Manuel Lauterbach, Christine Kumerics Vulkane, Schluchten, Höhlen Geologische Naturwunder in Deutschland 2., durchgesehene Auflage Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Fotografien von den Autoren. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. 2., durchgesehene Auflage 2015 © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 1. Auflage 2014 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Rainer Aschemeier, Weinheim Layout, Illustrationen, Satz und Prepress: schreiberVIS, Bickenbach Einbandabbildung: Partnachklamm, © Manuel Lauterbach Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3166-3 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3167-0 eBook (epub): 978-3-8062-3168-7 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Schwarzwald Großartiges aus Granit und Gneis . . . . . . . . . . . . . 8 Odenwald und Spessart Das Kristallin liegt auf der Schwelle . . . . . . . . . . . . . . 18 Taunus Ein Riegel aus Quarzit und Schiefer – Das ist doch die Höhe . . . . . . . . . . . 26 Harz und nördliches Harzvorland Vielfältiges Gesteinspuzzle eines sagenhaften Gebirges . . . . . . . 36 Ruhrgebiet und Niederrheinische Bucht Schwarz-braune Energie aus dem „Revier“ . . . . . . . . . . . . . 46 Saar-Nahe-Bergland Schwäbische und Fränkische Alb mit Ries Von Fossilien, Schichtstufen und einem Meteoriteneinschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Ostseeinsel Rügen Kreide in der Gletscherfräse . . . . . . 92 Elbsandsteingebirge Ein Wald aus Felstürmen . . . . . . . . 102 Mainzer Becken Haifischzähne und Seekuhskelette – Ein Tropenmeer hinterlässt seine Spuren . . . . . . . . 112 Nordwestdeutsches Tiefland Auf den Spuren der Eiszeit . . . . . . . 122 Vulkaneifel Land der Maare, Geysire und schlafenden Vulkane . . . . . . . . 134 Im Edelsteinfieber . . . . . . . . . . . . 54 Thüringisch-hessisches Zechsteinbecken In der Welt des „weißen Goldes“ . . . 62 Pfälzer Wald Bizarre BuntsandsteinSkulpturen . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Wattenmeer und Insel Helgoland Aktive Küstendynamik der Nordsee und ein Fels im Fahrstuhl . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Bayerische Alpen Deutschlands Superlative . . . . . . . . 158 Geologischer Überblick mit Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Sachregister, Glossar . . . . . . . . . . 172 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . 176 5 Vorwort Das vorliegende Buch soll Naturliebhabern und geologisch interessierten Laien die erdgeschichtliche Entwicklung unseres Landes näherbringen und dazu anregen, selbst auf Erkundungstour zu gehen. Die beschriebenen und auf Bildern präsentierten Punkte sind zumeist beliebte Wander-, Ausflugs- oder Urlaubsziele. Sie stellen gleichzeitig bedeutende Geotope, manchmal aber auch weniger bekannte Felsen, ehemalige Steinbrüche oder Täler dar. Oft liegen die Punkte in ausgewiesenen Geoparks, in denen die heimische Erdgeschichte vor Ort anschaulich vermittelt wird. Es gilt, die Bedeutung dieser einzigartigen Naturdenkmäler zu verstehen, sie vor Zerstörung zu schützen und der Nachwelt zu bewahren. In vielen Museen und Schausammlungen wird die Thematik vertieft, in Besucherbergwerken das Erlebnis Geologie im Inneren der Erde intensiviert. Vom Wattenmeer der Nordsee und der Ostseeinsel Rügen über das Norddeutsche Tiefland und die Mittelgebirge bis hin zu den Bayerischen Alpen bietet Deutschland eine Vielzahl an geologisch interessanten Punkten und Landschaften, die aber aufgrund der großen Fülle nicht sämtlich in diesem Buch vorgestellt werden können. Daher wurden 16 Großlandschaften mit den dort anzutreffenden charakteristischen Naturphänomenen ausgewählt. So könnte für die Beschreibung der Kristallingesteine des Schwarzwalds ebenso der Bayerische Wald oder das Erzgebirge an dessen Stelle stehen. Die Erläuterung der vulkanischen Prozesse der Eifel ist stellvertretend für die genauso schöne Landschaft von Vogelsberg, Rhön oder Kaiserstuhl. Die Geopunkte werden in reichhaltiger Bebilderung und in zusammenfassenden allgemeinverständlichen Beschreibungen unter Erklärung von Fachausdrücken vorgestellt. Ob perfekt erhaltene Fossilien bestimmter Erdgeschichtsepochen, Relikte feuerspeiender Vulkane, Zeugen der Dynamik in unserer Erdkruste, einzigartige Mineralien oder faszinierende Verwitterungsformen bestimmter Felsformationen: Jede dieser Landschaften ist einzigartig und bietet etwas Spezielles, wenn nicht Großartiges. Ebenso wie es in der Entwicklungsgeschichte üblich ist, wird auch in der Geologie die Beschreibung der Vorgänge vom Ältesten zum Jüngsten am verständlichsten. In Deutschland können wir dank moderner Forschung auf weit über eine Milliarde Jahre Erdgeschichte zurückblicken. Die Prozesse, die sich in den alten Gebirgen während der „Kindheitsphase“ unseres Landes – damals teils noch in tieferen Ozeanen – abspielten, werden neben dem Schwarzwald auch in Odenwald, Spessart, Taunus und Harz aufgegriffen. Der folgende festländische Abschnitt der Erdgeschichte mit vulkanischen Eruptionen und Wüstenbildungen wird anhand des Saar-Nahe-Berglands mit seinen Edelsteinvorkommen und dem Pfälzer Wald mit seinen bizarren Erosionsformen des Buntsandsteins dargestellt. Von vielfältigen Meeresablagerungen berichten die Kapitel über das Salz des thüringisch-hessischen Zechsteinbeckens und über die weltbekannten Fossilien der Schwäbischen beziehungsweise Fränkischen Alb. Auch in der Kreidezeit hinterließ das Meer mit kalkigen und sandigen Ablagerungen seine Spuren. Vor allem auf der Insel Rügen mit ihrer leuchtend weißen Kreideküste und im Elbsandsteingebirge mit seinen spektakulären Felsformationen formten sie in einzigartiger Weise die Landschaft. Auf seiner langen Reise nach Norden lag das Gebiet des heutigen Deutschland sehr lange Zeit in tropischen Breiten, was fossile Pflanzenreste aus einst üppigen Küstensumpfwäldern beweisen. Aus den Torfen bildete sich durch tiefe Versenkung Braun- beziehungsweise Steinkohle. Die mächtigen Kohlenflöze wurden und werden zum Teil noch immer im Ruhrgebiet und im Rheinischen Revier abgebaut. Im Zuge der Kollision der Kontinentalplatten von Afrika und Europa entstand im Tertiär eine lange Bruchzone in der Erdkruste, die sich quer durch unseren 6 Kontinent und somit auch mitten durch Deutschland zieht. Durch regionale Senkungsbewegungen konnte das Meer mal von Norden, mal von Süden aus weit vordringen. Im Mainzer Becken begegneten sich zeitweise die Bewohner beider Meere. Das Pleistozän (das „Eiszeitalter“), das vor etwa 2,6 Mio. Jahren begann und bis vor 10 000 Jahren andauerte, überprägte mit seinen mehrmaligen Kalt- und Warmzeitenwechseln große Flächen Deutschlands nachhaltig. Im gesamten Nordwestdeutschen Tiefland finden wir eine Vielzahl an Zeugen dieser teils eisigen Epoche. beiden stellt die engere Auswahl der Geopunkte in jedem Kapitel dar. Mithilfe von Kartenskizzen zur groben Orientierung und Angaben der GPS-Koordinaten zum Auffinden jedes im Buch besprochenen Geopunkts kann jeder seinem Entdeckertrieb nachgehen. Noch einmal heiß wurde es, als vor nur wenigen Jahrtausenden – was geologisch gesehen „gestern“ war – die Vulkane der Eifel glühende Lava spuckten und die Landschaft mit einer dicken Schicht aus Asche bedeckten. Das Wattenmeer der Nordsee stellt für den aufmerksamen Beobachter gar einen Schauplatz dar, an dem geologische Prozesse „live“ miterlebt werden können. Die im Buch beschriebenen geologischen Naturwunder Deutschlands können direkt erlebt und vor Ort betrachtet werden. Dazu stehen die exakten geographischen Koordinaten der in den Übersichtskarten verzeichneten und im Text erwähnten Geopunkte auf der Internetseite des Verlags zum Download zur Verfügung. Zu finden sind diese unter www.wbg-wissenverbindet.de und hier auf der Seite des Titels. Den Alpen kommt als einziges anteilig deutsches Hochgebirge eine Sonderrolle zu, weshalb sie ganz ans Ende des Buches gestellt wurden. Als sehr komplexes Gebilde mit Ablagerungen, die bereits im Perm begannen und sich über die gesamte weitere erdgeschichtliche Entwicklung fortsetzten, wird das Gebirge erst in der Erdneuzeit richtig aufgefaltet. Was unsere Mittelgebirge durch Einebnung und Erosion längst hinter sich haben, spielt sich in den Alpen gegenwärtig immer noch ab, sodass wir hier die mit Abstand höchsten Gipfel Deutschlands vorfinden. Die vielen Naturwunder liegen oft direkt vor unserer Haustür und warten nur darauf entdeckt zu werden. Nur wer die Schätze der Natur kennt, kann sich und andere für sie begeistern und einen Teil zu ihrem Erhalt beitragen. Um mit Ihrem Smartphone oder Tablet-PC zu den geographischen Daten zu gelangen, scannen Sie bitte den QR-Code. Oft sind es aber nicht die viel besuchten „Hotspots“ der geologischen Phänomene, wie der Königssee mit der Watzmann-Ostwand im Hintergrund, die Loreley am Mittelrhein, die Basteibrücke im Elbsandsteingebirge oder der Königsstuhl auf Rügen, die uns ins Staunen versetzen, sondern die vielen weniger bekannten und stillen Naturwunder, die man oft erst auf den zweiten Blick wahrnimmt. Eine Mischung aus 7 Vorwort Schwarzwald Großartiges aus Granit und Gneis Geopunkte (Auswahl) Karlsruhe Vaihingen Ettlingen Rastatt Pforzheim Enz Gaggenau Hagenau Bad Herrenalb Baden-Baden Leonberg Sindelfingen Bad Wildbad Bühl 1 Strasbourg Forbach Böblingen 2 Offenburg Tübingen Rhein Freudenstadt Horb Neckar Balingen Dreisam 4 Elz 3 Todtnauer Wasserfall im Südschwarzwald 4 Triberger Wasserfälle im Zentralschwarzwald 6 Titisee und Schluchsee im Südschwarzwald 7 Feldberg (1493 m ü. NN) im Südschwarzwald Kinzig Schwarzwald 2 Ehemaliger Steinbruch am Schrofel bei Baiersbronn-Heselbach im Nordschwarzwald 5 Wutachschlucht im Südschwarzwald Herrenberg Murg 1 Murgtal bei Forbach im Nordschwarzwald 8 Schauinsland (1284 m ü. NN) und Museums-Bergwerk im Südschwarzwald Albstadt Rottweil St. Georgen Brigach Villingen- Freiburg Schwenningen Breg Donau Tuttlingen 6 8 3 7 Titisee-Neustadt 6 Wutach 5 Schluchsee Singen Schaffhausen Hamburg Wiese Lörrach Berlin Hannover Rhein Basel Dresden Köln Frankfurt Nürnberg München 8 Der Schwarzwald als höchstes und größtes zusammenhängendes Mittelgebirge Deutschlands ist Teil eines ehemals riesigen Gebirges, das sich einst von Polen bis zum Zentrum der Iberischen Halbinsel erstreckte. Bereits vor Hunderten von Millionen Jahren wurde dieses Gebirge, das als Moldanubikum bezeichnet wird, zum großen Teil abgetragen und eingerumpft. Erst seit dem Einbruch des Oberrheingrabens im frühen Tertiär wurde der Schwarzwald als östliche Grabenschulter zusammen mit seinem „Schwestergebirge“, den Vogesen, als westliches Graben-Pendant, wieder emporgehoben. Die Granite und Gneise, die den alten Gebirgssockel des Schwarzwalds aufbauen, sind Zeugen von hochkomplexen und sehr alten geologischen Vorgängen, deren Auswirkungen am Feldberg, im Murgtal, in der Wutachschlucht oder an den Triberger Wasserfällen bestaunt werden können. M it 150 km Nord-Süd-Erstreckung vom Hochrhein im Süden bis zum Kraichgau im Norden und einer Breite von 30 bis 50 km in Ost-West-Richtung bildet der überwiegend dicht bewaldete Schwarzwald das größte zusammenhängende Mittelgebirge Deutschlands. Zugleich ist der Feldberg im Südschwarzwald mit einer Höhe von 1493 m ü. NN der höchste Gipfel Deutschlands außerhalb der Alpen. Die heutige morphologische Gestalt des Schwarzwalds weist einen steilen und hohen Abbruch nach Westen zum Oberrheingraben hin und einen eher unscharfen Übergang nach Osten ins südwestdeutsche Schichtstufenland auf. Sie repräsentiert lediglich eine der letzten Epochen der Gebirgsbildung im frühen Ter- 9 ■Die Haslach durchbricht unterhalb von Lenzkirch bei den Rechenfelsen in einer tiefeingeschnittenen, engen Klamm den Granit, bevor sie die Wutachschlucht erreicht. Granit und Gneis ■Metatexit am Fuß des Todtnauer Wasserfalls bei Todtnau, Süd­ schwarz­wald. Bei teilweiser Aufschmelzung von ehemaligen Gneisen entstehen Meta­ texite, die ein streifenbis schlierenförmiges Aussehen besitzen. ■Bei weitergehender Anatexis (Aufschmelzung) entstehen oft Verfältelungen in den als Diatexiten bezeichneten ehemaligen Gneisen wie hier am Todtnauer Wasserfall bei Todtnau, Südschwarzwald. Bei vollständiger Aufschmelzung gehen die Streifenmuster meist vollständig verloren: das ehemals metamorphe Gestein kann nicht mehr von einem einfachen Magmatit unterschieden werden. tiär (vor 65 bis 2,6 Mio. Jahren). Die Entstehungsgeschichte des Schwarzwalds beginnt aber bereits viel früher im Präkambrium (Erdfrühzeit), vor weit mehr als einer Milliarde Jahren. Insgesamt gab es mehrere Gebirgsbildungs-, Versenkungs-, Umwandlungs- und Hebungsphasen, die sich wiederholten und die Geologen bis heute vor teils große Rätsel stellen. Theorien zum Ablauf der Prozesse und deren zeitliche Einordnung mussten im Laufe der Forschungsgeschichte immer wieder revidiert und umgeschrieben werden. Sehr vereinfachend kann man sagen, dass bereits im Präkambrium ein Gebirge aus Tiefen- und Schichtgesteinen existierte. Im späteren Paläozoikum (Erdaltertum) wurden diese Gesteine tief versenkt, teils aufgeschmolzen, zu Metamorphiten (Umwandlungsgesteinen) verändert und teils durch erneute Versenkung nochmals aufgeschmolzen. Hieraus entstanden neben Gneisen die für den Schwarzwald typischen Migmatite. Als Migmatite oder Anatexi- Schwarzwald te bezeichnet man Metamorphite, die durch tiefe Absenkung in Verbindung mit hohen Druck- und Temperaturverhältnissen zum Teil oder weitgehend aufgeschmolzen wurden. Dabei wird der ablaufende Prozess Anatexis genannt. Sind die Anatexite der einstigen Gneise nur partiell aufgeschmolzen, nennt man sie Metatexite. Diese besitzen aufgrund des Aufschmelzungsgrades und der Einregelung nur bestimmter Minerale oft ein streifen- oder bänderartiges Aussehen. Bei vollständiger Aufschmelzung werden die Anatexite als Diatexite bezeichnet. Diese gelten fast schon als magmatisch, da in ihnen sogar die mafischen dunklen Minerale aufgeschmolzen sind. Während des Devons und Karbons vor 418 bis 296 Mio. Jahren war das Gebiet, das wir heute als Schwarzwald bezeichnen, Teil eines riesigen Gebirgsbogens, der sich von Polen im Osten über Böhmisches Massiv, Schwarzwald, Vogesen und Französisches Zentralmassiv bis hin zur Iberischen Halbinsel erstreckte. Dieses Kettengebirge wurde als Teil der Varisziden im Zuge der Kollision des Südkontinentes Gondwana mit dem Nordkontinent Laurussia durch Auffaltung und andere geologische Prozesse gebildet und als Moldanubikum bezeichnet. Der Name Moldanubikum leitet sich von den lateinischen Namen der Flüsse Moldau (Moldava) und Donau (Danuvius) ab. Schwarzwald und Bayerischer Wald – der ein Teil der Böhmischen Masse ist – stellen herausgehobene Relikte dieses großen und weitgehend eingerumpften Gebirges dar. Zwischen diesen beiden Gebirgsmassiven wurden bereits nach älteren geologischen Theorien unterhalb des jüngeren Deckgebirges der Schichtstufenlandschaft Süddeutschlands die Gesteine des Moldanubikums in großer Tiefe vermutet. Mit mehreren Tiefbohrungen konnte dies tatsächlich bestätigt werden. Die Bohrergebnisse beweisen damit die Existenz dieses ehemaligen riesigen Kettengebirges. Noch während der variszischen Gebirgsbildung drangen im Karbon neue Magmen in die alten Gneise und Anatexite ein und kristallisierten als Granite aus. Über Hunderte Millionen Jahre wurde dieses alte Gebirge, 10 das kristalline Grundgebirge, durch Absenkung und Erosion immer weiter eingeebnet. Ab dem Perm und über das gesamte Mesozoikum (Erdmittelalter) hinweg lagerten sich marine und festländische Schichten über dem versenkten Grundgebirge ab. Diese Art von Abdeckung des Grundgebirges nennen wir Deckgebirge. Vor allem im frühen Tertiär (Stufe Eozän) und im späten Tertiär (Stufe Pliozän) hob sich der Krustenblock des heutigen Schwarzwalds mitsamt Grund- und Deckgebirge wieder heraus, im Süden etwas mehr als im Norden. Im Tertiär und im folgenden Quartär vor 2,6 Mio. Jahren bis heute kam es durch Erosion des Deckgebirges mehr und mehr zu einer Freilegung des alten Grundgebirges. Da der Schwarzwald im beginnenden Eiszeitalter vor 2,6 Mio. Jahren zu weiten Teilen vergletschert war, veränderte sich die Landschaftsmorphologie nochmals kräftig durch die eiszeitlichen Prozesse. Der Schwarzwald mit seinen Gneis- und Granitvorkommen wirkt für manchen Besucher von seiner Gesteinszusammensetzung her eher monoton. Bei genauerer 11 Betrachtung lassen sich aber nach dem Vorkommen der Granite, Gneise und Sedimentgesteine doch mindestens fünf weitere große Haupteinheiten mit charakteristischen Merkmalen unterscheiden. Es sind dies von Nord nach Süd die Zone von Baden-Baden, der Nordschwarzwald, der zentrale Schwarzwald und der Südschwarzwald mit der darin eingeschlossenen Zone von Badenweiler-Lenzkirch. Ganz im Norden findet sich bei Baden-Baden ein schmaler Gebirgsteil, der landschaftlich zwar dem Schwarzwald zugerechnet wird, aber geologisch einem anderen, ebenfalls variszischen Gebirge angehört. Es erstreckte sich ehemals von den Sudeten, über Erzgebirge, Thüringer Wald, Spessart und Odenwald bis zu den Nordvogesen und wird als Saxothuringikum bezeichnet. In dieser Baden-Baden-Zone kommen hauptsächlich niedrigmetamorphe, frühpaläozoische Sedimentgesteine und Magmatite vor, in die ein Pluton (Granitstock), der sogenannte Friesenberg-Granit, im Karbon intrudierte (eindrang). Der Nordschwarzwald besteht fast ausschließlich aus Granit mehrerer eigenständiger Plutone, die während Granit und Gneis ■Am Steinbruch „Am Schrofel“ bei Baiersbronn-Röt ist die Grenze von Grundgebirge zu Deckgebirge messerscharf aufgeschlossen. Das Grundgebirge aus Gang-Graniten und Gneisen wurde zunächst bis auf eine Fastebene erodiert. Hierauf wurden Sande abgelagert, die später zu den Sandsteinschichten des Buntsand­steins verfestigt wurden. ■Vom Aussichtsturm des Schauinsland schweift der Blick hinüber zum Feldberg (1493 m ü. NN), dem höchsten Berg des Schwarzwalds und aller deutschen Mittelge­birge. Der Gneis des Feldbergs ist etwa 1 Milliarde Jahre alt. Mit insgesamt vier Hebungs- und drei Abtragungsphasen haben Feldberg und Südschwarzwald wahrlich eine sehr lange Entwicklungsgeschichte hinter sich. der variszischen Gebirgsbildung im Karbon in die oberste Erdkruste eindringen konnten. Je nach Mineralzusammensetzung und lokalem Vorkommen unterscheidet man zum Beispiel Forbach-, Raumünzach-, Wildbad-, Bühlertal-, Sprollenhaus-, Oberkirch- und Seebach-Granit. In den Oberkirch-Granit intrudierte beispielsweise wiederum der Bühlertal-Granit, womit die Reihenfolge der Platznahme der Plutone belegt werden kann. Der Forbach-Granit kann im tief eingeschnittenen mittleren Murgtal in der Umgebung von Forbach näher betrachtet werden. Schwarzwald Im Steinbruch am Schrofel westlich von Heselbach ist der Kontakt zwischen Grund- und Deckgebirge aufgeschlossen wie in einem Bilderbuch. Der Granit des Grundgebirges, in dem in der Spätphase des Magmatismus mehrere vertikale Gänge eingedrungen sind, wurde durch Erosion im frühen Mesozoikum wie mit dem Messer horizontal abgeschnitten. Direkt über dieser sogenannten Diskordanz lagern dick gebankte Sandsteine aus dem Unteren Buntsandstein des Deckgebirges. Nur sehr vereinzelt sind im Nordschwarzwald auch Gneise als kleine Schollen zu finden. 12 Ganz anders hingegen verhält es sich im Gneis- und Anatexitkomplex des zentralen Schwarzwalds. Anhand neuerer Altersdatierungen an bestimmten Kristallen (Zirkone) in diesen Gesteinen konnte festgestellt werden, dass die ältesten magmatischen Gesteine bereits zwischen 2,9 und 2,5 Milliarden Jahren entstanden sein müssen und somit sogar ins Archaikum, dem nächstälteren Abschnitt des Präkambriums, einzuordnen sind. Im Proterozoikum, im jüngeren Präkambrium, wurden im Zentralschwarzwald auch Sedimente abgelagert und zusammen mit Magmatiten verfaltet. In diese drangen im Oberkambrium wiederum Plutone aus Graniten und anderen Magmatiten ein. Nach dieser Intrusionsphase unterlagen die Gesteinsabfolgen einer Metamorphose, nämlich durch die Bewegung von Erdkrustenblöcken gegeneinander und den dabei herrschenden Druck- und Temperaturverhältnissen. Diesen Prozess nennt man Vergneisung. Während aus den ehemaligen sedimentären Schichtgesteinen Paragneise entstanden, wandelten sich Magmatite zu Orthogneisen um. Eine erneute Versenkung ließ die Gneise teilweise wieder zu Anatexiten aufschmelzen. Da es auch jüngere ■In dem harten Gestein des Triberger Granits konnte die Gutach sich noch kein tief eingeschnittenes Tal schaffen. Deshalb stürzt sie über mehrere Stufen (im Bild die 1. Hauptstufe) talwärts und bildet so die Triberger Wasserfälle im Zentralschwarzwald. Die Triberger Wasserfälle gehören mit 163 m Fallhöhe zu den höchsten Wasserfällen Deutschlands. 13 Gneise im mittleren Schwarzwald gibt, deren Schmelzen erst im Kambrium (vor 542 bis 488 Mio. Jahren) oder Ordovizium (vor 488 bis 444 Mio. Jahren) eingedrungen sind, muss man quasi Gneise von Gneisen unterscheiden. Meist lässt sich aber nur mit wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden eine Abgrenzung vornehmen. Geografisch zum Südschwarzwald zählend gehören die Bergmassive von Feldberg (1493 m ü. NN) und Schauinsland (1284 m ü. NN) noch zu den Gneis- und Anatexitkomplexen des Zentralschwarzwalds. Besonders eindrucksvoll lassen sich die eiszeitlich fast unverwitterten freigeschürften Felsböschungen aus Anatexiten am Todtnauer Wasserfall beobachten, wo der Stübenbach über vier Stufen 97 m in die Tiefe stürzt. Daneben existieren im zentralen Schwarzwald auch Granite, die während des Karbons intrudierten. Der Triberger Granit als das größte zusammenhängende Granitmassiv des Schwarzwalds ist unter ihnen sicher das bekannteste. An einer steilen, eiszeitlich gebildeten Abbruchstufe bei Triberg stürzt die Gutach spektakulär über mehrere harte Stufen aus Triberger Granit ins Tal und bildet die berühmten Triberger Wasserfälle. Mit insgesamt 163 m Fallhöhe gehören sie zu den höchsten Wasserfällen Deutschlands. ■Granit- und Gneisblöcke in der oberen Wutachschlucht. In der 35 km langen und stark in die Schwarzwaldgesteine eingetiefte Wutachschlucht kann man nach und nach das Grundgebirge der Badenweiler-Lenzkirch-Zone, des Südschwarzwalds und das Deckgebirge durch­ wandern. Auch der Südschwarzwald ist aus mehreren Gneis-Arealen aufgebaut, die durch variszische Granitintrusionen voneinander getrennt sind. Die jüngeren Granite werden mehreren Plutonen zugerechnet, von denen der Malsberg-Granit, der Albtal-Granit, der Granit von St. Blasien und der Schlächtenhaus-Granit nur die größten davon darstellen. Durch verschiedene Mineralzusammensetzungen unterscheiden sich die Granite voneinander. Die älteren Granite sind meist Biotitgranite, in denen das schwarze Glimmermineral Biotit überwiegt, während die jüngeren Zweiglimmergranite die Minerale Biotit und Muskovit enthalten. Bei den Metamorphiten lassen sich die zwei Großeinheiten Gneis-Anatexit-Einheit und die mehr komplex zusammengesetzte Einheit aus granitisierten Gneisen voneinander abgrenzen. Eine Besonderheit des Gneises von Todtmoos ist die Einschaltung von exotischem Fremdgestein wie Gabbro, Pyroxenit oder Norit. Aus heutiger Sicht wird dieses Phänomen plattentektonisch verstanden, und zwar als Einschuppung, die während der Kollision von zwei Platten stattgefunden hat. Dabei wurden Reste Schwarzwald von ozeanischer Kruste an die Sedimente eines Kontinentrandes angelagert. Die Badenweiler-Lenzkirch-Zone liegt als schmales Band (durchschnittlich nur 3 km Breite in Ost-WestRichtung) inmitten der Granit- und Gneiskomplexe des Südschwarzwalds. Eng geschuppt kommen hier Streifen aus devonischen und karbonischen Sedimentgesteinen vor, die einer geringen Metamorpho- 14 se unterworfen waren. Dies sind vor allem Phyllite, Quarzite, Grauwacken und Kalksilikatfelsen. Aber auch Vulkanite wie Andesite, Rhyolithe und Tuffite sowie nicht-metamorphe Sedimentgesteine wie Konglomerate, Brekzien und Arkosen sind hier zu finden. ■Von einem steilen und kurzen Kargletscher, dem Feldberggletscher, wurde am Osthang des Feldbergs ein Kar ausgeschürft. An der steilen Karwand tritt der Granit zutage. Durch eine vom Gletscher abgelagerte Endmoräne konnte sich dahinter das Wasser anstauen: der heutige Feldsee. Im Osten und Westen wurde dieses schmale Band paläozoischer Gesteine – wie sollte es im Schwarzwald anders sein – wieder von jüngeren Graniten, den va- 15 Granit und Gneis