Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 25 2.7. Selen, Se Selen wurde von dem schwedischen Chemiker Jons Jakob Berzelius entdeckt. 1817 fand dieser ein rotbraunes Sediment, das sich auf dem Boden von Kammern gesammelt hatte, in denen Schwefelsäure erzeugt wurde und benannte es nach der griech. Mondgöttin “Selene”. 2.7.1. Selen in der Natur Selen kommt als rotes Pulver oder silbriges Metall vor, das bei Kupferverhüttung und -raffinerie entsteht. Kupferselenid, eine 5 %-selenhaltige Verunreinigung von Kupfersulfiderzen, setzt sich in Form von Anodenschlamm am Boden von elektrolytischen Bädern zur Kupferreinigung ab. Durch Schmelzen mit Soda-Salpeter-Gemischen oder durch Rösten unter Zusatz von Soda bei etwa 500°C erhält man Natriumselenat und Natriumselenit. Diese werden in wässriger Lösung mit SO2 umgesetzt, wobei elementares Selen ausfällt, das destillativ gereinigt wird. Das aus dem Schlamm von Kupfer-, Goldund Silbererzen gewonnene Selen liefert 90 % der gesamten Selenproduktion. Die Selen-Aufnahme von Lebewesen unterscheidet sich in einzelnen Regionen der Erde, abhängig von den geochemischen Gegebenheiten, bis um den Faktor zehn. Selenarmut: Auf unserem Planeten existieren zwei selenarme Zonen: je eine auf der südlichen und eine auf der nördlichen Hemisphäre. Schwerer Selenmangel tritt in China auf, wo die Böden - und somit auch die Nahrungsmittel - in vielen Landesteilen äußerst selenarm sind. Diese Unterversorgung mit Selen beeinträchtigt die Gesundheit der dort ansässigen Bevölkerung: Kinder im Gebiet Keshan sind besonders anfällig für Herzmuskelstörungen, die durch einen Mangel dieses Elementes hervorgerufen werden. Die Hälfte aller Betroffenen stirbt an dieser typischen Selenmangelkrankheit, Keshan Disease genannt. In einer anderen Region in Zentral-China, der Provinz Linxian, tritt häufig Magenkrebs auf. Durch ein Fünfjahresprojekt mit 30.000 Einwohnern von Linxian wurde bewiesen, dass ausreichende Selenzufuhr die Krebshäufigkeit drosselt. Innerhalb der nördlichen selenarmen Zone befinden sich beispielsweise auch Deutschland und Österreich. Die Ackerböden und somit unser Getreide, Gemüse und Obst sind arm an Selen. In den 60er und 70er Jahren betrug die Selen-Aufnahme, vermutlich hauptsächlich wegen der selenreichen Getreideimporte aus Kanada und den Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 26 USA, noch 100 - 150 µg. Doch seit den 80er Jahren haben sich diese Werte zunehmend verschlechtert, denn auf Importe aus Kanada und den USA wird nunmehr weitgehend verzichtet, weil die EU-Verträge EU-interne Importe fördern. Für erwachsene deutsche Frauen und Männer wurde eine tägliche Selen-Aufnahme (inklusive Verlusten bei der Speisenzubereitung) von Mengen zwischen 20 und 47 µg errechnet. Zusätzlich lässt sich in den mitteleuropäischen Ländern ein Nord-Süd-Gefälle feststellen: Im Norden ist der Selen-Gehalt am höchsten, im Süden am niedrigsten. Je saurer der Boden, desto mehr mineralisches Selen wird im Boden gebunden und angesichts der Übersäuerung des Bodens durch die permanente Überdüngung mit Ammoniumsulfat und Umwelteinflüsse wie saurer Regen ist das Spurenelement nur mehr gering für Pflanzen verfügbar. Auch wird die Bioverfügbarkeit (siehe Kapitel 2.7.2.) des Selens z.B. durch Schwermetalle im Boden vermindert. Die Selen-Konzentrationen in den Getreidekörnern spiegeln somit im Wesentlichen den Selen-Gehalt des Bodens wieder. Getreide, das in Ländern mit selenarmen Böden erzeugt wird, ist praktisch selenfrei (Selen wird zum Wachstum der Pflanzen nicht benötigt und deshalb der Boden nicht damit angereichert), denn obwohl Selen von allen Getreidepflanzen aufgenommen und in das Pflanzeneiweiß eingebaut wird, treten bei der Vermahlung schon Selen-Verluste von bis zu 50 % auf. Anschließende längere Lagerung verursacht weitere erhebliche Einbußen. Selenreichtum: Doch nicht nur selenarme Böden schaden Mensch und Tier. 1934 hat der Biochemiker Orville Beath nachgewiesen, dass ein Übermaß an Selen in der Nahrung die sog. Schwindel- oder Drehkrankheit verursacht. Beim auf selenreichem Weideland grasenden turkmenischen Vieh hat schon Marco Polo (1254 - 1324) diese Drehkrankheit beobachtet. Das Narrenkraut, eine Wickenart, kann in bis zu 1,4 % ihrer Masse Selen speichern. Deshalb haben schon die Cowboys in den USA ihre Rinderherden von dieser Pflanzenart fern gehalten. 2.7.2. Selen in Nahrungsmitteln Idealerweise sollte das Selen zu etwa gleichen Teilen aus pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln aufgenommen werden. Der Durchschnittserwachsene erhält etwa 85% des insgesamt zugeführten Selens aus tierischen Nahrungsmitteln, die Hauptmenge davon durch Verzehr von Hühner- und Schweinefleisch, weil bei der Aufzucht künstlich selenangereichertes Kraftfutter verwendet werden muss. Innereien (Leber, Nieren), Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 27 Meeresfrüchte und Fisch (besonders Thunfisch, Lachs und Kabeljau) sind weitere wichtige Selenlieferanten. In pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Nüssen (Erd-, Para-, Cashewnüsse), Linsen und Spargel lässt sich auch Selen finden, aber nicht ganz so viel wie in Fleisch. Getreideprodukte wie Brot und Cerealien und Weizenkeime, Kleie und Bierhefe tragen beispielsweise in Deutschland nur etwa 5 % zur gesamten Selen-Aufnahme bei, weil die Böden und somit auch die Pflanzen in Mitteleuropa selenarm sind. Auf den letzten Plätzen rangieren Gemüse mit 3 % und Obst mit 1 %. Bioverfügbarkeit: Unter Bioverfügbarkeit versteht man die Menge eines Nährstoffs, die tatsächlich aus dem Lebensmittel in den Körper aufgenommen und für diesen verfügbar gemacht wird. Diese Menge entspricht nicht unbedingt der Menge, die über die Nahrung zugeführt wird. In Getreide z.B. ist die Bioverfügbarkeit sehr hoch und liegt zwischen 90 und 100 %, in Seefischen ist sie wesentlich geringer. Im Thunfisch ist das Selen nur zu etwa 50 % bioverfügbar, im Fischmehl zu 10 %. Auch das im Fleisch enthaltene Selen weist im Allgemeinen eine - im Vergleich zu Getreide - verminderte Bioverfügbarkeit auf. Pflanzlich gebildetes Selen wird vom Körper besser resorbiert als tierisches, denn im tierischen Eiweiß liegt ein Teil des Selens an Schwermetalle gebunden bzw. in anderen, nicht bioverfügbaren Formen vor. Rindfleisch ist - zumindest in Europa - vergleichsweise selenarm, weil diese Tiere in der Regel kein selenhaltiges Kraftfutter erhalten. Schon vor der Aufnahme in den Körper kann die Verfügbarkeit der Nährstoffe verändert werden. So werden durch Kochen und Backen einige Mineralstoffe erst zugänglich gemacht, andere hingegen zerstört, beispielsweise hitzeempfindliche Vitamine. Weiters sind die chemische Bindungsform der Nährstoffe, die Konzentration in der Nahrung, die Menge und die Zusammensetzung der Lebensmittel ebenso wichtig wie der pH-Wert im Magen-Darm-Trakt. Die Mechanismen der Absorption (Nährstoffaufnahme aus dem Darm in den Körper) geben Auskunft über das Verhältnis der mit der Nahrung zugeführten Menge zu der vom Körper aufgenommenen Menge. Auf dem Weg durch den Magen-Darm-Trakt kommt es zu direkten oder indirekten Wechselwirkungen mit verschiedenen anderen Stoffen, die im Lebensmittel selbst enthalten sind oder gleichzeitig über andere Nahrungsmittel aufgenommen werden. Bei einer direkten Wechselwirkung hemmt ein Nährstoff die Absorption eines anderen Nährstoffs. Mindestens zwei Nährstoffe benutzen hier den selben Transportmechanismus, um durch die Darmwand in den Organismus zu gelangen. Ist dieser Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 28 Transportmechanismus besetzt, kann ein anderer Nährstoff, der auch diesen Transportmechanismus benötigt, nicht vollständig aufgenommen werden und wird teilweise wieder ausgeschieden - seine Bioverfügbarkeit ist herabgesetzt. Eine direkte Interaktion besteht z.B. bei Kupfer, Zink, Cadmium, Eisen und Mangan. Bei der indirekten Interaktion ist ein Nährstoff A am Stoffwechsel eines anderen Nährstoffs B beteiligt, d.h. wenn zu wenig von Nährstoff A vorhanden ist, kann Nährstoff B auch nicht vollständig genutzt werden. Das ist z.B. bei Kupfer und Eisen der Fall. Es ist unmöglich, unsere Nahrungsmittel so zu kombinieren, dass alle Nährstoffe optimal bioverfügbar sind, doch mit abwechslungsreicher Kost lässt sich die Aufnahme einiger Nährstoffe durchaus positiv beeinflussen. 2.7.3. Selen im menschlichen Körper Selen ist für den Menschen, wie auch für viele andere Organismen, lebenswichtig. Jede unserer Körperzellen enthält mehr als eine Million Selenatome. Unser physiologischer Selen-Bedarf beträgt nach gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis 1 µg Selen/kg-Körpergewicht/Tag, was etwa 50 µg pro Tag entspricht, um unsere Zellen ausreichend mit Selen zu versorgen. Ein durchschnittlicher Erwachsener hat ca. 15.000 µg im Skelett vorrätig. Weiters lässt sich Selen in allen Organen - in jeweils unterschiedlichen Konzentrationen - finden. Nieren und Schilddrüse bergen das meiste Selen, gefolgt von der Leber. Rücklagen an Selen sind auch in den Hoden, dem Herz, dem Gehirn, der Milz, der Bauchspeicheldrüse, der Lunge, der Skelettmuskulatur und den Haaren zu finden. Intoxikationen, Überdosierung: Akute Selenose (Selenvergiftung): Mit unserer Nahrung nehmen wir zwischen 6 und 200 µg Selen zu uns. Eine Einzeldosis von 5 mg wäre gefährlich und 50 mg sind bereits todbringend. Eine akute Selenvergiftung führt zu Myokardnekrosen mit akutem Herzversagen und Lungenödemen, was zumeist tödlich verläuft. Der Selenspiegel im Blut ist bei akuter Vergiftung nicht wie normalerweise unter 0,1 ppm (0,1 mg/l) sondern erhöht. Als weitere Charakteristika sind Polypnoe, Dyspnoe, Speicheln, Ausfluss von rötlichem Schaum (als Folge eines Lungenödems), Tachykardie und tumultuarische Herzaktion sowie Durchfall und Kolikerscheinungen beobachtet worden. Chronische Selenose: Bei einer Aufnahme von mehr als 800 µg Selen pro Tag über einen längeren Zeitraum kommt es zu chronischen Vergiftungserscheinungen. Erste Anzeichen dafür sind ein knoblauchartiger Mund- und Körpergeruch: Unser Körper stellt flüchtige Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 29 Methyl-Selen-Verbindungen7) her, um sich überflüssigem Selen wieder zu entledigen. Im Verlauf chronischer Selenose kommt es zu Abmagerung durch Magen-Darm-Störungen, Wachstumsstörungen von Haar und Fingernägeln und Lahmheit. Eine weitere hohe Selenzufuhr führt zu Leberzirrhose und Herzmuskelschwäche. 7) Selenite und Selenate reizen die Schleimhaut des Verdauungstraktes. Selenit wird nach Aufnahme in den Organismus zum toxischeren Selenat oxidiert, welches Zellen oxidativ schädigt. Außerdem verdrängt Selen Schwefel aus bestimmten Aminosäuren (Methionin, Cystin und Cystein), was zur Beeinträchtigung der Qualität von Keratin führt. Die daraus entstehenden neuen Aminosäuren Selenocystein und Selenomethionin sind giftig. Es entstehen auch flüchtiges Dimethylselenid Se(CH3)2, das nach Knoblauch riecht und mit der Atemluft ausgeschieden wird, und Selenwasserstoff H2Se, der Lungenödeme hervorruft. Eine chronische Aufnahme toxischer Dosen kann durch Bestimmung des Selen-Gehalts im Haar festgestellt werden. Er liegt normalerweise unter 1 ppm8), bei chronischer Selenose jedoch über 5 ppm8). Nebenwirkungen sind jedoch nicht durch die Selenaufnahme mit der Nahrung zu befürchten, sondern treten nur dann auf, wenn ständig sehr große Mengen an Selenpräparaten eingenommen werden. Eine ständige Aufnahme von Selen-Präparaten in Höhe von 200 µg/Tag ist als sicher und nebenwirkungsfrei anzusehen, eine noch höhere Dosierung sollte nur nach ärztlichem Rat erfolgen. 8) 1 ppm (part per million) entspricht 1 Teil in 1 Million Teilchen bzw. 1 mg/kg 5 ppm (part per million) entspricht 5 Teilen in 1 Million Teilchen Selenmangel: Die Selen-Forschung hat in den letzten Jahren verschiedenste Krankheiten entdeckt, die auf einen Selen-Mangel zurückzuführen sind: Nierenerkrankungen: Die Nieren- und Harnwege werden einer höheren Belastung mit Schwermetallen ausgesetzt, die normalerweise von Selen gebunden werden. Bemerkbar macht sich dies durch erhöhte Eiweißausscheidungen, verringerte Filtrationsgeschwindigkeit und vermehrte Bildung von Ammoniak. Alkohol- und drogenbedingte Lebererkrankungen: Starker Alkoholkonsum regt den Anfall von Radikalen an, wodurch die Leber an Selen verarmt. Schwellung und Zerstörung der Mitochondrienmembran der Leber durch oxidative Prozesse sind die Folgen. Erkrankungen des Zentralnervensystems: Bei Selen-Mangel kommt es zur verstärkten Ansammlung von Wasserstoffperoxid H2O2 und einer progressiven Zerstörung von Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 30 Gehirnzellen. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass es bei unzureichender Selen-Zufuhr vermehrt zu Depressionen kommt. Augenkrankheiten: Die Lichtempfindlichkeit der Netzhaut ist selenabhängig. Die Linsen von an Katarakt (Linsentrübung) erkrankten Personen weisen nur 1/6 der normalen Selen-Konzentration auf. Durch Diabetes ausgelöste Netzhautschädigungen können mit Selen und antioxidativen Vitaminen therapiert werden. Fortpflanzungsstörungen: Die Entwicklung der Spermien wird gestört, weil sich zu wenig Selen in der die Sperma-Mitochondrien umhüllenden keratinartigen Kapselsubstanz befindet. Weiters wurde in verschiedenen Studien festgestellt, dass bei frühgebärenden Müttern signifikant niedrigere Selen-Werte vorliegen als bei normal gebärenden Müttern. Auch Missbildungen bei Säuglingen können auf einen Selenmangel zurückzuführen sein. Schädigung der Zähne: Die Dentinbildung wird durch einen Mangel an Selen gestört. Dysfunktion der Schilddrüse: Selen ist an der Bildung der Schilddrüsenhormone beteiligt und als Co-Faktor der Typ-I-Deiodase (siehe Kapitel 2.7.4.) unersetzbar. Maligne Hyperthermie: Als Maligne Hyperthermie bezeichnet man eine in 70 % der Fälle tödlich verlaufende Narkosereaktion, deren Ursache ein Mangel an Glutathion-Peroxidase (siehe Kapitel 2.7.4.) ist. Sie tritt im Durchschnitt bei 1 von 20.000 Patienten auf. Erkrankung der Atmungsorgane: Raucher haben einen erhöhten Selen- und Vitamin C-Bedarf. Durch beide Substanzen lässt sich die Sauerstoffradikalbildung vermindern. Eine Studie belegt, dass sich die Gefahr einer Erkrankung an Lungenkrebs durch 200 µg Selen/Tag deutlich verringern lasst. Krebs: Krebspatienten weisen bereits 1 - 5 Jahre vor Erkennung der Krankheit deutlich verminderte Selen-Spiegel auf (im Vergleich zu den Kontrollpersonen, die nicht erkrankten). Selen spielt sowohl bei der Krebsprophylaxe als auch in der Krebstherapie eine immer bedeutsamere Rolle. Zur Prophylaxe wird Selenomethionin empfohlen und zur Therapie sollte Natrium-Selenit eingesetzt werden, weil Selenit tumorwachstumsverzögernd wirkt und hier das Selenomethionin unwirksam ist. Weiters gehen gravierende Selenmängel einher mit Dialysepatienten und Verbrennungsopfern. Folgen eines erniedrigten Selenwertes sind ein erhöhtes Risiko vieler Krankheiten wie Schädigungen des genetischen Apparates (Mukoviszidose, Phenylketonurie, Thalassämie), Anämie, Alzheimer, Parkinson, Bluthochdruck, Unfruchtbarkeit, Arthritis, vorzeitige Alterung, Muskeldystrophie und Multiple Sklerose. Patienten mit Brust-, Eierstock- und Gebärmutterhals-Karzinomen, Kopf-Hals-Tumoren, Hirntumoren, Magen-, Darm- und Mastdarm-Karzinomen sowie Leukämie haben veränderte Redoxpotentiale mit zumeist niedrigerem Blut-Selen-Spiegel und geringeren Glutathion-Peroxidase-Aktivitäten. Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 31 Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Studien haben gezeigt, dass Personen mit niedriger Selen-Zufuhr ein zwei- bis dreimal größeres Risiko haben, an einem Herzleiden zu erkranken, als jene Personen, die ausreichend mit Selen versorgt werden. In einer klinischen Studie hat sich gezeigt, dass bei Patienten mit blockierten Koronararterien sehr niedrige Blut-Selen-Spiegel festzustellen sind, während Personen mit hohen Blut-Selen-Spiegeln nicht unter einer koronaren Herzerkrankung leiden. Durch die antioxidative Wirkung des selenhaltigen Enzyms Glutathion-Peroxidase werden die Arterien und die Cholesterin-Transport-Lipoproteine vor Schädigungen und Herzerkrankungen geschützt. Schließlich verhindert Selen auch Membranschädigungen, die mit einem vermehrten Calcium-Einstrom verbunden sind. Weiters entfaltet Selen eine überaus positive Wirkung bei infarktgeschädigtem Gewebe, denn es fördert hier gezielt den Mikroblutkreislauf. Auch die Funktion der Prostata ist nachgewiesenermaßen vom Selen abhängig. Selen ist Antagonist von Schwermetallen. Organische Selenverbindungen reagieren bevorzugt mit bestimmten Schwermetallen wie Quecksilber, Cadmium , Blei und Arsen. Selen wirkt stark antioxidativ und beseitigt Peroxide. Ferner verbessert es die Immunantwort und verstärkt die Antikörper-Bildung, erhöht damit also die Widerstandskraft gegen Infektionen. Menschen mit sehr einseitiger Ernährung oder strikte Vegetarier haben ein höheres Risiko, einen Selenmangel zu entwickeln. Ein solch latenter Mangel zeigt sich in einer allgemeine Immunschwäche und einer Schwächung der antioxidativen Abwehr. Langfristig wird die Entwicklung bestimmter Krankheiten wie Virusinfektionen begünstigt. 2.7.4. Aufgaben von Selen im Körper Selen ist Bestandteil von ca. 20 Eiweißen (Selenoproteinen), die nur dann optimal arbeiten, wenn die Selenversorgung ausreichend ist. In Forscherkreisen geht man davon aus, dass die Gesamtzahl der Selenoproteine bei Eukaryonten9) bei 50 - 60 liegt, was auf weitere wichtige Funktionen dieser speziellen Proteine im Intermediärstoffwechsel schließen lässt. 9) Eukaryonten: Zellen bzw. Organismen, die einen vom Cytoplasma abgegrenzten Zellkern mit echten Chromosomen besitzen. Stoffwechsel und genetisches System sind bei den Eukaryonten um etliches komplexer als bei den Prokaryonten. Zu ihnen zählen neben Tieren und Pflanzen auch Flagellaten (Geißeltierchen), nicht jedoch Bakterien und Blaualgen. Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 32 Enzyme: Enzyme bestehen aus Proteinen und sind hochspezifische Werkzeuge unseres Stoffwechsels. Zusammen mit Vitaminen und Mineralstoffen oder Spurenelementen bewerkstelligen sie die vielfältigsten chemischen Reaktionen in unserem Körper. Fehlt ein Enzym oder ist es z.B. durch Vitaminmangel nicht aktiv, kann es zu schweren Stoffwechselstörungen kommen. Selenoproteine: Selenoproteine sind Enzyme, die zum Ausführen ihrer Funktionen Selen benötigen. Biologisch übernehmen die Selenoproteine Aufgaben im Schilddrüsenstoffwechsel und gehören wie das Schutzenzym Q10, die Vitamine C und E zum antioxidativen Schutzsystem des Organismus (sog. Radikalfänger): Selen schützt zusammen mit Vitamin E die empfindlichen fettsäurehaltigen Zellmembranen vor durch Freie Radikale ausgelösten DNA-Schädigungen. Selenoproteine neutralisieren diese Freien Radikale und sind beteiligt am modulierenden Redoxstatus der Zelle, der Zelldifferenzierung sowie der Regulierung des Energiehaushaltes. Die bisher identifizierten eukaryontischen Selenoproteine und ihre Funktionen werden in vier Hauptkategorien eingeteilt: 1.) Glutathion-Peroxidase (GPx) Selenoprotein Funktion Plasma-GPx (pGPx) Abbau von H2O2 und organischen Ursini et al. 1995 Hydroperoxiden cytosolische GPx (cGPx) Abbau von H2O2 und organischen Flohé 1989 Hydroperoxiden gastrointestinale GPx (giGPx) Abbau von H2O2 und organischen Wingler et al. 1999 Peroxiden Phospholipid-Hydro- Abbau von Phospholipidperoxid-GPx (PHGPx) Hydroperoxiden und Cholesterol-Hydroperoxiden Referenz / Übersicht Ursini et al. 1995 Die Glutathion-Peroxidase verhindert die Anreicherung von Wasserstoffperoxid und von beim oxidativen Fettabbau entstehenden Lipid-Hydroperoxiden. Diese zerfallen leicht unter Freisetzung von Hydroxylradikalen, die außerordentlich reaktionsfreudig sind. Sie entreißen organischen Verbindungen Wasserstoff unter Bildung von neuen Radikalen, die Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 33 ihrerseits unerwünschte Reaktionsfolgen auslösen und zerstörend auf die Zellmembranen und auf die Zellorganellen wirken. Während die extrazelluläre GPx bevorzugt Super-Radikale des fettigen Milieus reduziert, reduziert die innerzelluläre Form, die man in Erythrocyten (roten Blutkörperchen) und in der Leber findet, Super-Radikale des wässrigen Milieus. Die besonders hohe Konzentration dieses Enzyms in der Leber gibt uns zu verstehen, dass diese vor Sauerstoffradikal-Schädigungen bedingt durch den hohen Gehalt an Oxidasen und Eisen besonders geschützt sein muss. Oxidationsmittel (Sauerstoff und daraus gebildete Derivate) können Hämoglobin leicht in Methämoglobin10) überführen. Dieses Methämoglobin kann Sauerstoff aber nicht an sich binden und so entstehen in der Gegenwart von Sauerstoff ständig sehr aggressive Peroxide, die ebenfalls beseitigt werden müssen, was enzymatisch durch Glutathion geschieht. 10) Methämoglobin: oxidiertes Hämoglobin mit drei- statt zweiwertigem Eisen, auch bekannt unter Ferrihämoglobin bzw. Hämiglobin. Glutathion (GSH) ist ein atypisches Tripeptid (g-Glu-Cys-Gly). Es trägt am Cystein eine Thiol-Gruppe, die bei der Reduktion von Methämoglobin und Peroxiden zum entsprechenden Disulfid (GSSG) oxidiert wird. Für die Reduktion von Peroxiden benötigt Glutathion das Enzym GlutathionPeroxidase, zur Reduktion des Methämoglobins MethämoglobinReduktase. Die Regeneration des GSH wird durch die Glutathion-Reduktase katalysiert. Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 34 2.) Deiodasen (D) Selenoprotein Funktion Referenz / Übersicht Typ I 5’-Deiodase (5’DI) Deiodierung von T4 zu T3 und Köhrle 1999 von T3 zu 3,3’-T2 Typ II 5’-Deiodase (5’DII) Deiodierung von T4 zu T3 Typ III 5’-Deiodase (5’DIII) Deiodierung von T4 zu T3 und Köhrle 1999 von T3 zu 3,3’-T2 Selenophosphat-Synthase-2 (SelD2) Synthese von Selenophosphat Davey et al.1999, Köhrle 1999 Guimaraes et al.1996 Die Deiodasen fördern die Hormonproduktion in der Schilddrüse, welche eine besonders hohe Affinität für Selen besitzt und den höchsten Selen-Gehalt von allen Organen aufweist. Sie katalysieren die Umwandlung von T4 (inaktive Vorstufe des Schilddrüsenhormons) in die aktive Form T3. Bei Selen-Mangel können durch die verminderte Bildung von T3 Störungen in der Schilddrüsenfunktion auftreten. In einer jüngst veröffentlichten italienischen Studie wurde nachgewiesen, dass Selen-Mangel eine verminderte Umwandlung von T4 in T3 bewirkt. Ein gleichzeitig bestehender Selen- und Iodmangel wirken sich negativ auf das Immunsystem und damit auch auf die körpereigene Resistenz gegen krebserregende Faktoren aus. 3.) Thioredoxin-Reduktasen (TrxR) Selenoprotein Funktion Referenz / Übersicht TrxR I Reduktion von oxidiertem Thioredoxin und anderen Substraten Tamura & Stadtman 1996 TrxR II TrxR III (mitochondrial) Gadaska et al.1999 Saito et al.1999 4.) Selenoproteine unbekannter Funktion Die Selenoproteine P10 (reduziert Peroxinitrit), P12, P15 und W sind zwischen 1995 und 1999 von mehreren Forschern entdeckt worden, ihre Sequenz ist bekannt. Hingegen haben das Prostata-Epithel-spezifische Selenoprotein (PES), das Selenoprotein P18 und das Selenoprotein Testes P34 (alle drei von Behne et al.1996/97 entdeckt) noch unbekannte Sequenzen.