleistet werden kann. (über)nehmer) gegeben wäre - in dem eine Transluzierung der Bewohner ggf. überflüssig wäre, weil erhebliche Teile der Ausführung (insbesondere der TGA) nicht in- Insbesondere, wenn dabei die folgenden Fragen noch nicht geklärt sind: - Wie hat sich das WDVS mit 30 cm Dämmstoffdicke eigentlich bewährt, das gebraucht wird, um den Energiestandard des Altbaus auf Passivhausstandard zu trimmen? nen sondern außen vollzogen würde - in dem auch Dämmstärken von 40 cm kein Problem wären - in dem auch die Fenster, Fensterbänke und ggf. Rollläden gleich integriert wären sicher gute Chancen auf Realisierung. 1248 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1249 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND GEBÄUDEUPDATE 3 Realisierung Ein oben beschriebenes System gibt es – mindestens theoretisch. - Zum Schluss kommt noch der Lüftungsbauer und setzt ein entsprechendes Zuluftelement im Wohnzimmer und ein Abluftelement im Bad Man denke sich das Bauen von neuen Holzhäusern, das ja nichts anderes ist, als die Realisierung Dieses Szenario ist natürlich nicht nur fiktiv, es ist einer vorgefertigten, dick wärmegedämmten auch übertrieben. Außenwand und eines entsprechend vorgefertigten Daches um eine virtuelle Hülle, die der Planer Aber im Grundsatz schildert es eine Art von Sa- mit seinen Zeichnungen vorgegeben hat… nierung, die mit gewissen Abstrichen in der Realität durchaus vorstellbar wäre… …übertragen auf die Realisierung einer vorgefer- …und so erhebliche Vorteile hätte, dass man tigten, dick wärmegedämmten Außenwand und diese auf Dauer nutzen wird. eines entsprechend vorgefertigten Daches um eine reale, bereits existierende Hülle eines beste- Dabei ist die Abkehr von der typischen Realisie- henden Hauses herum. rung: - Wärmedämmung außen Die Vorfertigungstechniken sind quasi identisch, - Haustechnik innen die Montage ebenso. nur möglich durch die spezifische Art der Holzfertigbauelemente, die so große Hohlräume bieten, - Wenn dann in den vorgefertigten Elementen dass in ihnen die technische Gebäudeausrüstung auch die Fenster gleich drin sind, lässt sich fol- verlegt werden kann. gendes Szenario denken: - Die Wohnungsmieter im zu sanierenden Ob- Dadurch potenzieren sich geradezu die Vorteile jekt erleben eines Morgens, wie sich zwei dieser Art der Sanierung: 25 mm dicke Bohrer im Abstand von 50 mm - weitgehende Vorfertigung nach CAD-unter- durch die Außenwand bohren - Vorlauf und stützter Arbeitsvorbereitung nach elektroni- Rücklauf für die neuen Heizkörper. - Anschließend erscheint unter signifikanter Geräuschentwicklung daneben eine Bohrkrone, - scher Gebäudeaufnahme durch 3D Scanner - dadurch höchstmögliche Qualität der Elemente die ein Loch mit 110 mm Durchmesser hinter- - sehr schnelle, effektive und trockene Montage lässt – für die zukünftige Lüftungsleitung - Bewohner können in den Wohnungen verblei- nachdem nach der Durchführung der Leitun- ben, weil die Verlegung der neuen TGA weit- gen dann ein Fassadenelement eingeschwebt gehend von außen geschehen kann und montiert ist, in dem das neue Fenster be- - reits montiert ist, Die bisher weitgehend mit der Erstellung von EFH kommt ein Monteur an die Wohnungstür, beschäftigten handwerklich orientierten Holzfer- klingelt und bitte höflich darum, das bisherige tigbaubetriebe haben, soweit sie auch bisher Fenster ausbauen und mitnehmen zu dürfen. schon schlüsselfertig gearbeitet haben, eine Al- Danach erscheinen zwei Heizungsmonteure, ternative zu den deutlich im Absatz reduzierten die den alten Heizkörper abbauen und mit- Einfamilienhäusern und sind quasi prädestiniert, nehmen, nachdem sie einen neuen montiert in ihrer Region ansässige Wohnungsgesellschaf- haben, ten zu bedienen. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND GEBÄUDEUPDATE Soweit sie in der Region über eine entsprechende maximale Gebäudehöhe, die mit diesem Sys- Reputation verfügen und auch die anderen tem in Holzbauweise ausgestattet werden Handwerker mit koordinieren können, verfügen kann wird davon abhängen, in wieweit in den sie über ein quasi unschlagbares Angebot, das Geschoßstößen entsprechende Brandschotts auch industrielle Fertigbauanbieter kaum toppen eingebaut werden. Hier sind grundsätzlich Ge- können. bäude bis zur Hochhausgrenze (23 m) denkbar. Diese Art der Sanierung ist ein typisches Arbeits- c. Für Holzbauer neu ist zwar die Aufgabenstel- feld für ein gut koordiniertes Team aus lung, solch große, vorgefertigte geschosshohe - Architekt Teile mit Längen von ggf. mehr als 12 m an - Tragwerksplaner der vorhandenen Fassade zu befestigen. Diese - TGA- Planer Aufgabenstellung ist allerdings für Spezialfir- - Holzfertigbauer men, die z.B. Abfangungen für Fassaden aus - HSK-Unternehmer Verblendmauerwerk machen nicht grundsätz- unterstützt die multidisziplinäre Zusammenarbeit lich neu. Insbesondere die Lasten, die durch insbesondere von KMU und Freiberuflern und die vorgefertigten Holzelemente verursacht schafft Wertschöpfung in der Region. werden, sind vergleichweise einfach zu handeln. 4 Offene Fragen a. Zu klären ist insbesondere die Frage, wie die d. Eine völlige Neuorientierung bedeutet es da- durch die vorhandene Immobilien vorgegebe- auf dem Gebäude unterzubringen. Aufgrund nen Toleranzen – vor allem Abweichungen der großen Dämmstärken sind Wärmeverluste von der Ebenheit von Flächen – erfasst und in zwar unerheblich, eventuelle Wärmebrücken, die Arbeitsvorbereitung umgesetzt werden. ggf. Denn in einem neu zu erstellenden Objekt in (Schwitzwasser-Vermeidung) relativ einfach zu Holztafelbauweise gibt es zunächst ja keine lösen. Problematisch werden Verbindungen Toleranzen, die berücksichtigt werden. In ei- zwischen den Fertigteilen, insbesondere dann, nem bestehenden Projekt, das in Nassbauwei- wenn sie geschossweise gestoßen sind. Hier se errichtet wurde, sind erfahrungsgemäß wird es ggf. sinnvoll sein, mehrere Geschosse Abweichungen von der Ebenheit der Fläche mit lotrecht aufgeteilten Elementen zu über- von ± 2-3 cm nicht ungewöhnlich. Hier wird brücken. Ebenso anspruchvoll ist die Übergabe eine elektronische Datenerfassung mit 3D aus den lotrechten Steigesträngen in die Ge- Scannern erforderlich sein, um die erforderli- schosse hinein, um sie dort weiter zu führen. chen Gebäudedaten für die Arbeitsvorberei- Hier wird die Schnittstelle zwischen vorferti- tung zur Verfügung zu stellen. gendem Holzbaubetrieb und Haustechnik- b. Diese Art der Sanierung setzt natürlich ein Minimum an Stückzahlen voraus, die in Ab- gegen, die Haustechnik in der Fassade, außen bauphysikalische Fragestellungen Unternehmen peinlich genau entwickelt werden müssen. hängigkeit von der vorhandenen Fassadenaufschaftlich arbeiten zu können. EFH werden 5 Vermarktung und Umsetzung a. Um solche wie die vorgenannten Systeme deshalb nicht oder nur dann in Frage kom- marktreif zu machen, müssen daran interes- men, wenn durch Reihenhaus- Bebauungen sierte Unternehmen und Freiberufler sich zu entsprechende Redundanzen vorliegen. Die Arbeitsgemeinschaften teilung erreicht werden müssen um wirt- zusammenschließen, 1250 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1251 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND GEBÄUDEUPDATE die ihre Leistungen den i.d.R. institutionellen schlossene Fonds das Geld von Anlegern bün- Auftraggebern anbieten. Diese Unternehmen deln und zweckgebunden für Sanierungen der müssen als Bauteam funktionieren, eine sonst vorgestellten Art zur Verfügung stellt. übliche Fluktuation der Auftragnehmer ist bei solchen Geschäftsmodellen nicht denkbar. b. Für die Gewinnung von Kunden für solcherart 6 Konklusion Dass Holz an der Fassade wieder eine Renais- Sanierungen ist es von größter Wichtigkeit, sance erleben kann, und zwar nicht als primärer neben der zweifellos vorhandenen techni- Konstruktions-Werkstoff, quasi als Wandbildner schen Kompetenz die man haben und präsen- sondern nur für den Schutz vorhandener Gebäu- tieren können muss, Entscheidungshilfen für de, die aus Gründen der Dauerhaftigkeit ur- die potentiellen Auftraggeber und die von die- sprünglich mineralisch ausgeführt wurden, aber sen ggf. hinzugezogenen Finanzierer bereit zu im Sinne der Energie-Effektivität größte Schwä- stellen. Damit muss die Wirtschaftlichkeit sol- chen aufweisen, ist letztlich kein Wunder. cher Maßnahmen begründet werden können, weil die Kosten für die Holzfertigteile mit ge- Das sieht man an Dachstühlen, wo Holz als Bau- schätzten 175 – 195 € signifikant höher sind stoff über Jahrtausende die größte Bedeutung als die Kosten für WDV- Systeme, die mit ca. hat, die eigentlich nie anders konstruiert waren, 30 cm Dämmstoffdicke bei nur 110 € liegen weil Holz hier unschlagbare Vorteile mitbringt. dürften, unabhängig davon, ob man ein Gerüst für die Montage benötigt oder nicht. Die- Diese unschlagbaren Vorteile aus konstruktiver se Entscheidungshilfen müssen exakte Rendi- Sicht, die sich in der Wandsanierung mit vorge- te-Berechnungen zulassen, die nicht nur die fertigten Bauteilen aus Holz abbilden werden in steigenden Energie-Kosten selbst, sondern vor diesem Fall noch ergänzt um die größtmöglichen allem die bessere Vermietbarkeit berücksichti- ökologischen + ökonomischen Vorteile: gen, die in Zeiten heftig steigender Energie- - eine Sanierung mit großflächigen Holzfertig- kosten der Vermieter erreichen kann, der die teilen, in denen Holzfenster eingebaut sind, gesamten für´ s Wohnen zu zahlenden Kosten und die als Dämmung eine Zellulose-Ein- gering halten kann. blasdämmung aus recycelter Tageszeitung c. Diese Rendite-Überlegungen gehen soweit, dass bei entsprechend niedrigen objektspezifi- aufnimmt, lässt sich im Sinne einer ökologischen Betrachtung nicht günstiger herstellen. schen Heiz- und Warmwasserkosten diese im - wenn im Laufe der kommenden Jahre die Sinne einer Warmmiete in Ansatz gebracht Lebenszykluskosten sich an den wirklichen, werden können. (Sobald der Aufwand für die umwelt-relevanten Kosten orientieren werden, Heizkostenabrechnung höher ist als die ei- werden solche Fassaden auch ökonomisch gentlichen Heizkosten selbst, können auch kaum zu schlagen sein. nach dem derzeitigen Mietrecht Warmmieten vereinbart werden!) d. Am interessantesten dürfte ein Modell sein, in denen das Auftragnehmer-Konsortium eine Finanzierung gleich mitbringt. In Zeiten, in denen Geld einen sicheren Hafen sucht und nicht in erster Linie höchste Renditen sind auch sehr gut Modelle denkbar, in denen ge- 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND GEBÄUDEUPDATE 1252 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1253 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND ERHALTUNG UND ERTÜCHTIGUNG VON HOLZTRAGWERKEN 14.2 Bauen im Bestand Erhaltung und Ertüchtigung von Holztragwerken Wolfgang Rug Die Bautechnik des Holzbaues hat in ihrer langen Entwicklungsgeschichte eine Vielfalt von Konstruktionen und Tragwerken hervorgebracht [1], die in vielen Fällen prägender Bestandteil der Baukultur Deutschlands sind. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die ca. zwei Millionen Fachwerkbauten, aber auch an historische Dachkonstruktionen, die nach über 800 Jahren immer noch ihre Tragfunktion erfüllen oder die historischen Blockbauten, die als Wohn- oder Wirtschaftsgebäude ganze Regionen Deutschlands prägen. Über die lange Zeit der Nutzung wurden die Holztragwerke auch immer neuen Bedingungen und Ansprüchen angepasst, wofür das in Abb. 1 und 2 gezeigte Gebäude beispielgebend stehen soll. Abb. 2: Nördliche Fassade, 1589 im Stil der Renaissance umgestaltet und um ein Stockwerk erweitert Außerdem legen zahlreiche Holzbauten bzw. Holztragwerke aus der Zeit zwischen 1780 und 1945 Zeugnis ab, von der handwerklichen Qualität und von den innovativen Holzbautechniken, mit denen die Holzbauer früherer Zeiten zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen wollten (z.B. in [2]). Sichtbare Zeugnisse dieser Entwicklung sind zum Beispiel die historischen Zeugnisse des Holzhaus-, des Hallen- oder des Dachbaues (z.B. in [2] bis [6]). Die Erhaltung historischer Konstruktionen erfordert eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Bauens, seiner konstruktiven Entwicklung, seiner kulturgeschichtlichen und sozialen Bedeutung. Will man historische Holztragwerke substanzschonend erhalten, bedarf es eines BewusstAbb. 1: Rathaus Esslingen - herausragendes Bei- seins zum kulturgeschichtlichen Wert und zur spiel für den alemannischen Fachwerkbau, 1430 Bedeutung der Holzbauweise für die Entwicklung erstmals erwähnt der Baukultur in Deutschland. Ein Bewusstsein, 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND ERHALTUNG UND ERTÜCHTIGUNG VON HOLZTRAGWERKEN welches zunächst der künftige Bauherr haben werkhaus oder ein Blockhaus erwirbt, ganz an- muss. Er entscheidet letztendlich über den Erhalt ders mit der vorhandene Substanz umgehen! der historischen Konstruktion, die er weiter nut- Weil er sich mit seinem Gebäude anders als frü- zen will. Was weiß aber der heranwachsende here Generationen identifiziert wird er sich kom- deutsche Bürger über die Geschichte des Holz- petente Baufachleute für den Erhalt seines Ge- baues? Nichts! Deshalb ist es wichtig diese Lücke bäudes suchen. Nur ist hier die Frage, ob er sie zu schließen und schon die Kinderbücher der denn findet? kleinsten Kinder mit entsprechenden Informationen auszustatten. Wie baute man früher Häuser, Die Erhaltung und Ertüchtigung von Holztrag- warum verwendete man bis zur Mitte des werken ist eine sehr anspruchsvolle fachliche 18. Jahrhunderts bevorzugt Holz und Lehm zum Aufgabe, denn sie umfasst neben einer sorgfälti- Hausbau und wer errichtete diese Häuser, wie gen Prüfung der Erhaltungswürdigkeit, Kenntnis- entstand eine Burg, ein Bürgerhaus oder eine se zu den historischen Holzbautechniken, zum ganze Stadt, lässt sich in den Kinderbüchern aller Werkstoff und zu den Methoden einer substanz- Altersklassen kindgerecht erklären. Wie setzt sich gerechten und – schonenden Erhaltung bzw. Er- ein Fachwerkhaus oder eine Dachkonstruktion tüchtigung ([1], [10] bis [14]). Nach Einschätzung zusammen, wie wurde aus den Holzstäben zu- des Autors wird die Ausbildung unserer Architek- sammen mit den zimmermannsmäßigen Verbin- ten und Bauingenieure diesen Ansprüchen in kei- dungen eine standsichere Konstruktion, auch das ner Weise gerecht. Hier muss in jedem Fall die könnte man durch entsprechende Bausätze spie- Ausbildung und vor allem auch das Studien- und lend erlernen. Puppenhäuser oder Spielhäuser für Lehrmaterial verbessert werden. Das heißt aber den Garten sollten nicht aus Kunststoffen sein, auch, dass innerhalb der gegenwärtigen Holzbau- sondern aus Fachwerk- oder Blockbau bestehen. lehre der Altbau bzw. die historischen Tragwerke Maschinen waren im Mittelalter häufig aus Holz und Verbindungen einen größeren Anteil ein- konstruiert. Warum also eine Windmühle, eine nehmen müssen. Sägemühle, ein Hammerwerk nicht selbstständig mit maßstäblich dimensionierten Holzstäben Wenn schon die Holzbauausbildung in den letz- bauen. Welches Kind weiß heute noch etwas ü- ten Jahrzehnten wesentlich verringert wurde, so ber die Bedeutung des Waldes, des Holzes, seiner sollte unbedingt die Möglichkeit der gezielten Zu- Arten für die bautechnische Verwendung aber satzqualifizierungen verbessert werden. Die Zim- auch für die Herstellung von Gebrauchsgegens- merer machten es vor mit Ihrer Ausbildung zum tänden, oder sogar für die Herstellung hoch- Restaurator im Zimmererhandwerk! Ähnliches wertiger moderner Möbel? Wer den zukünftigen muss es für Architekten und Bauingenieure ge- Holzabsatz verbessern will, muss in der Bildung ben. der zukünftigen Verbraucher ansetzen und das durchgängig vom Kleinkind bis zur Schul- und Da das Bauvolumen im Bereich der Erhaltung, In- Hochschulbildung organisieren. Die Bedeutung standsetzung und Modernisierung der bestehen- des Waldes als Wirtschaftsfaktor kann in jedem den Bausubstanz inzwischen höher als das Neu- Geschichtsunterricht auch unter dem Aspekt der bauvolumen liegt ist der Architekt und Bauinge- jeweiligen regionalen Entwicklung (z.B. Baden- nieur in der Praxis zunehmend mit Erhaltung und Württemberg) ein spannender Lehrstoff sein. Ein Ertüchtigung von Holztragwerken beschäftigt. in diesem Sinne gebildeter Mensch wird, wenn er Werden durch Umnutzung eines Gebäudes oder als Erwachsener später einmal ein altes Fach- durch die Beseitigung von Bauschäden Eingriffe 1254 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1255 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND ERHALTUNG UND ERTÜCHTIGUNG VON HOLZTRAGWERKEN in die historische Holzbausubstanz notwendig, so Unikate durch Anwendung moderner Abbund- sind die in diesem Zusammenhang stehenden techniken preiswert hergestellt und modernsten statischen Untersuchungen nach den bauauf- Ansprüchen angepasst werden? Denkbar ist aber sichtlichen Regeln durchzuführen. Gerade bei his- auch die Anwendung historischer Holzbauweisen torischen Holzkonstruktionen ergeben sich bei im normalen Hausbau. Oder gar die grundsätzli- der Anwendung der bauaufsichtlichen Regeln Si- che Weiterentwicklung der historischen Bauwei- cherheitslücken [8], [9]. Die neue Berechnungs- sen norm DIN 1052: 2008 gilt ausdrücklich auch für Wohnbau. Wie würde eine moderne Holzfach- Bauten im Bestand. Auf die Spezifik der Beurtei- werkbauweise aussehen, wie hoch könnte man lung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit mit einer völlig modernisierten Blockbauweise von Holzkonstruktionen in Bauten im Bestand bauen? Stahl-Glas-Architektur haben wir ent- wird in DIN 1052:2008 allerdings noch nicht ex- sprechend dem aktuellen Architekturtrend zu- plizit eingegangen. Ergänzende Erläuterungen für hauf. Glas-Holz-Architektur bisher nur sehr sel- Bauten im Bestand findet der Leser aber in den ten! zur Anwendung im mehrgeschossigen Erläuterungen zur Norm - in [7]. Dies ist ohne Zweifel ein Fortschritt und findet sich in keiner Baukultur ist Erbe und Fortschritt. Für den Fort- vergleichbaren anderen Bemessungsnorm. Aber schritt und die innovativen Überlegungen der Zu- der gegenwärtige Stand muss weiter verbessert kunft kann man viel aus dem Erbe lernen. Vor- und noch bestehende Sicherheitslücken müssen aussetzung ist, die historischen Holztragwerke geschlossen werden! Der werden für die Nachwelt erhalten und, sofern er- Autor sieht For- schungsbedarf auf dem Gebiet der Verifizierung der Teilsicherheitsbeiwerte für die Ermittlung der Eigenlasten, den Regeln für den Nachweis der Schwingungen bei historischen Holzbalkendecken, der realitätsnahen Berücksichtigung von nachgiebigen Verbindungen bei der Berechnung und Bemessung von historischen Tragwerken, der zuverlässigen Feststellung von Materialeigenschaften im verbauten Zustand, der Entwicklung bestandsschonender Brandschutzmaßnahmen, der Beurteilung der Tragfähigkeit historischer Ingenieurholzbau- Verbindungen und der Entwicklung effektiver Methoden zur Ertüchtigung von Holztragwerken. Den Holzbau als Kulturerbe zu bewahren wirft die Frage auf, warum werden nicht im 2. Weltkrieg zerstörte oder nach dem Krieg abgerissene kulturgeschichtlich wertvolle Fachwerkbauten wieder errichtet. Mit dem Knochenhaueramtshaus in Hildesheim oder der Alten Waage in Braunschweig wurde so das Stadtbild dieser Städte wesentlich verbessert! Wie können derartige forderlich, nachhaltig ertüchtigt. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND ERHALTUNG UND ERTÜCHTIGUNG VON HOLZTRAGWERKEN Quellen [1] K. Lißner, W. Rug, Holzbausanierung, [9] K. Lißner, W. Rug, Ergänzung bzw. Präzisie- Grundlagen und Praxis der sicheren Ausfüh- rung der für die Nachweisführung zur Stand- rung, Springer Verlag, Berlin; 2000 und Tragsicherheit sowie der Gebrauchs- [2] W. Rug, 100 Jahre Holzbau und Holzbaufor- tauglichkeit von Holzkonstruktionen in der schung, In: Bund Deutscher Zimmermeister: Altbausubstanz maßgebenden Abschnitten 100 Jahre Bund Deutscher Zimmermeister der DIN 1052:2004.08, Forschungsbericht Bruder Verlag, Karlsruhe 2003 T3068, Frauenhofer IRB- Verlag, Stuttgart [3] W. Rug, Innovationen im Holzbau- Die Het- 2005 zerbauweise, Teil 1, Bautechnik (1994), S. [10] Lißner, K.; Winter ,S.; Schmidt, D.; Holz, F.; 213- 219, Teil 2, Bautechnik (1995) S. 231- Hessinger, J.; Hauser, G.; Otto, F.; Held, H.; 241 Rug, Wolfgang, W.: Modernisierung von [4] Rug, W.: 100 Jahre Hetzerpatent- Eine Entwicklungsgeschichte der Brettschichtbau- weise, In: Bautechnik (2006) H8, S. 533- 540 [5] W. Rug, 100 Jahre Hetzerpatent, In: Bautechnik (2006) S. 533- 540 Altbauten, In: Informationsdienstholz Holz, Holzbauhandbuch, Reihe 1, Teil 14, Folge 1, DGfH und Holzabsatzfond, München 2001 [11] Rug, W.; Stützer, Ch.; Schulze, K.: Erneuerung von Fachwerkbauten, In: Informations- [6] Rug, W., Held, H.: Lebensdauer von Holz- dienst Holz, Holzbauhandbuch Reihe 5, Teil häusern – Eine Untersuchung zur Lebens- 6, Folge 1, DGfH und Holzabsatzfond, Mün- dauer von im Zeitraum zw. 1870 und 1945 chen 2004 errichteten Holzhäusern, Ingenieurbüro Dr. [12] K. Becker, C. Tichelmann, Ablaufschema für Rug & Partner, Studie im Auftrag des BDZ, Sanierungsbauten - erarbeitet vom AA13 des Bundesverbands Deutscher Fertigbau, „Erhaltung alter Bausubstanz“ der DGfH des Deutschen Fertigbauverband, der Ver- München 1997 bände des Bayerischen Zimmerer- und Holz- [13] R. Görlacher, M. Kromer, Tragfähigkeit von baugewerbes und der Qualitätsgemeinschaft Versatzanschlüssen in historischen Holzkon- Holzbau, Wittenberge 2001 struktionen. Holzbau- Statik- Aktuell, Aus- [7] Lißner, K.; Rug, W.: Ergänzende Erläuterungen für Bauten im Bestand In: H. J. Blaß, J. Ehlbeck u. a., Erläuterungen zu gabe Juli 1992/2, Arge Holz Düsseldorf [14] R. Görlacher, Historische Holztragwerke, Un- DIN tersuchen, Berechnen, Instandsetzen, Son- 1052:2004-8, Entwurf, Berechnung und derforschungsbereich 315, Universität Karls- Bemessung von Holzbauwerken, 2. Auflage ruhe 1999 DGfH, München; 2005 [15] B. Heimeshoff, W. Schelling, E. Reyer, Zim- [8] Lißner, K.; Rug, W.: Die Nachweisführung zur Stand- und Tragsicherheit sowie mermannsmäßige Holzverbindungen, EGH Bericht München 1988 Gebrauchstauglichkeit von Holzkonstruktio- [16] Winter, K./Rug, W. Innovationen im Holzbau nen in historischen Gebäuden, In: Europäi- - Die Zollingerbauweise, In: Bautechnik, Ber- scher Sanierungskalender 2008, Beuth- Ver- lin 69 (1992) 4, S. 190-197 lag , Berlin 2007 1256 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1257 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN 14.2 Bauen im Bestand Bestand geometrisch erfassen Klaudius Henke gen und dort in Programme wie z.B. Excel oder AutoCad eingelesen werden. 1 Allgemeines Das Bauen im Bestand ist einer der wichtigsten Die Anschaffungskosten der Messgeräte für ein Märkte der Bauwirtschaft. Ein Markt, der bis heu- Handaufmaß sind gering und das Verfahren ist te von der Verwendung kleinformatiger Bauele- leicht zu erlernen. Es bietet eine nicht zu überbie- mente und handwerklicher Bearbeitung vor Ort tende Transparenz und damit Sicherheit vor geprägt ist. Fertigbau kommt nur in Ausnahme- Messfehlern. Einfache Objekte mit ebenen Flä- fällen zur Anwendung. Für das Bauen mit vorge- chen und rechten Winkeln sind gut von Hand zu fertigten Elementen aus Holz und Holzwerkstof- vermessen. Aber auch komplexe Geometrien fen stellt der Baubestand somit ein gewaltiges können mittels Handaufmaß erfasst werden, z.B. Potenzial dar. verformte Altbauten in der Baudenkmalpflege, hier sogar oft durch maßstäblichen zeichneri- Der Einsatz von Vorfertigung im Bestand setzt die schen Auftrag direkt vor Ort. Der große zeitliche Verfügbarkeit verlässlicher Bestandsdaten voraus. Aufwand wird dabei durch den Zugewinn an In- Dies gilt insbesondere für die Geometriedaten. formation gerechtfertigt, der sich aus der unmit- Bestandspläne aus der Genehmigungs- oder Aus- telbaren Arbeit am Objekt ergibt. führungsphase sind in der Regel weder aktuell noch genau genug und oft überhaupt nicht vor- Umfassende Darstellungen der Techniken des handen. Deshalb wird bei den meisten Baumaß- Handaufmaßes geben [1] und [10]. nahmen im Bestand eine neu zu erstellende Erfassung der Gebäudegeometrie unerlässlich sein. 2.2 Photogrammetrie Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts und damit nur 2 Die etablierten Messverfahren Im Bauwesen gibt es vier Messverfahren, die als wenige Jahre nach Erfindung der Fotografie etabliert bezeichnet werden können: das Hand- Computers!) wurden die ersten Methoden entwi- aufmaß, die Tachymetrie, die Photogrammetrie ckelt, um aus fotografischen Bildern Lage und und das 3D Laserscanning. Die vier Messverfah- Form von Objekten messen zu können. Damit ist ren werden im Folgenden, in der Reihenfolge ih- die Photogrammetrie die älteste der im Folgen- res geschichtlichen Auftretens, kurz einzeln be- den besprochenen optischen 3D Messtechniken. (Aber knapp ein Jahrhundert vor Erfindung des schrieben und anschließend verglichen. Heute werden für photogrammetrische Aufgaben 2.1 Handaufmaß Das traditionelle Handaufmaß ist nach wie vor als in der Regel digitale Kameras in Kombination mit spezieller Bildauswertesoftware eingesetzt. eigenständige oder ergänzende Methode der Bauaufnahme von großer Bedeutung. Neben den Als Aufnahmegerät kommen je nach Anwen- teils seit Jahrhunderten verwendeten Messwerk- dungsgebiet und Verfügbarkeit unterschiedliche zeugen wie Meterstab und Bandmaß, Lot und Geräte - vom Fotohandy über digitale Kompakt- Wasserwaage, Niveliergerät und Theodolit kom- und Spiegelreflexkameras bis hin zu speziellen men heute auch Laserentfernungsmesser zum Messkameras („Messkammer“) oder 360 °-Pano- Einsatz. Bei letzteren können die Messwerte z.B. ramakameras - zum Einsatz. Werden hohe An- kabellos mittels Bluetooth an einen PC übertra- forderungen an die Genauigkeit gestellt, so muss 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN die Kamera kalibriert werden: Das heißt, es wer- rische Software lässt sich in solche für Einbild- den Größen, wie die Lage des Projektionszent- und solche für Mehrbild-Photogrammetrie unter- rums und die Abweichung vom mathematischen teilen. Modell der Perspektive bestimmt, wie sie (z.B. durch die Verzeichnungen des Objektivs) bei jeder Kamera mehr oder weniger gegeben sind. 2.2.1 Einbild- Photogrammetrie Im perspektivischen Bild, wie es durch Fotografie Die Kalibrierung gilt jeweils bei einer einzigen Ka- entsteht, können wegen der für diese Projekti- mera mit einem einzigen Objektiv nur für eine onsart typischen Fluchtung, Strecken in der Regel Brennweite und eine Fokussierung. Fokussierung nicht unmittelbar gemessen werden. Eine Aus- und bei Zoomobjektiven auch die Brennweite nahme stellen solche Perspektiven dar, bei denen werden deshalb bei kalibrierten Kameras fixiert. eine Ebene des Objektes parallel zur Bildebene verläuft: Strecken in dieser Ebene des Objektes Charakteristisch für die Photogrammetrie ist, dass werden maßstäblich abgebildet. Der Maßstab nicht am Objekt selbst, sondern im Bild gemessen kann ermittelt werden, wenn ein Streckenmaß wird. Tiefenmaße sind folglich nur schwer zu bekannt ist. nehmen. Die Erfassungszeit am Objekt ist extrem kurz. Das Verfahren ist sehr robust gegenüber kli- In der Praxis wird es, schon allein wegen räumli- matischen Einflüssen. Bewegungen des Aufnah- cher Zwänge, selten möglich sein, die Bildebene megerätes während der Erfassung sind (anders des Fotoapparates exakt auf das Objekt auszu- als bei Tachymetrie und terrestrischem Laserscan- richten. Es werden immer mehr oder weniger ning) unproblematisch; das ermöglicht die Arbeit perspektivisch fluchtende Abbildungen entste- von Hub- und Fluggeräten aus. Die Anschaf- hen. Dennoch können, unter Ausnutzung der fungskosten für Gerät und Lizenzen sind gering, geometrischen Gesetzmäßigkeiten der Perspekti- die Betriebskosten verschwindend klein. Voraus- ve, Objektmaße aus Messungen im Bild errechnet setzung für photogrammetrische Aufnahmen werden: Einzelbildauswertung in der Einbild-Pho- sind selbstverständlich ausreichend gute Lichtver- togrammetrie. Um Fluchtung und Maßstab er- hältnisse. Die sozusagen als Nebenprodukt mitge- rechnen zu können, müssen eine geringe Anzahl lieferten Bild- und Farbinformationen sind oft von von Maßen z.B. per Handaufmaß oder Tachy- großem Wert für Auswertung und Interpretation. metrie am Objekt selbst genommen werden. Dies können etwa ein vertikales und ein horizontales Ausführliche Gesamtdarstellungen zum Thema Maß oder die Koordinaten dreier Punkte in der zu Photogrammetrie haben Kraus [7] und Luhmann vermessenden Objektebene sein. Eine Alternative [8] zusammengestellt. besteht darin, Maßstäbe mit zu fotografieren. Alle übrigen Strecken können in der Folge aus dem In Hinblick auf die Anwendungen im Bauwesen Bild errechnet werden. kann die Photogrammetrie in zwei Gruppen eingeteilt werden: Einbild-Photogrammetrie und Eine komfortable Variante der Einzelbildauswer- Mehrbild-Photogrammetrie. Während bei der Ein- tung stellt die Einzelbildentzerrung dar. Hier wird bild-Photogrammetrie ausschließlich in einer Ebe- das Bild so umgewandelt (= entzerrt), dass eine ne des Objekts (etwa in einer Fassade) gemessen Ebene des Objektes (typisches Beispiel: eine Fas- werden kann, können bei der Mehrbild-Photo- sadenebene) unverzerrt erscheint. Strecken kön- grammetrie die Lage von Objektpunkten im nen anschließend unmittelbar im entzerrten Bild Raum ermittelt werden. Auch die photogrammet- gemessen werden. 1258 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1259 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN ten. Programme am anderen Ende der Kostenspanne zeichnen sich durch Funktionalitäten wie Import von Kalibrierungsdaten, Stitchingfähigkeit oder Exportschnittstellen (Excel, CAD) aus. 2.2.2 Mehrbild- Photogrammetrie Durch gleichzeitige Auswertung mehrerer Bilder kann die räumliche Geometrie von Objekten aus fotografischen Bildern hergeleitet werden. Voraussetzung ist auch hier, dass einzelne geeignete Maße z.B. per Hand am Objekt selbst genommen wurden. Die Auswertung geschieht heute in der Regel mit spezieller Software am Computer. Das Ergebnis sind zunächst die Raumkoordinaten von Einzelpunkten. Mit Hilfe der Software lassen sich aus Eckpunkten Kanten und aus Kanten wiederum Flächen des Objektes modellieren. Die Flächen des Modells können mit den Bildinformationen aus den Fotos texturiert werden. Schließlich kann das Modell als Datei in einem geeigneten Format exportiert und in ein CAD-Programm eingelesen werden. Einige Softwarelösungen für die Abb. 1: Einbild- Photogrammetrie: entzerrtes Einzelbild, oben und Messungen in entzerrten und gestitchten Bildern, unten [12] Mehrbild-Photogrammetrie sind von vornherein als Applikation zur Ausführung in der Umgebung eines CAD Systems wie AutoCAD oder MicroStation programmiert. Bei großen Objekten oder beengten Verhältnis- Die Preisspanne bei den Softwarepaketen für die sen müssen gegebenenfalls mehrere Bilder zu ei- Mehrbildauswertung reicht von ca. 1.000,- € bis nem großen Bild zusammengesetzt werden ca. 10.000,- €. Außerdem entstehen Kosten für („Stitching“). Nichtsdestoweniger handelt es sich die Einarbeitung von ca. eins bis drei Tagen bzw. dabei um Einbild- Photogrammetrie, da nach wie Schulung. Der Funktionsumfang ist bei den an- vor in einer Ebene gemessen wird. gebotenen Programmen weitgehend gleich. Ausnahmen stellen Spezialfunktionen dar, wie etwa Software für die Einbild- Photogrammetrie wird die kombinierte Auswertung von Fotos und für Preise zwischen ca. 100,- € und 2.000,- € an- Punktwolken z.B. aus 3D Laserscanning. Außer- geboten und ist leicht zu erlernen. Oft sind die dem gibt es bei einigen Systemen Beschränkun- Programme auf spezielle Anwendungen zuge- gen bei der Anzahl von Bildern, die miteinander schnitten (Angebotserstellung für Malereibetrie- verrechnet werden können. Erhebliche Unter- be, Energiepass) und in entsprechende Software- schiede sind bei Benutzeroberfläche und Bedien- pakete eingebunden. Günstige Lösungen be- komfort festzustellen. schränken sich auf wenige Grundfunktionalitä- 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN bezeichneten modernen Tachymeter besitzen Rechnereinheiten, um die erfassten Punkte zu speichern, Strecken und Flächenberechnungen durchzuführen oder Polarkoordinaten in kartesische Koordinaten umzuwandeln. In einem am Gerät angeschlossenen Notebook kann das Ergebnis mit Hilfe spezieller Software unmittelbar in ein Kantenmodell umgesetzt werden. Die Tachymetrie ist ein erprobtes und robustes vermessungstechnisches Verfahren. Die Gerätekosten liegen bei 5.000,- € bis 25.000,- €. Eine Schulung am Gerät ist für die Bedienung erforderlich. Mit der Tachymetrie können einfache Bauwerksgeometrien wirtschaftlich erfasst werden. Da bereits bei der Erfassung die wesentlichen Punkte des Objektes gemessen werden, ist die Nachbearbeitungszeit im Büro sehr gering. Die Tachymetrie eignet sich auch zur Ergänzung von Photogrammetrie und 3D Laserscanning z.B. zum Einmessen von Passmarken für die Verknüpfung einzelner Aufnahmen. Abb. 2: Mehrbild- Photogrammetrie: Kanten- und Flächenmodell, oben und texturiertes Flächenmodell, unten [2] 2.3 Tachymetrie Die Tachymetrie wurde vor etwa 40 Jahren entwickelt. Das Tachymeter ist die Kombination aus einem geodätischen Winkelmessgerät (Theodolit) mit einem Laserentfernungsmesser. Der sichtbare Laserstrahl wird auf einen markanten Objekt- Abb. 3: Prinzip der Tachymetrie [3] punkt (wie z.B. Eckpunkte von Fassadenflächen oder Fensteröffnungen) gerichtet. Über die Lauf- Einsatzmöglichkeiten der Tachymetrie bei der zeit des Laserlichtes wird die Entfernung zwi- Bauwerksvermessung und kritische Messsituatio- schen Tachymeter und Objektpunkt errechnet. nen werden in [4] erörtert. Aus Distanz und Ausrichtung des Laserstrahls lässt sich die räumliche Lage des Objektpunktes in Bezug auf das Tachymeter ermitteln. Auf diese 2.4 3D Laserscanning Das 3D Laserscanning kommt seit etwa 10 Jahren Weise wird das Objekt Punkt für Punkt abgetas- bei der Erfassung von Bausubstanz zum Einsatz. tet. Die Ausgabe der Punktkoordinaten erfolgt di- Es basiert auf dem gleichen polaren Messprinzip rekt in digitaler Form. Die auch als Totalstationen wie die Tachymetrie. Anders als letztere arbeitet 1260 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1261 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN es aber nicht mit einzelnen ausgewählten Objektpunkten; stattdessen wird die gesamte Oberfläche des Objektes mit einer großen Zahl von Messpunkten überzogen, indem der Laserstrahl automatisch schrittweise geschwenkt bzw. geneigt wird. Das Ergebnis sind die Raumkoordinaten dieser Messpunkte, meist ergänzt durch einen Wert für die Intensität des jeweils reflektierten Laserlichtes. Mittels spezieller Software können die Punkte als so genannte Punktwolke am Bildschirm dargestellt werden. Bezüglich der Entfernungsmessung konkurrieren bei den modernen Geräten zwei Verfahren miteinander: Phasenvergleichsverfahren und Laufzeitverfahren. Ersteres ist schneller, hat aber eine auf unter 100 m begrenzte Reichweite, letzteres ist weniger schnell, kommt jedoch auf Reichweiten von bis zu 2000 m. Die Anschaffungskosten Abb. 4: 3D Laserscanner, oben [11] und Punkt- für einen 3D Laserscanner incl. der für den Be- wolke einer Fassade mit farbiger Darstellung der trieb notwendigen Software liegen zwischen Intensitäten, unten [12] 50.000,- € und 150.000,- €. Vermessungstechnische Vorkenntnisse bzw. Schulung sind dringend Die Erfassung eines baulichen Objektes mit erforderlich. Hierdurch und für eventuell not- 3D-Laserscanning nimmt je nach Schwierigkeits- wendige Auswertungssoftware entstehen zusätz- grad wenige Stunden bis einige Tage in An- liche Kosten. spruch. Anschließend muss die Punktwolke entsprechend der beabsichtigten Verwendung aus- Mit einem einzelnen Scan können selbstverständ- gewertet werden (Modellierung). In den meisten lich nur die Objektpunkte erfasst werden, welche Fällen wird dies die Überführung der Daten in vom jeweiligen Standpunkt des Scanners aus Rissdarstellungen oder in CAD-gängige Kanten-, durch den Laserstrahl erreicht werden können. Flächen- oder Volumenmodelle sein. Für diese Selbst bei einfacher Geometrie des Objekts wird Aufgaben gibt es eine Reihe von Softwarepro- es daher immer zu einer gewissen Verschattung dukten, mit deren Hilfe es möglich ist, geometri- von Objektpunkten kommen. Es ist deshalb in der sche Primitive wie Ebenen und Zylinder weitge- Praxis meist nötig, ein Objekt von mehreren hend automatisch modellieren zu lassen. Frei- Standorten aus aufzunehmen. Die so erzeugten formflächen Punktwolken werden über Passmarken, Passku- schung oder durch mathematische Funktionen geln oder auch natürliche Flächen aufeinander dargestellt. Trotz dieser technischen Möglichkei- ausgerichtet und zu einer Gesamtpunktwolke zu- ten wird für die Auswertung im Verhältnis zur Er- sammengesetzt (Registrierung). Auf diese Weise fassung ein Vielfaches an Zeit benötigt. werden mittels Dreiecksverma- können Punktwolken mit mehreren Millionen Punkten und mehreren GB Datenumfang entste- Messprinzip und Bauarten von 3D Laserscannern hen. sind ausführlich in [5] beschrieben. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN 2.5 Vergleich der Messverfahren Wie oben dargestellt, weisen die Verfahren zur 3 Weiterentwicklungen und Alternativen Neben den vier im Bauwesen etablierten Verfah- geometrischen Bestandserfassung stark unter- ren gibt es eine große Zahl von Messtechniken, schiedliche Charakteristika auf. Dies macht es er- die teilweise erst seit kurzem auf dem Markt sind. forderlich, vor Beginn eines Vermessungsprojek- Einige Verfahren stammen aus vollkommen ande- tes genau zu untersuchen, welche Techniken für ren technischen Bereichen. Zugkräftige Motoren die jeweilige Aufgabe geeignet sind. Die prinzi- für die Entwicklung der Messtechnik sind vor al- piellen Stärken und Schwächen der beschriebe- lem Produktentwicklung und Qualitätskontrolle in nen Messverfahren sind in untenstehender Tabel- der industriellen Fertigung. Aber auch in Anla- le zusammengefasst. genbau und Fabrikplanung, in Medizintechnik und Robotik, in Landvermessung und Archäolo- Die Schwächen der einzelnen Messverfahren las- gie, in der Forensik und bei der Unfallrekonstruk- sen sich weitgehend kompensieren, wenn mehre- tion kommen moderne 3D Messverfahren zum re Verfahren miteinander kombiniert werden. So Einsatz. Es ist nicht auszuschließen, dass sie für ist die Photogrammetrie in der Regel immer auf Spezialanwendungen oder in einer weiterentwi- von Hand oder tachymetrisch genommene Ein- ckelten Form auch im Bauwesen sinnvoll einge- messungen angewiesen. Das Laserscanning ge- setzt werden können. Im Folgenden einige Bei- winnt durch Zusatzinformationen aus Fotos. Er- spiele: gänzungsmessungen von Hand an schwer zugänglichen Stellen des Objektes sind wirtschaftli- Mehrbild-Photogrammetrie mit kodierten Mar- cher, als das kategorische Einscannen eines jeden ken: Am Objekt werden vor der fotografischen Details. Die Verknüpfung von Einzelaufnahmen Erfassung deutlich erkennbare Marken ange- sowohl beim Laserscanning als auch bei der Pho- bracht. Diese Marken sind mit einer graphischen togrammetrie kann mithilfe tachymetrisch einge- Kodierung versehen, welche die Auswertesoft- messener Passpunkte besonders genau und ef- ware eigenständig erkennt. Die Zuordnung iden- fektiv gestaltet werden. tischer Punkte in verschiedenen Bildern kann da- Tab. 1: Vergleich der Verfahren zur geometrischen Erfassung von Bestandsgebäuden Verfahren (Zielgeometrie) charakteristische Vorteile charakteristische Nachteile typische Anwendungsbeispiele Handaufmaß (Strecken) geringe Investitionskosten leichte Erlernbarkeit einfache Objekte leicht zu erfassen unmittelbare Arbeit am Objekt großer Aufwand bei großen oder komplexen Objeken kleine und einfache Objekte rechtwinklige Objekte verformungsgetreues Aufmaß in der Denkmalpflege Ergänzungs- und Kontrollmaße Photogrammetrie (Punkte/Strecken) geringe Investitionskosten kurze Erfassungszeit unempfindlich gegen Klimaeinflüsse Bewegungen des Aufnahmegerätes unproblematisch zusätzliche Bildinformationen begrenzte Genauigkeit besonders bei Messungen in die Tiefe i.d.R. nicht eigenständig ebene Objekte Objekte mit markanten Punkten Fassadenaufmaß Visualisierungen Tachymetrie (Punkte) einfache Objekte leicht zu erfassen hohe Genauigkeit geringer Nachbearbeitungsaufwand nur diskrete Einzelpunkte erfassbar Vorkenntnisse bzw. Schulung erforderlich Objekte mit markanten Punkten und geraden Kanten Aufmaß von Innenräumen und Fassaden Einmessen von Passpunkten komplexe, unregelmäßige Geometrien können in kurzer Zeit erfasst werden hohe Investitionskosten Vorkenntnisse bzw. Schulung erforderlich große Datenmenge hoher Nachbearbeitungsaufwand komplexe, unregelmäßige Objekte jeder Größenordnung Bestandserfassung in der Anlagenund Fabrikplanung Qualitätskontrolle bei der Fertigung 3D-Laserscanning (Flächen) 1262 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1263 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN durch automatisiert werden. Mit einer ausrei- werden kann. Auflösung und Reichweite von chend großen Zahl von Marken lassen sich auch 3D Kameras sind momentan noch gering. Objekte mit gekrümmten Oberflächen erfassen. Intelligente Totalstation, Foto- und VideotachyStreifenprojektion: Bei diesem Verfahren werden metrie: In den letzten Jahren wurden mehrere wechselnde Lichtmuster auf das Objekt projiziert Weiterentwicklungen der Tachymetrie betrieben und mit mindestens einer hochauflösenden Digi- und zum Teil zur Marktreife gebracht. So ge- talkamera mit hoher Bildrate aufgenommen. Aus nannte intelligente Totalstationen, sind in der La- diesen Bildern kann die Geometrie von Objekten ge, das Objekt zusätzlich zu den diskret gemes- in der Größenordnung von bis zu 2 x 2 m mit we- senen Punkten mit einem Raster von Messpunk- nigen Zehntelmillimetern Genauigkeit erfasst ten zu überziehen. Auf diesem Weg können z.B. werden. Die Streifenprojektion ist allerdings Unebenheiten in der Objektoberfläche erkannt durch geringe Toleranzen gegenüber den Licht- werden. Bei der Foto- und Videotachymetrie wer- verhältnissen in der Messumgebung gekenn- den tachymetrisch gemessene Punkte um visuelle zeichnet. Informationen ergänzt. Fotoscan: Diese Neuentwicklung verspricht die Farbige 3D Scans: Die Geometriedaten aus 3D La- Realisierung von 3D Scans mit photogrammetri- serscanning können durch Farbinformationen aus schen Methoden ohne die Zuhilfenahme kodier- Fotografien angereichert werden. Das Ergebnis ist ter Marken oder strukturierter Beleuchtung. Kern eine in Objektfarben eingefärbte Punktwolke. Zu des Verfahrens ist ein Algorithmus, welcher in diesem Zweck wird meist eine Digitalkamera fest verschiedenen Fotos des gleichen Objektes in ei- auf dem Scanner montiert. Aber auch separat nem regelmäßigen Raster nach ähnlichen Ele- aufgenommene Fotos können mit einer Punkt- menten sucht. Können in zwei Bildern überein- wolke desselben Objektes verknüpft werden. stimmende Punkte identifiziert werden, so lassen sich die Koordinaten des Punktes errechnen. Das Triangulationsscanner: Neben den oben beschrie- Ergebnis ist eine Punktwolke, wie sie auch Strei- benen Phasenvergleichs- und Laufzeitscannern fenprojektion und 3D Laserscanning hervorbrin- gibt es eine Gruppe von 3D Laserscannern, wel- gen. Voraussetzung für den Einsatz des Verfah- che die Distanz mittels Triangulation ermitteln. rens ist eine deutlich sichtbare Textur der Objekt- Die Laserquelle und ein optischer Empfänger sind oberfläche. in einem fixen Abstand am Gerät befestigt. Der Laserstrahl wird in einem kontrollierten Winkel zu 3D Kamera: Bei diesen Geräten handelt es sich dieser Basis ausgesandt und vom Objekt reflek- um Kameras mit einem digitalen Flächensensor, tiert. Der Winkel des am Empfänger eintreffen- die zusätzlich mit einer speziellen Beleuchtungs- den Lichts zur Basis wird gemessen. Mit diesen einheit ausgestattet sind. Beim Auslösen der Auf- Werten können die freien Seiten des Dreiecks nahme wird vom Gerät Licht, meist unsichtbares Sender / Objektpunkt / Empfänger Infrarotlicht, ausgesandt, welches von der Szene werden. Die heute auf dem Markt erhältlichen reflektiert wird. Über die Laufzeit des Lichts wird Geräte dieser Bauart erreichen hohe Genauigkei- für jedes Pixel des Sensors die Entfernung zum ten bei stark begrenzter Reichweite (bis max. abgebildeten Objektpunkt ermittelt. Ergebnis ist 2,5 m). Sie sind vergleichsweise leicht, klein und ein 3D Digitalfoto, welches z.B. als Falschfarben- kostengünstig. bild (Entfernungswerte farbcodiert) dargestellt berechnet 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN Handgeführte 3D Scanner: Ebenfalls nach dem Messverfahren durchaus geeignet sind, Geomet- Triangulationsprinzip arbeiten die so genannten riedaten auf Werkplanungsniveau zu liefern. De- Lichtschnittsensoren, wobei hier statt eines ein- fizite wurden vor allem bei der Handhabbarkeit, zelnen Laserpunktes eine Laserlinie projiziert dem Zeitaufwand für Auswertung und den Kos- wird. Das Messobjekt ist somit das Profil, welches ten für Gerät und Software konstatiert. diese Projektion auf der Oberfläche des Objektes erzeugt. Wird der Sensor entlang der Objektober- In den Entwicklungsabteilungen der Messgeräte- fläche bewegt, wird eine Folge von Profilen er- hersteller und Softwareanbieter wird ebenso wie zeugt, welche in ihrer Summe die Geometrie der an den Hochschulen an einer Fülle von Verbesse- Oberfläche abbilden. Um die einzelnen Profile rungen auf dem Gebiet der Messverfahren gear- einander räumlich zuordnen zu können, ist es beitet. Neben der Entwicklung völlig neuer Ver- notwendig, Lage und Ausrichtung des Sensors zu fahren und der Leistungssteigerung (Reichweite, jedem Zeitpunkt der Aufnahme exakt zu kennen. Geschwindigkeit, Genauigkeit), Prüfung und Ka- Für diese Aufgabe sind verschiedene Technolo- librierung der bereits verfügbaren Geräte, zielen gien im Einsatz, unter anderem auch solche, die die Anstrengungen in besonderem Maße auf die es erlauben, den Sensor frei von Hand zu führen. Entwicklung von Algorithmen zur schnelleren und effektiveren Auswertung der Daten. For- Wertvolle Informationsquellen zu den aktuellen schungs- und Entwicklungsbedarf besteht zusätz- Entwicklungen bei den Messverfahren sind die lich zum Beispiel auf folgenden Gebieten: Beiträge zu den jährlich stattfindenden Tagungen wie z.B. das DVW Seminar „Terrestrisches Laser- Die Zusammenstellung handlicher und kosten- scanning“ in Fulda (DVW 2008) und die Olden- günstiger Aufmaßsysteme für einzelne, häufig burger 3D Tage (Luhmann / Müller 2008). wiederkehrende bauliche Aufgaben. 4 Entwicklungstendenzen und Forschungs- Die Adaption und Modifikation von Entwicklun- aktivitäten Am Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion gen aus anderen Branchen (z.B. Streifenprojekti- der Technischen Universität München wird zur- wesen. on oder 3D Kameras) für Anwendungen im Bau- zeit im Rahmen zweier Forschungsvorhaben die Eignung von Photogrammetrie und 3D Laser- Die Verbesserung der digitalen Prozesskette vom scanning als Aufmaßverfahren für das Bauen im Aufmaß über Planung und maschinelle Fertigung Bestand mit vorgefertigten Elementen unter- bis hin zu Montage und Wartung. sucht: Das europäische WoodWisdom-Net Projekt TES-EnergyFacade beschäftigt sich mit der Ent- Die Erzeugung digitaler integrierter Gebäudemo- wicklung eines Systems von vorgefertigten Holz- delle für Bestandsbauten durch die Anreicherung rahmenbau-Elementen für die energetische Sa- von Geometriedaten mit Sachdaten, möglicher- nierung von Bestandsgebäuden. Für das Projekt weise auch unter Nutzung von Technologien zur VIP im Bestand, welches von der Forschungsinitia- automatischen Erkennung von Objekteigenschaf- tive Zukunft Bau des Bundesministeriums für Ver- ten. kehr, Bau und Stadtentwicklung gefördert wird, werden verschiedene Messtechniken systematisch Die Anpassung der Werkzeuge und Arbeitswei- an ausgewählten Testobjekten eingesetzt und sen bei Planung und Produktion zur effektiveren verglichen. Es zeigt sich, dass die verfügbaren 1264 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1265 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN Nutzung der Messergebnisse aus scannenden Verfahren (nicht modellierte Punktwolken). Die Weiterentwicklung von Verfahren zur Ortung verborgener Konstruktionselemente, etwa durch Kombination von Photogrammetrie und Thermografie. Der Fortschritt auf dem Gebiet der Messtechnik wird die Handlungsspielräume für den Holzbau auch in Zukunft immer wieder erweitern. Auf das Bauen im Bestand trifft dies in besonderem Maße zu; aber auch bei der Neubauproduktion und in der Forstwirtschaft gewinnt eine effektive Geometrieerfassung ständig an Bedeutung. Von daher gilt es, bereits verfügbaren Techniken gründlich zu evaluieren und neue Entwicklungen nicht nur zu beobachten, sondern wo möglich aktiv mit zu gestalten. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BESTAND GEOMETRISCH ERFASSEN Quellen [1] Cramer, J. (1984): Handbuch der Bauaufnah- [6] Deutscher Verein für Vermessugswesen e.V. me: Aufmaß und Befund. Stuttgart: Deut- - DVW (2008) : Terrestrisches Laserscanning sche Verlags-Anstalt, 1984 (TLS 2008) – Beiträge zum 79. DVW-Seminar [2] Eos Systems Inc. (2009): PhotoModeler. am 6. und 7. November 2008 in Fulda. http://www.photomodeler.com/applications/ Schriftenreihe des DVW, Band 54. Augsburg: architecture_and_preservation/examples.htm Wißmer, 2008 (Abruf vom 17.2.2009) [7] Kraus, K. 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Die Daten dienen als Pla- Abb. 3: Iglu – innen [1] nungsgrundlage sowohl des tragenden Systems aus Brettschichtholz- Stäben als auch der benö- In Friedrichshafen wird von dem in Baltringen an- tigten segmentierten Schalungen. sässigen Firma Schmid, als Teil des neuen Medienhauses K42, ein Veranstaltungssaal in Form 1 Allgemein eines Kieselsteines errichtet. Das ehemalige Sparkassengebäude wird seit März 2005 zum Medienhaus K42 umgebaut, in welchem auf 2 3300 m Fläche, unter anderem ein Kaufhaus, Büros, Restaurants und Penthouse-Wohnungen Platz finden. Zusätzlich wird neben dem eckigen Gebäude ein Veranstaltungssaal in Form eines Bodenseekiesels errichtet. Problematisch in der Konstruktion und für die Bauphase gestaltet sich Abb. 1: Modell K42-Friedrichshafen [2] hierbei die vorgegebene organische Struktur. Zu diesem Zweck wurde auf dem Betriebsgelände der Firma Schmid in Baltringen ein Prototyp 1:1 aus Styropor errichtet (Abb. 4 u. 5). Dieses Iglu dient dem komplexen, dreidimensional krümmten Gebäude als Schalung. Abb. 2: Iglu – außen [1] Abb. 4: Bauphase (Negativ-Modell) [2] ge- 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BAUBEGLEITENDES 3D-LASERSCANNEN 2 Material und Methoden Zum Einsatz kam ein LEICA HDS 3000: Abb. 5: Außenansicht des fertig gestellten IgluBaltringen [2] Abb. 7: Laserscanner LEICA HDS 3000 [2] Die Innenhaut wurde wie in Abb. 8 dargestellt über vier Scannerstandorte (1-4) in einer mittleren Auflösung von 5 cm in 15 m Entfernung aufgenommen und jeweils mit einem 360° x 270°Scan ermittelt. - Die Zielmarken (Abb. 9) wurden Abb. 6: Glasfaserbeton-Segment [2] Nach Aufnahme des Objektes durch einen 3DLaserscanner wurde das Iglu in über hundert Segmente zersägt und diente als Vorlage für die Produktion der einzelnen Fassadenplatten aus Glasfaserbeton (Abb. 6). Dieses „Mosaik“ wird dann in Friedrichshafen wie ein „3D-Puzzle“ auf einer Stützkonstruktion von BrettschichtholzRippen aufgesetzt. parallel mittels Tachymeter eingemessen. Diese ermittelten Daten bildeten ein übergeordnetes lokales Koordinatensystem (AP 2000, 2001, 2002, 2003), in welches später die einzelnen Punktwolken (pointclouds), die sich aus den einzelnen Scans an den jeweiligen Scannerstandorten ergeben haben, überführt wurden. Durch die Überlagerung der vier Punktwolken wurde eine mittlere Punktrasterweite von unter 2 cm erreicht. 1268 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1269 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BAUBEGLEITENDES 3D-LASERSCANNEN 3 Arbeitsablauf Die gemessenen Daten wurden miteinander in ein übergeordnetes Koordinatensystem überführt und verknüpft. Durch das Laserscannen wurde eine zeit- und kostenaufwendige Demontage und Wiederaufbau des Gerüstes vermieden. Dieses wurde innerhalb der zusammengeführten Punkwolke mit der Software Cyclone herausgerechnet. Abb. 8: Aufnahmestandorte (Scanworld 1-4) mit Abb. 10: Punktwolke des Iglu-Baltringen inkl. jeweiligem Sichtfeld [Horizontalschnitt in der Montagegerüst. [2] Null-Ebene des IGLU-Baltringen] [2] Abb. 9: Scanworld 1; Tie-Point 11 u. 12 [2] Tab. 1: Systemspezifikationen LEICA HDS 3000 Abb. 11: Innenansicht. Das Montagegerüst wurde herausgerechnet. Zu sehen ist noch der durch Verdeckung bedingte Schattenwurf. [2] 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BAUBEGLEITENDES 3D-LASERSCANNEN Basierend auf den Horizontalschnitt in Nullhöhe Mit Hilfe des in Polyworks erzeugten 3D-Modells (z=0) wurden Schnittlinien vorgegeben: kann sehr leicht, wenn gewünscht auch über einzelne Abschnitte, eine Flächenberechnung oder Volumenberechnung durchgeführt werden. In diesem Fall wurde oberhalb von der dem Auftraggeber gewünschten Referenzflächen-Höhe die Fläche der Außenhülle des Objektes berechnet. Über diese Angabe konnten vorab die Materialbestellungen und deren Kosten genau kalkuliert werden. Um die tragende BS-Holz-Konstruktion für dieses Bauwerk zu erstellen, ist die Modellierung einer von der Außenhülle von jedem Punkt nach Innen um 50 cm versetze Innenhülle notwendig gewesen. Dieses Innenhaut-Modell wurde ebenso über Abb. 12: Schnittlinien der Vertikalprofile über die Polyworks entwickelt und Profilschnitte in unter- Außenhaut [2] schiedlichen Ausrichtungen erstellt. Abb. 13: Summe-Profilschnitte über die gescannte Außenhülle und die modellierte Innenhülle [2] Abb. 15: Rohbau – Tragstruktur aus Brettschichtholz [1] Abb. 16: Konstruierte Tragkonstruktion aus Brettschichtholz – entwickelt aus den erstellten ProfilAbb. 14: Flächenberechnung über die Außenhaut [2] schnitten, der Außen- und Innenhülle [2] 1270 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1271 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BAUBEGLEITENDES 3D-LASERSCANNEN 4 Ablaufplan / Gegenüberstellung Quelle [1] Prof. Kurt Schwaner [2] Hochschule Biberach Vermessungslabor 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.2 BAUEN IM BESTAND BAUBEGLEITENDES 3D-LASERSCANNEN 1272 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1273 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.3 BESONDERE EINSATZGEBIETE SPERRHOLZ – EIN WERKSTOFF IM GERÜSTBAU 14.3 Besondere Einsatzgebiete Sperrholz – Ein Werkstoff im Gerüstbau Um die Tragfähigkeit des Holzes über lange Jahre Joachim Edeler zu erhalten, muss gewährleistet sein, dass einge1 Sperrholz -Ein Werkstoff im Gerüstbau Arbeits- und Schutzgerüste, die vorwiegend für drungene Feuchtigkeit ungehindert wieder aus- den Fassadengerüstbau verwendet werden, bein- wird das Holz im Laufe der Jahre durch Moder- halten Gerüstbelagelemente, die aus einem Stahl- fäule (holzzerstörende Pilze) zerstört. Diese holz- oder Aluminiumrahmen sowie einer Baufunier- zerstörenden Pilze benötigen vor allem Feuchte, sperrholzplatte als begehbarer Belagfläche beste- Wärme und geringe Luftbewegung zum Wachs- hen. Die Gerüstbauteile mit der unterschiedlichen tum. Das Pilzwachstum erfolgt etwa zwischen Bezeichnung wie z.B. Kombiboden, Rahmentafel, +°3 C und +°39 C. Die Pilze vermögen aber auch Alurahmen mit Sperrholzbelag, Robustboden Kälte durch die sogenannte Kälte- bzw. Trocken- zeichnen sich insbesondere durch ihr geringes Ei- starre längere Zeit zu überstehen. trocknen kann. Ist dieses nicht gewährleistet, so gengewicht aus. Darüber hinaus besitzen sie ebene geschlossene Oberflächen, auf welcher die Be- Sperrholzplatten werden im Gerüstbau in Kombi- nutzer gut kniend oder sitzend arbeiten können. nation mit einem Aluminium- oder Stahltragrahmen eingesetzt. Hierbei wird bei den älteren Kon- 2 Hohe Anforderungen an den Werkstoff Sperrholz, welches im Gerüstbau als Belagele- struktionen die Sperrholzplatte auf ein Alu- oder ment verwendet werden soll, muss höchsten An- Sperrholzplattenkante umschließendes U-Profil forderungen genügen. Die Deckfurniere müssen gehalten. Stahlrechteckprofil aufgelegt und durch ein die mindestens 0,8 mm dick sein und dürfen keine Fehlstellen wie lose Äste, Risse oder Spalten aufweisen. Die einzelnen Furnierschichten dürfen als Zwischenlagen nicht dicker als 2 mm sein. Für die Verleimung sind nur hochwertige alkalisch härtende Phenolharze, Phenol- Resorcinharze oder Resorcinharze zu verwenden. Die Herstellung des Sperrholzes muss durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle im Herstellerwerk laufend überwacht werden. Die genauen Anforderungen an Baufurniersperrholz für Gerüstbeläge sind in DIN 68705-3 12 fest- gelegt. Die Oberfläche der Sperrholzplatte erhält zusätzlich eine Phenolharzfilmbeschichtung mit einer Siebdruckprägung. Diese soll das Eindringen von Feuchtigkeit in das Sperrholz verhindern und gleichzeitig einen Schutz gegen Ausgleiten bieten. Abb. 1: Detail eines Gerüstbelages üblicher Bauart, Feuchtigkeit dringt in den Randbereich ein 3 Probleme in der Praxis Aufgrund der geschilderten Bauart und bedingt durch die Einfassung des Sperrholzes mit dem U-Profil dringt jedoch durch die Kapillarwirkung Feuchtigkeit zwischen U-Profil und Sperrholzplatte ein. Sind die Schnittkanten der Sperrholz12 DIN 68705-3 Sperrholz; Bau-Furniersperrholz ohne Ersatz April 2006 zurückgezogen 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.3 BESONDERE EINSATZGEBIETE SPERRHOLZ – EIN WERKSTOFF IM GERÜSTBAU platte nicht ausreichend und dauerhaft gegen Um diese Schäden zu verhindern, muss bei der Feuchtigkeitseinwirkung geschützt, kann diese Herstellung der Sperrholzplatte dem Leim ein Feuchtigkeit in die dünnen Furnierschichten ein- Holzschutzmittel gegen Pilzbefall beigefügt wer- dringen (Abb. 1). Ein Austrocknen der eingedrun- den. Die hergestellten Sperrholzplatten müssen genen Feuchtigkeit ist nicht mehr möglich. Die vom Hersteller mit dem Aufdruck BFU 100 G ge- Moderfäule zerstört im Laufe der Jahre den Auf- kennzeichnet sein. lagerbereich des Sperrholzes. Die Folge: Die Tragfähigkeit des Belagelementes ist stark beeinträchtigt. Abb. 3: Zerstörte Oberfläche der Sperrholzplatte Abb. 2: Sperrholz-Belagelement im Auflagerbereich durch Fäulnis zerstört Jedoch nicht nur der Sperrholzplattenrand, sondern auch die Oberfläche der Sperrholzplatte ist gefährdet. Wenn durch den rauen Baustellenbe- Ein Beispiel für eine solche Konstruktion zeigt Abb. 4. Durch den freien Rand zwischen der Sperrholzplatte und dem Aluminiumrahmen soll gewährleistet werden, dass Feuchtigkeit, welche über den Rand in die Sperrholzplatte eindringt, auch wieder austrocknen kann. trieb die Phenolharzfilmbeschichtung beschädigt wird, dringt auch hier die Feuchtigkeit in die Sperrholzplatte ein und die Moderfäule zerstört örtlich einzelne Furnierschichten der Sperrholzplatte. Doch Vorsicht, auch ein Holzschutzmittel ist kein Allheilmittel und kann nicht dauerhaft gegen Pilzbefall schützen. Nur eine gut durchdachte Konstruktion in Verbindung mit einem Holzschutzmittel kann dauerhaft gegen Moderfäule schützen. Die Konstruktion muss auch gewähr- Abb. 4: Konstruktiver Holzschutz bei einem Alu- leisten, dass die in die Sperrholzstirnseite einge- minium-Sperrholz-Belagelement, drungene Feuchtigkeit auch wieder natürlich aus- kann abfließen und austrocknen trocknen kann. Feuchtigkeit 1274 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1275 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.3 BESONDERE EINSATZGEBIETE SPERRHOLZ – EIN WERKSTOFF IM GERÜSTBAU Doch auch hier hat die Praxis gezeigt, dass sich 1. Belagelemente mit beschädigten Oberflächen, durch den rauen Baustellenbetrieb der freie Rand wie in Abb. 3, dürfen nicht mehr eingebaut mit Mörtel und Schmutz zusetzt, somit der Rand- werden. bereich feucht bleibt und damit die Grundlage 2. Belagelemente, bei denen der Auflagerbe- für die Modefäule bildet. Die Moderfäule im reich der Sperrholzplatte durch holzzerstö- Randbereich bedingt, dass der Auflagerbereich rende Pilze in seiner Tragfähigkeit geschwächt der Sperrholzplatte zerstört wird und somit die ist, dürfen nicht mehr eingebaut werden. Die Tragfähigkeit des gesamten Belagelementes nicht Beschädigung lässt sich vor allem an den mehr gegeben ist. In der Praxis ist dieser Verlust Stirnseiten der Tragfähigkeit mit dem Durchbrechen der Durch Fäulnis befallene Sperrholzplatten sind Sperrholzplatte und somit mit einem möglichen im kritischen Bereich aufgeweicht, so dass Absturz des Benutzers verbunden. man leicht mit dem Fingernagel oder Ta- der Belagelemente erkennen. schenmesser in die Sperrholzstirnseiten einAls Resümee ist somit zu ziehen, dass die Sperr- stechen kann (Abb.5). In einigen Fällen zeigt holzplatte mit Phenolharzfilmbeschichtung und sich die Fäulnis auch durch weiße Schlieren an einer Siebdruckprägung in der Oberfläche sich für der Plattenunterseite. den Baustellenbetrieb als geeignet herausgestellt 3. Belagelemente, bei denen die Sperrholzplatte hat. Für die Problemzone im Auflagebereich ist sichtbar durchgebogen oder sogar durchge- jedoch von der Praxis bisher keine zufriedenstel- brochen ist oder sich große Teile der Furnier- lende Lösung gefunden worden. deckschicht gelöst haben, dürfen selbstverständlich nicht mehr eingebaut werden (Abb. Um jedoch weiterhin die ergonomisch positiven 6). Eigenschaften des Gerüstbelages aus Sperrholz in Verbindung mit der Aluminium-Rahmenkonstruktion zu nutzen, sind die Hersteller von diesen Belagelementen dazu übergegangen, unterhalb des Sperrholzbelages zusätzlich Längs- oder Querriegel aus Aluminium einzubauen. Beim Bruch der Sperrholzplatte im Auflagerbereich wird somit der Absturz des Benutzers verhindert. Der beschädigte Sperrholzbelag kann dann ausgetauscht werden. 4 Konsequenzen für den Gerüsthersteller oder Gerüstbauer Auf dem Markt findet man Belagelemente unterschiedlichster Konstruktion. Der Gerüstbauer ist somit verpflichtet, die Gerüstbelagelemente, die mit einer Belagfläche aus Bau- Funiersperrholz hergestellt sind in regelmäßigen Abständen zu prüfen. Dabei sind folgende Kriterien zu berücksichtigen: Abb. 5: Auflagerbereich einer Sperrholzplatte ist durch Fäulnis zerstört 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.3 BESONDERE EINSATZGEBIETE SPERRHOLZ – EIN WERKSTOFF IM GERÜSTBAU Wichtig beim Auswechseln ist jedoch, dass nur eine Originalplatte des jeweiligen Gerüstherstellers eingebaut wird. Bei den Gerüstherstellern können Ersatzplatten mit den dazugehörigen Befestigungsteilen nachgekauft werden. Einige Hersteller bieten auch einen kompletten Reparaturservice an, bei dem das gesamte Belagelement geprüft und die Sperrholzplatte ausgewechselt wird. Der Verwender von diesen Belagelementen Abb. 6: Durchgebrochene Sperrholzplatte ist jedoch gut beraten, dass Auswechseln der Belagelemente, bei denen das Sperrholz un- durchführen zu lassen, da er sonst die Produkt- brauchbar geworden ist, müssen jedoch noch nicht auf den Müll. Die Belagskonstruktionen sind so hergestellt, dass die Sperrholzplatten ausgebaut und durch neue ersetzt werden können. Sperrholzbelagfläche durch den Gerüsthersteller haftung für das komplette Gerüstbelagelement übernimmt. 1276 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1277 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZUKÜNFTIGE GEBÄUDE 14.4 Gebäudetechnik Zukünftige Gebäude Die Endlichkeit der fossilen Energievorräte wird Wilhelm Stahl, Volker Weiß parallel zum Klimawandel sichtbar und bewusst. In der solaren Energiewirtschaft vor der industriel- Verknappung und steigende Nachfrage bewirken len Revolution wurde mit Materialien gebaut, die steigende Energiepreise. weitestgehend direkt am Bauplatz zur Verfügung standen. Aus ökonomischen Überlegungen he- Entsprechend wird weltweit an den solaren Alter- raus wurde der Transport von Baumaterial so gut nativen zur gespeicherten fossilen Solarenergie als möglich vermieden. Mit steigendem bauli- gearbeitet – Deutschland als Vorreiter voraus- chem Anspruch wurden Baumaterialien auf schauend und löblich. Grund ihrer technischen Vorteile über größere Distanzen transportiert. Ein wesentliches Regulativ in diesem System waren hohe Kosten für Nahrung und Lebensunterhalt von Mensch und Tier. Das heutige fossile Zeitalter ist Teil der solaren Energiewirtschaft der Erde: die Erde im Vakuum des Weltalls allein durch die Strahlung der Sonne mit Energie versorgt und im energetischen Gleichgewicht durch ihre Wärmeabstrahlung ins Weltall. Abb. 1: Primärenergieverbrauch pro Bruttoinlandsprodukt [Quelle: Stat. Bundesamt] Mit der Ausbeutung der fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas stand Energie vermeintlich un- Der Wegfall der kostenlosen fossilen Energiespei- begrenzt und kostengünstig zur Verfügung. Die cherung führt zwingend zu zukünftig steigenden industrielle Revolution, die Explosion der Weltbe- Energiepreisen. Glücklicherweise ist das Dogma völkerung und die Globalisierung sind Folgen die- eines nur mit steigendem Energieverbrauch, stei- ser Entwicklung. genden Bruttosozialproduktes in westlichen Industrienationen zwischenzeitlich widerlegt. Die exponentiell ansteigende Verbrennung der fossilen Energieträger in einem erdgeschichtlich Umweltschädigender Energieverbrauch wird teu- extrem kurzen Zeitraum stört das energetische rer, weil der noch kostenlose Umweltverbrauch Gleichgewicht der Erde durch die Veränderung nach dem Verursacherprinzip zwingend über kurz der chemischen Zusammensetzung der Erdatmo- oder lang auf den Energiepreis aufgeschlagen sphäre. Der resultierende Klimawandel wird welt- werden wird. Der Emissionshandel ist ein diesbe- wirtschaftlich größere Folgen zeigen als die der- züglicher Anfang. Der Fehler unserer heutigen zeitige Weltfinanzkrise. Energiepreise ist das Fehlen einer gesamtwirtschaftlichen Kostenberechnung. Die Gewinne der Regenerative Energieträger sind CO2-neutral (= klimaneutral), weil der Zeitraum zwischen CO2Entnahme aus und CO2-Abgabe in die Atmosphäre nur 1 – bis 100 Jahre beträgt. Energieversorger sind die von der Allgemeinheit bezahlten Schäden an der Umwelt. 1278 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZUKÜNFTIGE GEBÄUDE den eigentlich irreführenden Begriffen „Nullenergiehaus, CO2-neutrales Gebäude, zero emission building, …“ die Betriebsenergie noch im Vordergrund der Diskussion um die energetische Optimierung. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise muss sich an der Gesamtbilanz orientieren, die mit der Lebenszyklusanalyse ein über die energetischen Aspekte hinausgehendes Synonym gefunden hat. Die Untersuchungen zur Herstellungsenergie von Abb. 2 Materialien haben trotz langjähriger Bearbeitung noch immer einen gewissen experimentellen Falsche Energiepreise sind falsche Konsumenten- Charakter, im Wesentlichen deshalb, weil die Dis- signale: Jogurt aus Hamburg ist in Freiburg billi- kussion über die Systemgrenzen nicht abge- ger als Jogurt aus Freiburg, Kleidungsstücke aus schlossen scheint und eine Vielzahl veränderlicher Asien sind günstig wegen niedriger Löhne und Variablen großen Einfluss haben. Die Herstel- vernachlässigbarer Transportkosten, der Preisun- lungsenergie für Aluminium mit Bauxit aus Eleusis terschied zwischen heimischen Bioprodukten und in Griechenland und Wasserkraftelektrizität in Ka- Nahrungsmitteln aus konventioneller Produktion nada unterscheidet sich von der Aluminiumher- würde sinken, wenn energieintensiver Kunstdün- stellung in Russland deutlich und der jeweilige ger teurer wird. Holz als Baustoff wird interessan- Anteil inkl. Recycling hat Einfluss auf den Wert ter, weil Ziegelsteine oder Stahlbeton entspre- der chend der Umweltbelastung und Herstellungs- Deutschland. Und die Herstellungsenergie ist energie teurer werden. auch nur ein Teilaspekt des „ökologischen Ruck- Herstellungsenergie für Aluminium in sacks“, der Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung mit beinhalten muss [1]. Naturnahe Materialien und Baustoffe haben sowohl energetische wie ökologische Vorteile. Die Diskussion um den quantitativen Wert ist für den Inhalt dieses Aufsatzes nicht entscheidend. Betrachten wir ein neu zu errichtendes EinfamiliAbb. 3: Herstellungsenergie (Primärenergie) ausgewählter Baustoffe. Quelle: GEMIS und eigene Untersuchungen Der gesamte Energieverbrauch im Lebenszyklus eines Gebäudes setzt sich aus Herstellungsenergie, Betriebsenergie und der Energie zum Rückbau eines Gebäudes zusammen. Heute steht mit enhaus mit einer Wohnfläche von angenommen 150 m². In einem kompakten chen / Volumen-Verhältnis (Oberflä- 0,75 1/m)und zur Sonne ausgerichteten architektonischen Entwurf sind die gestalterischen Möglichkeiten zur energetischen Optimierung bedacht. Der energetische Standard des Gebäudes soll die Anforderungen der Energieeinsparverordnung erfüllen. Das Haus kann z.B. massiv mit Ziegel oder aus Holz gebaut ZUKUNFT H O L Z 1279 ZUKUNFT H O L Z 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZUKÜNFTIGE GEBÄUDE werden. Energietechnisch kann eine Erdgasbrennwerttherme oder eine Holzpelletheizung die Wärmeversorgung sicher stellen. Politisch gewollt und Image fördernd kann eine Sonnenkollektoranlage zur Brauchwassererwärmung und eine Photovoltaik-Anlage zur solaren Elektrizitätserzeugung installiert werden. Die Herstellungsenergien haben wir mit der heute verfügbaren Litera- MWh tur überschlägig berechnet. 250 Massivhaus Holzhaus Erdgasbrennwerttherme 15 kW Holzpelletheizung 15 kW Photovoltaik‐Anlage 30 m² Sonnenkollektor‐Anlage 8 m² Massivhaus + Erdgasbrennwerttherme Holzhaus + Holzpelletheizung + Photovoltaik‐Anlage + Sonnenkollektor‐ Anlage Herstellungs‐ energie [MWh] 252 100 10 25 36 6 262 167 Abb. 4- 6: Überschlägig berechnete HerstellungsHolzhaus energie (Primärenergie) für ein Einfamilienwohn- 200 haus mit einer Wohnfläche von 150 m² in Massiv- 150 und Holzbauweise mit unterschiedlicher techni- 100 scher Gebäudeausrüstung. [GEMIS und eigene Untersuchungen] 50 0 Bauweise und Energiesysteme sind beliebig kombinierbar. Wir betrachten die zwei Varianten „fossile Energie und massive Bauweise“ und „regenerative Energie und Holzbauweise“. Die geringere Herstellungsenergie des Holzhauses überkompensiert die zusätzliche Herstellungsenergie Abb. 4 für die Solarsysteme. Die Sonnenkollektor-Anlage MWh ist nach dem zu erwartenden sommerlichen 250 Massivhaus Warmwasserbedarf dimensioniert, die Fläche der 200 Photovoltaik-Anlage orientiert sich an der zur 150 Verfügung stehenden südorientierten Dachflä- 100 che. 50 Es sei darauf hingewiesen, dass besonders bei 0 massiv gebauten Häusern aus energetisch ökologischer Sicht die Sanierung immer die bessere Variante als der Abriss und Neubau darstellt. Die erforderliche Betriebsenergie für die Gebäude haben wir mit Standardwerten über einen Be- Abb. 5 trachtungszeitraum von 50 Jahren. Für Rückbau / Recycling nehmen wir ohne Anspruch auf Richtigkeit die Hälfte der fossilen Herstellungsenergie an, wohl wissend, dass dies in 50 Jahren überwiegend Solarenergie sein wird. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZUKÜNFTIGE GEBÄUDE Das fossile Massivhaus belastet die Umwelt in Es ergibt sich ein deutlich unterschiedliches Bild, 50 Jahren mit einem Primärenergieverbrauch von das die Vorteile der energetischen und regenera- 1.560 MWh, das solare (regenerative) Holzhaus tiven Gebäudeoptimierung besser nicht zum Aus- entlastet die Umwelt im gleichen Zeitraum mit - druck bringen kann. 115 MWh, entsprechend einer CO2-Emission von 340 Tonnen oder eine CO2-Entlastung von - Natürlich könnte auch das massiv gebaute Haus 25 Tonnen. mit dem solaren Energiesystem realisiert werden. Primärenergie [MWh] Dann bliebe allein der Unterschied in der Herstel1600 1500 1400 1300 1200 1100 1000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 ‐100 0 ‐200 ‐300 lungsenergie über den Betrachtungszeitraum bestehen. Massivhaus fossil Holzhaus solar Es könnten auch unterschiedliche Wärmedämmstandards angenommen werden. Zum Beispiel würde sich der höhere Herstellungsenergieaufwand für eine Ausführung eines Massivhauses als Passivhaus durch den reduzierten Betriebsener5 10 15 20 25 Jahre 30 35 40 45 50 Abb. 7: Primärenergieverbrauch über einen Betrachtungszeitraum von 50 Jahren für ein Massivhaus mit fossiler und eine Holzhaus mit solarer Energieversorgung. Herstellungsenergie im Jahr Null und Energie für den Rückbau im 50. Jahr. Tab. 1 giebedarf energetisch schon nach wenigen Jahren amortisieren. Der hier in seinen Grundzügen beschriebene Weg des energetischen Teils einer Lebenszyklusanalyse eines Gebäudes zeigt die Vorteile der Reduktion der Herstellungsenergie, der Energieeffizienz und der regenerativen Energienutzung. 1280 ZUKUNFT H O L Z 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZUKÜNFTIGE GEBÄUDE Die Wirtschaftlichkeit von Energieeffizienzmaß- Preisbildung zu verstehen, müssen Weltwirtschaft nahmen hängt ursächlich mit der Höhe des allge- und Politik verstanden werden. Fest steht, dass meinen Energiepreisniveaus zusammen, ein ho- Energiepreise noch nie der freien Marktwirtschaft hes Niveau fördert wie erwähnt weiterreichende unterlagen, sondern immer politisch korrigiert Maßnahmen. Die Investition in eine Energiespar- wurden. Atomstrom ist billig, weil die Endlage- lampe würde sich bei einem Elektrizitätspreis von rung und Versicherung der Kraftwerke der Staat 10 Ct./kWh kaum lohnen, bei 20 Ct./kWh sehr bezahlt. Photovoltaik-Anlagen sind durch zinsver- wohl. billigte Kredite und Einspeisevergütung wirtschaftlich attraktiv. Primärenergie [MWh] 1281 Primärenergie [MWh] ZUKUNFT H O L Z 1600 1500 1400 1300 1200 1100 1000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 ‐100 0 ‐200 ‐300 1600 1500 1400 1300 1200 1100 1000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 ‐100 0 ‐200 ‐300 Bei den nachwachsenden Rohstoffen deutet sich Massivhaus solar Holzhaus solar eine Preisbildung jenseits globaler und politischer Einflüsse an. Wesentlicher Grund dafür könnte die Dezentralität des Marktes unter der Führung mittelständischer Unternehmen sein. Natürlich wird der Preis nachwachsender Rohstoffe mit dem Preis fossiler Energieträger ansteigen, aber sicherlich mit deutlich geringeren Schwankungen. 5 10 15 20 25 30 Jahre 35 40 45 50 Bei vielen unserer durchgeführten dynamischen Wirtschaftlichkeitsvergleiche unterschiedlicher Massivhaus passiv fossil Energieversorgungsvarianten zeigen sich immer Massivhaus EnEV fossil projektspezifische Unterschiede. Aber ein allgemeiner Trend geht hin zu dem nachwachsenden Rohstoff Holz, mit dem trotz höherer anlagentechnischer Investitionskosten gesamtwirtschaftlich kostengünstiger Energie bereitgestellt werde kann. 5 10 15 20 25 30 Jahre 35 40 45 50 Abb. 8, 9: Primärenergieverbrauch über einen Betrachtungszeitraum von 50 Jahren für unterschiedliche Gebäudestandards. Herstellungsenergie im Jahr Null und Energie für den Rückbau im 50. Jahr. Abb. 10: Preisentwicklung für Holzpellets, Heizöl Energiepreisunterschiede sind die treibenden Kräfte für Entscheidungen für Energieversorgungssysteme. Hier begeben wir uns zu einem schwierigeren Thema. Eine Versachlichung liefert sicher die Beobachtung des Marktes, aber um die und Erdgas. [Quelle: C.A.R.M.E.N] 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZUKÜNFTIGE GEBÄUDE 1282 ZUKUNFT H O L Z Tab. 2: Dynamische Wirtschaftlichkeitsberechnung für zwei Wärmeversorgungsvarianten für eine Gewerbeimmobilie mit einem Wärmebedarf von 2.500 MWh. Die Jahreskosten sind berechnet incl. Investitions-, Wartungs-, Instandhaltungs-, Energie- und Reinvestitionskosten über einen Betrachtungszeitraum von 20 Jahre. Gleiche Energiepreissteigerung für fossile und regenerative Energie. Tab. 2 Abb. 11: Solar-Fabrik Freiburg. Vollständig solare Energieversorgung mit Rapsöl- BHKW, Photovoltaik-Anlagen und passiver Sonnenenergienutzung. Jahreskosten [€] 300.000 283.200 250.000 200.000 184.700 150.000 100.000 50.000 0 Var. 0: Gas‐Brennwert Var.1: Holzhack‐ schnitzel Abb. 12: Jahreskosten Wärme berechnet incl. In- Wärmeversorgungsvarianten für eine Gewerbeimmobilie Wärmeverbrauch 2500 MWh/a Wirtschaftlichkeitsparameter Betrachtungszeitraum Jahre Zinsatz Mittlere Teuerungsrate Energie Erdgas/Heizöl Mittlere Teuerungsrate Energie Holz Mittlere Teuerungsrate Wartung Mehrwertsteuer Mehrwertsteuer Holz Annuitätenfaktor [1/Jahre] 20 4,50% Mittelwertfaktor 6,00% 1,79 6,00% 1,79 2,00% 1,20 19,00% 7,00% 0,08 Var. 0: Var.1: HolzhackGas-Brennwert schnitzel Varianten Holzhackschnitzelkessel Leistung th kW kW 700 Gas-Brennwertkessel Leistung th h/a 3571 Betriebsstunden Investion 50.000 € netto Berechnung der Jahreskosten nach der Annuitätenmethode € netto / a 3.844 Kapitalkosten € netto / a 1.050 Wartungskosten im 1. Jahr € netto / a 1.264 mittlere Wartungskosten Ct.netto/kWh 11,9 Elektrizitätspreis Ct.netto/kWh 6,0 Erdgaspreis(ohne Bereitstellung) Ct.netto/kWh Holzhackschnitzelpreis € netto / a 155.232 Energiekosten im 1. Jahr € netto / a 278.137 mittlere Energiekosten 283.200 Mittlere Jahreskosten € netto / a Ct.netto/kWh mittlere Jahreskosten 11,3 Annahme CO2-Steuer (bei den Jahreskosten nicht berücksichtigt) 50 €/t 31.388 CO2-äquivalente Emissionen 630 t/a kg/a 404 SO2-äquivalente Emissionen kg/a Staub 25 Anfahrten Holzhackschnitzel Anzahl/a vestitions-, Wartungs-, Instandhaltungs-, Energieund Reinvestitionskosten über einen Betrachtungszeitraum von 20 Jahre Abb. 13: Holzhackschnitzelheizung 700 kWth und Holzpellet-Stirlingmotor 10 kWth / 3 kWel. 700 3571 380.000 29.213 11.020 13.114 11,9 3,0 79.475 142.400 184.700 7,4 8.822 180 1.714 245 75 ZUKUNFT H O L Z 1283 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZUKÜNFTIGE GEBÄUDE Dieser gesamtwirtschaftliche Vorteil ist ursächlich Wenn wir berücksichtigen, dass wir den Großteil mit der enormen ingenieurtechnischen Entwick- unseres Lebens in Innenräumen verbringen, dann lungsleistung der vergangenen Jahrzehnte ver- sollten wir den gesundheitlichen Aspekten eine knüpft. Der heutige technologische Stand der größere Aufmerksamkeit schenken. Verbrennung nachwachsender Rohstoffe hinsichtlich Zuverlässigkeit, Wirkungsgrad und Schadstoffemissionen wäre vor 20 Jahren so nicht vorstellbar gewesen. Abb. 14: Reihenhäuser der Solarsiedlung Frei- Abb. 16: Mehrfamilienwohnhaus elementar. Voll- burg. Architekt Rolf Disch ständig solare Energieversorgung mit Holzpelletheizung und fassadenintegrierten Photovoltaik- Geringe Herstellungsenergie und kleiner ökologi- und Sonnenkollektoranlagen. Architektur ARGE scher Rucksack sind sichere Indizien für lokal ver- Sonnenmoser, Riedel, Schlierf, Tübingen fügbare Materialien mit guter Recyclingfähigkeit. Solche ökologisch vorteilhaften Materialien ha- Eine größere Beachtung der Herstellungsenergie ben darüber hinaus noch raumlufttechnische von Baustoffen führt also zu Vorteilen in wichti- Qualitäten. Holz beispielsweise bindet Geruchs- gen nicht energetischen Bereichen. stoffe, puffert Raumluftfeuchte und emittiert keine Schadstoffe. Ähnliches gilt für andere Materia- Zukünftige Gebäude sind architektonisch opti- lien, z.B. Lehm, mineralische Putze und Farben, miert, energieeffizient, energetisch regenerativ Linoleum, Naturstein, usw.. versorgt und mit gesundheitsverträglichen Materialien gebaut oder saniert. Mit Lebenszyklusanalysen wird versucht diese ganzheitliche Sicht der Dinge zu qualifizieren und zu quantifizieren. Die Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) entwickelt dafür ein Zertifizierungssystem. Abb. 15: Solare Grundwasserpegelmessstation. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZUKÜNFTIGE GEBÄUDE Unsere zusammenfassende Definition „Zukünftiger Gebäude“ sieht wie folgt aus: Zukünftige Gebäude Abb. 17: Huf Sonnenhaus. Holzfachwerkhaus mit vollständig solarer Energieversorgung mit einer Holzpelletheizung, einem Sonnenkollektor und einer Photovoltaik-Anlage. Quelle: Huf Haus GmbH & Co. KG, Stahl + Weiß Endenergieverbrauch Gebäude 2050 [%] 40 Fossil Solar integriert, verdichtet, Grünflächenausgleich, ÖPNV, Fahrrad Architektur kompakt, passivsolar optimiert Baumaterialien natürlich, gesund, recyclebar, geringe Herstellungsenergie, dauerhaft Heizwärme gedämmte Gebäudehülle, Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, minimierter Heizwärmebedarf Sommerlicher Wärmeschutz Sonnenschutz, natürliche Klimatisierung Elektrizität natürliche Belichtung, effiziente Verbraucher, minimierter Elektizitätsbedarf Wasser Regenwasserrückhaltung, Trinkwassereinsparung Komfort schadstoffminimiert, thermisch, akustisch, lichttechnisch optimiert Wirtschaftlichkeit höhere Investitionskosten + niedrigere Betriebskosten = kostengünstiger Umwelt entlastend Image politisch gewollt, Gütesiegel (DGNB, RAL), zukunftssicher Herstellungsenergie < 0,4 MWh/m³ BRI Heizwärmeverbrauch incl. Warmwasser 25 – 35 kWh/(m²NGF a) Kühlenergieverbrauch regenerativ gebäudespezifischer Elektrizitätsverbrauch < 10 kWh/(m²NGF a) nutzerspezifischer Elektrizitätsverbrauch < 15 kWh/(m²NGF a) (Wohnnutzung) Primärenergieverbrauch < 0 kWh/(m²NGF a) (solare Energieversorgung) Abb. 18: Endenergieverbrauch der Gebäude in Deutschland im Jahr 2050. Quelle Umweltbundesamt Quellen [1] Friedrich Schmidt-Bleek (Hrsg.): Der ökologi- [5] BINE – BürgerInformation Neue Energietech- sche Rucksack. 2004, ISBN 3777612898 niken. Kurze prägnante gute Informationen [2] Krusche/ Althaus/ Gabriel Ökologisches Bau- zu allen Bereichen von Energieeffizienz bis en Bundesumweltamt Bauverlag GmbH Wiesbaden und Berlin 1982. Erstes ausführliches gutes Buch zu den Grundlagen und Ideen des ökologischen Bauens. [3] Sieferle, R. Der unterirdische Wald C.H. Beck 1982. Gutes Buch zu den grundlegenden Ideen solarer Energiesysteme! [4] Goetzberger, A., Voss, K., Stahl, W., Das Energieautarke Solarhaus, C.F. Müller Verlag, Heidelberg ZUKUNFT H O L Z Tab. 3 Städtebau 60 1284 zum energieoptimierten Bauen. [6] Daniels, K., Technologie des ökologischen Bauens, Birkhäuser Verlag [7] Voss, K. Herausgeber, Bürogebäude mit Zukunft r, TÜV Verlag [8] Voss, K., Heinze, M., Ziel Nullenergie, DBZ 1 2009 ZUKUNFT H O L Z 1285 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK PHOTOVOLTAIK UND HOLZ – EINE VERBINDUNG MIT ZUKUNFT 14.4 Gebäudetechnik Photovoltaik und Holz – Eine Verbindung mit Zukunft Jörg Wollenweber, Thomas Wach Im Sinne der Klimaschutzbemühungen gilt es gerade im Bausektor nachhaltiger und energiebewusster zu konstruieren. Holz ist als erprobter und ökologischer Baustoff vor diesem Hintergrund mehr und mehr gefragte konstruktive aber auch gestalterische Option für die Anwendung in Neubauten. Als nachwachsender und CO2-neu- Abb. 1: Anteil gebäudeintegrierter Photovol- traler Baustoff gilt Holz als ökologisch nachhaltig. taik (Grafik: Bundesverband Solarwirtschaft) Ein wichtiger Bestandteil der energetischen Nachhaltigkeit von Gebäuden ist die aktive Nutzung der Sonnenenergie. Nach vielen Pionierjahren bei der Installation von Photovoltaik Systemen wird nun in der praktischen Anwendung immer mehr nach sogenannten gebäudeintegrativen Systemen gefragt, also Systemlösungen, die Photovoltaik ästhetisch anspruchsvoll in die Gebäudehülle integrieren, Synergien bilden und gestaltend wirken. Abb. 2: Wafer aus einer monokristallinen PV Zelle (Foto: Tabea Huth, TU Darmstadt) Es ist also durchaus sinnvoll die Kombinationsmöglichkeiten von beiden Komponenten, also Es ist erforderlich zunächst die gängigsten Varian- Holz und Solartechnik zu erarbeiten. ten von Photovoltaik Zellen zu betrachten, da sich aus deren spezifischen Eigenarten unter-schied- 1 Grundlagen der Einsatzmöglichkeiten von liche Möglichkeiten für die Kombination mit dem Photovoltaik und Holz Die Verbindung von Photovoltaik und Holz ba- Baustoff Holz ergeben. Photovoltaik wird zur Er- siert genauer betrachtet immer aus der Verbin- nenstrahlung eingesetzt. Hauptbestandteil der dung von Holz und dem Trägermaterial, genannt herkömmlichen Photovoltaikzelle ist derzeit Silizi- Substrat, auf das die Zellen aufgebracht werden. um. Es wird nach spezieller Dotierung als Halblei- zeugung von elektrischer Energie aus der Son- termaterial eingesetzt. Unter Dotierung versteht Die große Nachfrage nach Photovoltaik Systemen man die Ausstattung des Grundmaterials mit hat in den letzten Jahren eine Vielzahl von ver- Fremdatomen, die den Elektronenfluss ermögli- schiedenen Produkten erhältlich gemacht, die un- chen. terschiedliche Vor- und Nachteile haben und deren Eigenschaften eine vielfältige Verbindung mit Grundsätzlich unterscheidet man drei Arten von Holz ermöglichen könnten. Erste Versuche in der Photovoltaik Zellen. Monokristalline, polykristalli- Bauanwendung wurden bereits realisiert. ne und amorphe (also nicht-kristalline) Zellen. Die kristallinen Zellen werden in den bekannten quadratischen Platten, sog. Wafern, in den üblichen Modulen für die Dachinstallation verwendet. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK PHOTOVOLTAIK UND HOLZ – EINE VERBINDUNG MIT ZUKUNFT Monokristalline Zellen bestehen aus nur einem Kristall. (Abb. 2) Die Struktur ist besonders rein und gleichmäßig, weshalb der Wirkungsgrad der monokristallinen Photovoltaik der höchste ist, der bei einfachen Siliziumzellen bisher erreicht wird. Die „Züchtung“ von monokristallinen Zellen erfordert aber erheblichen Aufwand und viel Energie. Daher sind die Zellen teurer als beispielsweise polykristalline (oder auch multikristalline) Zellen, deren Wafer aus gegossenen Blöcken geschnitten werden. Polykristalline Zellen erkennt man durch die eisblumenartige Strukturierung (Abb. 3). Sie haben Abb. 3: Wafer aus einer polykristallinen PV Zelle bisher das beste Preis-Leistungsverhältnis aller (Foto: Georg Slickers) Zellenarten. Kristalline Zellen erreichen ihren höchsten Wirkungsgrad bei direkter Sonnen-einstrahlung, optimalerweise einem Einstrahlwinkel von 90 ° (Abb. 4). Bei diffusem oder schwachem Licht verlieren sie schnell an Leistungsfähigkeit. Amorphe Zellen werden durch Aufbringen des Halbleitermaterials in dünnen Schichten auf Dampfbasis erzeugt. Wegen ihrer nicht- kristallinen Eigenschaften können die Zellen etwa hundertmal dünner ausgeführt werden als kristalline Zellen. Hieraus resultiert auch die Bezeichnung Dünnschicht- ellen. Bei der Dünnschicht Technologie entfallen die üblichen Materialreste und Sägeverschnitte, wie sie bei der Waferherstellung anfallen. So können durch den geringeren Materialaufwand erheblich Kosten gespart werden. Das Aufdampfen des Halbleitermaterials ist bisher Abb. 4: Die Dachneigung hat Einfluss auf den auf Flächen bis zu 5qm am Stück möglich. Der Nutzungsgrad von PV (Grafik: FG ee, TU Darm- Wirkungsgrad von amorphen Zellen ist derzeit stadt) niedriger, als der von kristallinen Zellen, jedoch können amorphe Zellen bei diffusem Licht und indirekter Sonneneinstrahlung mehr Energie erzeugen als kristalline (Tab. 1). In der Jahresbilanz erreichen einige amorphe Zellarten bereits die Leistung von kristallinen Zellen. Die DünnschichtTechnologie verspricht derzeit auch erhebliche technische Zukunftspotentiale. 1286 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1287 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK PHOTOVOLTAIK UND HOLZ – EINE VERBINDUNG MIT ZUKUNFT Tab. 1: Wirkungsgrad verschiedener Solarzellen (Quelle: www.solarintegration.de/in dex.php?id=359) Abb. 5: Glas-Glas Sandwich mit verschiedenen Abb. 6: Sandwich aus Plexiglasplatten mit monokristallinen PV Zellen monokristallinen PV Zellen [Foto: Tabea Huth, TU Darmstadt] [Foto: Tabea Huth, TU Darmstadt] 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK PHOTOVOLTAIK UND HOLZ – EINE VERBINDUNG MIT ZUKUNFT Für die Verbindung von Photovoltaik mit Holz ist Die Deckschicht muss gleichermaßen strahlungs- aber insbesondere das Substrat, also das Träger- durchlässig und witterungsbeständig sein. Die material auf dem der sehr empfindliche Halbleiter Bodenschicht dient oft als Grundlage für die aufgebracht ist, wichtig. Während amorphe Zel- Montagekonstruktion, hat also hauptsächlich len aufgrund ihrer Herstellungsart bereits auf ein strukturelle Eigenschaften. Wichtigste Eigenschaft Trägermaterial aufgedampft worden sind, müs- beider Trägerschichten ist jedoch ihr gleichartiges sen die Wafer aus kristallinen Zellen zunächst ein- Bewegungsverhalten bei temperaturbedingten gebettet werden. Dazu werden sie auf ein Sub- Ausdehnung u.ä. Insgesamt dürfen beide Schich- strat aufgebracht. Oftmals handelt es sich bei ten nicht mehr Bewegung zulassen als die dünne dem Substrat um stabile und verwindungssteife, PV Zelle verkraften kann. Da Glas und Photovol- zudem schlag- und witterungsbeständige Materi- taik auf ähnlicher Basis aufgebaut sind, und des- alien, wie Glas oder Kunststoff. halb ähnliche physikalische Grundeigenschaften aufweisen bietet sich Glas als Trägermaterial für Die klassischen Photovoltaik Module für die Photovoltaik- Zellen an. Holz, das als lebendiger Dachinstallationen werden in der Fabrik als ferti- Baustoff teilweise erheblichen Unregelmäßigkei- ges System aus Kunststoff- oder Glasplatten und ten und gewissen Formveränderungen unterwor- Rahmen produziert. Die PV Zellen werden hierbei fen ist eignet sich nicht als Träger. Die Verbin- in den bekannten Waferformen von etwa 100 – dung aus Holz und Photovoltaik benötigt also ei- 150 mm auf einer Trägerplatte aufgebracht und nen Adapter. schließlich zum Schutz vor äußeren Einwirkungen mit einer licht- und vor allem strahlungsdurchläsist in diesem Fall also ein bereits fertiges System 2 Indirekter Verbund von PV und Holz über einen Adapter Die Neigung von Holz zur Verwindung macht den das zu einem entsprechenden Montagesystem Einsatz von Adaptern als Bewegungspuffer erfor- passt, welches meistens in Form von Aluminium- derlich und bildet damit eine einfache und effi- profilen auf beispielsweise der Dachfläche ange- ziente Verbindungsmöglichkeit von Photovoltaik bracht wird. und Holz. Eine weitere, sehr wichtige und immer beliebter Als Adapter lässt sich eine vermittelnde Unter- werdende Trägerform ist das Verkleben der PV konstruktion verstehen, die die Photovoltaik bzw. Zellen zwischen zwei Glasscheiben. Dies ermög- das Substrat mit dem Holz verbindet. Grundsätz- licht den vertikalen und in Sonderfällen auch ho- lich ist dabei jede Art von Unterkonstruktion rizontalen Einsatz von Photovoltaik an der Fassa- denkbar. So wird auch die Installation von Stan- de. Die Einsatzmöglichkeiten dieses Glas-PV-Glas dard Dachpaneelen auf Holz ausführbar. Bei die- Sandwiches (oder auch Glas-Glas Moduls) sind ser Anwendung entscheidet sich aber erst im Ein- sehr vielseitig und deshalb wichtig für gebäudein- zelfall ob von einer gelungenen Gebäudeintegra- tegrative Lösungen und auch für den Verbund tion gesprochen werden kann. sigen Kunststoffplatte überdeckt. Der PV Träger von PV und Holz. Zusätzlich lassen sich PV Zellen perforieren, was ein Spiel mit Sonnen – und Sichtschutz ermöglicht. Dabei gilt grundsätzlich, dass schon 10 % Perforationsanteil einen guten optischen Transparenzgrad erzielen. 1288 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1289 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK PHOTOVOLTAIK UND HOLZ – EINE VERBINDUNG MIT ZUKUNFT Abb. 7: PV Unterkonstruktion verbindet PV und Holz [Foto: www.airbase-team.de/img/ PV_Panel1.jpg] Je nach Einzelfall kann schließlich auch nicht mehr von einer gemeinsamen Konstruktion gesprochen, da die heutigen Standardlösungen für PV und ihre Unterkonstruktion eigentlich als eigenständige Systeme zu verstehen sind, die auf nahezu jedem Untergrund installiert werden können. Die Verbindung von PV und Holz ist in diesem Fall also rein additiv und wenig komplex. (Abb. 7). Vor dem Hintergrund der Gebäudeintegration unterscheidet man grundsätzlich zwi- Abb. 9: Transparente PV als Überdachung der schen solchen „hinzugefügten“ Systemen und Holzveranda [Foto: Leon Schmidt, TU Darmstadt] solchen die individuell integriert werden. Eine solche individuell integrierte Lösung zeigt Abb. 8 als technisch komplexere Adapterlösung. Die Fassade des Darmstädter Solarhauses zeigt eine besondere Verbindung von Photovoltaik und Holz. Für diesen Prototyp wurden amorphe Siliziumzellen mit Glassubstrat verwendet. Als Adapter wurde die Zelle schließlich in eine Edelstahlwanne eingebettet. Um das Glas vor zu starken Bewegungen zu schützen wurde bei der Einbettung eine 2 mm starke Fuge zwischen Glas und Stahl belassen die mit flexiblem SpezialSilikon aufgefüllt wurde. An der Edelstahlwanne selbst wurden rückseitig gewindebolzen angebracht, die schließlich die Verbindung mit der nur 11 mm starken Eichenlamelle herstellte. Abb. 8: Nachführbare PV Lamellen am Darmstädter Solarhaus [Foto: Leon Schmidt, TU Darmstadt] 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK PHOTOVOLTAIK UND HOLZ – EINE VERBINDUNG MIT ZUKUNFT Abb. 10: Diagramm zur Integration von Solartechnik (Grafik: Energie Atlas, Manfred Hegger) Die Punktlagerung vermeidet jeglichen Nachteil in den Gebäudekomplex entsteht. Holzkonstruk- einer ermöglicht tionen eignen sich gegenüber anderen sichtbaren gleichzeitig die Hinterlüftung der Photovoltaik. Konstruktionsarten besonders für die Montage Zusätzlich konnten dabei auch die nötigen Kanäle von Glas-Glas Modulen, weil Planungs und Ferti- für flexible Lagerung und Kabelführung direkt im gungsaufwand für ästhetisch gleichwertige Un- Holz der Lamelle untergebracht werden. Der terkonstruktionen bei z.B. Sichtmauerwerk oder Adapter ermöglicht in diesem Fall also durchaus Sichtbeton erheblich höher sind. flächigen Verbindung und eine Lösung auch für anspruchsvolle Verbin- ein ästhetisch befriedigendes und dennoch ge- 3 Direktverbund von PV und deren Trägermaterial mit Holz Unter Direktverbund sei das Kleben oder das Ver- staltgebendes Gesamtbild. Da sämtliche Technik klemmen des Photovoltaik Substrats mit Holz ver- im Holz versteckt werden konnte ergibt sich eine standen. Die besten Möglichkeiten hierzu bildet Fassade mit einer einfachen, low-tech Ausstrah- trotz aller Unterschiede das Substrat Glas. Nicht lung, die gleichzeitig mit der Verbindung von den zuletzt, weil die Kombination von Glas und Holz klassischen Attributen eines Holzfensterladens zumindest grundsätzlich schon seit mehr als hun- mit der Solartechnik eine zukunftsträchtige Sy- dert Jahre im Fensterbau erprobt ist. Mit neuen nergie schafft. Errungenschaften aus der Solarindustrie lassen dungsanforderungen. Gemeinsam mit der Eiche als Träger ergibt sich von außen wie von innen sich genauso wie Glas und Holz nun auch PV und Im größeren Maßstab zeigt Abb. 9 ebenfalls eine Holz verbinden. Adapterlösung. Der Adapter ist hierbei eine Edelstahlpunkthalterung. Sie ermöglicht in diesem Fall Das Glas-Glas Modul kann beispielsweise auch in die horizontale Montage von Glas-Glas Sandwich Fenstern eingesetzt werden. (Abb. 11) Der Ein- Modulen als Verandaüberdachung. Die Montage satz von amorphen Zellen macht dabei auch die ist jedoch grundsätzlich in allen Lagen also auch fehlende Hinterlüftung (etwa bei einer Zweifach- und vor allem vertikal, als Fassadenlösung mög- Verglasung) unwichtig. Auf diese Weise lassen lich. Das ist deswegen wichtig, weil dadurch die sich ganze Fassaden aktivieren und damit einen Integration der Photovoltaik hohen Grad der Gebäudeintegration erreichen. 1290 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1291 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK PHOTOVOLTAIK UND HOLZ – EINE VERBINDUNG MIT ZUKUNFT Die Verbindung von Photovoltaik und Holz kann die Möglichkeit statisch wirksames Glas auch mit also potentiell in jedem Fenster dauerhaft und Photovoltaik zu aktivieren und somit der an sich sicher durchgeführt werden. Aufgrund von Vor- schon neuartigen Konstruktion ein weiteres wich- behalten wird diese Verbindung allerdings heute tiges Attribut hinzuzufügen. Die Möglichkeit Holz meistens mit Metall-Kunststofffenstern durchge- und Glas flächig zu verkleben bietet aber noch führt. Ein weiterer zukunftsträchtiger Direktver- mehr Einsatzbereiche. Das Glas kann in gewissen bund ist das Verkleben von Holz und Glas. Insbe- Abmaßen auch flächig auf Holz oder in vorher sondere im Bereich des Structural Glazings, also eingefräste Nuten eingeklebt werden. Hierdurch der Möglichkeit Glas Konstruktiv in Skelettbauten lassen sich bei geringstem Material und Arbeits- einzusetzen, hat die Forschung in den letzten aufwand integrative Lösungen schaffen. Jahren viele Erfolge erbracht. Glas kann also entlang seiner Kanten z.B. mit einem Holzrahmen verklebt werden und dient dann als diagonale 4 Einsatz amorpher Photovoltaik Amorphe PV bietet aufgrund seiner Eigenschaf- Aussteifung. ten vielseitige Einsatzmöglichkeiten, insbesondere in der Kombination mit Holz. Unter den voran gegangenen Beispielen sind einige, die nur mit amorphen Dünnschichtzellen funktionieren. Sie heizen sich in der Sonne geringer auf und erhalten auch bei hoher Temperatur ihre Leistung. Daher müssen sie nicht hinterlüftet werden, was die Einsatzvariabiltät von Photovoltaik insgesamt erheblich erhöht. Außerdem ermöglicht die extrem dünne Auftragsschicht auch flexible, also verformbare Zellen. Dabei wird die Zelle in ein Folienlaminat eingebracht, das insbesondere neue Kombinationen Abb. 11: Sandwich aus amorphen Zellen in einer mit Holz erlaubt. Weil aber auch amorphe Photo- zweifach-Verglasung voltaik nicht rissfest und damit nicht zugbelastbar [Foto: Tabea Huth, TU Darmstadt] ist kommt ein direkter flächiger Verbund mit Holz bisher noch nicht in Frage. Die Druckaufnahme über die gesamte Kante verhindert bei der Klebung eine zu starke Kanten- Amorphe Photovoltaik ist wegen der flexiblen pressung. Dabei ist der Kleber von erheblicher Be- Einsatzmöglichkeiten Objekt vieler Forschungs- deutung. Er muss nicht zuletzt die unterschied- unternehmungen. Dabei geht es insbesondere lichen Bewegungsgewohnheiten von Holz und um das einfache und direkte Aufbringen von Glas egalisieren können und dabei in gewissem Photovoltaik auf unterschiedlichste Oberflächen Maße der Witterung und teilweise erheblichen oder z.B. zum Aufdrucken im Siebdruckverfah- statischen Zug- und Druckkräften standhalten. ren. Auch die Aufdampftechnologie verspricht noch erhebliches Potential. Der Fortschritt auf diesem Gebiet eröffnet auch der Kombination von Photovoltaik und Holz neue Möglichkeiten. Zunächst besteht grundsätzlich 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK PHOTOVOLTAIK UND HOLZ – EINE VERBINDUNG MIT ZUKUNFT se von Holzbauern, sondern muss insbesondere in dem von Gestaltern und Bauherren liegen, Holz in jeglicher Art von Konstruktion als Möglichkeit mit einzubeziehen. Grundsätzlich werden die Fähigkeiten von Holz in Verbindung mit technischen und elektrischen Elementen unterschätzt Abb. 12: Amorphe PV in einem gering verform- und zu selten gewagt. Die Forschung ermöglicht baren Folien-Blech Laminat [Foto: Tabea Huth, TU Darmstadt] Abb. 13: Transparente (perforierte) amorphe PV in einem verformbaren Folien-Laminat [Foto: Tabea Huth, TU Darmstadt] 5 Ausblick Obwohl die Verbindungsmöglichkeiten von Photovoltaik und Holz prinzipiell vielseitig und teilweise auch schon erfolgreich erprobt sind, gibt es in der Industrie und bei Planern einige Vorbehalte vor dieser Kombination. Trotz aller Vielseitigkeit erscheint einigen Planern Verbindungssysteme mit Holz als zu wenig flexibel, was sich in höherem Planungsaufwand niederschlägt. Deswegen wird auch bei industriellen Lösungen sehr oft der traditionelle Baustoff Holz durch Metall oder Abb. 14: integrative Kombination von Photovoltaik und Holz [Foto: Leon Schmidt, TU Darmstadt] Kunststoff ersetzt. In den Jahren der Gebäudetechnisierung ist ein Teil des Vertrauens in das in diesem Zusammenhang immer mehr System- Holz verloren gegangen. Zu Unrecht, denn schon lösungen, die durch ihre Kombination besonders die Verbindung von Holz und Glas in Fenstern ökologisch, besonders nachhaltig und letztend- und die bisher realisierten Beispiele zeigen die lich ästhetisch sehr zufriedenstellend sein wer- grundsätzliche Fähigkeit dieser Kombination. Hin- den. Besonders die alt hergebrachte Verbindung zu kommen Behaglichkeit und anspruchsvolle Äs- aus Holz und Glas, die durch neue Techniken per- thetik des Holzes, die bei den meisten neu- fektioniert wird hat das absolute Potential eine zeitlichen Metall- oder Kunststofflösungen ver- Verbindung für die Zukunft zu sein. loren gegangen sind. Es darf nicht nur im Interes- 1292 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1293 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZEITGEMÄSSE GEBÄUDEAUTOMATION – AKTUELLER STAND UND POTENZIALE 14.4 Gebäudetechnik Zeitgemäße Gebäudeautomation – Aktueller Stand und Potenziale zykluskosten bei, jedoch die einmal getätigten Martin Becker Planungs- und Baukosten lediglich zu 20%. So1 Gebäudeautomation und Architektur Was hat Gebäudeautomation und Gebäudema- mit spielt eine zeitgemäße und angepasste Ge- nagement mit Architektur bzw. dem Entwurf von Energie- und Gebäudemanagement die entschei- Gebäuden und Fassaden zu tun? Auf den ersten dende Rolle für die Wirtschaftlichkeit und Ener- Blick nicht viel, bei genauerem Hinsehen jedoch gieeffizienz eines Gebäudes! bäudeautomation und ein darauf aufsetzendes sehr viel. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Forderung nach Ressourcen schonendem und Nicht selten übersteigen die späteren Energiever- nachhaltigem Bauen, das ökonomischen, ökolo- bräuche die zuvor in der Planung ermittelten Be- gischen und sozialen Aspekten gleichermaßen darfswerte um den Faktor 2-3. Was ist die Ursa- Rechnung trägt, ist eine auf den Investor bzw. che hierfür? Neben dem schwierig zu berücksich- Bauherrn passende und mit ihm abgestimmte tigen Nutzereinfluss sind z.B. regelungstechnisch Kompromisslösung notwendig. Moderne energe- nicht optimal eingestellte bzw. betriebene Anla- tische Gebäudeplanung heißt hierbei, einen Kom- gen (z.B. falsche Vorgabe von Sollwerten, nicht promiss zwischen Kosten, Energieeffizienz sowie angepasste Zeit- und Betriebsparameter), sowie Komfort- und Behaglichkeitsaspekten für die Nut- nicht auf die Nutzung bzw. Belegung angepasste zer des Gebäudes zu finden. Dazu sind allerdings Anlagen die Ursache (z.B. die Beleuchtung oder nicht nur die in der Planung ermittelten ener- Lüftung bleibt eingeschaltet obwohl keine Person getischen Bedarfswerte wichtig, sondern es muss im Raum ist). Dies transparent zu machen ist schon in der Planung berücksichtigt werden, wie auch Aufgabe der Gebäudeautomation bzw. des in der langen Betriebszeit eines Gebäudes die lau- Energie- und Gebäudemanagements. fenden Energiekosten überwacht und minimiert werden können. Bezogen auf die gesamten Le- Zeitgemäße Gebäudeautomation ist die Basis für benszykluskosten Be- ein „aktives“ Energiemanagement, das zeitnah triebkosten (Energiekosten, Wartungskosten...), alle Energieflüsse im Gebäude transparent macht typischerweise zu 80% an den gesamten Lebens- und es erlaubt, dass der Betreiber frühzeitig er- tragen die laufenden höhte Energieverbräuche feststellen kann und hieraus zielgerichtet effiziente Optimierungsmaßnahmen wie z.B. nutzer- und nutzungsangepasste Regelungsstrategien für bedarfsgeführte Heizung, Lüftung und Beleuchtung eingeleitet werden. Heute ist es leider häufig noch so, dass das Ergebnis erhöhter Energieverbräuche erst bei der kommenden Jahresabrechnung festgestellt wird und die Ursache hierfür dann nur noch schwer zurückverfolgt werden kann, um hieraus gezielte Verbesserungsmaßnahmen zu ergreifen. Dies wiegt umso schwerer, wenn man berücksichtigt, dass durch verbesserte Regelungsstrategien in Verbindung mit optimierter Anlagentechnik in Abb. 1: Lebenszykluskosten in der Gebäudetechnik – Optimierungspotenzial der Praxis Energieeinsparungen von bis zu 60% durch Raum- und Gebäudeautomation erzielt werden können. Dies bedeutet bei den 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZEITGEMÄSSE GEBÄUDEAUTOMATION – AKTUELLER STAND UND POTENZIALE weiter zu erwartenden deutlichen Energiepreis- wachens von gebäudetechnischen Anlagen wie steigerungen ein enormes Kosteneinsparpotenzial z.B. Heizungs- oder Klimaanlage oder Beleuch- im laufenden Gebäudebetrieb. tungsanlage die vielfältigen Optimierungspotenziale für das Zusammenspiel aller Gewerke und für ein übergeordnetes Energie- und Gebäudemanagement zu nutzen. Potenzial besteht zum Einen bei der Optimierung von Einzelsystemen bezogen auf die jeweiligen Gewerke der technischen Gebäudeausrüstung wie Heizung, Lüftung, Klima, Beleuchtung usw. Beispiele hierfür sind: - Optimierte Einstellung von Reglerparametern und gleitende Sollwerte - Programme zum Anpassen von optimierten Abb. 2: Regelkreis des aktiven Energiemanage- Ein-/Ausschaltzeitpunkten für die Nachtabsen- ments kung bzw. den Stützbetrieb bei der Heizung - ner Anlage ist somit keine fixe Größe, sondern Angepasste Fahrweise der Anlagen im Teillastbetrieb Der Energieverbrauch eines Gebäudes bzw. sei- Anwesenheits- und belegungsabhängige Au- stark vom Nutzerverhalten und eines optimierten tomationsstrategien für Heizung, Klima, Lüf- Anlagen- und Gebäudebetriebs abhängig. Zeitge- tung und Beleuchtung im Raum mäße Automatisierungstechnik ist das notwendi- - Ausschalten der Beleuchtung bei Nichtanwe- ge Werkzeug für ein aktives Energie- und Ge- senheit von Personen (z.B. über Präsensmel- bäudemanagement, um alle erforderlichen Daten der) zu erfassen und auszuwerten, um hieraus wie- - Sonnentandsnachgeführte Jalousie- und Ver- derum die Transparenz aller Energieflüsse im Ge- schattung von Jalousien mit Unterscheidung bäude über entsprechende Energiekenngrößen von Nutzungszeiten und Jahreszeit (z.B. Nut- (z.B. Energiesignatur eines Gebäudes) zu erhal- zung der Solareinstrahlung im Winter über die ten. Dies gibt weiterhin Aufschluss über positive Fenster bei Abwesenheit durch Hochfahren sowie negative Einflüsse des Nutzerverhaltens, der Jalousie, im Sommer durch Herunterfah- um daraus wiederum zielgerichtet wirtschaftliche ren der Jalousie zur Vermeidung unnötiger Wärmeeinträge) Optimierungsmaßnahmen zu ergreifen. - Bedarfsgeführte Fensterlüftung über die Fas- 2 Stellenwert der Gebäudeautomation für sade mit Nutzung zur freien Nachtkühlung einen energieeffizienten Betrieb von Gebäuden Welche Rolle kann die Automatisierungstechnik Alle diese Funktionen im Raum, die auch als für einen energieeffizienten Betrieb von Gebäu- helfen eine auf den Nutzer bzw. die Nutzung zu- den und deren Anlagentechnik übernehmen? geschnittene energieeffiziente Betriebsführung zu Richtiger Einsatz von Gebäudeautomation heißt erreichen, aber gleichzeitig auch dem Nutzer ein in der heutigen Zeit neben den primären Aufga- angenehmes und komfortables Raumklima anzu- ben des Messens, Steuerns, Regelns und Über- bieten. Raumautomationsfunktionen bezeichnet werden, 1294 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1295 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZEITGEMÄSSE GEBÄUDEAUTOMATION – AKTUELLER STAND UND POTENZIALE Neben der nutzungsbezogenen Optimierung von und Kommunikationsstandards wie z.B. der Euro- Einzelsystemen besteht ein hohes Optimierungs- päische Installationsbus (EIB/KNX), Local Opera- potenzial im Bereich der übergreifenden System- ting Network (LON) oder Building Automation automation und -optimierung im Sinne des abge- and Control Network (BACnet), die je nach An- stimmten Zusammenspiels der gesamten Anla- forderung unterschiedlichste Übertragungstech- gentechnik. Beispiele hierfür sind: nologien (RS 485, Infrarot, Funk, Powerline, - Strategien für die Kraft-Wärme-Kälte-Kopp- Ethernet TCP/IP …) nutzen, gehören heutzutage lung (KWKK) von Anlagen, indem z.B. die Ab- fast selbstverständlich als Standardinfrastruktur wärme von Kälteanlagen für die Beheizung ins Gebäude. Zunehmend werden diese Systeme von Räumen oder Warmwasser genutzt wer- für übergeordnete Managementaufgaben in das den kann (Wärmerückgewinnung) anstatt die- üblicherweise vorhandene EDV-Netz basierend se wertvolle Energie ungenutzt über Kühltür- auf einem Ethernet TCP/IP-Netzwerk eingebun- me an die Umgebung abzuleiten. den. D.h. Gebäudeautomations-, Bürokommuni- Strategien für die Integration dezentraler und kations- verteilter Energiewandler unter verstärktem wachsen immer mehr zu einem integrierten Kom- Einsatz regenerativer Energiesysteme (z.B. munikationssystem zusammen. Dies ermöglicht Photovoltaik, BHKW, Wärmepumpe, Brenn- wiederum die Datenkommunikation über die aus stoffzelle, Biomasse, Solare Klimatisierung, …) der Bürokommunikation bekannten Dienste wie in ein abgestimmtes Energieversorgungssys- SMS, E-Mail usw., die z.B. für die Meldung von tem Störungen und Alarmen genutzt werden können. Übergreifende Automationskonzepte für die Damit lassen sich aber auch wichtige Prozess- geothermische Nutzung mit umschaltbaren und Anlagendaten wie z.B. Temperatur- und Wärmepumpen für einen Kühl-/Heizbetrieb in Druckverläufe für die Anlagendiagnose oder Verbindung mit thermischer Bauteilaktivierung Energieverbrauchswerte zeitnah von jedem Ort im Raum unter Berücksichtigung aktueller der Welt an jeden anderen Ort der Welt transpor- Lastprofile und Wetterdaten bzw. -prognosen tieren. Die Visualisierung von Anlagen und deren Abgestimmtes Zusammenspiel der Raumkli- aktuelle Prozessdaten auf dynamischen Anlagen- matik wie Kühlen, Heizen, Lüften, Beleuchten bildern ist hierbei eine hervorragende Basis, um usw. (Raumautomation) für eine optimierte, den Betrieb einer Anlage überwachen und ener- bedarfsgeführte Betriebsführung der Energie- getisch bewerten zu können. Neben Überwa- erzeugung (z.B. Heizkessel, Klimaanlage) chungs- und Optimierungsfunktionen lassen sich - - - und Telekommunikationsnetzwerke zugleich nichtoperative Aufgaben wie z.B. WarModerne sind tungsmanagement oder Material- und Personal- durch ganzheitliche, gewerkeübergreifende An- Gebäudeautomationslösungen einsatzplanung realisieren und in die übergeord- sätze gekennzeichnet. Ziel hierbei ist, alle interes- neten Geschäftsprozesse und das Facility Mana- sierenden Daten der verschiedenen gebäude- gement integrieren. technischen Anlagen für ein übergeordnetes Energie- und Gebäudemanagement zusammenzuführen. Automatisierungstechnik ohne Informations- und Kommunikationstechnik und Einsatz mikrocontrollerbasierter frei konfigurierbarer bzw. programmierbarer Automationsgeräte ist heute nicht mehr denkbar. Offene Bussysteme 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZEITGEMÄSSE GEBÄUDEAUTOMATION – AKTUELLER STAND UND POTENZIALE 3 Wo liegen die Hindernisse? Wie lässt sich die heutige Situation verbessern? management von der Unternehmensleitung Betrachtet man die heutige Situation kritisch, so folgt und unterstützt werden muss. als kontinuierlicher Optimierungsprozess ver- muss man feststellen, dass wir in vielen Anwendungen noch meilenweit von einer effektiven Eine Verbesserung der heutigen Situation, die für Nutzung von Gebäudeautomation und Gebäu- alle Beteiligten Gruppen (Bauherr/Inestor, Archi- demanagement mit den heute bereits verfügba- tekt, Planer, Betreiber, Nutzer, …) zweifelsfrei be- ren technischen Möglichkeiten entfernt sind. Wo grüßenswert und wünschenswert ist, muss be- liegen die Ursachen hierfür? Einige Ursachen sind reits in der Planungsphase von Gebäuden anset- im Folgenden stichwortartig aufgelistet: zen und fordert sicherlich auch eine Bereitschaft - Geringes Wissen und Verständnis für den Stel- im Umdenken klassischer Planungsschritte gemäß lenwert und die Möglichkeiten zeitgemäßer dem Motto: „Unser Kopf ist rund, damit das Raum- und Gebäudeautomation sowie von Denken seine Richtung ändern kann“. Gebäudemanagement bei Architekten und - - - - - Bauherrn. So muss bereits in einer frühen Entwurfsplanung Die Gebäudeautomations-Branche hat es (bis- eine auf den Gebäudetyp und die Gebäude- bzw. her) nicht geschafft das Thema Gebäudeau- Raumnutzung zugeschnittene Gebäudeinforma- tomation und Kommunikationstechnik für Ar- tions-Architektur (GIA) entworfen werden. Je chitekten und Bauherrn zu „übersetzen“. später dieser Entwurf bzw. diese Konzeption er- Eine gewerkeübergreifende Gebäudeautoma- folgt, desto teurer bzw. unwirtschaftlicher wer- tions-Architektur wird u.a. bedingt durch den den Gebäudeautomationslösungen. Nachträgli- „klassischen“ Planungsprozess in Einzelge- che, durchaus sinnvolle und notwendige Investi- werken („Mein Gewerk“) gar nicht oder zu tionen für einen optimierten Gebäudebetrieb spät im Planungsprozess entworfen. (z.B. Einbau zusätzlicher Energiezähler für Strom Keine transparente Lebenszyklusbetrachtung oder Wärme, zusätzliche Sensoren für die Über- (80/20 % Regel, d.h. 20 % Planungs- und In- wachung / Optimierung oder bedarfs- /nutzungs- vestitionskosten, geführte 80 %Betriebskosten), die Regelungsstrategien, übergeordnete evtl. höhere Investitionskosten für Gebäude- Gebäudeleittechnik) sind dann in der Regel nicht automation über die Reduzierung der späte- oder schlecht wirtschaftlich umsetzbar. Wird dies ren geringeren Betriebskosten wirtschaftlich jedoch in Form eines konsistenten, in sich abge- rechtfertigt. stimmten Gebäudeautomationskonzeptes bereits Gebäudeautomation wird im laufenden Ge- in der frühen Gebäudeplanung berücksichtigt bäudebetrieb zuwenig als kontinuierliches Op- und in den späteren Planungsphasen schrittweise timierungswerkzeug gesehen und genutzt, da konkretisiert, sind - bezogen auf die gesamten häufig hierfür geschultes Personal fehlt. Da- Baukosten - vergleichsweise geringen Mehrinves- durch wird ein enormes Energieeinsparpoten- titionen erforderlich. Praktische Beispiele zeigen, zial durch nicht- bzw. gering-investive Maß- dass dies sogar bei einer Gewerke Übergreifen- nahmen nicht oder kaum ausgeschöpft. den Gesamtplanung (Integrationsplanung) ohne Energie- und Gebäudemanagement ist i.d.R. Mehrkosten berücksichtigt werden kann. nicht als kontinuierliche Aufgabe und Prozess in einem Unternehmen verankert und wird damit vielfach stiefmütterlich behandelt. Die Erfahrung zeigt, dass erfolgreiches Energie- 1296 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1297 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZEITGEMÄSSE GEBÄUDEAUTOMATION – AKTUELLER STAND UND POTENZIALE 4 Ausblick: Optimierte Betriebsführungskonzepte, Informationsmanagement und integrierte Systemkomponenten Wie bereits zuvor erwähnt, ist es für einen energieeffizienten Betrieb von Anlagen und/oder Gebäuden entscheidend, dass alle hierfür erforderlichen Daten erfasst, an eine geeignete Stelle übertragen, über entsprechende Anlagenbilder visualisiert und für eventuell spätere Auswertungen archiviert werden. Viel wichtiger als die Daten selbst, sind die Informationen bzw. das Wissen, das mir diesen Daten generiert werden kann. Dies fordert ein konsequentes Informationsmanagement. Hierbei geht es darum, die erfassten DaAbb. 3: Gebäudeinformations-Architektur (GIA) ten so weiterzuverarbeiten und auszuwerten, dass Sie für den jeweiligen „Daten-Nutzer“ in ei- Parallel zum Architekturentwurf für das Gebäude ner aufbereiteten Form zur Verfügung stehen. sprechen wir hier von dem Entwurf der umzuset- Den Energiemanager interessieren z.B. nicht die zenden Gebäudeinformations-Architektur (GIA). Rohdaten in Form von Zählerständen einzelner Um einen solchen Entwurf durchführen zu kön- Verbraucher, sonder er möchte z.B. in einer mög- nen, bedarf es schon in der frühen Planungspha- lichst aussagekräftigen Auswertung die ausge- se einer Systembetrachtung des funktionalen Zu- werteten und z.B. witterungsbereinigten Wärme- sammenwirkens und Wechselwirkens der ver- verbräuche erhalten, möglichst bereits im Sinne schiedenen Teilsysteme und Nutzungsaspekte zu eines Benchmarkings verglichen mit Gebäuden einem sinnvollen Ganzen für die spätere Be- gleicher Größe und ähnlicher Nutzung. Wichtig triebsphase. Dazu empfiehlt es sich, bereits in ei- für eine energetische Bewertung sind verdichtete ner frühen Planungs- und Entwurfsphase einen Informationen wie z.B. der Wirkungsgrad einer Integrationsplaner oder technischen Designplaner Wärmerückgewinnung oder die Leistungszahl ei- mit Blick auf das Ganze und mit Blick auf die Le- ner Kältemaschine. Die Gebäudeautomation lie- benszykluskosten eines Gebäudes einzubinden. fert hierfür die Basisdaten in ein datenbankge- Der Fachmann für Gebäudeautomation bringt stütztes diese Sichtweise und Systembetrachtung mit, da dann als höherwertige Informationen für Energie- es schon immer seine Aufgabe war, die verschie- management-Programme oder Facility Manage- denen Gewerke über eine passende technische ment Programme (Computer Aided Facility Ma- Lösung zu einem Gazen für einen optimierten nagement, CAFM) zur Verfügung stehen. Gebäudebetrieb zusammenzuführen. Informationsmanagementsystem, die 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK ZEITGEMÄSSE GEBÄUDEAUTOMATION – AKTUELLER STAND UND POTENZIALE 1298 ZUKUNFT H O L Z über Fotovoltaik-Module integriert sind und die kontrollierte natürliche Lüftungsstrategien über motorisch betriebene Fensterelemente ermöglichen, wobei diese Einzelsysteme über eine in die Fassade ebenfalls integrierte MSR-Technik (Fassadenautomation) optimal aufeinander abgestimmt sind. Der Fassadencontroller ist wiederum über standardisierte Bussysteme in die Raum- und GeAbb. 4: Vom Daten- über das Informationsmana- bäudeautomation angebunden, so dass eine auf gement zum wissensbasierten Energie- und Ge- die Nutzung und Energieeffizienz abgestimmte bäudemanagement Betriebsführung ermöglicht wird. Das Fenster bzw. die Fassade wandelt sich somit zunehmend Für eine optimierte Betriebsführung wird hierbei von einem passiven Bauelement zu einem aktiven zunehmend die Simulation als wichtiges Hilfsmit- gebäudetechnischen Bauelement. Man kann in tel nicht nur in der Planungsphase, sondern auch diesem Zusammenhang auch von einem me- als Werkzeug für eine dynamische simulationsge- chatronischen Fassadensystem sprechen, das me- stützte Betriebsführung im Zusammenspiel mit chanische, elektromechanische/elektronische und der Gebäudeautomation und dem Energie- und informationstechnische Komponenten zu einem Gebäudemanagement genutzt. Hier ist allerdings neuen, höherwertigen Gesamtsystem verknüpft. noch erheblicher Forschungsbedarf vorhanden, z.B. in Bezug auf lernfähige und wissensbasierte Strategien zum Auswerten und Bewerten von Betriebsführungsstrategien in Verbindung mit dem dazu erforderlichen zusätzlichen Informationsbedarf. 5 Integrierte Gebäudesysteme – Mechatronische Fassadensysteme Ein weiterer Trend ist die Entwicklung hin zu steckerfertigen, integrierten gebäudetechnischen Systemen mit aufeinander abgestimmten Teilkomponenten und integrierter Mess-, SteuerRegeltechnik (MSR-Technik). Ein Beispiel hierfür sind raumlufttechnische Komplettgeräte oder steckerfertige Wärmepumpen mit integrierter Hydraulikbaugruppe und MSR-Technik. Dieser Trend wird sich zukünftig auch auf die Gebäude- Abb. 5: TEmotion als Beispiel für ein integriertes mechatronisches Fassa- hülle und Fassadentechnik ausdehnen. Erste in- densystem tegrierte Fassadensysteme sind am Markt verfügbar, bei denen in der Fassade dezentrale Lüftungsgeräte, Sonnenschutzsysteme, Beleuch- tungssysteme, ja sogar die Energieerzeugung ZUKUNFT H O L Z 1299 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAUEN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK WÄRMEPUMPEN 14.4 Gebäudetechnik Wärmepumpen Alexander Floß Entzieht man hingegen einem zumindest unendlich erscheinenden Reservoir (z.B. Geothermie) 1 Wärmepumpen Verfolgt man die öffentliche Diskussion zum Wärme, hebt diese auf ein höheres Temperatur- Thema Energieeinsparung im Gebäude, bekommt Beheizen von Gebäuden, spricht man von einer man immer wieder den Eindruck, dass ein Groß- Wärmepumpen-Anwendung (Abb. 2). William teil unserer Energieprobleme gelöst wäre, würde Thomson setzte die Wärmepumpenanwendung man die moderne Wärmepumpentechnologie nur 1852 erstmals in die Tat um. Anfang des endlich in viel größerem Umfang einsetzen. 20. Jahrhunderts wurden dann zahlreiche Ma- niveau und nutzt die Wärme beispielsweise zum schinen zur Wärmeerzeugung entwickelt und paTatsächlich kann durch den (vermehrten) Einsatz tentiert. von Wärmepumpen ein erhebliches Energieeinsparpotential im Bereich der Gebäudebeheizung Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden vornehm- und damit auch ein Beitrag zur Reduzierung des lich in den USA und Japan Wärmepumpen in Lüf- CO2-Ausstoßes realisiert werden. Allerdings rea- tungsanlagen eingebaut. Sie boten den Vorteil, gieren Wärmepumpensysteme in Bezug auf ihre im Winter heizen und im Sommer kühlen zu Effizienz sehr sensibel auf die Temperaturrand- können. In Europa, wo dieser Vorteil aufgrund bedingungen. Dies erfordert eine äußert sorgsa- anderer klimatischer Bedingungen und anderer me Planung, Installation und Überwachung von Baustile zunächst nicht von Wichtigkeit war, be- Wärmepumpensystemen, wenn diese wirklich ef- gann die Wärmepumpe Ende der 1970er Jahre fizient und ökologisch heizen sollen. nach den Ölkrisen ihren Einzug in die Heizungssysteme. Großes Augenmerk wird im Folgenden auf die Vorstellung und Erläuterung der verschiedenen Energetischen Kennzahlen von Wärmepumpen und Wärmepumpensystemen gelegt, die in der Praxis recht uneinheitlich und oft nicht exakt verwendet werden. Hierdurch kommt es immer wieder zu folgenschweren Fehlern bei der energetischen Beurteilung von Wärmepumpensystemen. 2 Entwicklung der Wärmepumpen Das Bestreben, Lebensmittel länger lagern zu Abb. 1: Entwicklung des deutschen Absatzmark- können, ließ John Leslie im Jahr 1810 die Absorp- tes für Wärmepumpen (Datenquelle: BWK Ener- tions-Kältemaschine und Jakob Perkins 1834 die gie-Fachmagazin 04-2008) Kompressions-Kältemaschine entwickeln. In der Kältetechnik wird ein Raum gekühlt, indem ihm Der starke Einbruch der Absatzzahlen von in Wärme entzogen wird. Diese wird auf ein höhe- Deutschland installierten Wärmepumpen in den res Temperaturniveau gebracht und schließlich an 1980er Jahren ist weniger auf sinkende Energie- die Umgebung abgegeben. preise als auf Effizienzprobleme der Wärmepumpenanlagen aufgrund unsachgemäßer Ausführung und Abstimmung der Gesamtsysteme zu- 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAEUN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK WÄRMEPUMPEN rückzuführen. Seit Anfang der 1990er Jahre wird in die Wärmepumpe fließen kann. Mithilfe der der Wärmepumpenmarkt durch günstige Strom- Antriebsenergie (PAntr.) hebt die Wärmepumpe tarife der Energieversorger und heizenergietech- diese Umweltwärme jetzt auf ein Temperaturni- nisch verbesserte Gebäude beflügelt. Aber auch veau oberhalb der Nutzung, so dass die Wärme der ständig steigende Glasanteil in den Gebäude- vom warmen Wärmetauscher abfließen kann. fassaden und der damit verbundene Kühlbedarf Man kann eine Wärmepumpe somit als „Maschi- im Sommer wird als Werbeargument für Wärme- ne zur Anhebung des Temperaturniveaus“ be- pumpen herangezogen, da mit Wärmepumpen zeichnen. Der Energieaufwand, der für diesen im Sommer auch gekühlt werden kann. Temperaturhub notwendig ist, hängt wiederum maßgeblich von zwei Dingen ab: a) der Menge Die extremen Wachstumszahlen seit 2005 lassen der anzuhebenden Wärme (entspricht der Masse Wärmepumpensysteme zum Selbstläufer werden, von Fahrer samt Rad) und b) der Temperaturdiffe- worunter die Sorgfalt bei Planung, Ausführung renz, um die die Wärme angehoben werden und Betrieb von Wärmepumpen und damit deren muss. Dies entspricht der Höhendifferenz, die der Energieeffizienz sehr leidet. Fahrer zu überwinden hat. Und hier wird das Grundproblem einer jeden Wärmepumpenan- 3 Grundlegende thermodynamische Zusam- wendung deutlich. Der Aufwand, der getätigt menhänge und Funktionsweise von Wärmepumpen Wärmeenergie fließt immer nur vom warmen werden muss, um ein solches System zu betrei- zum kalten Temperaturniveau. Die in der äußeren muss. Dieser sollte möglichst gering sein. D.h. Erdkruste gespeicherte Wärme (oberflächennahe man benötigt eine Wärmequelle mit einem mög- Geothermie) befindet sich in der Regel auf einem lichst hohen Temperaturniveau und eine Wärme- Temperaturniveau von ca. 10 °C. Unser heutiges senke mit einem möglichst geringen Temperatur- Behaglichkeitsempfinden von Raumtemperaturen niveau. Das Temperaturniveau der Nutzung ist liegt aber eher im Bereich von 20 °C. Dies bedeu- bei der Gebäudebeheizung in der Regel recht ein- tet, dass die in der Umwelt gespeicherte thermi- heitlich bei 20 °C, die Höhe der Heizungs-Vor- sche Energie nicht von alleine in unsere Gebäude lauftemperatur schwankt aber je nach Raumheiz- fließen kann. einrichtung und Auslegung zwischen 30° und ben, ist ganz maßgeblich abhängig vom Temperaturhub, den die Wärmepumpe überwinden 90°C. Das Prinzip eines Fahrrads ist dem der Wärmepumpe in Ansätzen vergleichbar. Der Energieauf- Die Funktionsweise der Wärmepumpe kann am wand, der notwendig ist, um einen Höhenunter- Beispiel der Fahrradluftpumpe erklärt werden. schied mit dem Fahrrad zu bezwingen, ist in er- Verdichtet man Luft oder ein anderes Gas bzw. ster Linie von zwei Dingen abhängig: a) der Mas- Kältemittel, erwärmt sich dieses. Das merkt man se (Gewicht) von Fahrer und Fahrrad und b) der beim Aufpumpen des Fahrrades - der Luftpum- zu überwindenden Höhendifferenz. Hier liegt die penkopf wird warm. Die Umkehrung lautet: wird Parallelität zur Wärmepumpe. die Luft bzw. das Gas / Kältemittel entspannt, kühlt es sich ab. Unter Vernachlässigung von Rei- Ein Wärmepumpensystem besitzt zwei äußere bung und anderen Irreversibilitäten kann ein Gas Wärmetauscher. Ein Wärmetauscher wird auf ein durch Verdichtung erwärmt und durch die an- Temperaturniveau unterhalb der Umgebungstem- schließende Entspannung wieder auf sein Aus- peratur abgekühlt, so dass die Umgebungswärme gangstemperaturniveau zurückgekühlt werden. 1300 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 1301 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAEUN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK WÄRMEPUMPEN Wird aber, wie in Abb. 2 dargestellt, die Wärme dichter (Antrieb durch Wärme) handelt. In der des verdichteten Gases über einen Wärmetau- Gebäudetechnik dominieren heute strombetrie- scher (Kondensator) an ein Heizungssystem ab- bene Kompressions-Wärmepumpen. Dies bedeu- gegeben, kühlt sich das Gas schon vor der Ent- tet nicht, dass thermisch angetriebene Wärme- spannung ab. Die anschließende Entspannung pumpen schlechter sind. führt nun dazu, dass sich das Gas unter das Temperaturniveau der Wärmequelle abkühlen kann. Thermisch angetriebene Wärmepumpen beste- Somit kann es in einem zweiten Wärmetauscher hen aus einem linksläufigen Kältekreislauf, der (Verdampfer) Umweltwärme aufnehmen, bevor mit einem rechtsläufigen Wärme-Kraft-Kreislauf es diese, durch den Verdichter angetrieben, wie- gekoppelt ist. Hieraus resultiert, dass das Tempe- der auf ein höheres Temperaturniveau bringt. raturniveau der Heizungsvorlauftemperatur dop- Dieser Kreislauf wird in der Thermodynamik als pelt gewichtet und das Temperaturniveau des linksläufiger Auch thermischen Wärmepumpenantriebes zusätzlich wenn bei einigen Anwendungen Luft im Kreislauf Kältekreislauf bezeichnet. in die Effizienzbewertung eingehen muss. Der zirkuliert, wird in den meisten Fällen ein Kältemit- Einsatz dieser thermisch angetriebenen Wärme- tel verwendet, das einen Phasenwechsel von flüs- pumpen ist daher noch sorgfältiger zu planen sig nach dampfförmig (Verdampfung) und um- und durchzuführen. gekehrt (Kondensation) vollzieht. 4 Effizienz von Wärmepumpen - Energetische Kennzahlen In der Technik wird der Wirkungsgrad ganz allgemein als Verhältnis zwischen Nutzen und Aufwand definiert. Abb. 3 zeigt die Leistungsbilanz an der Wärmepumpe. Demnach ist der Nutzen der Wärmepumpe die abgegebene Heizleistung Q Heiz Abb. 2: Linksläufiger Kältekreislauf einer Wärmepumpe Auch hier kann man sich gut vor Augen halten: je höher das Temperaturniveau angehoben werden muss, umso stärker muss das Gas / Kältemittel verdichtet werden, wodurch ein höherer Auf- Abb. 3: Leistungsbilanz an der Wärmepumpe wand am Verdichter entsteht. Hierbei ist es zunächst unerheblich, ob es sich um einen mecha- Der Aufwand, den man in das System hinein- nischen Verdichter (meist über einen Elektromo- steckt, ist aus technischer Sicht die Summe aus tor angetrieben) oder um einen thermischen Ver- Antriebsleistung PAntr. und Wärmeleistung aus der 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAEUN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK WÄRMEPUMPEN . Da die Umweltwärme in aller Regel Umwelt Q 0 kostenlos zur Verfügung steht, wird sie bei der Definition der Effizienz von Wärmepumpen nicht mit berücksichtigt. Diese gewissermaßen monetäre Definition hat zur Folge, dass die Effizienz größer 100 % ist. Um hier nicht den Anschein zu wecken, ein Perpetuum Mobile zu beschreiben, wird die Effizienz von Wärmepumpen als Effektive Leistungszahl WP,eff Heizleistung Antriebsleistung 1302 ZUKUNFT H O L Z (tC in °C) bei einer festen Verdampfungstemperatur von t0 = 0 °C (273,15 K). Hier wird ersichtlich, in welch hohem Maß die effektive Leistungszahl von der oberen Kondensationstemperatur und der unteren Verdampfungstemperatur abhängig ist. Überschlägig kann festgehalten werden, dass ein Anheben der Kondensationstemperatur um 1 °C die Leistungszahl um 2,5 % und ein Absenken der Verdampfungstemperatur die Leistungszahl um 3 % absinken lässt. definiert. Der Physiker Niclas Carnot hat schon um 1825 herausgefunden, dass der maximal mögliche Wirkungsgrad von Kreisprozessen durch die obere und untere Temperatur des Prozesses begrenzt wird. Für den mechanisch angetriebenen Kaltdampf-Wärmepumpenprozess ergibt sich diese ideale- oder Carnot Leistungszahl zu WP,ideal WP,Carnot TC TC T0 Hier steht TC für die Kondensations- und T0 für die Verdampfungstemperatur (jeweils in Kelvin). Die effektive oder auch reale Leistungszahl ist Abb. 4: Effektive Leistungszahl einer Wärmepumpe in Abhängigkeit von immer kleiner als die ideale Leistungszahl. Man der erhält sie durch Multiplikation der idealen Leis- t0=0°C) Kondensationstemperatur (ηGüte=0,5; Verdampfungstemperatur tungszahl mit dem Gütegrad. ε WP,eff ε WP,ideal Güte Während die ideale Leistungszahl lediglich die Die effektive Leistungszahl beschreibt aber lediglich die Effizienz der Wärmepumpe (ohne Hilfsantriebe) an ausgewählten Betriebspunkten und besitzt damit eingeschränkte Aussagekraft. Temperaturrandbedingungen des Wärmepumpeneinsatzes berücksichtigt, ist der Gütegrad ein Für die Effizienzbeschreibung von Wärmepum- Maß für die Qualität der Wärmepumpe und liegt pensystemen wird der COP (Coefficient of Per- in der Praxis im Bereich etwa zwischen 0,4 und formance) 0,6. DIN EN 15450 bzw. 14511-1 definiert als das verwendet. Er wird nach Verhältnis der Heizleistung zur LeistungsaufnahAbb. 4 zeigt die effektive Leistungszahl einer me des Systems. Dabei umfasst die Leistungsauf- Wärmepumpe (Gütegrad ηGüte = 0,5) in Abhän- nahme die elektrische Leistung des Verdichters gigkeit zuzüglich der erforderlichen Leistungen für z.B. von der Kondensationstemperatur ZUKUNFT H O L Z 1303 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAEUN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK WÄRMEPUMPEN Abtauheizung, Ventilatoren, Wie Abb. 5 darlegt, gibt es aber auch hier unter- Pumpen usw.. Es ist zu beachten, dass sich der Regelungsgeräte, schiedliche Bilanzgrenzen, die alle ihre Richtigkeit COP ebenso wie die effektive Leistungszahl im- und Berechtigung haben. mer auf einen festen Betriebspunkt bezieht. In der Literatur wie in der Normung wird gleichbe- Während über die Bilanzgrenze „A“ die Qualität deutend zum COP oft die Leistungszahl ε ver- der Wärmepumpe selbst beschrieben werden wendet. Dies führt oft zu Verwirrungen und kann, lässt sich mit Hilfe der Bilanzgrenze „B“ Verwechslungen, da sich die Leistungszahl ε (ent- das gesamte Wärmepumpensystem bewerten. spricht COP) auf das Wärmepumpensystem, die Die Bilanzgrenze „C“ dient letztendlich zur Be- effektive Leistungszahl der Wärmepumpe εWP,eff wertung des gesamten thermischen Energiesys- aber nur auf die Wärmepumpe bezieht. tems des Gebäudes. Es ist also immer wichtig, die zugrundeliegende Bilanzgrenze zu kennen, bzw. gegebenenfalls in Erfahrung zu bringen, um nicht „Äpfel mit Birnen zu vergleichen“. Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, ob es sich bei den angegebenen Kennwerten um prognostizierte bzw. berechnete Werte oder gemessene Kennwerte handelt. Die Verwendung all dieser Kenngrößen wird noch heute in Literatur und Praxis uneinheitlich verwendet. Eine genaue Klärung wird daher im Einzelfall dringend empfohlen. Hierzu ist es unab- Abb. 5: Verschiedene Bilanzgrenzen für die Definition der Jahresarbeitszahl Im Gegensatz zu den bisher angesprochenen Kenngrößen, bei denen es sich um Leistungskenngrößen handelt, ist die Jahresarbeitszahl (JAZ oder β; engl. Seasonal Performance Factor SPF) eine Energiekenngröße. Sie ist definiert als der Quotient von abgegebener Heizenergie zu aufgenommener Antriebsenergie und spiegelt damit nicht die Effizienz an einem bestimmten Betriebspunkt, sondern die Effizienz bei verschiedenen Randbedingungen über einen Zeitraum von üblicherweise einer Heizperiode wieder. Heizenergie JAZ Antriebsenergie dingbar, die Systeme und ihre Systemgrenzen zu verstehen und zu kennen. 5 Wärmequellen und Raumheizeinrichtungen für Wärmepumpenheizungssysteme Ein Wärmepumpenheizungssystem besteht, wie in Abb. 2 dargestellt, aus der Wärmequellenanlage, der Wärmepumpe und der Wärmesenke (Heizungsanlage). Die Temperaturdifferenz zwischen Wärmequelle und Wärmesenke soll zur Nutzungszeit möglichst gering sein, um die Wärmepumpe mit hoher Effizienz betreiben zu können. Tab. 1 zeigt einen Überblick über die derzeit geläufigsten Wärmequellenanlagen. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAEUN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK WÄRMEPUMPEN Tab. 1: Überblick über Wärmequellen für Wärmepumpensysteme Grundwasser und Erdwärme verfügen im Winter, bei einer großzügigen Dimensionierung der Heiz- wenn der Heizwärmebedarf der Gebäude groß körper leicht unterschritten werden. Eine weitere ist, über ein relativ hohes und konstantes Tempe- Möglichkeit, die Vorlauftemperatur um bis zu raturniveau - eine günstige Voraussetzung für ei- 10 °C abzusenken, ist das Abschalten der Nacht- nen effizienten Wärmepumpenbetrieb. Luft und absenkung, die im Bereich der Niedrigenergie- Solarsysteme besitzen immer dann, wenn der häuser ohnehin fragwürdig ist. Es soll nochmals Wärmebedarf hoch ist, ein niedriges Temperatur- in Erinnerung gerufen werden – das Absenken niveau. Darüber hinaus haben diese Wärmequel- der Vorlauftemperatur der Nutzungsanlage (Hei- len ein sehr stark schwankendes Temperaturni- zungsanlage) um nur ein Grad Celsius steigert die veau. Regelungstechnisch ist es nicht einfach, die Effizienz des Gesamtsystems um 2,5 %. Wichtig Wärmepumpe diesen schwankenden Randbedin- ist hierbei die tatsächliche Umsetzung in Ausfüh- gungen optimal anzupassen, um eine maximale rung und Betrieb der Wärmepumpenanlage. Eine Effizienz zu erreichen. In diesem Bereich steckt schön gerechnete Planung mit lauter Abstrichen noch ein erhebliches Optimierungspotential von in der Ausführung wird schnell zur großen Ent- Wärmepumpensystemen, mit dem die Jahresar- täuschung. beitszahl leicht um 20 bis 30 % angehoben werden kann. Die meisten Wärmepumpen sind heute technisch in der Lage, Brauchwarmwasser auf eine Tempe- Das Temperaturniveau der Wärmenutzungsanla- ratur von 60 °C aufzuheizen. Diese Fähigkeit darf ge für die Beheizung von Gebäuden wird durch aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser die Raumheizeinrichtungen und gegebenenfalls Vorgang viel Antriebsenergie erfordert und daher die Als mit einer relativ geringen Effizienz erfolgt. Des- Raumheizeinrichtungen stehen Luftheizregister, halb ist überlegenswert, ob eine geringere Heizkörper und Flächenheizungen wie Fußbo- Brauchwassertemperatur von z.B. 45 °C nicht den-, Wand- und Deckenheizungen zur Verfü- auch ausreichend ist. Das Aufheizen des Brauch- gung. Üblicherweise sind Flächenheizungen so wassers auf 60 °C ist aus hygienischer Sicht nicht dimensioniert, dass sie mit niedrigeren Tempera- zwingend gefordert, sondern stellt nur eine Mög- turen betrieben werden können. Dies ist aber lichkeit dar, den Hygieneanforderungen gerecht nicht immer der Fall! Unterdimensionierungen in zu werden. Ist ein Aufheizen des Brauchwarm- einzelnen Räumen (Badezimmer), ungünstige wassers auf 60 °C gewollt, muss darauf geachtet Fußbodenbeläge oder thermische Abschattung werden, dass die Wärmepumpe nur zu diesem durch Möbel und Vorhänge führen dazu, dass Zweck auf dem hohen Temperaturniveau arbeitet auch Flächenheizungen oft mit 50 °C und mehr und zur Raumheizung sofort wieder auf das nied- betrieben werden müssen. Speziell in Niedrig- rigere Temperaturniveau zurückfährt. Das in der energiehäusern kann dieses Temperaturniveau Heizungstechnik übliche „Heruntermischen“ auf Brauchwassererwärmung festgelegt. 1304 ZUKUNFT H O L Z ZUKUNFT H O L Z 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAEUN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK WÄRMEPUMPEN 1305 das gewünschte Temperaturniveau macht die Ef- rücksichtigt, dass im deutschen Kraftwerkmix zur fizienz eines jeden Wärmepumpensystems ka- Bereitstellung einer Kilowattstunde Strom (End- putt! energie) ca. drei Kilowattstunden Primärenergie (Primärenergiefaktor 3) eingesetzt werden müs- Insofern muss bei Wärmenutzungsanlagen mit sen, ergibt sich für die Wärmepumpe folgende mehreren parallel betriebenen Heizkreisen auch primärenergetische Bilanz: beachtet werden, dass der Heizkreis mit dem höchsten Temperaturniveau – und sei er von der primärenergetischer Nutzungsgrad Nutzen Aufwand Heizleistung auch noch so klein – die Effizienz des Wärmepumpensystems bestimmt. Nutzenergie Primärenergieaufwand 6 Wie viel Regenerative Energie nutzt die Nutzenergie JAZ Nutzenergie PEFaktor PEFaktor JAZ Wärmepumpe wirklich? Hinter dieser Frage steckt die weit verbreitete Dis- Für eine im oberen Durchschnitt arbeitende Erd- kussion um die tatsächliche Primärenergie- und drei ergibt sich somit für den in Deutschland der- CO2-Einsparung durch den Einsatz von Wärme- zeit gültigen Primärenergiefaktor von drei, ein pumpen. primärenergetischer Nutzungsgrad von 100 %. reich/Wasser–Wärmepumpe mit einer JAZ von Wird berücksichtigt, dass im bundesdeutschen Die hier diskutierten mechanisch angetriebenen Energiemix derzeit ca. 10 % regenerative Ener- Kompressionswärmepumpen nutzen meist die gien bei der Stromerzeugung eingesetzt werden, Endenergie Strom, um Umweltenergie auf ein erniedrigt sich der Primärenergiefaktor auf 2,7 – nutzbares Temperaturniveau zu bringen und da- das ergibt einen primärenergetischen Nutzungs- mit einen größeren Anteil Nutzenergie zur Verfü- grad für die Wärmepumpe von 111 %. Zum Ver- gung zu stellen. Die Jahresarbeitszahl (JAZ) – das gleich: der primärenergetische Nutzungsgrad ei- Verhältnis der bereitgestellten Nutzenergie zur nes Gasbrennwertkessels liegt in der Größenord- Beheizung des Gebäudes dividiert durch die not- nung von 90 %. Demnach muss das Wärme- wendige Endenergie für den Antrieb – stellt das pumpensystem eine JAZ von mindestens 2,45 er- Maß für die Energie-Effizienz solcher Systeme reichen, um primärenergetisch der Brennwert- dar. Mit Kompressions-Wärmepumpensystemen technologie überlegen zu sein. Der Durchschnitt können je nach Wärmequelle folgende Bestwerte der gegenwärtig ausgeführten Wärmepumpen- im Bereich der Gebäudebeheizung erreicht wer- systeme ist damit der Brennwerttechnologie den: kaum überlegen. Während die Brennwerttechnik - Wasser/Wasserwärmepumpen im praktischen Einsatz aber nur noch ein Einspar- JAZ von bis zu 6, potential von ca. 10 % aufweist, liegt das poten- Erdreich/Wasserwärmepumpen tielle Einsparpotential von Wärmepumpensyste- JAZ von bis zu 4,5 men deutlich höher. Zum einen kann die primär- Luft/ Wasserwärmepumpen energetische Effizienz durch die Verbesserung der JAZ von bis zu 4. JAZ verdoppelt werden. Zum anderen führen der vermehrte Einsatz von regenerativen Energien Die in der breiten Praxis erzielten tatsächlichen und die Nutzung der Kraft-Wärmekopplung zu Jahresarbeitszahlen liegen meist deutlich darunter einer Reduzierung des Primärenergiefaktors. Ge- und erreichen mitunter nicht einmal die Hälfte genwärtig wird für die Bundesrepublik für das der oben angegebenen Bestwerte. Wird nun be- Jahr 2030 von einem Primärenergiefaktor von ca. 14 GEBÄUDEKONZEPTE, BAEUN IM BESTAND – 14.4 GEBÄUDETECHNIK WÄRMEPUMPEN zwei ausgegangen. Beides zusammengenom- mepumpenanlagen den Fokus nicht nur auf eine men, die Verbesserung der Jahresarbeitszahl des ausreichende Wärmebereitstellung sondern auch Wärmepumpensystems und die Verringerung des auf eine hohe Energieeffizienz (JAZ) zu richten. Primärenergiefaktors, kann zu einem primärener- Wenn Wärmepumpensysteme mit Aufmerksam- getischen Nutzungsgrad von Kompressionswär- keit und Sachverstand effizienzorientiert ausge- mepumpen in der Gebäudebeheizung von 200 legt und betrieben werden, ist eine Effizienzstei- bis 250 % führen. gerung um den Faktor zwei gegenüber dem derzeitigen Durchschnitt möglich. 7 Zusammenfassung Wärmepumpensysteme zur Beheizung von Ge- Um den Erfolg bzw. Misserfolg stets vor Augen bäuden bieten ein erhebliches Energieeinsparpo- zu haben, ist es überfällig, alle Wärmepumpen- tential, das gegenwärtig noch in keinster Weise systeme mit einer Stromverbrauchs- und Nutz- ausgeschöpft ist. Sicherlich können auch die Her- Wärmemengenerfassung auszustatten, um so die steller von Wärmepumpen hier noch einen Bei- Energieeffizienz (JAZ) jederzeit ermitteln zu kön- trag leisten. Viel wichtiger aber ist es, bei der Pla- nen. nung, der Ausführung und im Betrieb von Wär- 1306 ZUKUNFT H O L Z